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Der vergessene Tod / Todesrauschen

Zwei Thriller in einem Band

von B. M. Ackermann (Autor:in)
720 Seiten

Zusammenfassung

+++ DOPPELBAND +++ "DER VERGESSENE TOD" ***Ein Mann ohne Erinnerungen an das schrecklichste Erlebnis seiner Kindheit. Ein unbekannter Feind, der dieses Geheimnis für seine mörderischen Pläne benötigt. Ein gefährliches Spiel beginnt. Die Frage: Wer wird am Ende als Sieger hervorgehen?*** Nach einer Messerattacke verliert der dreizehnjährige Nicolas alle Erinnerungen an sein bisheriges Leben. Auch 21 Jahre später kann Nicolas alias Nick Holsten sich weder an seine Kindheit erinnern, noch daran, was an jenem schicksalhaften Tag geschehen ist. Im Pausenhof einer Stuttgarter Schule findet er das Skelett eines Mädchens, das Zweite von Dreien, die vor über zwanzig Jahren ermordet wurden. Ein geheimnisvoller Mann beauftragt Nick, jemanden zu finden, der vor über zwei Jahrzehnten im Alter von dreizehn Jahren verschwand. Eine Frau tritt in Nicks Leben – Alexandra. Sie behauptet, ihn von früher zu kennen, verdreht ihm den Kopf, doch auch sie hütet ein Geheimnis. Bald sieht Nick sich in ein gefährliches Spiel verstrickt. Und er hat nur eine Chance, heil aus der Sache herauszukommen, er muss sich erinnern. ******************************************************* "TODESRAUSCHEN" »Ich weiß jetzt, was damals passiert ist. Bitte ruf mich an, bevor es zu spät ist!«, sind die letzten Worte, die Edward MacCarty an seinen Sohn Matt richtet. Danach bringt er sich um … Doch Matt glaubt nicht an einen Selbstmord, denn sein Vater war etwas auf der Spur. Etwas tödlichem, etwas geheimnisvollem, etwas, das ihn womöglich das Leben gekostet hat. Aber was ist damals passiert? Hat es mit den blutigen Bildern zu tun, mit dem Mord, an den Matt sich zwar erinnert, den er sich selbst gegenüber jedoch leugnet und immer wieder verdrängt? Und was ist mit seinem Freund Paul passiert? Matt muss die Geheimnisse lüften und folgt den Spuren seines Vaters. Doch er hat nicht viel Zeit, denn der unbekannte Mörder könnte noch immer auf der Suche sein, auf der Suche nach neuen Opfern in den Wäldern über der amerikanischen Kleinstadt Coldmont.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Titel

 

 

B. M. Ackermann

 

 

Der vergessene Tod

 

&

 

Todesrauschen

 

 

 

Zwei Thriller in einem Band

 

 

B. M. Ackermann

 

 

Der Vergessene Tod

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Thriller

 

 

 

 

 

 

 

 

Handlung und Personen sind frei erfunden. Eine Ähnlichkeit mit lebenden oder verstorbenen Personen wäre rein zufällig und nicht beabsichtigt.

Prolog - Oktober 1991

 

Ich hetzte durch einen schmalen Gang. An der Decke hingen Lampen, deren Licht den Weg vor mir kaum erhellte. Die Wände waren mit Moos überwuchert, sie schienen immer näher zusammenzurücken. Hinter mir hallten Schritte. Schnelle Schritte. Jemand war mir dicht auf den Fersen. Ich sah mich um, da war niemand.

Die Schmerzen in meinem Brustkorb pochten stärker. Mein Herz klopfte mit ihnen um die Wette. Ich versuchte die feuchte Luft einzuatmen, meine Lungen brannten, ich hustete. Kraftlos schleppte ich mich vorwärts, stolperte mehr, als dass ich ging. Als meine Beine mich nicht mehr tragen konnten, lehnte ich mich gegen die Wand und glitt an ihr entlang langsam zu Boden.

Eine Gestalt kam auf mich zu. Ich blickte auf den hochgewachsenen Mann. Sein Körper war in eine knöchellange, schwarze Kutte gehüllt und auf dem Kopf trug er eine Kapuze. Er sah auf mich herab, und obwohl ich sein Gesicht in dem schummrigen Licht nicht richtig sehen konnte, hatte ich den Eindruck, dass er weinte.

Er ging neben mir in die Hocke. »Was hast du getan, Junge?«, fragte er mit bebender Stimme.

Ich wusste nicht, was ich getan hatte. Mein Blick fiel auf das Messer in meiner Brust. Auch dafür hatte ich keine Erklärung. Schweigend, den Kopf voller Schmerz und Fragen, blickte ich den Mann an.

Er murmelte unverständliche Worte, die sich wie ein Gebet anhörten. Ich schnappte nach Luft, als er seine langen Finger nach mir ausstreckte und den Griff des Messers packte.

Ich schüttelte den Kopf. »Nein, bitte nicht!«

Mein Jammern half nichts. Mit einem kurzen Ruck riss er die Klinge aus meinem Brustkorb. Vor Schmerzen schreiend bäumte ich mich auf. Meine Hände suchten Halt am Kittel des Mannes, rutschten ab. Ich fiel auf den Rücken, mein Kopf krachte ungebremst auf harten Stein.

»Dies ist deine von den heiligen Engeln gewählte Strafe«, hörte ich die Stimme des Mannes wie aus weiter Ferne. Ich sah ihn über mir, er blickte auf mich herab. »Nun stirb in Demut.« Dann drehte er sich um und ging fort. Blut tropfte von dem Messer in seiner Hand.

Mein Brustkorb schmerzte mit jedem Atemzug, also atmete ich möglichst flach. Meine Hände tasteten nach der Wunde. Warmes Blut rann durch meine Finger. Ich fühlte mich verloren, ich fürchtete mich, und ich fragte mich, was ich getan hatte. Aber ich konnte mich nicht erinnern. Da war nur Leere in meinem Kopf. Ich lauschte, doch außer dem Rauschen in meinen Ohren, das an einen tosenden Wasserfall erinnerte, hörte ich gar nichts.

Die Lichter über mir erloschen, es wurde stockdunkel. Der Korridor begann sich zu drehen, der Boden schwankte. Unter mir tat sich ein Loch auf. Ich fiel tiefer und tiefer hinab in ein schwarzes Nichts, das mich gefangen nahm.

***

Ich weiß nicht, wie lange ich mich in diesem Zustand befand. Ich erinnere mich aber, dass ich einige Zeit später ein dumpfes Pochen hörte. Ein helles Licht legte sich über meine Augen, die ich zaghaft öffnete. Ich sah mich um. Der finstere Korridor war einem hell erleuchteten Zimmer gewichen, und ich lag nicht mehr auf dem harten Boden, sondern in einem weichen Bett mit weißer Wäsche. Der Geruch nach Desinfektionsmittel drang mir in die Nase.

Ich blickte auf meine Brust. Sie war bandagiert. In meinem Arm steckte eine Nadel mit einem Schlauch daran, der in einen Plastikbeutel führte. Neben mir stand ein Mann im weißen Kittel.

»Wo bin ich?«, fragte ich mit belegter Stimme und räusperte mich. »Wer sind Sie?«

Der Mann setzte sich auf die Bettkante. »Mach dir keine Sorgen. Du bist in Sicherheit. Ich bin Arzt.« Er lächelte. »Weißt du, was mit dir passiert ist? Wer hat dir das angetan?«

Ich grübelte und berichtete über das Wenige, das mir einfiel. »Da war dieses Messer … in meiner Brust, … ein dunkler Raum. Ein Mann.« Ansonsten herrschte in meinem Kopf nur ein dunkles Nichts. »Ich kann mich nicht erinnern. An gar nichts.« Tränen stiegen in mir auf, ich zitterte am ganzen Körper.

»Auch nicht daran, wie du heißt?«, fragte der Arzt.

Ich starrte ihn eine Weile an. Ein Name kam mir in den Sinn, der mir vertraut erschien, und ich sagte: »Nicolas.«

 

 

… 21 Jahre später …

 

1

 

Ich blickte durch den Sucher meiner Kamera auf die junge Blondine, die sich splitternackt auf dem roten Laken ihres Bettes rekelte. »Komm schon, zeig mir alles«, heizte ich sie an. »Wow! Großartig.«

In meinem Unterleib breitete sich ein wohliges Kribbeln aus, und während mein Finger schon beinahe automatisch den Auslöser betätigte, stellte ich mir vor, wie es sich anfühlen würde, diese Schönheit zu berühren, sie zu küssen, sie zu …

»Sind Sie bald fertig?«, unterbrach eine männliche Stimme meine Träumereien und holte mich zurück auf den Boden der Tatsachen.

»Nur, wenn Sie mich in Ruhe meine Arbeit machen lassen.« Ich blickte den Mann neben mir an. Er war nicht ganz so groß wie ich, etwa einen halben Kopf kleiner. Und er war alt. Viel zu alt für diese junge Schönheit mit ihren perfekten Rundungen.

»Sie sind jetzt fertig«, sagte er zu mir und wandte sich lüstern grinsend an die junge Schönheit. »Liebes. Bleib einfach so, bis ich wieder da bin. Ich bringe nur schnell unseren Gast nach unten.«

»Beeil dich«, erwiderte sie lächelnd, zwinkerte mir zu und zog die Bettdecke über ihren Körper.

Ich unterdrückte ein Seufzen, verstaute meine Kamera und das Stativ in meiner Tasche und folgte meinem Kunden die Treppe hinunter ins Foyer der Villa. Solange er mein Honorar abzählte, betrachtete ich die Drucke von Dali, Picasso und Dix, die zahlreich an den Wänden hingen. Die mussten ein Vermögen wert sein. Ich war beeindruckt.

»Sechshundert Euro?«, fragte mein Kunde, als er mir mit einem Bündel Fünfziger in der Hand entgegentrat. »Ich hoffe, die Fotos sind ihr Geld wert.«

»Aktfotografie hat ihren Preis. Genau wie ich.« Grinsend nahm ich die Scheine entgegen und steckte sie zu meiner Nikon in die Kameratasche.

»Ich verlasse mich darauf, dass außer Ihnen und uns niemand diese Fotos zu sehen bekommt«, fügte der Mann hinzu. »Ich hätte Sie nicht ausgewählt, wären Sie mir nicht wegen Ihrer Diskretion und ihres besonderen Talents empfohlen worden.«

»Selbstverständlich behandle ich alle meine Aufträge diskret. Diese speziellen Hausbesuche sowieso. Wie ausgemacht bekommen Sie alle Abzüge und die Speicherkarte.« Wir schüttelten zum Abschied die Hände.

Nachdem ich das Haus verlassen hatte, ließ ich von der gekiesten Auffahrt aus meinen Blick über die hell erleuchtete Kulisse Stuttgarts schweifen. Der Abend war spät und am wolkenlosen, nächtlichen Himmel glitzerten unendlich viele Sterne. Eine kühle Brise strich über mein Gesicht. Ich klappte den Kragen meiner Jacke hoch und machte mich auf den Weg zu meinem Auto.

Zufrieden mit dem überaus erfolgreichen Abend setzte ich mich hinters Lenkrad meines in die Jahre gekommen Volvo. Schon seit Wochen spielte ich mit dem Gedanken, mir endlich einen neuen Wagen zuzulegen. Doch immer wieder kam etwas dazwischen, und irgendwie hing ich auch an dieser alten Karre.

Ich wollte gerade den Motor anlassen, als mein Handy klingelte. Ohne aufs Display zu schauen, meldete ich mich. »Nick Holsten.«

»Ich hörte, Sie übernehmen gerne außergewöhnliche Aufträge«, sagte eine männliche Stimme.

Ein außergewöhnlicher Auftrag? Das klang verlockend. »Schon möglich. Worum geht’s?«

»Ein Fotoshooting. Es wird sich für Sie lohnen.«

»Ein Fotoshooting?« Da brauchte ich nicht lange nachzudenken. »Wann und wo?«

»Um Mitternacht«, sagte die Stimme. »Kelterstraße 52.«

»In Ordnung, ich werde da sein«, sagte ich und beendete das Gespräch.

***

Um Mitternacht fuhr ich die Kelterstraße entlang. Sie endete in einer abgelegenen Sackgasse vor einem mehrstöckigen Gebäude. Im Mondlicht konnte ich in einem Innenhof zwei Tischtennisplatten erkennen.

Ich nahm meinen Fotoapparat aus der Tasche, stieg aus und betrachtete die hohen Birken, die den Eingang zum Hof zu bewachen schienen. Der Wind fuhr durch ihre Äste und brachte das Laub zum Rascheln. Abgestorbene Blätter regneten auf mich herab. Von einem Holzschild, das an einem Pfosten befestigt war, las ich einen Namen ab: Vogelsang-Grundschule.

Ich trat zwischen den Birken und dem Schild hindurch in den Schulhof. Ganz in der Nähe des Schulgebäudes sah ich auf vier dürren, hohen Beinen ein Klettergerüst stehen. Ein Netz aus Seilen spannte sich von der Spitze des Turmes bis zum Boden hinab. Dahinter schimmerte ein orangefarbenes Licht, das meine Neugier weckte. Also ging ich auf den Kletterturm zu und kaum hatte ich ihn umrundet, sah ich eine lodernde Fackel.

Sie steckte in der Erde eines niedrigen Blumentroges, der nur spärlich mit Unkräutern bewachsen war, und beleuchtete Etwas von der Seite, das mich sofort in seinen Bann zog. Sämtliche Härchen an meinem Körper stellten sich auf, in meinem Leib breitete sich ein lange verdrängtes Gefühl aus.

In diesem Augenblick dachte ich daran, die Flucht zu ergreifen oder die Polizei zu rufen oder beides. Ich konnte nicht. Das Kribbeln in mir wurde stärker, der Drang größer, dieses mager beleuchtete Etwas genauer zu betrachten.

Ich löste die Abdeckung vom Objektiv meiner Kamera und richtete es auf das menschliche Skelett, das mir zu Füßen lag. Ich fotografierte die knochigen Hände, die gefaltet auf dem Brustkorb ruhten, die leeren Augenhöhlen und das dunkelrote Pentagramm auf der hohen Stirn des Totenkopfs.

Ein kratzendes Geräusch schreckte mich aus meiner Konzentration. Gleichzeitig fühlte ich einen warmen Luftzug im Nacken und wirbelte herum. Ein Schlagstock sauste auf mich zu, ich konnte nicht mehr ausweichen. Ein greller Schmerz raste durch meinen Kopf, ich taumelte und ging neben dem Skelett zu Boden.

Eine vermummte Gestalt beugte sich über mich. Von der Statur her ein Mann. Die Flamme der nahestehenden Fackel spiegelte sich in zwei hellgrauen Augen.

»Was willst du?« Ich stemmte mich hoch und erstarrte in der Bewegung, als der Bursche eine Pistole auf mein Gesicht richtete. Ich hielt den Atem an, mein Herz hämmerte von innen gegen meine Rippen.

Der Kerl ist verrückt. Er wird mich abknallen, ich bin tot!, rasten die Gedanken wild durch meinen Kopf.

Ganz sicher würde ich mich schon bald in einem dunklen Grab wiederfinden, aus dem es keine Rückkehr gab. Da kam mir ein vollkommen absurder Gedanke: Welches Geburtsdatum würden sie eigentlich auf meinen Grabstein schreiben? Nicht einmal mir war es bekannt. Nun, zumindest der Tag meines Todes war dann ja eindeutig, das war doch besser als nichts.

Neben mir lag der Totenkopf, ich berührte ihn beinahe. Jene Nacht vor einundzwanzig Jahren kam mir in den Sinn. Ich schloss die Augen und sah den Korridor und den Mann vor mir. Ich spürte wieder die Klinge des Messers in meiner Brust und die Leere in meinem Kopf. Lange Zeit hatte ich die beklemmenden Gefühle verdrängt, die mich immer wieder heimsuchten. Die Hilflosigkeit, die Verzweiflung, die Trauer und die Angst. Ich hatte gelernt, sie zu kontrollieren und mit ihnen zu leben. Doch jetzt, im Angesicht des Todes, drohten sie, mich zu erdrücken.

Ich spürte den Stahl der Pistole auf meiner Stirn, riss die Augen weit auf und sah, wie der Finger des maskierten Mannes sich um den Abzug krümmte. Ich erwartete einen Schuss, doch ich hörte nur ein heiseres Lachen. Der Kerl richtete sich auf, steckte den Revolver hinter seinen Gürtel und ging zügig davon.

Auf einmal fühlte ich, wie etwas Nasses, Warmes über mein Gesicht rann, das neben mir auf den Boden tropfte. Das war es dann auch, was mich endgültig zur Besinnung brachte und aus der Starre löste. Ich griff meinen Fotoapparat, sprang auf die Füße und rannte zu meinem Wagen. Zitternd steckte ich den Schlüssel ins Zündschloss, startete den Motor und fuhr mit quietschenden Reifen davon.

 

2

 

Der Tag brach gerade an, die Morgendämmerung tauchte die Umgebung in ein mattgraues Licht, als Kriminalkommissar Eddy Krieger mit gefurchter Stirn von weitem auf den mysteriösen Fund blickte.

»Muss so was immer so früh am Morgen gefunden werden?«, murrte Krieger und blies Dunstschwaden aus dem Mund. Vor vierzig Minuten hatten sie ihn aus dem Bett gerufen, nicht einmal Zeit für eine Tasse Kaffee war gewesen. Nun stand er in der Kälte, mit klammen Fingern und einem Koffein-Defizit, während er die in weiße Overalls gehüllten Kollegen der Spurensicherung beobachtete, die wie Gespenster durch die Gegend huschten.

Inmitten des Pausenhofs einer Grundschule im westlichen Stadtbezirk von Stuttgart befand sich dieses menschliche Skelett zwischen einem Klettergerüst und einem Blumentrog. Die Schule blieb heute geschlossen, der Pausenhof war mit gelben Bändern abgeriegelt, was die Schaulustigen außerhalb des Sperrgebietes jedoch nicht abhielt, neugierige Blicke auf den grausigen Fund zu werfen.

Eddys Blick fiel auf Roland Bachmann. Der junge Tatortfotograf machte gerade Fotos von dem Totenschädel, als er über seine eigenen Füße stolperte. Er geriet ins Wanken, taumelte und trat mit seinem vollen Gewicht auf den linken Schienbeinknochen des Skeletts. Lautes Knirschen begleitete das Missgeschick.

Eddy zuckte zusammen. Verärgert ging er auf Bachmann zu. Mit seiner stattlichen Größe von knapp zwei Metern überragte er den Fotografen um einiges. Der wich ängstlich zurück.

»Kannst du nicht aufpassen?«, fuhr Eddy ihn an.

»Entschuldigung«, murmelte Bachmann, packte seine Kamera ein und trollte sich.

»Was für ein Idiot«, knurrte Krieger, streifte Einmalhandschuhe über seine kalten Hände, beugte sich über die Knochen und betrachtete sie genauer.

Das Skelett war perfekt erhalten, jeder einzelne Knochen lag an der richtigen Stelle – abgesehen von dem jetzt gebrochenen Schienbein. Auf dem Brustkorb lagen die knochigen Hände wie zum Gebet gefaltet. Sie hielten ein goldenes, mit schwarzen Symbolen verziertes Kreuz, um das sich von oben nach unten eine schwarze Schlange wand. In der Mitte des Kreuzes befand sich ein fünfzackiger Stern, in dessen Mitte zwei Zeichen – X und I. Die Stirn des Totenkopfs zierte ein blutrotes Pentagramm, dessen eine Spitze zum Nasenrücken zeigte. Außerdem waren die Gebeine des Skeletts nicht sehr lang. Eddy vermutete, dass es sich bei den Überresten um ein Kind handelte.

»Und? Was meinst du, Eddy?«, fragte Tom Bauer, Eddys jüngerer Kollege. »Hat sich hier jemand einen dummen Scherz erlaubt?«

»Vielleicht, oder wir haben es mit etwas Religiösem zu tun, wenn ich mir das Kreuz so ansehe und das Pentagramm. Schau dir an, mit welcher Genauigkeit die Knochen angeordnet worden sind. Für einen Scherz ein wenig zu genau. Da war ein Perfektionist am Werk.«

Bauer nickte zustimmend. »Ich werde mal abklären, ob die Verdächtigen der Satansszene in letzter Zeit aktiv geworden sind.«

»Meinst du, die spielen mit alten Knochen herum?«, fragte Eddy. »Ich weiß nicht. Aber überprüf das ruhig. Und finde heraus, ob auf irgendeinem Friedhof ein altes Grab geplündert wurde.«

»Mach ich.« Bauer zückte sein Handy und ging davon.

Eddys Blick fiel auf den rotbraunen Fleck, der sich dicht neben dem Skelett auf dem helleren Boden abzeichnete. Er winkte einen Kollegen von der Spurensicherung heran. »Nehmen Sie davon bitte eine Probe. Ich glaube, das ist eingetrocknetes Blut.«

Er trat zur Seite, blickte umher und hoffte insgeheim, dass es sich nur um einen makabren Scherz handelte.

***

Außerhalb des großzügig abgesperrten Fundorts des Skeletts hatten sich mittlerweile zahlreiche Schaulustige eingefunden. Eltern und Schüler. Sie tuschelten miteinander. Manche Gesichter waren kreidebleich und bestürzt. Andere wiederum scherzten und lachten, doch es klang eher nach Verlegenheit.

Zwischen all den Leuten stand regungslos ein mittelgroßer Mann, der das Treiben der Polizisten auf dem Schulhof genauestens verfolgte. Über seiner dunklen Jeans trug er eine schwarze Jacke mit einer Kapuze, die sein darunterliegendes Gesicht gut verbarg. Er atmete die frische Luft des Morgens in seine Lungen und blies sie langsam wieder aus. Beim Gedanken an die Knochen machte sich ein wohliges Gefühl in ihm breit. Es war sein Skelett, und er dachte freudig an vergangene Nacht zurück. Diesem Nick Holsten hatte er einen tüchtigen Schrecken eingejagt. Er hatte noch zugesehen, wie dieser Idiot sich Hals über Kopf in seinen Wagen gestürzt hatte und davongerast war.

Der Mann dachte darüber nach, wie er zurückgekehrt war, um dem Skelett das wertvolle Kreuz auf die Rippen zu legen. Die ganze Nacht und den frühen Morgen hatte er den Schulhof beobachtet, damit niemand die Ruhe der heiligen Knochen störte. Dann hatte er von dem ganz in der Nähe stehenden Münzfernsprecher die Polizei angerufen und den Fund gemeldet.

Sein gutes Gefühl wich schlagartig einer unbändigen Wut, als dieser Trottel von Fotograf nahe an ihm vorüberging. Der hatte dem Skelett doch tatsächlich das Bein gebrochen. Die hellen Augen unter der Kapuze verengten sich, während er dem Fotografen bis zu dessen Auto folgte, das ein gutes Stück entfernt in einer Querstraße parkte. Hier herrschte Stille, kein Mensch war unterwegs, niemand beobachte die Gegend. Und gerade eben, als der Fotograf den Kofferraum seines BMW öffnete, zog der Verfolger seine Kapuze noch tiefer ins Gesicht und näherte sich dem jungen Beamten von hinten. Ein gezielter Schlag in den Nacken, der Fotograf stürzte kopfüber in den Kofferraum seines eigenen Wagens. Der in schwarz gekleidete Mann schloss rasch den Deckel, hob die Autoschlüssel auf, die zu Boden gefallen waren, und sah sich nochmals um. Kein Mensch beachtete ihn. Er setzte sich hinters Lenkrad, startete den Motor des Autos und fuhr zufrieden davon.

 

3

 

An diesem Mittwochmorgen war gar nichts los in meinem Fotoatelier. Ich saß auf einem Stuhl an meinem Schreibtisch und kritzelte mit einem Bleistift die Kästchen eines karierten Blattes nach, bis ich so etwas Ähnliches wie den Fernsehturm vor mir sah. Ich zerknüllte das Papier und warf es in den Mülleimer unter dem Tisch.

Die Zeit schlich weiter dahin. Immer wieder warf ich einen Blick auf die riesige Uhr, die über der Eingangstür hing. Sie hatte einen Sprung im Glas über dem Ziffernblatt, da sie vor Kurzem beim Staubwischen auf den Laminatboden gefallen war. Aber sie lief noch.

Der kleine Zeiger stand auf der Elf, der große knapp darunter, der Sekundenzeiger schleppte sich aufwärts in Richtung der Zwölf und noch immer hatte kein Kunde den Weg in meinen Laden gefunden. Es war wie verhext. Für gewöhnlich hatte ich ausreichend Laufkundschaft, da mein Laden in einer Querstraße zur gut besuchten Königstraße in Stuttgart lag. Doch heute schien auch das nichts zu nützen.

Genervt blickte ich auf meine Kamera, die am Rand des Tisches lag. Durch den Sturz hatte die Nikon einige Kratzer am Gehäuse abbekommen und ein Riss teilte den Bildschirm in zwei Hälften. Zudem ließ sie sich nicht mehr einschalten.

Ich zog die Speicherkarte aus der Nikon. Tausend Gedanken rotierten in meinem Kopf, während ich das kleine, flache Ding anstarrte. Die halbe Nacht hatte ich mit Grübeln zugebracht. Ich hatte hin und herüberlegt, was dieses Skelett und der Überfall zu bedeuten hatten. Allerdings war ich zu keinem Ergebnis gekommen. Vielleicht hatte mir jemand einen üblen Streich spielen wollen. Wäre möglich. Andererseits, wer zeigte sich so geschmacklos und legte zum Spaß ein Skelett in einen Schulhof?

Ich steckte die Speicherkarte in den Slot meines Computers und öffnete die Bilder. Zuerst betrachtete ich den beinahe perfekten Frauenkörper, der sich mir vom Bildschirm aus entgegenreckte. Nun ja, ein paar Korrekturen sollte ich noch vornehmen, um manche Formen etwas besser hervorzuheben, andere sollte ich kaschieren. Das wollte ich später tun. Ich schloss den Ordner und klickte den nächsten an.

Nun sah ich das Skelett vor mir. Mir fiel auf, dass die Gebeine sehr kurz waren – ein Kind? Ich begann am ganzen Körper zu zittern, mein Puls beschleunigte. Mein Bürostuhl knarrte, als ich mich ruckartig erhob. Ich begann im Raum hin und her zu gehen, versuchte, den Blick nicht wieder auf den Bildschirm zu richten. Doch er zog mich magisch an.

Ich setzte mich zurück auf meinen Stuhl, den Blick starr auf die Knochen gerichtet. Meine Hand griff nach der Maus. Der Zeiger auf dem Bildschirm fuhr über das Skelett hinweg, vom kleinen Zeh über das Knie, den Oberschenkelknochen und weiter nach oben. Auf dem Totenkopf ließ ich den Pfeil liegen und klickte die linke Taste der Maus. Einen winzigen Augenblick später füllte der Schädel den ganzen Monitor aus. Das Pentagramm darauf schimmerte in einem dunklen Rot. Die Farbe erinnerte mich an Blut. In vier der fünf Zacken des Pentagramms standen Ziffern:

19 89 3 13.

Die Stimme der Nachrichtensprecherin, die aus dem Lautsprecher des Radios tönte, ließ mich aufhorchen. »Wie die Polizei berichtet, wurde heute Morgen im Pausenhof einer Stuttgarter Grundschule ein menschliches Skelett gefunden, vermutlich handelt es sich um die Überreste eines Kindes. Hinweise nimmt die Kripo Stuttgart entgegen. Und nun zum Wetter …«

Also doch ein Kind. In meinem Unterleib kribbelte es unangenehm. Dasselbe Gefühl hatte ich häufig verspürt, als ich noch für die Kripo Tatorte fotografiert und Spuren gesichert hatte. Mit jeder neuen Leiche war dieses Prickeln in meinem Leib unerträglicher geworden. Deswegen hatte ich der Polizeiarbeit vor über zwei Jahren den Rücken gekehrt. Unter dem Vorwand einer Depression hatte ich vier Wochen in einer psychiatrischen Anstalt verbracht, im Anschluss daran die Therapie ambulant fortgeführt und erfolgreich beendet.

Im Grunde stand einer Rückkehr in den Polizeidienst nichts im Wege. Meine Arbeit beim kriminaltechnischen Institut fehlte mir sehr oft. Andererseits wollte ich meine Nachtschwärmereien mit dem Fotoapparat auch nicht missen. Die waren immer wieder spannend und der Verdienst war wesentlich besser als der eines Kripobeamten. Beides konnte ich aber vermutlich nicht unter einen Hut bringen. Also verwarf ich den Gedanken.

Sachte rieb ich mit dem Finger über das Pflaster, das ich über die Platzwunde an meiner Stirn geklebt hatte. Mein Blut war auf den Boden neben das Skelett getropft. Meine ehemaligen Kollegen würden ganz schnell meine DNA entschlüsseln. Um mir Ärger zu ersparen, sollte ich den Vorfall nachträglich zur Anzeige bringen, also nahm ich mir vor, das später zu tun.

Ich schaltete meinen Computer aus und streckte meinen verspannten Rücken durch. Um meine durcheinandergeratenen Gefühle unter Kontrolle zu bringen, atmete ich tief ein, ballte meine Hände zu Fäusten und atmete wieder aus, während ich meine Finger streckte. Diese Technik hatte ich in der Klinik gelernt und tatsächlich kam ich zur Ruhe.

Voller Stolz betrachtete ich kurz darauf meine Malereien, die ich an den Wänden des Ateliers ausstellte. Freilich nur diejenigen, die ich auch einem breiten Publikum zumuten konnte. All die anderen düsteren und unheimlichen Werke – die vermutlich dem Teil meiner Seele entsprungen waren, die sich mir seit über zwei Jahrzehnten verschloss – hütete ich in meiner privaten Sammlung, die noch kaum ein Mensch gesehen hatte. Die Malerei hatte mir dabei geholfen, mein traumatisches Erlebnis einigermaßen zu bewältigen. Zumindest konnte ich mittlerweile sehr gut damit umgehen.

Das Knarren der Ladentür riss mich aus meinen Gedanken. Ein junger Mann im dunkelgrauen Anzug betrat mein Atelier. Sein blondes Haar trug er ordentlich nach hinten gekämmt, sein Teint war auffallend blass und der Blick aus seinen dunkelbraunen Augen durchdringend.

»Nick Holsten?«, fragte er mit einem leichten amerikanischen Akzent.

»Ja, der bin ich. Was kann ich für Sie tun?«

Ohne mir eine Antwort zu geben, stolzierte der Bursche durch den Laden und betrachtete interessiert meine Gemälde.

»Wollen Sie Passfotos machen lassen oder vielleicht ein Bild kaufen?«, fragte ich.

»Weder noch. Ich hörte, Sie übernehmen gerne ungewöhnliche Aufträge?«

»Kommt drauf an. Reden wir zuerst über meinen Preis.«

»Okay.« Er fasste in die Innentasche seines Jacketts und zog einige Scheine heraus, die er mir vor die Nase hielt. »Das sind fünfhundert Euro als kleine Anzahlung. Weitere eintausend bekommen Sie, wenn Sie etwas für mich herausfinden.«

»Ich soll Detektiv für Sie spielen?« Oh, das war mal etwas Neues.

»Waren Sie früher nicht für die Polizei tätig?« Sein Tonfall klang eine Spur herablassend.

»Woher wissen Sie das?«

»Ich habe meine Quellen.«

»Tatsächlich?« Das fand ich irgendwie verdächtig. Dennoch interessierte es mich, was er von mir wollte. »Erzählen Sie erst einmal, worum es geht, dann werde ich entscheiden, ob ich den Auftrag annehme. Fangen wir mit Ihrem Namen an.«

Der junge Mann zögerte einen Augenblick und willigte dann ein. »Nennen Sie mich Marc, das muss genügen. Wie gesagt, der Auftrag ist ein wenig ungewöhnlich.« Marc räusperte sich. »Ich suche jemanden, der vor langer Zeit verschwunden ist.« Sein Blick wanderte durch den Raum und blieb auf dem Porträt eines Jungen haften, das ich erst vor Kurzem gezeichnet hatte. »Ist das Ihr Sohn?«

»Ja«, bestätigte ich. »Aber sollten wir nicht bei der Sache bleiben?«

Doch Marc ließ sich nicht beirren. »Sieht Ihnen sehr ähnlich, ein hübscher Junge, hat Ihre Augen. Wie alt ist er?«

»Zwölf. Können wir jetzt fortfahren?« Ich wurde ungeduldig.

»Natürlich.« Marc reichte mir ein altes, vergilbtes Foto. »Dieser Junge ist vor einundzwanzig Jahren verschwunden.«

Ich betrachtete es. Das Gesicht des Knaben kam mir bekannt vor. Meine Hand begann zu zittern.

»Am 19. Oktober 1991«, sagte Marc.

Ich erstarrte. An diesem Tag war ich beinahe gestorben. An diesem Tag hatte ich meine Erinnerungen verloren. Die Narbe auf meiner Brust begann zu jucken.

»Er war dreizehn Jahre alt«, erzählte Marc weiter. »Er ist heute also vierunddreißig.«

Genau wie ich! Das konnte kein Zufall mehr sein. Ich dachte daran, als ich in einem Stuttgarter Krankenhaus ohne jegliche Erinnerungen an mein früheres Leben oder die beinahe tödliche Messerattacke erwacht war. Keiner hatte mir sagen können, woher ich gekommen war. Alles, was sie über mich gewusst hatten, war mein Alter: dreizehn. Und mein Name: Nicolas. Und der Arzt, mit dem ich nach meinem Aufwachen gesprochen hatte, war ebenfalls niemandem bekannt gewesen.

Grübelnd blickte ich auf das Foto. Ob ich selbst dieser Junge war? Wusste dieser Marc etwas über mich oder war dessen Eindringen in mein Leben nur eine Fügung des Schicksals? Ich überlegte, ob ich ihn darauf ansprechen sollte, ließ es dann aber sein.

»Warum suchen Sie ihn?«, fragte ich stattdessen. Meine Stimme zitterte und mein Puls begann zu rasen. Schweiß bildete sich auf meiner Stirn. Ein Tropfen rann über meine Schläfe abwärts. Ich wischte ihn weg. Möglichst unauffällig atmete ich tief ein und wieder aus, um mich zu beruhigen, was mir kaum gelang.

Marc grinste mich abfällig an. »Der Junge hat etwas gestohlen.« Er zog zwei Blätter aus seinem Jackett, faltete sie auseinander und reichte sie mir. »Der Eigentümer will dies hier zurückhaben.«

»Der Eigentümer?« Ich kniff die Augen zusammen. »Sie haben also auch noch einen Auftraggeber?«

»Genau«, erwiderte Marc. Er verschränkte die Arme hinter dem Rücken, ging im Atelier umher und betrachtete erneut die Gemälde an der Wand.

Das gab mir erst einmal die Gelegenheit, mir den Schweiß von der Stirn zu wischen und mich zu sammeln. Ich riskierte einen Blick auf die Zeichnungen. Eine davon zeigte ein mittelalterliches Kreuz, das mit schwarzen Symbolen verziert war und im obersten Teil den Kopf eines Vogels trug. In der Mitte lag ein fünfzackiger Stern, in den das römische Zahlzeichen XIII gemalt war. Eine Schlange wand sich vom oberen Teil um das Kreuz nach unten. Seitlich an ihrem Kopf befanden sich zwei hypnotisierende Augen, die in der ansonsten schwarz-weißen Zeichnung knallrot hervorstachen.

Mir war, als hätte ich dieses Kreuz schon einmal gesehen, konnte aber nicht sagen, wo. Ich schüttelte den Kopf und betrachtete die zweite Skizze. Ein Dolch, den ebenfalls schwarze Symbole schmückten. Hier schlängelte sich das schwarze Reptil um die Messerscheide, und der Vogelkopf auf dem Schaft war derselbe, wie der auf dem Kreuz.

»Sind das Antiquitäten?«, fragte ich, während ich von dem Kreuz auf das Messer und wieder zurückblickte. Nicht nur, dass ich mir einbildete, die beiden Gegenstände zu kennen, schlich sich auch noch das Skelett mit dem Pentagramm auf der Stirn in meine Gedanken.

»So was in der Art«, erwiderte er. »Werden Sie mir helfen, den Jungen zu finden?«

Ich runzelte die Stirn und nickte »Was wissen Sie noch über ihn? Wie ist sein Name?«

»Er heißt Benjamin, mehr kann ich Ihnen nicht sagen.« Marc warf einen Blick auf die protzige Uhr an seinem Handgelenk. »Oh. Schon so spät.« Er wandte sich zur Tür.

»Moment«, hielt ich ihn zurück. »Wie kann ich Sie erreichen, falls ich noch Fragen habe?«

Der junge Mann befand sich schon auf dem Weg nach draußen, sah sich aber noch einmal um. »Sie hören von mir. Und noch etwas, zu Ihrem eigenen Wohl, sollten Sie die Sache für sich behalten. Wir verstehen uns?« Er drehte sich grinsend zur Tür und verließ meinen Laden.

Und ob ich ihn verstanden hatte. Mir wurde abwechselnd kalt und heiß. Beunruhigt ging ich hin und her, wie ein Tier, das viel zu lange in einen viel zu engen Käfig gesperrt ist. Ein schmerzhaftes Pochen breitete sich hinter meiner Stirn aus. Da suchte ich ein Leben lang nach Antworten auf die Frage nach meiner Herkunft. Nun sah ich mich damit konfrontiert und war mir nicht mehr sicher, ob ich die Wahrheit überhaupt erfahren wollte.

 

4

 

Nachdem ich mindestens eine Stunde lang damit beschäftig gewesen war, mir eine neue Kamera zu kaufen, hatte ich mir in einem türkischen Lokal einen Döner Kebap und eine große Cola einverleibt. Mittlerweile war ich in mein Atelier zurückgekehrt und beschloss, meinen Laden für den Rest des Tages zu schließen.

Nun scannte ich erst einmal Benjamins Foto in den PC ein und betrachtete gleich darauf das unscharfe Gesicht auf dem Bildschirm. Die Qualität des Fotos zu verbessern war einfach, und so erkannte ich bald die hellblauen Augen des Jungen sowie dessen dunkelbraunes Haar.

Mein Blick fiel auf das Porträt meines Sohnes. Moritz hatte ebenfalls dichtes braunes Haar und hellblaue Augen, beides hatte ich ihm vererbt. Die Ähnlichkeit verblüffte, doch er war es nicht. Dafür fiel der allerletzte Zweifel von mir ab. Nur ich konnte dieser Junge sein.

Ich schloss die Augen, durchforstete mein Innerstes und fand wie immer nichts. Was hatte ich denn erwartet? Dass ich mich jetzt sofort an alles erinnerte? Wie sollte das denn funktionieren? Ich schüttelte den Kopf über mich selbst und dachte nach. Was sollte ich als Nächstes tun? Zuerst schickte ich Benjamins digitalisiertes Foto an mein Handy, das gleich darauf klingelte.

