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Per Luftschiff durch Caltha, Teil 1

von Arnold Nirgends (Autor:in)
200 Seiten
Reihe: Arca-Nihil, Band 4

Zusammenfassung

Der Roman handelt von zwei parallel erzählten Reiseabenteuern, welche zu fernen und gefährlichen Gebieten auf dem Kontinent Caltha führen. Einerseits trifft man wieder auf die von der Erde entführte Agentin, welche nach einer Chance auf Rache sinnt. Und andererseits begleitet man als Leser eine gefährliche diplomatische Mission, die zu entgleisen droht.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


General – Absturz im Südmeer

General wurde von einem heftigen Knall und einem Schmerz im linken Bein aus seinem Schlaf gerissen. Augenblicklich war er hellwach und versuchte sich soweit es ging in seiner Hängematte aufzurichten und nach dem Rechten zu sehen.

Er hatte es sich auf dem Oberdeck der ANS Lysian bequem gemacht, um im Schatten des Luftschiffballons und bei einer angenehmen, warmen Nachmittagsbrise seine Pause schlafend zu genießen.
Nun starrte er verdutzt auf seinen linken Unterschenkel, der knapp unterhalb des Knies eine frische, blutende Wunde aufwies. Im Hinterkopf notierte er, dass es nur ein Kratzer zu sein schien, während seine ganze Aufmerksamkeit nach oben wanderte. Das Geräusch, welches er von dort her wahrnahm, war der Albtraum jedes Luftschifffahrers. Das Zischen entweichender Luft in Verbindung mit dem untrüglichen Gefühl im Magen, dass es zwar langsam, aber doch eindeutig nach unten zu gehen schien, war sehr alarmierend. Und tatsächlich erkannte er über sich, mitten im zylinderförmigen Luftschiffkörper ein riesengroßes Loch. Am Rande des Loches sah er, wie zerfranste Reste der Außenhaut von dem ausströmenden Helium-Wasserstoffgemisch hin und her geschlagen wurden. Weiters waren auch zerstörte Strukturelemente des Ballonkörpers, gebrochenen Rippen gleich, zu erkennen.

Für solche Momente waren sie regelmäßig gedrillt und trainiert worden. Wenn jemand aus einer Luftschiffbesatzung so etwas erblickte, setzten augenblicklich bis ins reflexhafte eintrainierte Reaktionsmuster ein. General war schon auf den Beinen und sah, wie Froxi, der Techniker, die Hängeleiter hochgeklettert kam. Froxis vordefinierte Aufgabe in solchen Situationen war es, die Kleisterkanone einzusetzen, wusste General. Er hatte ihm zu folgen, aber erst, nachdem er sich das Notfallset geschnappt hatte.

Während er also ans Heck des Schiffes eilte, um den dort befestigten Rucksack mit dem Notfallset zu holen, hörte er unten aus der Kommandozentrale Leutnant Griff laut und aufgeregt Befehle rufen.

„Propper, Ladung sichern!“
„Froxi, an die Kanone! Schnell!“
„General, Notfallset holen!“

Weiters hörte er wie etliche der Mitreisenden schrien, oder laut redeten. Aber er nahm nicht wahr was gesagt wurde. Das Luftschiff war voll mit Legionären, Agenten und einer Botschafterin mit Gefolge. Für diese Leute mussten die Explosion und das darauffolgende rapide Absacken des Luftschiffes noch beängstigender sein, weil sie völlig unvorbereitet waren.

Er hatte jetzt aber keine Zeit und keine Lust sich dem Mitgefühl für Mitreisende hinzugeben. Stattdessen entfernte er die Sicherungsleinen und Plomben vom Notfallset, hängte sich den Rucksack um und eilte zur mittleren Strickleiter, um Froxi nach oben in den Ballonkörper hinein zu folgen.

Nach wenigen Augenblicken sah er die Schuhe des Technikers knapp über sich und hörte kurz darauf das satte ‚Plopp‘, welches signalisierte, dass dieser eine Ladung Kleister abgefeuert hatte.

„Das geht sich nicht aus, verdammt und zugenäht!“, fluchte es über ihm.

„Zu groß?“, fragte er eher rhetorisch nach oben.
„Ja sowieso!“, grunzte Froxi aufgeregt und ärgerlich.
„Die Zweier ist hinüber, aber die anderen hat’s auch erwischt“, erfuhr er jetzt vom aufgeregten Techniker.

„Ei ei ei“, konnte General da nur mehr sagen und verarbeitete das Gesagte in Gedanken weiter.
Ein Schiff der Welfbutklasse wurde von einem 75 Meter langen und 19 Meter durchmessenden torpedoförmigen Ballon getragen. Aus Sicherheitsgründen war der Ballon in drei Kammern etwa gleicher Größe aufgeteilt. Die mittlere Kammer war die Wichtigste und deshalb gab es in ihrem Inneren eine sogenannte Kleisterkanone, mit welcher mal Löcher von innen mittels einer klebrigen Substanz verschließen konnte. Leider war von der Explosion die mittlere Kammer so schwer beschädigt worden, dass an ein Verschließen der Öffnung nicht zu denken war. Sie alle wussten, dass der Ausfall einer Kammer für das Luftschiff gefährlich, aber nicht lebensbedrohlich war. Ein guter Pilot konnte mit etwas Glück eine Notlandung zuwege bringen. Natürlich nur, wenn das Schiff nicht schwer beladen war.

Für solche Notfälle war es auch vorgesehen die meiste Nutzlast abzuwerfen. Dafür gab es spezielle Luken, um das zu beschleunigen.
Die Lysian war zwar nicht schwer beladen, aber es waren viele Personen an Bord. Die konnte man schlecht über Bord werfen.
Diese Gedanken hatte General schnell durch. Aber nun kombinierte er seine gedankliche Momentaufnahme mit Froxis letzter Aussage – wenn die anderen Kammern auch leckten, dann würde das Schiff viel schneller absinken und eine Notlandung wäre unmöglich. Was konnte man tun?

„Froxi, kannst du eine der Kammern zukleistern?“, fragte er mit zittriger Stimme.

„Ja, den Norden sollte ich schaffen.“, kam es von Froxi.
„Kannst du den Süden erreichen und flicken?“, fragte ihn der mit der Kleisterkanone hantierende Techniker mehr auffordernd als fragend.

„Ich werde es versuchen!“, rief er ihm zu und begann sich am Ballon entlang zum Loch hin zu hanteln, um ins Innere des beschädigten Ballons zu kommen.

Hinter sich bemerkte er eine Bewegung. Agentin Schwarz hatte doch tatsächlich die Luftschiffgondel verlassen und sich zu ihnen herauf getraut.

Die Agentin war der regulären Besatzung schon öfters aufgefallen, weil sie ungewöhnlich viel Interesse am Luftschiff gezeigt hatte und oft auf der Galerie oder auf dem Ballon selbst angetroffen worden war.

Für General kam die unerwartete Unterstützung sehr gelegen. Agentin Schwarz war sehr kräftig und auch geschickt. Gemeinsam drangen sie in das Innere des Ballons ein und mit Hilfe der Agentin konnte er zuerst zwei große Löcher und danach vier kleinere mit dem Reparaturset flicken. Dabei mussten sie auf einem Gerüst von dünnen Holz- und Metallstäben bis zu fünfzehn Meter über dem Ballonboden hoch klettern, ohne herunterzufallen und ohne noch mehr Schaden an der filigranen Konstruktion anzurichten.

Als sie damit fertig waren und das Innere des Ballons durch das große Loch verlassen wollten, sahen sie, dass das Luftschiff schon sehr nahe an der Wasseroberfläche war.

„Wir müssen aus dem Ballon raus, bevor wir auf dem Wasser aufkommen. Sonst ertrinken wir eventuell hier drinnen.“, rief ihm die Agentin zu, bevor sie sich kraftvoll hinausschwang. So gut es in dem Gewirr zerborstener Stäbe und Hölzer beim Loch in der Hülle ging, beeilte er sich ihr zu folgen, schwang sich ebenfalls hinaus und verlor dabei den Halt.

