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Per Luftschiff durch Caltha, Teil 2

von Arnold Nirgends (Autor:in)
220 Seiten
Reihe: Arca-Nihil, Band 4

Zusammenfassung

Lesen sie die Fortsetzung von zwei parallel erzählten Reiseabenteuern, welche zu fernen und gefährlichen Gebieten auf dem Kontinent Caltha führen. Einerseits wird die goldene Kuppel der Iloner und das zerstörte Tritown angeflogen. Andererseits begleitet man als Leser eine diplomatische Mission, welche nach einer Notlandung auf einer einsamen Insel gestrandet ist. Es stellt sich die Frage, ob es die Besatzung schafft die Insel wieder zu verlassen und ob die eigentliche Mission, Kontakt mit Rebellen unter den Silonern aufzunehmen, um einen möglichen Angriff auf Arca-Nihil frühzeitig abzuwenden, noch erfüllt werden kann.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


General – Über Dur Mok

„Was passiert da?“
Neben General stand Captain Omar, hielt sich am Rand der Ladeluke des Schiffes fest und starrte ungläubig nach unten.

Tatsächlich hatte sich die gesamte Gruppe, geführt von Demonia, zum wiederholten Male in eine der riesigen rotbraunen Baracken begeben. Sie hatten sich auf dem Weg zur Zitadelle befunden, die im Zentrum Dur Moks stand und alles überragte. Dabei dürften sie unterwegs etwas entdeckt haben, das zu untersuchen sie abbiegen ließ.

Was den Captain jetzt derart aus der Fassung brachte, war, dass sich kurz darauf das vom Luftschiff aus sichtbare große Tor der Zitadelle öffnete und eine große Menge Menschen daraus hervorkam. Aus der großen Höhe, in welcher sie sich befanden, waren keine Details erkennbar, aber es war offensichtlich, dass es sich um eine unorganisiert voranschreitende Menge handelte, welche auf jene Baracke zu steuerte, in der ihr Landekommando erst vor wenigen Minuten verschwunden war.

„Was sollen wir denn jetzt tun?“, fragte der Captain eine weitere rhetorische Frage.

Das wirst du uns gleich sagen, mein Freund, dachte General und blickte besorgt nach unten.

Ein Schatten tauchte auf und dann sahen sie das Hippogriff mit schnellen und energischen Schwüngen seinen Sturzflug bremsen. Prinzessin Sophie landete es auf dem Dach der Baracke, wo ihre Leute verschwunden waren. ‚Gustavo‘, wie das Hippogriff genannt wurde, krächzte markerschütternd. Es klang für General weniger wütend oder angriffslustig, sondern mehr nach einem unsicheren Krächzen. Aber er war sich da nicht sicher. Hatte das Hippogriff etwa Angst? Schwer vorzustellen.

„Wir gehen tiefer, Philipp. Kurs Nord-Nordwest, halbe Kraft und dann runter auf zweihundert. Tom, ans Gerät! General, entsichern. Feuer nur auf mein Kommando.“
Er nickte.

So hätte er es auch gemacht. Und er war glücklich, dass er keine Feuerfreigabe erhalten hatte. Wurde das Luftschiff offensichtlich bedroht, hatte er immer die Erlaubnis zu feuern. Aber von diesem Recht hatte er, zum Glück, sein ganzes Luftschifferleben lang noch nie Gebrauch machen müssen. Und so war er happy, dass er ansonsten, zum Beispiel auf diese Menschenmenge da unten, nur dann das Feuer eröffnen würde, wenn es ihm ausdrücklich befohlen wurde. Er freute sich deshalb, weil er immer noch schlecht schlief und schlecht träumte wegen solcher Entscheidungen.

Während er das noch alles so dachte, wurde ihm bewusst, dass er schon wieder diesen Gedanken nachhing und er nahm sich vor, das Denken jetzt erst mal sein zu lassen. Besser darauf warten bis Rebecca wieder etwas Zeit hatte, um sich seine Geschichte weiter anzuhören. Aber da waren sie schon wieder, diese Gedanken. Er fluchte halblaut und winkte zum besorgt zu ihm herüberschauenden Omar. Ab jetzt blickte er nur mehr konzentriert auf alles, was sich vor seiner Gatling am Boden unten abspielte. Aber was, wenn da plötzlich etwas auftauchte… Nicht schon wieder diese Gedanken, dachte er verzweifelt und bemühte sich einen leeren Kopf zu bekommen.

(Einwohner von Dur Mok)

Ilgor – Unter Dur Mok

„Halt!“

Ilgor kannte sich mit den Menschen nicht so gut aus, aber der Tonhöhe des laut gerufenen Wortes nach zu urteilen schien es sich um eine Menschenfrau zu handeln, die da gerufen hatte. Er hielt inne und studierte die Konturen der Gegnerin. Sie hatte eine für Menschen ungewöhnliche, kammartige, blaue Kopfbehaarung und sie war schmächtiger als durchschnittliche Exemplare, wie er sie bisher gesehen hatte. Ja, er war sich nun sicher, dass es sich um eine weibliche Form von Mensch handelte, die da in dem für Ilgor ungewöhnlichen ANOS ihn und seinen Kollegen Igit angesprochen hatte. Natürlich dachte er nicht daran, auf sie zu hören. Er aktivierte abermals seine Schockklinge und setzte dem fliehenden Eisenkrieger mit einem entschlossenen Schritt nach, um ihn ebenfalls zur Strecke zu bringen.

Einen Moment stockte er, als er bemerkte, dass der Frau, welche vorher gerufen hatte und die eigentlich unbewaffnet dastand, aus der rechten Hand eine transparente, leicht bläulich fluoreszierende Klinge erwuchs.

„Wir sind keine Diebe. Der RAN schickt uns.“, hörte er die Frau sagen, während sie mit der Klingenspitze bedrohlich auf ihn zeigte.

Irritiert hielt er inne. Tatsächlich war ihr Auftrag hier in Dur Mok, jede Art von Plünderung zu verhindern und alle Eindringlinge zu töten. Ilgor war jung und unerfahren, das war ihm selber bewusst. Umso mehr wollte er seinen Vorgesetzten beweisen, dass er einen Auftrag gut und exakt ausführen konnte. Aber der RAN, waren das nicht Verbündete der Iloner? Wenn dem so war, warum kamen sie dann heimlich nach Dur Mok und schnüffelten hier herum?

Während er noch unschlüssig dastand und überlegte, wurde Igit, der auf den tödlichen Stoß gegen den betäubt am Boden liegenden, bereits von dessen Schwert paralysierten Eisenkrieger aufgrund der veränderten Situation verzichtet hatte, von dem anderen Eisenkrieger etwas zurückgedrängt.

Einer Horde Zombies, die hinter ihm in den Raum drängen wollten, gab er durch eine herrische Geste zu verstehen, dass sie dort im Gang bleiben sollten.

„Was hast du hier zu suchen, Mensch aus Arca-Nihil?“, fragte er mit blecherner Stimme, wich dabei aber keinen Millimeter vor dem Gefuchtel der Menschenfrau mit ihrer Klinge zurück und hörte sich an was sie sagte.

„Das ist kompliziert, mein Hübscher.“

„Ich habe aber auch eine Ermächtigung von deiner Exilregierung. Unterschrieben vom Illuminator. Und ich muss zur goldenen Kuppel.“

(Dur Mok)

Rebecca – Raus aus Dur Mok

Sie war eine bestens ausgebildete Agentin und auf jeden Fall eine Frau mit enormer mentaler Stärke und Selbstbeherrschung. Aber derzeit hatte sie das Gefühl, als ob sie eine semibekannte Persönlichkeit, wie zum Beispiel ein Schlagersternchen, sei, das in einer Reality Show gefangen war und eine Reihe ekliger Mutproben ausführen musste. Zum Beispiel in eine Glasbox voller Schlangen, Spinnen oder ekligerem greifen zu müssen, um für sich und ihr Team ein Abendessen zu verdienen. Früher hatte sie manchmal bei ‚Ich bin ein Star, holt mich hier raus‘, das auf einem Privatsender lief, zugesehen und sich gewundert, warum die alle so zart besaitet waren.

Für die toughe Rebecca wäre dort alles eine Leichtigkeit gewesen. Aber genau deswegen wurden dort auch verhätschelte Zivilisationsopfer vorgeführt und keine Überlebenskünstler. Das hatte sie natürlich erkannt.

Was hier in Dur Mok gerade abging und ein wenig vorher in Tukan geschehen war, das war jetzt für sie ähnlich schockierend wie für diese Möchtegernstars in der Reality Show die kleinen Ekelprüfungen dort. Nur hatte sie hier nicht mit Mehlwürmern, Kakerlaken oder Krokodilhoden zu tun, sondern mit den schlimmsten Albträumen aus der irdischen Horrorindustrie. Es gab Vierarmige, Eingeborene mit Giftpfeilen, Orcs aus Tolkiens ‚Herr der Ringe‘ und jetzt sogar echte Untote und fremdartige Wesen in goldenen Rüstungen.
Auf dieses Setting war sie einfach nicht eingestellt. Alle ihre Maßstäbe verschoben sich gerade enorm und ihr gewohntes Weltbild wankte.

