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Gefangene des Scheich

Erotischer Roman

von Cassandra Norton (Autor:in)
196 Seiten

Zusammenfassung

Victoria Stockbridge, eine junge Adelige im London der 1920er Jahre, verliebt sich Hals über Kopf in den verschlossenen Nicolas Whitby. Kurzentschlossen folgt sie ihm bis nach Arabien, wo sie ihn in einer vollkommen fremden Welt findet. Er ist ein gefürchteter Stammesfürst - und außer sich vor Wut, als er Victoria entdeckt! Er will Victoria für ihre Tollkühnheit eine Lektion erteilen, doch was als sinnliche Bestrafung beginnt, verwandelt sich rasch in wilde Leidenschaft. Aber dann wird Victoria von Nicolas' Todfeind, dem Schwarzen Prinzen, entführt, mit dem Nicolas noch eine Rechnung offen hat ...

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Kapitel 1

Nachdem der Nebel sich gegen Mittag etwas aufgelöst hatte, setzte der Regen ein. Er fiel in dünnen Fäden. Dicht an dicht. Wer den Londoner Nebel kannte, wusste aber, dass er keineswegs Staub und Ruß abwusch, sondern lediglich eine schmierige Masse entstehen ließ, die noch schwieriger zu reinigen war.

Emily schleppte seit Stunden Eimer voller Kohle aus dem Souterrain in die Herrschaftszimmer im ersten und zweiten Stock des Anwesens in Belgravia. Der Schweiß perlte unter den Löckchen hervor, die nur unzureichend von einem zerdrückten Häubchen gehalten wurden.

Vor dem Zimmer der Tochter des Hauses hielt sie einen Moment inne. Ihre Brust schmerzte von der Anstrengung, und ihre Augen brannten vor Müdigkeit. Allein die leise Grammofon-Musik, die durch die Tür an ihr Ohr drang, munterte sie ein wenig auf. Es war eine beschwingte Melodie, und der Text hatte – soweit sie ihn verstehen konnte – etwas mit einem Burschen zu tun, der sich auf den Tanz mit seinem Mädchen freute.

Emily selbst hatte keinen Freund. Es hätte auch wenig Sinn gemacht, denn sie suchte ständig nach einer neuen Anstellung, in der es ihr vielleicht wenigstens ein klein wenig besser ginge als in der vorherigen.

Noch einmal drückte sie ihren Rücken durch, richtete sich auf und klopfte dann vorsichtig an.

Ihr Herz begann zu rasen, als sie Lady Victoria Stockbridges Stimme hörte, die ihr den Zutritt in ihre privaten Zimmer gestattete. Käme jetzt der Butler oder ein anderes höhergestelltes Mitglied des Personals vorbei und erwischte sie dabei, wie sie Kohlen in Anwesenheit der jungen Dame nachfüllte, würde sie mit einem schlimmen Rüffel rechnen müssen.

Wie immer, wenn sie diese Räume betrat, erfüllte größtes Vergnügen Emilys Herz. Lady Victorias Zimmer strahlte eine freundliche Wärme aus, die eine Reflektion ihrer Bewohnerin zu sein schien. Im Gegensatz zu ihren Eltern war Victoria immer freundlich zu ihr. Ja, sie hatte ihr sogar schon das ein oder andere Mal ein kleines Geschenk gemacht, das Emily in ihrer kleinen Kiste unter ihrem Bett in größten Ehren hielt.

Für das Küchenmädchen war Victoria Stockbridge die schönste junge Dame, die sie je gesehen hatte. Nicht eben groß, aber von weiblicher Figur, mit großen grünen Augen und tizianrotem Haar, das sie nach neuester Mode kurz geschnitten trug. Das volle, in weichen Wellen fallende Haar war ein Erbteil ihrer Mutter, die sich allerdings weigerte, ihr Haar abschneiden zu lassen und es noch immer, in guter edwardianischer Tradition, voluminös aufgesteckt trug.

Miss Victoria saß an ihrem Sekretär und öffnete gerade die Morgenpost, als Emily eintrat, einen Knicks machte und sich dann zu der Schütte vor dem offenen Kamin begab.

„Nun, Emily … Du bist spät dran …“ Das Lächeln, das ihre wohlgeformten Lippen umspielte, spiegelte sich in ihrer Stimme.

„Ja. Verzeihung, Miss. Aber der Kohlenhändler kam nicht rechtzeitig. Er sagte, der Nebel hätte ihn aufgehalten.“

Victoria drehte sich um und erklärte mit spitzbübischem Grinsen: „Es war wohl eher der Gin! Nun gut … bei dem Wetter …“

„Ja, Miss.“

Victoria erhob sich von ihrem zierlichen Stuhl und trat an das hohe Fenster, welches den Blick auf die Straße vor dem Haus ermöglichte.

„Der Regen hört gar nicht mehr auf. Ich denke, wir werden das Licht brennen lassen müssen.“

„Sehr wohl, Miss.“

Zwar schaufelte Emily vorsichtig die Kohlestücke in die Schütte, doch hatte sie mit einem Auge Miss Victorias Kleid genau im Blick. Es war eine flaschengrüne Chiffon-Kreation mit loser Taille, von der ein üppig mit Perlen besticktes Band herabhing, welches bei jeder Bewegung ihrer Herrin im Licht funkelte. Der weich fließende Stoff umspielte Victorias Formen und ließ sie noch graziler wirken.

Doch nicht nur Kleid und Frisur unterstrichen den Unterschied zwischen Victoria und ihrer Mutter. Es war die gesamte Haltung. Wo Lady Stockbridge eine beinahe majestätische Würde und Steifheit an den Tag legte, mit leicht affektiert abgewinkelten Handgelenken, strahlte ihre Tochter eine gewisse Nonchalance aus, die den modernen jungen Leuten innezuwohnen schien.

Wobei Emily nun nicht behaupten konnte, dass sie Ihre Ladyschaft sonderlich oft zu Gesicht bekam. Höchstens einmal, wenn es eine große Einladung gegeben hatte und die Dame des Hauses in das Souterrain kam, um sich bei den Dienstboten für den reibungslosen Ablauf zu bedanken. Dann stand Emily am Ende der langen Reihe, die vom Butler und der Köchin angeführt wurde, und konnte sich nicht sattsehen an der hochgewachsenen Frau mit den beinah herben Zügen.

Als das letzte Kohlestück umgefüllt war, erhob Emily sich mit knackenden Gelenken, griff ihren Kohlekasten und wartete, ob Victoria noch einen Wunsch äußern würde. Da diese aber schweigend aus dem Fenster blickte, ergriff Emily selbst das Wort: „Soll ich noch stärker nachfeuern, Miss?“

Ein leichter Ruck ging durch die junge Frau. Offensichtlich hatte Emily sie aus ihren Gedanken gerissen. „Nein. Nein, ich denke, das genügt fürs Erste. Danke.“

Emily machte einen Knicks, wobei sie einen dunklen Fleck auf ihrer Schürze bemerkte, für den sie sich etwas schämte. Sie verließ zügig das Zimmer, wobei das Papier, mit dem sie ihre Schuhe ausgestopft hatte, drückte. Sie hatte sie von Polly, einem der Stubenmädchen, „geerbt“. Doch Polly hatte größere Füße als sie, und so hatte sie sich behelfen müssen, indem sie ein Stück der Zeitung des Herrn ausgerissen und hineingestopft hatte.

Seit fünf Uhr war sie am Schuften, und das Leben schien ihr ein nicht endender Strom aus Erschöpfung und Schmerzen im Rücken und in den Beinen zu sein.

Victoria war ebenfalls noch müde. Sie hatte zwar ihre Post geöffnet, doch empfand sie keinerlei Lust, die Briefe und Einladungen zu lesen, die Tag für Tag auf ihrem Sekretär landeten wie trockenes Laub im Park.

Ihre Ballrobe vom Vorabend war bereits bei ihrer Zofe verschwunden, damit diese das wertvolle Stück reinigen und den ausgetretenen Saum nähen konnte. Billy Arbiter war ihr beim Twostepp so unglücklich auf die Füße getreten, dass das Kleid gelitten hatte. Ähnlich wie ihre Zehen.

Heute waren allein fünf Einladungen zu Hausbällen, Soireen und Diners eingetroffen, und Victoria wusste bereits jetzt, welche ihre Mutter zur Annahme empfehlen würde und welche sie würde ausschlagen müssen.

Schmunzelnd dachte sie an Emily und mit welcher Begeisterung diese wohl zu einem Tanztee gehen würde, wenn sie denn könnte. Für Victoria aber waren diese Veranstaltungen nichts als das sinnlose Ausfüllen der leeren Zeit, bis sie einen passenden Ehemann finden würde.

Die immer gleichen Leute mit den immer gleichen Themen in den immer gleichen Häusern. Was nach ihrer Einführung in die Gesellschaft und der Präsentation bei Hof noch große, glänzende Augen und ein hektisches Beben in ihr ausgelöst hatte, war mittlerweile beinahe zu einer Strapaze verkommen. Eine Strapaze, die stoisch zu ertragen ihre Mutter sie nur zu gern gelehrt hätte.

Bei dem Gedanken an ihre Mutter fiel ihr ein, dass Lord Astenbury ihr eine Botschaft für sie aufgetragen hatte, und ein Blick auf die Uhr unter der Glasglocke auf dem Kaminsims sagte ihr, dass es höchste Zeit war, ins Wohnzimmer zu gehen, um die Nachricht zu überbringen.

Ihre Mutter saß wie immer kerzengerade ganz vorn auf dem Sofa, als gelte es, absolute Aufmerksamkeit für einen unsichtbaren Gast zu demonstrieren.

In ihrer Hand hielt sie eine zierliche Porzellantasse, und vor ihr auf dem niedrigen Tisch stand eine silberne Platte mit Gurkensandwiches. Sie trug ein marineblaues Kostüm und eine cremefarbene Seidenbluse mit modisch tief sitzender Taille. Um den Hals hatte sie eine dreireihige, lange Perlenkette geschlungen. Der einzige Schmuck an ihrem Kleid bestand in einem kleinen Seidenblumenbukett in Creme und Marine, das auf ihrer Schulter befestigt war.

Als sie Victoria bemerkte, setzte sie die Tasse ab und lächelte sie an.

„Guten Morgen, mein Kind! Nun? Wie war die Einladung bei Astenburys?“

„Nett. Danke.“

Victoria brauchte nicht mal zu ihrer Mutter hinzusehen, um die Missbilligung zu erkennen, als sie sich ein Sandwich nahm und wenig elegant in den Ledersessel fallen ließ.

„Der Vorteil der Jugend ist, dass man ungestraft alles essen kann, was man mag“, kommentierte sie mit einem Lächeln, das ein Kompliment an ihre perfekte Figur förmlich herausforderte.

Victoria verdrehte ein wenig die Augen und biss hungrig ab.

„Hast du Dickie Pontecore getroffen?“

Schlagartig verging ihr der Appetit. Dickie Pontecore … So weit war es also schon, dass ihre Eltern bereit waren, sie einem amerikanischen Finanzhai in den Rachen zu schleudern, nur um die störrische Tochter doch noch unter die sprichwörtliche Haube zu bringen. Fast bereute sie es, heruntergekommen zu sein, nachdem ihre Mutter mal wieder dieses leidige Thema eröffnen wollte.

„Ja, Mama. Er war auch da. Und ich habe mit ihm getanzt.“

„Schön“, sagte ihre Mutter und lächelte versonnen auf die silberne Teekanne. „Er hat ein gewaltiges Vermögen, heißt es.“

„Ach, Mutter. Du kennst dieses Vermögen doch garantiert bereits bis auf den letzten Penny.“

Das war eine offene Kriegserklärung, und ihre Mutter verstand sie offensichtlich auch so, denn sie erhob sich ruckartig und trat ans Fenster.

„Victoria, ich kann nicht verstehen, wie du dich dermaßen gegen eine Heirat sträuben kannst.“

„Könnten wir bitte das Thema wechseln?“ Es war ein matter Versuch, die Gedanken der Mutter in andere Bahnen zu lenken.