Er spürte einen Ruck, als sein Sturz abrupt gestoppt wurde. Er hing nun unter dem Ballon, gehalten von der Agentin, welche mit einer Hand den Rucksack auf seinem Rücken gepackt hatte und sich mit der anderen Hand an der Strickleiter festhielt. Er blickte dankbar in ihr angestrengtes Gesicht. Die Agentin schaukelte ihn ein paar Mal hin und her, bis er auch nach der Strickleiter greifen konnte und wieder Halt fand.

Noch einmal blickte er dankbar zu ihr hinauf und kletterte dann eilends nach unten, um sich auf der Galerie der Luftschiffgondel für den Aufprall auf der Meeresoberfläche vorzubereiten. Wenn möglich wollte er nicht ins Wasser geschleudert werden.
Also eilte er ganz nach vorne, hängte seinen Gürtel an zwei Ösen ein, womit er an der Reling fixiert war und winkte die Agentin zu sich, um sie ebenfalls festzuschnallen. Die Agenten waren ja nur Passagiere und kannten sich im Luftschiff nicht so gut aus.
Als Agentin Schwarz heftig atmend, aber gesichert neben ihm an der Reling saß, fasste er sich ein Herz, stand auf, stemmte sich gegen den heftigen Wind, verursacht durch die hohe Fallgeschwindigkeit und blickte nach vorne, um den Aufprall mitzuerleben.

Seine Augen weiteten sich vor Schreck und er sah…

„Ist schon gut. Mach dir nicht in die Hosen. Ich bin ja bei dir.“

General öffnete die Augen und blickte seinen Vorgesetzten an, der ihn mitleidig ansah und versuchte sich verärgert aus dessen Umarmung zu lösen.

Er, General, lag total verschwitzt in seiner Koje und hatte seine Finger in die Unterarme von Leutnant Griff gekrallt. Als er erschrocken losließ, waren auf Griffs Unterarmen tiefe Druckstellen zu erkennen.

„Entschuldige“, murmelte General.

Griff nickte verständnisvoll und fragte „War es wieder einer dieser Träume?“.

General nickte und setzte sich langsam und immer noch heftig atmend auf.

„Kannst du mir einen Gefallen tun?“ fragte ihn Griff und General nickte.

General – Eine ungewöhnliche Bitte

General hatte seine Hängematte im Mannschaftsquartier verlassen, sich angekleidet und war dann dem Kommandanten der ANS Arakon eilig gefolgt. General fühlte sich auf dem Schiff nicht wohl. Eigentlich war er bisher immer auf den kleinen, überschaubaren Schiffen der Olbia- oder Welfbutklasse unterwegs gewesen. Und jetzt fuhren sie einen fliegenden Wolkenkratzer der Linienschiffklasse. Er beeilte sich also zur Wendeltreppe, eilte hoch, trat in die hinter der Kommandobrücke befindliche Kabine des Kapitäns ein und schloss die Tür hinter sich. Weil die Tür zur Brücke offen gestanden war, hatte er sehen können, dass der Pilot entspannt vor dem großen Panoramafenster gesessen war und sie bereits Festland erreicht hatten.

„Magst du auch welchen?“, kam ihm Griff mit einer Frage zuvor.

Nach dem gerade erlebten Traum war ihm zwar eher nach etwas Gehaltvollerem, aber er bejahte höflich und sah zu wie sein Gegenüber etwas ungeschickt aus einer Porzellankanne schwarzen Tee in eine Tasse goss.

General griff nach der Zuckerdose und nahm drei gehäuft volle Löffel braunen Zucker daraus hervor, um sie alsdann im Tee zu versenken, umzurühren und einen kleinen Schluck der heißen, jetzt zuckrigen Lösung zu genießen.

„Ah, das tut gut.“, seufzte er und war nun bereit seinem Chef zuzuhören.

Ex, Chef, dachte er bei sich. General war Leutnant Griff nämlich sehr dankbar, dass er ihn für diesen einen Flug als Sicherheitsassistenz angeheuert hatte, um ihm die Gebühren für ein Flugticket zu ersparen. General war früher mit Griff geflogen, aber seit etwa einem Jahr gingen sie getrennte Wege. Griff hatte sich für ein größeres Kommando beworben und kurz darauf die ‚Arakon‘ bekommen.

General war indes weniger erfolgreich gewesen. Der letzte große Einsatz in Form eines Langstreckenfluges weit in den Süden von Caltha hatte bei ihm erstzunehmende Spuren hinterlassen. Und so durfte er nicht mehr auf Luftschiffen anheuern. Stattdessen zahlte ihm der RAN (Rat von Arca-Nihil) einen zehnwöchigen Aufenthalt in einem Sanatorium inklusive psychologischer Betreuung.

Und jetzt ein Jahr später saß er hier in der Kabine seines Freundes und flog mit dessen Schiff nach Hagedorn, um endlich wieder aktiv zu werden.

Aber auf einem kleinen Schiff, das war ihm wichtig. Und weit weg von Arca-Nihil sollte es sein. Also Hagedorn.

„Wo bist du gerade?“, fragte ihn Griff ruhig und schaute ihm dabei tief in die Augen.

„Alles klar, alles ok!“ General sprach etwas zu hastig, um dabei glaubwürdig zu wirken. Aber eigentlich ging es ihm wirklich gut. Er war nur ein wenig fahrig.

„Wir sind schon am Ilonerpass vorbei.“, ergänzte er, um zeigen, dass er sehr wohl im Hier und Jetzt war.

„Hab’s beim Eintreten gesehen!“

„Ja, wir sind bald da. Es gibt eine Sturmfront vor dem Adlertal und darum fliegen wir die Südroute. Damit sollten wir kurz vor der Dämmerung dort sein und nicht wie ursprünglich geplant zur Mittagszeit.“

„Macht nichts. Kann ich da eventuell im Schiff übernachten?“

„Nein, das geht leider nicht!“ sagte Griff dem verblüfften General.

General verstand nicht ganz, warum das jetzt plötzlich ein Problem sein sollte und überlegte bereits wie er es vermeiden könnte eine Unterkunft bezahlen zu müssen und trotzdem nicht im Freien übernachten zu müssen. Seine Gedanken wurden unterbrochen, weil Griff weiter sprach.

„Du weißt, dass das kein Problem wäre. Mein Schiff ist ja halb leer und du könntest die ganze Zeit im Schiff bleiben.“
„Aber, es gibt da eine andere Sache. Ich muss nämlich sofort nach der Landung zum Legionskommando und Meldung machen. Ich denke nicht, dass ich da so schnell wieder wegkomme.“

„Aber du hast ja einen tollen Ersten. Der wird sich um die Fracht und das Schiff kümmern.“

General grinste schelmisch, als er Griffs Gesichtszüge deutete.

„Du hast Dreck am Stecken, du Halunke! Wolltest Du nicht sauber werden? Nur mehr offiziell und so?“

„Es war zu verlockend. Aber jetzt habe ich doch ein wenig Bammel und möchte, dass es problemlos verläuft.“
General sah ihn auffordernd an und so setzte er fort.

„Wir nehmen ja immer wieder mal ein wenig Extra mit, ohne es zu kommissionieren, oder? Ja, und ich habe da halt in einer toten Fracht ein wenig lebende Fracht mitgenommen. Anfangs kam mir das wie eine gute Idee vor, inzwischen bereue ich das aber ziemlich.“

„Was bereust du?“

„Am Zwischenstopp auf Devenport Island haben wir unter anderem eine große Kiste zugeladen. Da drin ist ein SERAN Anzug. Ganz normal denkt man sich, wo hier in Hagedorn doch die 4’te Legion ihr Hauptquartier hat.
Im Anzug steckt eine Frau drin, sag ich Dir. Ein Gorfanpriester hat den Deal eingefädelt und ich hätte es wissen sollen, dass man diesen Fanatikern nicht trauen darf. Stell dir vor – das ist eine politische Gefangene. Und ich habe ihr zur Flucht verholfen.“

„Da hast du aber echt dein Hirn daheim gelassen, als du das ausgehandelt hast. Man erkundigt sich doch, wen man da mitnimmt.“

„Der hat mich ausgetrickst, sag ich Dir!“, Griff war lauter und aufgeregter geworden, bekam jetzt seine Stimme aber wieder unter Kontrolle und sprach leise weiter.