»Ja?«, meldete ich mich.

»Krieger hier«, brummte eine tiefe Stimme aus dem Lautsprecher. »Du weißt, warum ich anrufe?«

»Nein. Aber du wirst es mir sicher gleich sagen.«

Eddy Krieger war ein Freund von mir und Kripobeamter. Früher hatten wir oft zusammengearbeitet. Zudem war Eddy der Neffe meiner ehemaligen Pflegemutter Helen Holsten, deshalb kannten wir uns schon ewig.

»Du weißt aber, was heute Morgen in einem Schulhof gefunden wurde?«, fuhr Eddy mit seinem Ratespiel fort.

»Ja, das hab ich mitbekommen. Ein Kinderskelett?«

»So sieht’s aus. Du weißt nicht zufällig mehr darüber?«

Ich nahm mir kurz Bedenkzeit, ehe ich fragte: »Sollte ich mehr darüber wissen?«

»Schluss damit«, fuhr Krieger mich an. »Beweg deinen Hintern in mein Büro, wir haben etwas zu besprechen. Sofort!« Dann legte er auf.

Ich konnte es nicht fassen. Wie hatte er so schnell herausgefunden, dass ich etwas über dieses Skelett wusste? Mir war gar nicht wohl bei der Sache. Allerdings hatte ich keine Wahl, also machte ich mich mit einem unangenehmen Grummeln im Magen auf den Weg.

***

Irgendwie fühlte ich mich auf dem Polizeipräsidium fehl am Platz. Obwohl ich in diesem Gebäude, jedenfalls teilweise, viele Jahre meines Arbeitslebens verbracht hatte, verspürte ich keine Vertrautheit. In der Eingangshalle fristeten noch immer die unterschiedlichen Zimmerpflanzen ihr Dasein in diesen viereckigen Hydrokulturbehältern. Und hinter einer schusssicheren Plexiglasscheibe entdeckte ich das bekannte Gesicht der Empfangsdame.

»Herr Holsten«, sagte sie erfreut. Sie lächelte. »Kommissar Krieger erwartet Sie bereits.«

»Danke.« Ich lächelte zurück und ging an ihr vorbei zum Fahrstuhl, der mich rasch ins vierte Stockwerk beförderte. Um zu Eddys Büro zu gelangen, musste ich allerdings durch einen größeren Raum, in dem mehrere Beamte an vielen Tischen arbeiteten. Einige grüßten mich freundlich, andere weniger.

Die Tür zu Eddys Büro stand offen. Ich klopfte gegen den Türrahmen.

»Komm rein«, rief er hinter seinem Schreibtisch hervor und betrachtete mich mit ernster Miene.

»Kein Hallo, wie geht’s dir denn?«, scherzte ich, darum bemüht, locker zu wirken.

»Setz dich!«, sagte er grimmig. Er ließ mich nicht aus den Augen, während ich mich ihm gegenüber auf dem Stuhl niederließ.

»Hattest du ne Schlägerei?« Sein Blick haftete auf meiner Stirn.

»Nicht direkt.« Meine Finger trommelten auf meinen Oberschenkel.

»Ein eifersüchtiger Ehemann, der dich verdroschen hat?« Eddy schmunzelte.

»Sehr witzig.«

»Ja, finde ich auch.« Eddy stützte sich mit den Ellbogen auf den Schreibtisch und beugte sich nach vorn. »Was hattest du letzte Nacht in der Kelterstraße zu suchen?«

»Wieso?«

»Nick.« Seine Augenbrauen rückten immer näher zusammen. Dazwischen bildete sich eine tiefe Falte. »Was hast du ausgefressen?«

Ich rutschte auf meinem Stuhl hin und her. »Nichts. Aber ich gebe zu, dass ich dort war. Woher weißt du das?«

Er schmunzelte. »Ein anonymer Anrufer hat den Fund gemeldet. Und dabei hat er das Kennzeichen deines Autos genannt.« Das Schmunzeln verschwand aus seinem Gesicht. »Ich habe Blut gefunden, neben dem Skelett. Ich gehe davon aus, dass es von dir stammt?«

»Okay«, lenkte ich ein. »Ich war dort wegen eines Auftrags, hab mich auf dem Schulhof umgesehen und das Skelett entdeckt. Danach hat mir jemand eins übergebraten.«

»Hast du diesen Jemand gesehen?«

Ich dachte kurz nach. Sollte ich Eddy einweihen? Ich entschied mich dagegen. Solange ich nicht wusste, in welche Sache ich da hineingeraten war, würde ich schweigen. »Nein, habe ich nicht.« Vermutlich glaubte er mir nicht, so zweifelnd, wie er mich ansah.

»Du hältst mich für ziemlich blöd, was?«, stellte er fest.

Ich schüttelte den Kopf. »Nein.«

Krieger musterte mich mit einem durchdringenden Blick aus seinen dunklen Augen.

Ich hielt ihm stand. »Hör zu, ich habe mit diesem Skelett nichts zu tun. Ich bin nur aus Versehen darüber gestolpert. Können wir es bitte dabei belassen? Ich war zur falschen Zeit am falschen Ort. Klar?«

»Wie du meinst«, brummte er. »Dann nehme ich deine Zeugenaussage so in meinen Bericht auf. Sollte dir doch noch was einfallen, weißt du, wie du mich erreichst.«

Solange Eddy seinen Bericht schrieb, sah ich mich im Raum um. Er war kleiner, als ich ihn in Erinnerung hatte. Aber immerhin genoss mein Kumpel den Luxus eines eigenen Büros. Auf seinem Schreibtisch türmten sich die Aktenordner in schwindelnde Höhen. Eddy war noch nie ein besonders gut organisierter Kommissar gewesen, aber er machte seine Arbeit trotz allem gewissenhaft, und er löste die meisten seiner Fälle.

Der Drucker ratterte. Kaum war der Zeugenbericht ausgedruckt, setzte ich meine Unterschrift darunter und erhob mich.

»Moment«, hielt Eddy mich zurück. Er senkte seine Stimme zu einem Flüstern, als fürchtete er, jemand könne uns belauschen. »Hast du es fotografiert?«

Ich sank zurück auf den Stuhl. »Was soll ich fotografiert haben?«

Er stand auf, ging um den Tisch herum und baute sich in voller Größe vor mir auf. »Nick. Ich kenne dich. Du hast überall deinen Fotoapparat dabei. Falls du also Fotos von diesem Skelett gemacht hast, will ich sie sehen. Der Fotograf aus der Spurensicherung ist verschwunden.«

»Bachmann?« Ich kannte ihn.

»Ja. Bachmann. Seit heute früh hat ihn keiner mehr gesehen. Er hat den Schulhof verlassen, nachdem er die Fotos gemacht hatte. Ich bin davon ausgegangen, dass er gleich in die Gerichtsmedizin fährt. Doch da ist er nicht angekommen, und er hat sich auch nicht krank gemeldet oder so.«

»Das klingt gar nicht gut«, stellte ich fest. »Und deshalb fehlen jetzt auch die Fotos?«

Eddy nickte. »Genau.«

»Und was bekomme ich dafür, sollte ich irgendwelche Fotos haben?«, fragte ich.

»Wie wär’s mit einem Bier? Heute Abend?«, schlug er vor.

»Okay. Treffen wir uns um acht im Zapfen

Er nickte, und ich verließ gleich darauf sein Büro.

Auf dem Parkplatz vor der Polizeidirektion kam mir eine Frau entgegen, die mir auf Anhieb gefiel. Ihr hellbraunes, lockiges Haar reichte ihr bis zu den Schultern, einige Strähnen fielen ihr in die Stirn. Ihre braunen Augen besaßen eine geheimnisvolle Tiefe und sahen mich abschätzend an. Ich blieb stehen.

»Hi«, sagte ich lächelnd. Mein Blick wanderte über ihren Körper, der in schwarzen Jeans und aufgeknöpftem Blazer steckte. Darunter trug sie ein enges T-Shirt, was ihre weiblichen Kurven perfekt zur Geltung brachte. »Kann ich Ihnen helfen?«

»Keine Ahnung«, erwiderte sie. »Arbeiten Sie hier?«

»Oh nein, um Himmels willen.« Ich hob abwehrend die Hände nach oben. »Ich kenne hier nur ein paar Leute. Suchen Sie jemanden?«

Sie schien beunruhigt, ihr Blick haftete auf meinen Augen. »Ich glaube, das hat sich gerade erledigt«, antwortete sie. »Verraten Sie mir Ihren Namen?«

»Nick.« Mein Grinsen wurde breiter. »Nick Holsten. Verraten Sie mir auch Ihren?«

»Nein.« Sie drehte sich um und ging davon.

Ich runzelte die Stirn und beobachtete, wie sie in einen silberfarbenen VW-Golf stieg, ausparkte und davonfuhr. Normalerweise hätte ich mir ihr Kennzeichen gemerkt, um etwas über sie herauszufinden, aber ich war so verdattert, dass ich es leider vergaß.

 

5

 

Der Zapfen war meine und Eddys Stammkneipe. Zudem ein gemütliches Lokal im östlichen Stadtbezirk und ein Geheimtipp. Nicht nur wegen des Bieres, das unten im Keller gebraut wurde, sondern auch wegen der leckeren Speisen, die sich zwar auf Kleinigkeiten wie Maultaschen oder Käsespatzen beschränkten, aber allesamt großartig schmeckten. Außerdem war die Wirtin für ihren ausgesuchten Musikgeschmack bekannt. So spielte auch in dem Moment, nachdem ich es mir in einer Ecke des Raumes mit meinem ersten Bier gemütlich gemacht hatte, Rockmusik in einer angenehmen Lautstärke.

Ich beobachtete die Leute um mich herum. Sie lachten, diskutierten und manche stritten, zwar leise, aber unmissverständlich. In der anderen Ecke des Raumes, in einer lauschigen Nische, sah ich eine Frau und einen Mann, die sich gerade stürmisch küssten. Ich ließ meinen Blick weiterwandern und entdeckte an der Bar eine mir bekannte Frau. Zumindest erinnerte ich mich sehr gut an die Nächte mit ihr. Sie sah mich ebenfalls, winkte mir zu, erhob sich und kam mit einem frechen Grinsen im Gesicht schnurstracks auf mich zu.

»Hi Nick«, begrüßte sie mich und setzte sich unaufgefordert an meinen Tisch. »Hab‘ dich schon lang nicht mehr gesehen. Wo hast du dich rumgetrieben?«

»Mal hier, mal dort«, erwiderte ich lächelnd. »Und was treibst du so, Tanja?«

»Leider nichts.« Sie zuckte mit den Achseln und wickelte eine lange Haarsträhne um ihren Finger. »Vielleicht hast du Lust, dich mal wieder mit mir zu treffen?«

Ob ich Lust hatte? Was für eine dumme Frage. Vielleicht war das ja die Gelegenheit, heute Abend nicht alleine nach Hause zu gehen. Ihre Hand lag bereits auf meinem Oberschenkel.

»Von mir aus noch heute.« Mein Lächeln wurde breiter.

Ihre Augen fixierten mich, ihre Hand wanderte aufwärts. Ich genoss die wohlige Wärme, die sich in meinem Unterleib ausbreitete. Bis ich eine imposante Gestalt durch den Raum auf mich zukommen sah. Groß, breitschultrig, mürrisches Gesicht. Eddy. Er warf mir einen missbilligenden Blick zu.

»Nick ist leider schon verabredet«, sagte er.

Tanja nahm ihre Hand von meinem Oberschenkel und erhob sich. »Schade. Vielleicht ein ander mal.« Sie zwinkerte mir zu und ging mit schwingenden Hüften davon.

»Na, schönen Dank auch«, sagte ich, während Eddy sich mir gegenüber auf einen Stuhl setzte und ein Bier bestellte.

»Gern geschehen.« Er grinste. »Und? Hast du die Fotos?«

»Was denkst du wohl?« Ich war sauer, reichte ihm aber dennoch einen USB-Stick, auf den ich die Fotos gespeichert hatte.

Er nahm ihn mir aus der Hand und steckte ihn in seine Hosentasche. »Danke. Ich wollte dir dein Techtelmechtel nicht verderben, aber du solltest endlich mal deinen Frauengeschmack überdenken.«

Ich wechselte das Thema. »Und dein Fotograf ist immer noch verschollen?«

»Ja. Und das gefällt mir ganz und gar nicht. Er ist wie vom Erdboden verschluckt.« Eddy nahm einen Schluck aus seinem Bierglas, das die Bedienung ihm gerade in die Hand gedrückt hatte. »Hast du mal drüber nachgedacht, wieder für die Kripo zu arbeiten? Wir brauchen fähige Leute wie dich. Ganz unabhängig davon, ob Bachmann wieder auftaucht.«

»Du wirst dich wundern, erst heute Morgen habe ich darüber nachgedacht. Aber ob die mich noch haben wollen?«, gab ich zu bedenken.

»Sicher wollen die. Erst heute Mittag hat sich dein ehemaliger Chef nach dir erkundigt. Er scheint dich zu vermissen.«

»Wer? Der alte Edwin Nägele? Dieses Fossil? Der ist noch im Dienst? Der muss doch mindestens siebzig sein.« Ich verzog ungläubig das Gesicht.

Eddy schüttelte den Kopf und lachte. »Nein, der ist erst sechzig geworden. Und ob der jemals in Rente geht?«

»Wahrscheinlich nicht.« Ich grinste bei dem Gedanken an meinen ehemaligen Vorgesetzten. Immer hatte er diese braunen Strickpullunder getragen, auch im Sommer. Und ja, ich musste mir eingestehen, dass ich Nägeles schrullige Art vermisste. »Reizen würde mich mein alter Job auf jeden Fall. Ich weiß nicht.«

»Im Moment wäre eine Rückkehr ganz sicher möglich. Und gib deine extravaganten Aufträge auf. Die bringen dich irgendwann in Teufels Küche.«

»Meinst du?«

»Du bist über ein Skelett gestolpert.«

»Das stimmt. Ich denk drüber nach, okay?«

»Gut!« Eddy packte seine Geldbörse aus und legte einen Zwanzigeuroschein auf den Tisch. »Gönn dir noch ein Bier. Ich muss jetzt nach Hause. Marita wird mir ohnehin die Hölle heißmachen, weil ich sie mit dem Essen versetzt habe.«

»Grüße sie von mir, ja?« Ich lächelte beim Gedanken an seine Ehefrau. Sie hasste Unpünktlichkeit, und ich stellte mir vor, wie sie Kochlöffel schwingend hinter der Wohnungstür lauerte.

»Mach ich«, meinte Eddy und ging davon.

Ich sah mich um, doch Tanja konnte ich nirgendwo mehr entdecken, so ein Pech. Dafür erblickte ich eine Frau mit hellbraunen Locken, und ich erinnerte mich, dass ihre Augen tiefbraun waren. Sie saß alleine an einem kleinen Tisch in der Nähe der Eingangstür. Unsere Blicke trafen sich. Sie lächelte mich an, hob ihr Smartphone in die Höhe und schien ein Foto von mir zu knipsen. Eilig stand ich auf und ging schmunzelnd zu ihr.

»Verraten Sie mir jetzt Ihren Namen?«, fragte ich.

»Kommt drauf an.« Sie strich sich eine Strähne hinters Ohr.

»Und worauf?«

Sie schwieg, musterte mich aber von oben bis unten.

Ein angenehmes Kribbeln breitete sich in mir aus. »Darf ich mich wenigstens setzen und Ihnen einen Drink ausgeben?«

Sie nickte, ich setzte mich. Wir bestellten zwei Martinis.

»Haben Sie da eben ein Foto von mir gemacht?«, wollte ich von ihr wissen.

»Nicht nur eins. Haben Sie etwas dagegen?« Sie sah mir tief in die Augen. »Ich fotografiere alles, was mir gefällt.«

»Ach so, ich gefalle Ihnen also.« Na, wenn das kein guter Start war. Ich rückte meinen Stuhl näher an ihren und warf einen Blick auf das Display ihres Handys. Unsere Schultern berührten sich, was sich sehr gut anfühlte.

»Nun ja. Sie haben beeindruckende Augen. Dazu der Dreitagebart, wie verwegen.« Sie lächelte verschmitzt und errötete ein wenig. »Und die Schramme auf der Stirn macht Sie außerordentlich interessant. Wo haben Sie die denn her?«

»Ach die, das war ein kleines Missgeschick.«

Sie nahm einen Schluck aus ihrem Glas und betrachtete mich aus dem Augenwinkel.

»Wollen Sie mir nicht endlich Ihren Namen verraten?«, forderte ich sie auf. »Sie kommen mir bekannt vor. Aber ich komme nicht drauf, woher.«

»Hattest du schon so viele Frauen, dass du dich nicht mehr an alle erinnerst?« Sie schmunzelte.

Das war offensichtlich eine Fangfrage. Würde ich ihr offenbaren, dass ich lockere Beziehungen bevorzugte, würde sie vermutlich gleich die Flucht ergreifen. Aber sie duzte mich plötzlich. Ich bildete mir ein, dass dies etwas zu bedeuten hatte. »So viele waren es nicht. Aber an dich würde ich mich sicher erinnern.«

Wieder sah sie mir tief in die Augen. Dabei wurde sie ernst. »Anscheinend nicht«, seufzte sie.

Ihre Hand zitterte. »Ich muss jetzt gehen.« Sie erhob sich. »Danke für den Drink.«

So schnell konnte ich gar nicht reagieren, da war sie schon durch die Tür. Hastig bezahlte ich meine Rechnung und hetzte nach draußen. Zu spät, von der jungen Frau war nichts mehr zu sehen. So ein Mist.

Enttäuscht klappte ich den Kragen meiner Jacke hoch, vergrub die Hände tief in den Taschen meiner Jeans und machte mich auf den Weg nach Hause. So sehr ich es auch versuchte, diese Frau aus meinen Gedanken zu drängen, es gelang mir nicht. Ich sah ihr Gesicht und ihre Augen vor mir, hörte ihre Stimme. Sie hatte mich sehr beeindruckt.

Erst als ich nach zwanzig Minuten die abgelegene Seitenstraße erreichte, in der meine Wohnung lag, kam ich auf andere Gedanken. Sofort fiel mir auf, dass im Wohnzimmer in der ersten Etage Licht brannte. Ganz leise öffnete ich die Eingangstür und schlich in den ebenerdig liegenden Ausstellungsraum der ehemaligen Kunstgalerie. Nachdem ich diesen durchquert hatte, verharrte ich am unteren Absatz der Wendeltreppe. Ich lauschte den Stimmen, den Geräuschen und der dramatischen Musik, die von oben zu mir herunter drangen.

Ich eilte die Stufen hinauf. Mich traf beinahe der Schlag, als ich die Wohnzimmertür öffnete. Der Fernseher lief. Aus den Boxen dröhnten laute Geräusche. Auf dem schwarzen Ledersofa gegenüber lümmelte mein Sohn. In der einen Hand hielt er eine Tüte, mit der anderen steckte er sich gerade mehrere Chips in den Mund. Er sah mich an. Seine Augen waren gerötet, sein Haar so sehr zerzaust, als wäre er gerade erst aus dem Bett geklettert.

»Moritz? Wie kommst du hier rein?«, fragte ich verwundert. »Warum bist du nicht zu Hause bei deiner Mutter?«

Er setzte sich auf und blickte mich wütend an. »Erstens, du hast mir für den Notfall einen Schlüssel gegeben, hast du das vergessen? Und zweitens, Mama will mich nicht mehr.«

»So ein Quatsch«, widersprach ich. Nachdem ich meine Jacke über einen Stuhl geworfen und meine Schuhe ausgezogen hatte, ließ ich mich neben Moritz auf dem Sofa nieder. »Warum sollte sie dich nicht mehr wollen?«

»Weil das so ist«, stellte er schmollend fest.

»Ist ihr Freund da?« Tröstend legte ich meine Hand auf den Arm meines Sohnes, der mit jedem neuen Freund seiner Mutter ein Problem hatte. Sie hatte sich oft genug bei mir über meinen Sprössling beschwert. Natürlich war er immer mein Sohn, wenn er sich unmöglich benahm.

»Michael«, sagte Moritz in einem verächtlichen Tonfall und verzog angewidert das Gesicht. »Er kann mich nicht leiden. Und ich ihn auch nicht.«

In dem Augenblick vibrierte mein Handy in meiner Hosentasche. Der Refrain von Bon Jovis Runaway ertönte.

»Ja?«, meldete ich mich.

»Katharina hier«, tönte die aufgeregte Stimme meiner Ex an mein Ohr. »Ist Mo bei dir?«

»Ja, er ist hier«, antwortete ich. »Und er sieht sehr unglücklich aus. Was hast du mit ihm gemacht?«

»Was ich mit ihm gemacht habe? Frag ihn, was er mit mir macht. Seit Wochen ist er aufsässig, er hört nicht mehr auf mich. Vielleicht willst du ihn mal für eine Weile?«

Mit einem Satz sprang Moritz auf die Füße, die Chips flogen in hohem Bogen durch den Raum und regneten auf das dunkel gebeizte Holzparkett. Er hatte jedes Wort mit angehört, da ich dummerweise den Lautsprecher des Telefons auf Mithören gestellt hatte.

»Von mir aus gerne«, brüllte er.

»Kati, hör doch einfach mal zu«, beschwichtigte ich. Meinem Sohn warf ich einen maßregelnden Blick zu. »Ich habe keine Ahnung, was mit euch beiden los ist. Wie wäre es, wenn du herkommst, und wir in Ruhe besprechen, was passiert ist?«

»Ja. Ich komme.« Und schon legte sie auf.

»Setz dich«, wies ich Moritz an, der sich sofort zurück aufs Sofa fallen ließ. »Du hast zwanzig Minuten Zeit, mir zu erklären, was vorgefallen ist, bevor sie hier ankommt.«

In seinen Augen lag eine unbändige Wut und tiefe Trauer. »Sie versteht mich einfach nicht. Und ihr neuer Macker mischt sich in alles ein.«

»Dann bist du also eifersüchtig?«

»Worauf? Weil sie keine Zeit mehr für mich hat, und nur noch mit diesem Penner rumhängt?« Wieder zog er eine Grimasse. »Ich will zu dir zieh‘n.«

»Das geht aber nicht!«, widersprach ich.

»Warum seid ihr Erwachsenen bloß so kompliziert? Warum ziehst du nicht einfach zu uns? Für dich wird sie den Idioten sicher abservieren.«

»Wie kommst du denn auf so einen Quatsch?«

»Sie schaut sich andauernd eure alten Fotos an. Dabei sieht sie immer so traurig aus.«

»Du hast Ideen.«

Ich stand auf, ging im Zimmer auf und ab und dachte nach. Meine Beziehung zu Katharina war schon immer schwierig gewesen. Als sie schwanger gewesen war, hatte ich darüber nachgedacht, sie zu heiraten, doch sie hatte es ebenso wenig gewollt wie ich. Sie hatte schnell begriffen, dass ich für eine lebenslange Verbindung nicht geschaffen war. Ich konnte ihr das nicht geben, was sie erwartete, obwohl wir einige Jahre lang zusammenlebten. Schließlich brach unsere Beziehung entzwei, da war Moritz gerade fünf Jahre alt. Auch danach gingen wir noch hin und wieder aus und landeten jedes Mal in meinem Bett. Mittlerweile gehörten aber auch diese Treffen der Vergangenheit an, denn Katharina wollte eine feste Beziehung. Ohne mich.

»Also, wann kann ich hier einziehen?«, unterbrach Moritz meine Gedanken.

»Gar nicht, weil ich selten zu Hause bin. Und du gehörst nun mal zu deiner Mutter.«

»Mama ist auch kaum mehr zu Hause. Ich kann mittlerweile selbst auf mich aufpassen. Ich bin alt genug.«

»Du bist zwölf!« Ich raufte mir die Haare. Der Junge hatte unverkennbar meinen Dickkopf geerbt.

»Fast dreizehn«, kam prompt seine Antwort. »Euch ist es doch eh egal, was aus mir wird.« Er verschränkte die Arme vor der Brust und starrte in den Fernseher.

»Das ist nicht fair, was du da sagst«, stellte ich fest.

Durch das Fenster warf ich einen Blick auf die Straße und hoffte, dass Katharina bald hier sein würde. Diese Sache wuchs mir über den Kopf. Zweifellos liebte ich meinen Sohn, doch zum Erziehungsberechtigten taugte ich definitiv nicht.

Zum Glück parkte Katharina keine zehn Minuten später ihr Auto am Straßenrand und stieg gleich darauf die Treppe zu meiner Wohnung empor. Zuerst warf sie mir, danach Moritz gereizte Blicke zu.

»Junger Mann«, fuhr sie ihn an. »Du kannst nicht einfach abhauen, ohne mir Bescheid zu geben.«

»Ach nein?«, fauchte Moritz zurück. »Aber du darfst das, ja?«

Sie blickte ihn zornig an. Doch in ihrem Blick lag auch eine Spur Trauer.

»Wie wäre es mit einem Gespräch? Was zu trinken?«, ging ich dazwischen. »Wir setzen uns in die Küche und unterhalten uns wie zivilisierte Menschen.«

»Du und ich!«, herrschte sie mich an. »Moritz. Du wartest im Auto. Ich habe mit deinem Vater zu reden.«

Das klang gar nicht gut. Warum hatte ich plötzlich das Gefühl, etwas ausgefressen zu haben? Das gefiel mir ganz und gar nicht.

Moritz gab den Widerstand auf. »Wie du willst, ich habe ja doch keine andere Wahl.«

Zornig verließ er die Wohnung und stampfte über die Wendeltreppe nach unten. Ich hörte, wie die Eingangstür krachend ins Schloss fiel. Durchs Fenster beobachtete ich, wie Moritz sich in Katharinas Auto setzte. Anschließend wandte ich mich an meine Ex. »Willst du was zu trinken?«

Kati nickte und folgte mir in die Küche. Sie ließ sich auf einen Stuhl nieder und nahm dankbar ein Glas Wasser entgegen. Ich beobachtete sie dabei, wie sie in kleinen Schlucken trank. Dabei zuckte ihr Kehlkopf auf und ab. Sie hatte einen kleinen Kropf, den man kaum sehen konnte. Oft genug hatte ich ihren Hals gestreichelt und kannte ihren Körper in und auswendig. Manchmal vermisste ich sie.

»Was ist mit euch passiert?«, fragte ich. »Ihr hattet früher nie Probleme miteinander.«

»Ich weiß es nicht. Seit Wochen benimmt er sich unmöglich. Ich komm nicht mehr an ihn heran.« Sie atmete tief durch. »Er prügelt sich in der Schule mit anderen Jungs.« Ihr Blick wanderte zu meiner Stirn. »Hattest du auch eine Schlägerei?«

»Nein. Nicht direkt.«

»Na schön, was auch immer.« Sie zog einige Blätter aus ihrer Handtasche und breitete sie auf dem Küchentisch aus. »Die habe ich in Moritz‘ Schulranzen gefunden.«

Ich betrachtete die Zeichnungen und pfiff anerkennend durch die Zähne. »Er hat Talent.«

»Von mir hat er das nicht.« Sie seufzte. »Mehr fällt dir nicht dazu ein?«

»Na ja, was soll ich sonst sagen?« Erneut betrachtete ich die Bilder. »Na schön. Die Zeichnungen sind ein bisschen schräg, aber sonst? Absolut genial. Sieh dir nur diese Details an.« Da war ein Friedhof mit Grabsteinen, Kreuzen und blätterlosen Bäumen. Auf einem anderen Blatt ein Monster mit Hörnern und funkelnden Augen. Das dritte Bild zeigte ein Skelett. »Nun, das ist mehr als schräg. Vielleicht hat er von dem Fund gehört.«

»Die Zeichnung habe ich schon vor Tagen gefunden. Und das hier,«, sie zog ein letztes Blatt aus ihrer Tasche, »macht mir am meisten Sorgen.«

Ich blickte auf die Zeichnung und schauderte. Moritz hatte einen Mann mit einem Messer im Rücken gemalt. Dunkelrotes Blut lief über seinen Körper und ergoss sich auf den Boden, wo es sich in einer Pfütze sammelte. Das war nun wirklich heftig.

»Wen will er denn tot sehen?«, fragte ich.

»Hoffentlich niemanden. Aber er treibt sich auf zwielichtigen Internetplattformen herum.« Katharina wischte sich mit der Hand über die Augen und erhob sich. »Ich glaube, die unterhalten sich da über Tod und Teufel. Was soll ich tun? Sind Jungs in dem Alter so?«

Ob Jungs in dem Alter so waren? Das fragte sie ausgerechnet mich. Mein Leben hatte begonnen, da war ich dreizehn, etwas älter als Moritz, gewesen.

»Dabei kann ich dir leider nicht helfen«, sagte ich.

»Du hast recht, entschuldige.« Sie zögerte kurz. »Nimm dir zumindest mehr Zeit für ihn. Er braucht dich. Kann er Samstag bei dir übernachten?«

»Na, ich weiß nicht.« Der Zeitpunkt war denkbar ungünstig.

»Er ist auch dein Sohn!« Ihr Blick drohte mich zu durchbohren.

»Habe ich eine Wahl?«

»Nein, hast du nicht.« Sie lächelte. »Ich verlass mich drauf, dass es klappt, Nick.« Sie drückte mir einen Kuss auf die Wange. Ich brachte sie zur Tür, sah zu, wie sie in ihr Auto stieg und davonfuhr.

Grübelnd blickte ich durch den Raum. Die vielen Scheinwerfer an der Decke tauchten die Ausstellungsfläche in gleißendes Licht. Hier stellte ich meine düstersten Bilder aus, meine geheimsten Gedanken und Visionen. Von einer Düsterkeit überschattet jagten mir meine eigenen Gemälde und Skulpturen einen unangenehmen Schauer über den Rücken. Nur eines erfüllte mich mit Freude. Das Abbild eines Mädchens mit lockigen Haaren und dunklen Augen, das ich nun genauestens betrachtete. War dieses Mädchen die Frau, die ich heute kennengelernt hatte, die mir aber so vertraut erschien? Ich blinzelte, rieb mir über die Augen und wandte mich ab. Allmählich konnte ich keinen klaren Gedanken mehr fassen.

Ich schritt weiter durch den Raum und verweilte vor einem meiner besten Bilder im hintersten Winkel der Galerie. Rechts und links auf der Kohlezeichnung sah ich eine Ansammlung von Bäumen, deren kahle Kronen eng aneinander standen. Darüber ragte ein Felsen auf, dessen Gipfel die Überreste einer mittelalterlichen Burgruine trug. Auf den Mauern saßen Krähen, deren Schnäbel geöffnet waren. Neben der Ruine stand eine Person, ganz in Schwarz. Dunkle Wolken schwebten bedrohlich über die Szene hinweg. Ich konnte mich nicht daran erinnern, diesen Ort jemals besucht zu haben. Auch hatte ich diese Ruine trotz intensiver Recherchen in keinem Buch und auch nicht im Internet gefunden. Keine Ahnung, ob sie überhaupt existierte.

Vertieft in meine Gedanken verließ ich den Raum und stieg die Wendeltreppe nach oben. In der Küche lagen noch Moritz‘ Bilder. Ich betrachtete das von ihm gezeichnete Skelett. Mein Sohn hatte kein Detail ausgelassen und – was mir erst jetzt auffiel – auf den Rippen lag ein Kreuz, das mir doch sehr bekannt vorkam.

 

6

 

Mitten in der Nacht trug ein Mann einen schwarzen Leinensack durch den Wald. Für einen kurzen Moment huschten die silbernen Strahlen des Mondes über den Waldboden, ehe die vorüberziehenden Wolken den Himmel verdunkelten. Kein Licht war mehr am Himmel, als der Mann den Sack vor einem hölzernen Spielhaus vorsichtig ablegte, sich niederkniete und das Bündel vor sich ausbreitete. Der Strahl seiner Taschenlampe beleuchtete die Knochen, den Totenschädel, ein vollständiges, perfektes Skelett. Der Bursche zog mehrere Vogelfedern aus seiner Jackentasche und steckte sie gebündelt zwischen die knochigen Finger, die bereits gefaltet auf dem Brustkorb lagen.

Er öffnete eine Plastikdose, tauchte seinen Finger in eine dunkelrote Flüssigkeit, malte einen fünfzackigen Stern auf die hohe Stirn des Totenkopfes und schrieb mit dem Stiel einer schwarzen Feder mehrere Ziffern in die Zacken des Pentagramms.

Er kniete auf dem feuchten Waldboden. Sein Blick wanderte prüfend über das Skelett. Seine Kopfhaut kribbelte. Es fühlte sich an, als ob dort ein Ameisenvolk sein Unwesen trieb. Die Insekten machten sich auf den Weg über seinen Nacken, sein Gesicht und immer weiter abwärts. Sie krochen durch seinen Leib, seine Beine und verließen seinen Körper an den Zehenspitzen. Der Mann stöhnte auf. Er murmelte ein Gebet und zwang seinen Körper zur Ruhe. Das Kribbeln verschwand, er richtete sich auf.

Er nahm den schwarzen Leinensack, faltete ihn sorgfältig zusammen und machte sich auf den Weg zu seinem Auto, das er in einiger Entfernung am Wegesrand abgestellt hatte. Er öffnete den Kofferraum, legte den Sack hinein, schloss den Deckel und setzte sich hinters Steuer. Er hatte noch etwas zu erledigen. Voller Vorfreude auf das, was er geplant hatte, ließ er den Motor an und fuhr langsam davon.

***

Roland Bachmann erwachte mit pochenden Kopfschmerzen. Seine Augen gewöhnten sich nur langsam an die Finsternis, in die er blickte. Er versuchte, sich aufzurichten. Seine Glieder gehorchten ihm nicht. Seine Hände waren mit einem Strick so fest auf seinem Rücken zusammengebunden, dass er seine Arme nicht bewegen konnte. In seinem Mund steckte ein Knebel, der ihm das Atmen erschwerte. Er würgte.

Ruhig bleiben, dachte er und sah sich um. Die Umgebung war ihm vertraut. Ohne Zweifel befand er sich in dem Wochenendhaus, das er erst vergangenes Frühjahr für sich und seine Verlobte gekauft hatte. Viele Wochenenden hatten sie im Sommer hier verbracht, in lauen Nächten hatten sie auf der Terrasse gesessen und dem Geräusch zirpender Grillen gelauscht. Aber wie war er hierher gekommen? Er erinnerte sich an ein Krachen in seinem Kopf, an seinen Kofferraum, Dunkelheit. Wie lange war das her? Egal. Er musste etwas tun, ehe derjenige, der ihn gefesselt und hergebracht hatte, zurückkehren würde.

So schnell es ihm möglich war, schob er sich in Richtung Küche. Endlos lange Minuten vergingen, ehe er sein Ziel endlich erreichte. Sein Haar klebte nass auf seiner Stirn. Mehrere Strähnen hingen ihm in die Augen. Er konnte kaum atmen. Doch er musste sich zusammenreißen. So lehnte er sich mit dem Rücken gegen einen Küchenschrank, streckte die Beine durch und stand. Die erste Hürde war genommen. Nun zog er mit seinen tauben Fingern die Schublade auf, griff hinein und bekam den Griff eines Messers zu fassen. Diesen klemmte er zwischen Schublade und Arbeitsplatte. Das Messer steckte so fest, dass Bachmann die Fesseln an der Klinge reiben konnte.

Er hörte einen Motor. Ein Auto? Es wurde still. Bachmann hörte, wie eine Autotür zugeschlagen wurde. Schritte! Der Kies auf dem Weg knirschte unter den Schuhen von wem auch immer. Sie kamen näher. Hielten auf die Tür zu.

Verdammter Mist! Er rieb die Fesseln fester über die scharfe Kante der Klinge. Immer wieder rutschte er ab. Das Messer schnitt in sein Fleisch. Er spürte keinen Schmerz. Schweiß rann über seinen Körper.

Ein Schlüssel drehte sich im Schloss der Eingangstür, Bachmann hielt den Atem an. Hektisch rieb er weiter. Die Stricke lockerten sich. Die Tür fiel ins Schloss – ein letzter Schnitt. Seine Hände waren frei. Er riss den Knebel aus seinem Mund, atmete mehrmals tief durch und betrachtete bestürzt seine blutenden Hände.

Er lauschte den Schritten. Sie kamen auf die Küche zu. Bachmann schleppte sich zur Wand hinter der Tür. Sein Blick fiel auf das Messer, das noch immer in der Schublade klemmte. Er musste es holen, sofort, doch er zögerte. Die Tür schnellte auf ihn zu, prallte gegen sein Gesicht. Der Schmerz raste von seiner Nase über sein Jochbein in seinen Kopf. Funkelnde Sterne tanzten um ihn herum. Sie nahmen ihm die Sicht. Er blinzelte sie fort, griff nach seiner Nase, überall war Blut. Er hörte, wie die Tür ins Schloss fiel.

Er hörte hektisches Atmen, sah einen Mann vor sich. In der Hand hielt er einen Gegenstand. Bachmann versuchte noch, sich zu ducken. Es war zu spät. Er spürte, wie ein spitzer Gegenstand seitlich in seinen Hals eindrang. Ein Brennen folgte. Es breitete sich in seinem Muskel aus. Bachmann stürzte nach vorn. Seine Finger griffen nach der Maske, die der Angreifer über dem Gesicht trug, und rissen sie herunter. Bachmanns Fingernägel gruben sich tief in die Haut am Hals des Mannes. Dann verließ ihn die Kraft, und er sackte einfach so zusammen.

»Warum tust du das?«, fragte er verzweifelt. Langsam glitt er zu Boden.

»Du hättest besser aufpassen und dem Skelett nicht das Bein brechen sollen«, knurrte der Kerl. »Sie war ein Engel!«

Was sollte das nun? Wie irre war dieser Kerl?

Bachmann versuchte, sich aufzubäumen, seine Muskeln streikten. Das Knie des Mannes drückte ihn fest gegen den Boden. Ein Messer schwebte durch die Luft. Bewegungsunfähig starrte Bachmann an die Decke und bemerkte, wie ihm sämtliche Kleider vom Leib geschnitten wurden.

Entsetzen packte ihn, eine grässliche Kälte ergriff von ihm Besitz. In der Gewissheit, dass er sterben würde, bat er im Stillen um rasche Erlösung. Er wurde erhört. Die Klinge des Messers sauste herab. Bachmann schloss die Augen, um sie nie wieder zu öffnen.