„Mein Kind, es wird von unserem Geschlecht erwartet, einen passenden Ehemann zu wählen und ihm Kinder zu schenken. Das ist die vornehmste Aufgabe der Frau. Dein Vater und ich haben dich nicht zu einem Blaustrumpf erzogen! Dickie Pontecore ist an dir interessiert. Das steht fest. Du brauchst also nur Ja zu sagen und alle – du inbegriffen – sind glücklich. Er ist zwar Amerikaner, aber er bringt alles mit, was einen guten Ehemann ausmacht.“

„Jaaaa …“, sagte Victoria gedehnt und schenkte sich Tee ein. Wenn sie sich schon einen Vortrag anhören musste, konnte sie das auch mit gewärmtem Magen tun.

„Liebes, es geht doch um dein Glück.“

Jetzt hätte sie sich beinahe an ihrem Tee verschluckt. „Um mein Glück geht es also?“

„Ja. Dein Glück an der Seite eines wohlsituierten Mannes, der dir alles bieten kann, was du dir wünschst.“

„Genau. Er bringt das Geld und ich …“

Ihre Mutter fiel ihr ins Wort.

„Ich hoffe doch sehr, du favorisierst nicht diese fürchterlichen Ansichten, die unter den jungen Leuten derzeit so in Mode sind.“

„Und am Ende wollen die Frauen noch in die Regierung.“ Es war ihr Vater, der das sagte. Er war unbemerkt eingetreten, elegant wie stets, in einer samtenen Hausjacke mit einem Monokel in der Seitentasche, das er zwar nicht benötigte, das ihm aber einen gewissen Nimbus verlieh, mit dem er gerne kokettierte.

„Alastair! Wie zeitig du heute bist!“

Er beugte sich zu Victoria herab, gab ihr einen sanften Kuss auf die Wange und begrüßte dann seine Frau auf die gleiche Art und Weise.

„Ja. Ein höchst amüsanter Bursche, den Rodham irgendwo in der Royal Society aufgetan hat, kommt zum Lunch.“

Amüsante Burschen zählten eindeutig nicht zu Lady Stockbridges Favoriten. „Vielleicht ist das ja ein Heiratskandidat für unsere innig geliebte Tochter.“ Lord Stockbridge liebte es, seine Frau aufzuziehen, wenn auch allen klar war, dass ihm mindestens ebenso viel an dem Thema lag wie seiner Frau. Ja, dass er keine Gelegenheit verstreichen ließ, seine Tochter mit aussichtsreichen Kandidaten zusammenzubringen.

Victoria beschlich von Tag zu Tag mehr die Überzeugung, dass es für ihre Eltern kein anderes Thema bezüglich der Tochter gab, das ihre Aufmerksamkeit auch nur annähernd so zu fesseln vermochte. Wenn sie ehrlich war, fühlte sie sich elend, hatte sie doch keine Alternative zu jenen Männern, die ihre Eltern für angemessen hielten, geschweige denn zum Stand der Ehe ganz allgemein.

Sie hatte nicht den Vorzug einer Tochter aus der Mittelschicht, die sich eine Stelle als Sekretärin suchen konnte. Vor ihrem inneren Auge sah sie all die jungen Männer ihrer Generation, die aus dem Krieg heimgekehrt waren. Wund an Leib und Seele, gezeichnet von den Erlebnissen in der Hölle. Viele von ihnen noch immer im Krieg – mit sich selbst und der Welt im Allgemeinen. Nein, so einen Mann wollte sie nicht! Dann lieber die vorwurfsvollen Blicke der Eltern ertragen und alleine durchs Leben gehen. Irgendwann mussten sie ja doch aufgeben. So zumindest Victorias stille Hoffnung.

Der mit den Morgenzeitungen eintretende Butler brachte eine kurze Ablenkung in die kleine Gruppe. Lady Stockbridge setzte sich in einen der Sessel und begann, wie die anderen auch, in ihren frisch gebügelten Zeitungen zu lesen. Allein – das Schweigen, das sich nun im Raum ausbreitete, war nur ein kurzes Atemholen, und das wusste Victoria. Ein zähes, lähmendes Gefühl legte sich über sie. Sie wünschte sich nichts sehnlicher, als endlich nicht mehr an einen möglichen Ehemann denken zu müssen.

„Ich gehe mal hoch und schreibe den Dankesbrief an die Astenburys. Ach, Mama, ich soll dir noch ausrichten, dass du in Ascot auf Thunderbolt setzen sollst.“

Lady Stockbridge blickte von ihrer Zeitung hoch und lächelte. „Ah ja … Georgies neueste Errungenschaft. Danke dir, Liebes.“

Victoria entfloh beinahe dem Salon, wenig erpicht darauf, einen Brief im ewig gleichen Wortlaut zu verfassen. Sie hatte sich sogar schon einmal überlegt, solche Dankesbriefe auf Vorrat zu schreiben. Was natürlich ausgesprochen ungezogen wäre. Wenn auch praktisch.

Zügigen Schrittes eilte sie nach oben, wo sie sich auf ihr bereits gemachtes Bett warf. Ein Blick auf ihren Sekretär erinnerte sie daran, dass sie noch immer nicht alle Briefe geöffnet hatte, und so erhob sie sich, schob die schweren Kuverts mit flacher Hand durcheinander und griff dann zu einem etwas dickeren Brief, den sie mit einem zierlichen Messer öffnete.

Sie stieß ein entnervtes „Pfffff“ aus, als sie die schwere, auf Karton aufgezogene Fotografie ihrer Freundin Elsa in Händen hielt. Ein Gruppenbild. Elsa mit ihrem Gatten in der Mitte, die Eltern des Paares seitlich gruppiert. Ernste Gesichter. Elsa in einem traumhaften Brautkleid nach der neuesten Mode, den Schleier tief in die Stirn gesetzt und ein gewaltiges Lilienbukett über dem Arm drapiert. Zu ihren Füßen die Brautkinder. Ihr Mann in Uniform. Schneidig. Korrekt. Dass etwas mit seinem Bein nicht stimmte, erkannte man lediglich an der leidlich versteckten Krücke, die es ihm erst ermöglichte, für den Fotografen stehend auszuharren.

Ob sie sich liebten, vermochte ein Außenstehender an diesem Bild nicht zu erkennen. Wahrscheinlich musste es aber so sein. Victoria hoffte es zumindest für ihre Freundin. Aber selbst, wenn nicht – man hatte ihr recht schnell beigebracht, dass Ehen nun mal nicht im Himmel geschlossen wurden. Wenn man dann auf jemanden traf, für den man tatsächlich entflammte, so war es in ihren Kreisen allgemein akzeptiert, dass man sich diese Person als Liebhaber oder Mätresse nahm. Alles war möglich, solange man sich diskret verhielt.

Victoria aber hatte eine andere Vorstellung von der Ehe. Nicht, dass sie besonders romantisch veranlagt gewesen wäre. Mit einem Stallburschen durchzubrennen, wäre ihr nie in den Sinn gekommen. Aber sie hatte ein zu starkes Selbstwertgefühl, als dass sie sich mit scheinheiligen Zwischenlösungen zufriedengegeben hätte. Und gerade weil es für ihre Eltern kein wichtigeres Thema zu geben schien, hatte sie sich verbarrikadiert und all jene Männer nicht mal angesehen, die ihr mehr oder minder direkt angeboten worden waren. Manchmal verstieg sie sich sogar dazu, die Dienstmädchen im Haus zu beneiden, denen es verboten war, zu heiraten – noch immer mussten sie den Dienst verlassen, wenn sie eine Heirat planten.

Missmutig legte Victoria das Foto zur Seite. Dann überlegte sie kurz und drehte es um, sodass sie es nicht mehr ansehen musste. Aus einem goldenen Etui nahm sie eine Zigarette und zündete diese an. Auf die lange Spitze verzichtete sie, denn sie war eigentlich nur Zierde und im Moment überflüssig, wo sie allein war und nicht „exklusiv“ wirken musste. Sie war zumindest bis zu jenem Augenblick allein, als ein Klopfen an der Tür ertönte. Im Gegensatz zu den offiziellen Räumen war es Usus, dass an den Privatzimmern der Herrschaft stets angeklopft werden musste.

„Ja?“, rief sie etwas lauter, da sie wusste, wie massiv die Türen waren.

Janet, ihre Zofe, trat ein. Sie trug ein sackartig geschnittenes schwarzes Kleid und darüber eine schmucklose, strahlend weiße Schürze. Die alten Hauben waren nach dem Krieg durch kleinere, volantlose ersetzt worden.

Alles war nun schlichter, praktischer als vor dem Krieg.

Janet trug ein funkelndes Kleid vorsichtig über dem Arm drapiert.

„Ich bringe die Robe. Monsieur Poiret hat sie soeben liefern lassen.“

Victoria atmete tief durch. Sie wusste, dass ihr Vater eine beinahe unverschämt hohe Summe für dieses schneiderische Wunderwerk ausgegeben hatte und wertete die Ausgabe als das, was sie war: ein weiterer Versuch, die Tochter so zu präsentieren, dass sie einen Ehemann finden musste! Aus diesem Grund wandte sie sich achtlos von dem kostbaren Stück ab und gab vor, weiter ihre Post durchzusehen.

„Wollen Sie es denn nicht anprobieren, Miss?“

„Später.“

„Ihre Ladyschaft möchte es aber gerne noch sehen, bevor sie ausfährt.“

Damit hatte Janet sie in der Ecke. Victoria erhob sich.

„Gut. Dann hilf mir bitte.“

Da die modernen Kleider wesentlich schneller anzuziehen waren als jene, die noch mit diversen Unterröcken und Korsetts getragen wurden, konnte sie kurz darauf bereits in die Robe schlüpfen.

Das Kleid war ein Traum, über und über bestickt mit lavendelfarbener Seide und Silberlamé. Ärmellos fiel es locker bis zu den Hüften, wo es seitlich einen mächtigen, mit Perlen bestickten Riegel hatte, von dem zahllose Perlenschnüre bis zum Saum herabflossen.

Janet trat einen Schritt zurück und bewunderte den Anblick. Und auch Victoria musste zugeben, dass das Kleid einen beinahe blendete.

„Welchen Kopfschmuck soll ich dazu tragen?“, fragte sie ihre Zofe, denn ihr eigener Anblick hatte sie mitgerissen.

„Ich würde das silberne Haarband mit den Federn empfehlen.“

„Hol es, bitte!“

Mit geschickten Händen zog Janet den Haarschmuck über Victorias Kopf und tief in die Stirn.

„Und dazu die lange Perlenschnur! Die, die bis zur Hmtata geht …“, verkündete Victoria, woraufhin ihre Zofe etwas verlegen schmunzelte, als habe sie gerade einem vorwitzigen Kind gelauscht.

„Oh. Die Perlen trägt gerade Ihre Ladyschaft …“

„Na, dann nichts wie runter zu Mama und sie ihr vom Hals gerissen!“

Sie hatte jeglichen Gedanken an einen Ehemann vergessen, begeistert von dem wundervollen Kleid, das sie tragen durfte und das sie aussehen ließ wie die Favoritin eines unermesslich reichen Scheichs.

Während sie, den Rock gerafft, nach unten eilte, träumte sie von verruchten dunkelroten Lippen, wie die Stars aus den Stummfilmen sie auf den Plakaten trugen, und sie kokettierte für einen Moment mit dem Gedanken, ihre Eltern damit zu schockieren.

Victoria war derart in einen Rausch verfallen, dass sie beinahe atemlos die Türe zum Empfangszimmer aufriss und mit zwei langen Schritten eintrat.

„Ich sterbe, wenn ich diese Perlen nicht bekomme!“, verkündete sie melodramatisch, warf den Kopf in den Nacken, schloss die Augen und bedeckte sie mit dem Handrücken, während sie den anderen Arm, wie nach einer Stütze suchend, neben sich ausstreckte.

Hatte sie nun mit einer schmunzelnden Ermahnung ihrer Mutter gerechnet, wurde sie von eiserner Stille überrascht. Verwundert nahm sie die Hand von den Augen und sah sich einer Szene wie in ihren Lieblingsfilmen gegenüber: Ihre Mutter saß kerzengerade auf der Couch und sah sie mit versteinertem Gesicht an. Victoria kannte diesen Ausdruck nur zu gut. Er fand nur noch eine Steigerung, wenn die Kiefer der Mutter zu mahlen begannen und hohle Stellen in den Wangen schufen.

„Meine Tochter Victoria.“

Jetzt sah sie den Grund, weswegen ihre Mutter um Beherrschung rang.