„Ich erspare dir die Details, aber er hat mich davon überzeugen können, dass sie seine Freundin sei und hier in Hagedorn Geschäfte machen möchte. Geschäfte mit illegalen Gütern.“
„Ok, das hätte ich jetzt auch mal geglaubt. Sowas machen Leute doch gerne und oft und darum bieten wir diesen Service.“

„Gegen gute Bezahlung!“, fügte General lächelnd hinzu.

„Wo siehst du da etwas Politisches?“

„Es sind nur Kleinigkeiten, aber sie passen unangenehm gut zusammen. Erstens gibt es eine Vorschrift, welche es explizit verbietet, unregistrierte Passagiere von etlichen Orten wie zum Beispiel von Bullrock Island, Noric und eben Devenport Island aufzunehmen. Zweitens erscheint es mir nach längerem Nachdenken sehr merkwürdig, dass jemand von einer Insel mit ein paar Dutzend Einwohnern unbemerkt verschwinden will und dafür extra, ich meine wirklich EXTRA, viel zahlt. Die Leute wissen das nach ein paar Tagen sowieso. Weil wo sollte sie sonst sein?“

„Naja, das ist schon etwas weit hergeholt. Aber es hat was. Und jetzt komm ich ins Spiel? Als Retter?“, General war nun echt neugierig, zu welchen weiteren Gedanken seines Freundes dessen Paranoia ihn geführt hatte.

„Sollte die Inquisition zu Sesosta kommen, so ersuche ich dich alles auf deine Kappe zu nehmen. Dann kann ich das Kommando behalten. Du hast nichts zu verlieren und stehst auch rechtlich weniger in der Klemme. Das gibt für dich höchsten ein halbes Jahr. Für mich wäre es vermutlich das Ende meiner Karriere.“

„Jetzt übertreibst du aber komplett.“, empörte sich General.

„Das war nicht gut, was du gemacht hast. Aber sowas macht doch jeder. Ich mag ein wenig labil geworden sein, aber du bist ja paranoid. Träumst du auch öfters davon?“

Griff nickte leicht, sah General aber dabei nicht an, sondern aus dem Bullauge hinaus auf kleine Wölkchen.

„Warum nicht?“, versuchte General die trübe Stimmung aufzuhellen.

„Wenn es eine Schmugglerin ist, dann schaut sicher auch für mich einiges raus. Bis ich auf der Mezz anheure habe ich Zeit. Da kümmere ich mich um Deine Fracht.“

Griffs Augen strahlten vor Freude.

„General, du bist ein echter Freund!“

Er langte in die Außentasche seiner Fliegerweste und holte einen kleinen, seidenen Beutel mit Schnürverschluss hervor.

„Du bekommst die Hälfte der vereinbarten Prämie. Und vielleicht gibt die Lady ja noch etwas her. Sie hat verdammt viele davon.“, meinte er bedeutungsschwanger.

General griff zögernd nach dem Beutel. Der Inhalt war klein, rund und schwer. Etwa wie Glasmurmeln. Was mochte da drinnen sein?

Er öffnete ihn und holte mit zwei Fingern eine von drei Kugeln heraus. Es war ein bläulich schimmerndes, nein glänzendes rundes Ding, wie er es noch nie selbst gesehen hatte. Aber natürlich wusste er sofort, was er da in der Hand hielt.

„Ich will verdammt sein, wenn wir das nicht hinbekommen!“, grinste er über beide Ohren und besprach gut gelaunt mit seinem Freund, wie sie nun vorgehen wollten.

General – Landeanflug Hagedorn

Ein paar Stunden später saß General entspannt auf einem Stuhl, welcher an der Rückwand der Kommandobrücke heruntergeklappt werden konnte um mehr Personen, zum Beispiel für eine Besprechung aufzunehmen. Normalerweise war die Brücke für drei bis vier Personen vorgesehen. Es konnten zur Not aber bis zu zehn Leute darin Platz finden.

Das haben die Konstrukteure gut gemacht, überlegte General, weil das Schiff normalerweise eine zehnköpfige Besatzung aufwies und somit alle in jenem Raum zusammentreffen konnten, der während des Fluges immer besetzt sein musste. Zur Not oder ohne Kursänderungen genügte ein Pilot. Bei komplizierten Landemanövern oder in unübersichtlichen Gefahrensituationen wie es sie zum Beispiel Stürme darstellten taten zwei bis drei Personen Dienst. Dann war es hier richtig gemütlich. Es war möglich, die komfortablen Stühle zu verlassen, ein paar Schritte zu gehen und das große Panoramafenster gab einen guten Überblick, was vor einem so geschah.
Was hier fehlte, war der Rundumblick und die Bullaugen am Boden, wie es die mittelgroßen Luftschiffe der Stonehaven- und der Welfbutklasse boten. Aber bei den Linienschiffen befand sich die Brücke im Oberdeck und diese Möglichkeiten waren darum verwehrt.

Ein wenig wehmütig fiel ihm bei diesen Gedanken ein, dass einem schon vor langer Zeit geplanten Verschrottungsprogramm fast alle Olbiaschiffe zum Opfer fallen sollten. Sie waren aufgrund ihrer kleinen Nutzlast und der, dem hohen Alter geschuldeten Wartungsintensität einfach zu teuer geworden und sollten bald aus dem AN-Luftraum verschwunden sein. Das machte ihn sehr traurig. Hatte er doch mehr als die Hälfte seines bisherigen Lebens auf genau solchen Schiffen verbracht.

Das war auch der schönste Teil meines Lebens, fügte er in Gedanken hinzu. Leider hatte er oft zurückstecken müssen. Und wenn er dann an seinem Lieblingsort, der geöffneten Ladeluke eines Luftschiffes, saß, die Füße nach unten baumelten und er Himmel, Horizont und tief unten das Meer oder das Festland betrachten konnte, dann war er fast immer das, was er für sich selber als glücklich bezeichnete.

Seine Trauer um das baldige Ende der Olbiaflotte wurde allerdings bei ihm und auch bei vielen anderen Luftschiffern von einer Vorfreude auf die neue Generation von Luftschiffen kompensiert.
Es war nicht einfach eine neue Klasse. Nicht mehr vom Selben, sondern etwas ganz Neues. Er hatte die ANS Ichmi, das erste seiner Art, ein einziges Mal aus der Ferne gesehen. Es war deutlich kleiner als ein Linienschiff, aber kompakter. Die Gondel war direkt in den Ballon eingearbeitet und nicht frei hängend. Das Schiff hatte imposant und ein wenig bedrohlich gewirkt. Vermutlich auch, weil es derzeit ausschließlich vom Militär genutzt wurde. Das Außergewöhnlichste am neuen Schiff sollte aber nicht sein Äußeres sein, sondern ein Schwerkraftabsorber. Ein Gerät, welches dem Schiff ungewöhnliche Manövriereigenschaften und eine unglaubliche Ladekapazität ermöglichen sollte. Einer seiner Träume war es, seit er davon gehört hatte, einmal seine Beine aus der Ladeluke der fliegenden ANS Ichmi hängen zu lassen.

„Arakon an Hagedorn, bitte melden!“, hörte er Griff mit lauter, fester und deutlicher Stimme ins Mikrofon des Funkgerätes sprechen. Seine Gedanken kehrten wieder ins Hier und Jetzt zurück.

Nach ein wenig Rauschen kam die erwartete Antwort.

„Hier Hagedorn, an Arakon. Bandwechsel auf 23. Bitte bestätigen.“

„Bandwechsel auf 23, bestätige und Aus.“

Griff hantierte kurz an den Schaltern und Reglern des Funkgerätes herum. Es war ein sehr altes Ding und ein Bandwechsel musste jedes Mal manuell kalibriert werden, bevor man wieder auf Sendung gehen konnten.

„Hier Arakon auf 23. Hagedorn bitte melden.“

„Hier Hagedorn, bestätige 23. Hallo Leutnant Griff. Das bist doch du, oder?“, kam es nun vertraulicher aus dem Lautsprecher des altmodischen Funkgerätes.