Zum Glückt hatte Demonia es geschafft, sich mit diesen Ilonern, wie die Metallwesen sich nannten, zu verständigen und von ihren guten Absichten zu überzeugen. Die Leute vom Wahren Volk, wegen derer sie hier waren, konnten nicht mehr gerettet werden. Die waren vermutlich von den Zombies zerfleischt worden, oder selbst zu welchen mutiert. Aber sie durften, umringt von dieser stinkenden Horde Untoter, den unterirdischen Hinterhalt verlassen und waren nach kurzer Zeit wieder im Freien.

Was sie dort erwartete, ließ ihr den Atem stocken. Hunderte wandelnde Leichname streunten zwischen den Barracken umher und gaben knurrende, jammernde, krächzende, schabende und sonst welche Geräusche von sich. Einige waren ganz nahe und blickten sie mit gebrochenen Augen, oder auch leeren Augenhöhlen an und hoben die Arme. Obwohl sie jeden Kontakt zu meiden versuchte und sich dicht an Regling hielt, berührte sie immer wieder mal tote Haut, oder eine tote Hand, die sich kurz an ihr festzuhalten versuchte, bevor Rebecca sich mit einem heftigen Ruck wieder lösen konnte.

Direkt über ihnen, auf dem Giebel der Baracke, die sie gerade verlassen hatten, kreischte das scheußliche Vieh von einem Hippogriff, mit der eingebildeten Prinzessin am Rücken. Noch so eine Gestalt aus einem Albtraum, oder einem Harry-Potter-Film, wie ihr nebenbei einfiel. Das Hippogriff fühlte sich anscheinend auch nicht wohl an diesem Ort des Todes.

Ich will hier weg, drückten alle ihre Gedanken und Bewegungen aus. Sie alle standen so etwa eine Stunde lang inmitten der Herde Kreaturen aus der tiefsten Dunkelheit ihrer morbidesten Phantasien, immer bemüht, diese Monster auf Distanz zu halten. Regling und Karo erbarmten sich und schützten Rebecca und den noch viel verängstigteren Häuptlingssohn Schneller Pfeil, indem sie versuchten, sich möglichst zwischen die beiden und die am nächsten stehenden Zombies zu stellen. Aber es war ein schwieriges Unterfangen und immer wieder unterlief eine Kreatur diese Abwehr, um zu versuchen Kontakt zu nackter, lebender Haut zu bekommen. Gierig war dabei der Gesichtsausdruck und ekelhaft die Berührung.

Dieser absonderliche Tanz begleitete das Zentrum des Geschehens. Ilgor und Igit, die beiden in ihren schweren, goldenen Rüstungen prächtig anzusehenden Iloner, debattierten mit ihrer Anführerin Demonia in einer Sprache, die Rebecca nicht verstehen konnte. Es war angeblich Ilonisch und somit jene Sprache, die unter Ilonern, Silonern und Rotonern, sowie deren Vasallen schon seit Ewigkeiten gesprochen wurde und viel älter als das ANOS aus Arca-Nihil war. Das wusste sie noch von den Unterrichtseinheiten bei ihrer Ausbildung auf Devenport Island und dankte ihrem damaligen Lehrer Herrn Mönich insgeheim nachträglich für die damals erhaltene, breit gefächerte Information.

Als sie schon glaubte, es würde den ganzen Tag so dahin gehen, kam es scheinbar zu einer Einigung und Demonia verkündete kurz angebunden, dass man hier fertig sei und die Erlaubnis habe zur goldenen Kuppel zu fliegen. Sie schien damit sehr zufrieden zu sein und winkte nach oben, um die tief fliegende ANS Messenger herunter zu beordern.

Rebecca war unglaublich erleichtert, als sie das wahrnahm. Sie blieb einen Moment stehen, beschattete die Augen und beobachtete wie das Luftschiff langsam zu sinken begann. In der Ladeluke der vertraute Anblick von General mit seiner Gatling. Weiters Omar und Gunnar neben ihm. Die beiden bedienten den Lift, welcher sich unterhalb der Luftschiffgondel nach unten zu bewegen begann. Klar, dass der Kapitän nicht zu landen gedachte. Bei so vielen dieser Biester hier. Rebecca versuchte abzuschätzen, wo die große Holzplattform, die den Lift ausmachte niedergehen würde und machte ein paar unbedachte Schritte darauf zu.

Das hätte sie nicht tun sollen, denn dabei entfernte sie sich ohne es zu merken von den SERAN-Kriegern und war den Zombies näher gekommen. Einer, der sie schon länger verfolgt hatte, konnte der Anweisung, sie in Ruhe zu lassen, nicht ganz widerstehen und krallte sich den saftigen linken Arm der blasshäutigen Frau. Noch während sie zusammenzuckte und sich loszureißen versuchte, vergrub er die Hauer seines zerstörten und verschobenen Gebisses in ihrem muskulösen Unterarm. Ihr Schrei ließ ihn stocken und kurz aufblicken. Schnell war Ilgor, der Iloner, zu Stelle und bestrafte den ungehorsamen Zombie, indem er ihm den linken Arm mit seiner scharfen Klinge abtrennte.

„Ennntschulldigee!“, kam es aus dem ausdruckslosen Gesicht des goldenen Metallwesens, das jetzt ganz nahe neben Rebecca stand, die panisch ihren Arm betrachtete. Deutlich waren die Abdrücke der zerborstenen Zähne des Orczombies, die sich in ihren Arm gebohrt hatten, zu erkennen.

„Ich bin tot!“, stöhnte die Agentin verzweifelt und den Tränen nahe.

Doch niemand nahm von ihrem Leid Notiz und sie trottete gemeinsam mit den anderen zur inzwischen am Boden angelangten Aufzugspattform des Luftschiffes. Dabei hielt sie den Arm mit der Bissstelle ganz fest umschlungen. So, als ob sie verhindern wollte, dass die Zombieseuche auf den restlichen Körper übergreifen sollte. Natürlich wusste sie, dass es nicht helfen würde, aber das war ihr im Moment ziemlich egal.

Undeutlich nahm sie das Schwanken der Plattform wahr, als oben im Luftschiff die extra dafür eingebauten Motoren begannen, die Seile aufzurollen und die Plattform wieder hochzuhieven. Zu Ihrer Überraschung befand sich auch ein Iloner unter den Evakuierten. Unten im Innenhofbereich von Dur Mok sah sie jetzt nur mehr den zweiten Iloner, umgeben von der Zombiehorde. Die meisten Zombies irrten weiter ziellos umher und nur wenige sahen ihnen, mit dumpfem Ausdruck im mehr oder weniger vorhandenen Gesicht, nach.

Oben angekommen, musste sich Demonia von Omar und auch von Prinzessin Sophie einiges anhören. Rebecca stand daneben und hörte einfach nur zu.

„Sehr schlau war das aber nicht, was du da geliefert hast!“, begann Omar sich seinen Frust von der Seele zu reden.

„Und das ohne uns auch nur irgendwie vorher zu informieren, oder gar zu fragen. Warum sollte die Dame das auch tun? Oder was?“

Sophie wirkte gerade nicht höfisch fein. Sie war noch ganz verschwitzt vom Einsatz und vor Aufregung hatte sie ein hochrotes Gesicht. Sah irgendwie lächerlich für Rebecca aus, die Sophie nicht sehr gut leiden konnte.

„Was geht euch das überhaupt an?“

Demonia wirkte ruhig, gefasst und ein wenig überheblich.

„Seid ihr da unten gewesen, oder war ich das?“

„Naja, ein wenig unvorsichtig war das schon. Wir hätten zumindest eine Wache bei der Bodenklappe zur Sicherung des Rückweges aufstellen können.“, fiel ihr Karlo, der korrekte Legionär, in den Rücken.

„Pfhh. Sicherung. Wer braucht so was? Und wer hätte das sein sollen? Sind wir etwa in Lanzenstärke da unten aufmarschiert?“, fragte die mit dieser einfachen Wahrheit konfrontierte erbost. (Anmerkung: Eine Lanze ist eine militärische Einheit, bestehend aus exakt zwanzig Personen).

„Wir wussten nicht was du da unten vorhast und du hast uns genötigt, das Luftschiff in Gefahr zu bringen. Auch Sophie, die für die Luftaufklärung zuständig gewesen war, hatte keine Ahnung und hätte sich fast mit der Zombiehorde da unten angelegt. Ganz zu schweigen von den Bedrohungen, die für euch da unten vorhanden waren. Du hast uns alle in Gefahr gebracht. Und das aus meiner Sicht völlig unnötig.“

Omar verstand es, die Sachen auf den Punkt zu bringen.

„Und wegen dem bisschen Nervenkitzel machst du dir gleich in die Hosen? Warum kommandiert ein Captain eigentlich nur so ein kleines Schiff? Ist da jemand vielleicht ein Kleingeist, der nicht über die Olbiaklasse hinausblicken kann? Hat dies das Luftflottenkommando eventuell schon sehr früh erkannt? Vielleicht soll ich diese angenommene Kleingeistigkeit in eine Beschwerde einbauen?“
Demonia sprach jetzt schneidend und mit durchdringendem Blick. Obwohl alle außer ihr der Meinung waren, dass sie da unten in Dur Mok - gelinde gesagt - verantwortungslos gehandelt hatte, war jetzt niemand mehr bereit, ihr das in irgendeiner Form weiter vorzuwerfen.

