»Man, du hast ja einen Hunger«, sagt Danny und grinst mich an. Er hat mir das Du angeboten. Das sei entspannter, meint er. Entspannt bin ich nicht gerade. Aber ich bin froh, ihn zu sehen. Froh darüber, den Weg zum Block House geschafft zu haben, das zum Glück nicht weit weg vom Agenturbüro liegt. Und froh darüber, den vielleicht wichtigsten Neukunden von Breitenschwerdt noch nicht endgültig verloren zu haben.
Gott sei Dank habe ich Danny auf dem Handy erreicht. Er saß schon im Auto, war auf dem Weg nach Hause und ist extra noch mal zurückgefahren. Hat er mir jedenfalls erzählt.
Denn eines sollte ich nie vergessen: Dass dieser unverschämt gutaussehende Kerl ein Pick-up-Artist ist, ein Meister der Manipulation. Jemand, der es versteht, Menschen in eine bestimmte Richtung zu lenken. Und zwar in seine.
»Habe heute noch nichts gegessen«, sage ich, während ich mein Steak im Rekordtempo verdrücke.
Inzwischen ist es 11 Uhr und damit fast Mittagszeit. Habe ich erwähnt, dass ich bei Steak schwach werde? Ich esse kaum Fleisch, aber bei einem guten T-Bone, Rib-Eye oder Entrecôte kommt der Fleischfresser durch. Besonders dann, wenn dieser Fleischfresser einen Hungerast hat und deswegen vor den eigenen Kollegen umfällt.
Na gut, nicht nur deswegen. Ein gewisser Pick-up-Artist, der mich bis zur Weißglut treiben kann, hat auch seinen Anteil daran.
»Stimmt die Story eigentlich?«, frage ich ihn. Mein Ärger ist zurück. Denn auch wenn wir beide jetzt an einem Tisch sitzen, auch wenn Danny einer der bedeutendsten Kunden von Breitenschwerdt ist: So einfach kommt er mir nicht davon. Ich möchte keinen Zweifel daran aufkommen lassen, was ich von ihm und seinen faulen Tricks halte. Erst recht nicht, wenn er mich zwingt, allein mit ihm zusammenzuarbeiten.
»Welche Story?«
»Dass du extra wegen mir noch mal umgekehrt bist. Und überhaupt: Was soll dieser ganze Aufriss hier mit dem Restaurant? Warum haben wir uns nicht einfach wie vereinbart in der Agentur getroffen?«
Ich erwarte, dass er sich verteidigt. Oder irgendeinen dummen Spruch macht, während ich ihm kauend gegenübersitze.
»Glaube, was du willst. Fakt ist, dass ich mich ungern in sterilen Meetingräumen aufhalte. Und ich sitze ja nun offensichtlich hier mit dir, oder?«
»Ähm … schätze, ja?«
Ich schiebe mir das letzte Stück Steak in den Mund. Endlich fühle ich mich wieder wie ein Mensch. Jetzt ist es an der Zeit, Klartext zu reden.
»Aber ich möchte hier mal eins klarstellen, Danny Smith: Ich bin keines dieser dummen Mädchen, die auf deine Tricks hereinfallen. Und schon gar nicht lasse ich mit mir spielen, Job hin oder her.«
Er grinst mich an und nimmt einen großzügigen Schluck aus seinem Wasserglas, das vor ihm steht.
»Schön, Zoe Cooper, dann lass mich auch mal etwas klarstellen: Mir geht es hier um Professionalität. Und dazu gehört für mich auch, dass ich demjenigen voll und ganz vertrauen kann, den ich ins Innerste meiner Geschäftstätigkeiten blicken lasse. Weißt du, wie viel Schindluder in Agenturen getrieben wird? Wie schnell dort Unterlagen verschlampt werden? Ich habe mir im Vorhinein sehr gut überlegt, wen ich beauftrage. Breitenschwerdt genießt einen exzellenten Ruf als Agentur. Als eine, die ihr Qualitätsversprechen hält. Und als ich dich zum ersten Mal traf, da wusste ich, dass du dieses Qualitätsversprechen atmest. Dass du integer bist.«
Das schlechte Gewissen überfällt mich. Wie ein heimtückischer Wegelagerer, der hinter einem Baum auf mich gelauert hat. Habe ich Danny falsch eingeschätzt? Habe ich den Fehler begangen, von seinen Geschäften auf ihn als Menschen zu schließen?
»Und deswegen wolltest du dich hier mit mir treffen?«
Er blickt für einige Sekunden schweigend auf sein Wasserglas. Dann sagt er: »Es wird dich womöglich in deinem Weltbild erschüttern, aber Pick-up-Artists können auch aufrichtig sein.«
Er grinst mich auf diese spitzbübische Art an. Hat was.