„Ja sicher! Und Diana, wie geht es deiner Tochter? Schlägt sie dich immer noch im Memory, oder hast du inzwischen geübt?“

„Schlägt mich immer noch. Griff, die Landeplattform ist heute über Nacht belegt. Ich kann euch aber das Warteseil anbieten und ihr landet dann morgen am Vormittag. Passt das?“

Griff lächelte, schloss die rechte Hand zur Faust und deutete damit ein ‚Ich hab’s echt drauf‘ an. General verstand nun, dass Griff bewusst eine Verzögerung beim Flug eingebaut hatte, damit sie so spät ankamen, dass die vorgesehene Entladung am Nachmittag nicht mehr möglich war und sie jetzt über Nacht in Warteposition gehen mussten. Für General war das fein, es war ihm nämlich viel lieber morgens als spät abends anzukommen. Aber was brachte es Griff, wenn sie sich am Warteseil anhängen würden, um die Nacht in der Luft zu verbringen? Wie sollten sie den blinden Passagier da von Bord bringen können?

Das Warteseil diente dazu, ein Luftschiff in etwa 100 Metern Höhe zu fixieren. Dadurch wurde der Pilot entlastet, weil keine Kurskorrekturen notwendig waren. Das war besonders bei stärkeren Winden hilfreich.

„Ich würde es vorziehen beim Sirupbunker zu landen. Dann können meine Leute auch ein wenig entspannen. Ist das möglich?“

Natürlich, fiel es General wie Schuppen von den Augen. Beim alten Sirupbunker gab es eine riesige Landeplattform. Diese war prädestiniert für Linienschiffe, weil dort früher, als es noch guten Sirup gegeben hatte, das Tankschiff ANS Sarania, regelmäßig beladen worden war und dort oft tagelang vor Anker lag.

Seit die Siruplieferungen aus der True World zum Erliegen gekommen waren, wurden der Sirupbunker und die Landeplattform dafür nicht mehr gebraucht. Aber die Landeplattform war voll intakt. Nur landete man dort nicht so gerne, weil sich in dem Gebiet viele Bewohner der Wahren Welt angesiedelt hatten und die Gegend, gelinde gesagt, nicht als Aufenthaltsort empfohlen wurde.

„Das ist möglich. Ich weise aber darauf hin, dass das Gebiet nicht von der TWC Security und nicht von der Legion gesichert ist. Landung also auf eigenes Risiko.“

„Ich habe eine extra Security an Bord und gehe das Risiko ein. Dafür haben wir dann auch festen Boden unter den Füßen. Bitte Landungscode. Danke und bis bald.“

„Landungscode ist HD677Zeta. Ich wiederhole HD677Zeta! Hagedorn Ende.“

„HD677Zeta. Danke Diana. Arakon Ende!“

Griff streckte beide Hände euphorisch in die Höhe und gab ein freudiges „Ahhh!“ von sich.

„Endlich wieder mal beim Sirupbunker eine Nacht durchfeiern!“

Das sagte er an seinen Piloten gerichtet.

Dieser lächelte in sich hinein, erwiderte aber nichts.

„Und du wirst das Schiff bewachen. Damit du nicht ganz umsonst gereist bist.“, stellte er grinsend an General gerichtet fest.

Guter Plan, überlegte General stand auf und klopfte Griff auf die Schulter.

„Das mache ich doch gerne. Wer bleibt sonst noch im Schiff?“

„Ich denke die Besatzung bekommt frei. Ich muss nach Hagedorn und werde dort einen Legionär anheuern, der dir bei der Wache hilft.“

General verabschiedete sich vom Piloten, der inzwischen begonnen hatte, das Landemanöver einzuleiten. Er ging zur Wendeltreppe und marschierte am Unterdeck zur großen Ladeluke, öffnete sie ein wenig, setzte sich hin und ließ die Beine baumeln. Tief unten sah er das wüste Ödland südlich von der Burg. Die Burg Hagedorn war an einem steilen Berg in die südöstliche Flanke hinein gebaut und bestand aus drei Ebenen, welche terrassenförmig übereinander lagen. Es war die größte bekannte Burg auf ganz Caltha. Größer noch als Roto Keep oder der Flaming Tower in Arca-Nihil und seit einigen Jahren auch die am besten geschützte. Im Vorbeiflug konnte General viele Details der Burg von oben betrachten. Hier sah man auch, dass auf allen Türmen der Burg metallene Überdachungen in der Sonne glänzten. Diese waren nach dem ersten Überfall der Kuraks angebracht worden, um die Verteidiger besser vor deren Luftangriffen zu schützen. Schaudernd dachte er bei dem Anblick an das Arsenal von Gatlings und Flammenwerfern, welches sich da unten gut verborgen, aber jederzeit einsetzbar befand.

Er wandte sich von der Burg ab und beobachtete nun den schnell näher kommenden Sirupbunker. Der Sirupbunker war eine gigantische, von den Meks geschaffene Halle, wo sie früher tausende Fässer mit Sirup angehäuft hatten, um diese dann auf die ANS Sarania oder andere Luftschiffe zum Transport nach Arca-Nihil zu laden. Flächenmäßig konnte der Sirupbunker mit den Luftschiffhallen konkurrieren. Aber der Bunker war sehr niedrig und gedrungen.

Bei der Landeplattform hatten sich etwa 100 vom Wahren Volk eingefunden. Einige von Ihnen hielten Seile und Stangen bereit, um bei der Landung zu helfen. Sie hofften vermutlich auf diese Art ein wenig Trinkgeld von der Besatzung zu bekommen.

Ein wenig abseits stand ein Flankentransporter. Drei Leute in Legionärsuniform beobachteten ebenfalls die Ankunft des riesigen Luftschiffes. Vermutlich das Taxi für Leutnant Griff in die Burg.

General spürte wie die warme Luft an seinen nackten Beinen und am Gesicht vorbeizog und genoss den Anblick des rasch, aber immer langsamer näher kommenden Bodens in Verbindung mit dem lauten Motorengeräusch der unter hoher Last laufenden Schiffsmotoren auf Bremsschub. Für solche Momente lebte er.

(Burg Hagedorn)

Marjeka – Eine unangenehme Reise

Lebend begraben werden, das möchte kein Mensch. In den Neunzigerjahren hatte sie einmal ein Angebot von einem findigen Beerdigungsunternehmen gelesen. Man konnte dort zu Lebzeiten einen Sarg vorbestellen, welcher mit einem Alarmsystem ausgestattet war. Erwachte man nach einem Scheintod lebendig begraben im Sarg, konnte man im engen Gefängnis einen Knopf drücken und im Büro des Bestattungsinstitutes leuchtete ein Licht auf. Gegen Aufpreis konnte man den Sarg auch mit einem Kohlendioxidsensor upgraden und der Alarm erfolgte automatisch, wenn man zu atmen begann.

So etwas brauche ich zumindest für den Notfall nicht, dachte Marjeka und versuchte den schmerzenden Rücken zu entlasten, indem sie sich ein wenig zur Seite neigte. Das machte sie sehr vorsichtig, denn eine zu heftige Bewegung konnte die enge Kiste in der sie lag beschädigen. Und das wollte sie tunlichst vermeiden. Vor einer gefühlten Ewigkeit hatte sie sich in diese sargähnliche Holzkiste gelegt und zugehört, wie sie von Bruder Tom mit zwei Vorhängeschlössern eingesperrt worden war. Angst hatte sie deshalb keine haben müssen. Sie trug die experimentelle SERAN Rüstung Modell 110b2, welche nach Abschluss einiger Experimente auf dem Weg nach Hagedorn war.

Bruder Tom hatte ihr damals den Floh ins Ohr gesetzt und nach ihrem scheinbaren Verschwinden im Meer brauchte sie nur ein paar Tage unterzutauchen um die Gefängnisinsel auf ähnliche Weise wie der Graf von Monte Cristo zu verlassen.

Wirklich herausfordernd waren allerdings die 20 bis 30 Stunden Aufenthalt in einem klaustrophobisch engen Anzug, der wiederum in einer dunklen Kiste eingeschlossen war. Viele Leute würden sich sowas nicht zutrauen, aber Marjeka war mental stark genug, um der geistigen Anspannung standzuhalten. Auf Nahrung konnte sie so lange auch ganz gut verzichten und Trinken konnte sie, weil der SERAN ein Flüssigkeitsreservoir und einen Trinkschlauch eingebaut hatte. Für das kleine Geschäft hatten die Bauer dieses Kampfanzuges auch vorgesorgt. Eine Kombination aus Harnflasche und Windel verhinderte, dass man zur Unzeit das Schlachtfeld verlassen musste und die Agentin hatte sich somit auch deswegen keine Gedanken machen müssen. Last but not least – im Notfall musste sie nur die Arme oder Beine der Rüstung kraftvoll gegen die Kiste stemmen und sie wäre frei. Der Grund dafür waren die vielen kleinen und größeren lebenden Muskeln, welche an allen Gelenken der Rüstung angebracht waren und über Sensoren die Bewegungen der Trägerin verstärken würden.