Also ging man daran, die nächsten Schritte vorzubereiten. Ilgor bekam einen kleinen Bereich im Luftschiff für sich und Omar brachte mit seiner Besatzung das kleine Luftschiff in Richtung Zentrum des Ilonerreichs, zur goldenen Kuppel, auf Kurs.

Rebecca hatte einfach keine Gelegenheit gefunden, ihr Schicksal zu beklagen und die Besatzung davor zu warnen, dass sie sich kurz davor befand ein Zombie zu werden und dann alle im Schiff anzugreifen und mit der Seuche zu infizieren.

Erst als es ruhiger im Schiff geworden war, nahm sie eine Portion Eintopf vom kleinen Ofen und begleitete General auf das Oberdeck, das sie ganz für sich alleine hatten. Während unten die Legionäre auf ihren mitgebrachten Instrumenten etliche Lieder über vollbrachte Heldentaten, und einst stattgefundene traurige Ereignisse unter Beifall der Besatzung darboten, erklärte sich Rebecca dem verdutzten General.

„Du weißt ja, dass ich auch da unten war.“

„Ja natürlich. Ihr wart einige Stunden in der alten Burg und dann haben wir euch wieder hochgeholt.“

General stimmte ihr natürlich zu.

„Weißt du, was mir da widerfahren ist?“

General war alarmiert, denn er kannte Rebecca nur als kühle und beherrschte Frau. Es war jetzt das erste Mal, dass er ein leichtes Glitzern in ihren Augen bemerkte. Sie schien Angst zu haben. Eventuell war die Begegnung mit den Ilonern mehr gewesen, als sie zu verkrafteten vermocht hatte. Und jetzt sehnte sie sich nach einer starken Schulter, der Schulter eines starken Mannes. Einem, dem sie vertraute und der sie verstand. Ja, und das war er, in der Tat.

Er blickte sie verständnisvoll nickend an und begann, ihr gütig seinen Arm um die Schulter zu legen.

„Was soll denn das, bitte schön?“

Beinahe angeekelt ergriff sie seinen, ihr unangemessen nahe gekommenen Arm und stieß ihn von sich. Das geschah so heftig, dass er vor Schmerz kurz stöhnte und sie überrascht und verunsichert anblickte.

„Ich wollte dich doch nur ein wenig trösten.“, erklärte er kleinlaut entschuldigend.

„Trost hilft mir nicht weiter.“ Rebecca war jetzt eher aufgebracht als deprimiert.

„Ich habe die Seuche. Da, schau her. Ein Zombie hat mich gebissen. In wenigen Stunden oder Tagen ist es vorbei. Werdet ihr mich jetzt töten? Oder gar irgendwo absetzen und zurücklassen?“

General blickte verständnislos.

„Soll ich dir ein Pflaster bringen? Aber eigentlich kenne ich dich gar nicht so wehleidig.“

Jetzt war die Reihe an Rebecca, verdutzt zu sein. Und als sie von General erfuhr, dass man echte Zombies auf Arca-Nihil nicht mit jenen von Netflix Serien wie ‚The Walking Dead‘ oder jenen von HBOs ‚A Game of Thrones‘ verwechseln dürfe und noch nie jemand einer Verletzung wegen selbst zum Zombie geworden wäre, da war die Erleichterung so groß, dass sie ihn vor Lebensfreude tatsächlich umarmte und auf einen Mundwinkel küsste.

Nachdem jetzt ihre Sorgen und Nöte verschwunden waren, erkannte sie, dass es dem armen General auch nicht gut ging. Die vorherige Aufregung hatte ihm arg zugesetzt und die Vorstellung, dass er aus geringer Höhe eine Horde Zombies mit der Gatling beinahe hätte niedermähen müssen, hatte wieder alte Wunden geöffnet.

Sie waren alleine auf dem Oberdeck. Rebecca ging es wieder gut und es dauerte noch viele Stunden, bis sie ihr Ziel erreichen würden. Also erlaubte sie ihrem Bekannten, wieder mit seiner Geschichte fortzusetzen. Mit der Geschichte von einer Flugreise, auf der alle seine Probleme begannen…

Erinnerungen – Schwarz

Ein ziehendes Jucken, das sich über die ganze linke Wange zog, ließ sie aus einem todesnahen, tiefen Schlaf erwachen und sofort kehrten die Schmerzen ihres gepeinigten Körpers in ihr Bewusstsein zurück. Pochend meldete sich das zersplitterte Knie, welches von einem Oger zertrampelt worden war, und überall am Körper spürte sie Schnittwunden, Kratzwunden und Prellungen. Komischerweise aber war das Gefühl an der Wange ein anderes.
Als Agentin Schwarz vorsichtig ihre Augen ein wenig öffnete, um sicherzugehen, dass kein Oger sie dabei beobachtete, nahm sie eine schemenhafte Bewegung direkt vor dem linken Auge wahr und spürte mehrmals einen leichten Druck auf Wange und Ohr. Es dauerte eine Weile, bis ihr Bewusstsein dazu in der Lage war, die Sinneswahrnehmungen zu einem Lagebild zu vereinen. Erst dann erschauderte sie vor Entsetzen. Kurz verlor sie ihre bisher eiserne Beherrschung und ehe sie es verhindern konnte, hatte ihre linke Hand schon nach dem Nagetier gegriffen, das sich an ihrer blutenden Wange zu ergötzen schien. Es knackste leicht, als ihr stählerner Griff dem Nager das Rückgrat brach und erschrocken blickte sie sich um, ob auch niemand das kurze, panische Piepsen des jetzt toten Tieres gehört hatte.
Zu ihrem Glück saß nur ein einzelner Oger an einer Feuerstelle, keine zehn Meter von ihrem Dornenbusch entfernt. Dieser kehrte ihr auch den Rücken zu und schien nichts bemerkt zu haben.

Schwarz hatte hier, im Gebüsch liegend, die Nacht verbracht. Obwohl sie am Vortag arg zugerichtet worden war, schien der von Agent Grün als Abschiedsgeschenk verabreichte Stim sie vom Schlimmsten bewahrt zu haben. Abgesehen vom völlig zerstörten Knie und einer allgemeinen Mattigkeit spürte sie wieder Kraft in ihrem Körper.
Nach einer kurzen Analyse der Umgebung beschloss sie, die Flucht anzutreten. Es war bereits dämmrig und bei Tageslicht würde es wohl unmöglich sein fortzukommen. Also raffte sie all ihre Kraft zusammen und begann sich, millimeterweise gleitend, aus dem dichten Gestrüpp herauszubewegen. Immer den wachenden Oger beobachtend rutschte sie über eine freie Fläche zu einem Abhang. Dort verschwand sie aus dem Blickfeld der Wache und glitt den Hang langsam rutschend hinunter. Am Fuße des Hügels begann dichter Urwald und sie atmete das erste Mal an diesem Morgen erleichtert auf. Nun zog sie sich an Lianen in die Höhe und versuchte auf ihren Beinen zu stehen. Wie erwartet gab das kaputte Knie nach und sie hätte beinahe lauf vor Schmerz gebrüllt. Zum Glück hatte sie sich vorher ein Stück Holz in den Mund gesteckt. Diese Vorsichtsmaßnahme erwies sich nun als sehr vorausschauend.
Mit großem Kraftaufwand brach sie einen Ast in der passenden Länge ab und stützte sich am Ellenbogen in die Astgabel. Das ermöglichte ihr ein langsames Davonhumpeln. Der verletzte Fuß schlenkerte bei dieser Art der Fortbewegung unkontrolliert und verursachte immer wieder pochende Schmerzen. Mit der Zeit stumpfte ihr Nervensystem jedoch ziemlich ab und sie humpelte alsdann, ohne Unterbrechung und so schnell es für sie möglich war, durch den Urwald. Ihr war klar, dass sie eine leicht lesbare Fährte hinter sich herzog und nur ein baldiges Erreichen der Landestelle würde sie davor bewahren nicht wieder eingefangen, oder noch schlimmer, endgültig getötet zu werden.

Leider war sie schon unter normalen Umständen nicht die geschickteste in Bezug auf Orientierung. Agent Türkis hatte den besten Orientierungssinn, erinnerte sie sich. Oder auch der arme, jetzt tote Agent Grün war nicht schlecht. Sie hatte nie ein großes Interesse an Wegmarken, Himmelsrichtungen und anderen Orientierungshilfen gehabt. Das rächte sich nun. Weil in Kombination mit der betäubenden Wirkung der Schmerzen und einer, zwar gut unterdrückten, aber dennoch immer mehr aufwallenden Panik, verlor sie vollkommen jedes Gespür für den rechten Weg und tapste nur mehr wie ein waidwunder Bär durch das Gestrüpp.

Oh Sarn, steh mir bei,
ohne dich verloren sei.
Wir sind doch deine Kinder,
Hilf uns bitte noch geschwinder.