»Sag bloß.«
»Ja, das soll es geben.«
»Na von mir aus. Auch wenn ich schwer nachvollziehen kann, warum dieses Business bei dir läuft. Denn so umwerfend bist du nicht«, sage ich und bin gespannt, wie er auf meine freche Bemerkung reagiert.
»Und ich dachte schon, meine weibliche Begleitung wäre beim letzten Enrique-Iglesias-Konzert wegen mir umgefallen.«
»Da muss ich dich enttäuschen«, witzle ich. »War wohl doch eher wegen Enrique.«
»Welch Schmach! Mal ehrlich, was hat der, was ich nicht habe?«
Wir lachen. Wenn das so weitergeht, verschlucke ich mich noch an meinem Orangensaft, den ich in mir aufsauge wie ein verdurstender Wüstenwanderer Wasser aus der Oase. Der Hunger ist gestillt, jetzt meldet sich der Durst.
»Tja, ich weiß nicht, was Enrique von dir unterscheidet. Aber wenn ich raten müsste, würde ich sagen: Charme? Gutes Aussehen? Eine tolle Stimme?«
»Du hast mich noch nicht singen hören«, erwidert Danny und bringt mich schon wieder zum Schmunzeln. Ich hätte nicht gedacht, dass er so locker Späße über sich selbst mitmachen kann.
»Ich bin mir nicht sicher, ob ich dich singen hören will.«
Ich nehme mir einen Moment Zeit, um Danny zu mustern. Seine kräftigen dunkelblonden Haare. Das schicke Hemd in der Farbe eines klaren Bergsees, das perfekt zu seinen stahlblauen Augen passt. Die Andeutung eines Tattoos an seinem Hals. Man kann nicht sagen, dass er unattraktiv wäre. Während ich meinen Blick schweifen lasse und Danny seinen Salat isst, heften sich meine Augen an ein Detail: einen Silberring an seinem kleinen Finger. Er bemerkt, wie ich den Ring anstarre.
»Keine Angst, ich bin nicht verlobt.«
»Wäre ja auch der falsche Finger.«
»Eben. Ist ein Andenken.«
»Woran?«, frage ich.
»Nun, das würde ich gern für mich behalten. Lass uns lieber über das Geschäft sprechen.«
Eben haben wir noch gewitzelt, doch jetzt wechselt Danny auf die sachliche Ebene. Es scheint ihm unangenehm zu sein, über den Ring zu sprechen. Was hat es damit auf sich? Hat er ihn von einer Verflossenen erhalten? Überhaupt würde mich interessieren, wie vielen Frauen dieser Schwerenöter schon das Herz gebrochen hat.
»Okay. Dann würde ich gern mehr über dein Geschäftsmodell wissen«, taste ich mich an das eigentliche Thema heran.
»Klar«, sagt er und wischt sich den Mund mit einer Serviette ab. »Was willst du denn wissen?«
Wie viele Frauen schon auf dich und deine Sprüche hereingefallen sind. Das brennt mir eigentlich unter den Nägeln. Aber ich will ihn nicht überfallen. Obwohl mein Ansatz mit frechen Bemerkungen bis jetzt ganz gut funktioniert hat.
»Zum Beispiel, ob du Frauen ein X für ein U vormachst, wie du es deinen Klienten rätst.«
Er lacht kurz auf, dann schüttelt er den Kopf.
»Ich glaube, du hast eine etwas abwegige Vorstellung davon, was Pick-up ist. Ich rate Männern und Frauen schließlich nicht dazu, andere Menschen zu manipulieren. Alles geschieht freiwillig.«
Hat Danny gerade auch von Frauen gesprochen?
»Ich kann das Fragezeichen über deinem Kopf förmlich sehen«, greift er meinen unausgesprochenen Gedanken auf. »Ja, auch Frauen sehnen sich danach, jemanden kennenzulernen.«
»Und du hilfst ihnen dabei. Wie nobel!«
Ich sagte ja, dass ich eine große Klappe habe.
»Nobel nicht unbedingt. Aber hilfreich. Frag die Leser meiner Bücher, die Zuschauer meiner Videos und die zahlreichen Klienten, denen ich im persönlichen Coaching weitergeholfen habe. Das soll keine Selbstbeweihräucherung sein, ich sage nur, dass meine Tipps schon vielen Menschen dabei geholfen haben, glücklich zu werden.«
»Indem sie andere damit ins Bett quasseln?«, frage ich.
Obwohl ich zugeben muss, dass es sich nicht gänzlich blödsinnig anhört, was Danny da erzählt. Aber ich darf mich nicht einlullen lassen. Im Grunde spielt meine eigene Meinung zu Pick-up und Danny Smith keine Rolle. Hier geht es ums Geschäft und deshalb sollte ich so schnell wie möglich wieder darauf besinnen. Bevor Danny es sich anders überlegt oder ich wieder umkippe. Oder beides.