„Na, Muckis. Wie geht es euch?“, fragte sie leise geflüstert ins Dunkel. Natürlich konnten die Muskeln nicht antworten. Aber sie kommunizierten auf ihre Art. Wenn Marjeka genau hinhörte, dann nahm sie manchmal Geräusche wahr, die wie leises Glucksen, oder Gurgeln klangen. Das waren Verdauungsgeräusche. Alle Muskeln waren über kleine Kapillarschläuche mit einem Reservoir verbunden. Der im Reservoir befindliche Sirup stellte die Nahrung der Muskel dar. Dieses Nuckeln war zu hören. Außerdem waren die Muskeln immer wieder mal ein wenig in Bewegung und so rührten sich Teile der SERAN Rüstung ohne ihr Zutun gelegentlich und erzeugten schabende Geräusche auf Metall oder Holz.

Die Verladung ins Schiff war noch spannend für sie gewesen und die Geräusche beim Start ebenfalls. Aber der Flug dauerte und es wurde immer ungemütlicher im Anzug. Erste Druckstellen machten sich bemerkbar. Ein Blutstau ließ einen Fuß einschlafen und als sie den Stau auflöste und langsam wieder Blut in den Fuß bekam, kribbelte es dort, als wären tausende Ameisen unterwegs. Dabei ruhig zu bleiben und sich nicht durch Bewegungen zu verraten, war höllisch schwer gewesen.

Sie musste deshalb sehr vorsichtig sein, weil im selben Raum wo ihre Kiste stand auch einige Passagiere wohnten. Marjeka verstand deren Sprache nicht, aber sie konnte erkennen, dass diese Leute nur wenige Meter entfernt von ihr lagen oder saßen und sehr leicht auf ungewöhnliche Geräusche aus einer Kiste aufmerksam werden könnten.

Derart in Leichenstarre verharrend hatte sie während der vielstündigen Überfahrt nichts anderes zu tun, als immer wieder ihre momentane Situation durchzudenken. Und sobald sie ins Grübeln kam, stieg Ärger in ihr hoch. Schon ihr Vater, ein überzeugter Republikaner und Mitglied bei der NRA hatte sie in ihrer Kindheit auf maximale Autonomie und Selbständigkeit gedrillt. Zeit ihres Lebens hatte sie den amerikanischen Traum gelebt und für ihr Land, ihre Regierung alles gegeben. Und damals, als sie dabei gewesen war Karriere zu machen, hatte eine sicherlich die Demokraten wählende Reporterin nichts Wichtigeres zu tun gehabt, als in ihrer Vergangenheit zu wühlen. Und ja, natürlich gab es auch bei ihr damals ein paar Leichen im Keller. Flugs war eine Karriere beendet und sie bei belanglosen Einsätzen kaltgestellt. Die Sache mit Igor hatte dann zumindest spannend begonnen. Auf der Jagd nach einer international operierenden Bande, kam sie zuerst nach Europa und dann über die Ukraine nach Russland, um in einem Showdown in der transsibirischen Eisenbahn den Fall zu beenden. Leider war es anders gekommen als erhofft. Die Bande war eine Gruppe Zeitreisender aus einer anderen Welt und deren Anführerin, Tulcinea, hatte sich doch tatsächlich erdreistet die CIA Agentin in ihre Heimat zu entführen. Bei diesem Gedanken stieg jedes Mal die kalte Wut in ihr hoch. Doch inzwischen hatte sie ihre Rachegelüste gezähmt und rationaleren Zielen untergeordnet. Langfristig war ihr Plan nach wie vor, auf die Erde zurückzukehren. Aber inzwischen plante sie weniger die Zerstörung Arca-Nihils durch die USA, was auch ziemlich abstrus war, sondern sich mittels Arca-Nihils Eigenheiten einen Vorteil auf der Erde zu verschaffen und damit an die Spitze des CIA zu gelangen. Ihr gelähmter in Houston in einem Sanatorium sitzender Vater würde dann nicht mehr höhnisch über seine gescheiterte Tochter lachen, sondern er würde wieder stolz auf sie sein und ihr sagen, dass sie ein gutes Mädchen sei und eine wahre Amerikanerin. Und sie würde sich sehr darüber freuen. Wenn ihre Gedankenspiele in Houston landeten, was diese oft taten, endeten ihre Tagträume oft prompt und sie bemerkte dann, dass sie viele traurige Tränen vergossen hatte und ärgerte sich über ihre Schwäche. Dann war sie wütend und jetzt auch noch eingeengt. Wann zum Teufel landet das verdammte Schiff endlich, damit ich hier RAUS kann, brüllte es in ihr, ohne dass ein Laut über die verzerrten Lippen kam.

Marjeka – Wer bist du?

Erst waren es nur ein paar Lichtstrahlen dann als der Deckel ganz offen war flutete das volle Licht einer Öllampe in das Innere der Holzkiste und sie musste ihre Augen trotz der leicht gegen Sonnenlicht beschichteten Gläser des SERAN-Helmes fast ganz schließen. Nach so vielen Stunden absoluter Dunkelheit benötigten ihre Augen ein paar Momente, um wieder normal zu funktionieren.

„Das riecht hier aber nicht nach Rosen.“, grummelte der ältere etwas bauchige Mann, welcher sich gerade mit einer Hand Luft zu wedelte und sich dabei über sie beugte, um sie genau zu beäugen.

Sofort stieg Ärger in ihr hoch. Der rechte Arm der Rüstung gehorchte augenblicklich ihrem Bewegungsreflex. Die Hand schoss nach oben, aber statt dem respektlosen Mann eine drohende Stahlfaust vor dem Gesicht zu zeigen, ging der Impuls über das Ziel hinaus. Plumpsgeräusch und Aufschrei kamen etwa zeitgleich. Die hastig sich aus der Liegestellung aufrappelnde Marjeka zerstörte beim Festhalten am Kistenrand diesen und kam nur langsam und wacklig auf die Beine. Ihre Muskeln gehorchten nach so langer, verkrampfender Ruhelage noch nicht besonders gut und nur der stabilen Rüstung war es verdanken, dass sie stehen bleiben konnte. Die Lampe war zu Boden gefallen und der ältere Herr saß an die Wand gelehnt und hielt sich mit beiden Händen das linke Auge, welches anzuschwellen begann.

„Tut mir leid!“, sagte sie wenig überzeugend.

Und setzte mit „Aber wenn deine Beleidigung das Erste ist, was man nach so einer Tortur zu hören bekommt, dann gehen einem da schon mal die Nerven durch.“

„Ist schon gut. Ich hab dich ja nur befreit. Hätte ich da vorher um Erlaubnis fragen sollen oder was?“, grummelte der Mann vorwurfsvoll vor sich hin, aber Marjeka hörte schon nicht mehr zu. Sie begann die Rüstung zu öffnen. Das ging ganz gut von innen. Und weil der Mann, der sich als General vorstellte nun mithalf, war die Rüstung bald abgelegt und ordentlich in der Kiste verstaut. Marjeka zog sich die Kleider über, welche auch in der Kiste lagen, überprüfte, ob das Säckchen mit den Perlen und der Dolch noch da waren und half General dabei die Kiste notdürftig mit Nägeln zu reparieren.

„Die muss gut verschlossen sein, die Kiste, sonst bekommen wir Schwierigkeiten mit der Legion.“

General schien da wirklich in großer Sorge zu sein. Marjeka war es recht. Überhaupt machte General einen vernünftigen Eindruck. Er konnte trotz des Fausthiebes weiter seine Mission erfüllen, war zumindest nicht offensichtlich nachtragend und erschien ihr kompetent. Ein Glück in meiner Situation, musste sie wiederholt denken. Sie hatte ja nur mit Bruder Tom über diese Aktion reden können und ihren Retter, oder besser gesagt den Schmuggler, nie kennengelernt. Einzig die Versicherung von Tom, dass mit sechs blauen Perlen eine Reise nach Hagedorn garantiert sei, hatten ihr als Sicherheit genügen müssen.