Immer wieder wiederholte sie, obwohl nicht gläubig, das Stoßgebet an Sarn, welches sie an verschiedenen Orten in Arca-Nihil schon oft gehört hatte. Stets war sie damals amüsiert gewesen über die Tatsache, dass Leute so einen Blödsinn von sich gaben. Jetzt aber half ihr der einfache Vierzeiler an den Gottvater des Arca-Nihil Pantheons, nicht ganz den Verstand zu verlieren und einfach weiterzumachen. Weiterzumachen beim Voranhumpeln durch einen idyllischen morgendlichen Urwald, der durchdrungen war vom Gezirpe der Insekten und vom Gesang der Vögel.
Wäre Agentin Schwarz in einer besseren Verfassung gewesen, hätte sie bestimmt innegehalten und die wundervolle, friedliche Stimmung um sich herum aufgefangen. So aber rannen Tränen des Schmerzes, der Wut und der Verzweiflung über ihre Wangen und sie holperte und stolperte in den Morgen des 47.Hirkem, ohne das bewusst wahrzunehmen.

Was machst du da?, fragte eine Stimme in ihrem Kopf?

Schwarz war derart im Delirium, dass sie sich keineswegs über die Stimme wunderte.
„Ich bin schwer verletzt und will zurück zu meinen Gefährten beim Luftschiff!“, antwortete sie mit heiserer, krächzender Stimme, weil ihre Kehle ganz ausgetrocknet war, wie sie erst jetzt feststellte.
Aber du gehst in die falsche Richtung, Schwarz!, antwortete ihr die Stimme im Kopf, sie leicht tadelnd.
„Dann sag mir doch wo es hingeht, du Klugscheißer!“, fauchte sie genervt.

Das hatte sie nötig – jetzt auch noch von ihrem eigenen Geist verhöhnt zu werden. Sie tat sich jetzt selber leid.

Aber Schwarzi, sieh hin zum großen Baum, siehst du nicht, dass dort der Pfad zum Bach beginnt, den wir gestern entdeckt haben?, meinte die Stimme konstruktiv und versöhnlich.

Agentin Schwarz hielt inne; und tatsächlich konnte sie nach kurzer Konzentration auf ihre Sehschärfe erkennen, dass rechts vom Baum besagter Pfad begann. Sie dankte im Geist der Stimme und folgte dem Pfad, der sie schon nach kurzer Zeit zum Bach und von dort zum Süßwassersee führte.

„Danke, lieber Sarn, dass du mich erhöret hast.“, flüsterte sie schwach, als sie den Dschungel verließ und über den freien Sandstrand die letzten hundert Meter zum gestrandeten Luftschiff humpelte.
Danke lieber deinem Kollegen Silber, korrigierte sie die innere Stimme und verstummte vorerst einmal.

Erinnerungen – Silber

Silber verstand die Welt einfach nicht mehr. Als Top Agent der EFANA war er es gewohnt, tun und lassen zu können, was er wollte. Weiters war er aufgrund einer psionischen Begabung normalerweise jeder Herausforderung mehr oder weniger gut gewachsen. Und schlussendlich nannte er eine der spitzesten Zungen auf ganz Arca-Nihil sein Eigen, was ihn ganz nebenbei auch zu einem erfolgreichen Autor schlüpfriger Romane gemacht hatte.
Trotz dieser mannigfachen Begabungen und seiner kommunikativen Talente, oder eventuell eben derer wegen, befand er sich gerade in der äußerst unangenehmen Situation eines Gefangenen.

Wieso ich?, dachte er zum inzwischen wohl hundertsten Male.
Wieso hat es Griff auf mich abgesehen und nicht auf Schwarz? Sie wäre doch viel verdächtiger. Hatte sie doch vor dem Anschlag viele Stunden mit dem Auskundschaften des Luftschiffballons verbracht. Solche und andere Gedanken gingen ihm durch den Kopf.

An seinem Verhalten fand er nichts Verdächtiges. Nur weil er begabt war und immer zur falschen Zeit den Mund nicht halten konnte, das sah er nicht als verdächtige Momente.

Eher erschien ihm verdächtig, dass es ihm nicht erlaubt worden war, eine Wahrheitszone zu erzeugen. In dieser Zone wäre es niemandem möglich gewesen, bewusst die Unwahrheit zu sagen. Aber das wollten weder Herz noch Griff noch Kerala zulassen. War das nicht viel verdächtiger als eine lose Zunge?

Bitter waren diese Gedanken. Und seit ihn diese höllische Kreatur nachts aufgesucht hatte, war sein Leben nochmal schwieriger geworden. Seither ruhte eine unsichtbare Last auf seinen Schultern. Es war ihm zeitweise nicht möglich irgendetwas zu tun. Diese Last schnürte ihm entweder die Kehle zu und hinderte ihn am Sprechen, oder sie störte seine Motorik und er stolperte plötzlich, konnte Dinge nicht mehr halten, oder verlor die Kontrolle über seine Gedanken.

Das war keine Krankheit. Nein, er kannte dieses Phänomen von seiner Ausbildung beim PSI-Trust. Es handelte sich um eine mentale Blockade, die ihm von der Monstrosität ins Gehirn gepflanzt worden war. Einfache Gemüter würden es als ‚Fluch‘ bezeichnen, weil es in unregelmäßigen Abständen, aber zu vorhersehbaren Ereignissen eintrat.
Silber musste dem Monster insgeheim gratulieren, genau ihn ‚verflucht‘ zu haben. Weil er doch der einzige an Bord des Luftschiffes war, der dieses Phänomen kannte und es auch hätte bekämpfen können. Eine seiner Schriftrollen enthielt auch den Trigger zur Entkopplung des ‚Fluches‘ aus seinem Gehirn.
Nur hatten ihn seine Kollegen und der Kapitän um diese Möglichkeit gebracht, als sie ihm seine ‚Waffen‘, also seine Spruchrollen mit denen er seine Psikräfte hätte aktivieren können, genommen hatten.

Silber war Optimist und auch ein wenig sadistisch veranlagt. Darum war seine Bemühung, diese Situation aufzulösen, nicht sehr intensiv. Er wartete einfach ab, bis die Lage derart aussichtslos werden sollte, dass sie auf ihn zurückkommen würden. Dann würde er ihnen zeigen, welch riesen Fehler sie vorher gemacht hatten, als sie ihn schachmatt gesetzt hatten.

Deswegen hatte er nur spöttisch lächelnd beobachtet wie Agent Grün ein Team zusammengestellt hatte. Anders war es, als bekannt wurde, dass die Expedition in Schwierigkeiten war. Er wollte helfen und mitkommen, wurde aber ignoriert, weil er des ‚Fluches‘ wegen nur stotterte und kaum ernst genommen wurde.

Auch er wartete danach, bang die Sekunden zählend, auf eine Nachricht von seinen Kollegen vom EFANA-Team. Waren doch alle bis auf ihn jetzt irgendwo im Urwald der Insel und vermutlich in großen Schwierigkeiten. Die Teammitglieder hatten sehr unterschiedliche Fähigkeiten. Und nur vereint konnten sie ihr volles Potenzial entfalten. Silber war eitel genug zu wissen, dass ohne ihn der wichtigste Mann des Teams fehlte.

Er wälzte gerade derartige Gedanken, als er, der im Schiffsinneren angekettet dalag, aufgeregtes Getuschel vom Oberdeck mitbekam.

„Was ist los?“, konnte er Propper fragen, der ihn bewachte und am Ofen beschäftigt war.

Dieser stand bereits an der offenen Ladeluke und starrte von dort in Richtung Dschungelgrenze. Sein Haar wurde von einer leichten Brise etwas bewegt und ein Schweißtropfen rann von der Stirn, die Augenbraue entlang und über die Wange. Silber bemerkte dies, während er geduldig auf eine Antwort des Schiffskochs wartete.

„Sie.., sie, sie sind zurück!“, meinte dieser langsam und bedächtig.

„Ech..kkkrchhrckkk“, wieder setzte der Fluch ein und Silbers Frage ging in einem Gehuste unter, das jedes weitere Reden unmöglich machte.

Von oben hörte man jemanden rufen. Es hörte sich wie die Stimme von Herz an.
„Ich sehe Agent Grün, Nulla, Silva und noch jemanden!“

Und kurz darauf dieselbe Stimme voller Entsetzen:
„Aber wie sehen die aus. Das sind sie nicht! Alarm!“

Überall am Schiff gab es geschäftiges Treiben. General stolperte über seine Füße und zog die Decke von der Gatling herunter, welche die schussbereite Waffe vor Sand schützen sollte. Kerala und ihr Begleiter Kurt gesellten sich zu Propper und General, wodurch die Ladeluke vollkommen verstellt war. Silber krabbelte, soweit es seine Ketten erlaubten, ebenfalls zur Luke und starrte am Boden liegend hinaus.

Was er da sah, ließ ihm das Blut in den Adern gefrieren. Anders als die normale Besatzung erkannte er sofort, mit was sie es da zu tun hatten.
Mit Untoten.
Ihre Kameraden waren vom Feind als Untote zum Schiff zurückgeschickt worden. Eine deutliche Botschaft, dachte Silber grimmig. Aber das ist meine Chance.

„Untote!“, rief er und dankte dem Zufall, dass der Fluch ihn gerade verschonte.
„Das sind Untote! Wenn ihr nicht gegen sie kämpfen wollt, dann macht mich frei. Ich kann euch helfen, das wisst ihhhrrrrrr!“

Triumph, ob des langen Satzes, leuchtete in seinen Augen.

Alle im Unterdeck starrten ihn an und von oben hörte er zustimmendes Gemurmel, wie: „Ja, lasst das die EFANA machen“, oder: „ich will nicht auf meinen toten Kameraden schießen“.