 

7

 

Ich flüchtete durch einen finsteren Korridor, hinter mir erklangen Schritte. Als ich einen Blick über die Schulter warf, erkannte ich weiß polierte Knochen und einen Totenkopf. Er grinste. Auf seiner Stirn leuchtete ein dunkelrotes Pentagramm. Ich rannte schneller. Vor mir erschien das Gesicht eines Mädchens, das von hellbraunen Locken umrahmt war. Ein Engel, dachte ich, was sonst? Hinter mir klapperten die Knochen, lauter, immer lauter. Das Mädchen vor mir breitete die Arme aus. Ich erreichte sie nicht. Knochige Finger legten sich um meinen Hals, rissen mich zurück. Ich stürzte. Mein Kopf krachte auf den blanken Fels. Die Wände neben mir lösten sich auf. Nur noch der Totenkopf schwebte über mir. Sein Kiefer klappte auf.

Er beugte sich herab und wollte mich gerade verschlingen, als ich die Musik hörte. Mein Lieblingssong: Runaway von Bon Jovi. Der Totenkopf verschwand. Ich riss die Augen auf und fand mich in meinem Bett wieder. Durch die Ritzen der Jalousie drang frühes Tageslicht ins Innere, ich atmete auf. Was für ein Albtraum.

Meine Finger griffen nach dem Handy, das neben mir auf dem Nachttisch vibrierte und unentwegt diesen einen Song spielte. Ich meldete mich. »Ja?«

»Eddy hier.«

»Was willst du so früh am Morgen?« Ich blickte auf meinen Wecker. Es war kurz nach neun Uhr. So spät schon?

»Liegst du etwa noch im Bett?«, fragte Eddy.

»Ich hab wohl vergessen, den Wecker zu stellen«, murmelte ich. »Also, was willst du?«

»Ich brauche einen Fotografen«, klärte Eddy mich auf. Er klang sehr mürrisch. »Bachmann ist immer noch verschollen, und ich brauche hier sofort einen, der ordentliche Bilder macht.«

»Für ein Verbrechen?« Sofort war ich hellwach.

»Was denn sonst?«

Oh oh, er war sehr schlecht gelaunt.

»Und da hast du an mich gedacht?«

»Du bist doch Fotograf, oder?«

»Bist du sicher, dass du einfach so einen externen Fotografen beauftragen darfst?«, gab ich zu bedenken. »Hast du niemanden unter deinen Leuten, der Bilder machen kann?«

»Nein, hab ich nicht. Und ja, ich beauftrage dich hiermit, Fotos zu machen. Du bist ja kein Fremder.«

»Ähm, das nicht, aber …«

»Du kennst den Waldspielplatz im Westen der Stadt? Dort findest du uns«, fiel er mir ins Wort.

»Na schön, aber du übernimmst die Verantwortung dafür.«

»Ja, ja. Beeil dich. Wir haben nicht den ganzen Tag Zeit.« Er legte auf.

Und ich sah zu, dass ich so schnell wie möglich aus dem Haus kam.

***

Eine halbe Stunde später fuhr ich auf den Waldspielplatz zu, parkte meinen Wagen und stieg aus. Ich beobachtete, wie weiße Nebelschwaden über den mit Laub übersäten Waldboden krochen. Der Wind strich eiskalt über mein Gesicht. Ich zog den Reißverschluss meiner Jacke nach oben, klappte den Kragen hoch und setzte mich in Bewegung.

Während ich an den am Straßenrand geparkten Streifenwagen vorüberging, packte mich ein vertrautes Gefühl. Ich fragte mich, ob es gut für mich war, hier zu sein, konnte den Gedanken aber nicht zu Ende führen, als ein Polizist sich mir in den Weg stellte.

»Sie haben hier nichts zu suchen. Hier laufen polizeiliche Ermittlungen«, knurrte der Beamte.

Ich kannte ihn schon länger. Der Name des Mannes war Bruno Schmidt. Ich mochte ihn nicht besonders. Er mich auch nicht.

»Was treibt dich hier raus, Holsten, um diese Uhrzeit im Wald? Hast du nichts anderes zu tun, als die Polizei bei der Arbeit zu stören?« Schmidt spielte sich ganz schön auf.

»Genau, sonst habe ich nichts zu tun«, konterte ich. »Darf ich jetzt trotzdem durch?«

»Werd bloß nicht frech«, zischte er und drängte auf mich zu.

Ich wich einen Schritt zurück und verzog angewidert das Gesicht, als mir eine Knoblauchfahne in die Nase drang.

»Hey, ich will keinen Ärger«, sagte ich. »Kommissar Krieger wartet auf mich, ich soll hier Fotos machen.« Zur Bekräftigung meiner Worte hob ich meine Kamera in die Höhe. Zum Glück kam Eddy gerade aus dem Nebel heraus auf uns zu.

»Das wurde auch Zeit!«, meckerte er mich an, und dann zu Schmidt: »Wir warten auf den Mann, also halten Sie ihn nicht auf.«

Während ich hinter Eddy herging und die in weiße Overalls gehüllten Beamten von der Spurensicherung beobachtete, ergriff schnell ein lästiges Kribbeln Besitz von mir. Sämtliche Härchen auf meinem Körper stellten sich auf, das Herz in meiner Brust schlug immer schneller und lauter. Ich fürchtete, selbst Eddy könne es hören. Also blieb ich stehen und packte ihn am Arm.

»Was ist?«, fragte Eddy und drehte sich genervt zu mir um.

»Was soll ich hier überhaupt fotografieren?«, fragte ich. Mir war gar nicht mehr wohl bei der Sache.

»Hatte ich das nicht erwähnt am Telefon?«

»Nein, hast du nicht.«

»Oh. Na dann. Ein Skelett, es liegt dort drüben.« Er senkte seine Stimme zu einem Flüstern. »Ist alles in Ordnung mit dir?«

»Ja, sicher«, log ich und ging zögernd weiter. Da sah ich es schon von Weitem auf dem dunklen Boden liegen. Ein ehemaliger Kollege reichte mir einen weißen Overall. Ich schlüpfte hinein und stand gleich darauf vor dem Skelett. Der Anblick erinnerte mich an vorletzte Nacht. Allerdings hielten die knochigen Finger ein Bündel schwarzer Federn.

Das nervöse Kribbeln in meinem Bauch schwoll an und breitete sich allmählich über meinen ganzen Körper aus. Nicht mehr lange, und aus dem Kribbeln würden unerträgliche Schmerzen werden, das passierte nicht zum ersten Mal. Ich musste das in den Griff bekommen. Deshalb atmete ich die kalte Luft tief in meine Lungen, ballte meine Hände zu Fäusten. Langsam blies ich die Luft wieder aus und schloss für einen Moment die Augen. Das unbehagliche Gefühl verzog sich.

Erleichtert machte ich mich an die Arbeit. Zunächst fotografierte ich die Umgebung, anschließend die Knochen. Als ich eine Großaufnahme des Schädels machte, fielen mir innerhalb des Pentagramms die Ziffern auf. Mit bloßem Auge konnte ich sie jedoch nicht erkennen. Also zoomte ich sie heran, machte mehrere Fotos und traute meinen Augen kaum.

Ich blinzelte mehrmals und blickte erneut durch den Sucher meiner Kamera. Die Zahlen standen noch immer da: 19 91 10 19.

Ich stöhnte leise auf, als das quälende Kribbeln in meinen Leib zurückkehrte. Mein Blick haftete auf dem Totenkopf, den Gebeinen und den schwarzen Federn. Was hatte das alles zu bedeuten?

Ich fühlte eine Hand auf meiner Schulter, wirbelte herum, meine Augen weit aufgerissen.

»Nick? Hast du ein Gespenst gesehen?«, fragte Eddy besorgt.

»So was Ähnliches«, murmelte ich, darum bemüht, normal zu klingen, was mir nicht annähernd gelang. »Ich bin hier fertig. Ist sonst noch was?«

»Hast du alles fotografiert?«

»Hab ich.« Ich ging davon, trat hinter die Absperrung, schlüpfte aus dem Overall und presste die Hand gegen meinen Bauch, der sich mehr und mehr verkrampfte.

»Geht’s dir nicht gut?«, erkundigte Eddy sich. »Du siehst blass aus.«

»Hab wohl etwas Falsches gegessen«, erwiderte ich und wandte mich zum Gehen.

Doch Eddy hielt mich zurück. »Moment. Ich brauche die Speicherkarte. Ich kann es mir nicht erlauben, noch mehr Fotos zu verlieren.«

»Natürlich.« Während ich mit zitternden Fingern einen Knopf an meiner Kamera drückte, um die Dateien aus dem internen Speicher auf die Speicherkarte zu kopieren, trat ein junger Mann neben Eddy. »Wir haben alles abgesucht, aber kein goldenes Kreuz gefunden, wie bei dem anderen Skelett gestern.«

Ich horchte auf. Was für ein goldenes Kreuz? Das andere Skelett hatte doch kein Kreuz!

»Wie viele Skelette gibt es eigentlich?«, fragte ich leise. Beinahe wäre mir die Kamera aus meiner zitternden Hand gefallen, als ich die Speicherkarte herauszog.

Eddy zog die Augenbrauen zusammen. »Nur zwei, warum?«

»Das Skelett, das ich gefunden habe, hatte kein Kreuz. Hast du dir die Fotos noch nicht angesehen?«

»Nein, bin noch nicht dazu gekommen. Aber es hatte ein Kreuz auf den Rippen.«

»Mit einer Schlange?«

»Ich dachte, du hättest es nicht gesehen? Was weißt du darüber?«

»Nichts.« Ich reichte ihm die Speicherkarte. »Tut mir leid, Eddy, aber ich muss hier weg.«

»Kannst du nachher bei mir im Büro vorbeikommen und ein Formular unterschreiben?«

»Ja, sicher.« Ich verließ im Laufschritt den Spielplatz, als wäre der leibhaftige Teufel hinter mir her. Vermutlich hielt Eddy mich für verrückt, so wie er mich angesehen hatte, aber das war mir vollkommen egal.

Außer Atem und mit einem schmerzhaften Grollen im Bauch, erreichte ich meinen Wagen, kletterte hinters Lenkrad, startete den Motor und fuhr los. Als ich den Volvo über die schmale Straße den Berg hinunter lenkte, bekam ich meine Gefühle einigermaßen unter Kontrolle. Jedoch hatte ich das dringende Bedürfnis mit jemandem über all das zu reden, das mich gerade beschäftigte.

 

8

 

Es war niemals einfach für mich gewesen, ohne eine einzige Erinnerung an meine Kindheit heranzuwachsen. Doch meine Psychotherapeutin und Pflegemutter Helen Holsten brachte mir bei, damit umzugehen. Nach dem frühen Tod ihres Ehemannes fand sie ihre Berufung darin, mir ein normales Leben zu ermöglichen. Sie nahm mich an wie ihren eigenen Sohn. Eigene Kinder waren ihr nicht vergönnt gewesen.

Helen rettete mich, ihr verdankte ich mein einigermaßen geregeltes Leben. Sie klärte mich auch darüber auf, dass meine Eltern wie vom Erdboden verschluckt waren. Später zog ich alle Möglichkeiten in Betracht, warum meine Eltern nicht nach mir suchten. Vielleicht waren sie tot. Oder ich wurde entführt, der Entführer hatte die Nase voll von mir und wollte mich entsorgen. Manches Mal dachte ich sogar daran, dass meine Eltern mich töten wollten.

Nun kam mir eine neue Idee in den Sinn. Waren meine Eltern Diebe gewesen, die mich dazu gezwungen hatten, etwas zu stehlen? War das der Grund dafür, weshalb ich mit einem Messer in der Brust durch diesen düsteren Korridor flüchtete? Ließen sie mich einfach so zurück, nachdem ich erwischt wurde? Doch was bedeuteten diese Skelette, das Kreuz und das Messer?

Kopfschmerzen hämmerten von innen gegen meine Stirn. Zu viele Gedanken jagten im Kreis herum durch meinen Kopf. Ich brauchte jemanden, der mir zurück in die Spur verhalf. Deswegen drückte ich jetzt den Klingelknopf neben Helens Haustür.

Sie öffnete die Tür, umarmte mich herzlich und lachte vor lauter Freude. »Nick! Wie schön, dass du mich mal wieder besuchen kommst.«

»Wie geht‘s dir?«, fragte ich lächelnd, als wir ins Innere des Hauses traten. Hier sah es aus wie immer. Und es roch sogar wie früher, nach einer Mischung aus Rosenblüten und Vanille, Helens Lieblingsdüfte. Sie erinnerten mich an meine Jugend, nun, zumindest an den späteren Teil.

»Seitdem ich in Rente bin, geht es mir von Tag zu Tag besser«, antwortete sie. »Aber du siehst blass aus um die Nase. Komm in die Küche. Möchtest du einen Kaffee? Ich habe mir endlich einen von diesen modernen Automaten angeschafft. Der Kaffee daraus ist einfach himmlisch.« Sie sah sehr glücklich aus.

»Dann sollte ich den wohl probieren«, erwiderte ich. Auf einem Stuhl vor dem Küchentisch ließ ich mich nieder.

»Was liegt dir auf dem Herzen?«, wollte sie wissen. Sie stellte eine Tasse mit frisch gebrühtem Kaffee vor mir ab.

»Ich war eben auf dem Spielplatz, oben im Wald. Ich habe für die Kripo ein …« Ich räusperte mich. »Skelett fotografiert, und da ist es passiert.«

»Was ist passiert?«, fragte sie und sah mich aufmunternd an.

»Diese Gefühle waren wieder da, zuerst das Kribbeln, dann die Schmerzen.« Ich zog eine Schnute. »Genau wie vor ein paar Jahren, bevor ich die Therapie begonnen habe.« Meine zitternde Hand umklammerte die Tasse fester, die vor mir stand.

»Deshalb hast du deinen Job bei der Kripo gekündigt. Damit du nicht mehr mit Leichen und Blut konfrontiert wirst. Und nun machst du doch wieder Fotos für die?« Verwundert sah sie mich an. »Das war ziemlich dumm von dir.«

»Okay. Es war ein Fehler, das weiß ich jetzt auch. Aber es war ja nicht mal eine Leiche, nur ein Skelett.«

Aber das Skelett eines Kindes, mahnte mich eine innere Stimme. Nicht alle Leichen bereiteten mir diese Höllenqualen, sondern vor allem tote Kinder – und deren Gebeine. »Meinst du, ich bin verrückt?«

Sie wich meiner Frage aus. »Ich kenne einen guten Therapeuten. Nick, du wurdest beinahe getötet, als du noch ein Kind warst. Du hast Schreckliches durchgemacht, jemand hat dir ein Unrecht angetan …«

»Oder auch nicht«, unterbrach ich sie. »Vielleicht habe ich auch etwas ausgefressen und hatte deshalb ein Messer in meiner Brust. Ich muss endlich die Wahrheit herausfinden.« Ich besann mich. »Dein Bruder war Polizist, er hat mir im Krankenhaus Fragen gestellt, daran kann ich mich noch erinnern. Hat er etwas herausgefunden, das du mir bislang verschwiegen hast? Oder habe ich doch etwas erzählt, das ich wieder vergessen habe?«

Sie senkte den Blick. Ich glaubte, dass sie etwas vor mir verbarg.

»Du solltest die Vergangenheit ruhen lassen«, meinte sie.

»Das kann ich nicht. Gestern hat mich ein junger Mann im Atelier aufgesucht. Ich soll jemanden für ihn finden, der am 19. Oktober 1991 verschwunden ist.«

Sie zuckte zusammen, starrte auf ihre Hände und schwieg.

Ich zog mein Handy aus der Jackentasche und zeigte ihr das Foto des Jungen. »Das ist er. Sein Name ist anscheinend Benjamin. Er ist so alt wie ich. Und sieht auch noch so aus wie ich, findest du nicht?«

Helen betrachtete das Foto, zog die Stirn in Falten und seufzte. »Ich bin mir nicht sicher.«

Das konnte sie mir nicht weismachen. Ganz sicher hatte sie den Jungen ebenfalls in mir erkannt.

»Ich muss los. Eddy erwartet mich im Präsidium«, sagte ich. »Sollte dir noch etwas einfallen, melde dich bei mir.« Unzufrieden stand ich auf und ging vor Helen durch den Flur zur Haustür.

»Lass die Vergangenheit ruhen, schau in die Zukunft.« Sie drückte mir einen Kuss auf die Wange. »Und richte meinem Neffen einen schönen Gruß aus. Ich habe ewig nichts von Eddy gehört.«

Ich verließ das Haus mit der Gewissheit, dass sie mehr wusste, als sie preisgab. Warum sagte sie mir nicht einfach die Wahrheit? Enttäuscht stieg ich hinter das Lenkrad meines Autos, ließ es an und machte mich auf den Weg zur Kripo.

***

Als ich in der Abteilung für Kapitalverbrechen bei der Kriminalpolizei eintraf, fand ich die gesamte Etage wie ausgestorben vor. Die Tür zu Eddys Büro stand offen, doch der Raum war leer. Unentschlossen trat ich von einem Fuß auf den anderen. Ich überlegte mir gerade, später wiederzukommen, als mein Blick auf Eddys Schreibtisch fiel.

Dort lag eine Aktenmappe, nun, das war ja nichts Besonderes, aber das Foto, das oben auflag, machte mich neugierig. Also betrat ich das Büro. Auf dem Bild sah ich ein mit einem goldenen Schlangenkreuz geschmücktes Skelett. Es lag auf einem Seziertisch. War dies dasselbe Skelett, mit dem ich persönlich Bekanntschaft gemacht hatte? Sicher war ich mir nicht. Ich zog mein Smartphone aus der Jacke und machte mehrere Aufnahmen des Fotos. Anschließend öffnete ich den Aktenordner und überflog Eddys Notizen. Dort hatte er ein Datum aufgeschrieben:

19.10.1991.

Also hatte Eddy die Zahlen auf der Stirn des Totenkopfs genauso interpretiert wie ich. Und das Skelett von heute Morgen hatte dreizehn schwarze Rabenfedern in den Händen gehalten. Warum das denn?

Ich fand noch einen Bericht. Bei den Überresten des Skeletts, das ich gefunden hatte, handelte es sich um ein Mädchen, das im Alter von ungefähr zehn Jahren gestorben war. Das Kreuz, das sie bei den Knochen gefunden hatten, war aus reinstem Gold. Das Pentagramm auf dem Schädel bestand aus roter Farbe, die einen großen Anteil menschlichen Blutes enthielt. So etwas hatte ich mir schon gedacht.

Außerdem fand ich in der Mappe ein Fax der Polizei Freiburg. Dort war vor über zwei Wochen ebenfalls ein Skelett gefunden worden. Es handelte sich um die Überreste eines zehnjährigen Mädchens. Eine Melissa Gruber. Auf ihrem Brustkorb war ein Kreuz gefunden worden, das kurz nach der Obduktion der Knochen spurlos verschwunden war. Auch diesen Bericht fotografierte ich und legte ihn dann wieder zurück in die Mappe.

Von draußen wurden allmählich Stimmen laut. Ich warf einen Blick durch den Türspalt. Die Beamten kehrten an ihre Arbeitsplätze zurück. Hastig klappte ich die Mappe zu und legte das Foto des Skeletts obenauf.

»Was machst du hier?«, polterte Eddys tiefe Stimme hinter mir.

Ich fuhr herum. »Du hast mich hergebeten. Ich soll ein Formular unterschreiben, und ich soll dich von deiner Tante Helen grüßen«, erklärte ich und trat zur Seite.

»Ach ja, das Formular, das muss ich noch ausfüllen«, erwiderte Eddy. Er setzte sich an seinen Schreibtisch und starrte mich an. »Du hast hier drin nichts verloren, wenn ich nicht da bin.«

»Entschuldigung. Hattet ihr eine Besprechung?«, fragte ich.

Eddy nickte. »Mein Chef war begeistert von deinen Fotos. Er lässt fragen, ob du nicht zur Kripo willst.«

»Nein danke.« Nicht mehr nach diesem Erlebnis heute Morgen.

»Denk noch mal drüber nach.« Eddy klappte seine Aktenmappe auf. »Und? Hast du das Datum erkannt?«

»Welches Datum?«

»Hör auf damit. Ich hasse es, wenn du dich so dumm stellst. Der 19. Oktober 1991.«

»Natürlich habe ich es erkannt«, gab ich zu. »Das Skelett hatte Federn in der Hand. Warum kein Kreuz?« Ich deutete auf das Foto, das Eddy unter seiner Hand versteckte. »Aber dieses hatte eines. Und das in Freiburg!«

»Wenn du noch einmal meine Akten durchwühlst, lasse ich dich einsperren«, zischte Eddy. »Meine Unterlagen gehen dich nichts an, das solltest du eigentlich wissen. Warst du nicht mal bei der Polizei?«

»Eddy. Ich brauche deine Hilfe.«

Er sah mich besorgt an. »Nick, du bist kreidebleich. Was ist los mit dir?«

Ich schloss die Tür des Büros und hielt Eddy das Display meines Handys vor die Nase. »Sieh dir dieses Gesicht an.«

»Ist das ein Sohn von dir?« Eddy schmunzelte. »Bist du deshalb so nervös?«

»Wie kommst du darauf?«, fragte ich erbost. »Nein, ich habe nur einen Sohn, Moritz. Und dieses Foto ist schon einundzwanzig Jahre alt.«

»Trotzdem sieht der Junge dir sehr ähnlich, vor allem die Augenpartie«, stellte Eddy fest.

»Ja. Das habe ich auch schon bemerkt«, stimmte ich ihm zu. Meine Mundwinkel zuckten nervös. »Er wird von jemandem gesucht. Allerdings ist er 1991 verschwunden. Er müsste in meinem Alter sein. Sein Name ist Benjamin.«

»Tatsächlich? Der Name passt gar nicht zu dem Jungen. Du willst mich hoffentlich nicht veralbern.«

»Nein, danach ist mir gerade nicht zumute.« Ich zog die Augenbrauen zusammen. »Kannst du es checken?«

»Du willst, dass ich das Foto durch die Datenbanken abgleichen lasse, obwohl du davon ausgehst, dass du dieser Junge bist?«

»Ich will nur Gewissheit haben.« Ich dachte einen Moment nach und schickte das Foto an Eddys PC. »Du behältst die Sache aber bitte für dich.«

»Natürlich«, versprach er. Dann holte er endlich das Formular. Nachdem ich es unterschrieben hatte, verließ ich sein Büro und hoffte, dass ich die richtige Entscheidung getroffen hatte, ihn in die Sache einzuweihen.

 

9

 

Am Himmel zogen dunkle Wolken heran, der Wind wirbelte trockenes Laub auf und der Geruch nach Regen drang durch das gekippte Fenster ins Innere meines Ateliers. Die Wettervorhersage aus dem Radio prophezeite heftige Gewitter über Baden-Württemberg. Das Wetter spielte eindeutig verrückt. Genau wie meine Gedanken, die nicht zur Ruhe kommen wollten.

Ich saß an meinem Zeichentisch auf einem Hocker, vor mir lag ein leeres Blatt Zeichenpapier, auf dem ich gerade einen Bleistift ansetzte und zu malen begann. Nach kurzer Zeit sah ich schon die Konturen eines Gesichtes vor mir. Ich malte die ordentlich nach hinten gekämmten Haare, die Nase und die Augenbrauen mit den darunter liegenden, markanten braunen Augen. Nachdem ich noch ein paar Einzelheiten ergänzt hatte, betrachtete ich zufrieden das Phantombild meines Auftraggebers.

Ich breitete ein weiteres Blatt Papier vor mir auf dem Tisch aus und skizzierte zwei hellgraue Augen und die darüber liegenden Brauen in einem ansonsten maskierten Gesicht. Mir fiel auf, dass die Augenpartien der beiden Männer sich glichen. Nur die Farbe der Iris unterschied sich gravierend. Allerdings ergab es überhaupt keinen Sinn, warum der Kerl mich nachts zu einem Skelett locken und mir am nächsten Tag fünfhundert Euro für einen Auftrag in die Hand drücken sollte. Ein absurder Gedanke, fand ich, und deshalb verwarf ich ihn schnell wieder.

Im Anschluss daran verglich ich das Kreuz des Skeletts, mit dem auf der mir überlassenen Zeichnung. Es gab einen Unterschied: die römische Ziffer. Das fotografierte Kreuz trug die XI, das skizzierte die XIII. Welche Zahl wohl auf dem Kreuz des Freiburger Fundes gestanden hatte? In dem Fax fehlte ausgerechnet diese Information. Ich griff zum Telefon und wählte die Nummer des zuständigen Beamten bei der Kripo ind Freiburg. Der meldete sich auf Anhieb.

»Guten Tag«, sagte ich mit möglichst tiefer Stimme. »Kripo Stuttgart. Ich bin für die Skelettfunde zuständig und habe Ihr Fax vorliegen.«

Der Beamte am anderen Ende der Leitung klang ein wenig skeptisch. »Haben Sie auch einen Namen?«

»Krieger«, log ich. »Ich würde gerne wissen, ob das Kreuz, das bei dem Skelett gefunden wurde, auch eine Zahl hatte.«

Ein stiller Moment folgte, dann das Knistern von Papier, ehe der Mann bereitwillig Auskunft gab. »Die römische Zahl XII.«

»Und haben Sie auch Zahlen auf dem Totenkopf gefunden?«, hakte ich nach.

»Ja, genau. 19 90 6 16. Wahrscheinlich ein Datum. Würden Sie bitte daran denken, uns Ihren Bericht zu schicken?«

»Das werde ich, sobald ich ihn fertig geschrieben habe. Vielen Dank.« Ich beendete das Gespräch und kritzelte die Zahlen nebeneinander auf ein Blatt Papier: 1989, die XI. 1990, die XII. 1991, kein Kreuz. Warum? Vielleicht, weil es jemand gestohlen hatte? Dafür dreizehn Federn. Ein Sinnbild? Aber wofür? Ich begann zu zittern. Doch es gelang mir, die aufkeimende Angst erneut zurückzudrängen.

Ich erhob mich von meinem Stuhl, ging zum Fenster und blickte hinaus. Erste Blitze durchzuckten den wolkenverhangenen Himmel. Ich hörte das Grollen des noch weit entfernten Donners. Durch das gekippte Fenster drang Luft herein. Sie roch nach Regen. Und sie kühlte mein erhitztes Gesicht. Abermals suchte ich in in meinem Innersten nach Antworten auf die Fragen, die ich mir schon ein Leben lang stellte. Doch wie immer fand ich sie nicht. In mir herrschte absolute Stille.

***

In der Gaststätte war an diesem Abend noch weniger los als gestern. Ich blickte müde auf das zur Hälfte leer getrunkene Glas Bier, das ich zwischen meinen Handflächen hin und her drehte. Seit Tagen hatte ich nicht mehr richtig geschlafen. Ich sehnte mich nach meinem Bett, doch Eddy hatte darauf bestanden, sich mit mir zu treffen. Und schon kam er durch den Raum gehetzt. Er hängte seinen Mantel über die Lehne eines Stuhles und ließ sich gleich auf Selbigem nieder.

»Endlich kommst du, war auch Zeit«, meckerte ich.

»Bin ich zu spät?« Eddy warf einen Blick auf seine Uhr. »Tut mir leid.«

»Was willst du?«, knurrte ich. »Hast du etwas über den Jungen herausgefunden? Oder über mich?«

Eddy runzelte die Stirn. »Vielleicht habe ich das.«

»Vielleicht? Was soll das nun wieder heißen?« Meine Nerven waren gespannt wie Drahtseile. Hoffentlich waren sie stark genug.

»Nun ja. Es gibt da noch etwas zu klären.« Eddy senkte den Blick.

»Kannst du mir nichts sagen, oder willst du nicht?«

»Schwer zu sagen.« Er zögerte. »Sobald ich sicher bin, werde ich dich aufklären, okay?«

Nein, nichts war okay. »Um mir das zu sagen, hast du mich herbestellt? Hätten wir das nicht am Telefon klären können?«

Eddy sagte nichts. Aber er machte einen sehr nervösen Eindruck, und ich hatte das Gefühl, dass er mir etwas verschwieg. Vermutlich hatte er etwas herausgefunden, worüber er aber nicht mit mir reden wollte. Genau wie Helen. In meinem Kopf entwickelten sich die übelsten Verschwörungstheorien. Ich hasste diese Gedanken, doch auch die waren Teil meines Lebens. Es war ja schon besser geworden. Mittlerweile gab es vier Menschen in meinem Leben, denen ich nicht mehr misstraute. Zwei davon hatten sich gegen mich verschworen. Ich kniff die Augen zusammen.

»Nick, was ist los mit dir?«, unterbrach Eddy meine Gedanken. »Du wirkst ein wenig beunruhigt.«

Beunruhigt? Wenn der wüsste, dachte ich und sagte: »Kann schon sein.«

»Willst du darüber reden?«

Ich dachte kurz nach und nickte dann. »Ich glaube, ich werde verfolgt.«

»Das glaubst du? Und wie kommst du darauf?«

»Gestern Nachmittag habe ich auf dem Parkplatz des Präsidiums eine Frau kennengelernt. Abends habe ich sie hier getroffen. Wir haben geplaudert, kamen uns näher.« Ich runzelte die Stirn. »Doch dann ist sie ganz schnell verschwunden.«

»Sie hat dir einen Korb gegeben?«, fragte Eddy. Sein Mund verzog sich zu einem Grinsen.

»Ja leider«, erwiderte ich. »Die war so was von scharf.«

»So was von scharf?« Eddy hob eine Augenbraue. »Und sie verfolgt dich also.« Sein Grinsen wurde so breit, ich konnte seine Goldkronen ganz hinten links glitzern sehen.

»Machst du dich über mich lustig? Ich finde das nicht witzig.«

»Ich schon.« Eddy lachte, wurde aber sofort wieder ernst. »Ich finde, du solltest Anzeige erstatten.«

»Wegen was? Weil mich eine Frau verfolgt?«

»Nein, nicht deshalb. Das ist ja nichts Neues.«

»Was soll das nun wieder? Bist du neidisch?« Nun grinste ich.

»Worauf?«, blaffte Eddy. »Auf deine schönen Augen, die jede Frau dahinschmelzen lassen, oder deinen natürlichen Charme? Wie kommst du darauf?« Er schnaubte. »Aber ich bin zumindest verheiratet und habe zwei Söhne.«

»Hey, ich habe auch einen Sohn. Und ich bin nur nicht verheirate, weil ich meine Freiheit schätze, das weißt du ganz genau.«

»Oder weil du manchmal ein Ekel bist. Oder nicht genug von Frauen bekommen kannst. Wie viele hast du diesen Monat denn schon flach gelegt?«

»Du bist neidisch, oder?« Ich nahm einen kräftigen Schluck aus meinem Bierglas.

Eddy runzelte die Stirn. »Neidisch? Ich bin jetzt lieber ruhig.«

»Gute Idee!«

Ich blickte durch den Raum und entdeckte die Fremde. Sie sah mich herausfordernd an. Ein süßes Kribbeln breitete sich in mir aus.

»Da ist sie.«

Eddy drehte sich um und folgte meinem Blick. »Das ist die Frau, die dich verfolgt?«, fragte er.

»Ja, das ist sie.«

»Verdammt«, fluchte Eddy. »Warum werde ich nie von solchen Frauen verfolgt?«

»Tja, vielleicht liegt es an deinem umwerfenden Charme«, sagte ich grinsend und erhob mich. »Bin gleich wieder da.«

Ich ging durch den Raum auf sie zu. Auf dem Stuhl, der ihr am nächsten stand, ließ ich mich nieder. »Du warst ziemlich schnell weg gestern. Verrätst du mir heute deinen Namen?«

Sie lächelte. »Alexandra. Nenn mich Alex.«

Nun ging sie aber forsch zur Sache. Das gefiel mir.

»Alex«, wiederholte ich ihren Namen. »Du bist aber ganz zufällig hier, oder?«

Sie blickte mir tief in die Augen. »Nein, eigentlich nicht. Ich wollte mit dir reden.« Sie besann sich kurz. »Ich glaube, wir kennen uns von früher.«

»Von früher?«

»Ja. Von der Schule, in Freiburg, 1991«, fuhr sie fort.

Von der Schule in Freiburg? 1991? Sollte mich schon wieder meine Vergangenheit einholen? Einen kurzen Moment lang dachte ich darüber nach, die Flucht zu ergreifen. Doch der intensive Blick aus ihren dunklen Augen bannte mich an Ort und Stelle. Also rang ich mich dazu durch, mit ihr zu reden. Vielleicht würden wir uns besser kennenlernen oder so, dachte ich mir.

»Und?«, sagte sie. »Stimmt es, dass du aus Freiburg stammst?«

»Leider kann ich mich nicht daran erinnern, ob ich jemals in Freiburg zur Schule gegangen bin«, klärte ich sie auf.

»Was meinst du damit, du kannst dich nicht daran erinnern?«

»Ich hatte einen Unfall, seitdem leide ich unter einer lang anhaltenden Amnesie. So definiert das zumindest meine Therapeutin.«

»Oh. Das tut mir leid.« Sie legte ihre Hand auf meinen Arm und rückte ihren Stuhl ganz nahe an meinen. Unsere Knie berührten sich. »Deshalb erinnerst du dich nicht an mich?«

»Glaub mir, ich würde mich gerne an dich erinnern.«

Sie war mir so nahe, dass mein Blut in Wallung geriet. »Warum erzählst du mir nicht etwas über dich?«

Sie nickte. »Warum nicht? Mein voller Name ist Alexandra Hertzog, ich bin Journalistin und schreibe gerade an einer Story über seltene Artefakte.«

»Eine Story über Artefakte?«, wiederholte ich.

Ganz beiläufig legte ich meinen Arm über die Rückenlehne ihres Stuhls. Ich ließ sie nicht aus den Augen.

»Das ist es auch. Und über rituelle Opferungen und ihre Bedeutung in der heutigen Zeit«, erklärte sie.

»So etwas interessiert dich?«, fragte ich verwundert.

»Und ob. Ich bin wegen der Kreuze hier. Und wegen der Skelette.« Sie sah mir tief in die Augen.

»Wegen der Skelette?« Meine Haut begann zu kribbeln. Aber nicht nur wegen des Skeletts.

»Ja, das passt zu meiner Story«, erklärte sie.

Sachte legte ich meine Hand auf ihren Rücken, sie schien nichts dagegen zu haben.

»Tatsächlich? Weißt du etwas über diese Knochengerippe?«, fragte ich.

»Nein. Und du?«

»Ich weiß gar nichts darüber.«

Ich hatte jetzt keine Lust mehr, über diese Angelegenheit zu reden. Mir stand der Sinn nach anderem. Meine Hand glitt zärtlich über Alex‘ Rücken. Sie wand sich unter meinen Fingern. Ihr Oberschenkel drückte fest gegen Meinen. Sie schien sich auf meinen Annäherungsversuch einzulassen. Der Blick aus ihren tiefgründigen Augen ließ mein Herz noch schneller schlagen, erregte mich. Ein Gefühl durchströmte meinen Körper, das ich so nicht kannte. Normalerweise trieb mich das Verlangen nach Sex in die Arme der Frauen, nicht so bei ihr, jedenfalls nicht ausschließlich. Ich mochte sie. Nein, es war mehr als das. Sie war gerade dabei, mir komplett den Kopf zu verdrehen.

»Ich sollte jetzt gehen«, murmelte sie.

»Das ist jetzt nicht dein Ernst. Du willst tatsächlich gehen?«, fragte ich. »Jetzt? Wir könnten …«

»Ich bin keine Frau für eine Nacht!«, unterbrach sie mich.

Deutliche Worte, die wie eine kalte Dusche auf mich niederprasselten.

Sie zog einen kleinen Gegenstand aus ihrer Hosentasche und gab ihn mir in die Hand. »Dieser Schlüssel passt in ein Schließfach am Bahnhof. Vielleicht hilft dir das, was du darin findest, dich zu erinnern. Dann reden wir weiter.« Danach stand sie auf, beugte sich noch einmal zu mir herab und flüsterte in mahnendem Ton: »Pass auf dich auf. Ich möchte nicht, dass dir etwas zustößt.« Zügig verließ sie das Lokal.

Verwirrt von ihren Worten und enttäuscht darüber, dass sie mich hier alleine sitzen gelassen hatte, kehrte ich an meinen Tisch zurück. Den Schlüssel schob ich in die Tasche meiner Jeans.

»Sie hat dir schon wieder einen Korb gegeben«, stellte Eddy fest.

»Ja, leider«, erwiderte ich.

»Und? Was wollte sie?«, fragte er.

»Sie behauptet, ihr Name ist Alexandra Hertzog, und dass sie mich von früher kennt. Aus Freiburg.« Doch ich konnte mich beim besten Willen nicht daran erinnern, jemals in Freiburg gewesen zu sein. »Und jetzt will ich nach Hause.«

***

Während Eddy ein Stück die Straße hinunter musste, wo sein Auto parkte, ging ich in die andere Richtung und zu Fuß nach Hause. Ich dachte über Alex nach. Sie gefiel mir außerordentlich gut. Ich war sehr enttäuscht, dass sie so schnell verschwunden war. Und was sollte das Gerede über rituelle Opferungen und die Kreuze? Sicher wusste sie mehr darüber, als sie mir verraten hatte.

Ich hörte ein Scharren hinter mir. Verfolgte mich jemand? Unwillkürlich sah ich zwei silbergraue Augen im Geiste vor mir. In meinem Magen breitete sich ein flaues Gefühl aus. Mein Brustkorb hob und senkte sich im Takt meines aufgeregten Herzens.

Wieder ein Kratzen! Ich blieb stehen und sah mich um. Ein Scheppern! Mein Puls beschleunigte. Aus der Dunkelheit blickten mich zwei leuchtende Augen an. Ich hörte ein Fauchen und wich zurück.

Die Augen kamen näher, blickten mich an. Ein mit langen Zotteln behaarter Körper folgte und schmiegte sich an meine Wade. Das war nur die Katze meines Nachbarn.

Ich beugte mich zu ihr hinab und kraulte sie am Nacken. Ihr leises Schnurren beruhigte mich etwas.

»Du hast mir einen gewaltigen Schrecken eingejagt«, murmelte ich.

Sie miaute, rannte davon, und ich machte mich auf den Weg nach Hause.

 

10

 

Am Straßenrand vor meiner Wohnung parkte ein schwarzer Lieferwagen mit einem riesigen Stern auf dem Kühlergrill. Ich wunderte mich noch über das gelbe Nummernschild mit den schwarzen Ziffern darauf, als ich neben mir eine Bewegung bemerkte.

Jemand sprang auf mich zu. Über mir blitzte die Klinge eines Messers. Schützend hob ich die Arme über meinen Kopf. Die Klinge kam bedrohlich nahe. Ich hielt den Atem an, wich zurück und wurde ausgebremst. Ein kräftiger Arm legte sich von hinten um meinen Hals und hielt mich fest. Vor mir sah ich zwei eisgraue Augen, die mir aus einem maskierten Gesicht entgegenstarrten. Ich spürte die Spitze des Messers, die gegen meine Brust drückte. Mir blieb beinahe das Herz stehen.