Nun war die Rüstung wieder gut verpackt und bereit für die Entladung. Sie sah sich um. Ein für ein Luftschiff großer Laderaum war zu erkennen. Der halbe Raum war mit Fässern und Säcken gefüllt. Im freien Bereich konnte sie so etwas wie ein Wohn-, Schlafzimmer erkennen. Hier mussten die Leute, welche sie immer gehört hatte, die Zeit während der Überfahrt verbracht haben. Jetzt war aber alles leer, auch kein Gepäck lag herum. Vermutlich schon ausgestiegen, überlegte sie.

Weil sie nichts sagte, sondern nur den Harnbeutel in der Hand leicht hin und her schwenkte, ergriff ihr Befreier das Wort.

„Hallo also, ich bin hier um dich zu befreien, weil, ja, weil mein Chef der hat keine Zeit und darum bin ich jetzt zuständig. Kann ich noch irgendwie helfen?“

Er wirkte jetzt sehr unsicher und es schien nicht der Mann zu sein, mit welchem Tom den Deal ausgehandelt hatte. War das was schief gelaufen? Sie war alarmiert und ging ganz nahe an General ran.

„Sag es gleich Bürschchen, wenn was nicht passt, dann spuck es jetzt aus. Ich will keine Spielchen. Wo bin ich? Hat jemand etwas erfahren?“

Ihr war gerade absolut nicht nach Spaß zumute und sie wollte hier schleunigst weg.

„Nein, alles ok.“, General war an die Wand zurückgewichen.

„Wir sind außerhalb von Hagedorn gelandet und du kannst jederzeit über eine Wartungsluke unbemerkt das Schiff verlassen. Leutnant Griff hat mich kurz vor der Landung eingeweiht, damit ich dir raus helfe und niemand etwas merkt. Es ist ihm sehr wichtig, dass du möglichst bald weg bist und nicht bemerkt wirst.“

Er hatte schnell und eindringlich gesprochen. Es wirkte auf die Ex-Agentin plausibel und war äußerst erfreulich.

„Niemand wird mich hier erkennen. Ich muss mich nur unters Volk mischen und untertauchen.“

„Das ist gut.“ sagte General erleichtert.

„Warst du schon mal in Hagedorn?“

„Nein, warum?“

„Griff und ich haben darüber gesprochen. Es wäre in unserem Interesse, wenn du erfolgreich abtauchen kannst. Dafür wäre es gut, wenn du, sagen wir es mal so, ein wenig Starthilfe bekommen würdest.“, sprach er und deutete dabei lächelnd auf sich.

„Zufällig kenne ich Hagedorn ein wenig, habe ein paar Tage Zeit, einen besorgten Freund, der sich für dich einsetzt und würde mir gerne mein Taschengeld aufbessern.“

Jetzt grinste er, wobei eine Hand das geschwollene Auge bedeckte.

Marjeka überlegte. Griff hatte seinem Freund vermutlich von den Perlen erzählt. Wenn General sie unterstützen würde, wäre das sehr wertvoll für sie.

„Zwei Perlen für vier Tage. Eine sofort, die Andere am vierten Tag.“

Noch während sie das sagte, griff sie in ihre Tasche, holte den Beutel heraus und entnahm diesem eine wunderschöne blaue Perle. Eine jener Perlen, die sie an der Krabbenbucht erkämpft hatte.

General nickte erfreut, nahm die Perle und sie besprachen, was als nächstes zu tun sei.

Marjeka – Hagedorn

Erst als sie durch eine kleine Bodenluke zuerst auf die Landeplattform und dann hinunter auf den staubigen Boden sprangen erkannte Marjeka, wie riesig das Luftschiff war, mit welchem sie die verhasste Insel verlassen hatte.

Es war dunkle Nacht. Über ihr war eine riesige dunkle Wolke und nur auf den Seiten, schon Richtung Horizont, konnte man den funkelnden Sternenhimmel sehen.

„Das Schiff ist ja riesig!“, staunte sie laut und fragte General, ob er wisse wie groß das Schiff sei.

„Und ob ich das weiß. Das verdammte Ding hat einen Ballon mit mehr als dreißig Metern Durchmesser und 130 Meter Länge. Außer der ‚Schattenburg‘ sind Linienschiffe das Größte, was auf Arca-Nihil jemals gebaut wurde.“

Zikaden zirpten und die Luft roch nach fremdem Gras und nach Blumen. Es war eine exotische Mischung und Marjeka war kurz verzaubert vom Moment. Endlich hatte sie wieder festen Boden unter den Füßen und erstmals seit langem war sie wieder die Herrin über ihr Schicksal. Genussvoll machte sie etliche tiefe Atemzüge, bevor sie dem schon ein paar Meter vorausgeeilten General folgte, um sich vom Luftschiff zu entfernen.

Sie bewegten sich im Schatten von Sträuchern, Bäumen und Felsbrocken auf das Licht der Feuer zu, welche in einigen hundert Metern Entfernung loderten und kleine Rauchsäulen über sich gen Himmel ziehen ließen. Dazu hörte man exotische Musik, erzeugt von Trommeln, Flöten und anderen Instrumenten.

Marjeka schätzte, dass die Sonne erst vor kurzem untergegangen war. Die Eingeborenen hatten sich in großer Zahl um die Feuer versammelt. Sie kamen zu einer großen, ebenen Fläche, die eine Art Marktplatz zu sein schien. An den Rändern des Platzes befanden sich Tipizelte und einfache Hütten aus Lehm, Holz oder teilweise Stein. Eine Seite wurde zur Gänze vom langen Sirupbunker, der wie eine massive Wand wirkte, gebildet. Überall saßen Gruppen von einfach gekleideten Eingeborenen herum. Etliche tanzten an den Feuern oder besuchten kleine Verkaufsstände am Rand des Platzes. Auf diese Stände ging General jetzt zielstrebig zu und sie folgte ihm.

Sie hielten an einer kleinen Holzbude, welcher ein großes buntes Tuch als Dach und Rückwand diente. Auf einem kleinen Tischchen liegend und an etlichen mit Seilen verknoteten Stangen hängend wurden viele Tücher, Säckchen und Stäbchen von einer alten runzligen Frau angeboten. Ein kunterbunter Mix an sehr starken, betörenden Düften mischte sich in ihrer Nase zu einem derart intensiven Mix, dass ihre olfaktorischen Sinne den Versuch aufgaben, einen einzelnen Geruch zu isolieren und zu benennen. Die Frau hatte grelle Farbe im Gesicht, welche sie jünger aussehen ließ, als sie vermutlich war. Der runzligen Haut an Fingern und freien Unterarmen nach zu urteilen, war sie über Achtzig. Dem Gesicht nach erst Sechzig.

Die stechenden Augen der Frau blickten sie an und sie raunzte etwas in einer fremden Sprache, auf ihre Waren deutend.

„War das ANOS?“, fragte sie den neben ihr stehenden General.

„Nein, sie spricht True World. Ich kann mir ihr aushandeln, dass du das Badehaus besuchen kannst. Aber nur, wenn du dich traust. Du wolltest ja was für die Hygie…“

„Ja, mach das.“, unterbrach sie ihn barsch.

„Und frag sie wo man solche Gesichtsfarben herbekommt. Ich denke das wird mir stehen.“

General war kurz verwirrt, dann aber lächelte er und begann gestenreich und wortarm mit der alten Frau ein Geschäft anzubahnen.

Eine Weile später kam ein Jüngling nur in Sandalen und Lendenschurz gekleidet, aber Handtücher, einen Holzbottich und Seife mit sich führend angetrottet und forderte Marjeka auf ihm zu folgen. Er führte sie zu einem großen Tipi, welches ein wenig abseits lag. Vor dem Eingang steckten zwei lange Fackeln im Sand und erhellten das runde Loch, welches von einem Tigerfell bedeckt war. Der Jüngling hob das Fell zur Seite und bedeutete ihr einzutreten.