Kurz darauf sah Silber, wie sich schwere SERAN-Stiefel über die Oberkante der Ladeluke schoben und dann Sergeant Herz vor dem Luftschiff eingehüllt in eine Sandwolke landete. Er richtete sich auf und in seiner rechten, ungepanzerten Hand schwang er den Schlüssel zu Silbers Ketten.

„Es wird tatsächlich Zeit, dass du zeigst, was du kannst. Wir haben keine Lust mehr an dieser Pseudoverurteilung.“, sagte er vorwurfsvoll zum Oberdeck hinaufschauend, wo er sich vermutlich gerade mit Leutnant Griff ein Blickduell lieferte. Kerala nickte zustimmend und nachdem niemand widersprach, löste er Silbers Handschellen.

Silber rieb sich ungelenk die Druckstellen und sagte nur einsilbig „Schriftrollen“.

Herz nickte und zog sie aus seinem Rückentornister.

Der muss schon damit gerechnet haben, dass sie mich mal dringend brauchen würden, dachte Silber. Es beeindruckte ihn, dass Sergeant Herz scheinbar die ganze Zeit über an ihn und seine Fähigkeiten geglaubt hatte. Wie sonst wäre er so schnell mit Schlüssel und Schriftrollen zur Hand gewesen.

„Beeil dich!“, drängte ihn der Unteroffizier jetzt und deutete auf die vier Untoten, welche sich beängstigend langsam, aber stetig auf das gestrandete Luftschiff zubewegten.

Schweißgebadet hatte er die Schriftrolle mit zittrigen Fingern in Empfang genommen. Er schwitzte nicht so sehr wegen der enormen Hitze und auch nicht aus Angst vor den Untoten, sondern aus Sorge zu langsam zu sein und wieder einen Anfall zu bekommen, bevor er seine Psikräfte würde einsetzten können. Doch es gelang ihm, die Schriften aus der Rolle herauszunehmen, sie fielen ihm aus der Hand und er griff auf den Boden nach ihnen, zog alsdann das richtige Pergament aus dem Zettelhaufen heraus und begann, leise murmelnd und mit voller Konzentration, den Block in seinem Geist zu destabilisieren und zu entfernen.

Mein Herz ist leer
Die Zunge schwer
Wo kommt das her
Ich will’s nicht mehr

Mit Genugtuung stellte er fest, wie verwirrend seine Art mit Psikräften umzugehen für Außenstehende immer war. Diese nahmen nur den Kinderreim wahr, den er dazu sprach, um die Kraft besser fokussieren zu können.

Er stand jetzt mit alter Selbstsicherheit wieder auf, ein weiteres Stück vergilbtes Pergament in der Hand. General und Propper machten ihm Platz, als er durch die Ladeluke trat und im weichen Sand langsam auf die Untoten zuging.
Nulla erkannte er beinahe nicht mehr. Dieser war ohne Rüstung. Die Schultern sowie sein Kopf waren arg zertrümmert. Überall ragten gebrochene Knochen durch die Kleidung. Ein schauriger Anblick. Silva, ein Bodyguard der Botschafterin, hatte auch schon bessere Zeiten erlebt. Er humpelte, da seine Beine arg lädiert waren. Blau ließ ihn erschaudern. Dieser war von Kopf bis Fuß grauenhaft zerkratzt. Ein Auge fehlte völlig, das andere hing etwas heraus. Agent Grün wirkte dagegen fast unverletzt. Lediglich die leeren Augen, die Leichenblässe und das getrocknete Blut an der zerfetzten Kleidung deuteten darauf hin, dass er nicht mehr unter den Lebenden weilte.
Auf Grüns Stirn glänzte ein heller Punkt. Das verwirrte Silber und er hielt inne.

„Was macht er da?“, hörte er von hinten eine Stimme.
„Ich habe kein Schussfeld!“, jammerte General.

Die machen sich Sorgen, dass ich versage, erkannte Silber, lächelte überheblich und zückte seine Rolle wie eine Waffe. Laut und belehrend las er den schon fast bei ihm angekommenen, mordlüsternen Kreaturen der Dunkelheit die Leviten.

Untote, Zombies und andere Leichen!
Schnell, jetzt sollt ihr von uns weichen!
Wir wollen euch nicht länger haben!
Darum ziehet weiter ohne euch an uns zu laben!

Lange blieb er anschließend in der sengenden Sonne stehen und blickte wie alle anderen vom Schiff den panisch Reißaus nehmenden lebenden Leichnamen nach. So lange, bis sie im Urwald verschwanden. Dann machte er das Synazeichen auf Kopf und Brust, seufzte und kehrte in den kühlenden Schatten des Luftschiffes zurück.

Erinnerungen – Grün

Langsam erwachte er aus einem tiefen, von Albträumen geplagten Schlaf. Als er vollends aufgewacht war, begann die Erinnerung wieder ins Bewusstsein vorzudringen und er versuchte krampfhaft, zwischen Traum und Wirklichkeit zu unterscheiden.
Haben wir gekämpft, oder träumte ich den Kampf?

Ist Agentin Schwarz schwer verletzt worden von den Ogern?
Habe ich sie mit meinem Stim geheilt?
Wurde ich… bin ich.. jetzt… tot?

Unangenehm berührt blickte er sich um, doch es war absolut dunkel.
Aufmerksam wendete er sich seiner Umgebung zu. Aber es war tatsächlich völig dunkel und still und es fühlte sich alles irgendwie nach nichts an.

Wo bin ich?

Bin ich tot?

Wie kann ich das denken, wenn ich tot wäre?

Agent Grün fühlte sich allein und einsam. Langsam erkannte er, dass er von allen Sinneseindrücken abgekoppelt war. Es war einfach nur und um ihn herum alles dunkel. Alles?
Jetzt, wo er sich darauf konzentrierte, erkannte er in weiter Ferne zwei kleine Lichtpunkte. Langsam bewegte er sich darauf zu. Tatsächlich reichte ein Gedanke und er bewegte sich schneller. Irgendwie kam ihm das bekannt vor.

Reisen durch Gedankenkraft? Habe ich das nicht schon einmal irgendwo gemacht?

Sein Gedächtnis sendete ihm Bilder von einer alten steinernen Festung mit bizarren Türmen und der Gravitation widerstrebenden Bauelementen. Alles errichtet auf einem Felsbrocken, der in einer nebligen luftigen Höhe frei schwebte.

Es kam ihm irgendwie bekannt vor, aber seine Erinnerungen wurden von einem neuen Eindruck aus der Wirklichkeit verdrängt. Die beiden Lichter sind größer geworden und jetzt waren es zwei Fenster, durch die er in eine Außenwelt hinaussehen konnte. Tatsächlich befanden sich die beiden Fenster in einer mobilen Einrichtung, welche sich anscheinend schwankend durch einen wilden Urwald bewegte. Immer wieder klatschten Blätter gegen die Fenster und verdeckten den Blick. Das Objekt, welches die Fenster beherbergte, schlingerte wie ein Schiff in einem starken Sturm und Grün wurde etwas übel. Schnell zog er sich von den Fenstern ein Stück zurück und beobachtete sie aus der Ferne.

Während sein Verstand jetzt versuchte weitere Erinnerungen zu lokalisieren und zuzuordnen, fiel ihm auf, dass es auch eine Geräuschquelle gab. Genau genommen sogar zwei, wie es schien. Nach langen mühevollen Versuchen der Adaption gelang es ihm, die Geräusche jetzt kontinuierlich wahrzunehmen. Es waren Vogelgesang sowie ein Schlurfen und Rascheln, wie er es, so glaubte er zumindest, auch früher schon einmal gehört hatte.
Gerade als er glaubte sich zu erinnern, woher er die Geräusche kennen würde, änderte sich das Panorama vor den Fenstern. Er ging wieder näher ran und sah, dass sie sich jetzt auf einer Sandfläche befanden und zu einer blauen Fläche hin bewegten. Die blaue Fläche war ein Meer, fiel ihm triumphierend auf.
Aber was war das? Vor dem Meer lag eine Holzschachtel. Leicht schräg im Sand. Und darüber ein riesiger Zylinder, der in der Mitte ein großes Loch hatte. Aus dem Loch ragten Stangen hervor.
Genau wie die Rippen eines toten Mannes. Silva! Mit Schrecken manifestierte sich dieses Bild von einem tot am Boden liegenden Silva. Die Erinnerung tat weh, er konnte sie aber nicht klar zuordnen. Sein Blick weilte währenddessen gebannt auf den beiden Fenstern. Was er sah war unerhört.

Die Holzkiste war belebt. Menschen bewegten sich darauf und es kam ihm vor, als hätte er diese Menschen schon einmal irgendwo gesehen. Zum Glück kamen sie näher.

Aus der Kiste trat ein Mann hervor. Silbrig schimmerte seine blasse Haut im Sonnenlicht.