»Du hast etwas, das mir gehört!«, sagte eine raue Stimme mit amerikanischem Akzent, der mir sehr bekannt vorkam.

»Was immer es ist, ich habe es nicht.«

Ich bekam kaum mehr Luft. Als der Kerl hinter mir mein Handgelenk packte und auf den Rücken drehte, knackten meine Gelenke bedrohlich. Ich stöhnte vor Schmerzen auf. Mit meiner freien Hand packte ich den Unterarm meines Gegners. Der gab keinen Millimeter nach.

»Tatsächlich?«, fragte mein Gegenüber. »Aber du weißt, wo es ist.«

»Nein«, widersprach ich. »Ich weiß es nicht, wirklich! Ich …«

»Halt die Klappe!«

Ich hörte das Dröhnen eines Motors. Sie zogen mich hinter den Lieferwagen, als ein Auto in die Straße einbog. Die Klinge des Messers schwebte vor meinem Gesicht. Ich rührte mich nicht, atmete nicht, die Angst hatte mich voll im Griff.

Das Auto fuhr vorbei und verschwand um die nächste Ecke.

»Ich gebe dir sechs Tage.« Der Maskierte steckte das Messer in eine Scheide an seinem Gürtel. Er zog ein Etui aus seiner Jacke und klappte es auf. Zum Vorschein kam eine Spritze, gefüllt mit einer durchsichtigen Flüssigkeit. »Das wird deinem Gedächtnis auf die Sprünge helfen.«

Ich schüttelte heftig den Kopf. Was hatte der Mistkerl vor? Meine Muskeln erwachten zu neuem Leben. Ich bäumte mich auf, trat nach hinten. Keine Chance, der Griff um meinen Hals wurde nur noch enger, schnürte mir die Luft ab.

Der Maskierte gab seinem Gehilfen einen Wink. Der gab meinen Hals frei, packte dafür meinen anderen Arm und drehte auch diesen auf den Rücken.

»Halt still!«, zischte es hinter der Maske.

Die Spritze kam auf mich zu. Ich schloss die Augen, spürte, wie die Nadel in meinen Nacken eindrang und die unbekannte Substanz langsam und brennend in meinen Körper strömte.

»Ich wünsche dir schöne Träume. Und kein Wort zur Polizei! Oder du bist tot.« Er zog die Spritze aus meinem Hals und drehte sich um.

Ich wurde nach vorn gestoßen, verlor das Gleichgewicht, drehte mich noch auf die Seite, konnte mich aber nicht abfangen. Mein Kopf krachte ungebremst auf den Asphalt. Vor meinen Augen tanzten glitzernde Punkte auf und ab, hin und her. Mein Pulsschlag wurde langsamer. Ich fürchtete, mein Herz könnte einfach so stehen bleiben. Kälte breitete sich in mir aus. Ich zitterte, versuchte mich hochzustemmen. Meine Muskeln gehorchten mir nicht mehr. Zwei grelle Lichter kamen auf mich zu. Sie brannten in meinen Augen.

Ich sah noch, wie der schwarze Lieferwagen sich in Bewegung setzte. Ein anderes Auto kam neben mir zum Stehen. Die Fahrertür schwang auf. Jemand kniete sich neben mich und rief meinen Namen. Ich kämpfte gegen die Bewusstlosigkeit. Zwecklos. Die Kraft verließ mich endgültig. Mein Kampf gegen die Finsternis war verloren, als sie mich erbarmungslos verschlang ...

***

... als ich die Augen öffnete, war es dunkel. Unter meinen Händen fühlte ich rauen Stein. Ich sah nach oben. Dort flackerte eine Fackel. Links und rechts von mir erhoben sich felsige Wände. Zwischen meinen Fingern spürte ich Wasser, das in einem Rinnsal neben mir durch den Gang plätscherte. Erschrocken zog ich die Hand zurück.

Wo zum Teufel war ich? Im Vorhof zur Hölle?

Ich stand auf. Dabei stützte ich mich an der Mauer ab. Sie fühlte sich feucht und kalt an. Stolpernd ging ich durch den Korridor. Noch mehr Fackeln beleuchteten den Weg vor mir. Ich wurde schneller, wollte nur weg von diesem Ort, raus aus der Dunkelheit. Wie aus dem Nichts tauchte eine Treppe vor mir auf, die ich hastig und wieder stolpernd emporstieg. Oben endeten die Stufen in einer Sackgasse. Verzweifelt suchte ich nach einem Ausweg, doch ich fand keinen.

Hinter mir erklangen Schritte, ich wirbelte herum. Aus der Dunkelheit kam ein Schatten auf mich zu, eine Hand streckte sich nach mir aus. Funkelnde Augen starrten mich aus einem konturenlosen Gesicht bösartig an. Ich wankte rückwärts, stieß mit dem Rücken gegen die Wand. Der Schatten kam näher, immer näher.

Ehe er mich erreichte, durchschnitt ein schrilles Pfeifen die Stille, das sich in ein unregelmäßiges Klopfen verwandelte. Es hörte sich an wie das Schlagen eines – nein, meines – Herzens, das mich zurück ins Leben rief. Erneut wurde es finster, danach erstrahlte ein grelles Licht und …

***

… als ich ins Leben zurückgekehrt die Augen einen Spaltbreit öffnete, nahm der Notarzt mir gerade die Sauerstoffmaske vom Gesicht.

»Oh Mann, Nick«, erklang die brummige Stimme meines einzigen Freundes von der Seite. »Ich dachte schon, du schaffst es nicht.«

»Was ist passiert, wo bin ich?« Meine Worte waren nur ein Wispern.

Eddy beugte sich ein wenig zu mir herab. »Du wurdest überfallen. Wir sind auf dem Weg ins Krankenhaus. Keine Sorge, du wirst schon wieder.«

»Wie du meinst«, murmelte ich und wurde erneut bewusstlos ...

***

… ein Zittern schüttelte meinen Körper, bevor ich mit einem Ruck die Augen aufschlug. Ich lag auf einer Liege, mein Hemd war aufgerissen, meine Arme brannten, mein Kopf dröhnte. Darauf bedacht, keine ruckartige Bewegung zu machen, richtete ich mich ein wenig auf, sah mich um und erkannte die Notaufnahme des Krankenhauses. Ganz in der Nähe unterhielt Eddy sich mit einem Polizisten. Er sah zu mir herüber.

»Nick. Du bist wach«, stellte er fest, als er neben mich trat. »Gott sei Dank ist nichts Schlimmeres passiert.«

»Es war schlimm genug. Du hast leicht reden, dir tut ja auch nichts weh«, knurrte ich. Leidend verzog ich mein Gesicht.

»So habe ich das nicht gemeint«, stellte Eddy klar. »Du wirst wieder, es stehen nur noch ein paar Untersuchungen an. Heute Nacht wirst du hier bleiben müssen.«

»Das glaubst du ja selbst nicht. Mir geht’s bestens, ich will nach Hause. Du weißt genau, wie sehr ich Krankenhäuser hasse.«

»Das ist mir bekannt. Trotzdem wirst du hier bleiben. Notfalls lasse ich dich an dein Bett ketten. Und das ist keine leere Drohung.«

»Na schön, dann habe ich wohl keine Wahl«, gab ich den Widerstand auf. Ich konnte mich ohnehin kaum bewegen. »Wie lange war ich bewusstlos?«

»Drei Stunden. Ein Kollege von der Polizei wird dir ein paar Fragen stellen.« Eddy winkte den uniformierten Polizisten heran.

Kein Wort zur Polizei! Oder du bist tot!, klangen mir die Worte noch in den Ohren. Diese Männer waren zu allem fähig, ich würde ganz sicher meinen Mund halten.

Der Uniformierte zückte seinen Notizblock. »Erzählen Sie mal, was passiert ist. Haben Sie die Angreifer gesehen?«

Zwei silbergraue Augen, eine eisige Stimme, amerikanischer Akzent, ganz bestimmt heißt er Marc, aber der hat braune Augen, vielleicht trug er Kontaktlinsen?, rasten die Gedanken unkontrolliert durch meinen Kopf.

»Ich kann mich nicht erinnern. Einer hat mich niedergeschlagen.« Ich fasste an die Beule über meinem Ohr und zuckte zusammen. »Tut mir leid, ich weiß nichts.«

»Konnten Sie das Kennzeichen des Lieferwagens erkennen?«, fuhr der Beamte ungerührt mit seiner Befragung fort.

»Welcher Lieferwagen?« Ich sah das schwarze Auto gestochen scharf vor meinem geistigen Auge. Ein Mercedes. Der Stern vorne auf dem Kühlergrill war mir sofort aufgefallen. Und der Transporter hatte kein deutsches Kennzeichen gehabt. Eventuell handelte es sich um ein Fahrzeug aus Frankreich. Doch ich verschwieg auch das.

»Sie haben ihn wirklich nicht gesehen?«, fragte der Polizist, der mit einem Mal vor meinen Augen verschwamm. Die ganze Welt schien sich in Luft aufzulösen, alles drehte sich wie wahnsinnig im Kreis. Die Stimmen verklangen im Nichts, und ich fiel zurück in die Dunkelheit …

***

… wo ich plötzlich ausgestreckt auf dem kalten Boden eines finsteren Raumes lag. Durch ein schmales, vergittertes Fenster in der Tür drang nur schwaches Licht herein, wodurch der kleine Raum aber kaum erhellt wurde. Ich rührte mich nicht, als von der Seite etwas Pelziges auf mich zuhuschte, an mir schnupperte, um dann gleich wieder in einer schmalen Spalte in der Wand zu verschwinden. Die Hände unter dem Kopf verschränkt, starrte ich unentwegt an die Decke …

***

… so auch jetzt, als ich meinem Traum entfloh und die Augen aufschlug. Zu meiner Erleichterung war die Decke über mir weiß, die Wände ebenfalls. Durch das Fenster drang Tageslicht in das Krankenzimmer, dennoch fürchtete ich mich davor, immer noch in einem Traum zu stecken. Das alles erinnerte mich viel zu sehr an jenen Tag vor einundzwanzig Jahren.

Ich sah an mir hinab und stellte fest, dass ich außer meinen Boxershorts nichts am Leibe trug. Einige Meter von meinem entfernt, stand ein weiteres Bett, in dem ein alter Mann leise vor sich hin schnarchte.

Es klopfte. Ich starrte alles erwartend auf die sich öffnende Tür und atmete auf, als Eddy durch den Türrahmen trat. In der Hand hielt er eine Sporttasche, die er aufs Ende des Bettes fallen ließ.

»Schön, dass es dir besser geht, mein Freund.« Er blickte auf mich herab und runzelte die Stirn. »Der Arzt meint, du hast nur eine leichte Gehirnerschütterung. Was für ein Glück, dass der Notarzt dich wiederbeleben konnte, nachdem du ganze zwei Minuten lang im Jenseits warst.«

Ich hob die Augenbrauen. »Willst du damit sagen, ich war tot? Schon wieder?«

»Ja, allerdings. Erinnerst du dich mittlerweile an die Täter?«, fragte Eddy. Schweißperlen rannen über seine Stirn, die er hektisch fortwischte.

Kein Wort zur Polizei! Oder du bist tot!

»Nicht wirklich.« Solange ich nicht wusste, in was ich da verstrickt war, würde ich nicht einmal Eddy etwas über die Sache erzählen. Immerhin war mein bester Freund ein Bulle.

»Du verschweigst mir etwas«, stellte Eddy fest.

»Warum sollte ich?«

»Wäre nicht das erste Mal. Ich hab dir frische Sachen zum Anziehen mitgebracht. Deine anderen Klamotten sind bei der Spurensicherung. Allerdings haben die gerade viel zu tun. Hier habe ich deine sämtlichen Schlüssel, Geldbörse, und was ich sonst so in deinen Klamotten gefunden habe.« Eddy legte die Gegenstände in die Schublade des Nachttischs, öffnete die Sporttasche und reichte mir ein T-Shirt, das ich überzog.

»Ich muss mal kurz aufs Klo«, murmelte ich. Das Aufstehen gestaltete sich allerdings schwierig. Immer wieder gaben meine Beine nach. Eddy musste mich die wenigen Meter zum Badezimmer stützen. Auch der Weg zurück glich einem Marathonlauf, und ich war froh, wieder ins Bett liegen zu dürfen.

»Du bist kreidebleich«, stellte Eddy fest. »Liegt wahrscheinlich an dem Narkosemittel, das dir gespritzt wurde.«

»Was haben die mir gespritzt?« Ich zitterte und zog die Bettdecke über meinen Körper. Warm wurde mir allerdings nicht. »Warum warst du eigentlich auf einmal da?«

»Zufall. Ich war schon auf dem Weg nach Hause, aber ich wollte noch dringend mit dir reden. Du bist nicht an dein Handy gegangen, also bin ich zu dir gefahren. Ich schätze, ich bin gerade noch rechtzeitig gekommen«, erklärte er.

»Worüber wolltest du mit mir reden?«, hakte ich nach. Schon wieder fielen mir die Augen zu.

»Ich wollte doch mit dir über den Jungen reden«, erzählte Eddy.

»Und?«, fragte ich, bemerkte aber schon, wie ich wegdämmerte.

»Ich habe herausgefunden, dass …« Sein Mobiltelefon unterbrach ihn mit einem schrillen Ton mitten im Satz. »Was?«, schrie er ins Telefon. »Ja, ja. Ich bin schon unterwegs.«

Er sagte noch etwas, das ich aber nicht mehr verstehen konnte, dann verklang seine Stimme in dem dunklen Nebel, der mich einhüllte.

***

… erneut wanderte ich durch das steinerne Labyrinth, eine Treppe hinunter und gelangte an eine Tür. Nachdem ich diese geöffnet hatte, schlüpfte ich hindurch und betrat einen weiteren Flur, aus dem mehrere fest verschlossene Türen in finstere Räume führten. Durch ein vergittertes, schmales Fenster spähte ich in eine der Zellen. Im Inneren erkannte ich schemenhaft eine Gestalt. Schritte hallten durch den Flur. Sie kamen auf mich zu. Aus dem Funken Angst, der in mir zu lodern begann, wurde rasch eine Panik, die mich zur Flucht antrieb.

Ich rannte zurück, durch die Tür, die Treppe hinauf und immer weiter. Schließlich erreichte ich vollkommen außer Atem und mit wild hämmerndem Herzen eine Kreuzung und musste erst einmal überlegen, welchen Weg ich gekommen war …

***

… ein Geräusch, das sich anhörte, als würde jemand neben mir ersticken, holte mich zurück in die Gegenwart. Ich drehte den Kopf ein wenig und sah zu dem alten Mann hinüber, der jetzt aufrecht in seinem Bett saß. Seine Augen waren weit geöffnet und erweckten den Anschein, als starrten sie in die Unendlichkeit. Dabei streckte er seine Arme weit nach vorn. Er lachte, zunächst, dann wandelte sich das Geräusch aus seiner Kehle in ein Glucksen, das beängstigend klang.

Ich wollte aufstehen, doch meine Muskeln gehorchten mir nicht. Es fühlte sich an, als wenn ich gar nicht in meinem Körper stecken würde. Als ich die Augen schloss, kehrte ich zurück in das düstere Labyrinth, als ich sie öffnete, erblickte ich wieder den alten Mann, der in sein Kissen zurückfiel. Seine Gesichtszüge erschlafften, aus seinen halb geöffneten Augen wich das letzte bisschen Leben. Noch einmal atmete er geräuschvoll die Luft ein und langsam aus. Danach wurde es still im Zimmer.

Erneut wollte ich aufstehen, dem Alten helfen, schaffte es nicht. Ich wollte nach dem Notrufknopf neben meinem Bett greifen. Auch das gelang mir nicht. Stattdessen zog mich ein Strudel fort, zurück in die dunklen Gänge, aus denen ich keinen Ausweg fand.

 

11

 

Ein dumpfes Grollen und das Prasseln von Regentropfen gegen die Fensterscheibe weckten mich aus dem Schlaf. Noch leicht benommen setzte ich mich auf. Ich blickte zur Seite. Das Bett neben meinem war nicht mehr da. Wo war der alte Mann geblieben? War er tatsächlich gestorben? Ganz sicher war er das. Zumindest bildete ich mir ein, dass der Geruch des Todes noch in der Luft hing.

Ich betrachtete meine zitternden Hände, erhob mich und ging schwankend zur Toilette. Danach blickte ich in den Spiegel. Meine Augen waren blutunterlaufen, mein Gesicht aschfahl und seitlich an meinem Hals hatte sich eine kleine Schwellung gebildet. In der Mitte konnte ich deutlich ein kleines Loch erkennen, das rötlich entzündet aussah. Ein Zittern fuhr durch meinen ganzen Körper, als ich an den Überfall zurückdachte.

Ich öffnete den Wasserhahn am Waschbecken, füllte meine Hand mit Wasser und spritzte es in mein Gesicht. Das half zumindest, meinen Kopf freizubekommen. Als ich das Badezimmer verließ, hatte ich nur noch einen Gedanken. Ich musste hier raus, und zwar so schnell wie möglich.

Also schlüpfte ich in Jeans, Schuhe und Pullover, zog meine Regenjacke darüber und verstaute meine Wertsachen in meinen Jackentaschen. Die Sporttasche hängte ich über meine Schulter. Ich betrat den langen Korridor. Über mir leuchteten Neonlampen. Sie surrten. Aus den anderen Zimmern, deren Türen offen standen, drang Gemurmel in den Flur.

Ich hatte das Gefühl, auf der Flucht zu sein. Ständig sah ich über meine Schulter, da war niemand. Wer sollte mich auch verfolgen? Unbehelligt erreichte ich den Fahrstuhl und stieg ein. Die Türen wollten sich gerade schließen, als sich eine Hand dazwischen schob. Sie öffneten sich wieder, und ein Mann im Arztkittel drängte ins Innere.

»Was für ein Glück«, seufzte er. »Die Aufzüge hier brauchen immer ewig, bis sie wiederkommen.« Der ältere Herr musterte mich genauestens und nickte. »Ich kenne Sie. Mit Ihnen wollte ich reden.«

»Das ist sicher eine Verwechslung«, erwiderte ich, glaubte aber, den Arzt ebenfalls zu kennen.

»Nein, nein«, sagte der Doktor schnell. »Sie sind Nicolas Holsten. Ich kenne Sie von früher. Gerade eben habe ich erfahren, dass sie hier im Krankenhaus sind. Dürfen Sie denn schon nach Hause?«

»Ja«, antwortete ich knapp. Auf meiner Stirn sammelten sich Schweißperlen, die mir über Stirn und Wange kullerten. Ich starrte auf die Anzeige des Lifts. Noch eine Etage, dann wären wir unten.

»Ich kenne Ihre Pflegemutter Helen. Sie ist eine tolle Frau.« Der Arzt rückte die Brille auf seiner Nase zurecht. »Ich bin Doktor Lothar Fisch, erinnern Sie sich wirklich nicht an mich?«

»Schon möglich, aber …« Ein lauter Knall unterbrach mich. Das Licht flackerte, der Lift kam ins Stocken und blieb stecken. Das Licht ging aus, kurz darauf schaltete sich die Notbeleuchtung ein, die Fischs schmales Gesicht blass und seltsam knöchern erscheinen ließ.

Ich starrte ihn an. »Was war das?«

»Stromausfall«, gab der Arzt gelassen zurück. »Das ist ein fürchterliches Gewitter da draußen. Bestimmt hat irgendwo ein Blitz eingeschlagen. Der Strom kommt sicher gleich zurück.« Er schien überhaupt nicht beunruhigt. »So haben wir doch noch Gelegenheit, uns zu unterhalten.«

»Was wollen Sie von mir?« Ich wich zurück und presste meinen Rücken gegen das kühle Blech des Lifts. Diese Aufzüge waren mir ein Gräuel, und noch mehr fürchtete ich sie, wenn ich darin gefangen war.

»Ich habe Ihre Akte gelesen. Sie wurden überfallen? Jemand hat Ihnen ein Narkosemittel gespritzt, deshalb hatten Sie einen Herzstillstand.« Der Arzt durchbohrte mich regelrecht mit seinen Blicken.

»Erzählen Sie mir was Neues«, erwiderte ich.

»Und nicht zum ersten Mal. Haben Sie Ihre Erinnerungen eigentlich wieder gefunden?«, bohrte Fisch weiter in meinen Wunden.

»Was geht Sie das an?«

»Reine Neugier«, antwortete der Arzt. »Und?«

»Nein, ich habe sie nicht wieder gefunden.«

»Hatten Sie seltsame Träume nach Ihrem Erlebnis gestern?«

Der Arzt wollte mich offenbar aushorchen, über meine Erfahrung mit dem Tod. Nun, ich hatte nichts zu verheimlichen. »Was wollen Sie wissen, Dr. Fisch? Ob ich ein Licht gesehen habe, meine Eltern, die mich endlich freudig in die Arme schließen, oder einen Engel mit weißen Flügeln? Ich muss sie leider enttäuschen. Alles, was ich gesehen habe, war ein dunkler Korridor, aus dem es kein Entrinnen gab.«

Endlich ging das Licht wieder an, der Fahrstuhl setzte sich in Bewegung, gleich darauf öffneten sich die Türen. Erleichtert trat ich in die hell erleuchtete Empfangshalle des Hospitals und war schon beinahe am Ausgang, als eine Hand meinen Arm packte und festhielt.

Dieser Arzt ließ nicht locker. »Hören Sie, junger Mann. Ich wollte Sie nicht belästigen, aber ich würde Ihnen gerne helfen.«

»Helfen! Tatsächlich?«, brummte ich. »Wozu? Ich brauche keine Hilfe.«

»Hier ist meine Karte«, sagte er. »Wenn Sie es sich anders überlegen, rufen Sie mich an. Jederzeit, Tag und Nacht.« Er drückte mir die Karte in die Hand und verschwand kurz darauf wieder im Fahrstuhl.

Dr. Lothar Fisch, Psychologe, Spezialgebiete: Therapie bei Traumata; Hypnose, stand auf der Visitenkarte. Außerdem eine Telefonnummer und eine E-Mail-Adresse.

Genervt ließ ich die Karte in meiner Jackentasche verschwinden und trat durch die Tür nach draußen, wo ich mich in einem tosenden Gewitter wiederfand. Der Wind peitschte mir dicke Regentropfen ins Gesicht. Ich rannte auf die Haltestelle der Stadtbahn zu und drängte mich zu den vielen anderen Menschen unter das schützende Dach.

Wenige Minuten später kam der Zug, und ich stieg in den Waggon. Natürlich gab es keine Sitzgelegenheit mehr, also lehnte ich mich gegen eine der Trennwände vor den Türen. Kaum hatte der Zug sich in Bewegung gesetzt, wurde mir schwindlig, grelle Punkte tanzten vor meinen Augen auf und ab. Die Stimmen um mich herum entfernten sich von mir, bis ich sie kaum noch vernahm. Unter mir tat sich ein schwarzes Loch auf. Ich klammerte mich an den Griff neben der Tür und hatte trotzdem das Gefühl zu fallen.

Das ruckartige Bremsen der Stadtbahn verhalf mir zurück an die Oberfläche. Das Loch unter mir verschwand. Die Türen der U-Bahn wurden geöffnet, eine Menschenwelle setzte sich in Bewegung und spülte mich nach draußen. Ich verharrte auf dem Bahnsteig, um erst einmal zu mir zu kommen. Zumindest das Gewitter hatte sich verzogen und der Himmel wurde heller. Ich machte mich auf den Weg nach Hause.

Als ich meine Galerie betrat, fühlte ich mich unbehaglich. Die aus Ton geformten Skulpturen schienen verändert, wirkten beinahe lebendig auf mich. Die gemalten Gesichter auf den Leinwänden starrten mich fragend an. Ich starrte kurz zurück, wandte den Blick ab und ging die Treppe hinauf ins Wohnzimmer. Mir knurrte der Magen, mein Mund war ausgetrocknet. Ich ging in die Küche und fand im Kühlschrank eine Flasche Mineralwasser, die ich in einem Zug leer trank. Ich riss die Großpackung Würstchen auf und machte mich gierig über sie her, als hätte ich seit Tagen nichts gegessen.

Später legte ich mich im Wohnzimmer auf mein Sofa, faltete die Hände auf meinem Bauch und beobachtete, wie eine Spinne die Wand emporkletterte und auf ihr Netz zusteuerte. Dort hatte sich eine kleine Fliege verfangen, die wie verrückt strampelte, um wieder freizukommen. Doch die Spinne war schneller und spann ihre Fäden um ihr Opfer, wickelte es solange ein, bis es nicht mehr zappeln konnte. Danach gab sie ihm den Rest und schaute zu, wie es starb.

Zweimal hatte ich dem Tod ins Auge gesehen und war ihm beide Male von der Schippe gesprungen. Hatte ich einen Schutzengel oder sieben Leben wie eine Katze? Die Träume machten mir Angst. Wo befanden sich diese düsteren Tunnel? Waren es nur Hirngespinste oder existierte dieses Labyrinth tatsächlich? Ich wollte es herausfinden, musste die Geheimnisse endlich lüften, die aus den Tiefen meiner Seele ans Licht drängten.

 

12

 

Eddy blickte bestürzt auf den Telefonhörer in seiner Hand, nachdem er das Gespräch mit einem Kollegen von der Fahndung beendet hatte. Es war einfach unglaublich, was in der sonst so ruhigen Landeshauptstadt vor sich ging. Die beiden Skelette. Der vermisste Kollege Bachmann. Der Überfall auf Nick. Es ging drunter und drüber.

Und jetzt wurde auch noch ein zehnjähriges Mädchen vermisst. Ihre Eltern hatten die Polizei informiert, da ihre Tochter, Stefanie Huber, nicht von der Schule nach Hause gekommen war.

»Das ist doch nicht zu fassen«, murmelte Eddy.

Ihm gegenüber saß sein Kollege. Bauer nickte. »Da hast du recht. Und es gibt noch mehr Neuigkeiten.«

»Und was?«

»Ich habe mit Kommissar Greiner in Freiburg telefoniert. Es war ein interessantes Gespräch«, erklärte Bauer. Er strich mit der Hand über seine kurz geschorenen Haare.

»Haben die auch noch mehr Knochen gefunden?«, hakte Eddy nach.

»Nein, das nicht, dafür ist bei denen auch ein zehnjähriges Mädchen verschwunden. Ihr Name ist Vanessa Kowalski. Und sie haben eine Leiche gefunden.«

»Eine Leiche?«, brummte Eddy. »Hoffentlich kein Mädchen.«

»Nein, kein Mädchen. Aber den Chefarzt einer Privatklinik, die nur sehr gut zahlende psychisch kranke Patienten aufnimmt. Jedenfalls wurde er vor zwei Tagen gefunden, war aber schon länger tot, mindestens drei Wochen«, klärte Bauer ihn auf.

»Und was hat das mit unserem Fall zu tun?«, fragte Eddy. Er nahm seine Kaffeetasse in die Hand, blickte hinein und wunderte sich, warum sie schon wieder leer war.

»Der Mann wurde wohl mit Ketamin betäubt. In seinem Nacken haben die eine Spritze gefunden, in der noch Reste des Mittels waren. Und er wurde mit einem Messer getötet.« Bauer legte eine Akte auf den Tisch.

Eddy nahm sie an sich und las den Namen: »Nick Holsten? Was soll das jetzt? Was hat der mit der Sache zu tun?«

»Lies!« Bauer schlug die Beine übereinander und lehnte sich auf seinem Stuhl zurück.

Neugierig öffnete Eddy die Akte und las zuerst den Bericht des Polizisten. Dort stand allerdings nichts, worüber er nicht schon Bescheid wusste. Also nahm er sich den Bericht des Krankenhauses vor. Abgesehen von einer leichten Gehirnerschütterung, hatte Nick nur eine große Beule am Kopf und leichte Zerrungen an Schulter und Ellbogen davongetragen. Außerdem hatte das Labor des Krankenhauses neben Alkohol eine weitere Substanz analysiert, die sich in seinem Blut befunden hatte.

Eddy sah auf. »Nick hatte Ketamin im Blut, wie der ermordete Arzt? Hast du deswegen mit Greiner telefoniert?«

»Nein, natürlich nicht. Er hat angerufen wegen der Skelette, da haben wir geplaudert. Er erzählte von dem Mord und dem Ketamin, da ist mir Holstens Akte eingefallen, die ich gelesen hatte.«

»Du hast seine Akte gelesen? Warum eigentlich?«

»Ich war neugierig. Er ist ein ehemaliger Kollege von uns. Und er hat das erste Skelett gefunden. Findest du das nicht merkwürdig?«

»Nein, finde ich nicht«, stellte Eddy klar. »Nick war dort, das hat er mir bestätigt. Er wurde niedergeschlagen, das ist kein Geheimnis.«

»Von mir aus«, entgegnete Bauer und erzählte weiter. »Greiner hat mir berichtet, dass der Arzt ein rotes Pentagramm auf die Stirn gemalt hatte, genau wie die Skelette. Und der Mann hatte kein Herz mehr.«

»Kein Herz mehr?«, echote Eddy.

»Genau. Zwischen den Fällen gibt es eine Verbindung, das glaubt auch Greiner.«

»Dann hängt der Überfall auf Nick also auch mit dem Mord in Freiburg und den Skeletten zusammen«, setzte Eddy die Gedankengänge seines Kollegen fort. »Ob ihn jemand töten wollte?«

»Wir sollten das in Betracht ziehen.« Tom Bauer hob die Augenbrauen und sah Eddy eindringlich an. »Und noch etwas. Bachmanns Auto wurde aus dem Neckar gefischt, irgendwo in der Nähe des Hafens.«

»Saß er drin?« Eddy hatte das Gefühl, als ob sein Magen einen Purzelbaum schlug.

»Nein, Gott sei Dank nicht. Aber ich finde, das sieht nicht gut aus.« Bauer seufzte.

Eddys Telefon klingelte. Eine Assistentin aus der Gerichtsmedizin meldete sich. »Hallo, Herr Krieger, sind Sie für den Skelettfall zuständig?«

»Ja. Bin ich.«

»Dann muss ich Ihnen leider mitteilen, dass wir ein Beweisstück verloren haben.«

»Wie bitte?«, brüllte Eddy. »Was haben Sie denn verloren?«

»Sie brauchen nicht zu schreien, ich höre sie gut«, wies sie ihn zurecht. »Das Schlangenkreuz ist weg. Haben Sie es ausgeliehen und vergessen zurückzubringen?«

Das war ja allerhand. Zuletzt hatte er das Ding auf dem Brustkorb des Skeletts gesehen, im Pausenhof der Grundschule. »Wollen Sie mir etwas unterstellen?«

»Nein, war nur eine Frage. Dann werden wir uns mal auf die Suche machen.«

»Ich hab die Schnauze voll«, knurrte Eddy, nachdem er aufgelegt hatte. »Nun ist auch noch das Kreuz verschwunden. Mannomann.«

»Vielleicht taucht es ja wieder auf«, meinte Bauer. »Ich mach mich dann mal wieder an die Arbeit.«

»Gute Idee. Das werde ich auch tun.« Eddy sah zu, wie sein Kollege das Büro verließ, lehnte sich in seinem Stuhl zurück und grübelte.

Die Fäden seines Falles spannen sich zwischen Stuttgart und Freiburg. Dort war ein Skelett gefunden worden, in Stuttgart waren es zwei. In Freiburg hatte es einen Mord gegeben, hier war ein Kollege verschwunden. Allmählich gab Eddy die Hoffnung auf, den Fotografen lebend wiederzusehen.

Er betrachtete Nicks Akte, danach seinen Notizblock. Dort stand ein Name: Benjamin. Auch was er über diesen Jungen herausgefunden hatte, stimmte ihn nachdenklich. Sein Computer behauptete, dass der Name des Jungen nicht Benjamin, sondern Nicolas Rabenstein lautete. Der Vorname passte also zu Nick. Allerdings war dieser Nicolas Rabenstein bereits verstorben. Nur der Zeitpunkt seines Todes war Eddy noch nicht bekannt.

All diese Umstände mussten zusammenhängen, aber wie? Vielleicht würde es ihm helfen, wenn er etwas über die Frau in Erfahrung bringen könnte, die mit Nick geredet hatte. Sie stammte angeblich aus Freiburg. Auch das war sicher kein Zufall. Wie war doch gleich ihr Name? Andrea? Nein. Sandra? Nein, das passte auch nicht. Und dann fiel es Eddy wie Schuppen von den Augen, Alexandra. Ihr Nachname war Hertzog.

Im Computer fand er ihren Lebenslauf. Vor zweiunddreißig Jahren war sie in Freiburg geboren worden. Nach einer gewöhnlichen Schullaufbahn mit Abitur hatte sie Germanistik studiert und mit besten Noten abgeschlossen. Seitdem schrieb sie für eine Freiburger Tageszeitung und veröffentlichte noch weitere Artikel in seriösen Zeitschriften.

Außerdem gab es eine Akte im Archiv der Freiburger Kripo. Worum es dabei ging, konnte Eddy jedoch nicht herausfinden.

»Gehen Sie Spuren nach?«, erklang die ruhige, aber schroffe Stimme seines Vorgesetzten.

Eddy sah auf. »Selbstverständlich.«

»Ich erwarte Sie in zehn Minuten in meinem Büro.« Gutbrodt machte auf dem Absatz kehrt und entschwand durch den Flur.

Zehn Minuten später saßen Eddy und Tom Bauer im Büro ihres Chefs. Wie sie erfuhren, lief die Suche nach Bachmann auf Hochtouren, noch immer war er wie vom Erdboden verschluckt. Genau wie das Schlangenkreuz, das aus der Gerichtsmedizin verschwunden war. Auch davon hatte Gutbrodt schon erfahren und war ganz und gar nicht glücklich darüber.

Er drängte auf Ergebnisse, die Eddys Team nicht liefern konnte. Die Gerichtsmedizin arbeitete träge an diesem Fall. Alle Spuren, die den Skelett-Fall betrafen, verliefen sich immer wieder im Sand. Unglücklicherweise hatte die Presse gleich zu Anfang Wind von der Sache bekommen und wartete ebenfalls auf Erklärungen. Doch solange es keinerlei Hinweise auf die Herkunft der Knochen gab, konnte die Polizei auch keine sinnvolle Presseerklärung abgeben. Folglich wurde von allen Seiten spekuliert.

Auf der Titelseite eines Revolverblatts stand die Schlagzeile:

Skelette steigen aus ihrer Gruft – wurden die Kinder von einem wahnsinnigen Serienkiller umgebracht oder vom Satan höchstpersönlich? Wird er wieder zuschlagen? Schützt eure Kinder!

Der Artikel darunter bestand aus wilden Vermutungen, woher die Knochen wohl stammten. Das Pentagramm auf der Stirn der Opfer war detailliert beschrieben. Eddy las kurz darüber und warf die Zeitung dann verächtlich zurück auf den Tisch. »Die haben doch keine Ahnung.«

»In Freiburg ist ein Mord passiert«, übernahm Bauer das Wort.

Er legte einen Aktenordner auf den Tisch, in dem er sämtliche Fakten zusammengetragen hatte. »Es gibt sicher eine Verbindung zwischen dem ermordeten Arzt und den Skeletten. Es ist eindeutig das gleiche Pentagramm. Auch mit Blut und Farbe aufgemalt. Und es enthält Ziffern.«

Genau wie Eddy sah Gutbrodt sich die Fotos an. Sie zeigten einen Mann, dessen Körper mit blutigen Messerstichen und seltsamen Symbolen übersät war. Angewidert wandte Eddy den Blick ab.

»Ich vermute, Nick Holsten wurde von denselben Männern überfallen. In seinem Blut wurde Ketamin gefunden und bei dem ermordeten Arzt auch«, erklärte Tom. »Das Labor hat Hautschuppen und Wimpern auf Holstens Kleidung gefunden. Doch es wird noch Tage dauern, bis die Analysen abgeschlossen sind. So viel Zeit haben wir nicht. Vielleicht kann Holsten uns doch etwas über die Täter verraten.«

»Wir wissen nicht sicher, ob die Fälle zusammenhängen, es ist nur ein vager Verdacht«, gab Eddy zu bedenken. »Nick kann sich nicht an Details erinnern.«

»Helfen Sie seinem Gedächtnis auf die Sprünge. Reden Sie mit ihm, Herr Krieger. Sie sind doch befreundet? Vielleicht bekommen Sie etwas aus ihm heraus«, sagte Gutbrodt.

»Ich werde es versuchen«, erwiderte Eddy.

Nachdem er an seinen Schreibtisch zurückgekehrt war, wählte er die Telefonnummer des Krankenhauses.

»Was soll das heißen, er ist verschwunden?«, fragte er, nachdem er darum gebeten hatte, mit Nick verbunden zu werden.

»So wie ich es gesagt habe«, sagte die Krankenschwester. »Herr Holsten hat das Krankenhaus verlassen, ohne sich abzumelden.«

 

13

 

Das Hotelzimmer war nicht das, was Alexandra Hertzog sonst so gewohnt war, doch besser, als gar keine Bleibe. Die blassgelben Wände waren speckig, der Parkettboden abgewetzt. An einer Wand stand ein Bett, zumindest war es mit frischer Bettwäsche bezogen. Gegenüber unter dem Fenster befand sich ein mickriger Tisch.

Der Stuhl davor ächzte altersschwach, als Alex unruhig darauf herumrutschte. Seit Minuten starrte sie auf den Bildschirm ihres Smartphones und grübelte.

Vergangenen Mittwoch war sie spontan von Freiburg nach Stuttgart gefahren, sofort, nachdem die Nachricht des Skelettfundes sie erreicht hatte. Die Meldung hatte sich in der Presse verbreitet wie ein Buschbrand und deswegen auch rasch zu ihr in die Redaktion gefunden. Sie hatte ihre Sachen gepackt, sich auf den Weg in die Landeshauptstadt gemacht und im erstbesten Hotel eingecheckt.

Danach fuhr sie zum Polizeipräsidium, um mit dem zuständigen Kommissar zu sprechen. Und das hätte sie auch getan, wäre ihr nicht dieser Mann auf dem Parkplatz begegnet.

Alex strich sachte mit ihrem Finger über das Display des Handys, von dem ihr das Gesicht jenes Menschen entgegenlachte, den sie ihr halbes Leben lang gesucht hatte. Und wie so oft, wenn man etwas Verlorenes sucht, die Hoffnung bereits aufgegeben hat, es jemals wieder zu finden, taucht es auf einmal wieder auf. So wie er. Ausgerechnet auf dem Parkplatz der Polizei in Stuttgart hatte er plötzlich vor ihr gestanden. Seine Augen hatten ihn verraten, diese so wunderbar hellblau strahlenden Augen, die sie schon damals verzaubert hatten, als sie noch ein unschuldiges Kind gewesen war.