Vor dem Kamin stand ein großgewachsener Mann mit kurz geschnittenem blondem Haar, schmalen Lippen und gerader Nase. Seine Augen wurden dominiert von kräftigen Brauen, die ihm fast etwas Düsteres gaben. Sein Gesicht schien ebenso ausdruckslos wie das ihrer Mutter, doch in seinen Augen sah sie eine kalte Entschlossenheit. Er war von kräftiger Statur und trug einen sandfarbenen Anzug, wie Victoria ihn schon in Büchern über Archäologen gesehen hatte. Vollkommen unpassend für den Londoner Regen. Und doch trug er diesen Aufzug mit einer solchen Selbstverständlichkeit, dass der Eindruck entstehen mochte, nicht er, sondern vielmehr alle anderen seien unpassend gekleidet.

Victoria schluckte hart. Dann überzog sich ihr Gesicht mit glühender Röte.

Es kostete sie alles, den Raum nicht rennend zu verlassen, sondern irgendwie ihre Würde zu wahren. Kurz schloss sie die Augen und presste die Lippen zusammen. Einer Asta Nielsen passierte so etwas niemals …

Der fremde Gast hatte offensichtlich nicht vor, etwas von der Peinlichkeit der Situation zu mildern, indem er einfach dazu überging, die Honneurs zu machen. Vielmehr blieb er mit kaltem Blick stehen und bewegte sich nicht. Victoria fühlte sich erniedrigt, was leise aufkeimenden Zorn in ihr hervorrief.

„Major Nicolas Whitby“, stellte ihre Mutter den Fremden vor und übernahm somit die Führung.

Entschlossen, da sowieso nichts mehr zu verlieren war, trat Victoria auf ihn zu und streckte ihm die Hand entgegen. Whitby aber löste sich viel zu zögernd aus seiner Position, um noch als wohlerzogen und höflich zu gelten.

„Miss Victoria …“ Jetzt endlich ergriff er die ihm dargebotene Hand und schüttelte sie. Wobei „schütteln“ der falsche Ausdruck war, wie Victoria fand. Er hob sie vielmehr nur einmal kurz an und ließ sie dann wieder los, als sei ihm die Berührung mit der jungen Frau beinahe unangenehm.

Was bist du denn für ein Vogel, schoss es ihr durch den Kopf. Sie war wahrhaftig ein anderes Verhalten von Männern gewohnt.

„Ich denke, meine Tochter wollte ihr neues Kleid vorführen“, sagte ihre Mutter verbindlich, und Victoria erkannte an ihrer Stimme, dass sie offensichtlich schon seit geraumer Zeit größere Mühe hatte, eine Konversation mit diesem Whitby aufrechtzuerhalten. Auch jetzt zeigte er keinerlei Anzeichen, dem dargebotenen Konversationsangebot Folge zu leisten, sondern starrte Victoria lediglich kalt an.

Diese wiederum presste die Lippen zusammen und bemühte sich beinahe trotzig, seinen Blicken standzuhalten. Dabei bemerkte sie ein unerwartetes Kribbeln in ihrem Magen, das sich in konzentrischen Kreisen in ihren ganzen Körper auszubreiten schien.

Nachdem er verschiedenen Gedanken nachgegangen zu sein schien, sagte er beiläufig: „Schön“, wobei nicht klar war, ob er das Kleid meinte oder die Situation im Allgemeinen. Jetzt schien Victoria doch noch seine Aufmerksamkeit erlangt zu haben. Allerdings anders, als sie erwartet hatte, denn er fuhr mit ruhiger Stimme fort: „Sicherlich wollen Sie sich jetzt umkleiden.“

Es war eine Äußerung von solcher Impertinenz, dass es nicht nur Victoria den Atem verschlug, sondern auch ihrer Mutter. Diese aber fasste sich wesentlich schneller als die Tochter und sagte: „Ja. Das ist sicher eine gute Idee. Wir entschuldigen dich also für einen Moment, liebe Victoria. Sobald du umgezogen bist, nimmst du bestimmt einen kleinen Luncheon mit uns …“

Hatte sie nun von sich selbst erwartet, froh zu sein, von der Gegenwart dieses merkwürdigen Mannes befreit zu sein, ertappte sie sich doch dabei, wie sie die Treppen in das obere Stockwerk förmlich hinaufflog, in ihr Zimmer eilte und ein im Matrosenstil geschneidertes Kleid förmlich aus dem Schrank riss. Die wertvolle Ballrobe rauschte unbeachtet zu Boden, während sie in das Tageskleid schlüpfte. Sie wartete hierbei nicht mal auf ihre Zofe, wie es sich gehört hätte.

Auch so ein Überbleibsel, schoss es ihr durch den Kopf. Die modernen Kleider machten Zofen vollkommen überflüssig. Vorbei waren die Zeiten, wo die Kompliziertheit der Garderobe einer Dame es völlig unmöglich gemacht hatte, dass sie sich allein anzog. Sie erinnerte sich noch der Zeiten, wo sie – still wie ein Mäuschen – im Ankleidezimmer ihrer Mutter gesessen und beobachtet hatte, wie diese, kerzengerade aufgerichtet und einer Marmorstatue gleich, dagestanden hatte und sich hatte ankleiden lassen.

Victoria drehte sich vor dem großen, schwenkbaren Spiegel und fragte sich, ob sie Whitby wohl gefallen würde in diesem Kleid. Es war modern, aber nicht übertrieben. Verdeckte ihre weiblichen Rundungen, ließ sie aber dank des fließenden Stoffes nicht unförmig erscheinen. Ja, beschloss Victoria. Er würde es mögen.

Als sie am Fuß der Treppe stand, kam ihr einer der Diener entgegen. Seine Livree saß wie angegossen, und er trug ein silbernes Tablett.

„Ihre Ladyschaft erwartet Sie im Speisezimmer, Miss.“

Ihre Mutter wollte diesen Whitby also loswerden. Sonst hätte sie niemals so zügig den Lunch servieren lassen. Victoria fragte sich, ob Whitby dies aufgefallen sein mochte. Für jedes Mitglied der Gesellschaft wäre es augenfällig.

Als sie das Speisezimmer betrat, hatten beide schon Platz genommen und Butler samt einem Diener und einem Dienstmädchen standen an der Anrichte parat, um auf ein Zeichen hin sofort mit dem Servieren zu beginnen.

Victoria nickte Whitby zu, der – seinen starren Blick auf sie gerichtet – mit beinahe ignoranter Verzögerung das Nicken erwiderte.

„So. Dann können wir wohl beginnen …“

Victoria löffelte schweigend ihre Suppe, entschlossen, vor diesem Mann, der seine Augen nicht von ihr ließ, kein dummes Wort zu sagen. Denn nur zu deutlich spürte sie eine seltsame innere Erregung, die wohl dazu führen mochte, dass sie – einmal losgelassen – wild zu plappern beginnen würde. Und für ihre Begriffe war der Star-Auftritt genug an Peinlichkeit für einen Tag gewesen.

So lauschte sie dem ans Fenster prasselnden Regen, ohne auch nur zu registrieren, was sie überhaupt aß. Sie umklammerte den Griff des Löffels förmlich, spürte sie doch Whitbys Blicke ungebrochen auf sich.

„Wie lange werden Sie in London bleiben, Mr. Whitby?“

„Major Whitby“, verbesserte er sie kalt.

Das Lächeln ihrer Mutter gefror, dann nickte sie und nahm einen weiteren Löffel Consommé.

„Ich weiß es noch nicht. Ich werde vor der Royal Geographic Society noch einen Vortrag halten, und dann habe ich noch ein paar Verpflichtungen, denen ich nachkommen muss.“

Es war der längste Satz, den Victoria bisher von ihm gehört hatte, und sie vermutete, dass er sich bemühte, die Kerbe auszuwetzen, die er zuvor geschlagen hatte.

„Das ist schön.“

An dieser Stelle hätte ihre Mutter, der Konvention folgend, der Hoffnung Ausdruck verleihen müssen, Major Whitby noch öfter als Gast des Hauses begrüßen zu dürfen. Sie unterließ es, was Bände sprach. Zumindest für gesellschaftlich versierte Personen.

„Und wohin reisen Sie dann?“

„Zurück nach Denhar.“

Er sprach das letzte Wort in einer so merkwürdigen Art und Weise aus, dass Victoria sofort begriff, dass er die Sprache der Einheimischen dort beherrschte.

„Wie lange werden Sie reisen?“

Whitby schob den leeren Teller ein Stück von sich, der sofort abgeräumt wurde. Dann erläuterte er seine Reiseroute, während seine Blicke zwischen der Dame des Hauses und ihrer Tochter hin und her wanderten. Ja, Victoria konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, dass er immer lebhafter wurde, je mehr er von diesem fremden Land berichtete. Und je mehr er zu brennen begann, desto mehr riss er sie mit.

Victorias Mutter war weniger beeindruckt. „Aber, Major Whitby … die Wüste, ich bitte Sie! Gewiss, unser Londoner Wetter, von dem Sie gerade einen lebhaften Eindruck gewinnen, ist nicht das Angenehmste. Aber doch sicherlich der toten Hitze der Wüste allemal vorzuziehen.“

„Meine Liebe, du düpierst unseren Gast.“ Einmal mehr hatte ihr Vater seine Meisterschaft im unerwarteten Auftauchen demonstriert, was bei den Dienern emsige Aktivität auslöste, indem sie sofort ein neues Gedeck auflegten.

„Nichts liegt mir ferner, mein Lieber. Aber ich halte doch die Wüste für den totesten Ort der Welt. Wenn mir dieser sprachliche Fehler erlaubt ist.“

Ihr Vater breitete schmunzelnd eine Damastserviette auf seinem Schoß aus, und Whitby schüttelte ungehalten den Kopf.

„Die Wüste ist nicht tot!“, knurrte er und starrte Victoria an, als gälte seine Maßregelung ihr.

Sie aber sah ihn verwundert an. Seine Züge hatten an Lebhaftigkeit gewonnen. Die kräftigen Brauen bewegten sich über den glänzenden Augen, während er seine Empörung an dem Fisch auf seinem Teller ausließ. Seine Art, den Worten ihrer Mutter gegen alle Konvention Kontra zu bieten, beeindruckte sie. Ebenso seine kräftigen Hände. Sie ertappte sich bei dem Gedanken, wie wohl seine Arme aussehen mochten, wenn er kein Hemd trug.

Die Überlegung ließ sie erröten und damit dies nicht bemerkt würde, senkte sie schnell den Kopf. Dass Whitby es dennoch registriert hatte, war ihr klar.

„Ihr Lieben, beenden wir den Streit!“

Lady Stockbridge sah ihren Mann mit gehobenen Augenbrauen an. Schließlich hatte sie diesen Gast ja ihm zu verdanken!

„Ich schlage vor, dass wir alle den Vortrag von Major Whitby am Freitag in der Royal Society besuchen und uns ein eigenes Bild machen.“

Schweigen in der Runde war die einzige Antwort.

„Gut. Damit wäre das beschlossen und verkündet!“, sagte ihr Vater zufrieden und ordnete die Serviette auf seinem Schoß neu.

Kapitel 2

Der Freitag brachte eine nochmalige Verstärkung der Regenfälle, und es war an Lady Stockbridge, ihrem Mann gehörig den Kopf dafür zu waschen, dass sie alle sich nun wegen seiner Eingebung bei diesem Wetter nach draußen begeben mussten, um einem unsäglichen Vortrag über einen unsäglichen Ort zu lauschen.

Die Einzige, die beharrlich schwieg, war Victoria. Seit ihr Vater seinen Beschluss verkündet hatte, freute sie sich auf den Vortrag. Beziehungsweise auf den Vortragenden. Seit jenem Tag, an dem sie Whitby zum ersten Mal gesehen hatte, hatte er nicht mehr aufgehört, ihre Gedanken zu beherrschen. Nie zuvor hatte sie jemanden erlebt, der mit solcher Selbstverständlichkeit sämtliche Konventionen des Salons gebrochen hatte. Alles an ihm schien ihr beeindruckend: sein Aussehen, seine Herkunft, seine Haltung, seine Unnahbarkeit. Allein, ihn vor ihrem inneren Auge zu sehen, ließ ihren Atem schneller gehen.