Silbrig, Silber?, er rätselte noch über das Wortspiel und versuchte ihm einen Sinn zu geben. Währenddessen hörte er von den beiden Geräuschquellen kommend Wortfetzen, die ihm bekannt zu sein schienen.
Er konnte „Leichen“, „schnell“ und „weichen“ aus all den Silben isolieren und wollte sie gerade zu einem sinngebenden Ganzen vereinen, als er einen markerschütternden Schrei vernahm. Der Schrei kam von ganz hinten, ganz unten und er ging Grün durch Mark und Bein. Was da geschrien hatte, das war nicht von Draußen gekommen. Nicht von den beiden Geräuschquellen übertragen. Nein das war hier drinnen. Hier bei ihm. Da, wo er sich gerade noch sicher und geborgen gefühlt hatte.
Schnell und ängstlich schaute er sich in alle Richtungen um, doch es herrschte überall Dunkelheit um ihn herum. Alles außer den Fenstern war dunkel und das Biest, welches er gehört hatte, konnte überall lauern.
Gerne hätte er sich zurückgezogen und versteckt. Aber er wusste nicht wohin. So stellte er sich direkt vor die Fenster, in der Hoffnung, dass sie auch das Innere beleuchten mögen. Doch das taten sie nicht. Stattdessen erblickte er direkt vor sich etwas, das er schon kannte. Aus seinen Träumen. Eine menschliche Gestalt. Bekannte Konturen. Aber arg verunstaltet. Zackig gebrochene Rippen stachen an diversen Stellen durch ein blutrotbraunes Unterhemd und ein zertrümmerter Arm hing seitlich am menschlichen Torso herunter.

Gleich darauf schwankte das Objekt. Grün sah den Sandboden schnell auf die Fenster zukommen und machte die Augen zu. Als er sie wieder öffnete, wankten die Fenster und zeigten kurz einen verschnörkelten Lederschuh mit Silberschnalle.

Ein Geschenk? Ach ja, das war Gründungstag 108, als ihm Esmerelda diese tollen Lederschuhe zum Geschenk gemacht hatte.

Was ja ein Leichtes war, mit der Leistungsprämie, die sie von mir für nichts bekommen hatte, dachte er belustigt.

Tatsächlich war ihm jetzt wieder eingefallen, dass er ‚Zuhause‘ eine für ihre Leistung vollkommen überbezahlte Assistentin hatte. Langsam kehrten weitere Erinnerungen an sein früheres Leben zurück und er wurde sich mehr und mehr seiner Lage bewusst.

Der Lederschuh hatte ihn jetzt endgültig wieder ins Jetzt zurückgeholt. Er überlegte noch kurz, warum er zu solchen Gedanken überhaupt noch in der Lage war, ließ dann aber den Pragmatismus siegen und begann zu kämpfen.

Er stieg hinab in die Tiefen seines Geistes und versuchte sich dem Biest zu stellen, das die Kontrolle über seinen Körper übernommen hatte. Doch so viel er sich auch bemühte, er konnte es nicht greifen. Eine Macht, die jenseits seines Verstandes war beherrschte seinen Körper und ließ diesen panisch durch den Urwald torkeln. Er konnte nur als Zaungast zusehen.

Aber da war noch etwas. Ein Hoffnungsschimmer. Nur, wie kam er darauf, dass es den gäbe und wie konnte er diese Hoffnung nähren? Er hörte auf um seinen Körper zu kämpfen und wurde ruhig. Ganz ruhig. So wie er es wurde, wenn es notwendig war und seine Gegner dies bald zu spüren bekommen sollten. Diese Ruhe machte ihn zu einem der gefährlichsten Männer auf Arca-Nihil. Diese Ruhe machte er sich jetzt zunutze. Denn viel mehr hatte er nicht.

Er überlegte seine Optionen. Kühl und sachlich. Er nahm an, dass er nur mehr Geist sei. Mit dem Körper hat man viele Optionen, aber was kann ein Geist tun?

Wieder kam ihm die Burg auf dem Stein in den Sinn, welche er in seiner Vision gesehen hatte.

War das der Flaming Tower?

Nein.

Was dann?
Egal!

Nein!

Vielleicht der Schlüssel!

Mit aller Kraft fokussierte er dieses diffuse Bild. Und er erinnerte sich.
Zuerst langsam, dann fielen ihm immer mehr Details dazu ein.

Vor einigen Jahren waren sie auf der Suche nach der Lösung für eine Seuche, die man den ‚Iron Shadow‘ nannte. Damals gelangten sie auch in eine Dimension, welche sich von der gewohnten extrem unterschieden hatte. Wo man per Gedanken reiste und Freundschaft mit Weltraumwalen schließen konnte. Ihr Ziel war ‚Tor Nav Rok‘, ein felsiger Außenposten der Githianky, welcher aber von Formians heimgesucht worden und arg beschädigt worden war. Ihm, Grün, war es damals gelungen, ein essentielles Rätsel zu lösen und die gefangenen Githianky zu befreien. Als Dank hatten sie ihm damals etwas geschenkt.

Ja, genau.
Es war ein Geschenk. Aber was?

Auch das fiel ihm wieder ein.

Sie hatten ihm einen Edelstein geschenkt, der auf seiner Stirn angebracht worden war. Alle, auch er, hielten es immer für ein Schmuckstück. Aber die Githianky sagten ihm damals, dass dieser Stein ihm, wenn er ihn rufen würde, ein neues Leben schenken könnte. Er müsse ihn nur rufen…

Erinnerungen – Ein trauriger Nachmittag auf der Insel

Er hatte es aus nächster Nähe gesehen. Die ganze Zeit stand er hinter seiner Gatling, jederzeit bereit, das Feuer auf die vier Untoten ehemaligen Kameraden zu eröffnen. Aber am Ende war er mehr als froh, dass das nicht notwendig gewesen war.

Denn der unglaubliche Agent Silber hatte sich mutig vor diesen Kreaturen im heißen Wüstensand aufgebaut und einen Kinderreim von einer kleinen Schriftrolle abgelesen.
General hatte schon öfters davon gehört, aber es dann auch zu erleben, war eine andere Sache. Silbers Magie hatte gewirkt und die wandelnden Leichname nahmen, gleich nachdem das letzte Wort aus Silbers Mund verklungen war, so schnell es mit ihren lädierten Körpern möglich war, Reißaus.

Schon nach kurzer Zeit waren die Gestalten aus einem Albtraum im dichten Blattwerk des Urwaldes verschwunden und eine große Anspannung fiel von den Leuten im Schiff ab.

Herz wischte sich den Schweiß von der Stirn und half General damit, die Plane wieder schützend über die Gatling zu werfen. Propper schaltete den Ofen ein, um zu kochen und am Oberdeck wurde gelacht und man hörte wie die Leute ihre Posten verließen, um wieder dem Tagwerk nachzugehen.

Niemand spricht über das gerade Geschehene, dachte er und blickte Silber fragend an. Der schob sich gerade an ihm vorbei ins Schiffsinnere und bediente sich selber am Wassertank.

Muss wohl sehr durstig sein, fiel ihm dazu ein.
Ihm war dann schlussendlich auch nicht nach Reden zumute und er ging zurück in den hinteren Teil des Luftschiffkörpers. Kurt und Silan waren dort damit beschäftigt, den Boden und die Wände des Luftschiffes zu zerlegen. Tatsächlich waren in den Schiffskörpern genau jene Latten verbaut, welche man oben für den Ballonkörper benötigte, wohl wissend, dass die Besatzung eines gestrandeten Schiffes nur schwerlich in der Lage wäre hochwertiges Baumaterial für das Luftschiff herzustellen. Also musste man nur das Schiff zerlegen und konnte dann die Latten für die Reparatur des Ballons verwenden.

General war das erste Mal in einer derartigen Situation und er dankte insgeheim den Konstrukteuren der Luftschiffe für diese vorausschauende Planung. Die Reparaturen des Holzskelettes gingen auf diese Art ungemein schnell voran. Und es musste gar nicht so viel vom Schiffskörper geopfert werden. Es würden nur ein paar offene Stellen im Boden und an den Seiten entstehen, die man später gut improvisiert schließen können würde.

Weniger erfolgreich als bei den Reparaturen ging es mit der Aufklärung des Attentats voran. Beim morgendlichen Leitungstreffen war auch das auf der Agenda gestanden, so hatte er erfahren, aber niemand hatte den Fall weiter verfolgt. Auch nicht Propper, von dem er wusste, dass er besonders misstrauisch war. Aber immer, wenn jemand in einer Pause das Thema ansprach, war sogleich Leutnant Griff zur Stelle und zerstreute die Leute, indem er sie zur Arbeit zurückschickte. Offizieller Grund war, dass man nicht reden, sondern arbeiten solle. Ihm, General, hatte Griff aber auch verraten, dass er befürchte, dass zu viel Gerede und zu viele Hypothesen zu den vergangenen Ereignissen die Moral unterminieren könnten. Und das wollte er jetzt in dieser heiklen Zeit keinesfalls.

Es wurde also emsig weiter an der Reparatur des Schiffes gearbeitet und niemand redete viel über die verlorenen Kameraden. Einzig zwei sehr aufmerksame Wachen im Schatten des Schiffes deuteten darauf hin, dass man alarmiert war und nicht überrascht werden wollte. Die beiden Wachen waren Legionäre in voller SERAN-Rüstung. Bei den gegebenen Temperaturen war das eine unglaubliche Leistung, weil es in der stahlbewehrten Rüstung sicherlich unangenehm heiß sein musste.

Obwohl Griff einen Wachdienst ohne Rüstung erlaubt hätte, bestand Sergeant Herz auf diese Vorsichtsmaßnahme und tat selber Dienst in der Rüstung.