Betrübt schaltete sie das Handy aus. Es war nicht geplant gewesen, ihn zu verfolgen. Eine völlig neue, unbekannte Seite an ihr war zum Vorschein gekommen, die sie dazu zwang, diesem Mann seit zwei Tagen auf Schritt und Tritt zu folgen. Vieles hatte sie über ihn herausgefunden.

Sein Name war Nick Holsten, er arbeitete als Fotograf und hatte ein eigenes Atelier. Selbst wo er wohnte, war kein Geheimnis mehr, genauso wenig wie seine Handynummer. Zunächst hatte sie sich gescheut, Kontakt zu ihm aufzunehmen. Zuerst hatte sie herausfinden wollen, was für ein Mensch dieser Nick Holsten war. Und eines war ihr gleich aufgefallen. Er übte eine extreme Anziehungskraft auf Frauen aus, und sie vermutete, dass er das schamlos ausnutzte. Sie kannte solche Männer. So einen Typen hatte sie vor einem Jahr in den Wind geschossen, nachdem der sie mit ihrer besten Freundin betrogen und noch nicht einmal ein Geheimnis daraus gemacht hatte. Sei’s drum, es war vorbei, sie hatte die Nase gestrichen voll von Männern.

Dennoch, dieser Nick Holsten hatte es ihr angetan. Seine Ausstrahlung und sein Auftreten machten es ihr nicht leicht, auf Abstand zu bleiben. Allein der Gedanke an ihn ließ Schmetterlinge durch ihren Bauch fliegen wie noch nie. Gestern Abend hatte sie mit dem Gedanken gespielt, sich auf ihn einzulassen. Die Sehnsucht nach Nähe und Zuneigung verzehrte sie in mancher einsamer Nacht. Und allein die Berührung seiner Hand auf ihrem Rücken hatte ein lange vermisstes und auch heißes Kribbeln in ihr ausgelöst. Viel hatte nicht gefehlt, und sie hätte ihn in ihr Hotelzimmer eingeladen. Letztendlich hatte ihre Vernunft gesiegt.

Und jetzt wollte sie am liebsten nur noch nach Hause fahren, die beiden Skelette und die Schlangenkreuze vergessen. Viel zu sehr erinnerten sie diese Dinge an jenen Tag, der ihr ganzes Leben verändert hatte. Sie wollte flüchten vor ihrer Vergangenheit, die ihr an den Fersen heftete.

Doch dummerweise hatte sie Nick Holsten den Schlüssel zu diesem Schließfach anvertraut, und ohne den Inhalt konnte und wollte sie nicht von dannen ziehen. Den halben Tag hatte sie im Bahnhofsgebäude auf Nick gewartet, hatte sich von irgendwelchen Idioten belästigen lassen, aber er war nicht aufgetaucht. An sein Handy ging er auch nicht. Sie war davon ausgegangen, dass er etwas über seine Vergangenheit erfahren wollte, wo er doch angeblich gar nichts mehr von seiner Kindheit und diesem verfluchten Tag im Oktober 1991 wusste. Oder täuschte sie sich doch, und er war gar nicht derjenige, für den sie ihn hielt?

Alex stand auf und ging grübelnd im Zimmer auf und ab. Dann nahm sie ihr Handy und wählte eine Nummer.

***

Bon Jovis Runaway, der Klingelton meines Handys, weckte mich aus einem oberflächlichen Schlaf. Abgesehen von dem hell leuchtenden Displays des Mobiltelefons, beherrschte eine bedrückende Dunkelheit mein Wohnzimmer. Ich schaltete erst einmal die Stehlampe neben mir ein und hob anschließend das Telefon ans Ohr.

»Holsten«, meldete ich mich mit belegter Stimme. Mein Mund war so ausgetrocknet, dass meine Zunge beinahe am Gaumen kleben blieb.

»Hi, ich bin‘s«, hörte ich eine wohlklingende Frauenstimme. »Wir müssen uns unbedingt treffen.«

Ich war sofort hellwach. »Alex?«

»Ja, hier ist Alex«, entgegnete sie. »Seit heute Vormittag versuche ich, dich zu erreichen.«

»Es gab einen kleinen Zwischenfall.«

Es folgte eine kurze Pause, ehe sie fragte: »Ist dir etwas passiert?«

Ich wurde beinahe eingeschläfert, dachte ich und brummte: »Ich wurde überfallen.«

»Hatte ich nicht gesagt, du sollst auf dich aufpassen? Alles in Ordnung?«

»Ja, es geht mir bestens«, sagte ich. Unbewusst fuhr ich mit dem Zeigefinger über die Schwellung an meinem Hals, die meine Berührung mit einem heftigen Brennen quittierte.

»Dann bin ich ja beruhigt. Deshalb hast du noch nicht in das Schließfach gesehen?«

»Ja. Genau.« Allerdings hatte ich auch nicht mehr daran gedacht.

»Ich warte am Hauptbahnhof, in einer Stunde. Und bring den Schlüssel mit, ich will ihn zurückhaben.« Die Verbindung wurde unterbrochen.

Verwirrt starrte ich auf das Telefon in meiner Hand. Zuerst gab sie mir diesen Schlüssel und nun wollte sie ihn wieder haben? Warum wussten die Frauen eigentlich nie, was sie wollten? Aber gut, sie gefiel mir, wir waren uns schon ein Stück näher gekommen. Klar wollte ich sie treffen, nichts lieber als das.

***

Wesentlich später als geplant erreichte ich den Bahnhof. Zuerst hatte ich noch eine Dusche genommen und mein Gesicht von den lästigen Bartstoppeln befreit. Dann wollte mein Wagen nicht sofort anspringen. Letztlich war ich ewig um den Block gekreist, bis ich endlich einen Parkplatz in einem Parkhaus gefunden hatte.

Nun bahnte ich mir den Weg zwischen den Menschen hindurch, die zu den S-Bahnen und Zügen strömten. Ein rasches Vorankommen war kaum möglich. Trotzdem stand ich gleich darauf inmitten des alten Bahnhofsgebäudes, dessen Tage wegen der Großbaustelle Stuttgart-21 bereits gezählt waren.

Ich sah mich um, betrachtete die Läden und Imbissstände, überlegte gerade, ob ich mir einen Kaffee kaufen sollte, als eine Hand meine Schulter berührte. Ich fuhr herum und blickte in zwei zornig funkelnde, braune Augen.

»Ich dachte schon, du würdest nicht kommen«, sagte Alex aufgebracht.

Ich zuckte die Achseln. »Hier bin ich.«

»Hast du den Schlüssel dabei?«

»Na klar.« Ich zog ihn aus der Hosentasche.

»Danke.« Sie griff nach dem Schlüssel.

Ich packte ihr Handgelenk und hielt es fest. »Ich muss zuerst wissen, was das alles zu bedeuten hat. Sonst hätte ich den Abend lieber zu Hause auf dem Sofa verbracht. Was ist in dem Schließfach?«

Sie versuchte, sich aus meinem Griff zu winden. »Lass mich los, du tust mir weh.« Zwischen ihren Augenbrauen bildete sich eine tiefe Falte.

Einige Passanten schauten schon neugierig zu uns herüber. Ich löste meinen Griff. Alex wich einen Schritt zurück.

»Gib mir den Schlüssel, bitte«, sagte sie.

»Nein! Du hast ihn mir gegeben, jetzt will ich wissen, warum.«

»Kann ich dir denn überhaupt vertrauen?«, fragte sie.

Ich runzelte die Stirn. »Machst du Witze? Du behauptest, du kennst mich von früher und gibst mir diesen Schlüssel, damit ich etwas über mich herausfinde. Jetzt willst du ihn zurückhaben. Dann verschwindest du wieder? Einfach so?«

»Ich weiß nicht, was ich tun soll.« Ihre Stimme zitterte.

»Zeig mir, was in diesem Schließfach ist.«

»Na schön. Gib mir den Schlüssel«, seufzte sie.

Ich reichte in ihr. Sie schob ihn in ihre Hosentasche, nahm meine Hand und zog mich hinter sich her. Als wir die große Schalterhalle betraten und auf die Schließfächer zugingen, blieb Alex plötzlich wie angewurzelt stehen.

»Oh, Mist«, sagte sie.

»Was ist los?« Dann sah auch ich die beiden Männer in den schwarzen Kapuzenjacken. Mir wurde mulmig.

»Nichts wie weg«, sagte Alex.

»Hast du mit denen auch schon Bekanntschaft gemacht?«, fragte ich sie überrascht.

»Nicht persönlich. Aber ich habe sie schon mal gesehen.«

Und sie hatten uns gesehen, da sie jetzt schnell auf uns zukamen.

Wir rannten los, durch das alte Bahnhofsgebäude und die Treppe hinunter zur U-Bahn. Unsere Verfolger blieben uns dicht auf den Fersen. Und mir ging allmählich die Puste aus. Ich fiel immer weiter hinter Alex zurück. Sie jagte bereits die Stufen auf der anderen Seite der Haltestelle hinauf und erreichte schon den oberen Treppenabsatz, während ich noch mit der unteren Hälfte der Treppe kämpfte.

»Pass auf, hinter dir«, rief sie.

Ich blickte über meine Schulter. Einer der Männer wollte mich packen. Ich stolperte über eine Stufe und fiel nach vorne. Geistesgegenwärtig drehte ich mich auf den Rücken, trat mit dem Fuß nach oben, in das Gesicht des Mannes. Er geriet ins Straucheln und stürzte rückwärts die Treppe hinunter. Dort blieb er mit blutender Nase reglos liegen. Sein Kumpan rannte an ihm vorbei, auf mich zu.

Ich quälte mich auf die Füße, hastete die Stufen nach oben und erreichte Alex. Wir flüchteten weiter, eine Rolltreppe hinunter. In der unterirdischen Haltestelle stand eine abfahrbereite Stadtbahn.

»Bitte zurückbleiben!«, dröhnte die Durchsage blechern und abgehackt durch den hohen Raum. Gleichzeitig sprangen Alex und ich in den Waggon. Die Türen schlossen sich hinter uns, der Zug setzte sich in Bewegung.

Ich ließ mich neben Alex auf eine freie Bank fallen und rang nach Atem. Über mein Gesicht floss Schweiß, den ich mit dem Handrücken fortwischte. Dabei rutschte der Ärmel meiner Jacke ein Stück nach oben und erlaubte mir einen Blick auf die längst verblasste Narbe oberhalb meines Handgelenks. Ich spürte, wie mir schwindlig wurde. Tausend helle Sterne tanzten vor meinen Augen auf und ab, hin und her.

»Wir sollten an der nächsten Haltestelle aussteigen«, hörte ich Alex sagen. Ich fühlte ihre Hand auf meinem Arm. »Nick? Ist alles in Ordnung?«

Ihre Stimme verklang an der Oberfläche, als ich innerhalb weniger Sekunden in den dunklen Abgrund fiel …

***

…. wo war ich nun wieder gelandet? Jedenfalls nicht in dem dunklen Korridor. Stattdessen saß ich im Schneidersitz auf einem Holzboden und blickte in einen Spiegel. Ich sah mich selbst als kleinen Jungen mit braunem Haarschopf und blassem Gesicht. Mein Blick war traurig, meine Augen gerötet. Dicke Tränen kullerten über meine Wangen. Sie glänzten im Licht der Sonne, die ihre Strahlen durch mehrere schmale Luken in den Dachboden schickte.

In meiner Hand hielt ich ein aufgeklapptes Taschenmesser, das ich unentwegt auf und ab führte, als ob ich gegen einen unsichtbaren Feind kämpfen würde.

Eine Stimme drang von unten zu mir herauf: »Schatz, wo bist du?«

Ich lauschte, antwortete aber nicht.

»Dein Vater erwartet, dass du mit ihm ausgehst.« Es war eine weibliche, sanfte Stimme, die nun aber energischer wurde. »Komm jetzt. Du weißt doch, dass er wütend wird, wenn er warten muss.«

Ich reagierte nicht auf die Rufe. Stattdessen legte ich die scharfe Klinge auf meinen Unterarm und drückte sie fest in meine Haut. Ruckartig zog ich am Schaft des Messers. Die Haut klaffte auseinander, Blut floss aus der Wunde und tropfte neben mir auf den Boden. Rasch sammelte es sich zu einer Pfütze. Ich begann zu schreien, als der Schmerz brennend in mein Bewusstsein drang und der Schreck durch meine Glieder brauste. Das Messer fiel polternd zu Boden. Ich hörte das Knarren der Holztreppe, eilige Schritte, die lauter wurden. Die Tür öffnete sich, ich sah eine hochgewachsene Gestalt auf mich zukommen, ehe ich wieder in der Dunkelheit versank …

***

... jemand rüttelte und zerrte an meinen Schultern. Ich öffnete langsam die Augen und blickte in das Gesicht eines Engels, das umrahmt von hellbraunen Locken direkt über mir schwebte.

»Komm zu dir!«, hörte ich Alex‘ Stimme.

Tief sog ich die stickige Luft des Waggons in meine Lungen und hustete den Mief wieder aus. Ich blickte auf meinen Unterarm. Dort war die verblasste Narbe, kein Blut, keine klaffende Wunde. Dafür pochte mein Kopf so heftig, dass ich fürchtete, er könnte gleich explodieren. Mehrere Leute in der Bahn hatten die Köpfe hochgereckt und sahen zu mir herüber.

»Was gibt es hier zu glotzen?«, rief Alex ihnen zu. Dann sah sie mich an. Sie wirkte sehr besorgt. »Hast du öfter solche Aussetzer?«

»Seit dem Überfall«, klärte ich sie auf. »Ich bin noch nicht so richtig fit.«

»Das ist mir auch schon aufgefallen. Du warst bestimmt zwei Minuten weggetreten.«

Die Stadtbahn verlangsamte die Fahrt.

»Kannst du aufstehen?«, fragte Alex.

»Ja. Sicher.« Ich erhob mich und folgte ihr auf wackeligen Beinen. Kaum hatte der Zug gestoppt und die Türen geöffnet, verließen wir den Waggon, gingen die Haltestelle entlang und mehrere Stufen hinunter. Alex überquerte die Straße. Ich blieb am Straßenrand stehen und sah mich um.

Der feuchte Asphalt reflektierte glitzernd das Licht der Straßenlampen. Die Äste der Bäume schaukelten im Wind. Laub fiel zu Boden und wurde gleich darauf durch den Wind erfasst und aufgewirbelt. Die kühle Luft, die mir entgegen blies, kühlte mein erhitztes Gesicht und glättete die Wogen der Erinnerungen, die immer lebendiger wurden, mir aber noch immer fremd vorkamen. Wie ein Film, den ich im Fernsehen oder im Kino als Zuschauer betrachtete. Dennoch wühlten die Bilder mich sehr auf.

Ich atmete tief ein und langsam wieder aus. So bekam ich meine Gefühle einigermaßen unter Kontrolle, und die Bilder meiner Kindheit verblassten. Ich überquerte die Straße.

»Was ist?«, fragte Alex, als ich vor ihr stand. »Du siehst aus, als hättest du einen Geist gesehen.«

»So ähnlich. Meine Erinnerungen kehren zurück.«

»An was hast du dich erinnert?«

»Nicht so wichtig.« Ich besann mich kurz. »Reden wir lieber über den Inhalt des Schließfaches. Was hast du dort versteckt?«

»Das ist nicht so einfach«, druckste sie herum.

»Warum?«

»Das ist eine lange Geschichte«, erwiderte sie. Ihre Stimme zitterte.

»Wir haben Zeit. Erzähl sie mir.« Ich sah in ihre Augen, die mir so vertraut vorkamen. Das konnte nicht sein, oder doch? Ein verschwommenes Gesicht grub sich aus meinem Innersten einen Weg in meinen Kopf. Das Gesicht eines Mädchens umrahmt von hellbraunen Locken. Und ebenso schnell, wie es aufgetaucht war, verschwand es wieder in den Tiefen meiner Seele.

»Woher kennen wir uns, Alex?«, flüsterte ich, ohne meinen Blick von ihr zu nehmen.

»Das habe ich dir doch gesagt. Aus Freiburg. Aber du erinnerst dich nicht daran, oder?«

Ich schüttelte den Kopf. »Nein. Aber ich erinnere mich an dich, glaube ich zumindest. Erzähl mir mehr.«

Sie starrte mich mit großen Augen an und sagte: »Ich kann nicht.«

»Warum?« Verzweiflung packte mich. Sie wusste etwas über mich, über uns, und verbarg die Wahrheit vor mir.

Ich wollte wütend auf sie sein, doch da war ihr sinnlicher Mund direkt vor meinem und ihre sanften Augen, die mich eindringlich musterten. Unsere Körper berührten sich, ihre Hand lag auf meinem Arm. Meine Finger wanderten zu ihrem Hals, ich konnte nicht anders, als ihren Nacken zu streicheln. Ich wollte sie fühlen, ganz nahe bei mir. Und ich wollte noch viel mehr als das.

Sie seufzte. »Es ist zu verrückt. Ich sollte jetzt …«

Ich ließ sie nicht ausreden, legte meine Lippen auf ihre und fühlte, wie sie sich verkrampfte. Aber nur kurz, dann erwiderte sie meinen Kuss. Meine Hand strich sachte über ihren Rücken. Ich wünschte mir, dieser Augenblick würde ewig dauern. Ich wollte sie nie wieder loslassen. Es kam mir so vor, als hätte ich mein ganzes Leben lang nur auf sie gewartet oder nach ihr gesucht. Ob es ihr genauso ging mit mir?

Das Vibrieren in meiner Hosentasche unterbrach unsere Zärtlichkeiten und meine Gedanken. Gleich darauf ertönte der Refrain von Bon Jovis Runaway zwischen Alex und mir.

Sie wand sich aus meinen Armen und trat zurück.

»Bleib hier, bitte.« Ich zog das Handy hervor und meldete mich.

»Eddy hier«, brummte eine tiefe Stimme in mein Ohr.

»Na, wer auch sonst?«, erwiderte ich.

»Warum bist du nicht mehr im Krankenhaus?«, wollte er wissen.

»Deshalb rufst du an? Um mich das zu fragen?«

»Nein, nicht nur deshalb.« Ein Zögern. »Ich muss mit dir noch mal über den Überfall reden. Kannst du dich wirklich an nichts erinnern?«

Ich zögerte. »Glaubst du mir nicht?«

»Zumindest kann ich mir nicht vorstellen, dass du dich weder an die Männer, noch an den Wagen erinnern kannst. Deinem Blick entgeht normalerweise nichts.«

»Ist das so?«, fragte ich.

»Ja. Und du bist stur.«

Ich dachte kurz nach. »Also gut. Ruf mich morgen früh an.« Dann legte ich auf und schüttelte den Kopf.

»War das deine Freundin?«, wollte Alex wissen und sah mich skeptisch an.

»Nein. Ich habe keine Freundin, und ich bin auch nicht verheiratet«, klärte ich sie auf. »Das war Eddy, ein Kumpel von mir.«

»Ich werde jetzt gehen.« Sie senkte den Blick. »Bevor ich noch etwas tue, das ich morgen früh bereuen würde.«

»Das verstehe ich jetzt nicht.« Ich ging einen Schritt auf sie zu, doch sie wandte sich von mir ab.

»Okay. Jetzt hab ich es begriffen.« Ich konnte meine Enttäuschung nicht verbergen und wollte es auch gar nicht.

»Hör zu, Nick. Es ist nicht so, dass ich kein Interesse an dir hätte.«

»Aber?«

»Keine Ahnung. Ich muss mir nur über einiges klar werden. Nicht böse sein.«

Böse war ich nicht, aber erregt und durcheinander. »Gibst du mir deine Handynummer?«, fragte ich.

Alex musterte mich abschätzend. »Nein. Aber ich ruf dich an.«

»Sicher?«

Sie nickte, dann ging sie davon.

Ich blickte ihr nach, überlegte, ihr zu folgen. Doch was hätte es gebracht? Sie war unsicher und ich hatte das Gefühl, dass sie sehr verletzlich war. Und sie brauchte einfach nur Zeit zum Nachdenken. Die würde ich ihr geben. Also ging ich zurück zur Stadtbahnhaltestelle und stieg in den nächsten Zug, der mich unversehrt zum Hauptbahnhof brachte.

***

Als ich meinen Wagen am Straßenrand in der Nähe meiner Wohnung abstellte, kroch ein nervöses Grummeln durch meinen Magen. Die Straße war mir nie so dunkel vorgekommen, wie an diesem späten Abend. Dabei hatte sich hier nichts verändert. Alle Straßenlaternen leuchteten. Sogar einzelne Sterne am Himmel, der Mond war noch beinahe ganz rund und hell genug um einen weißen Schleier über die Gebäude zu legen. Vielleicht lag es aber nur an der Dunkelheit in meinem Herzen, die mich beherrschen wollte, seitdem ich meinen Erinnerungen begegnet war. Oder ich bildete mir das alles nur ein.

Wie auch immer. Umsichtig stieg ich aus meinem Wagen, zögerte kurz, als ich hinter mir eine Bewegung wahrnahm. Doch da war niemand. Ich hörte auch niemanden. Meine Fantasie spielte mir ganz sicher einen Streich. Trotzdem umschloss ich meinen Schlüsselbund fest mit meiner Hand und wollte mich gerade zu meiner Wohnung begeben, als mein Handy die abendliche Stille lautstark durchdrang.

»Ja?«, meldete ich mich umso leiser.

»Seit Stunden versuche ich, dich zu erreichen«, hörte ich Katis Stimme. »Denkst du noch daran, dass du dieses Wochenende auf Moritz aufpassen wolltest? Er freut sich schon seit Tagen drauf.«

»Jetzt, wo du es sagst. Könnten wir das vielleicht verschieben?«

»Was? Verschieben? Nein, auf keinen Fall. Du hast es versprochen. Moritz ist auch dein Sohn.«

»Ja schon, aber …«

Sie fiel mir ins Wort. »Oh Mann, Nick. Willst du mir sagen, dass du dir die Zeit nicht für ihn nehmen willst? Ich habe einen Flug nach London gebucht. Die Maschine fliegt morgen früh. Weißt du, wie lange ich schon keinen Urlaub mehr hatte? Weißt du eigentlich, wie schwierig es ist, ein Kind alleine groß zu ziehen? Immer denkst du nur an dich, ich wusste es.« Sie steigerte sich zusehends in ihre Rage hinein. »Das heißt also, ich soll das Ganze abblasen, mein Flugticket in den Wind schießen und mich selbst um Moritz kümmern. Oh, dein Sohn wird sehr enttäuscht sein, und das nicht zum ersten Mal.«

Sie wusste ganz genau, wie sie mir ein schlechtes Gewissen einreden konnte.

»Na schön«, gab ich nach, obgleich mir nicht ganz wohl dabei war, bei allem, was ich die vergangenen Tage erlebt hatte. Andererseits blieb mir keine Wahl, ich hatte es versprochen und meinen Sohn durfte ich nicht andauernd enttäuschen. »Bringst du ihn morgen früh vorbei?«

Etwas ruhiger erzählte Kati mir, dass sie Moritz gleich am nächsten Morgen zu Luca bringen wolle, der seinen Geburtstag auf einem Bolzplatz feiere.

»Du kannst ihn dort gegen vier abholen«, fügte sie hinzu. »Alles klar soweit?«

»Ja, alles klar.« Ich war ja nicht blöd. »Ich wünsch dir ein schönes Wochenende.«

Ich legte auf, nahm meinen Hausschlüssel in die Hand und ging zur Wohnungstür. Sie stand einen Spaltbreit offen. Hatte ich vergessen, sie zu schließen? Oder war jemand eingebrochen? Lauerte derjenige auf mich in der Dunkelheit? Mein Puls beschleunigte. Ich drückte die Tür weiter auf, spähte ins Innere und horchte in die Dunkelheit. Stille. Möglichst leise betrat ich den Raum. Ich drückte den Lichtschalter und sofort wurde es taghell.

»Oh nein«, flüsterte ich und blickte in ein Chaos.

Meine Bilder hingen schräg an den Wänden, Skulpturen lagen auf dem Boden und von dem Zeichenblock, der mitten im Raum auf einer Staffelei lehnte, leuchteten in grellem Rot drei Worte: Noch fünf Tage.

Hatte dieser grauäugige Mistkerl es doch tatsächlich gewagt, hier einzubrechen? Aber wozu? Um etwas zu finden? Ein Schlangenmesser vielleicht und ein dazu passendes Kreuz? Nicht zu fassen, als ob ich so dumm wäre, die Sachen hier zu verstecken. Ich riss das Papier von meinem Zeichenblock, knüllte es so klein wie möglich zusammen und warf es in den Mülleimer.

Danach hob ich meine Skulpturen auf und rückte meine Gemälde zurecht, drang bis in die hinterste Ecke des Raumes vor, wo normalerweise die Burgruine hing. Nun stand fest, dass der Einbrecher doch etwas mitgenommen hatte. Anstatt des Bildes zierte nur noch ein einsamer Haken die kahle Wand.

 

14

 

Weit entfernt von der Großstadt herrschte Stille in dem unterirdischen Gewölbe. Die Luft roch abgestanden und modrig, der steinerne Fußboden und die Wände waren mit Moos überwuchert. Das Licht der Deckenleuchten bahnte sich seinen Weg durch eine schmale, vergitterte Öffnung in einen Raum hinein. Dort lag zusammengerollt ein junges Mädchen. Ihr Haar war hell, beinahe weiß, und sie weinte leise vor sich hin.

Auf der anderen Seite der Tür stand ein hochgewachsener Mann, der in eine schwarze Kutte gehüllt war. Eine Kapuze verdeckte sein Haupt und die Hälfte seines Gesichts. Er starrte durch das Gitter ins Innere der Zelle und lauschte dem Weinen der Kleinen. Ihre Furcht verlieh ihm Kraft. Tief atmete er die Luft in seine Lungen und blies sie langsam wieder aus. Sogleich wandte er sich um und ging zur Tür gegenüber. Auch hier spähte er in eine Zelle. Dort saß ein weiteres Mädchen, den Rücken hatte sie gegen die Wand gedrückt, die Beine an den Bauch gezogen. Sie umklammerte ihre Knie mit ihren Armen. Ihr Blick war stur auf die Tür gerichtet, das blonde Haar fiel lockig in ihre Stirn.

Wieder atmete der Mann tief durch und dachte nach. Endlich würde er die ihm auferlegte Aufgabe zu Ende bringen können. Bald würde er frei sein. Nach all den Jahren der Verdammnis und der Dunkelheit. Sein Mund verzog sich zu einem hämischen Grinsen.

Er wandte sich ab, schritt durch einen schwach beleuchteten Gang, stieg einige Stufen hinauf, gelangte in einen leeren Raum und durchquerte auch diesen. Hinter ihm fiel eine schwere Tür ins Schloss. Schließlich betrat er ein mit zwei abgewetzten Sitzmöbeln dürftig eingerichtetes Zimmer, das nur durch wenige Kerzen erhellt wurde. Der Mann setzte sich in einen der Sessel, schlug ein Buch auf und begann zu lesen.

Als ein junger Mann den Raum betrat, sah der Alte auf. »Hast du endlich etwas erreicht?«

»Noch läuft alles nach Plan, es braucht nur ein wenig mehr Zeit, als angenommen.« Der junge Mann reichte dem Alten ein Gemälde.

»Das ist außerordentlich«, stellte der fest und bewunderte den Felsen, die Ruine, die Raben, die dunkle Gestalt auf dem weißen Papier. »Woher hast du das?«

Der junge Mann setzte sich in den anderen Sessel. »Von ihm!«

»Von ihm? Folglich hat er nicht gänzlich alles vergessen, wie du zunächst dachtest.«

»Nicht alles, aber zu viel«, erwiderte der junge Mann.

»Halte dich einfach an unseren Plan.«

»Ich gebe mir Mühe. Aber warum willst diesen Dieb auch lebend?« Es wäre doch so viel einfacher, ihn umzubringen, ihm ein Messer in seine verdammte Brust zu stoßen, einmal, zweimal, …

»Du weißt genau, dass ich ihn lebend brauche«, unterbrach der Alte die Mordgedanken des jungen Mannes. »Nur er weiß, wo das Kreuz ist. Und das Messer.«

Der Jüngere atmete tief durch und betrachtete seine Hände. Er legte seine Fingerkuppen aufeinander und formte daraus ein Dreieck. Dann legte er beide Zeigefinger auf seine Lippen und dachte nach. »Oder sie hat es.«

»Wer hat es? Rede!«, forderte der alte Mann und beugte sich erwartungsvoll nach vorne.

Der junge Kerl stand auf und begann hin und her zu gehen. »Zwei meiner Leute sind ihm gefolgt. Er hat sich mit dieser Frau im Bahnhof getroffen. Alexandra.«

»Sie hat ihn also auch gefunden?« Der Alte ließ sich zurück in seinen Sessel fallen. »Sehr gut.«

»Meine Männer haben Holsten beobachtet, gestern Abend. Er hatte diesen Schlüssel bei sich. Sie hat ihn an sich genommen. Ich vermute, dass er in ein Schließfach passt.«

»Meinst du? Und warum haben wir diesen Schlüssel dann noch nicht?« Der Alte klang sehr missmutig.

»Die beiden sind meinen Männern entwischt.«

»Sie haben hoffentlich nicht allzu viel Aufsehen erregt?«

»Nein, keine Sorge.« Der junge Mann besann sich kurz. »Solange er weg war, habe ich in seiner Wohnung jeden Winkel durchsucht. Dabei habe ich das gefunden.« Er zeigte auf das Gemälde. »Sonst nichts. Aber ich habe ihm eine kleine Nachricht hinterlassen.« Sein Mund verzog sich zu einem leichten Grinsen. In seinen hellgrauen Augen glomm ein Feuer. In fünf Tagen lief die Frist ab. Wieder trieben Mordgedanken durch seinen Geist, sein Killerinstinkt war schon lange erwacht. Aber gut, der alte Mann wollte diesen Dieb lebend. Und solange sie die Schätze nicht hatten, brauchten sie ihn ohnehin am Stück.

»Und was ist mit Alexandra Hertzog?«, fragte der Alte knurrig.

»Sie ist verschwunden. Aber wir behalten Holsten im Auge. Vielleicht taucht sie ja wieder bei ihm auf.«

Die Mundwinkel des alten Mannes fielen immer weiter herab. Sie zitterten. Er war wütend, kein Zweifel. Es war an der Zeit, ihn zu besänftigen.

»Ich habe herausgefunden, dass er einen Sohn hat«, sagte der Jüngere.

»Er hat einen Sohn? Warum erfahre ich erst jetzt von ihm?«

»Der Junge lebt bei seiner Mutter. Ich habe es auch erst vor wenigen Tagen erfahren.«

»Wie alt ist er?«

»Er wird demnächst dreizehn.«

»Die magische Zahl.« Er kratzte sich nachdenklich am Kinn. »Das ist eine gute Nachricht. Was weißt du noch über ihn?« Der Alte rutschte in seinem Sessel herum. Seine Augen leuchteten vor Tatendrang.

»Er hat große Ähnlichkeit mit seinem Vater. Zudem besucht er ein Gymnasium, siebte Klasse.«

»Die siebte Klasse? Hat er ein Mädchen?«, fragte der alte Mann weiter.

»Zumindest hat er öfter mit einem Kontakt. Warte.« Der junge Mann zog sein Smartphone aus der Tasche und öffnete eine Datei.

Sofort wurde es wesentlich heller im Raum, und der alte Mann wich zurück. Erst nachdem das Display auf dunkelster Stufe eingestellt war, wagte er einen Blick darauf, musste aber trotzdem die Augen zusammenkneifen. »Ist das der Junge? Er sieht in der Tat aus wie sein Vater.«

»Sagte ich doch.« Nun öffnete der junge Mann ein weiteres Foto. »Und ich glaube, dieses Mädchen mag er.«

Der alte Mann sog scharf die Luft ein, als er das hübsche Gesicht der Kleinen betrachtete, das von lockigen, hellbraunen Haaren umrahmt war. »Das ist sehr gut«, murmelte der Alte. »Die beiden könnten uns nützlich sein.«

»Was hast du mit ihnen vor?«

»Darüber muss ich erst einmal nachdenken. Behalte sie im Auge. Du erhältst rechtzeitig Nachricht, was mit ihnen geschehen soll«, antwortete der Alte, nahm wieder sein schwarzes Buch in die Hand und schlug es auf. »Du kannst jetzt gehen.«

Der junge Mann wandte sich zum Ausgang. Seit wann hatte der Alte es auf Jungen abgesehen? Das war etwas ganz Neues. Aber gut, ihm war das egal, er würde tun, was von ihm verlangt wurde. Und, wie immer, mit Genuss.

 

15

 

Seit etlichen Minuten stand ich nun schon wie festgewachsen in meiner Galerie zwischen all den Bildern und Skulpturen und starrte auf die beiden Leinwände vor mir. Mitten in der Nacht war ich aus einem Traum aufgewacht. An Details konnte ich mich nicht erinnern, aber meine künstlerische Ader – oder vielleicht war es auch nur mein krankes Unterbewusstsein – zwang mich dazu, diese Bilder zu malen. Nun, das war nicht das erste Mal gewesen, dass mir das passierte. Viele andere Gemälde waren so entstanden. Vollkommen unbewusst und wie in Trance hatte ich vieles erschaffen, das hier an den Wänden hing. Anfangs hatten mich diese zwanghaften Handlungen erschreckt, irgendwann fand ich mich damit ab. Helen erklärte mir das wieder einmal so, dass ich eben viel zu verarbeiten hätte. Ich war anderer Meinung gewesen, hatte diese künstlerischen Ergüsse auf mein krankes Gehirn geschoben. Und jetzt? Jetzt glaubte ich das nicht mehr. Ich vermutete, dass Helen recht hatte. Und das gefiel mir ganz und gar nicht.

Ich blickte von einer Zeichnung zur anderen. Die eine war eine exakte Kopie des Burgbildes, das mir geklaut worden war. Die andere konnte ich mir nicht erklären, sie war einfach nur erschreckend und machte mir bewusst, dass ich dringend Hilfe benötigte. Da kam mir eine Idee.

Ich rannte die Treppe hinauf, kramte in meiner Jacke nach der Visitenkarte des Seelenklempners und zog sie heraus. Im Wohnzimmer fand ich mein Handy und stellte fest, dass Eddy schon mehrmals angerufen hatte. Richtig, er wollte Informationen von mir, die ich ihm nicht geben konnte oder nicht geben wollte. Ob ich ihn zurückrufen sollte? Ich schüttelte den Kopf und wählte die Nummer von Doktor Fisch.

Er meldete sich prompt. »Fisch.«

»Nick Holsten hier. Sie meinten, Sie würden mir helfen, jederzeit«, sagte ich. Meine Stimme überschlug sich. Ich bemühte mich, ruhiger zu werden. »Jetzt wäre der richtige Zeitpunkt.«

Nervös ging ich in meinem Wohnzimmer hin und her.

»Wie wäre es um elf Uhr?«, schlug der Arzt vor. »Kommen Sie ins Krankenhaus. Zweiter Stock. Da finden Sie meine Praxis.«

»Ja, das passt, ich werde pünktlich sein«, sagte ich.

Kaum hatte ich das Gespräch beendet, klingelte es an der Tür. Ich öffnete. Es war Eddy, und er sah irgendwie wütend aus.

»Verdammt, Nick, warum gehst du nicht ans Telefon?«, schnauzte er mich an.

Ich hob die Augenbrauen. »Ich wünsche dir auch einen guten Morgen.«

Er sah mich verdutzt an. »Hey. Ich hab mir wirklich Sorgen um dich gemacht. Seit Stunden versuche ich schon, dich zu erreichen. Ist dein Handy kaputt?«

»Das glaube ich nicht. Ich hab es einfach nicht gehört.« Das entsprach nicht ganz der Wahrheit, vielmehr hatte ich es ignoriert. »Ich war mit Malen beschäftigt.«

»Na toll. Und ich dachte schon …« Er brach mitten im Satz ab und musterte mein Gesicht, danach wanderte sein Blick über meinen Körper nach unten und wieder hinauf. »Du hast noch deinen Schlafanzug an?«

»Ja und? Hast du ein Problem damit?«

»Es ist halb zehn.« Er runzelte die Stirn. »Und du siehst ziemlich übel aus.«

»Oh, tatsächlich? Danke für das Kompliment.« Wenn ich so aussah, wie ich mich fühlte, musste mein Anblick furchterregend sein.

»Du bist blass unter der ganzen schwarzen Farbe, die du dir ins Gesicht geschmiert hast«, sagte Eddy. »Was hast du denn gemalt?«

»Sieh’s dir an.«

Er betrachtete die Burg. »Das hast du gemalt? Das kenne ich doch bereits.«

»Aber nur die erste Version.« Ich dachte darüber nach, ihm von dem Einbruch zu erzählen, ließ es dann aber sein. »Frag mich nicht, warum ich das noch mal gemalt habe.«

Eddy schnaubte. »Weißt du, dass mich dieses Bild schon immer fasziniert hat?«

»Echt?« Das hatte er mir nie gesagt. »Ich fühle mich geschmeichelt.«

»Aber das hier ist noch besser geworden«, stellte er fest. »Es wirkt erschreckend lebendig.«

Ich sah ihn verwundert an. Vielleicht gingen ihm jetzt die Gäule durch? Na, wie auch immer. »Und was hältst du davon? Das ist neu.«

Eddy starrte auf das zweite Bild. »Oh, Mann, jetzt zweifle ich an deinem Verstand.«

»Nicht nur du, das kannst du mir glauben.«

Wir betrachteten die detailliert gezeichneten Skelette, die in einer Reihe nebeneinander auf einem felsigen Untergrund lagen. Vor ihnen, in einer zweiten Anordnung, waren mehrere halb zerfallene Leiber zu erkennen. In einer dritten und letzten Gruppierung lagen unversehrte Körper beisammen. Die Augen in ihren kindlichen, weiblichen Gesichtern jedoch, blickten leblos nach oben. In all den ineinander gefalteten Händen, egal ob knochig oder fleischig, steckten schwarze, zu Sträußen gebundene Federn. Mehrere Ratten huschten zwischen den Gebeinen hindurch.

Ich bildete mir ein, das Kratzen ihrer kleinen Krallen auf dem steinernen Untergrund zu hören, so lebendig erschienen sie mir.

Eddy zog die Augenbrauen zusammen und sah mich an. »Was hat das zu bedeuten?«

»Wahrscheinlich werde ich tatsächlich verrückt. Ich weiß nicht, weshalb, aber diese Bilder sind eindeutig in meinem Kopf.«

»Ich glaube eher, du weißt mehr, als du zugibst.« Eddys Ton war schroff.