Und nun saß sie unter den anderen Zuhörern im großen Saal der Gesellschaft und wartete so gespannt auf seinen Auftritt, als müsse sie selbst gleich nach vorn gehen und sprechen.

„Sitz doch still!“, mahnte ihre Mutter mit leisem Zischen, als gälte es, ein ungezogenes Kind zu maßregeln. Die Federn an ihrem Hut waren heruntergedrückt von der herrschenden Feuchtigkeit und taten ihrem majestätischen Erscheinungsbild doch keinen Abbruch.

Ein Mitglied der Royal Society trat ans Rednerpult, das aus schwerem dunklen Holz gefertigt war und die Bedeutsamkeit jener Erkenntnisse zu symbolisieren schien, die hier vorgetragen wurden.

Vereinzeltes Räuspern, hin und her Rutschen auf den Stühlen – und dann Totenstille.

„Wir dürfen heute in unserer Mitte Major Nicolas Whitby begrüßen. Er wird uns ein Land vorstellen, das leider noch immer eine Art weißer Fleck auf der Landkarte des Wissens ist, und zwar Saramaa mit seiner Hauptstadt Denhar. Major Whitby wurde zwar in England geboren, doch bereits als kleiner Junge zog er mit seiner Familie in jenes geheimnisumwitterte Land, aus dem seine Mutter stammte. Wir freuen uns, ihn für einen Vortrag in unserer Mitte begrüßen zu dürfen. Wir erhoffen uns viele Erkenntnisse über dieses Land und seine Menschen. Bitte heißen Sie Major Nicolas Whitby mit mir willkommen!“ Indem er ein paar Schritte rückwärtsging, klatschte er Beifall, der vom Publikum aufgenommen wurde.

Auch jetzt trug Whitby zu Victorias Verblüffung nicht den obligatorischen Cut für dieses Ereignis, sondern seine merkwürdige Wüstenuniform. In seiner ganzen, beinahe steifen Haltung ähnelte er mehr einem Offizier beim Rapport als einem Forscher oder Reisenden.

Als er seine Unterlagen geordnet hatte, setzte Victoria sich unmerklich noch etwas aufrechter hin und blickte ihn erwartungsvoll an. Sein ausdrucksstarkes Gesicht mit den großen Augen ließen warme Schauer von ihrer Brust direkt in ihren Unterleib strömen. Und diese intensivierten sich noch, als seine Blicke wie suchend über die Zuhörerschaft schweiften, um schließlich an ihr haften zu bleiben.

Jetzt spricht er nur für mich, dachte sie, und aus der Wärme wurde glühende Hitze.

Hatte sie sich auch darauf gefreut, mehr über sein Heimatland, wenn man es denn so bezeichnen wollte, zu erfahren, erinnerte sie sich schon Momente nach Ende des Vortrags an kein einziges Wort mehr. Nur sein Gesicht, seine Hände, seine Stimme hatten sich ihr förmlich eingebrannt. Auch die Fragen, die nunmehr sowohl von den Zuhörern als auch von den Mitgliedern der Royal Society gestellt wurden, nahm sie nicht wahr. All ihr Denken und Fühlen konzentrierte sich auf ihn. Und so saß sie noch Minuten, nachdem alle sich erhoben hatten, wie verzaubert da und beobachtete Whitby, der mit einigen Herren in der Nähe des Pults stand und sprach. Wobei ihr nicht entging, dass er wieder und wieder ihre Blicke zu suchen schien und wenn er sie dann gefangen hatte, sekundenlang in ihnen verharrte.

Allein die Tatsache, derart schamlos fixiert zu werden, trieb ihr die Röte ins Gesicht und ein machtvolles Rauschen in den Unterleib. Nie zuvor hatte ein Mann etwas auch nur annähernd Ähnliches in ihr ausgelöst. Sie wollte nur noch ganz nah bei ihm sein. Seinen Duft riechen und seine Stimme mit jenem eigentümlichen, melodischen Singsang hören.

Ihre Gedanken wanderten in verbotene Gefilde, deren nebelhafte Hitze einer anständigen jungen Frau verboten war. Vor ihrem inneren Auge sah sie Szenen aus ihren Lieblingsfilmen. Heldinnen, die sich in die Arme ihrer Liebhaber warfen. Feurige, von ihren Sehnsüchten getriebene Männer und Frauen, die sich in einem entfesselten Taumel begegneten und niemals nach den Folgen ihres Tuns fragten. So sah Victoria sich in seinen Armen liegen.

Ja, sie war so in ihren Tagträumen gefangen, dass sie zu ihm hintrat und ihn schweigend ansah. Die irritiert blickenden Herren um ihn herum bemerkte sie nicht. Auch nicht ihre Mutter, die ein solches Benehmen ausgesprochen inakzeptabel fand.

„Victoria … es ist Zeit“, erklärte sie etwas gepresst, nickte den Herren zu und machte sich daran, die Tochter aus der fragwürdigen Situation zu dirigieren.

Der Saal leerte sich und hätte nicht ein Mitglied der Royal Society sowohl ihren Vater als auch ihre Mutter in ein Gespräch verwickelt, das dafür sorgte, dass Victoria sich allein zum wartenden Wagen begab, wäre sie möglicherweise nie an jener Säule vorbeigekommen, die in jenem schmalen Gang stand, der zu einem der Seitenausgänge führte.

Im gleichen Moment aber, da sie diese Säule passierte, schoss ein Arm hinter derselben hervor, und eine kräftige Hand packte sie an der Schulter. Ehe Victoria noch irgendwie reagieren konnte, wurde sie bereits mit Gewalt hinter die Säule gezerrt und gegen den kalten Stein gepresst. Mit weit aufgerissenen Augen starrte sie jenen Mann an, der ihre Gedanken beherrschte wie kein anderer.

Als sein Gesicht dem ihren so nah war, dass sie die kleinen Sprenkel in seinen Augen sehen konnte, drohten ihre Knie zu versagen. Sie sackte sogar ein wenig zusammen, doch er fing sie mit entschlossenem Griff auf. Sein Körper drängte mit solcher Macht gegen den ihren, dass sie kaum noch atmen konnte. Victorias Blut rauschte in ihrem Kopf, und als er seine Lippen auf ihre presste, brach ein Sturm in ihr los, wie sie ihn noch nie empfunden hatte. Eine Urgewalt ergriff Besitz von ihr, nahm ihr jegliche Fähigkeit zum klaren Denken. Sie dachte nicht mehr an die Örtlichkeit, an der sie sich befanden. Dass jeden Moment jemand um die Ecke kommen und sie beide sehen mochte. Weder an die Peinlichkeit, hier ertappt zu werden wie ein Dienstmädchen beim Stehlen noch an die gesellschaftlichen Konsequenzen ihres Tuns. Da waren nur noch Whitby, der heftig atmend ihren Mund eroberte und mit seiner Hand ihre Brust knetete, und sie, die sich ihm vollkommen bedenkenlos hier, hinter dieser Säule, hingegeben hätte. Ja, sie schlang sogar ein Bein um seine Hüfte, in dem wirren Versuch, seine Männlichkeit, die hart gegen ihren Unterleib drückte, näher an sich zu spüren.

Nie zuvor hatte sie eine solch animalische Gier nach einem Mann verspürt, war sie in einen solchen Taumel geraten, elektrisiert von der Lust, die von ihm ausging und sie in eine andere Welt zu versetzen schien. Gleichzeitig fühlte sie sich geborgen in seinen Armen, ja beinahe unangreifbar, als habe er einen Umhang um sie geworfen, der sie beide unsichtbar machte.

Victoria spürte sein Herz, wie es so heftig trommelte, dass es sich anfühlte, als sei es direkt in ihre Brust gewandert. Sie öffnete sich ihm ganz und gar, verzehrt von Flammen, die so glühend loderten, dass sie zu verbrennen drohte. In diesem Moment, brachial gegen die Säule gepresst, hätte sie ihm alles gegeben. Ohne auch nur für eine Sekunde an ihren Ruf oder ihre Ehrbarkeit oder ihre Zukunft zu denken. Er begehrte sie, und das war alles, was für Victoria zählte. Er begehrte sie mit einer Inbrunst, einer Direktheit, die jeden anderen Mann in einen Nebelschleier verwandelte.

„Ich will dich!“, stieß er heiß an ihrem Ohr hervor, und seine Worte ließen – sie spürte es sofort – Feuchtigkeit zwischen ihren Schamlippen herausfließen.

Victoria errötete. Wegen seiner Worte und der daraus resultierenden Reaktion ihres Körpers. Zu Antworten vermochte sie nicht. Sie konnte nur die Augen schließen und biss Whitby – ohne es zu beabsichtigen – seitlich fest in den Hals. Er warf den Kopf zurück und stöhnte. Sie erschrak, war sich nicht sicher, ob es aus Schmerz oder Lust geschah.

Whitby aber drückte sie von sich weg, und seine zornerfüllten Augen oszillierten hektisch über Victorias Gesicht. Seine Hand war zu jener Stelle emporgefahren, die sich nun rot verfärbte, und presste entschlossen gegen den Abdruck. Sein Kopf machte eine halbherzig abwehrende Bewegung, dann eilte er davon.

Sie stand da. Schockiert. Überrascht. Lauschte den sich entfernenden Schritten und wusste nicht, was sie falsch gemacht hatte oder warum er sie wortlos hatte stehen lassen. Sie wusste nur, dass alles in ihr zusammenzufallen drohte. Ein heftiges Zittern, ähnlich jenem, das einen schweren Fieberanfall begleitet, erfasste Victoria, und sie fragte sich, ob sie es überhaupt schaffen würde, hinaus zum wartenden Wagen zu kommen …

Kapitel 3

Die der heftigen Umarmung folgenden Stunden waren die Hölle. Je mehr zeitlichen Abstand Victoria zu jenem Ereignis gewann, desto größer wurde das Gefühl der Scham darüber, sich derart gehen gelassen zu haben. Jede Handbreit ihres Elternhauses, jeder Blick eines Dienstboten, gemahnte sie an jene Schritte, die sie sich vom Weg fort begeben hatte. Doch die Bilder jener hitzigen Minuten kehrten wieder und wieder in ihr Gedächtnis zurück und gewannen, ihrer Scham zum Trotz, immer stärkere Plastizität.

Ja, gegen Abend war es ihr, als bräuchte sie nur den Kopf ein wenig vorzustrecken und könnte schon den Stoff seiner Jacke an ihrer Wange spüren, das Schlagen seines Herzens fühlen, den Duft seines Atems riechen.

Victoria wurde mulmig bei dem Gedanken, ihn wiederzusehen. Doch noch mehr schreckte sie die Möglichkeit, Whitby nie mehr zu begegnen.

Er gemahnte sie an einen fürchterlichen Gewittersturm, der sie als Kind unweit des Parks ihrer Großeltern in Northumberland überrascht hatte. Sie hatte, entgegen der strikten Order des Großvaters, den Park verlassen und war über die duftenden Sommerwiesen geschlendert. Wilde Blumen hatte sie gepflückt und von schwarz glänzenden Brombeeren genascht, als plötzlich, angekündigt nur durch einen kurzen, warmen Hauch, jener Sturm losgebrochen war, gegen den sie Schutz am Stamm einer alten Eiche gesucht hatte. Ebenso wie vorhin bei Whitby, hatte sie damals ihre Finger in die raue Borke gegraben, in der Hoffnung, nicht mitgerissen zu werden.

Doch im Gegensatz zu jenem Sommertag in Northumberland, war der Sturm jetzt keineswegs abgeebbt. Er hatte sich lediglich gelegt. Gerade so, als gelte es, Kraft zu sammeln für eine neuerliche Attacke. Und was diese Attacke anbetraf, so fühlte sich Victoria ihr mindestens ebenso schutzlos ausgeliefert wie damals, als sie sich an die Eiche geklammert hatte.

Selbst in ihren Traum kam Whitby. Ruhelos hatte sich Victoria in ihrem Bett hin und her geworfen. Schwankend zwischen Schlaf und Wachheit. Fiebrig die Hände abwehrend von sich gestreckt, dann wieder kraftlos herabfallend.