Das Innere des Tipis war von etlichen abgedunkelten Öllampen nur wenig erleuchtet. Es lag ein wunderbarer Duft in der Luft und man konnte im Halbdunkel erkennen, dass viele Teppiche und Tücher den Raum bunt und wohnlich erscheinen ließen. Es gab, wenn man es so nennen wollte, drei etwa hüfthoch abgegrenzte Bereiche. In jedem der Bereiche befand sich eine große hölzerne Wanne. Der Jüngling führte sie zur freien Wanne, rechts vom Eingang. Zwei Frauen und zwei Männer waren gerade dabei mit Eimern die Wanne, mit heißem Wasser zu befüllen. Das Wasser brachten sie durch einen weiteren Eingang im hinteren Bereich des Zeltes. Rund um die Wanne standen etliche Schemel. Es gab einen wunderschönen, hölzernen Kleiderständer und auf einem Regal lagen Bürsten, Tücher, Schwämme und Fläschchen bereit. Es duftete wohlig und aus der Wanne stiegen kleine Dampfwolken empor. Vorfreude stieg in ihr auf und sie konnte es kaum mehr erwarten, sich im wohligen Wasser zu räkeln.

Zärtliche Hände massierten erst leicht, dann stärker werdend ihre Schultern. Während dies geschah, beobachte sie, dass im zweiten Becken drei junge eingeborene Frauen sich gerade neckisch gegenseitig abrubbelten und das dritte Becken war leer. Neben dem Becken stand ein muskulöser Mann mittleren Alters, mit Kurzhaarschnitt. Legionärstyp, war ihre Meinung dazu. Eine nackte, junge Eingeborene war gerade dabei, den ebenfalls nackten Mann abzutrocknen und einzuölen. Dieser ließ es regungslos mit sich geschehen, währen er unverwandt Marjeka in die Augen schaute. Diese hielt Augenkontakt mit dem fremden Mann, während zarte Hände von hinten damit begannen ihre Bluse aufzuknöpfen und dabei bemüht waren, ihre Brüste möglichst viel zu berühren. Die Hände glitten tiefer und kurz darauf war Marjeka genauso nackt wie der Mann ihr gegenüber. Währen der Mann nun angekleidet wurde, seifte sie der Junge ein und schrubbte ihren Körper mit Bürsten und Schwämmen, bis alle Haut gerötet war. Als sie dann entspannt, aber erregt in der Wanne lag, entkleidete sich der junge Mann und gesellte sich zu ihr. Harte Fakten bewiesen ihr, dass auch er erregt war und sie genoss diesen unerwartet umfangreichen Service ausgiebig und lange.

Rebecca - Hagedorn

„Na, erholt?“, fragte der General augenzwinkernd, als sie mit dem jungen Mann zum Stand der alten Frau zurückkehrte.

„Schön langsam fängt es an mir hier zu gefallen, mein Lieber.“
Tatsächlich bekam General ein Küsschen auf die Wange.

„Das betrachte ich mal als gutes Zeichen. Komm mit, ich habe auch schon die Gesichtsbemalung für dich organisiert. Komm mit rüber. Hierher!“
General konnte es anscheinend nicht schnell genug gehen, ihr eine gute Tarnung zu verpassen. Marjeka war es recht, sie war geduscht, die Hormone waren im Gleichgewicht und jetzt kaufte sie auch noch einen Tropenhut und eine ärmellose Funktionsjacke mit vielen Außentaschen, in Khaki.

„Das ist ja fast wie in London!“, entfuhr es ihr aus Begeisterung darüber, dass man hier spät abends noch so viele Dinge erwerben konnte.

„Wo immer dein London ist. Das hier ist auf jeden Fall östlich von Richland mit Sicherheit der größte Markt, den es gibt. Ich war erst ein paar Mal hier. Darum weiß ich auch, dass es nicht ganz ungefährlich ist. Hast du die Perlen gut verstaut?“

Sie waren fast bis Mitternacht damit beschäftigt, die Marktstände abzuklappern und General zahlte alles, Kleidung, Essen, Gesichtsbemalung.

Am Ende landeten sie in einem Tipi, das General für die Nacht gemietet hatte und wickelten sich genüsslich in die bereitliegenden Decken und Felle ein.

„Gute Nacht General. Und danke für deine Hilfe.“

„Gute Nacht! He, wie heißt du eigentlich?“

General klang richtig erstaunt, dass er das gar nicht wusste.

„Ich heiße…, man nennt mich da wo ich herkomme, Rebecca.“, sprach Marjeka und schlief gleich darauf tief und fest ein.

Tags darauf genossen sie ein sehr gehaltvolles Frühstück auf einem bunten Teppich im Freien sitzend. Dazu rauchten sie aus einer Wasserpfeife. Währenddessen wurde die ANS Arakon, das Luftschiff, startklar gemacht und schwebte anschließend fast lautlos über die Siedlung des Wahren Volkes hinweg auf die Burg Hagedorn zu, um im untersten Innenhof anzulegen.

„Jetzt ist meine Rüstung endgültig weg.“, meinte sie ein wenig melancholisch.

„Weißt du, mit der habe ich schon so einiges erlebt. Auch einen Kampf um Leben und Tod.“

„In der Rüstung hattest du da sicherlich bessere Karten als außerhalb.“

General war dazu eher desinteressiert. Ihn beschäftigte ein anderes Thema.

„Du, Rebecca. Wann gedenkst du deine Perlen einzutauschen? Ich bin nämlich jetzt fast pleite. Wir leben ja derzeit ziemlich luxuriös. Das geht nicht mehr lange.“

„Geld habe ich genug. Genügt das?“. Sie zog zwei Eintausend ANMASS Scheine aus der Hosentasche und reichte sie dem staunenden General.

„Ehrlich verdientes Geld, sage ich dir.“

Sie hatte noch weitere Dreitausend bei sich. Das war ihr Honorar für die Zeit in der TETRIS-Halle und auf Devenport Island. Anscheinend war die Bezahlung recht ordentlich gewesen, wie sie am verblüfften Gesichtsausdruck von General erkannte.

Rebecca genoss ihre neu gewonnene Freiheit und General vergaß für diese Zeit seine Sorgen und Nöte. Und so lebten sie auf großem Fuß, besuchten regelmäßig das Badezelt, tranken guten Wein und lernten dabei etliche Legionäre aus Hagedorn und Prospektoren auf Zwischenstopp kennen, welche gerade von ihren Streifzügen durch die True World zurück kamen, um ihre Beute zu verkaufen und ein paar sorglose Tage zu verbringen.

Sie vermied es der Burg nahe zu kommen, weil diese für Rebecca einen zu starken Bezug zu Arca-Nihil hatte. Immerhin saß dort auf der zweiten Ebene das Kommando der 4’ten Legion. Vier Schwere Kompanien und drei Mechlanzen waren dort stationiert. Eine riesige Streitmacht, die aber nichts zu tun hatte und sich nur langweilte. Das war gefährlich, wenn man selbst etwas zu verbergen hatte.

Rebecca wurde nie über ihre Vergangenheit ausgefragt und Gesprächspartner waren stets mit dem zufrieden, was sie preiszugeben gewillt war. So wuchs sie langsam in ihre neue Rolle einer ehemaligen Leibwächterin hinein, die sich nun als Prospektorin versuchte. Dreimal konnte sie jeweils eine blaue Perle verkaufen und bekam dafür 2.000 ANMASS. Mit dem Geld erwarb sie etliche einheimische Kleidungsstücke und fühlte sich nun ein wenig unauffälliger in dieser doch für sie exotischen Umgebung.

Ein paar Tage dauerte dieser Zustand der Euphorie an. Dann wurde die neue Rebecca innerlich wieder zur alten Marjeka. Als erstes bekam General zu spüren, dass der Ton wieder rauer wurde.

„Hast du endlich herausgefunden, ab wann du deinen Dienst auf der ANS Mezzoloth antreten kannst?“, fragte sie ungeduldig, als General abends von der Burg zurück kam. Sie hatte bemerkt, dass er wieder eine depressive Phase hatte, oft von der Vergangenheit brabbelte und ohne ihr Zutun nur am Markt herumsitzen und vergorenen Früchtesaft trinken würde. Sie hatte ihn jetzt bereits zum dritten Mal aufgefordert, endlich seine zukünftigen Auftraggeber um Details zu seinem neuen Dienst zu bitten, aber er war jedes Mal wieder unverrichteter Dinge zurückgekommen.