Das gefiel mir nicht, und ich beschloss, ab sofort meinen Mund zu halten.

»Na schön, wir sollten auf jeden Fall herausfinden, was das alles zu bedeuten hat«, meinte er.

»Das will ich auch«, gab ich zu. Ich nahm das Bild von der Staffelei und stellte es hinter andere unvollendete Werke. Noch war ich mir nicht sicher, ob ich es behalten würde oder lieber vernichten sollte.

Eddy beobachtete mich dabei, dann betrachtete er wieder das Burgbild, zögerte kurz und meinte: »Nick, ich muss dir etwas sagen.«

»Dann schieß los«, forderte ich ihn auf.

»Mein Computer behauptet, der Junge auf dem Foto heißt Nicolas Rabenstein«, rückte er heraus.

»Rabenstein? Ist das dein Ernst?«, rief ich aus. »Ich hatte mit Nicolas Holsten gerechnet.« Das brachte mich kurz aus dem Gleichgewicht, aber ich fing mich schnell wieder. »Und hast du schon etwas über diesen Rabenstein herausgefunden?«

Seltsam, wie leicht der Name mir über die Lippen kam. Und nicht nur das. Im Geiste stellte ich mir vor, wie mich jemand mit diesem Namen ansprach. »Du bist also Nicolas Rabenstein? Wie schön dich kennenzulernen.« Ein leicht verschwommenes Gesicht erschien im Geiste vor mir, das mir bekannt vorkam. Rasch verschwand es wieder in den Tiefen meines Unterbewusstseins. Mein Zustand wurde immer bedenklicher.

»Ich werde seine Akte aus Freiburg anfordern«, versprach Eddy. »Wenn du mir etwas über diese Männer erzählst.«

Ich kniff die Augen zusammen. Also wollte er zuerst Informationen von mir, und solange ich schwieg, würde er mich im Ungewissen lassen.

»Ich brauche jetzt erst einmal einen Kaffee. Willst du auch einen?«, schlug ich vor.

Er nickte, wir gingen nach oben. Während Eddy Kaffee kochte, sprang ich unter die Dusche. Als ich fünfzehn Minuten später in die Küche kam, wartete er bereits ungeduldig auf mich.

»Hier, dein Kaffee«, sagte er und stellte eine volle Tasse vor mir ab.

»Danke. Du würdest eine hervorragende Hausfrau abgeben.« Ich grinste.

Er ging nicht darauf ein. »Also? Wirst du jetzt endlich über die Sache reden?«, fragte er. »Ich hasse es, wenn ich dir alles aus der Nase ziehen muss.«

»Und ich hasse es, wenn du mich mit Fragen bombardierst, die ich dir nicht beantworten kann.« Wieder sah ich diese silbergrauen, wütenden Augen vor mir. Sie blitzten in der Dunkelheit bösartig auf. Die Worte des Mannes hallten noch in meinen Ohren.

Kein Wort zur Polizei. Oder du bist tot.

»Das heißt, du willst nicht darüber reden?«

Sollte ich mich Eddy anvertrauen? Abgesehen von zwei eisgrauen Augen, die mich aus der Dunkelheit fixierten, und dem Besuch eines jungen Mannes, der einen Knaben suchte, der mir wie aus dem Gesicht geschnitten war, konnte ich Eddy gar nichts erzählen. Ob der Name dieses Jungen – oder meiner – tatsächlich Benjamin oder doch Nicolas Rabenstein lautete? Die ganze Angelegenheit blieb so verflixt undurchsichtig. Zudem erwachten in mir diese Visionen, von denen ich nicht wusste, ob sie aus meiner vergessenen Vergangenheit stammten, oder lediglich meiner kranken Fantasie entsprungen waren. Wie auch immer, die Angst um mein Leben, genau wie um meinen Verstand, nagte an mir. Was also sollte ich tun?

Ich beschloss, Eddy einen Handel vorzuschlagen. »Hör zu. Ich habe nachher einen Termin bei einem Psychologen. Er ist auf Hypnose spezialisiert.«

»Das ist jetzt nicht dein Ernst, oder?« Er sah mich entsetzt an. »Hatte Helen dir nicht immer genau davon abgeraten? Sie meinte doch, es könnte gefährlich werden.«

Das hatte sie immer behauptet, aber ich wollte das Risiko trotzdem eingehen. Ich sah darin die einzige Möglichkeit, mein Unterbewusstsein soweit zu öffnen, dass ich einen freien Blick auf meine Vergangenheit bekommen würde.

»Kommst du mit?«, fragte ich ihn. »Dann bin ich nicht so allein. Und wenn es gut läuft, erzähle ich dir anschließend alles, was ich weiß.«

Er nickte. »Okay. Dann komme ich mit.«

***

In dem abgedunkelten Behandlungszimmer brannte nur eine Lampe mit einem blassgelben Schirm, die dem Raum eine sogar auf mich beruhigend wirkende Atmosphäre verlieh. Während Doktor Lothar Fisch die letzten Vorbereitungen für die Hypnose traf, hatte ich es mir bereits in dem gepolsterten Sessel bequem gemacht. Schon die halb liegende Position und die leisen Klänge der Hintergrundmusik verhalfen mir innerhalb weniger Minuten zu einer tiefen Entspannung.

»Sie wissen, was auf Sie zukommt?«, fragte der Arzt mich.

Ich nickte. Wir hatten vorhin lange genug alles durchgekaut. Er hatte mich darüber aufgeklärt, wie die Hypnose funktionierte und welche Nebenwirkungen sie haben konnte und so. Selbstverständlich war Doktor Fisch davon überzeugt, dass mir nichts passieren würde. Und er glaubte genau wie ich, dass dies die einzige Möglichkeit wäre, an meinen Erinnerungsspeicher – genau so hatte er das formuliert – heranzukommen.

Ich sah Eddy an, der auf einem Stuhl hockte. Er hatte während des Gesprächs seine Bedenken geäußert, und er wirkte auch jetzt sehr angespannt.

»Legen Sie los«, sagte ich zu Doktor Fisch.

»Gut. Konzentrieren Sie sich bitte ganz genau auf die Musik und auf meine Worte.« Der Arzt setzte sich neben mir auf einen Stuhl. »Schauen sie ununterbrochen auf die Lampe, aber halten Sie die Augen dabei geschlossen. Versuchen Sie, in Ihr Unterbewusstsein einzudringen, ganz langsam, Schritt um Schritt. Ich werde Sie ein Stück weit begleiten …«

Mein Körper wurde bereits schwer. Ich kletterte rasend schnell und immer tiefer in den Abgrund. Dabei war ich entspannt und kam vollkommen klar im Kopf unten an …

 

... der Stein unter meinen Füßen war glitschig. Wasser sammelte sich in den seitlichen Rinnen der Gänge, und ich hörte ein Donnergrollen, weit entfernt, ein Gewitter …

 

… ganz leise drang Fischs Stimme zu mir herunter. »Nick? Können Sie mich hören?«

Ich nickte …

 

… und ging zielstrebig weiter, während die Worte endgültig in den weitläufigen Korridoren des Labyrinths verklangen. Jetzt verließ ich den Gang. Ich hielt an und sah mich um. Vor mir tat sich ein dunkler Wald auf. Meine Füße hasteten über den weichen Boden. Die Äste der Bäume hingen tief, sie zerkratzten mein Gesicht. Nebel zog zwischen den Stämmen hindurch und behinderte meine Sicht. Ewig rannte ich, ehe ich ein Haus erreichte. Hinter den Fenstern brannte kein Licht, niemand schien zuhause zu sein, als ich ins Innere vordrang. Eine Treppe führte mich hinunter in einen Keller. Ich fasste in meine Hosentasche und dann … wurde es erneut finster. Die Szene änderte sich jäh. Eine Eingangshalle. Ich rannte hindurch. Hektisch sah ich mich um, ging in einen Raum, suchte etwas …

 

… ich riss die Augen auf und starrte in das Gesicht des Arztes, der wild gestikulierend auf mich einredete. Ich konnte seine Worte nicht hören und stürzte wieder zurück in meine Vergangenheit …

 

… wieder ging ich durch die Eingangshalle der Villa. Mein Herz hämmerte wie verrückt gegen meine Rippen. Von meiner Stirn perlten Schweißtropfen. Meine Hand umfasste den Schaft eines Revolvers. Eine Gestalt kam auf mich zu. Funkelnde, blaue Augen in einem verschwommenen Gesicht. Ein Messer raste auf mich zu. Die Klinge drang ungebremst in meinen Brustkorb ein. Etwas in meinem Inneren zerriss in tausend Stücke, so fühlte es sich jedenfalls an. Meine Beine gaben nach. Laut schreiend stürzte ich zu Boden. Ein Schuss gellte durch den Raum, bevor sich eine eisige Schwärze über mich wälzte und verschlang …

 

… »Nick! Wachen Sie endlich auf«, brüllte eine Stimme.

Ich gehorchte und riss die Augen auf.

»Oh, mein Gott.« Ich fasste an meine schmerzende Brust. »Da war diese Gestalt, ein Messer, dann ...« Mehr bekam ich nicht heraus, da ein unsichtbares Band meine Kehle zuschnürte und mir den Atem nahm. Panisch rang ich nach Luft, mein Herz raste, vor meinen Augen funkelten tausend kleine Sterne. Ich fühlte einen schmerzhaften Stich am Arm und anschließend ein kurzes Brennen. Gleich darauf beruhigte sich mein Puls, und ich konnte wieder freier atmen.

»Ganz ruhig. Sie hatten einen Anfall«, erklärte der Psychologe. »Atmen Sie durch und entspannen sie sich.«

Ich sah, wie Eddy von seinem Stuhl aufstand und zu mir kam. »Du hattest Krämpfe und hast am ganzen Körper gezittert.«

»Wir dürfen die Hypnose nicht fortsetzen, es ist zu gefährlich«, sagte Dr. Fisch.. »Ich werde Ihnen etwas zu trinken holen.«

Der Arzt verließ das Zimmer. Eddy sah auf mich herab. »Was ist da mit dir passiert?«

Zunächst musste ich mich sammeln. »Ich war in einem Haus. Jemand hat mir ein Messer in die Brust gerammt.« Ich verzog das Gesicht, als ich an die Schmerzen dachte, die auch in diesem Augenblick noch in meiner Brust wühlten. »Aber ich konnte diesen Jemand nicht erkennen.«

»Ging es um den Überfall?«, fragte Eddy.

»Das war kein Überfall.« Ich schloss die Augen. Wieder hatte ich nicht die Antworten erhalten, die ich mir erhofft hatte, dafür etwas über mich erfahren, das mir ganz und gar nicht gefiel. Dieser Revolver in meiner Hand, ein Schuss. Was hatte ich nur getan?

Doktor Fisch kam zurück und reichte mir eine Flasche. Das Wasser rann meine Kehle hinab, ich fühlte, wie die dunklen Schatten, die an mir gezerrt hatten, von mir wichen.

»Ich habe Ihnen ein leichtes Beruhigungsmittel injiziert«, klärte der Arzt mich auf. »Sie sollten heute besser nicht mehr Autofahren.«

Ich versuchte, mich aus dem Sessel zu stemmen, meine Knie gaben nach, ich fiel zurück.

Der Arzt sah mich an. »Ich hätte das nicht tun dürfen, Sie in Hypnose versetzen. Ich habe die Situation falsch eingeschätzt.«

»Es war meine Entscheidung«, widersprach ich ihm und startete einen neuen Versuch, aufzustehen. Es klappte. »Vielen Dank für Ihre Hilfe.«

»Hören Sie, Nick. Die Hypnose bringt Sie gezielt in Ihr Unterbewusstsein, aber es kann auch ohne mein Zutun passieren. Sie sollten für ein paar Tage im Krankenhaus bleiben und sich untersuchen lassen. Mit Ihnen stimmt etwas nicht.«

»Das ist ja nichts Neues.« Ich trat an ihm vorbei in den Flur. Eddy folgte mir.

»Gehen wir was essen?«, fragte er mich, als wir den Lift betraten. »Vielleicht bringt dich das wieder auf die Beine.«

»Wenn du willst.«

Eddy warf einen Blick auf seine Armbanduhr. »Ein spätes Mittagessen ist eine gute Idee, finde ich. Weißt du, ich hatte noch nicht einmal ein ordentliches Frühstück.«

»Warum?«, fragte ich.

»Marita ist mit den Söhnen gestern Abend zu ihren Eltern nach Frankfurt gefahren.«

»Na und? Kannst du dir dein Frühstück nicht selbst machen?«

»Doch. Schon, aber Marita hat nichts eingekauft. Sie ist sauer mit mir, weil ich nicht mitgefahren bin. Ich hatte es ihr versprochen.«

»Und warum bist du dann nicht mitgefahren?«

»Weil wir zwei Skelette im Keller liegen haben. Und auch andere Fälle.« Er fixierte mich mit seinen dunklen Augen. »Vielleicht haben wir auch ein paar Probleme. Aber du bist wohl kaum der perfekte Eheberater, oder?«

»Wohl kaum.« Ich schüttelte den Kopf und verließ den Fahrstuhl, der gerade das Erdgeschoss erreicht hatte.

In der Cafeteria ließ ich mich auf einem Stuhl an einem Tisch nieder. Eddy erklärte sich bereit, das Essen zu organisieren. Ich blickte solange zum Fenster hinaus auf den Park, der um das Krankenhaus lag, versuchte, nicht mehr an die Hypnose zu denken. Das gelang mir kaum. Was, wenn ich wirklich jemanden erschossen hatte? Ein grauenhafter Gedanke.

Eddy kehrte mit zwei Tellern Spaghetti Bolognese zurück und setzte sich mir gegenüber an den Tisch.

»Und?«, fragte er.

»Was und?« Ich beobachtete, wie er seine Spaghetti auf die Gabel rollte und in den Mund schob.

»Hat dir die Hypnose trotzdem geholfen?« Eddy kaute genüsslich sein Essen und blickte mich erwartungsvoll an. »Hast du jetzt etwas über dich herausgefunden?«

Ich zuckte die Achseln, nahm einen Bissen des Essens, kaute, schluckte und schob den Teller dann angewidert von mir. Das Hackfleisch fühlte sich seltsam lebendig an in meinem Mund. Und Hunger hatte ich sowieso keinen.

»Es war irgendwie gruselig. Ich konnte die Klinge fühlen, sogar den Schmerz, als ob es gerade passierte.« Ich atmete durch und überlegte, Eddy von der Waffe zu erzählen. Aber ich ließ es sein. »Ehrlich gesagt hatte ich mir mehr davon versprochen.«

»Das tut mir leid. Aber ich hoffe, du stehst zu deinem Wort und erzählst mir trotzdem etwas über die Burschen, die dich bedrohen.«

»Ja. Wenn es dir hilft«, erwiderte ich.

Ich wollte ihm gerade von dem grauäugigen Burschen erzählen, als mein Handy in meiner Hosentasche vibrierte. Ich zog es heraus und blickte zuerst auf das Display. Ein anonymer Anruf?

»Nick Holsten«, meldete ich mich.

»Hallo, ich bin’s«, drang eine wohlklingende Frauenstimme an mein Ohr.

»Alex?« Sofort war ich hellwach. »Ich hatte zwar gehofft, aber nicht erwartet, so schnell von dir zu hören.« Meine Mundwinkel hoben sich zu einem Lächeln. Eddy sah mich fragend an.

»Ich muss dich sehen, können wir uns treffen?«, fragte sie.

»Jederzeit.«

»Dann treffen wir uns doch gleich vor deinem Atelier. Ich warte, bis du da bist.« Sie legte auf.

»Alex?«, fragte Eddy und runzelte die Stirn.

»Alexandra Hertzog.« In meinem Bauch flatterte ein riesen Schwarm Schmetterlinge umher. »Können wir jetzt gehen?«

Eddy leerte hastig seinen Teller, dann verließen wir das Krankenhaus.

 

16

 

In der Nähe meines Ateliers parke Eddy seinen Wagen an den Straßenrand. Er warf einen Blick auf die Uhr. »Soll ich auf dich warten? Ich erinnere dich nur ungern, aber du wolltest noch eine Aussage machen. Ich hoffe, heute noch.«

»Gib mir ein paar Minuten«, bat ich. »Ich werde nur kurz mit ihr reden.«

»Na schön, du wirst nur kurz mit ihr reden, ansonsten bleibst du anständig«, forderte Eddy.

Ich verdrehte genervt die Augen und verließ das Auto.

Alex wartete vor der Tür zu meinem Laden. Mein Puls beschleunigte vor Aufregung. Allein ihr Anblick brachte mein Blut in Wallung.

»Ich hatte nicht damit gerechnet, so schnell von dir zu hören. Aber ich freue mich, dich zu sehen.« Mein Blick wanderte über ihren Körper. Ihre Brüste zeichneten sich unter ihrem Shirt ab. Ich schluckte.

Schweigend verschränkte sie die Arme und kaute auf ihrer Unterlippe.

Ich schmunzelte. »Sollen wir uns drin unterhalten? Wirst du dann gesprächiger?«

»Gute Idee«, erwiderte sie. »Und hör auf, mich so anzuglotzen.«

»Warum? Ich glotze alles an, was mir gefällt«, sagte ich grinsend und öffnete die Tür zu meinem Atelier. Ich ließ ihr den Vortritt, folgte ihr und schloss von innen wieder ab.

»Und? Was verschafft mir die Ehre?«, fragte ich.

»Ich habe die ganze Nacht wach gelegen und nachgedacht.« Sie stockte und atmete tief durch. »Ich war nahe dran, die Stadt zu verlassen, aber das wäre dir gegenüber nicht fair gewesen.«

»Ah ja? Du sprichst in Rätseln.«

»Ich habe etwas für dich.« Sie fasste in ihre Tasche und zog eine Schatulle heraus, die sie mir reichte.

»Was ist das?«

»Ein Teil deiner Vergangenheit«, sagte sie geheimnisvoll. »Schau rein.«

Sie wandte sich ab und betrachtete die Gemälde an den Wänden, solange ich mit spitzen Fingern das Gefäß öffnete. Mir stockte der Atem, mein Herz rumpelte in meiner Brust, als ich den in schwarzem Samt gebetteten goldenen Gegenstand erblickte. Meine Finger glitten über das kalte Edelmetall, befühlten den Schaft des Messers, den dort eingeprägten Vogelkopf und die Messerscheide. Die schwarze Schlange schien sich unter meiner Berührung zu winden. Sie fühlte sich warm an. Die roten Augen in dem länglichen Kopf schienen mich anzustarren, wirkten beinahe hypnotisierend. Ich spürte dieses Kribbeln in mir, das ich kaum unterdrücken konnte.

Meine Hand begann zu zittern, als ich den Dolch aus seinem Bett nahm und vorsichtig auf den Schreibtisch legte. Ich schloss den Deckel der Kassette, drehte sie um und fand auf der Unterseite eine Prägung: 19. Oktober 1991.

Das Zittern in mir wurde stärker. Hinter meiner Stirn breitete sich ein schmerzhaftes Pochen aus, mein Puls beschleunigte. Schweiß sammelte sich auf meiner Stirn. Ich legte die Kassette neben das Messer, lehnte mich gegen meinen Schreibtisch, da ich mich kaum mehr auf den Beinen halten konnte.

»Woher hast du dieses Messer?«, fragte ich mit bebender Stimme.

Alex starrte mich an. »Du weißt es immer noch nicht«, seufzte sie.

»Was soll ich denn wissen?«, stellte ich die Frage energischer als beabsichtigt.

Sie schwieg.

»Verdammt, Alex, rede mit mir. Ich werde nicht schlau aus dir. Zuerst machst du dich an mich ran, dann haust du ab, tauchst wieder auf, gibst mir etwas, das aus meiner Vergangenheit stammen soll und jetzt …« Das schrille Läuten des Telefons auf dem Schreibtisch unterbrach meinen Gefühlsausbruch. Ich nahm den Hörer ab und lauschte Eddys brummiger Stimme.

»Wie lange gedenkst du, mich hier noch warten zu lassen?« Er klang wütend.

»Gib mir noch ein paar Minuten«, flüsterte ich. »Ich komme, sobald wir hier fertig sind.«

»Womit?«, fragte Eddy.

»Nicht das, was du denkst«, knurrte ich ins Telefon, beendete das Gespräch und wandte mich wieder an Alex.

»War das dein Kumpel? Was wollte er?«, fragte sie.

»Mich nerven.« Ich dachte kurz nach. »Okay. Wollen wir ganz von vorne beginnen.« Ich nahm die Schatulle in die Hand und zeigte Alex die Gravur an der Unterseite. »Was bedeutet dir der 19. Oktober 1991?«

Alex zog die Augenbrauen zusammen, ihr Blick wurde düster. »Dieser Tag hat mein ganzes Leben bestimmt«, flüsterte sie.

»Und das ist alles?«, fragte ich, allmählich der Verzweiflung nahe.

Sie sagte nichts, wandte sich ab und ging zum Fenster, durch das sie den Blick ins Freie richtete.

Ich starrte auf das Messer auf meinem Schreibtisch, holte meinen Fotoapparat und fertigte mehrere Fotos davon an. Anschließend setzte ich mich in meinen Bürosessel, lehnte mich zurück und bemerkte, dass Alex mich beobachtete.

Sie kam auf mich zu, lehnte sich vor mir gegen den Schreibtisch und blickte mir tief in die Augen. »Ein Freund hat mir das Messer anvertraut, vor langer Zeit.«

»Ein Freund? Wie alt warst du da? Neun oder zehn Jahre alt?«

»Ich war elf«, klärte sie mich auf. »Er war zwölf oder dreizehn.«

»Wie hieß er?« Ein unangenehmes Ziehen macht sich in meinem Magen bemerkbar, als mir ganz langsam ein Licht aufging.

»Das kann ich dir nicht sagen. Ich weiß es nicht.« Ihre Stimme zitterte noch mehr.

»War ich der Junge?«, fragte ich gespannt.

»Ja, ich denke, du warst der Junge«, gab sie nun zu. »Aber du kannst dich nicht mehr an mich erinnern. Ich könnte mich täuschen.«

»Nein, nein. Das glaube ich nicht. Wann habe ich dir das Messer gegeben? Und weshalb? Warum kommst du erst jetzt zu mir? Was weißt du über mich?« Die Fragen brannten in mir. Ich wusste nicht, welche ich zuerst stellen sollte. Also gab ich ihr erst einmal die Chance zu antworten.

»Du hast es mir am 19. Oktober 1991 gegeben. Ich weiß leider gar nichts über den Jungen oder besser gesagt über dich«, erzählte sie. »Und ich weiß nicht, warum du mir das Messer überlassen hast.«

»Das ist alles?«

Sie zögerte. »Nicht ganz.«

Ich hob die Augenbrauen. »Was noch?«

»Es ist so lange her. Ich kann dir nicht mehr sagen. Jedenfalls noch nicht.«

Na schön, vielleicht war sie nicht bereit oder sie verheimlichte mir etwas. »Okay. Und warum bist du hier? Doch nicht, um mir nach so langer Zeit dieses Messer zurückzugeben?«

»Nein. Das war wirklich ein Zufall.« Sie lächelte geheimnisvoll. »Ich wurde zu dem Skelett gelockt, das in Freiburg gefunden wurde. Du weißt darüber Bescheid?«

»Ja. Und du hast es gefunden?« Noch eine Gemeinsamkeit zwischen uns. Die Sache wurde immer seltsamer.

»Genau, ich habe es gefunden.« Das Lächeln verschwand aus ihrem Gesicht.

»Hatte es ein Kreuz bei sich?«

Sie nickte. »Ja. Und da war plötzlich dieser maskierte Mann. Er hat mir eine Heidenangst eingejagt, dann ist er verschwunden.«

»Hellgraue Augen?«

Sie nickte. »Ich habe die Polizei informiert und behauptet, dass ich das Skelett beim Joggen gefunden hätte. Von diesem Mann habe ich allerdings nichts erzählt. Mir war das alles sehr unangenehm. Dann kam ein junger Mann in mein Büro bei der Zeitung.«

»Moment!« Ich zog die Schublade auf und holte das Phantombild heraus. »Dieser Mann?«

»Ja, das ist er. Dann war er also auch bei dir?«

Ich erzählte von dem Skelett, von dem Schlag gegen meinen Kopf und der Waffe. Und dem Besuch des fremden Mannes – Marc, und von meinem Verdacht, dass er der Mann mit den silbergrauen Augen sein könnte. »Was wollte er von dir?«

»Du meinst, er ist ein und derselbe?« Sie sah mich an, zögerte und holte eine Zeichnung aus ihrer Tasche. Eine Kopie des Kreuzes, die er auch mir gegeben hatte.

»Er wollte von mir wissen, ob ich dieses Kreuz schon einmal gesehen hätte. Er gab vor, Kunstforscher zu sein. Ich dachte, er hätte von dem Kreuz und dem Skelett gehört und wäre deshalb zu mir gekommen, weil er neugierig war, was ich darüber wusste.« Sie hielt sich die Hand vor den Mund und sah mich mit großen Augen an. »Dann hat er diese Skelette ausgelegt?«

»Vermutlich. Und? Weißt du etwas über diese Kreuze?«

»Das nicht, aber ich habe es schon mal gesehen, vor langer Zeit. Ich habe mich gehütet, ihm das zu sagen. Niemand weiß davon.« Sie wippte mit dem Fuß auf und ab. »Dann hörte ich von dem Skelettfund hier in Stuttgart und bin sofort hergefahren. Eigentlich wollte ich mit dem zuständigen Kommissar reden, und dann bist du mir auf dem Parkplatz begegnet.«

»Und anschließend hast du mich verfolgt?«

»Ja. Da du mir deinen Namen verraten hast, habe ich auch schnell dein Atelier und deine Wohnung gefunden. Allerdings weiß ich noch immer nicht so recht, ob ich dir trauen kann. Aber gut, ich bin manchmal wankelmütig. Und ich habe ohnehin nur Pech mit Männern, du darfst dich gerne einreihen.« Sie seufzte und sah mich an. »Was hast du nun vor? Was denkst du, wie weit dieser Kerl gehen würde?«

»Was ich vorhabe? Wenn ich das wüsste. Ich weiß nur eines, diese Kälte, die der Bursche verströmt, stellt jedes Eisfach in den Schatten. Ich schätze, er ist zu allem fähig. Vielleicht gibt er erst einmal Ruhe, wenn ich ihm das Messer gebe.«

»Nein, auf gar keinen Fall darfst du das Messer aus der Hand geben«, fuhr sie mich an. »Ich habe es Jahre lang wie meinen Augapfel gehütet, weil du es so wolltest. Nicht einmal meine Eltern wissen etwas von diesem Messer.«

»Weil ich es so wollte?«, wiederholte ich ihre Worte. »Was ist damals passiert, Alex?«

Sie kannte die Wahrheit, das sah ich ihr an. Doch sie senkte den Blick, schwieg und vermied es, mir in die Augen zu sehen.

»Warum redest du nicht? Mein ganzes Leben lang habe ich versucht, meine Vergangenheit zu finden, hilf mir dabei.« Ich erhob mich aus meinem Sessel und stand nun unmittelbar vor ihr. Mein Herz hämmerte wie verrückt in meiner Brust. Die Anspannung drohte mich zu zerreißen. Die Erregung pochte in meinen Lenden. Diese Frau brachte mich um meinen Verstand.

»Du willst tatsächlich deine Vergangenheit finden?«, fragte sie und reckte mir ihr Gesicht entgegen. »Ich wäre froh, ich hätte meine vergessen.«

»Wie meinst du das?«

Sie gab mir keine Antwort. Ihre tiefgründigen Augen blickten in meine, als versuchten sie, direkt in meine Seele zu blicken. Sachte legte sie ihre Hand auf meine Schulter. Ihre Finger glitten abwärts über meinen Oberarm.

»Da ist etwas zwischen uns«, flüsterte sie. »Ich habe das vom ersten Moment an gefühlt. Und ich denke, dir geht es genauso.«

Und ob, mein ganzer Körper schien unter Strom zu stehen. Ihre Hand lag jetzt auf meiner Brust. Ich legte meine Arme um ihren Rücken und zog sie an mich. Zunächst küssten wir uns zaghaft, dann drängend. Meine Hände erforschten ihren Körper. Meine Lust steigerte sich. All die Sorgen, die seit Tagen auf mir lasteten, fielen innerhalb weniger Sekunden von mir ab. Nur noch ein Gedanke beherrschte mich: diese Frau sofort und auf der Stelle zu nehmen.

Ihre Hände wanderten zu meinem Gürtel, zerrten daran, öffneten die Schnalle. »Ich will dich.«

»Du willst mich? Jetzt? Hier?«, knurrte ich, kaum mehr in der Lage, mich zu beherrschen. Mein Blick wanderte kurz zum Fenster. Nein, hier konnte uns niemand bei unserem Liebesspiel zusehen. Deshalb ließ ich meine Zunge über ihren Hals abwärts gleiten und meine Hand wanderte unter ihr Shirt.

»Jetzt und hier, sofort«, erwiderte sie kurzatmig und stöhnte leise. »Bevor ich es mir anders überlege.«

Oha, da hätte ich mich nicht zweimal bitten lassen, doch plötzlich hämmerte jemand heftig von außen gegen die Tür des Ateliers.

»Verdammt«, fluchte ich und blickte in Alex‘ Gesicht.

Ihre Wangen waren gerötet. Sie lächelte mich verschmitzt an. »Willst du öffnen?«

Ja, ihre Bluse, ihre Hose … aber auf keinen Fall die Tür.

Wieder klopfte es heftig. »Ich bin’s, Eddy. Mach sofort auf.«

»Oh, Mann.« Ich wusste, er würde sich nicht abwimmeln lassen. Also wand ich mich schweren Herzens aus Alex‘ Armen und schloss den Gürtel an meiner Jeans. Sie nahm das Messer vom Tisch und steckte es mitsamt der Phantombildzeichnung in ihre Umhängetasche.

Ich öffnete die Tür und ließ Eddy herein. Sein entrüsteter Blick wanderte zwischen Alex und mir hin und her. »Störe ich?«

Sie blickte zur Seite und räusperte sich.

Ich sagte: »Ja!« Und verschränkte die Arme vor meiner Brust.

»Warum gehst du nicht an dein Handy, und warum ist dein Festnetz die ganze Zeit belegt?«, wollte Eddy wissen. Leiser fügte er hinzu: »Du solltest dich benehmen. Und jetzt brauchst du ne kalte Dusche.«

Ich zuckte die Achseln und betrachtete mein Handy. Es war aus, vielleicht hatte der Akku den Geist aufgegeben. Und den Hörer des Festnetztelefons hatte ich vorhin wohl vergessen abzuschalten. Er tutete leise vor sich hin.

»Was willst du, Eddy?«, fragte ich ungeduldig.

»Ich muss ins Büro, dringende Besprechung. Mein Chef hat angerufen. Er war ein bisschen angesäuert«, erklärte er. »Ich wollte mich nur vergewissern, dass hier alles in Ordnung ist.«

»Alles bestens.«

»Gut, ich muss jetzt los. Kommst du kurz mit nach draußen?«

Ich folgte ihm ins Freie.

Eddy sah mich argwöhnisch an und flüsterte: »Was, wenn die Frau dich in Schwierigkeiten bringt? Du kennst sie doch gar nicht.« Er deutete mit dem Daumen auf die Tür des Ateliers.

»Vielleicht kenne ich sie sogar schon sehr lange«, entgegnete ich leise. »Wenn nicht, lerne ich sie eben kennen. Ich war gerade dabei.«

»Na schön, ich kann mir schon denken, was zwischen euch läuft, erspar mir die Einzelheiten«, sagte er und zog kopfschüttelnd von dannen.

Ich beobachtete, wie er in seinen Wagen stieg und davonfuhr. Als ich das Atelier betrat und die Tür verschloss, kam Alex mit einem verführerischen Lächeln auf mich zu. »Wo waren wir stehen geblieben?«

Wie sehr ich sie begehrte. Doch es war mehr als das. Da waren das Gefühl der Vertrautheit und diese Wärme in mir. Ihre Lippen näherten sich meinen. Das Verlangen in mir schwoll wieder an. Und nicht nur das.

Mein Blick streifte das Porträt meines Sohnes. Oh, verdammt. Ich wich zurück.

»Was ist?«, fragte sie erstaunt. »Alles in Ordnung? Kneifst du jetzt?«

»Nein, ganz sicher nicht«, erwiderte ich. »Ich hab da nur beinahe etwas vergessen. Vielmehr jemanden vergessen. Meinen Sohn.« Hatte Kati mir nicht eingeschärft, an ihn zu denken?

»Du hast einen Sohn? Dann bist du doch verheiratet?«, fragte Alex.

»Nein, ich bin nicht verheiratet, und war es auch nie. Und ich bin auch in keiner Beziehung. Im Moment habe ich nur Augen für dich. Das kannst du mir glauben. Aber …«, ich zeigte auf das Porträt an der Wand, »das ist mein Sohn Moritz. Willst du ihn kennenlernen?«

»Auf jeden Fall«, sagte sie. »Wann?«

»Von mir aus gleich. Ich muss ihn nämlich von einer Geburtstagsfeier abholen. Seine Mutter ist übers Wochenende verreist und ich habe mich bereit erklärt, auf ihn aufzupassen. Kannst du mich fahren? Mein Auto steht dummerweise vor meiner Wohnung. Ich werde zu spät kommen, wenn ich zuerst nach Hause muss.« Ich schenkte ihr ein breites Lächeln. »Und es würde mir viel bedeuten, wenn du mich begleitest.«

»Na dann. Lass uns gehen.« Sie hängte sich ihre Tasche über die Schulter und folgte mir nach draußen.

 

17

 

Eddy betrat als letzter seiner Kollegen das Büro seines Chefs. Gutbrodt lehnte am Schreibtisch und blickte besorgt auf die anwesenden Männer und Frauen. Sein Gesicht war aschfahl und faltiger als sonst. Immer wieder zog er am Knoten seiner Krawatte. Der oberste Knopf seines Hemdes war geöffnet, völlig untypisch für den sonst so korrekten Gutbrodt.

»Schließen Sie bitte die Tür, Herr Krieger«, sagte er mit heiserer Stimme.

Eddy folgte der Aufforderung und stellte sich neben Tom Bauer, der mit einem Achselzucken zu verstehen gab, dass auch er noch nicht wusste, was der Anlass für dieses Treffen war.

Gutbrodt fuhr sich mit der Hand über die feucht glänzende Stirn. »Es ist etwas Schreckliches passiert.«

Alle Augen waren gespannt auf ihn gerichtet, während er erzählte, Roland Bachmann sei eine halbe Stunde zuvor tot in seinem Gartenhaus aufgefunden worden. Seine Verlobte hatte ihn dort gefunden, als sie von ihrer Reise zurückgekehrt war.

»Er wurde ermordet«, erläuterte Gutbrodt. »Vermutlich starb er bereits Mitte der Woche. Der Fall hat ab sofort Priorität. Finden Sie seinen Mörder. Und nehmen Sie sich die Skelette noch mal vor. Vermutlich hängen die Fälle zusammen. An die Arbeit!« sagte Gutbrodt in die Runde. Und zu Eddy: »Herr Krieger, Sie bleiben.«

Nachdem die anderen das Büro verlassen hatten, betrachtete er Eddy mit ernstem Blick. Seine Augen wanderten hinter der randlosen Brille nervös hin und her. »Haben Sie etwas aus Holsten herausbekommen?«

»Noch nicht, aber er hat mir versprochen, noch heute eine Aussage zu machen«, erklärte Eddy und hoffte, dass Nick dieses Versprechen auch halten würde.

»Hoffentlich bald. Bachmann hatte eine Spritze im Hals stecken, wie der Arzt in Freiburg. Und ein Pentagramm auf der Stirn. Genau wie die Skelette. Die Fälle hängen zusammen, das ist Ihnen doch klar?« Gutbrodt fixierte Eddy eindringlich. »Und ich will wissen, was ihr Kumpel damit zu tun hat. Haben wir uns verstanden?«

Eddy nickte. Er fühlte sich furchtbar. Der Fall ging ihm an die Nieren. Schlimm genug, dass diese Skelette aufgetaucht waren, noch schlimmer war die Entführung der Mädchen, und nun auch noch ein toter Kollege. Die Bilder kamen ihm in den Sinn, die Nick gemalt hatte. Die toten Körper und Skelette. Die Burg auf dem Felsen, mitten im Wald. Darüber die Raben. Nicolas Rabenstein. Was zur Hölle hatte Nick mit dieser ganzen Sache zu tun? Ob er doch etwas verbarg? Hatte er Dreck am Stecken, von dem er vielleicht selbst nichts ahnte? Daran hatte Eddy noch gar nicht gedacht. Plötzlich wurde ihm heiß und kalt zugleich.

»Verdammt«, fluchte Gutbrodt, und riss Eddy aus den tristen Gedanken. »Bachmann liegt noch im Gartenhaus. Nehmen Sie Bauer mit und sehen Sie sich die Leiche an.«

***

Eine halbe Stunde später betraten Eddy und Bauer Bachmanns Wochenendgrundstück. Mehrere Streifenpolizisten hatten die Umgebung bereits weiträumig abgesperrt, und das Team der Gerichtsmedizin war schon bei der Arbeit.

An einem Streifenwagen lehnte Bachmanns Verlobte und weinte. Immer wieder schüttelte sie den Kopf und bemühte sich die Fragen zu beantworten, die ihr von einer Polizistin gestellt wurden. Eine Psychologin leistete der jungen Frau Beistand und legte gerade tröstend eine Hand auf den Arm von Bachmanns Verlobten.

Als Eddy das Gartenhaus betrat, drang ihm der ekelhafte Geruch des Todes in die Nase. Eine Mischung aus verfaultem Fleisch und abgestandener Luft. Schwärme von Fliegen kreisten um den Leichnam, der nackt auf dem hölzernen Fußboden inmitten der Küche lag. Auf Bachmanns Stirn prangte ein Pentagramm in roter Farbe, sein Körper war übersät mit mysteriösen Symbolen und tiefen Messerstichen. Seitlich in seinem Hals steckte eine Spritze. Überall auf dem Boden, den Wänden, den Schränken klebte getrocknetes Blut. Das war kein normaler Mord gewesen, sondern ein Blutrausch. Der Killer schien Bachmanns Lebenssaft absichtlich überall verteilt zu haben.

Jetzt tat es Eddy entsetzlich leid, dass er den jungen Fotografen als Idioten bezeichnet hatte. Zu gerne hätte er sich noch bei ihm entschuldigt, doch nun war es zu spät. Auch der sonst so hartgesottene Tom Bauer stand mit kreidebleichem Gesicht vor dem Leichnam und machte sich mit zitternden Fingern Notizen in ein Buch, das er gleich darauf zuklappte und einsteckte.