Whitby stand in jenem Traum vor ihr. Groß. Erfüllt von Macht und Selbstbewusstsein. Mit gebieterischer Miene bedeutete er ihr, sich ihm zu nähern. Doch sie konnte nicht. Ihre Füße waren wie angewachsen. Und als sie es, erfüllt von tiefster Furcht und größter Lust, doch schaffte, sich zu bewegen, schienen ihre Beine wie in Treibsand zu versinken. Sie kämpfte um jeden Fingerbreit, den sie sich ihm zu nähern vermochte. Schweiß rann von ihrer gerunzelten Stirn und gekeuchte Worte entrangen sich ihren Lippen.

Und dann erwachte sie. Erfüllt von einem merkwürdigen Gefühl in ihrem Unterleib. Als sie sich aber bewusst wurde, was dieses Gefühl ausgelöst hatte, errötete sie in der Dunkelheit ihres Zimmers, die nur durch einen fahlen Schein der Straßenlaterne matt erhellt wurde. Voller Entsetzen erkannte Victoria, dass sie im Schlaf ihre Hand zwischen ihre Beine geschoben und einen Finger in ihr Loch gesteckt hatte, sodass er jetzt von ihren Säften überzogen war.

Nie zuvor hatte sie dergleichen getan. Aber in diesem Moment schien es unausweichlich. Es war die einzige Möglichkeit, ihr Verlangen nach Whitby so zu stillen, wie sie es mit jeder Faser ihres Körpers herbeisehnte.

Also ließ sie ihre aufgestellten Knie auseinanderfallen und öffnete sich so für die Stimulation durch ihren Finger. Natürlich wusste sie, wie ein Mann in eine Frau eindrang, und als sie ihren Finger in ihrer Fantasie in eine männliche Erektion verwandelte, sah sie vor ihrem inneren Auge Whitby.

Er stand vor ihr und riss wild entschlossen die Knöpfe seiner Jacke auf. Fassungslos betrachtete sie seinen schweren, muskulösen Körper, seine kräftigen Hände, die nun die Hose öffneten und ihren Blicken eine prachtvolle, erigierte Männlichkeit preisgaben.

Unwillkürlich trieb sie ihren Finger schneller und schneller in ihr kochendes Inneres, verzehrt von der Gier, ihn wirklich jetzt in Fleisch und Blut vor sich zu haben. Ihr Oberkörper bäumte sich seinem Schemen entgegen, ihre Brüste hoben und senkten sich wie bei einem erschöpfenden Rennen. Victoria spürte, wie sich ihre Brustwarzen verhärteten und eine prickelnde Gänsehaut ihr Fleisch zu überziehen begann. Mühsam unterdrückte sie das lustvolle Stöhnen, was immer schwieriger wurde, je näher ihre Finger ihrer Lustperle kamen. In ihrer mittlerweile mehr denn plastischen Fantasie lag Whitby auf ihr, fixierte ihre Blicke und drang langsam, ohne jede Hast, mit seinem harten Schwanz in sie ein.

Tief in ihrem Inneren wusste sie, was ihre Mutter von einem solchen Treiben halten würde. Aber darauf gab sie keinen Pfifferling. Die Schauer, die jene unbändige Gier in ihr auslösten, das ungeheure Glücksgefühl und dabei jenes beständig heftiger nagende Verlangen nach dem echten Körper Whitbys, ließen sie alles vergessen, was eine junge Dame als existentiell angesehen hätte. Und dann plötzlich, gerade, als ihr Finger in die tiefe Falte neben ihrer Klit eingetaucht war und sie leicht mit dem Nagel zu kratzen begann, explodierte etwas in ihr. Es riss sie förmlich empor. Eine irrwitzige Fahrt auf einem gleißenden Regenbogen setzte ein, löste rauschhafte Glücksgefühl in ihr aus. Victoria wand sich stöhnend unter ihrer Decke, stets begleitet vom Bild des nackten Geliebten, der seine Härte wieder und wieder in sie eindringen ließ.

In einem gewaltigen Nachbeben, davongetragen von krampfenden Zuckungen ihrer Glieder, kam Victoria langsam zu Bewusstsein, was sie gerade getan hatte. Die nasse Hand hervorziehend roch sie an ihren Fingern. Ein würziger Duft, der etwas ungeheuer Animalisches hatte, stieg in ihre Nase. Es war ein angenehmer Geruch, und sie sehnte sich danach, den Geliebten ebenfalls daran schnuppern zu lassen. Eine überwältigende Zufriedenheit erfasste sie. Es war eine neue Welt, die sie betreten hatte, und sie war sich absolut sicher, dass sie diese nie mehr würde verlassen wollen. Es war ihr ganz persönliches Paradies, aus dem es keine Vertreibung geben würde. Was immer ihre Eltern und die Gesellschaft auch von ihr erwarten mochten – sie würde es nicht mehr aufgeben. Eine Minute in diesem Paradies war mehr wert, als ein ganzes Leben eingezwängt in Sitte und Moral.

Aber ebenso bewusst wie ihr dies war, so klar war Victoria auch, dass dieser Ort für zwei Menschen geschaffen war: für sie und Whitby! Langsam zog sie die Decke über ihre Schulter und drehte sich auf die Seite. Das Gefühl ihres Höhepunkts war noch immer in ihren Gliedern, und sie fühlte sich zufrieden und gleichzeitig erschöpft. Wenn sie die Augen schloss, konnte sie sich vorstellen, dass Whitby neben ihr lag. Wie die Matratze unter dem Gewicht seines Körpers eingedrückt wurde. Und plötzlich gab es in Victoria keinen größeren Wunsch, keine größere Sehnsucht mehr, als eine ganze Nacht lang das mit ihm zu tun, was sie soeben allein getan hatte. Und nach dieser Nacht wollte sie neben ihm wach werden.

Nur noch dafür wollte sie leben.

Kapitel 4

„Nein, Lieber … er ist ein unmöglicher Mensch“, stellte ihre Mutter gerade dezidiert fest. Sie saß so aufrecht wie immer auf dem ledernen Sofa und hielt einen Brief in Händen, den sie wohl gerade gelesen hatte.

Ihr tizianrotes Haar war perfekt aufgesteckt, und ihr zartes Chiffonkleid umspielte ihre fast knabenhaften Formen auf das Vorteilhafteste.

Während die Mutter ihren Blick immer noch auf ihren Gatten gerichtet hatte, nickte der bereits mit sorgenumwölkter Miene seiner eintretenden Tochter zu. Er trug einen eleganten Cut und war offensichtlich auf dem Weg ins Parlament.

„Victoria, wir sprechen gerade über diesen unmöglichen Menschen … diesen Whitby. Dein Vater hat es sich in den Kopf gesetzt, mich noch einmal dieser unsäglichen Tortur auszusetzen und ihn zu empfangen.“

„Aber meine Liebe …“, hob ihr Vater an und warf dabei einen beinahe gehetzten Blick zu jener Uhr auf dem Kaminsims, die unter einer Glasglocke stand. „Ich dachte an eine Einladung anlässlich der Soiree mit Madame Agathy nächsten Dienstag. Er wird einer unter vielen sein und nicht weiter störend auffallen.“

Die rechte Augenbraue ihrer Mutter wanderte missbilligend in Richtung ihres Haaransatzes.

Victoria hätte ihrem Vater in diesem Moment um den Hals fallen mögen. Ihre Aufmerksamkeit wurde allerdings durch einen Ast abgelenkt, der vom Sturm gegen das Fenster gepeitscht wurde und die Regentropfen verrieb, die in Strömen am Glas herabliefen.

Ihre Mutter las in dem Brief weiter, offensichtlich nicht willens, das Thema weiterzuverfolgen.

„Liebes, wir müssen ihn einladen. Ich wurde von Lord Palmerston persönlich darum gebeten.“

Ihre Mutter tat, als habe sie nichts gehört. Das war ihre Standardreaktion auf Dinge, die ihr missfielen: Sie ignorierte sie schlicht.

„Meine Liebe …“, mahnte ihr Vater, und Victoria war klar, dass er eine Antwort der Mutter brauchte. Es war gesellschaftlich nicht akzeptabel, dass nicht die Dame des Hauses, sondern er die Einladung aussprach.

„Dann soll Palmerston ihn einladen, wenn er ihn so berauschend findet.“

Die Tür wurde geöffnet und der Butler trat ein. „Eure Lordschaft, der Wagen wartet.“

Ihr Vater schwenkte den Kopf, und seinem Gesicht nach zu urteilen fehlte nicht viel und er hätte vor Zorn aufgestampft. Gerade aber, als er am Butler vorbeigehen wollte, sagte ihre Mutter, ohne auch nur den Kopf von den Zeilen zu heben: „Gut. So soll er halt kommen, dein famoser Whitby.“

„Du lädst ihn ein?“

Sie antwortete nicht mehr. Die Audienz war beendet.

Victoria hatte von ihrer Position aus den ganzen Salon im Blick. Ihre Mutter, die weiter ihren Brief las, den Vater, der mit Hut und Mantel im Arm auf den Diener zustrebte, den Kamin, die Gemälde. Alles. Plötzlich erschien es ihr, als habe sie genau die gleiche Szene schon zahllose Male erlebt. Wie eine Grammofonplatte, die an einem bestimmten Punkt hängen geblieben ist und dieselbe nervtötende Stelle wieder und wieder spielt, bis man glaubt, dass einem der Kopf platzt. Sie wollte die Augen schließen und nichts mehr davon sehen oder hören. Doch in eben jenem Moment legte sich eine gewaltige Klaue um ihre Kehle und schnürte ihr die Luft ab. Schlagartig empfand sie dieses vornehme Haus und seine Bewohner wie einen jener Bunker, von denen ihre Freunde berichtet hatten, die aus Frankreich und Belgien zurückgekehrt waren. Ein düsterer Klotz, in dem man sich lebendig begraben fühlte. Und viel zu oft auch war.

Als wolle etwas aus ihr herausbrechen, schien sich ihre Brust zu weiten, zu dehnen. Victoria bekam keine Luft mehr, und ihr Körper war zum Zerreißen gespannt. Sie ertrug es nicht mehr. Den ewig gleichen gesellschaftlichen Rhythmus, die starren Konventionen, in die sie eingezwängt war wie in ein stählernes Korsett. Sie würde ersticken. Jetzt und hier.

Es musste doch ein Entrinnen geben … Hatten die Zeiten sich nicht gewandelt? Trugen die Frauen nicht Haare und Röcke kurz? Konnten sie nicht Berufe ergreifen? Automobile fahren? Warum konnte ein Mädchen des Mittelstands als Sekretärin arbeiten, sich den Mann als Ehemann wählen, den sie wollte? Warum sollte ihr, Victoria Stockbridge, verwehrt sein, was für alle anderen Normalität war?

Sie eilte mit wenigen langen Schritten zum Fenster und riss es auf. Kalt peitsche eine Böe den Regen in ihr Gesicht. Noch immer mit zugeschnürter Kehle, begann sie langsam wieder flach zu atmen. Ihr Kopf hämmerte noch immer, aber es wurde besser. Wenn auch ihr Kleid innerhalb weniger Augenblicke völlig durchnässt war und ihre Mutter entsetzt rief: „Kind! Du holst dir den Tod! Mach sofort das Fenster zu!“

Doch Victoria wollte dieses Fenster nicht mehr schließen. Sie hatte Whitby zugehört in der Royal Society. Sie hatte ihm sogar sehr gut zugehört. Und nicht nur, weil sie etwas für ihn empfand. Sondern weil er von einer fremden Welt berichtet hatte. Weil sie erkannt hatte, dass es mehr gab als nur Salons, gepflegte Konversation und die Aufregung um die neueste Mode aus Paris. Es gab so unendlich viel mehr, und für Victoria war Whitby zum Inbegriff all dessen geworden. Was sie letzte Nacht getan hatte, war nur ein erster Schritt gewesen. Dessen war sie sich absolut sicher. Whitby würde für sie die Eintrittskarte in ein neues Leben sein.

Kapitel 5

Gloria Van Dyke war eine mehr als exzentrische Erscheinung. Sie war ungeheuer groß und ungeheuer dünn. Trug sie fließende, dünne Stoffe, was sie meistens tat, so traten ihre Beckenknochen wie Schaufeln hervor. Ihre Brüste waren so klein, dass sie praktisch nicht vorhanden waren. Im Gegensatz zu ihren Augen, die rund und groß wie Kugeln in ihren Höhlen lagen. Ihre Lippen schminkte sie stets in übertriebener Form und übertriebenen Farben. Wenn es ein „rotestes Rot“ gab, so benutzte Gloria es. Wie eine pralle Kirsche wirkte ihr Mund in ihrem kalkweißen Gesicht.