General hatte gerade drei Latten aus dem hinteren Teil des Schiffes geschultert und ging mit diesen zum Seil, das vom Luftschiffballon herunterhing. Er wollte die Latten dort anbinden, damit sie hochgezogen werden. Aber dazu kam es nicht, weil er überrascht stehen blieb.

Vom Waldrand her kam abermals eine Gestalt auf sie zu. Der Mann war schlank, in eine zerfetzte Lederrüstung gekleidet und sah einem der Untoten vom letzten Besuch aus dem Wald ähnlich. Sogar sehr ähnlich korrigierte er sich.

„Grün! Das ist Agent Grün!“, rief jemand vom Schiff aus.

Beim Gorfan, ja das ist er! General war ganz außer sich, ließ die Latten in den Sand fallen und rannte auf die schwankende Gestalt zu.

„Sei vorsichtig!“, vernahm er die warnende Stimme von Herz, der auf seinem Posten im Schatten stand und das Gewehr bereits schussbereit in der Hand hielt.

Aber im Gegensatz zum vorigen Besuch wankte Agent Grün diesmal nicht monoton wankend und mit ausdruckslosem Gesichtsausdruck daher, sondern er winkte aufgeregt und versuchte etwas zu sagen oder zu rufen. Nur gelang ihm das scheinbar nicht. General erreichte ihn und nach einem prüfenden Blick aus der Nähe machte er den letzten Schritt auf den Kameraden zu und schlang seine Arme um ihn.

„Danke, ich brauche Wasser:“, hörte er den Mann mit heiserer, kaum hörbarer Stimme ihm ins Ohr krächzen.

Er führte ihn jetzt, mit einem Arm stützend zum Luftschiff und hob als Zeichen für die Anderen beschwichtigend die zweite Hand hoch in die Luft.

„Es geht ihm gut, aber er ist extrem durstig. Und … und er lebt!“, sagte er freudestrahlend.

Alle beobachteten sie, wie sie zum Luftschiff gingen und Grün, erst vorsichtig und mit kleinen Schlucken, danach aber intensiver und gieriger frisches Wasser trank.

„Ich bin zurück!“, sagte ein jetzt sehr gefasster und wieder im Besitz seiner Stimme befindlicher Grün.

Fast alle Leute hatten sich inzwischen um ihn versammelt und als er die fragenden Blicke sah, meinte er in seiner trockenen Art:

„Ihr schaut mich ja an als wäre ich ein Zombie.“, und grinste dabei frech.

„Komm mit!“, meinte Herz. „Wir müssen reden!“

Herz, Grün, Kerala, Griff und Silber zogen sich zurück, um eine Besprechung abzuhalten. Alle anderen gingen wieder ihren Aufgaben nach.
Für General bedeutete das, die Latten aufzuheben, am Seil anzubinden und dann zweimal daran zu ziehen, damit oben Froxi auf die Lieferung aufmerksam wurde und die Latten zur Baustelle im Luftschiffballon hochziehen konnte.

Immer wieder blickte er, während er weitere Latten holte, zum Leitungstreffen, das im Freien, etwa einhundert Meter vom Luftschiff entfernt, stattfand, hinüber und versuchte aus Körpersprache und Mimik Informationen über den Verlauf des Gespräches zu bekommen.

War Grün wirklich tot gewesen, oder hatte er nur so getan als wäre er ein Untoter?

Warum war er dann vorher, wie die Anderen auch, davongelaufen?

Diese und ähnliche Gedanken beschäftigten General. Und vermutlich hatte Herz auch deshalb sofort eine Besprechung einberufen. Vermutlich wollten sie herausfinden ob das wirklich Agent Grün war, der da zurückkam, beziehungsweise was ihm widerfahren war. Ärgerlich war, dass die gemeine Besatzung ausgeschlossen wurde. Aber das waren sie inzwischen ja schon gewohnt.

Als die Besprechung zu Ende war, begaben sich Silber und Grün zum Schiff und General kam gerade rechtzeitig, um mitzubekommen, dass sich Grün über den Eintopf, den Propper gekocht hatte, hermachte. Während er das Essen in sich hineinschlang, besprach er offensichtlich Details zu einem geplanten Unternehmen mit Silber. Im Vorbeigehen bekam General mit, dass die beiden eine Rettungsaktion planten. Er wagte nicht sie anzusprechen und ging weiter seiner Arbeit nach.

Aufgefallen war ihm, dass Grüns Kleidung schwer gezeichnet von Kämpfen war, Grün selbst aber keinen einzigen Kratzer aufzuweisen schien. Wie konnte das sein?, überlegte er. War Grün nicht wie die anderen drei auch schwer gezeichnet von Kriegsverletzungen gewesen, als er heute das erste Mal aufgetaucht war?

Sein Grübeln brachte ihn nicht weiter und am späten Nachmittag brachen die beiden Agenten Grün und Silber auf, um noch einmal ins Dorf zu gehen.
Wahnsinn, war Generals Gedanke dazu.

Erinnerungen – Ausflug uns Ungewisse

Trotz einer unglaublichen Hitze gingen die Reparaturarbeiten zügig vonstatten. Bis auf zwei Wachen, meist Legionäre, der Botschafterin und dem Kommandanten waren alle Leute mit den Reparaturarbeiten beschäftigt und die Bruchstellen waren bereits vollständig repariert. Es gab nur noch ein paar Kleinigkeiten am Gestänge zu richten. Inzwischen war abzusehen, dass man am nächsten Tag damit würde beginnen können, die Ballonhaut neu zu spannen, zu verbinden und abzudichten. Froxi, der Sachkundigste unter ihnen hatte gemeint, dass man damit höchstens zwei Tage brauchen würde.
Und was dann kam, war ‚lediglich‘ eine neue Befüllung der zerstörten mittleren Kammer mit Wasserstoff. Auch die Außenkammern würden ein wenig mehr Druck benötigen. Aber das Einzige, was dabei zu tun sein würde, wäre es für Frischwasser zu sorgen, damit der paratechnikumgetriebene Wasserstofferzeuger, die Lebensversicherung jedes Luftschiffes, pausenlos das für den Auftrieb verantwortliche Gas erzeugen könnte.

Mit etwas Optimismus sollten sie dazu in der Lage sein, die Insel in fünf Tagen Richtung südliches Barrieregebirge wieder verlassen zu können.

Bei Einbruch der kurzen Dämmerung wurden die Arbeiten für den Tag eingestellt und die Arbeiter versammelten sich zum Abendessen. General genoss gerade ein großes Stück Hammelfleisch, als er von der Rückkehr Agent Grüns erfuhr.

Die Wache hatte ihn entdeckt und alle stürmten sie auf die südliche Seite des Schiffes und sahen dem Agenten zu, wie er durch den Sand auf sie zu stakste. Er wirkte erschöpft und hatte frische Verletzungen, die auf einen heftigen Kampf hinwiesen. Das Gewehr verwendete er immer wieder zum Abstützen. Keralas edel gearbeiteter Dolch, den sie ihm geborgt hatte, steckte in seinem Gürtel und die Wasserflasche baumelte federleicht und leer wirkend an der Hüfte. Das Futteral für die Pistole war leer. Genau wie sein Gesichtsausdruck. Grün wirkte erschöpft und niedergeschlagen.

„Silber?“

Kerala sprach den Namen, der allen auf der Zunge lag, sanft fragend aus. Ganz langsam drehte Grün seinen Kopf einmal nach links und anschließend nach rechts und die Vermutung wurde zur Gewissheit.
Wieder war jemand ein Opfer dieser gefahrvollen Insel geworden.

Niemand wagte es, in dieser Stimmung eine weitere Frage zu stellen. Und so setzten sich alle wieder an ihre Plätze. Propper versorgte den ausgehungerten Agenten mit Essen und Trinken, welches dieser schweigend, aber mit einem dankbaren Blick entgegennahm.

Gedämpft wurde danach wieder gesprochen, aber General konnte den Wortfetzen, die er vernahm, nur entnehmen, dass über den Schiffsbau und den baldigen Abflug gesprochen wurde. Niemand redete über den Anschlag und niemand über die Rückkehr von Grün, bzw. das Fehlen von Agent Silber.

Selber schuld, wenn er sich so in Gefahr bringt, dachte General bei sich und teilte damit vermutlich die Meinung der Mehrheit.

Warum musste Silber auch in seiner arroganten Selbstüberschätzung Grün überreden, noch einmal aufzubrechen, um nach möglichen Überlebenden zu suchen? Die Annahme, dass sie niemanden entdecken würden, wenn sie nur immer im Dschungel blieben, war schon sehr eigenartig gewesen. Aber vermutlich hatte Silber gedacht, er würde gemeinsam mit Grün durch ihre überlegenen Talente einen Erfolg erringen. Welchen Erfolg eigentlich?

Generals Gedanken verweilten noch einige Zeit bei den Momenten vor dem Aufbruch der beiden. Als sie, von Griff bestärkt, Herz und Kerala überzeugt hatten, dass sie die besseren Karten in Händen hätten und somit eine Erkundungstour unbedingt notwendig wäre. Herz und Kerala hatten versucht, die EFANA-Agenten davon zu überzeugen, dass man die erlittene Niederlage einstecken sollte und sich jetzt mit aller Energie auf die Reparatur des Schiffes und einen möglichst frühen Abflug bemühen müsste. Griff war allerdings auf Seiten der Agenten und hatte gemeint, man solle der Sache schon weiter auf den Grund gehen und einem eventuellen Angriff auf das Schiff zuvorkommen.