„General, was ist los mit dir? Vor ein paar Tagen hätte man noch Pferde stehlen können mit dir und jetzt bist du nur ein nutzloses Häuflein Elend!“

Sie konnte ihren Ärger und eine gewisse Aggression gegen General kaum im Zaum halten. Aber sie musste sich weiter gut mit ihm stellen. War er doch ihre beste Chance auf das Luftschiff zu kommen. Und einmal auf einem Luftschiff, so hoffte sie, würden sich früher oder später Möglichkeiten ergeben zur TETRIS Halle zu fliegen und eine günstige Gelegenheit für eine Rückkehr zur Erde zu finden. Grob betrachtet war das ihr Plan. Derzeit scheiterte es an einem erfolgreichen nächsten Schritt.

„Rebecca hab Erbarmen.“, flehte sie General an.

„Ein paar Tage musst du mir geben, dann habe ich mich wieder im Griff. Aber es ist gerade wirklich schlimm und ich habe keine Medikamente mehr.“, sagte er mit schwacher Stimme und zittrige Hände hielten dabei das Glas mit einer grünen, alkoholischen Brühe.

Das gefiel ihr zwar überhaupt nicht, aber es gab keine Alternative als zu warten und zu hoffen. Denn Hilfe in der Burg suchen, erschien ihr viel zu riskant. Wer wollte schon einen psychisch kranken, depressiven Sicherheitsmann auf einem Luftschiff mit dabeihaben.

„Kann ICH dir irgendwie helfen? Soll ich was besorgen, oder dir was vorsingen?“

Was sie da sagte triefte vor Sarkasmus. Ihr Vater hatte Schwäche verachtet und in ihrer Kindheit hatte sie gelernt, dass es Vaterliebe nur gab, wenn sie stark war und ihren Job erledigte, wie ihr Vater es immer genannt hatte. Der Job war das was immer der Vater gerade so von ihr gewollt hatte. Und sie hatte funktioniert und wurde belohnt mit einer steilen Karriere. Ist das so schwer zu verstehen General?, dachte sie bitterböse und sah ihn derweil verächtlich an.

„Reden. Ja, reden wäre was.“

„Was hast du gesagt?“

„Darf ich dir eine Geschichte erzählen?“

Und nach einer Pause.

„Im Sanatorium hat mir ein Arzt empfohlen über das was mich bewegt zu reden. Möglichst strukturiert und vollständig, oder noch besser es niederzuschreiben.“

Daraufhin hatte ich begonnen es zu schreiben, aber als es besser wurde, hörte ich damit auf und bin mit der Arakon ein wenig herumgeflogen. Um herauszufinden, ob es auch so wieder geht. Das Schreiben fehlt mir jetzt, aber wenn du es mir gestattest, probiere ich es damit, dir meine Geschichte zu erzählen. Ich bin mir sicher, dass es hilft.“

Beinahe flehend sah er sie an und Rebecca nickte. Zuerst nur ein wenig, dann aber sehr heftig.

„Ja, wenn das hilft, dann sehr gerne. Wir machen das sofort, sobald ich mir noch schnell was zu trinken besorgt habe. Fang ganz vorne an und lass nichts aus.“, und langweile mich nicht, fügte sie noch in Gedanken hinzu.

General freute sich eine aufmerksame Zuhörerin zu haben und redete sich seine Geschichte von der Seele. Und das begann so…

Erinnerungen – Lufthafen

Versonnen blickte er zur Abfertigungshalle. Wie immer, wenn das möglich war, saß er beim geöffneten Tor des Luftschiffes und ließ die Beine hinunterbaumeln. Das war gar nicht so einfach, weil die Laderampe angebracht war und fast die ganze Breite des Tores einnahm. Die ANS Lysian war ein Schiff der Welfbutklasse und befand sich gerade am Lufthafen von Arca-Nihil, wo es auf eine längere Reise in den Süden vorbereitet wurde.

Er, General hatte bis vor einer Woche auf der ANS Splendor, einem kleinen Olbiaschiff seinen Dienst geleistet und war mit der ganzen Crew unter Leutnant Griff auf dieses größere Luftschiff gewechselt. Der Grund war, zumindest jener den er zu hören bekommen hatte, dass sie eine gute und zuverlässige Crew wären und der neue Einsatz ein wenig delikat sei. Sie hatten nur erfahren, dass es weit in den Süden des inneren Meeres gehen sollte und die Reisedauer auf etwa vier Wochen angesetzt war. Das konnte man dann schon als Fernreise betrachten und dementsprechend aufgeregt sahen sie alle den Ereignissen entgegen.

Als sie das Schiff übernahmen, waren sie über den Zustand des doch schon recht betagten Schiffes mehr als positiv überrascht worden. Die Lysian war ein generalüberholtes Schiff mit neuen Motoren, neuem Wasserstofferzeuger und wirklich geschmackvoller Inneneinrichtung. Ein Schiff, auf das man sich vermutlich verlassen konnte und in dem es auch gut auszuhalten war.

Zwei Ladearbeiterinnen waren gerade dabei Futterballen im Hippogriffstall des Luftschiffes zu verstauen. Er zwinkerte der Schöneren der Beiden zu, wurde aber von dieser völlig ignoriert. Er hatte erfahren, dass zwei Maultiere auf der Ladeliste standen, welche mit Zelten und anderer Expeditionsausrüstung dort hinten mitgeführt werden sollten. Soweit Leutnant Griff ihn informiert hatte, wusste er, dass mit dreizehn Passagieren zu rechnen war, die man irgendwo absetzen und zu einem späteren Zeitpunkt wieder nach Arca-Nihil mitzunehmen hatte.

Das war an und für sich nicht besonders spektakulär. Für ihn spannend war die Tatsache, dass sie sogar jetzt, wenige Stunden vor dem geplanten Start, noch nicht wussten wohin die Reise ging, wer da eigentlich mitkommen würde und worin der Zweck des aufwändigen Fluges bestand. Normalerweise wurde eine Schiffscrew nämlich gut auf einen Einsatz vorbereitet und es gab dann auch keine derartigen Ungewissheiten.

Nachdem die beiden Damen vom Verladeteam alles Futter und eine umfangreiche Expeditionsausrüstung verstaut hatten gesellten sie sich dann doch zu ihm und es wurden gemeinsam Brote gegessen und Ziegenmilch getrunken, welche die Ältere der beiden mitgebracht hatte.

„Was macht ihr mit den Maultieren?“, wollte die Jüngere, hübschere und kühlere von ihm wissen.

„Darf ich nicht sagen. Ist geheim.“, gab er sich geheimnisvoll und bedeutsam.

„Du Wichtigtuer. Vermutlich ist es einfach nur ein Campingausflug von irgend einer Adeligen, die mal Landluft braucht. Wie heißt die Tussi?“, sie ließ nicht locker, was ihm imponierte.

„Wie kommst du darauf, dass wir eine Adelige spazieren fliegen?“, meinte er verärgert, da er die Bedeutung seiner Mission in Frage gestellt sah und sich lieber als mutiger Held, den man zu bewundern hatte, in ihren Augen gesehen hätte.

Details

Seiten
ISBN (ePUB)
9783739439655
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2019 (Januar)
Schlagworte
Diplomatie Zombie Freundschaft Abenteuer Burg Luftschiff Fliegen Reise SciFi Ausserirdische Space Opera

Autor

  • Arnold Nirgends (Autor:in)

Arnold Nirgends ist gelernter Starkstrommonteur, Nachrichtentechniker und Wirtschaftsinformatiker. Seit etwa zwanzig Jahren bastelt er hobbymäßig an der Ausgestaltung einer fiktiven Welt namens Arca-Nihil. Und um dieser Welt nun auch ein wenig Leben einzuhauchen begann er 2016 damit Romane zu schreiben. Seine Vorbilder sind z.B. Isaac Asimov (Der Tausendjahresplan), Stanislaw Lem (Solaris, Der Unbesiegbare) , Larry Niven (Ringwelt) und Frank Herbert (Der Wüstenplanet).
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Titel: Per Luftschiff durch Caltha, Teil 1