In diesem Moment lag Gloria Van Dyke wie hingegossen auf Victorias Couch, eine Zigarette in extrem langer Zigarettenspitze zwischen den passend zum Lippenstift manikürten Fingern, und kommentierte mit völlig übertriebenem Akzent eine Party, die sie am Vorabend besucht hatte. Victoria lauschte ihr und blinzelte gegen die grellen Farben an, die Glorias seidenen Kaftan strahlen ließen. Es war ein Import aus dem fernen Japan, besetzt mit cremefarbenen Quasten, die Glorias weit ausholenden Bewegungen unterstrichen. Frauen wie Gloria traten nicht ein – sie traten auf!

„Wie ich höre, habt ihr einen wunderbar exzentrischen Gast empfangen, Daaarling.“ Sie dehnte das letzte Wort dramatisch, und da die Stockbridges selten wunderbar exzentrische Gäste empfingen, wusste Victoria sofort, von wem die Rede war. „Deine Mutter soll ihn anbeten.“

Victoria starrte ihre Freundin verblüfft an. Anbeten war nicht die erste Vokabel, die ihr in diesem Zusammenhang in den Sinn gekommen wäre.

„Nun ja …“ Mehr fiel ihr nicht ein.

„Ich habe ihn in der Hall gesehen … aaah! Ein Bär von einem Mann … so animalisch … wild … provokativ.“

Glorias rollende Augen zusammen mit ihren gurrend ausgestoßenen Worten riefen in Victoria ein eindeutiges Gefühl hervor: Eifersucht! Es begann, in ihrem Magen zu brennen, und ihr Kopf fing an zu glühen. Was war zwischen Gloria und dem animalischen Whitby gelaufen? Warum brachte sie die Rede auf ihn?

Plötzlich warf Gloria sich nach vorn und umklammerte das Knie ihrer Freundin.

„Gooott … Daaarling … Diesen Mann würde ich nicht von meiner Bettkante schubsen!“

Victoria wurde übel.

Gloria ließ sich wieder zurückfallen und blickte verzückt zur Decke. „Aaah … seine mächtigen, gierigen Pranken auf meinem vor Lust kochenden Körper … Welche Vorstellung!“

„Lass ihn in Ruhe!“ Die Erwiderung kam so plötzlich, so unvorbereitet, dass Victoria selbst über sich erschrak. Sie schluckte hart und hätte Gott weiß was dafür gegeben, in diesem Moment einfach den Mund gehalten zu haben.

Gloria blickte sie direkt an. Sie war verblüfft. Etwas, das man bei ihr selten erlebte. „Vicky … du und … er?“ Ihre Stimme hatte alles Theatralische mit einem Schlag abgelegt.

Die Anspannung in Victorias Gliedern wurde beinahe unerträglich. Jetzt schwieg sie verbissen.

„Liebes … das ist keine gute Idee. Das weißt du, nicht wahr?“ Gloria legte die Zigarettenspitze in den kristallenen Aschenbecher und sah ihre Freundin fast besorgt an. „Das ist gar keine gute Idee!“

„Ich weiß“, erwiderte Victoria kleinlaut. Ihre Stimme war zu einem Flüstern geschrumpft.

„Vic … deine Eltern würden ihn niemals akzeptieren. Niemand in der Gesellschaft würde das. Er hat einen zweifelhaften Ruf und eine zweifelhafte Herkunft. Und warum gewisse Mitglieder im Außenministerium ihn so hofieren, lässt mich Düsteres ahnen.“ Jetzt war sie wieder die Gloria, die für ihre Freunde durchs Feuer ging. Umsichtig, besorgt. „Du kannst ein Abenteuer mit ihm haben … aber nicht mehr.“

„Und das sagst ausgerechnet du?“, versetzte Victoria, die noch verletzt war von Glorias ersten Äußerungen und an der noch immer die Eifersucht nagte.

„Ja. Ich sage das. Weil ich mehr weiß von den Männern als du. Weil ich sie kenne. Er ist der Raubtier-Typ. Wenn er etwas will, nimmt er es sich. Und wenn er genug hat, lässt er dich kommentarlos fallen, noch ehe du begreifst, was dich getroffen hat. Und das will ich nicht. Dafür bist du zu schade. Diese Sorte Mann braucht eine andere Sorte Frau.“

„Doch nicht etwa eine Tigerin wie dich?“ Victoria empfand eine merkwürdige Lust daran, das Brennen in ihrem Körper zu schüren. Die Dinge auf die Spitze zu treiben.

„Ja. Vielleicht. Aber für mich kommt er nicht infrage, weil er außerhalb aller Dinge steht. Ich nehme einen Marquis. Oder dessen Diener. Aber keinen Mann wie Whitby.“

Victoria sank in sich zusammen. Es fühlte sich an, als habe Gloria Whitby eine Teufelsfratze gemalt. Sie wollte ihn verteidigen, doch sie konnte es nicht. Mit welchem Argument denn? Wenn selbst Gloria solche Vorbehalte gegen ihn hegte … was konnte sie sich dann herausnehmen? Sie fand sich in einem Gefühlschaos wieder, das zwischen maßloser Enttäuschung und einem hohen Maß an Willen zur Rebellion schwankte. Gehörte zu einer modernen Frau nicht auch, dass sie sich den Mann erwählte, nach dem ihr Herz – und ihr Körper – strebten? Verlangte Liebe nicht, dass man Konventionen auch außer Acht zu lassen bereit war? Wenn aber jemand unkonventionell lebte und die Konsequenzen mit einer gewissen Nonchalance trug, so war es Gloria. Wäre sie, Victoria, überhaupt dazu in der Lage, die gesellschaftlichen und familiären Grenzen zu überschreiten?

Und noch ein anderer Zweifel überkam sie. Er wog schwerer, schmerzte mehr als alles andere: Wenn Whitby sie so hemmungslos an sich gezogen hatte – tat er dies vielleicht auch mit anderen Frauen? Es lag doch nahe, dass es eine grundlegende Eigenschaft dieses Mannes war, sich zu nehmen, was er begehrte. Sich von keinerlei Skrupeln limitieren zu lassen.

Gloria hatte ihre Zigarettenspitze wieder aufgenommen und lasziv in ihren Kirschmund geschoben. „Vic … du solltest ihn dir aus dem Kopf schlagen. Außerdem wird er bald wieder in dieses obskure Land gehen und keinen Gedanken mehr an dich verschwenden. Dein Ruf aber wird ruiniert sein, und du hast nicht mal die Möglichkeit, ins Kloster zu gehen.“

„Sehr lustig“, erwiderte Victoria bitter und schenkte sich ein Glas Sherry ein. „Und was ist mit dir? Du kümmerst dich doch auch nicht um Konventionen!“ Sie wusste, wie matt dieser Einwand klang, wenn sie ihn auch mit einem gewissen Nachdruck äußerte.

„Daaarling, mein Ruf ist bereits ruiniert. Außerdem bin ich so reich, dass ich es mir leisten kann, so zu leben.“

Klang dieser letzte Satz auch ungemein angeberisch, so wusste Victoria doch, dass ihre Freundin lediglich eine Tatsache feststellte. Gloria war von ihrer amerikanischen Mutter mit einem immensen Vermögen versehen worden, das ihr für alle Zeiten ein Auskommen sichern würde, das jeglicher Bescheidenheit Hohn sprach. Sie selbst hingegen hatte eine gewiss nicht karge Aussteuer zu erwarten und Zahlungen aus einem Fonds, den ihr Großvater für sie aus dem Erbe der verstorbenen Großmutter angelegt hatte, doch konnte sie diese Summen im Traum nicht mit Glorias Vermögen vergleichen. Würde sie einen gewissen Lebensstandard halten wollen, war sie gezwungen, einen Mann zu wählen, der ihr diesen aus seiner Kraft bieten konnte. Whitby aber, dessen war sie sich sicher, war dazu gewiss nicht imstande.

„Weißt du, Darling … wenn die erste Leidenschaft verflogen ist, erhält Geld plötzlich ein ganz unangemessenes Gewicht. Und wenn dann nicht genug davon vorhanden ist, verwelken deine Blütenträume ganz schnell. Zumal wir beide ziemlich verwöhnte Orchideen sind.“ Sie schenkte Victoria einen langen, abschätzenden Blick. „Nun ja … du bist eher eine Rose.“

Sie atmete tief durch, denn bei diesen Überlegungen fühlte sich Victoria weniger wie eine Rose, als vielmehr wie ein zertrampeltes Gänseblümchen.

Gloria hatte gewiss mit allem Recht, was sie gesagt hatte, aber wo sollte sie dann mit all ihrer Sehnsucht, all ihrer Leidenschaft für Whitby hin? Warum war kein anderer Mann dazu imstande, all jene Gefühle in ihr auszulösen, wie er es so problemlos konnte?

„Ich fürchte, Darling …“, und wieder traf sie ein langer Blick aus tiefliegenden Augen, „… du wirst etwas ganz Schreckliches tun, was deine Familie in tiefstes Elend stürzen wird.“ Sie sagte das ohne jedes Amusement. Es war eine ruhige, sachliche Feststellung, ähnlich jener einer Wahrsagerin, die nur weitergibt, was sie in den Karten gesehen hat.

„Das ist doch Mumpitz, Gloria. Und das weißt du auch.“

Ihre Freundin erhob sich plötzlich. „Ja. Gewiss. Wärest du jetzt so lieb, deinen famosen Butler zu informieren, dass ich gehen möchte?“

Gloria hatte entschieden, dass das Thema Whitby nichts mehr hergab und ein anderes nicht im Raum stand, das ihre weitere Anwesenheit gelohnt hätte.

Gemeinsam gingen die Freundinnen die breite Treppe in die Halle hinunter, wo eine Zofe bereits Glorias seidenen Umhang bereithielt.

„Wir sehen uns bei der Soiree?“, wollte Victoria zum Abschied wissen.

„Oh ja. Gewiss doch. Es wird mit Sicherheit ein ganz … außergewöhnlicher Abend werden …“

Gloria warf den angenähten Schal mit großer Geste über ihre Schulter, und Victoria zog es vor, die Äußerung unkommentiert zu lassen.

Kapitel 6

Das Haus, in dem Victorias Familie lebte, war winzig, verglichen mit dem Stadthaus von Frederic, ihrem Onkel väterlicherseits und derzeitigem Träger des Familientitels. Für die Soiree hatte ihr Vater den großen Ballsaal von Lexington House von seinem Bruder zur Verfügung gestellt bekommen, denn er bot einen mehr als nur passenden Rahmen für eines der großen gesellschaftlichen Ereignisse dieser Saison. Ihr Onkel hatte sich mehr als generös gezeigt, indem er auch noch sämtliches Personal, die Blumenarrangements sowie die Küche seines Hauses beisteuerte.

Victoria wusste, warum jeder Termin, sei er auch im Normalfall noch so unbedeutend, zu einem Großereignis aufgeblasen wurde. Wenn man eine wenig attraktive Ware anzubieten hat, muss man sich nun mal mit ihrer Präsentation umso mehr Mühe geben. Da dies natürlich auch allen infrage kommenden Bewerbern um ihre Hand bekannt war, führte dazu, dass Victoria keinerlei Freude mehr bei solch einem Anlass empfinden konnte. Und auch jetzt stand sie neben ihren Eltern und nahm die schier endlose Schar an eintreffenden Gästen in Empfang, schüttelte zahllose Hände, tauschte belanglose Nettigkeiten aus und hielt doch aus dem Augenwinkel nur jenen Bereich der gewaltigen Halle zu ihren Füßen im Blick, wo Whitby auftauchen musste.