»Das ist ja grauenhaft«, sagte er leise. Er hielt ein Tuch vor seinen Mund, durch das er hektisch atmete.

»Das ist es allerdings.« Eddy wandte sich ab und ging nach draußen. Seine Nerven waren nicht mehr so gut, wie noch vor zwölf Jahren, als er zum ersten Mal die Überreste einer Frau begutachten musste, die sich vor einen Zug geworfen hatte. Die zweite Leiche war die seines Vaters gewesen, vor elf Jahren, kurz vor dessen Beerdigung. Ihm hatte ein irrer Polizistenhasser zweimal in den Kopf geschossen. Glücklicherweise hatte der Leichenbestatter seine Schädeldecke wieder soweit hergestellt, dass Eddy ihm ein letztes Mal ins Gesicht hatte sehen können, um sich zu verabschieden. Viele Leichen waren gefolgt. Doch dieses Schlachtfeld hier übertraf alles, was er bisher gesehen hatte. Und er fragte sich, warum Bachmann sterben musste.

 

18

 

Ich beobachtete Alex, wie sie durch die Windschutzscheibe ihres Golfs auf die Straße vor sich blickte. Sie erschien mir sehr konzentriert. Ihre linke Hand hielt das Lenkrad, die rechte lag auf dem Schaltknüppel. Unter der leichten Hose, die sie trug, zeichneten sich ihre Muskeln ab, die sich jedes Mal anspannten, wenn sie die Kupplung trat oder das Gaspedal. Ihr Brustkorb hob und senkte sich gleichmäßig, und in mir schwoll das Gefühl der Leidenschaft schon wieder an.

Ich richtete meinen Blick aus dem Fenster und betrachtete die Weinberge, an denen wir vorüberfuhren. Die Straße schlängelte sich in Serpentinen den Berg hinauf. Nun lebte ich seit vielen Jahren in dieser Stadt und fühlte mich doch so fremd. Ob ich tatsächlich früher in Freiburg gelebt hatte?

»Erzählst du mir noch was über dich?«, forderte ich Alex auf.

Sie betrachtete mich aus dem Augenwinkel. »Das habe ich doch schon.«

»Das ist alles? Du schleichst also nachts durch die Gegend, findest Skelette, trägst mysteriöse Messer mit dir herum und verdrehst wildfremden Männern den Kopf.«

»Genau. Das ist alles.«

»Hm. Hast du einen Mann oder einen Freund, oder beides?«, scherzte ich.

»Weder noch. Ich sagte dir doch bereits, ich habe kein Glück mit den Männern.«

»Dann wird es Zeit, das zu ändern. Du könntest es ja mal mit mir probieren?«

»Du meinst, mit dir könnte ich Glück haben, tatsächlich?« Sie verzog das Gesicht. »Die Frauen fliegen auf dich. Ich würde mich ständig in Eifersucht grämen.«

»Ganz so schlimm ist es auch nicht.« Oder doch? Nein. »Du warst also nie verheiratet. Hast du Kinder?«

Sie schüttelte den Kopf. »Nein, keine Kinder. Meine Beziehungen haben auch nie lange gehalten. Und ich hatte seit einem Jahr keinen Mann mehr.«

»Dann hast du ja einiges nachzuholen.« Ich legte meine Hand auf ihren Oberschenkel.

Ihre Augen blitzten auf. »Kann schon sein. Aber dazu werden wir nicht mehr kommen, wenn du die Finger nicht von mir lässt.«

»Wieso?« Meine Finger glitten höher. Ich ließ sie nicht aus den Augen.

Plötzlich trat sie heftig auf die Bremse. Vor uns flammten Bremslichter auf.

»Weil ich sonst noch einen Unfall verursache.«

»Na gut. Ich werde mich benehmen.« Ich grinste und nahm meine Hand von ihr. »Ein ganzes Jahr?«

Sie schwieg, aber ich konnte erkennen, wie sie schmunzelte.

Ich blickte in den Außenspiegel. Meine gute Laune verflog sofort, als ich den dunklen Lieferwagen bemerkte, der einige Autos hinter uns fuhr.

»Ich glaube wir werden verfolgt«, sagte ich.

Alex blickte in den Rückspiegel.

»Der schwarze Lieferwagen. Siehst du ihn?« Ich blickte über meine Schulter nach hinten.

Alex nickte, beschleunigte den VW, musste aber gleich wieder heftig abbremsen, als die Ampel vor uns auf Rot umschaltete. Der Lieferwagen kam drei Fahrzeuge hinter uns zum Stehen. Durch die leicht spiegelnde Scheibe konnte ich aber lediglich einen Schatten hinter dem Lenkrad erkennen.

Ich richtete meinen Blick nach vorn und sah, wie die Ampel auf Grün umschaltete. Alex gab Gas, die Räder drehten kurz durch. Der Golf machte einen Satz nach vorn, bekam wieder Halt unter den Rädern und raste kurz darauf mit quietschenden Reifen um die nächste Kehre. Doch der Lieferwagen folgte uns noch immer in sicherem Abstand. Als sich die Straße in zwei Fahrspuren teilte, setzte der Mercedes zum Überholen an.

»Mist!«, schrie Alex laut und trat auf die Bremse, als erneut zwei grelle Bremslichter vor uns aufflammten. Ihr Wagen geriet ins Schlingern und kam noch rechtzeitig zum Stehen, ehe er in den Kofferraum des vorderen Autos knallte.

»Mein Gott«, sagte ich. »Du solltest vorsichtiger fahren.«

»Hast du nicht gesagt, wir werden verfolgt?«, keifte sie von der Seite. »Willst du fahren?«

»Nein.«

Der Transporter überholte und stand kurz darauf versetzt vor uns auf der linken Spur. Ich sah das französische Kennzeichen, das mir doch sehr bekannt vorkam. Als die Ampel auf Grün schaltete, setzte der Lieferwagen sich in Bewegung, beschleunigte rasant und passierte gleich darauf die nächste Ampel, die sofort wieder rot wurde.

»Falscher Alarm«, stellte Alex fest, als ihr Golf an der Haltelinie zum Stehen kam. »Der Wagen ist weg.«

»Ich bin mir nicht sicher«, sagte ich skeptisch. »Wir sollten auf der Hut sein.«

Wenige Minuten später erreichten wir den Parkplatz im Wald. Ganz in der Nähe lag der Grillplatz, von dem ich Moritz abholen sollte. Ich sah mich um. Nur wenige Fahrzeuge parkten hier und einen Lieferwagen konnte ich nicht entdecken. Das beruhigte mich allerdings nicht wirklich.

»Gibst du mir das Messer?«, fragte ich Alex. »Ich nehme es mit.«

»Okay.« Sie zuckte die Achseln, kramte in ihrer Tasche und reichte mir den Dolch. »Wie du willst.«

Ich schob es ihn hinter meinen Gürtel. Da war es sicher verwahrt, dachte ich mir. Und für den Notfall konnte es nützlich werden. »Kommst du mit rüber?«

»Glaubst du allen Ernstes, ich bleibe alleine hier?«, sagte sie.

»Na dann los.« Wir verließen den Wagen.

Gemeinsam gingen wir zur Grillstelle, wo bereits ein Lagerfeuer loderte. Eine Frau mittleren Alters saß auf einer Holzbank. Sie sah müde aus. Ihre blonden Haare waren zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden. Sie lächelte, als wir auf sie zugingen.

»Hallo«, begrüßte ich sie. »Sind sie die Mutter von Luca?«

»Ja. Evelyn Meiers. Und Sie sind?«, fragte sie und erhob sich.

Sie musterte mein Gesicht. »Nein, nichts sagen. Sie sind der Papa von Moritz.«

»Ist das so offensichtlich?«

»Oh ja. Sie sind früh dran«, stellte Evelyn Meiers fest und warf einen Blick auf ihre Uhr. »Erst halb vier. Wir haben noch eine halbe Stunde. Vielleicht wird es auch etwas später.«

»Kein Problem, wir werden noch einen Spaziergang machen«, erwiderte ich. »Oder den Jungs beim Fußball zusehen.«

Lucas Mutter lächelte. »Oder vielleicht einen Kaffee für Sie beide?«

»Nein, danke.« Ich legte einen Arm um Alex‘ Schultern und zog sie mit mir. Sie umfasste meine Taille. Das fühlte sich gut an und in mir kehrte etwas Ruhe ein.

Ich blickte in den Himmel, unter dem graue Wolken hingen. Immer mal wieder blinzelte die Sonne hindurch. Ein kühler Wind fuhr durch die Bäume, und in ihren Zweigen raschelten die absterbenden Blätter. Dazwischen erklangen das fröhliche Lachen und lautes Jubelgeschrei von halbwüchsigen Kindern.

Wir hatten den Bolzplatz erreicht. Zwölf Jungs jagten fröhlich hinter einem Ball her. Lucas Vater Steffen Meiers, ein hagerer Mann mit Glatze, mimte den Schiedsrichter und hielt die Bande einigermaßen unter Kontrolle. Während einer Schulveranstaltung hatte ich den Mann kennengelernt. Er winkte uns zu. Moritz kam auf uns zugerannt.

»Hi, Paps«, sagte er lachend. »Gehn wir schon?«

Ich schüttelte den Kopf. »Ich weiß, ich bin zu früh. Tut mir leid.«

Moritz‘ Blick fiel auf Alex. Das Lachen verschwand aus seinem Gesicht. »Neue Freundin?«

»Das ist Alex«, stellte ich sie vor. »Nun geh schon und spiel weiter. Wir drehen noch eine Runde durch den Wald.«

Und schon jagte Moritz wieder hinter dem Ball her.

Wir waren kaum zweihundert Meter weit gegangen, als ich den schwarzen Lieferwagen mit dem französischen Kennzeichen am Rand eines Waldweges entdeckte. In dem Moment ging die Beifahrertür auf, und ein schwarz gekleideter Mann sprang heraus. Selbst auf diese große Entfernung konnte ich die hellen Augen unter der Kapuze funkeln sehen.

»Weg hier«, rief ich.

Wir rannten zurück zum Bolzplatz. Ich blickte über meine Schulter und sah jetzt zwei Männer, die sich uns schnell näherten. Ich tastete unter meiner Jacke nach dem Messer.

»Hast du dein Handy da?«, fragte ich Alex.

Sie nickte.

»Ruf die Polizei und sag Lucas Vater Bescheid. Er soll die Kinder hier wegschaffen.«

»Und was hast du vor?«

»Ich werde versuchen, die Kerle abzulenken. Die sind sowieso hinter mir und dem Messer her.«

Alex kramte ihr Handy aus der Jacke, wählte und ging los. Aus den Augenwinkeln beobachtete ich, wie sie Moritz aufhielt, der in meine Richtung gelaufen kam. Er protestierte heftig. Sie packte ihn am Arm und zog ihn mit sich.

Vor mir bauten sich die beiden Männer auf. Durch die Kapuzen waren ihre Gesichter zur Hälfte bedeckt, aber die hellgrauen Augen des einen erkannte ich trotzdem.

»Hallo, Benjamin«, sagte er.

»Hallo, Marc.«

»Du bist ein schlaues Kerlchen«, erwiderte Marc. »Du weißt also, wer ich bin.«

»Du anscheinend auch, wer ich bin«, entgegnete ich.

»Allerdings. Und jetzt will ich wissen, wo mein Messer ist. Und das Kreuz.« Sein Mund verzog sich zu einem abfälligen Grinsen.

Ich überlegte, wie ich den skrupellosen Burschen hinhalten konnte. Zumindest waren die Jungen mittlerweile bei der Grillstelle angekommen. Marcs Kumpan – ein Bulle von einem Mann – schlich langsam um mich herum und baute sich hinter mir auf.

»Du meinst also, mein Name ist Benjamin?«, fragte ich. »Vielleicht ist er das ja. Und wer ist dann Nicolas Rabenstein?«

Das Grinsen verschwand schlagartig aus Marcs Gesicht. Bedrohlich machte er einen Schritt auf mich zu. Aus dem Augenwinkel sah ich, wie der Kerl hinter mir ein Messer zog. Mir blieb beinahe das Herz stehen.

»Woher kennst du diesen Namen?«, knurrte Marc. Seine Augen verengen sich zu schmalen Schlitzen.

»Auch ich habe meine Quellen«, erwiderte ich. »Also, wer ist dieser Rabenstein?«

Marc zog blitzschnell sein Messer. Ich zog meines.

»Das Messer!« Er sog die Luft ein. »Du hast es also doch. Gib es mir, dann lasse ich dich laufen.« Seine Stimme hatte einen gefährlichen Unterton.

»Vergiss es. Ich hab genug von deinen Spielchen.« Ich bemühte mich, gelassen zu klingen. »Die Polizei wird gleich hier sein.«

»Die Polizei? Ehe die hier sind, bist du längst tot.«

»Das glaube ich nicht. Schließlich willst du noch etwas anderes von mir, oder?« Ich pokerte ziemlich hoch. »Dieses Kreuz scheint sehr wichtig zu sein. Was hat es mit diesen Dingen auf sich?«

»Das solltest du doch eigentlich am Besten wissen«, erwiderte Marc.

Doch ich wusste es nicht, brannte aber darauf, etwas darüber zu erfahren.

»Hey«, unterbrach eine tiefe Stimme unseren Disput. Ich sah, wie Steffen Meiers näher kam. »Lassen Sie den Mann in Ruhe.«

»Verschwinden Sie«, rief ich ihm zu. »Ich habe alles unter Kontrolle.«

Er ließ sich nicht von seinem Vorhaben abbringen und stand plötzlich neben uns. Marcs Kumpel drehte sich zu ihm und stach ohne zu zögern mit seinem Messer auf Steffen ein. Gleichzeitig sprang Marc auf mich zu und griff nach dem Messer in meiner Hand. Ich konnte ausweichen und verpasste ihm einen ordentlichen Tritt in seinen Hintern. Mit einem wütenden Aufschrei stürzte er zu Boden, und dann brach das Chaos los.

Zuerst rasten zwei mit Martinshorn und blinkenden Blaulichtern bestückte Streifenwagen durch den Wald und hielten auf den Bolzplatz zu. Gleichzeitig kam Steffen Meiers blutüberströmt ins Wanken und fiel direkt in meinen Arm. Ich stützte ihn. Marc rappelte sich auf die Füße und ergriff die Flucht. Sein Kumpan rannte hinter ihm her. Die Sirenen verursachten einen Höllenlärm. Ein Streifenwagen verfolgte die flüchtenden Männer. Sie sprangen in den Lieferwagen, der augenblicklich davonpreschte. Die Sirene des zweiten Polizeiautos verstummte abrupt.

»Werfen Sie die Waffe weg, hier spricht die Polizei!«, dröhnte eine blecherne Stimme an mein Gehör.

Ich starrte auf den blutüberströmten Mann, der sich stöhnend und mit panisch aufgerissenen Augen an mich klammerte, und warf das Messer von mir. Ein Polizist nahm den Verletzten aus meinem Arm, legte ihn vorsichtig auf den Boden und redete beruhigend auf ihn ein. Ein anderer Uniformierter packte meinen Arm und zog mich zu dem Streifenwagen. Ich sah noch, wie ein weiterer Polizist das Messer aufhob.

Mein Blick fiel auf Steffen Meiers, der die Augen in alle Richtungen verdrehte und vermutlich schon mit einem Fuß ins Jenseits trat. Sollte er sterben, würde er eine Frau und einen Sohn zurücklassen. Oder hatte er noch mehr Kinder? Ich wusste gar nichts über ihn und seine Familie, aber überall auf mir klebte sein Blut. Ich konnte kaum mehr atmen. Mein Magen schlug Purzelbäume. Ich würgte die Säure hinunter, die sich ihren Weg durch meine Speiseröhre aufwärts bahnte.

Schwer atmend lehnte ich mich gegen den Kotflügel des blausilbernen Fahrzeugs. Der Polizist legte mir Handschellen an. Ich blickte zu Boden.

»Warten Sie!«, hörte ich Alex‘ Stimme.

»Was wollen Sie?«, fragte der Polizist.

»Mein Name ist Alexandra Hertzog«, erklärte sie. »Und wie ist ihr Name?«

»Polizeiobermeister Bruno Schmidt. Sie behindern meine Arbeit.«

Schmidt? Mir war gar nicht aufgefallen, dass er mich in den Klauen hatte. Nun wunderte ich mich nicht mehr, warum ich verhaftet wurde.

»Nick Holsten hat niemandem etwas getan. Warum wird er verhaftet?«, fragte Alex.

»Sind Sie seine Anwältin?«, wollte Schmidt wissen.

»Hören Sie«, startete Alex einen weiteren Versuch. »Die Männer, die geflüchtet sind, haben uns verfolgt und angegriffen. Er hat uns verteidigt. Ich habe den Notruf gewählt und die Polizei verständigt.«

»Sie dürfen gern eine Aussage machen, kommen Sie ins Präsidium.« Schmidt blieb hart. »Und jetzt gehen Sie bitte und lassen mich meine Arbeit machen, sofort.« Demonstrativ zog er das Funkgerät aus seinem Gürtel und sprach hinein.

Zwischen den anderen Kindern entdeckte ich Moritz. Er sah mich an, als hätte er einen Geist gesehen. Nun, so ähnlich sah ich vermutlich auch aus. Der Gedanke daran, was er hier miterleben musste, versetzte mir einen tiefen Stich in mein Herz.

»Kümmer dich bitte um Moritz. Ich komm schon klar«, bat ich Alex.

»Ja. Mach ich.« In ihren Augen standen Tränen. Eine davon kullerte über ihre Wange, weitere folgten.

Schmidt öffnete die hintere Tür des Streifenwagens und stieß mich unsanft auf den Rücksitz. Durch die Scheibe beobachtete ich, wie Alex davon ging und mit Moritz redete. Ich schloss meine Augen, atmete mehrmals tief ein und wieder aus und versuchte, meine Ängste und meine Hoffnungslosigkeit zu überwinden. Doch dieses Mal bekam ich meine Gefühle ganz und gar nicht unter Kontrolle.

 

19

 

Das Verhörzimmer hatte kahle, weiße Wände. In der Mitte des Raumes stand ein grauer Tisch, davor und dahinter jeweils ein Stuhl. Auf einem davon saß ich seit über einer Stunde und wartete ungeduldig darauf, eine Aussage machen zu dürfen.

An der Wand neben der Stahltür lehnte Bruno Schmidt. Er grinste mich an. Seine rechte Hand lag auf dem Griff seiner Waffe, die er an seinem Gürtel trug. Was für ein Trottel! Ich streckte meinen Rücken durch, der vom Sitzen undankbar schmerzte.

Endlich öffnete sich die Tür und Eddy kam herein. Sein argwöhnischer Blick verhieß nichts Gutes. Er wechselte ein paar Worte mit Schmidt, der daraufhin den Raum verließ.

»Warum lässt du mich hier solange warten?«, fragte ich. »Was wird mir vorgeworfen?«

»Noch nichts, aber du bist nur eine Haaresbreite davon entfernt.« Eddy legte eine durchsichtige Plastiktüte auf den Tisch. Darin steckte das Schlangenmesser. »Woher hast du das?«

»Das kann ich dir nicht sagen«, antwortete ich.

Eddys Gesicht lief rot an. »Nick. Ich hab die Schnauze voll von deiner Geheimniskrämerei. Ich weiß schon, woher du dieses Messer hast«, knurrte er. »Warum sagst du mir nicht endlich die Wahrheit?«

»Weshalb fragst du mich dann?«, erwiderte ich lauter als beabsichtigt. Dumpfe Kopfschmerzen breiteten sich hinter meiner Stirn aus.

»Ich will es aus deinem Mund hören, verdammt. Und ich will endlich wissen, wer hinter dir her ist.« Eddy schäumte vor Wut bald über.

»Ich weiß aber nichts über die Bande.« Ich stützte mich mit den Ellbogen auf den Tisch und massierte mit meinen Fingern meine Schläfen, zwischen denen sich ein Sturm zusammenbraute.

Eddy schlug mit der flachen Hand auf den Tisch.

»Bist du verrückt?« Ich glotzte ihn an.

»Hör gut zu, mein Freund«, zischte er und beugte sich drohend nach vorne. »Im Leichenschauhaus liegt ein Kollege von mir.« Er legte ein Foto auf den Tisch. »Sieh dir das Pentagramm an. Und die tiefen Messerstiche. Er hatte eine Spritze im Hals stecken. Ich wette, deine ehemaligen Kollegen finden Ketamin darin.«

Mein Magen überschlug sich, als ich Bachmanns Leichnam betrachtete. Ich hatte das Gefühl in einem Karussell zu sitzen, das in Schallgeschwindigkeit im Kreis herum rotierte.

»Und wir haben diese zwei Skelette.« Auch von ihnen legte Eddy Fotos auf den Tisch. »Sieh dir ihre Schädel an. Und die Pentagramme. Die sehen alle gleich aus, oder?«

Mein Blick wanderte zwischen den Fotos hin und her. Ich blinzelte mehrmals, rieb mir über die Augen und wollte etwas sagen, brachte aber kein Wort heraus.

Zuletzt legte Eddy das Foto eines Mädchens auf den Tisch. Ihr blondes Haar fiel lockig über ihre zierlichen Schultern. Ihre braunen Augen blickten in die Kamera, das Lächeln auf ihren Lippen war einfach nur entzückend.

»Dieses Mädchen wurde entführt, ihr Name ist Stefanie Huber. Ein zweites Mädchen wurde in Freiburg entführt. Willst du, dass sie sterben? Du weißt etwas über diese Skelette. Stimmt’s?« Eddy erhob die Stimme. »Rede mit mir!«

Ich verstand überhaupt nichts mehr. Vor mir sah ich die Skelette, Bachmanns Leiche. Rote Pentagramme schwirrten um meinen Kopf. Mädchen lächelten mich an. Viele Gesichter zogen an mir vorüber, die ich nie zuvor gesehen hatte. Oder doch? Ich wusste es nicht.

Das Pochen hinter meiner Stirn wurde heftiger. Langsam glitt ich hinab in den Abgrund meiner Erinnerungen. Mit beiden Händen klammerte ich mich am Tisch fest, um nicht in die ungewisse Tiefe zu stürzen. Mit weit aufgerissenen Augen starrte ich Eddy direkt ins Gesicht.

»Was zur Hölle weißt du darüber?«, brüllte er.

Ich schüttelte den Kopf, weil ich doch gar nichts wusste. »Nichts. Bitte, glaub mir.« Vor mir öffnete sich der düstere Korridor. »Nichts ergibt einen Sinn.« Die Gedanken wirbelten kreuz und quer durch meinen Kopf wie ein Schwarm Schwalben kurz vor einem Gewitter. »Verstehst du? Ich weiß weder, was hier vor sich geht, noch was mit mir geschieht. Aber ich habe eine Scheißangst davor.« Meine Stimme hallte von den Wänden des Korridors, der mich langsam umschloss.

»Was hast du, Nick? Du bist kreidebleich. Oh, verdammt«, hörte ich noch Eddys Stimme, die sich von mir entfernte.

Durch den zähen Nebel sah ich noch, wie er zur Tür lief, sie öffnete und hinausstürzte. Über mir brachen die Erinnerungen herein wie eine Sturzflut. Da war das Messer in meiner Brust, eine Gruft, ein Keller, ein Skelett. Und dazwischen: Alexandra. Aus meinem Inneren flüsterte eine Stimme: »Sie ist dein Engel.« Das gab mir den Rest. Mir wurde schwarz vor Augen und ich fiel in ein dunkles Nichts …

***

… eine beklemmende Dunkelheit begleitete mich. Der Verzweiflung nahe suchte ich einen Weg aus dem endlosen Korridor meiner Erinnerungen. Der Gestank nach Fäulnis und Schimmel strömte mir entgegen. Ich gelangte an eine hölzerne Tür. Durch ein kleines Fenster spähte ich in eine Zelle. Dort saß ein Mädchen auf dem blanken Boden und weinte.

Ich entriegelte die Tür und betrat den Raum. Als das Mädchen mich bemerkte, hörte sie auf zu schluchzen. Ihre großen, braunen Augen sahen mich an. Ich streckte ihr meine Hände entgegen. Sie stand auf und kam langsam zu mir. Doch auf einmal wich sie zurück. Hinter mir erhob sich ein Schatten. Zwei kräftige Hände packten mich und rissen mich fort.

Jemand zerrte mich in einen anderen Raum. Spitze Finger gruben sich schmerzhaft in meine Schultern. Ich hörte mich schreien. Vor mir tauchte ein verschwommenes Gesicht auf, aus dem mich zwei helle Augen anstarrten. Harte Schläge prasselten auf mich nieder. Ich stürzte jammernd zu Boden, krümmte mich vor Schmerzen und flehte um Gnade. Der Schatten ließ von mir ab und verschwand. Die Tür fiel mit einem lauten Krachen zu. Ein Schlüssel drehte sich im Schloss. Die Finsternis, die mich einhüllte, drohte mich zu ersticken. Mein ganzer Körper tat weh, und in diesem Augenblick wünschte ich mir, ich wäre tot …

***

... mit letzter Kraft kämpfte ich mich zurück an die Oberfläche, glaubte, den Halt zu verlieren und riss meine Augen auf. Neben mir erkannte ich eine junge Frau in einer Notarztjacke. Auf der anderen Seite hockte Eddy.

»Hörst du mich?« Seine Worte klangen dumpf.

Ich hing über dem Abgrund, sah unter mir den Schatten, der nach mir griff. Seine hellen Augen funkelten mich an. Ein Felsbrocken schien auf meiner Brust zu liegen, deshalb konnte ich kaum atmen.

»Nick!«, drang wieder Eddy Stimme zu mir durch. »Komm zu dir.«

Ich versuchte es. Meine Augen blickten in die grellen Neonröhren über mir, und ich bekam wieder Luft. Eddy reichte mir seine Hand, die ich dankbar ergriff und mich an ihr in eine sitzende Position zog.

»Wie lange war ich weggetreten?«, fragte ich.

»Fünfzehn Minuten«, erwiderte Eddy. »Wieder eine Erinnerung?«

»Ja, allerdings.«

»Du hast gehört, was Doktor Fisch gesagt hat, diese Flashbacks können gefährlich werden. Du musst ins Krankenhaus!« Eddy warf der Ärztin einen Blick zu. »Sagen Sie es ihm!«

Die zuckte die Achseln. »Der Blutdruck ist in Ordnung. Der Kreislauf ist stabil. Weitere Untersuchungen kann ich hier nicht vornehmen. Ich würde Ihnen dringend dazu raten, stationär abklären zu lassen, weshalb sie zusammengebrochen sind.«

»Nein, danke. Keine Zeit«, sagte ich und verschränkte meine Arme vor der Brust, um meine zitternden Hände zu verbergen. »Mir geht’s bestens.«

Die Ärztin leuchtete mit einer grellen Lampe in meine Pupillen. »So ganz gefällt mir ihr Gesundheitszustand nicht, aber es ist Ihre Entscheidung.« Dann packte sie ihre Sachen zusammen und ging davon.

Ich versuchte meine Fassung wiederzuerlangen, was in Anbetracht der entsetzlichen Vision gar nicht so einfach war. Tief atmete ich ein, langsam wieder aus, aber ich bekam diese Bilder nicht aus meinem Kopf. Wieder und wieder stellte ich mir die Frage, wer dieser schemenhafte Mann war. Warum hatte er mich eingesperrt und verprügelt?

»Was hast du gesehen?«, fragte Eddy. Seine Hand lag beruhigend auf meiner Schulter.

»Schreckliches«, brachte ich heraus. »Aber nichts Schlüssiges.«

Für einen Moment saß ich regungslos auf dem harten Boden des Raumes und kämpfte gegen die schlechten Erinnerungen an. Es gelang mir, sie zurückzudrängen, und ich kehrte endgültig in die Gegenwart zurück.

Eddy half mir auf den Stuhl und setzte sich auf den anderen.

»Was hast du jetzt mit mir vor?«, fragte ich. »Und wo ist eigentlich Moritz?«

»Er wartet in meinem Büro. Deine neue Freundin hat ihn hergefahren. Sie hat behauptet, Katharina wäre verreist, und du würdest dieses Wochenende auf deinen Sohn aufpassen. Noch habe ich seine Mutter nicht angerufen.« Eddy holte tief Luft.

»Kati ist in London, ruf sie bloß nicht an.« Sie würde früh genug erfahren, was hier los war.

»Wie du willst. Jedenfalls habe ich die Aussage von Alexandra Hertzog, dass sie dir das Messer gegeben hat. Sie sagt die Wahrheit. Ihre Fingerabdrücke sind drauf, das haben wir sofort geklärt. Und sie behauptet, sie hätte es vor langer Zeit geschenkt bekommen.« Er besann sich kurz. »Allerdings konnte auch sie die Männer nicht beschreiben, die euch attackiert haben.«

»Wo ist Alex jetzt?«

»Keine Ahnung. Sie sagte, sie würde eine Phantombildzeichnung aus dem Auto holen, die du gezeichnet hättest?«

Ich nickte.

»Seitdem habe ich sie nicht mehr gesehen.« Eddy hob seine breiten Schultern und ließ sie wieder herabsinken. »Ich glaube, sie ist weg.«

Wieder hatte sie sich aus dem Staub gemacht? Aber warum das denn?

»Nick, du musst reden. Gib mir zumindest etwas. Ich kann dir sonst nicht länger helfen. Wenn ich nur an dieses Bild denke. Das mit den Leichen und den Skeletten.«

»Okay.«

Ich erzählte ihm von dem Mann mit den silbergrauen Augen, berichtete von dem jungen Burschen, der mir Benjamins Foto gegeben und behauptet hatte, Marc zu heißen. Und alles andere, was ich wusste.

»Und die Leichen der Mädchen?«, hakte Eddy nach.

»Ich kann dir nicht sagen, warum ich sie gemalt habe. Das musst du mir glauben.«

Eddy zog die Augenbrauen zusammen, seufzte und nickte dann.

Da fiel mir etwas ein. »Haben meine ehemaligen Kollegen eigentlich bereits die Spuren analysiert, die auf meiner Jacke zu finden waren?«

»Nein, leider nicht, ich muss da mal nachhaken«, erwiderte Eddy und schaltete das Aufzeichnungsgerät ab, auf dem sich jetzt meine Aussage befand. »Sollte dir noch was einfallen, ruf mich an. Ansonsten kannst du jetzt gehen. Und sei froh, dass du so glimpflich davongekommen bist.«

Und ob ich erleichtert war. Und noch mehr, als gleich darauf die Nachricht eintraf, dass Lucas Vater die Messerattacke überleben würde.

***

Später am Abend hatte Moritz es sich auf der Couch im Wohnzimmer bequem gemacht. Er starrte in den Fernseher, in dem einer dieser stumpfsinnigen Actionfilme lief.

Ich trommelte mit meinen Fingerkuppen auf dem Esstisch herum und betrachtete meinen Sohn voller Sorge. Moritz hatte kein Wort mit mir geredet, seitdem wir das Präsidium verlassen hatten. Eine Psychologin hatte ihn betreut, solange ich in Gewahrsam gewesen war, doch auch mit ihr hatte er nicht gesprochen. Nun war es an mir, ihm ein guter Vater zu sein. Das jedoch fiel mir schwer. Was konnte ich ihm sagen, das ihn aufmuntern würde?

Ich dachte an Steffen Meiers, der sich blutüberströmt an mich geklammert hatte. Nachdem wir vorhin nach Hause gekommen waren, hatte ich zunächst eine lange Dusche genommen, um auch die allerletzten Blutspuren des Mannes von mir zu waschen. Besser fühlte ich mich allerdings nicht.

Das grelle Hupen der Backofenuhr holte mich aus meinen Gedanken. Ich holte die beiden Pizzas aus dem Backofen und stellte sie auf den Esstisch.

»Moritz? Hast du Hunger?«, rief ich ihm zu.

Er schaltete den Fernseher ab und setzte sich zu mir an den Tisch.

»Willst du über den Zwischenfall reden, Mo?«, fragte ich.

Er betrachtete angewidert das spitze Messer, das ich neben den Teller gelegt hatte.

»Moritz?«

»Ich hatte Angst, dass dir was passiert«, sagte er endlich.

»Ja. Ich hatte auch Angst«, gab ich zu.

»Was wollten die von dir?«

»Hat mit meiner Vergangenheit zu tun«, antwortete ich. »Ich möchte, dass du die nächsten Tage gut auf dich achtgibst. Nur für alle Fälle.«

»Was für Fälle?«, fragte Moritz.

»Lass dich von niemandem ansprechen und halte die Augen offen. Das ist alles. Wenn dir jemand verdächtig vorkommt, rufst du mich sofort an oder noch besser, Eddy.«

»Sind das Verbrecher, die hinter dir her sind?«, bohrte Moritz weiter.

»Vermutlich«, erwiderte ich. Ich zwang mich zu einem Lächeln. Zu viel Angst durfte ich ihm nicht einjagen, dennoch sollte Moritz achtsam sein. »Aber du brauchst dir keine Sorgen zu machen. Ich habe die Kerle bestimmt verscheucht. Und die Polizei fahndet bereits nach ihnen.« Ich besann mich. »Hast du es schon gehört? Lucas Vater wird wieder gesund. Es geht ihm schon sehr viel besser.«

»Ja.« Nun hellte Moritz‘ Stimmung sich ein wenig auf. Er nahm das Messer in die Hand und zerschnitt die Pizza in mundgerechte Stücke. »Es war echt mutig von ihm, dir zu helfen.«

Na ja, vielleicht war es mutig gewesen, aber sicherlich nicht besonders klug. Aber das würde ich Moritz so nicht sagen.

»Kann ich nicht doch zu dir ziehen?« Sein Blick verdunkelte sich.

»Ich hab dir schon gesagt, weshalb das nicht geht.«

In dem Moment fielen mir seine Zeichnungen ein. Ich holte sie und breitete sie auf dem Tisch aus. »Wie bist du darauf gekommen, so etwas zu zeichnen?« Mein Finger zeigte auf das Skelett.

»Ich hab ein Foto davon in einem Forum entdeckt und fand’s interessant.«

»In einem Forum im Internet? Und wann genau hast du es entdeckt?«

»Irgendwann letzte Woche.« Moritz kaute den letzten Bissen seiner Pizza, danach räumte er seinen und meinen Teller in den Geschirrspüler.

»Kannst du mir die Seite zeigen?«, fragte ich.

»Ja.«

Er wartete, bis der Laptop hochgefahren war, tippte eine Adresse in den Webbrowser und loggte sich mit einem Benutzernamen und Kennwort auf einer mysteriösen Seite ein. Nachdem er einige Beiträge durchstöbert hatte, gab er auf. »Bestimmt hat der Administrator das Foto gelöscht. War vielleicht doch zu gruselig.«

»Oder zu geschmacklos, nachdem bekannt wurde, dass dieses Skelett echt war.« Ich blätterte durch die Seiten des Forums. Leider fand auch ich keine Skelette darin. Schade, zu gern hätte ich erfahren, welche römische Zahl in das Kreuz graviert gewesen war.

Ich wandte mich an Moritz und zeigte auf den Mann mit dem Messer im Rücken. »Und was soll das? Hast du Mordgedanken?«

Moritz zog einen Schmollmund, ehe seine Wut aus ihm herausplatzte. »Mamas neuer Freund ist so ein Arsch. Der Wichser glaubt echt, er kann mir Vorschriften machen. Und jeden Tag hängt der bei uns rum.«

»So schlimm?«

Seine Augen füllten sich mit Tränen. Er wischte sie mit dem Handrücken fort und schniefte laut.

»Warum weinst du?«, fragte ich. »So schlimm kann der Mann doch gar nicht sein.«

»Oh doch.« Er zögerte und sagte dann: »Der Penner hat mich geschlagen, als Mama nicht da war.«

»Was? Warum?« Das konnte doch nicht wahr sein. Meine Träume, meine Erinnerungen erwachten in mir zum Leben. Ich dachte an den Schatten, der mich verprügelt und eingesperrt hatte. Ich schloss kurz die Augen, öffnete sie wieder und blickte Moritz an. »Hast du deiner Mutter davon erzählt?«

»Natürlich. Aber sie hat mir nicht geglaubt«, erwiderte er. »Der Arsch hat mir eine Ohrfeige verpasst und mich in mein Zimmer gezerrt. Dann hat er rumgebrüllt wie so ein Irrer. Ich will diesen Wichser nie wiedersehen, ich will nie wieder nach Hause.« Er vergrub sein Gesicht in den Händen und begann zu schluchzen.

Ich ging zu ihm und nahm ihn in den Arm. Moritz drückte sich an mich, wie er es seit langer Zeit nicht mehr getan hatte, und weinte hemmungslos. Und in mir begann eine Wut zu kochen, die ich in dieser Intensität noch nie zuvor verspürt hatte.

 

20

 

Eddy starrte in das tote Gesicht des erst dreißigjährigen Roland Bachmann, der inzwischen auf einem Obduktionstisch in der Gerichtsmedizin lag. Bachmanns Augen waren geschlossen. Das Pentagramm auf seiner Stirn hob sich krass von seiner blassen Hautfarbe ab. In den Zacken des Sterns standen die Zahlen 20 12 10 11 verteilt. Das Datum seines Todes? Mit Blut geschrieben. Genau wie bei den Skeletten. Dreizehn Mal hatte der Killer auf Bachmanns Körper eingestochen, die Wunden waren überall verteilt, genau wie die mysteriösen Zeichen. Eine hässliche Naht zog sich längs über seinen Brustkorb.

»Und Sie sind sicher, dass Sie zuschauen möchten?«, fragte der Chef der Abteilung. Doktor Fleischer nahm sein Werkzeug aus einer Schublade, um mit der Autopsie zu beginnen.

Eddy nickte. Er wollte nicht hier sein, hatte sich aber dazu durchgerungen, der Obduktion beizuwohnen. Während Fleischer den Leichnam untersuchte, richtete Eddy den Blick zur Wand und beschloss, an etwas anderes zu denken.

»Die Zahlen wurden mit Blut geschrieben«, sagte Fleischer zu seiner Assistentin, einer zierlichen Frau, die eher in eine Boutique, als in die Gerichtsmedizin gepasst hätte.

»Ich nehme eine Probe davon, vergleichen sie die mit dem Blut des Opfers.«

Unter Bachmanns Fingernägeln fand er Schmutz, den er durch ein Vergrößerungsglas betrachtete. »Interessant. Sieht aus, als hätte sich unser Fotograf noch gewehrt. Die Nägel sind teilweise abgebrochen und das hier sind Hautfetzen, eindeutig. Wir nehmen hiervon auch Proben. Schicken Sie die dann sofort ins Labor.« Die junge Frau kratzte dem Toten die Fingernägel aus und schüttete die Proben in ein Reagenzglas.