»Pick-up ist doch keine Anleitung zum Aufreißen«, sagt er genervt. »Auch wenn viele das denken. Weißt du, wie oft ich mir diese Klischees und Vorurteile anhören muss?«
Ich möchte ein ironisches Mir kommen die Tränen nachschieben, kann mir den Spruch aber mit einem Biss auf die Unterlippe im letzten Moment noch verkneifen.
»Pick-up ist wie ein Hammer: Den kannst du benutzen, um einen Nagel in die Wand oder jemand anderem auf den Schädel zu schlagen. Ich gebe den Menschen Werkzeuge an die Hand, mit denen sie ihr Leben und nicht nur ihre Beziehungen verbessern können. Pick-up kann dich zu einem besseren Menschen machen. Oder, falsch angewendet, manipulieren und anderen schaden. Letztendlich müssen meine Klienten wissen, was sie tun.«
»Mit Flirttipps?«, frage ich eher neugierig als schnippisch.
»Gib mir mal deine Hand«, sagt er plötzlich.
Ist das einer von Dannys Tricks? Zögerlich strecke ich ihm meine linke Hand entgegen, die er sanft mit seinen beiden starken Pranken umfasst. Sie sind groß und geschmeidig. Gut gepflegte, kraftvolle Männerhände eben. Ehe ich etwas sagen kann, drückt er mit seinem kräftigen Daumen fest in die Mitte meiner Hand.
»Au! Was soll das! Spinnst du!?«, rufe ich in einem kurzen Schmerzensschrei auf. Doch Danny lächelt nur und lässt meine Hand los, die ich wie ein verletztes Tier zum Schutz zurückziehe. Ein Kellner und ein paar Gäste haben ihre Köpfe in unsere Richtung gedreht.
»Wo hast du den Schmerz gespürt?«
»Wo wohl? In der Hand natürlich!«
»Genau. Aber in Wahrheit ging das Signal zu deinem Rückenmark und zu deinem Schmerzzentrum im Gehirn. Innerhalb von Millisekunden wurde der Impuls über deine Nervenbahnen zu wichtigen Zentralen deines Körpers weiter- und wieder zurückgeleitet.«
»Und was soll mir das jetzt zeigen?«, frage ich genervt und reibe mir die Hand, obwohl sie schon lange nicht mehr wehtut. In der Hoffnung, Danny so ein schlechtes Gewissen zu machen. Aber das scheint ihn nicht zu beeindrucken.
»Dass alles mit allem verbunden ist. Und genauso sehe ich Pick-up auch. Wenn ich meinen Klienten beibringe, selbstbewusster auf Menschen zuzugehen, dann verändere ich nicht nur ihre Datingfähigkeiten. Ich verändere ihr Leben. Indem ich direkt am Schmerzpunkt ansetze.«
Mit dem Ende des letzten Satzes holt Danny ein kleines Notizbuch hervor. Er blättert es auf und schiebt es mir zu. Auf den Seiten stehen durcheinandergekritzelte Sätze. Mal mit blauer, mal mit schwarzer Tinte, mal mit Kuli und mal mit Füller. Ein Eintrag wurde sogar mit einem Textmarker verfasst.
Danke, Danny! Du hast mir dabei geholfen, meine Traumfrau kennenzulernen!
Ohne dich wäre ich heute noch todunglücklicher Single. Danke, man!
Mit deinen Tipps ist es mir endlich gelungen, den schnuckeligen Kerl in der U-Bahn anzusprechen, den ich jeden Tag auf dem Weg zur Arbeit sehe. Mit Erfolg! :)
Ich blättere weiter. Die Danksagungen nehmen kein Ende.
»Hast du die alle selbst geschrieben?«, frage ich, um meine stille Bewunderung zu verstecken.
»Dann würden die Huldigungen sehr viel überschwänglicher ausfallen.«
Ich muss schon wieder schmunzeln, obwohl ich mit Leibeskräften dagegen ankämpfe.
»Das sind alles echte Menschen, die mir ihr Feedback in dieses Buch schreiben. Ich trage es immer bei mir.«
»Um dich selbst daran aufzugeilen?«
»Nein«, sagt er völlig gelassen. So sehr ich Danny auch aus der Reserve locken möchte, er bleibt beherrscht. Eine Eigenschaft, die ich an Menschen bewundere. Vermutlich, weil sie mir selbst fehlt.
»Um mich jeden Tag daran zu erinnern, dass meine Arbeit einen Sinn hat. Diese Erinnerung brauche ich, wenn ich mal einen miesen Tag habe. Oder wenn die Presse schlecht über mich schreibt. Oder wenn ich viele Hasskommentare unter meinen Facebook-Postings lese.«
Danny Smith wird mir sympathisch. Eine Entwicklung, die ich heute früh noch nicht für möglich gehalten hätte. Beinahe beiläufig werfe ich einen Blick auf die Uhr hinter ihm. Und bekomme einen Schreck.