Zusätzlich erschwert wurde die Begrüßungscour durch etwas, das ihre Mutter sich unpassenderweise angewöhnt hatte: Bei jedem ankommenden männlichen Gast, der ihr für die Hand ihrer Tochter angemessen erschien, drückte sie in Victorias Richtung kurz die Augen zu, um ihr so zu bedeuten, sich eben jenen jungen Herrn genauer zu betrachten. Victoria fühlte sich dabei mehr als nur unwohl. Sie fühlte sich in die Ecke gedrängt. Es fiel ihr ungeheuer schwer, dem Drang zu flüchten nicht nachzugeben. Einzig die Aussicht, dann Whitbys Ankunft zu verpassen, hielt sie zurück. Was aber, wenn er gar nicht kam? Wenn er es vorgezogen hatte, eine andere Einladung anzunehmen oder gar zu Hause zu bleiben? Vor ihrem inneren Auge sah sie ihn im Salon einer attraktiven Frau. Beide in engster Umarmung auf einer Couch. Halb liegend, sich mit wilden, leidenschaftlichen Küssen überziehend. Sie sah die Beule in seiner Hose. Ahnte seine Gier nach dem Körper der anderen.

Victoria wurde schlecht. Sie fühlte das Blut in ihren Adern stocken. Ihr Magen rebellierte, und sie fragte sich, wie lange sie sich noch würde hier aufrecht halten und Hände schütteln können. Nie zuvor in ihrem Leben hatte allein der Gedanke an einen Mann eine solch heftige körperliche Reaktion in ihr ausgelöst. Die reine Fantasie, durch nichts belegt, genügte, um sie völlig aus der Fassung zu bringen. Sie litt wie ein Hund und spürte schon wenige Atemzüge später nicht einmal mehr ihren Körper. Es fühlte sich an, als habe man ihre Existenz ausgelöscht und als existiere nur noch diese verzweifelte Sehnsucht nach Whitby.

Und dann sah sie ihn, wie er durch die weit geöffnete Tür trat. Seine Schritte waren langsam, wie die eines Wolfs auf der Jagd. Selbst aus dieser Distanz vermochte Victoria jede seiner Regungen zu erkennen. Es schien ihr, als wären es ihre eigenen. Als sei dort eine Spiegelung, ein Teil ihrer Selbst eingetreten. Sogar, dass er jetzt das Gesicht zu ihr hob, hatte sie vorher gewusst und sich dem nächsten Gast zugewendet. Er durfte auf keinen Fall bemerken, dass sie so sehr auf ihn gewartet hatte. Durfte die Röte nicht sehen, die in ihr Gesicht schoss.

„Ist alles in Ordnung mit dir?“, fragte plötzlich ihre Mutter besorgt, der die Veränderungen an ihrer Tochter nicht entgangen waren.

„Ja. Alles bestens, Mama.“ Victoria betonte die letzte Silbe, so wie sie es von klein auf gelernt hatte.

Ihre Mutter nickte kurz und schüttelte die nächste Hand.

Es war sein Schemen, der die Treppe hinaufglitt. Einer unter vielen. Und doch der einzige, der sie interessierte. Ja, es war sogar so, als sei der ganze Ball überhaupt nur für ihn arrangiert worden. Damit er herkommen und sie treffen konnte.

Whitby kam immer näher. Und das Zittern in ihren Beinen wurde immer stärker. Victoria fühlte ihn körperlich mit einer solchen Intensität, dass sie fürchtete, den Verstand zu verlieren.

Er gab ihrem Vater die Hand. Ihrer Mutter. Sagte kein Wort. Und dann stand er vor ihr. Seine Augen bohrten sich in die ihren. Schienen immer tiefer in sie einzudringen. Seine Blicke hatten Widerhaken, die sich in ihr Herz und ihren Verstand klammerten.

Victoria bemerkte kaum die Unruhe, die hinter ihm aufkam, weil er nicht weiterging. Ihre Eltern, die zu ihr hinsahen. Die Hand ihrer Mutter, die erst eine widerborstige Strähne zurück ins übrige Haar schob und sich dann sanft auf ihren Oberarm legte.

„Lord Rathhurst möchte dich begrüßen, Liebes“, sagte sie ruhig.

Whitby irritierte das nicht. Er ignorierte alles und jeden. Wie ein Kaiser stand er vor ihr und degradierte alle anderen zu Fußvolk.

„Ich danke Ihnen für Ihr Kommen, Major Whitby. Ich hoffe, Sie werden das Fest genießen.“ Mehr vermochte sie nicht zu sagen.

Er nickte knapp und ging weiter.

Kurz darauf war auch der letzte Gast begrüßt, und sie gingen in den großen Ballsaal, wo bereits der Pianist am Konzertflügel wartete. Flankiert von ihren Eltern nahm Victoria in der ersten Reihe Platz. Eine korpulente Sängerin mit einem baldachingroßen Fächer trat auf und gab ein Potpourri der beliebtesten Opern-Arien zum Besten. Gewiss waren ihr Auftritt, ihr Habitus und auch ihre Stimme aufsehenerregend. Aber Victoria spürte nur Whitbys Blicke in ihrem Rücken, denn dass er sie ansah, daran hatte sie nicht den geringsten Zweifel.

Dass der Auftritt beendet war, bemerkte Victoria erst, als sich alle Hände zu einem heftigen Applaus erhoben, und mit einer gewissen Verzögerung stimmte auch sie in den Beifall ein. Man erhob sich und begab sich an das Büfett, welches in einem Nebenzimmer aufgebaut worden war. An einzelnen Tischen sitzend versanken bald alle Gäste in angeregten Gesprächen, für die die Sängerin ausreichend Stoff geliefert hatte.

Allein Victoria blieb es überlassen, quer durch den Raum zu blicken, hin zu Whitby, den man an einen weit entfernten Tisch gesetzt hatte, als äußeres Zeichen für die Unwichtigkeit seiner Person. Dennoch schien ihn das nicht im Geringsten zu stören. Entgegen ihrer Erwartungen sah sie ihn nämlich in eine offensichtlich lebhafte Unterhaltung mit seiner durchaus attraktiven Tischdame vertieft. Jedes Lachen von Whitby, jedes amüsierte Kopfschütteln seinerseits auf eine wohl kecke Bemerkung der Dame hin, bedeutete einen glühenden Stich in Victorias Brust. Sie vergaß zu essen. Nahm nur immer wieder vom nachgeschenkten Wein und spürte kaum, wie sich Zorn und Wut durch den dichter werdenden Nebel in ihrem Kopf emporgruben.

„Hast du von dem Lachs gekostet, mein Schatz?“, fragte ihr Vater, dem offensichtlich nicht entgangen war, dass seine Tochter dem Wein etwas zu deutlich zusprach, doch Victoria schüttelte nur den Kopf, als gelte es, eine lästige Fliege zu verscheuchen.

All ihre Aufmerksamkeit galt Whitby, zu dem die Dame in dem dunkellila Kleid immer näher hinzurücken schien. Oder er ihr? Was machte das für einen Unterschied? Das Ergebnis war das Gleiche. Mittlerweile steckten die beiden ihre Köpfe kichernd zusammen wie zwei konspirierende Schüler.

Und wie diese Frau beim Lachen den Kopf in den Nacken warf! Hatte sie kein Benehmen? Zudem war das kesse Blinzeln ihrem Alter vollkommen unangemessen, wie Victoria befand.

Und dann erhob sich die Dame. Sie wisperte Whitby etwas zu und verließ den Tisch.

Victoria erstarrte. Ihre Hand mit dem halbvollen Glas schwebte in der Luft.

Sie sah nur noch das aufreizende Hinternwackeln, mit dem diese Frau den Saal verließ. Glühende Hitze schoss in ihre Wangen. Kühler Wein tropfte auf ihre zitternde Hand. Ihr Magen drehte sich und alles im Raum schien sich zu verzerren, als sich auch Whitby plötzlich erhob, die Serviette neben seinen Teller legte und ohne einen Gruß ebenfalls hinausging – begleitet von den perplexen Blicken seiner Tischnachbarn, denen das provokante Verhalten nicht entgangen war.

Eine Klaue legte sich um Victorias Kehle. Ihr Verstand setzte aus. Mit einem Mal bestand sie nur noch aus wilder Rage, die jeden Moment in Raserei umschlagen konnte. Sie stellte das Glas wuchtiger ab als beabsichtigt. Die beiden leeren Plätze anstarrend, focht sie mit sich selbst einen furchtbaren Kampf aus. Ihr erster Impuls befahl ihr, aufzuspringen und den beiden zu folgen. Der zweite aber ließ sie an ihre Eltern und die Gäste denken, denn dass sie nicht mehr ganz sicher auf den Beinen sein würde, wusste sie instinktiv. Sollte er doch tun und lassen, was ihm gefiel! Sie würde sitzen bleiben. Das war ihr Fest, und er war es nicht wert, dass sie sich selbst und alle anderen brüskierte. Er war ein Windhund. Ein Ärgernis in jedem anständigen Salon. Ja, es war ja überhaupt nur ihrem Vater und seinen Vorgesetzten zu danken, dass die Mutter diesen Menschen empfangen hatte.

Ihre Stirn brannte, und sie nahm noch einen Schluck in der Absicht, die Hitze in ihren Adern zu kühlen. Das Blut zurückzudrängen, das so machtvoll bis in ihren Kopf wallte. Sollte er dieses Frauenzimmer doch ebenso küssen, wie er sie geküsst hatte. Offensichtlich nahm er ja jede sich bietende Gelegenheit wahr. Dass sie sich nicht geschämt hatte, solch leichte Beute zu sein! Wahrscheinlich – wer konnte es wissen – war diese Frau sowieso der Demimonde entstiegen. Dann hatten sich die beiden ja verdient.

Victoria hingegen war anständig und würde ihn bei nächster sich bietender Gelegenheit entschieden in seine Schranken weisen. Wenn nötig, auch mit der Hand in seinem Gesicht!

Im nächsten Moment sprang Victoria auf. Ihre Serviette rutschte zu Boden. Doch sie hob sie nicht auf, sondern stürmte durch die Tischreihen auf die Tür zu, durch die Whitby kurz zuvor gegangen war. Oh ja! Sie würde ihm die Meinung sagen. Und zwar jetzt! Auf der Stelle! Ihm sagen, dass er nie mehr wagen solle, auch nur in ihre Nähe zu kommen. Dass eine Frau ihrer Position sich eine solche Beleidigung nicht gefallen ließe! Jetzt galt es, ihm zu zeigen, mit wem er es sich hier verscherzt hatte. Und die Gelegenheit, einem solchen Kerl eine Lektion zu erteilen, durfte man nicht verstreichen lassen.

Hatte der leere Saal, in den sie nun trat – lediglich ein schlummernder Diener saß zusammengesackt auf einem Stuhl in einer hinteren Ecke –, sie auch im ersten Moment innehalten lassen, so weckte ein unterdrücktes Kichern augenblicklich wieder ihre Sinne. Und ihren Kampfgeist! Ihr Herz pochte bis in ihre Ohren, vor lauter Angst, was sie gleich zu sehen bekommen würde. Aber sie war eine Kämpferin. Die würdige Enkelin ihres in zahllosen Schlachten siegreichen Großvaters.

„Aber nein … nicht doch …“, hörte sie eine kichernde Frauenstimme, und ihr Magen wurde zu einer glühenden Kugel.

Da standen sie! Die Demimonde an eine Säule geschmiegt, Whitby ihr gegenüber, eine Hand neben ihrem Kopf gegen den Marmor gestemmt. Victoria rang um Fassung und um Worte. Hatte sie sich doch leider nicht eine Silbe zurechtgelegt, die sie jetzt sagen konnte. Etwas Scharfes. Prägnantes. Ein knapper Satz, der ihnen das Grinsen aus den Gesichtern schlagen würde!

„Major Whitby … auf ein Wort!“ Mehr fiel ihr nicht ein. Ein Allerweltssatz aus dem Fundus ihres Vaters.

Die Demimonde sah sie irritiert an. Die Störung war offensichtlich ebenso unerwartet wie unwillkommen. Doch Victoria blieb steif stehen – soweit ihre wackeligen Knie dies zuließen – und blickte Whitby kalt an.

„Sie entschuldigen mich“, gab die Dame gepresst von sich, warf ihre Schleppe nach hinten und rauschte davon.

Whitby aber nahm ungerührt eine Zigarette aus einem silbernen Etui und zündete sie an. Er schwieg. Und jenes Schweigen war schlimmer als alles, was er in diesem Moment hätte zu Victoria sagen können. Sie fühlte sich schrumpfen. Allein ihr Zorn führte dazu, dass sie nicht schluchzend wie ein Kind zusammenbrach.