Aus jetziger Sicht war diese Erkundungstour jedoch ein Desaster geworden. Mit Silber hatten sie ihren Psi-Kundigen verloren. Das schwächte sie enorm. Gerne hätte General gewusst, was sie im Gegenzug dazu an Informationen erhalten hatten.

Hierzu war das Glück auf seiner Seite. General war gleich nach dem Abendessen als Wache am Oberdeck eingeteilt worden. Das Leitungstreffen fand diesmal sehr nahe am Schiff statt, weil bereits die ersten Nebel aus dem Sand zu kriechen begannen und man sich darum nicht allzu weit weg bewegen wollte. Es war relativ ruhig am Oberdeck und General hatte gute Ohren. Darum war es ihm möglich, dem Gespräch der Anführer zu lauschen und viel davon mitzubekommen.

Grün: „Ah, mein Arm. Das wird ein wenig dauern denke ich.“
Griff: „Du Armer! Ja, der Schnitt ist tief gegangen. War das Schwert rostig?“

Herz: „Bei allem Mitleid. Was ist da jetzt passiert Grün? Ich schlage vor, dass wir das Meeting mit einem Erlebnisbericht von dir beginnen. Passt das, Kerala?“

Kerala: „Ja, natürlich. Lieber Agent Grün. Es tut mir aufrichtig leid, dass dein Freund verschollen ist. Bist du schon bereit uns zu erzählen, was da im Urwald passiert ist?“

Grün: „Tot, nicht verschollen. Agent Silber ist tot. Erschlagen von Ogern!“

Griff (betreten): „Wie ist das passiert? Seid ihr in einen Hinterhalt geraten?“

Grün (kichert): „Hinterhalt. Nein! Ich denke, wir sind ein wenig zu direkt durch die Eingangstür gekommen. Wir schlichen sehr vorsichtig durch den Urwald. Meine Erinnerungen haben gereicht, dass wir fast ohne lange Umwege zum Dorf kamen und auch eine Wache unbemerkt passierten.“

Er hielt kurz Inne, um sich zu fangen und am Arm zu kratzen.

Grün (hüstelnd): „Dann, ja dann, hatte der liebe Herr Silber eine ‚ausgezeichnete‘ Idee. Wir kamen nämlich zum Kampfplatz hinter dem Dorf und da lagen noch immer der tote Riese und vier tote Oger. Aber es gab keine Spur von unseren Leuten. Na gut, vier von uns waren ja als Zombies unterwegs gewesen (kurzes, leicht hysterisches Lachen). Aber von Agentin Schwarz und Agent Türkis fehlte jede Spur. Wir dachten, dass diese eventuell gefangen gehalten wurden. Silbers Idee war es nun, mittels einer Nekro-Psi-Schrift, die toten Feinde zu erwecken und gegen das Dorf zu senden. Als Ablenkung. Leider wurden wir dabei bemerkt und sofort von den Ogern angegriffen. Die Oger erwiesen sich als immun gegen Angst vor Untoten und machten mit den reanimierten Leichnamen kurzen Prozess. Ehe wir uns versahen, waren wir schon auf der Flucht vor dieser Horde wilder Oger. Silber war zu langsam und wurde von ihnen niedergestreckt. Ihm zu helfen wäre Selbstmord gewesen (Grün schnieft). Das habe ich rechtzeitig erkannt und darum bin ich jetzt hier und er eben dort.“

General hatte nicht mehr zu atmen gewagt, um nur ja kein Wort vom Bericht des Agenten zu versäumen. Jetzt musste er tief ausatmen. Er versäumte dabei nichts, weil beim Leitertreffen ebenfalls kurzzeitig vollkommene Stille herrschte.

Herz: „Sarn und Syna stehen im bei!“, sprach er den üblichen Satz aus, um gerade Verstorbener zu gedenken. Alle machten vermutlich gerade synchron das Synazeichen auf Stirn und Brust.

Griff: „Das ist schlimm. Wir sollten morgen die Leiche bergen:“

Herz: „und dabei noch mehr Leute verlieren? Warum willst du immer alle Leute vom Schiff wegsenden? Versteh doch, Silber ist TOT. Und wir sollen ihm nicht in Synas Reich nachfolgen. Nein, nein, nein!“

Griff: „Entschuldigt. Ich wollte nur sein Andenken wahren.“

Kerala: „Machst du ja. Aber wir agieren gerade sehr unvernünftig, indem wir dauernd Leute aussenden und damit in Gefahr bringen.“

Grün: „Verdammt. Es ist alles meine Schuld. Ich hätte niemals Silvas Traum nachgehen dürfen. Es war ja absehbar, dass es eine Falle ist. Wir, besser ich, war zu überheblich, um das zu erkennen. Und mit Silber gemeinsam wollte ich den Fehler wieder gutmachen. Es tut mir leid (seufzt).

Griff: „Wir kriegen das hin. Und in ein paar Tagen sind wir ohnehin wieder in der Luft. Dann kann uns die Insel mit ihren Geheimnissen gestohlen bleiben.“

Herz: „Machen wir jetzt mal die Einteilung für die Wachen. Die Nebel werden schon wieder dichter und ich habe das mulmige Gefühl, dass es wieder eine unangenehme Nacht werden könnte. Morgen reden wir dann noch mal, was wir außer der Reparatur des Schiffes sonst noch für Dinge angehen könnten. Ok?“
Grün: „Bezüglich des Attentats nachforschen, zum Beispiel.“

Griff: „Da kommen wir ja doch nicht weiter. Schauen wir lieber, ob wir wieder Wasser holen können. Die Maultiere sind bereit.“

Kerala: „Das Attentat habe ich schon ganz vergessen. Ja, da sollten wir nachforschen. Unbedingt.“

Griff: „Komische Prioritäten. Ich will lieber weg und weniger wissen, warum ich hier bin.“

Grün (sarkastisch): „Da unterscheiden wir uns eben.“

Herz: „So, jetzt schaut mal her. Hier ist die Liste von gestern Nacht…“

Es folgte die Festlegung des Wachplanes. Danach kamen die Anführer mit einer Lampe in der Hand aus dem Nebel und gaben die Einteilung bekannt. General hatte in der letzten der drei Schichten Dienst auf dem Oberdeck. Das war ihm nur recht.

Erinnerungen – Eine unheimliche Nacht

Ein Schrei weckte ihn aus unruhigem Schlaf. Weil sein Dienst auf dem Oberdeck lange und ermüdend gewesen war, war es ihm recht mühelos gelungen, sofort einzuschlafen, als er sich endlich in seine Hängematte legen durfte. Aber trotz der Erschöpfung durch den anstrengenden Arbeitstag war die Qualität des Schlafes sehr dürftig gewesen.

Das merkte er daran, dass er, trotz des alarmierenden Schreis aus nächster Nähe, nur sehr langsam in die Gänge kam.

Nach endlosen Augenblicken geistiger Verwirrung klärten sich langsam Blick und Geist. Er wurde seiner Umgebung gewahr und erblickte im Licht einer verdunkelten Glühbirne das Innere des Luftschiffes, vollgestopft mit aus dem Schlaf erwachender Männer. Die Maultiere waren ebenfalls aufgeschreckt und I-A-ten draußen vor dem Schiff, angebunden an ihrem Pflock.

Sie sind auch nervös, dachte General das Selbstverständliche und nestelte an seinem Hemd herum. Er hatte zum Schlafen in der stickigen Luft alle Knöpfe geöffnet und wollte nicht in diesem Zustand gesehen werden.

Den Schrei hatte Kontora ausgestoßen. Ein Legionär, der ganz ohne Rüstung in einer Ecke lungerte und mit entsetztem Gesicht auf eine über ihn gebeugte Gestalt blickte. General sah diese nur von hinten und konnte lediglich den zerzausten, fast wie ein dichter Busch wirkenden Umhang erkennen. Und langes graues Haar, das strähnenweise weit den Rücken hinunter fiel.

Donnernden Schrittes ging Herz mit gezücktem Schwert auf die Gestalt zu und setzte zu einem Schlag an. Andere Männer erhoben sich und griffen ebenfalls zu den Waffen. Die Tür zur Kommandantenkabine ging gerade auf und Kerala erschien, nur in ein Nachthemd gekleidet, eine kleine Pistole in der Hand.

Details

Seiten
ISBN (ePUB)
9783739469737
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2019 (September)
Schlagworte
Zombies Abenteuer Psi Luftschiff Reise SciFi Ausserirdische Science Fiction Space Opera

Autor

  • Arnold Nirgends (Autor:in)

Arnold Nirgends ist gelernter Starkstrommonteur, Nachrichtentechniker und Wirtschaftsinformatiker. Seit etwa zwanzig Jahren bastelt er hobbymäßig an der Ausgestaltung einer fiktiven Welt namens Arca-Nihil. Und um dieser Welt nun auch ein wenig Leben einzuhauchen begann er 2016 damit Romane zu schreiben. Seine Vorbilder sind z.B. Isaac Asimov (Der Tausendjahresplan), Stanislaw Lem (Solaris, Der Unbesiegbare) , Larry Niven (Ringwelt) und Frank Herbert (Der Wüstenplanet).
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Titel: Per Luftschiff durch Caltha, Teil 2