Sein Blick, umwölkt vom Rauch seiner Zigarette, nahm einen abwartenden, beinahe gelangweilten Ausdruck an. Als sie noch immer kein Wort herausbrachte, sagte er ruhig: „Nun?“

„Wer war die?“, fragte Victoria mit kaum unterdrücktem Hass.

„Die?“, echote Whitby. „Es sind deine Gäste. Du solltest sie ja wohl kennen.“

„Hör auf, so überheblich zu sein“, herrschte sie ihn an.

„Bist du eifersüchtig?“

Die freche Überlegenheit in seinen Worten ließ Victoria explodieren. „Eifersüchtig? Auf so eine? Pah! Aber ihr passt sicher wunderbar zusammen.“

Whitby nickte grinsend und schnippte Asche auf den Marmorboden. „Bilde dir nichts ein! Du bist weder meine Mutter noch meine Geliebte. Wobei es ein Leichtes für mich wäre …“ Ohne die Zigarette fallen zu lassen, packte er Victoria und stemmte sie rabiat gegen die Säule, an der kurz zuvor noch die andere Frau gelehnt hatte. Der plötzliche Druck in ihrem Rücken stemmte die Luft aus ihren Lungen. „… dich dazu zu machen!“

Sein Gesicht war genau vor ihrem. Sie roch den Tabak, dessen Geruch von seinen Lippen strömte. Sah das Braun seiner Augen mit den kleinen schwärzlichen Sprenkeln. Ihre Brust hob und senkte sich so schwer und unregelmäßig, dass sie fürchtete, in ein endloses Loch zu stürzen.

„Das willst du doch! Deswegen bist du hergekommen!“ Seine Lippen pressten sich mit solcher Wucht auf die ihren, dass sie spürte, wie Blut in feinen Bahnen in ihren Mund floss. Seine Zunge tastete augenblicklich jene Stellen ab, und sie bemerkte mit äußerster Bestürzung, dass er begonnen hat, eben jenes Blut abzulecken. Sie öffnete ihre Lippen soweit sie nur konnte. Zitternd gab sie sich seiner Hand hin, die ihren Rock anhob und mit suchenden, streichelnden, besitzergreifenden Fingern ihre Schenkel hinaufglitt. Peinlich berührt registrierte sie wieder jene Nässe, die sich jedes Mal bildete, wenn sie auch nur an ihn dachte, und die noch heftiger strömte, jetzt, da er ihr so nah war. Sie derart eroberte.

Etwas in ihr wollte sich zur Wehr setzen. Sorgte wohl auch dafür, dass Victoria ihn wegzudrücken suchte. Doch Whitby ließ es nicht zu. Seine Fingerkuppen bohrten sich in ihr Fleisch, kniffen und kneteten bis zu ihrem Hintern.

Erst als seine Hand nach vorn zu gleiten begann, in die Nähe ihres Venushügels kam, da siegte ihr Zorn, und sie schlug ihn mit flacher Hand mitten ins Gesicht. Unerwartet, wie ihn dieser Schlag getroffen hatte, zog er sich für einen Moment von ihr zurück. Gerade lange genug, dass es Victoria gelang, an ihm vorbeizuschlüpfen und rennend, den langen Rock bis über die Knie gerafft, das Weite zu suchen.

Die einzige Tür, die in Reichweite war, riss sie auf und stürmte weiter. Blind vor Furcht. Fluchend kickte sie ihre Schuhe von sich, die sie nur am Rennen hinderten, denn an seinen Schritten hörte sie, dass er ihr dicht auf den Fersen war. Das Ausziehen der Schuhe hatte sie wertvolle Sekunden gekostet, die sie nur dadurch wiedergutmachen konnte, dass sie die Tür hinter sich zuschlug und nach wenigen weiteren Schritten … im Garten landete.

Fackeln erhellten das große Rasenparterre mit den Blumenbosketten an den Seiten. Hier würde sie ihm nicht entkommen. Sie musste sich in die Dunkelheit der gewaltigen Pappeln und Buchshecken schlagen. Es war das Labyrinth, welches schließlich Schutz vor den immer näher kommenden Schritten versprach. Die Füße vom Kies aufgeschürft, die Arme zerkratzt, warf sich Victoria durch die dichte Hecke und sackte dort zu Boden.

Ging ihr Atem wirklich so laut und heftig? Musste ihr Körper ein solcher Verräter sein? Victoria schloss die Augen und umschlang die angezogenen Knie mit beiden Armen. Sie versuchte, ihren Atem zu kontrollieren, indem sie ihr Kinn gegen ihre Brust drückte.

Das Knirschen jenseits ihres Schutzraums verriet ihr, dass er suchend hin und her ging. Er bräuchte jetzt nur noch einen Arm durch das dichte Grün zu strecken, und schon würde er sie packen können.

„Komm her, du kleine Teufelin!“, zischte er, und seine Stimme löste Lavaströme in ihren Adern aus.

„Wo versteckst du dich?“

Victoria biss in ihren Unterarm. Und dann … sie wusste nicht, wie er es gemacht hatte … stand er vor ihr. Sie starrte zu ihm empor. Seine wilden Blicke oszillierten über ihr Gesicht.

„Du provozierst mich und denkst, es bleibt ungesühnt?“, herrschte er sie an.

Schreckensstarr wagte sie keinen Mucks.

„Steh auf!“

Seine kalte Stimme, die in solch ungewohntem Kommandoton mit ihr sprach, verdeckte nur schwer jene innere Erregung, die sich in seinen glänzenden Augen machtvoll Ausdruck verschaffte. Wie hypnotisiert erhob Victoria sich in der irrigen Annahme, er würde sie ins Haus zurückgehen lassen. Doch es geschah noch etwas anderes in ihr: Die Art, wie er sie ansah … wie er sprach … löste nicht nur eine beinahe ängstliche Starre in ihr aus, sondern auch eine machtvolle Gier. Eine Sehnsucht nach Unterwerfung.

Seine Augen wanderten langsam von ihrem Gesicht abwärts. Die Langsamkeit, mit der dies geschah, intensivierte die Anspannung in Victoria. Ihre Zunge befeuchtete ihre Lippen. Als sein Blick auf Höhe ihrer Scham ruhte, war dies so herausfordernd, dass sie nur schwer dem Impuls widerstehen konnte, mit beiden Händen eben jene Stelle zu bedecken. Ja, sie fühlte sich, als stünde sie vollkommen nackt vor ihm.

Langsam erhob er seine Hände, legte sie an ihren Ausschnitt. Seine Finger umfassten den leichten, fließenden Stoff und rissen ihn mit einem Ruck auseinander. Mit einem scheinbar ohrenbetäubenden Krachen gab der Stoff nach, und da Whitby auch ihre Unterwäsche ergriffen gehabt hatte, stand sie nun tatsächlich fast entblößt vor ihm. Ihre Brüste bebten, und ihre Nippel verhärteten sich augenblicklich. Der kühle Nachtwind tat sein Übriges dazu, dass Victoria jetzt, mit harten Brustwarzen, die Reste des Kleids an ihren Armen herabfließend, mit wild pochendem Herzen vor ihm stand. Lediglich das sanfte Gekräusel ihres Schamhaars war noch verborgen.

„Du wirst keine Wäsche mehr tragen!“, herrschte er sie kalt an und zerfetzte sodann ihr Höschen.

Victorias Atem stockte. Sie hörte nichts mehr als das Rauschen ihres Blutes in ihren Ohren. Die Welt schien ausgelöscht, und Victoria existierte nur noch, weil er es so wollte. Mit leicht geöffneten Lippen sah sie ihn an, ähnlich einem Reh, das in den Lauf eines Gewehrs blickt und das nahende Ende ahnt.

Als Whitby sich vorbeugte, seine Lippen öffnete und sie dann um ihren linken Nippel schloss, glaubte sie, augenblicklich in Ohnmacht fallen zu müssen. Umso brutaler erfasste sie der scharfe Schmerz, als er zubiss. Gewiss war es nicht allzu fest, und er hatte ihr mit Sicherheit auch nicht allzu weh tun wollen, doch das Unerwartete seiner Handlung ließ sie aufschreien. Herausforderung oder Strafe – sie wusste es nicht, aber im nächsten Moment stieß er seinen Finger zwischen ihre Schamlippen. Sie öffnete sich sofort seinen erobernden Fingern. Dem Tasten und Reiben. Als ihr aber klar wurde, dass es wesentlich erregender war, wenn sie ihren Unterleib um seine Hand anspannte, folgte sie dieser Erkenntnis.

Whitby schien hundert Hände und hundert Lippen zu haben. Er knabberte und leckte ihren Nippel, während er mit der einen Hand ihr Innerstes erkundete und mit der anderen die freie Brust knetete und massierte.

Ihr Körper war für ihn geschaffen worden. Und nur für ihn.

Als er seine Finger rhythmisch in ihre Möse zu stoßen begann, konnte sie ein Stöhnen nicht mehr unterdrücken. Instinktiv bewegte sie ihren Unterleib vor und zurück, um Whitby noch mehr zu spüren. Alles in ihr spannte sich an, bäumte sich einem Gefühl entgegen, das jenes, als sie sich selbst befriedigt hatte, wie einen Windhauch erscheinen ließ, verglichen mit jenem Orkan, den er in ihr auszulösen ansetzte.

„Halt still!“, knurrte er, und sie gehorchte sofort.

Im nächsten Moment aber drehte er sie um. Victoria bebte in hitziger Erwartung, als ein heftiger Schlag ihren Hintern traf. Sie keuchte auf. Das Brennen breitete sich über ihre beiden Pobacken aus.

„Knie dich hin!“

Victoria tat, was er befahl, ängstlich darauf bedacht, nicht noch einen Schlag zu bekommen.

„Beine weiter auseinander!“

Die kühle Nachtluft strich über ihre weit geöffneten nassen Schamlippen, die seinen Blicken schamlos dargeboten waren. Whitby kauerte sich hinter Victoria. Beide Hände auf ihre Pobacken gelegt, zog er sie auseinander, bis sie glaubte, zerreißen zu müssen. Sie stemmte ihre Hände in den scharfen Kies unter sich und spürte bald den darunter befindlichen Staub, der unter ihre Nägel drang.

„Du hast wundervolle Löcher, meine kleine Hure“, sagte er mit gepresster Stimme, und Victoria wusste, dass auch er gegen die wilde Lust ankämpfte, die von ihm Besitz ergriffen hatte. Seine derben Worte schockierten und erregten sie gleichermaßen. Sie waren nur äußerlich in verschiedenen Positionen. In Wahrheit folgten sie aber beide jenen Regeln, die die Gier ihnen auferlegte. Und jetzt stieß er nicht nur einen Finger in ihre Öffnung, sondern – zumindest schien es ihr so – seine ganze Hand.

Victoria kippte nach vorn und hatte Mühe, aufrecht zu bleiben. Doch seine freie Hand krallte sich in ihren Nacken und hielt sie so in Position, während er seine Finger mit unglaublicher Härte in sie stieß. Sie presste die Augen zusammen, um den tumultartigen Gefühlen etwas entgegenzusetzen, die sie mit schier unglaublicher Macht überrollten. Ihre Entjungferung hatte sie sich immer ganz anders vorgestellt, zwischen seidenen Laken und mit zärtlicher Romantik, doch nun spürte sie, dass Whitbys raue Leidenschaft ihr genau das gab, wonach sie sich wirklich verzehrte. Ihr ganzer Körper wurde von seinen Bewegungen gerüttelt. Ihre Brüste wippten unter ihr, schwer und prall, mit steil aufgerichteten Nippeln.

Details

Seiten
ISBN (ePUB)
9783752125603
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2020 (Dezember)
Schlagworte
Arabien Exotik Abenteuer London Romance Erotik

Autor

  • Cassandra Norton (Autor:in)

Cassandra Norton ist der Künstlername von Petra von Straks. Geboren in Mannheim, wuchs sie in Hockenheim auf. Sie studierte Germanistik und Politikwissenschaft, sowie Neuere Geschichte an der Universität Mannheim. Bereits seit fast 20 Jahren veröffentlicht Norton im Bereich (historische) Erotik. Der Durchbruch gelang ihr unter dem Pseudonym "Helen Carter" mit der inzwischen fünf Bände umfassende "Anwaltshure"- Reihe, die den so genannten "Weltbild- Skandal" ausgelöst hat.
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Titel: Gefangene des Scheich