Warum bin ich hier und nicht mit meiner Familie nach Frankfurt gefahren?, fragte sich Eddy.

So schlecht wäre es doch gar nicht gewesen, übers Wochenende mal wegzufahren. Zumal es in seiner Ehe in letzter Zeit ohnehin kriselte. Es war ihm nicht entgangen, dass Marita ihn häufig verärgert ansah, weil er sich lieber mit Nick traf, als nach Hause zu kommen. Eddy gestand sich ein, dass er sich nach Abwechslung sehnte, nach etwas Neuem in seinem Leben. Er liebte seine Frau, wie man das eben tat nach fünfzehn Jahren Ehe. Sie kannten sich ja schon von der Schule. Ob die Gewohnheit der Grund dafür war, dass im ehelichen Bett selten etwas lief?

Grübelnd warf er einen Blick auf Bachmann, sah aber gleich wieder weg. Das Leben war doch viel zu kurz, um es zu verschwenden. Und selbst der Besuch bei Maritas Eltern wäre besser gewesen, als das hier. Er könnte bei seinen Schwiegereltern im Wohnzimmer sitzen und ein Glas Wein trinken, das Handy ausgeschaltet, nichts ginge ihn etwas an. Aber nein, er musste ja unbedingt das Wochenende in diesem Keller verbringen, in abgestandener Luft, neben einem toten Kollegen, dem gerade ...

»Herr Krieger«, riss Fleischer ihn aus seinen Gedanken. »Werfen Sie hier mal einen Blick drauf.«

Eddy atmete tief ein, hielt die Luft an und blickte in den geöffneten Brustkorb.

»Hier, sehen Sie«, sagte der Gerichtsmediziner und wies auf die Stelle, in der sich das Herz befinden sollte. Es war nicht da, im Brustkorb klaffte ein Loch.

»Puh!« Eddy blies die Atemluft wieder aus und hielt sich die Hand vor Mund und Nase. Der Gestank nach Verwesung wurde immer schlimmer. »Können Sie mir die Todesursache nennen?«

»Er wurde erstochen«, erklärte Fleischer. »Das sollten Sie eigentlich selbst erkennen oder?« Er schüttelte den Kopf. »In der Spritze, die in seinem Nacken gesteckt hatte, war Ketamin. Ob es vor dem Mord oder danach gespritzt wurde, können wir nicht feststellen. Das Herz wurde nach seinem Tod entfernt. Das hat er nicht mehr mitbekommen.«

»Das heißt, jemand hat ihn mit einem Messer getötet, aufgeschnitten und ihm das Herz entnommen?«

»Entrissen«, gab Fleischer zurück. »Man sieht hier die ausgefransten Ränder, auch der Brustkorb wurde mit primitiven Mitteln geöffnet und schlampig zugenäht.«

Die letzten Worte hörte Eddy nur noch wie aus weiter Ferne. Erneut atmete er tief durch, was bei diesem Gestank allerdings nicht der beste Einfall war. Jetzt wurde ihm richtig schlecht.

»Wann ist Bachmann gestorben?«, fragte er.

»Nach der fortgeschrittenen Verwesung zu schließen, Mittwoch auf Donnerstag. Die Zahlen auf der Stirn sind vermutlich sein Todestag.« Fleischer legte ein blutiges Messer in eine Schale und wischte sich die behandschuhten Hände an seinem Kittel ab.

»Okay«, sagte Eddy. Das musste er erst mal verdauen. »Wenn wir hier fertig sind, würde ich draußen auf Ihren Bericht warten.«

Fleischer nickte. »Wir sind hier fertig. Die Blutprobenanalyse dauert aber noch ein wenig länger.«

Nickend eilte Eddy zum Ausgang und nach draußen, wo er die frische Luft gierig in seine Lungen sog.

 

21

 

Der Abend war spät, ich war hundemüde und kam dennoch nicht zur Ruhe. Durch die Fensterfront im Wohnzimmer blickte ich auf den Streifenwagen, der am Straßenrand gegenüber meiner Wohnung parkte. Eddy hatte veranlasst, dass zwei Polizisten die Gegend im Auge behielten. Mir war nicht ganz wohl dabei. Marc hatte mich gewarnt, die Polizei einzuschalten. Andererseits hatte ich keine Wahl. Es ging auch um den Schutz meines Sohnes.

Leise öffnete ich die Tür zum Gästezimmer, das ich vor geraumer Zeit für Moritz eingerichtet hatte, und schlüpfte in den dunklen Raum. Besorgt blickte ich auf ihn herab. Er lag auf dem Bauch, das Gesicht seitlich auf dem Kissen, die Arme nach vorn abgewinkelt, das eine Bein nach außen gedreht. So hatte er als Baby schon geschlafen. Manche Dinge ändern sich nie.

Hoffentlich würde er das Erlebnis vom Bolzplatz gut verarbeiten. Und was war mit dem tätlichen Übergriff von Katis neuem Lebensgefährten, diesem Schwein? Ich musste unbedingt mit Kati darüber reden. Seufzend verließ ich das Zimmer und schloss leise die Tür hinter mir.

Beunruhigt geisterte ich durch die Wohnung, kontrollierte meine Schränke und Regale, prüfte, ob der Eindringling von gestern Abend nicht doch mehr mitgenommen hatte, als das eine Bild. Doch meine Sorge blieb unbegründet, all meine Habseligkeiten waren dort, wo sie hingehörten.

Ich dachte an Alex. Hatte sie sich wirklich aus dem Staub gemacht? Oder nicht? Was, wenn ihr etwas zugestoßen war? Ich schüttelte den Kopf. Sie hatte die lästige Angewohnheit, immer dann zu verschwinden, wenn es brenzlig wurde. Sicher hatte sie sich nur spontan dazu entschlossen, Eddy das Phantombild doch nicht zu geben. Ich vermutete, dass sie nach Hause gefahren war. Wahrscheinlich lag sie bereits in ihrem Bett in ihrer Freiburger Wohnung und schlief seelenruhig, während ich mir Sorgen machte.

Ich schaltete meinen Laptop ein und rief meine E-Mails ab. Massenhaft Werbenachrichten und Anfragen von Kunden erschienen auf dem Schirm. Das interessierte mich jetzt nicht. Dazwischen tauchte eine merkwürdige Nachricht auf, abgeschickt am frühen Abend, aber ohne eindeutigen Absender, ohne Anschreiben, dafür im Anhang ein Foto. Gespannt klickte ich die Datei an, das Bild öffnete sich.

Ich sah ein Mädchen, das auf einem steinernen, fünfeckigen Tisch lag. Ihr nackter Oberkörper war mit unbekannten Symbolen übersät. Ihre Hände lagen wie zum Gebet gefaltet auf ihrem Bauch und über ihrer Brust verlief eine lange Naht, als ob jemand sie aufgeschnitten und wieder zugenäht hatte. Dort lag auch ein goldenes Kreuz, um das sich eine schwarze Schlange mit leuchtenden, rubinroten Augen wand.

Die Welt um mich herum verschwamm. Ich fixierte ihr blasses Gesicht, das von hellblondem, lockigem Haar umrahmt war. Auf ihrer Stirn prangte ein rotes Pentagramm und ihre braunen Augen blickten leblos nach oben. Am unteren Rand des Fotos stand ein Datum: 16. 6. 1990, und eine römische Zahl: XII. Darunter drei Worte: Erinnerst du dich?

Zuerst wurde mir heiß, dann kalt, die abscheuliche Erregung packte mich. Mein Magen verkrampfte sich in einer Welle von Schmerzen. Übelkeit stieg in mir auf. Die unverdauten Reste der Pizza arbeiteten sich durch meine Speiseröhre nach oben. Die eine Hand auf meinen Magen, die andere fest auf den Mund gepresst, rannte ich ins Bad. Ich riss den Deckel der Kloschüssel auf und kotzte mir die Seele aus dem Leib. Zumindest fühlte es sich so an, und es nahm kein Ende.

Ich sah ein Bild vor mir. Das tote Mädchen. Ich erinnerte mich an ihr lebendiges Gesicht. An die Furcht in ihren Augen. Das Badezimmer begann sich zu drehen. Schlagartig wurde es dunkel …

***

… als das Licht zurückkehrte, fand ich mich in einem Korridor vor einer verriegelten Kellertür wieder. Ich öffnete sie und spähte ins Innere eines Raumes. Auf dem kahlen Steinboden lag ein Mädchen. Ihre Augen waren geschlossen, ihre Hände gefesselt. Mit heftig klopfendem Herzen trat ich hinein. In meiner Hand hielt ich ein schlichtes Messer mit einer langen Klinge. Als das Mädchen mich bemerkte, riss sie erschrocken die Augen auf und begann zu weinen. Ich ging auf sie zu und kniete neben ihr nieder. Aus dem Weinen des Kindes wurde ein hysterisches Schreien. Ich ergriff die Hände des Mädchens, hob das Messer und …

***

… schlug im Badezimmer die Augen auf. Oh Gott! Was hatte ich getan? Hatte ich sie verletzt? Oder noch schlimmer: Hatte ich sie getötet? War sie das Skelett? Ich drehte beinahe durch. Mein Herz raste, meine Hände zitterten, über mein Gesicht strömten heiße Tränen. Ich rappelte mich auf die Füße, zog mich aus und stellte mich unter die Dusche. Was sollte ich tun? Ich überlegte hin und her, kam zu keinem Schluss. Dieses Mädchen war getötet worden, da war ich mir sicher. Aber wer hatte das getan? Ich? Der Gedanke brach mir das Herz. Ich beschloss, ihren Mörder zu suchen, auch dann, wenn ich es selbst wäre.

Nachdem ich mich abgetrocknet hatte, verschwand ich im Schlafzimmer, zog mir Jeans und T-Shirt über und kehrte ins Wohnzimmer zurück. Dann rief ich Eddy an.

»Was gibt’s?«, brummte er.

»Eddy, ich brauche deine Hilfe«, sagte ich.

»Ich bin auf dem Weg nach Hause und völlig fertig. Hat es nicht Zeit bis Morgen?«

»Nein, hat es nicht. Kannst du bei mir vorbeikommen? Ich habe ein Problem.«

»Was für ein Problem?«

»Das kann ich dir am Telefon nicht sagen, das musst du dir ansehen.«

Es wurde kurz still, dann sagte er: »In Ordnung. Ich bin gleich da.«

***

»Woher hast du das?«, fragte Eddy, während er angewidert auf den Bildschirm des Laptops blickte.

»Unbekannter Absender«, antwortete ich. »Es kam per E-Mail. Siehst du das Datum?« Ich lehnte mich gegen die Arbeitsplatte der Küche und verschränkte die Arme vor der Brust. Meine Hände zitterten immer noch. »Und ich hatte eine Erinnerung.«

»Was hast du gesehen?«

»Dieses Mädchen lag gefesselt auf dem Boden eines Kellers. Ich hatte ein Messer in der Hand …« Bei dem Gedanken daran, was er ich wohl angetan hatte, verstummte ich.

»Wolltest du sie befreien?«, meinte Eddy.

»Keine Ahnung. Was, wenn ich sie getötet habe?« Ich runzelte die Stirn.

»Nick, du warst erst zwölf Jahre alt.«

»Und? Es gab schon öfter Kinder, die gemordet haben.« Ich stockte.

»Hör auf damit«, sagte Eddy. »Du redest Unsinn. Da will dich jemand mürbemachen. Die gleichen Typen, die hinter dir her sind?«

Der Refrain von Bon Jovis Runaway unterbrach unsere Diskussion. »Hallo?«, meldete ich mich.

»Ich bin’s, Alex.«

»Alex? Verdammt, warum bist du schon wieder weggegangen?«, fragte ich vorwurfsvoll. »Ich dachte …«

Sie unterbrach mich. »Nick, ich muss dich sehen.«

»Wirklich?«, erwiderte ich. »Na, dann komm zu mir.«

»Ich bin schon da, vor deiner Tür.«

Verdutzt starrte ich auf das Telefon in meiner Hand, eilte nach unten, schaltete das Licht ein und öffnete die Tür. Dort stand sie. Ich konnte es kaum fassen.

»Und warum klingelst du nicht einfach?«, fragte ich.

Achselzuckend trat sie an mir vorbei. »Die netten Herren in dem Auto«, sie zeigte auf den Streifenwagen, »haben mich genauestens beobachtet. Du hast also Polizeischutz?«

»Oder Eddy lässt mich überwachen.« Ich schmunzelte. »Was mir ganz recht ist, da Moritz hier übernachtet. Und was treibt dich mitten in der Nacht zu mir?«

»Ich muss mit dir reden.« Sie betrachtete die Bilder an der Wand und danach mich.

»Gehen wir nach oben?«, schlug ich vor.

Sie nickte und folgte mir die Treppe hinauf in die Küche. Eddy zog gerade seine Jacke an.

»Ich geh dann mal«, sagte er. »Ich sollte ein paar Stunden schlafen, ehe ich wieder zur Arbeit muss. Falls du noch was loswerden willst, Nick, ruf mich an.« Dann ging er.

»Möchtest du ein Glas Wein?«, wandte ich mich an Alex.

»Ja, gern.« Sie zog ihre Jacke aus, hängte sie über einen Stuhl und setzte sich.

»Eddy hat mir erzählt, du wolltest nur kurz zu deinem Wagen und ihm das Phantombild von Marc bringen«, sagte ich. »Du hast dich anders entschieden?« Ich stellte ihr ein Glas Wein hin, mir ebenfalls, und setzte mich ihr gegenüber.

»Ja, allerdings.« Sie zog ein Foto aus ihrer Handtasche und reichte es mir.

»Oh verdammt«, flüsterte ich. Auf dem Bild war ein Mädchen zu sehen. Ihre Knie hatte sie dicht an den Körper gezogen. Ihre Hände waren gefesselt. Ihr engelhaftes Gesicht war schmutzig und ihre dunklen, vom Weinen verquollene Augen blickten ängstlich in die Kamera. Auf der Rückseite des Fotos stand ein Datum: 12-10-12.

Alex reichte mir ein Papier.

Ich las die Worte laut vor: »Wenn du redest, wird sie sterben!«

»Deshalb habe ich erst einmal die Flucht ergriffen. Ich habe Angst bekommen und wusste nicht, was ich tun soll. Also bin ich in mein Hotel und habe erst mal nachgedacht.« Alex nahm einen großen Schluck aus ihrem Weinglas. »Ich bin aber zu keinem Schluss gekommen. Deshalb bin ich hier. Meinst du, wir sollten die Polizei informieren?«

»Ja, ich denke schon.«

Alex nickte. »Weißt du, ob die Skelette – ich meine natürlich die Mädchen – ermordet wurden?« Sie erschien mir extrem nervös. Ihre zitternden Finger drehten den Stiel des Weinglases hin und her.

»Ja, sie wurden ermordet.« Ich zögerte einen Moment, dann sagte ich: »Alex, du hast mir immer noch nicht erzählt, was damals mit uns passiert ist.«

»Ich weiß«, erwiderte sie. »Und ich sagte dir schon, dass es eine lange Geschichte ist.«

»Und ich will dich nicht drängen, aber ...«

»Die Antwort musst du selbst finden«, unterbrach sie mich.

Ich stand auf und nahm ihre Hand. »Komm mit!«

Sie folgte mir nach unten in die Galerie, wo ich ihr meine Bilder zeigte. »Mittlerweile glaube ich, dass diese Bilder alle aus meiner Vergangenheit stammen.«

»Die sind erschreckend«, stellte sie fest und furchte die Stirn, als ich ihr das Porträt des Mädchens zeigte. »Aber das ist wunderschön.«

»Genau wie du«, flüsterte ich.

»Ich glaube, ich kenne das Mädchen. Wann hast du das gemalt?«

»Das ist schon lange her.« Ich legte meine Arme von hinten um ihre Taille. »Willst du mir jetzt ihre Geschichte erzählen?«

»Nein«, sagte sie mit zitternder Stimme. »Jetzt will ich dich.«

»Dann sollst du mich kriegen.«

Meine Hand glitt unter ihre Bluse, strich sachte über ihren Bauch, und wanderte höher zu ihrer Brust. Ich küsste ihren Hals und knabberte an ihrem Ohrläppchen. Sie stöhnte leise, drehte sich mir zu und zog mir mein T-Shirt über den Kopf. Ihre Finger strichen über meinen Bauch, meine Brust, meine Narbe.

»Wo hast du die her?«, fragte sie.

»Lange Geschichte«, sagte ich.

Ihre Lippen suchten meine, wir küssten uns stürmisch. Ihre Hände strichen über meinen nackten Rücken.

»Lass uns nach oben gehen«, knurrte ich, nahm ihre Hand und zog sie hinter mir her die Treppe hinauf.

Gleich darauf schlichen wir ins Schlafzimmer. Einen Moment standen wir uns gegenüber, als wollten wir herausfinden, ob es richtig war, was wir vorhatten. Nun, ich wusste genau, was ich wollte, aber Alex sah mich irgendwie zweifelnd an.

»Was ist?«, fragte ich. »Willst du mich wieder abblitzen lassen? Noch kannst du gehen.« Natürlich hoffte ich, dass sie es nicht tat.

»Das habe ich nicht vor.« Sie grinste und legte ihre Arme um meinen Nacken. »Ich hoffe nur, du hast ein Kondom zur Hand.«

»Ach so? Keine Sorge. Nicht nur eins.«

»Gut.«

Dann gab es kein Halten mehr. Wir rissen uns gegenseitig die Kleider vom Leib, ließen uns in die Kissen fallen. Wir küssten und streichelten einander. Ich versank mit ihr in einem Meer der Leidenschaft, aus dem ich am liebsten nie wieder aufgetaucht wäre.

***

Als wir einige Zeit später erhitzt und glücklich unter der Bettdecke dicht aneinanderkuschelten, stellte Alex mir eine Frage: »Wie hast du dein Gedächtnis verloren?«

Ich blickte in ihr gerötetes Gesicht. »Wenn ich das wüsste. Ich erinnere mich an einen finsteren Korridor und an das Messer in meiner Brust. Da war ein Mann. Ich wurde bewusstlos.« Nachdenklich strich ich mit meinem Finger über meine Narbe. »Später bin ich im Krankenhaus aufgewacht und meine Kindheit war ausgelöscht. Angeblich war ich kurz tot gewesen, aber die Ärzte haben mich ins Leben zurückgeholt.«

»Zum Glück!« Alex‘ Augen glänzten.

Erneut ließ ich meine Finger über ihren nackten Körper gleiten. Eine Träne löste sich aus ihrem Augenwinkel und rollte über ihre Wange.

»Warum weinst du?«, fragte ich und runzelte die Stirn.

»Ach, nichts.« Sie fuhr sich mit der Hand übers Gesicht. »Aber ich sollte mal kurz ins Bad.« Als sie sich aufsetzte, erkannte ich die Narbe auf ihrem Schulterblatt, bevor sie in ihre Bluse schlüpfte. Ein Blitz durchfuhr meinen Kopf. Ein stechender Schmerz folgte, und ich sah wie …

 

… ein spitzes Messer auf das Mädchen herabsauste, als sie sich gerade wegdrehte. Die Klinge streifte ihren Oberkörper, sie schrie auf, dann …

 

… kehrte ich in die Gegenwart zurück, als Alex gerade die Schlafzimmertür hinter sich schloss.

 

22

 

Ich saß auf meinem Sofa, die Füße übereinandergelegt auf dem Wohnzimmertisch, in der einen Hand eine Tasse Kaffee, in der anderen einen Brief, auf den ich nachdenklich starrte. Von draußen drang bereits das Licht des späten Morgens in den Raum und aus dem Radio klang leise Rockmusik. Kurz nachdem Alex mein Bett verlassen hatte, um ins Badezimmer zu gehen, war ich eingeschlafen. Als ich mit dem Morgengrauen wieder aufgewacht war, hatte ich auf meinem Nachttisch eine Nachricht von ihr gefunden.

»Lieber Nick, es tut mir leid, aber ich muss zurück nach Freiburg. Wenn du deine Vergangenheit finden willst, solltest du sie dort suchen. Pass gut auf dich auf, Alex. PS: Ich hoffe, ich sehe dich wieder.«

Darunter stand ihre Handynummer. Das war doch besser als nichts, wenngleich ich diese Frau schon jetzt vermisste.

Von der Wendeltreppe her erklangen Schritte. Ich legte den Brief zur Seite, nahm die Füße vom Tisch und stand auf. Vorhin hatte ich Eddy angerufen und ihn gebeten, herzukommen. Nun stieg er bereits die Stufen herauf, nachdem er sich mit meinem Ersatzschlüssel selbst Zutritt zu meiner Wohnung verschafft hatte.

»Willst du Kaffee?«, fragte ich.

Eddy reichte mir eine Papiertüte voller frischer Brötchen. »Den kann ich brauchen. Ja.«

Wir gingen in die Küche. Ich ließ Eddy eine Tasse Kaffee aus der Maschine und reichte sie ihm. Wir frühstückten und plauderten über alles Mögliche. Es war ein beinahe ganz normaler Sonntagmorgen, hätte ich nicht diese belastenden Gedanken in meinem Kopf, die ich unbedingt loswerden wollte.

Deshalb legte ich ein Foto auf den Tisch. »Alex hat dieses Foto gestern als Warnung erhalten.« Und zeigte Eddy den Drohbrief. »Deshalb hat sie sich aus dem Staub gemacht.«

»Ich glaube, das ist das Freiburger Mädchen, das Freitag verschwunden ist«, mutmaßte Eddy und rieb sich das Kinn. »Das heißt, Vanessa lebt. Das ist doch schon mal was. Wir müssen ihre Eltern informieren.«

Doch ich bremste ihn erst einmal aus. »Du weißt doch gar nicht, wo sie ist. Was, wenn die Polizei sie nicht findet? Du schreckst ihren Entführer bloß auf. Diese Kerle sind clever, glaub mir. Die kriegen das sofort mit, wenn dieses Foto bei der Polizei auftaucht. Damit bringst du auch Alex in große Gefahr. Und warum wohl, wurde mir das Foto des toten Mädchens zugeschickt?« Ich wartete nicht auf eine Antwort. »Weil die mich ebenfalls unter Druck setzen wollen und ganz genau wissen, dass ich gestern verhört wurde.«

»Du verlangst also von mir, dass ich meine Kollegen in der Angelegenheit außen vor lasse und gar nichts tue, obwohl Vanessa Kowalski gefangen gehalten wird? Ist das nicht wie in deinem Traum? Ein verlassenes, gefesseltes Mädchen. Alleine, gefangen, verängstigt. Das Mädchen auf dem Foto, das du mir letzte Nacht gezeigt hast, wurde getötet, nachdem sie entführt wurde. Oder etwa nicht?«

Eddys Worte versetzten meiner Seele einen tiefen Stich. Prima, dass er mich wieder an die schrecklichen Szenen erinnerte, in die ich andauernd eintauchte. Mir war bewusst, dass es keine Träume waren, sondern Bruchstücke meiner Vergangenheit.

»Hör zu, Eddy. Ich hüte ein düsteres Geheimnis, das weiß ich selbst. Ich muss es lüften, dann hat dieses Mädchen eine Chance, verstehst du?« Ich nahm Vanessas Foto in die Hand. »Vielleicht kann ich sie finden.«

Eddy blickte mich eindringlich an. Er schien mit sich zu ringen. »Vermutlich hast du recht. Hast du einen Plan?«

Ich nickte. »Ich werde meine Wurzeln suchen, und du versuchst, etwas über diesen Mann herauszufinden.« Ich gab Eddy die Phantombildzeichnung, die Alex mir da gelassen hatte. »Das ist Marc, von dem ich dir bereits erzählt habe.«

»Ich kann es versuchen.«

»Er hat hellgraue Augen, beinahe silbern, nicht braun«, fügte ich hinzu. »Der Kerl ist gefährlich. Unter keinen Umständen darf er mitbekommen, dass du in der Sache ermittelst. Wenn du deine Kollegen einweihst, wirst du das Mädchen niemals lebend finden.«

In dem Augenblick schwang die Küchentür auf und Moritz kam herein.

»Guten Morgen«, sagte er, setzte sich zu uns an den Tisch und gähnte herzhaft. Seine Haare waren ganz durcheinander, sein Blick wanderte zwischen mir und Eddy hin und her. »Was tust du hier, Eddy?«

»Frühstücken«, erklärte Eddy brummig. Er trank seine Tasse leer und stand auf. Das Phantombild steckte er zusammen mit Vanessas Foto in seine Jackentasche. »Mal sehen, was ich in der Sache tun kann, Nick. Ich muss los.« Und schon war er weg.

»Alles klar?«, fragte ich meinen Sohn.

»Ja«, antwortete Moritz. »Worüber habt ihr geredet?«

»Über gestern«, erklärte ich. »Willst du Kakao?«

Moritz nickte. »Darf ich dich was fragen?«

»Na klar. Was willst du wissen?«

»Ist sie deine feste Freundin? Diese Alex?«

»Wie kommst du jetzt darauf?« Ich stellte eine Tasse voll heiß dampfendem Kakao auf den Tisch.

»Sie war letzte Nacht hier. Ich hab euch gehört. Und ich habe sie durchs Fenster gesehen, als sie in ihr Auto gestiegen und weggefahren ist«, erklärte Moritz grinsend. »Hattest du Sex mit ihr?«

Mit dieser Frage hatte ich nicht gerechnet, aber ich hatte nichts zu verheimlichen und mein Sohn war alt genug. Ich konnte ihm ohnehin nichts mehr vormachen. »Ja, sie war letzte Nacht bei mir.«

»Liebst du sie?«, fragte der Junge weiter und sah mich erwartungsvoll an.

Es dauerte eine Weile, bis ich mir darüber im Klaren war, was ich für Alex empfand. Ob es Liebe war, konnte ich in dem Augenblick nicht beurteilen, aber allein der Gedanke an diese Frau löste ein Feuerwerk der Gefühle in mir aus. »Zumindest bin ich in sie verliebt.«

»Ich bin auch verliebt«, sagte Moritz und grinste noch breiter.

»Tatsächlich? Ist das nicht ein bisschen früh?« Ich erntete einen empörten Blick und fragte: »Wie heißt sie?«

»Ihr Name ist Pauline, sie geht in die sechste Klasse«, erzählte Moritz. Und endlich kehrte das Strahlen in seine Augen zurück, das ich so sehr an ihm mochte.

»Ist sie hübsch?«, fragte ich.

»Ja, natürlich ist sie das«, erwiderte Moritz, als wäre es das Selbstverständlichste überhaupt. »Sie hat wunderschöne braune Augen und hellbraune Haare. Und ich finde, sie sieht aus wie ein Engel.«

Ja, genau so hatte auch meine erste große Liebe ausgesehen, wie ein Engel. Das wurde mir in diesem Augenblick bewusst, und ihr Name war Alexandra.

***

Gegen Mittag lümmelte Moritz mit einem Buch in der Hand auf dem Sofa herum. Ich saß grübelnd vor dem Laptop und betrachtete das Foto des toten Mädchens. Besser gesagt hatte ich das Kreuz auf ihrer Brust vergrößert. Der Leiche selbst wollte ich nicht mehr ins Gesicht blicken.

Ich notierte mir die römische Zahl XII, die inmitten des Pentagramms deutlich zu erkennen war, das Datum 16.06.1990 und einen Namen: Melissa Gruber. Das Skelett aus Freiburg. Auch das schrieb ich daneben. Ich hoffte, ihr Name würde mir irgendetwas sagen. Leider war das nicht der Fall.

Nachdem ich das Kreuz in meinem Grafikprogramm freigestellt hatte, druckte ich es auf Fotopapier. Anschließend lud ich die Bilder des zweiten Skeletts aus meiner Kamera direkt auf den Schirm. Ich notierte mir weitere Zahlen. Ein Datum: 19.10.1991. Aber was symbolisierten die schwarzen Federn? Ich zählte nach. Dreizehn Stück, es blieb dabei. Sicher stammten sie von einer Krähe. Rabenvögel. Immer wieder hatte ich sie gemalt. Sie saßen auf der Burgruine, die ich gezeichnet hatte. Auf dem Bild, das mir gestohlen worden war. Rabenstein!

Im Internet fand ich eine Burg Rabenstein in Franken, Bayern, doch das war nicht die, die ich suchte. Ansonsten gab es den Namen nicht so oft wie Müller und Maier, aber häufig genug. Rabenstein war kein so seltener Name, stellte ich fest.

Ich schloss den Web-Browser und lud die Fotos auf den Schirm, die ich von dem Messer geknipst hatte. Standen da Buchstaben? Ich vergrößerte den Schaft und erkannte eine Gravur: NR. Nicolas Rabenstein? Schon wieder dieser Name? Oder nur ein dummer Zufall. Ich druckte das Messer ebenfalls aus.

Meine Hände zitterten, ich ballte sie zu Fäusten, als die Unruhe in mir wuchs. Ich musste etwas tun, um nicht durchzudrehen. Dann hatte ich eine Idee.

»Moritz?«

»Was?«

»Komm, wir gehen in die Stadt.«

»Einen Burger essen?« Er grinste und sprang auf die Füße.

»Alles, was du willst.« Ich zog meine Jacke an, verstaute die Fotos in der Innentasche und nahm meine Autoschlüssel. »Und danach gehen wir ins Landesmuseum.«

»Museum?« Moritz‘ Begeisterung ließ rasch nach, das Lachen verschwand aus seinem Gesicht, zwischen seinen Augen bildete sich eine grimmige Falte.

»Genau. Bildung wird uns gut tun.« Nun grinste ich. »Das wird sicher spannend.«

 

23

 

 

In der gerichtsmedizinischen Abteilung der Kriminalpolizei schien nur ein gedämpftes Licht gespenstisch von der Decke. Die beiden Skelette lagen nebeneinander auf zwei unterschiedlichen Tischen und strahlten im fahlen Licht der Notbeleuchtung um die Wette. Die Luft hier unten war stickig, und Eddy fragte sich, ob er sich in einen schlechten Horrorfilm verirrt hatte. Fehlte nur noch schaurige Musik, um die Szene zu untermalen. Stattdessen hörte er nur die klackenden Geräusche der Computertastatur, auf der die Gerichtsmedizinerin herumhämmerte.

»Herr Krieger?«, sagte sie. »Würden Sie bitte das Licht einschalten? Der Schalter ist neben der Tür.«

Eddy drückte den Schalter. Sofort flammten zwei Scheinwerfer an der Decke auf. Tom Bauer beugte sich über einen der beiden Schädel, betrachtete ihn genauestens, und tat so, als würde er etwas von Forensik verstehen.

»Wir haben die Gesichter mithilfe unserer Software soweit rekonstruiert, um einen Abgleich mit den Datenbanken machen zu können«, erklärte Doktor Henrike Olafson, die zuständige Beamtin. Sie zeigte den beiden Kommissaren die Rekonstruktionen auf dem Bildschirm des Computers. »Das ist Lena Kosta aus Stuttgart, sie wurde im März 1989 als vermisst gemeldet.« Olafson deutete auf das vordere Skelett. »Die Eltern wurden bereits verständigt. Sie sind auf dem Weg ins Präsidium.«

»Sie war aus der Gegend?«, hakte Eddy nach. In seinem Mund sammelte sich dünne Spucke, die er hinunterwürgte. Ihm wurde schon wieder übel.

»Ganz recht«, gab Olafson knapp zurück.

»Und das andere Skelett?«, wollte Tom Bauer wissen.

»Über sie haben wir noch nichts heraus bekommen. Jedenfalls gibt es keine übereinstimmende Vermisstenanzeige von damals.«

Dann zeigte sie ihnen Fotos des Kreuzes, das sie bei dem Skelett von Lena Kosta gefunden hatten. »Wie Sie wissen, ist das Kreuz leider abhandengekommen. Es muss gestohlen worden sein. Wir konnten es bislang nicht finden, aber wir konnten auch keinen Einbruch feststellen.« Sie seufzte. »Glücklicherweise haben wir rechtzeitig eine ganze Serie Fotos angefertigt.«

Sie legte die Bilder nebeneinander. Das Kreuz strahlte selbst auf dem Papier eine ungeheuerliche Faszination aus.

»Ich melde mich, sobald ich etwas Neues für Sie habe«, schloss sie ihren Bericht.

Eddy nickte und verließ hinter seinem jungen Kollegen den Raum.

Kurze Zeit später betrat Krieger schweren Herzens sein Büro. Dort warteten bereits Lenas Eltern. Die beiden waren vermutlich so um die sechzig Jahre alt. Eddy konnte sich nicht so recht mit dem Gedanken anfreunden, dass sie wegen ihrer zehnjährigen Tochter gekommen waren. Ein junger Mann begleitete das Ehepaar. Er stellte sich als Christofer Kosta vor und war Lenas jüngerer Bruder. Eddy setzte sich an seinen Schreibtisch und legte sich seine Worte sorgfältig zurecht.

»Wie Sie wissen, haben wir ihre verschwundene Tochter gefunden«, begann er mit belegter Stimme. Er räusperte sich mehrmals.

Herr Kosta nickte. »Wir haben nicht mehr daran geglaubt, jemals zu erfahren, was mit ihr geschehen ist. Nun haben wir wenigstens Gewissheit und dürfen endlich um sie trauern.«

»Können Sie sich noch erinnern, was damals passiert ist?«, fragte Eddy.

»Wir wollten sie von der Schule abholen«, erzählte Herr Kosta bereitwillig. »Doch sie kam nicht aus dem Schulgebäude. Wir haben alles nach ihr abgesucht und mit ihrer Lehrerin gesprochen. Lena war in der vierten Klasse. Sie hatte gute Noten und war ein so fröhliches Kind.« Er senkte den Blick und starrte bekümmert auf seine zitternden Hände. »Es stellte sich heraus, dass Lena an diesem Tag gar nicht im Unterricht gewesen war. Sie war an diesem Morgen nicht in der Schule angekommen. Wir haben dann die Polizei gerufen, und die haben versucht, uns zu beruhigen. Ein zehnjähriges Mädchen könnte auch mal die Schule schwänzen. Wir wussten gleich, dass sie entführt worden war. Sie hätte niemals die Schule geschwänzt. Sie war ein Engel.« Er putzte sich die Nase und wischte mit dem Taschentuch über seine nassen Augen.

Eddy notierte sich die Informationen und versuchte die schlechten Gefühle, die ihm die Kehle zuschnürten, von sich zu schieben. Es gelang ihm kaum. Bei dem Gedanken daran, einer seiner beiden Söhne könnte verschwinden, drehte sich ihm der Magen um.

»Wann war das genau?«, fuhr er fort, um die Befragung schnell hinter sich zu bringen.

»Am 06. März 1989«, antwortete Herr Kosta. »Ich werde dieses Datum niemals vergessen.«

»Welche Schule hat sie besucht?« Eddy wischte sich den Schweiß von der Stirn.

»Die Vogelsang-Grundschule. Dort, wo sie auch wieder gefunden wurde.« Herr Kosta schüttelte den Kopf.

Die verschwundenen Mädchen kamen Eddy in den Sinn. Eines stammte aus Stuttgart, das andere aus Freiburg. Würden sie Lenas und Melissas Schicksal teilen? Vermutlich war Lena am 13. März 1989 getötet worden, vorausgesetzt die Ziffern auf dem Totenkopf waren ihr Todestag. Eine Woche, nachdem sie entführt worden war. Sollte der Killer sich an seine alten Gewohnheiten halten, blieben nur noch wenige Tage, um die Mädchen lebend zu finden.

»Wie ist sie gestorben?«, riss Frau Kosta ihn aus seinen Gedanken.

»Tut mir leid,«, entgegnete Eddy, »aber das können wir nicht mehr genau feststellen.« Aber er konnte es sich denken. Wahrscheinlich war ihr das Herz entfernt worden. Ob es ihr auch herausgerissen worden war? Wollte er das überhaupt wissen?

»Sie hatte ein goldenes Kreuz bei sich, haben Sie das schon mal gesehen?« Eddy öffnete die Akte und legte ein Foto auf den Tisch. Alle schüttelten den Kopf.

»Aber sie wurde umgebracht«, stellte Frau Kosta fest. »Wissen Sie wenigstens, wer es getan hat?«

Eddy schüttelte den Kopf. »Noch nicht, leider.«

Die ältere Dame furchte die Stirn und blickte ihn herausfordernd an. »Wissen Sie, wie es sich anfühlt, ein Kind zu verlieren? Können Sie sich vorstellen, was wir durchgemacht haben?«

»Nein, das kann ich nicht.« Und er wollte es auch gar nicht herausfinden.

»Sehen Sie zu, Kommissar Krieger, dass Sie dieses Schwein finden. Und ich bedaure es zutiefst, dass es bei uns keine Todesstrafe gibt.« Sie erhob sich und verließ den Raum.

Eddy blickte ihr nach und konnte gut verstehen, dass sie Rache wollte. Ihm würde es vermutlich ähnlich ergehen. Kurz beherrschte eine beklemmende Stille den Raum, ehe Christofer Kosta das Schweigen brach. »Können wir Lena sehen?«

»Ich glaube, das ist keine gute Idee«, sagte Eddy.

Doch der Vater und der Bruder bestanden darauf. Ihnen war es wichtig, sich von Lena zu verabschieden, oder von dem, was noch von ihr übrig war.

 

24

 

Moritz langweilte sich im Landesmuseum zu Tode, so kam es mir zumindest vor. Ganz egal, was wir anschauten, er verdrehte genervt die Augen. Nicht einmal das riesige Skelett eines Mammuts konnte ihn faszinieren. Vermutlich hatte er es schon häufig genug gesehen. Mir gefiel es immer noch.

Im Untergeschoss schlenderten wir an unzähligen Wandbehängen vorüber, blickten in frisch geputzte Glasvitrinen, gingen wieder zurück. Ich hielt Ausschau nach jemandem, der eine Ahnung von Geschichte und Kunstgegenständen hatte, allerdings ohne Erfolg.

»Wie lange willst du noch hier bleiben?«, fragte Moritz mich schon zum zehnten Mal. »Hier ist es stinklangweilig.«

»Keine Ahnung.«

Ich drängte mich an den Schaukästen vorbei, mittlerweile hatte der Ausstellungsraum sich mit Besuchern gefüllt.

»Paps?«, rief Moritz mir von der anderen Seite des Raumes zu. »Schau mal. Das ist ja cool.«

Ich ging zu ihm und betrachtete die Gegenstände in der Glasvitrine, die nicht cool, sondern abartig waren. Obwohl ich mir eingestehen musste, dass diese ausgestellten Messer auch mich sehr faszinierten. Einige Klingen waren vorne nach innen gebogen, sahen fast aus wie Sicheln, nur nicht ganz so rund. Andere Klingen waren gezackt oder stumpf. Und ein Messer erregte meine ganze Aufmerksamkeit. Es lag ganz links hinten in der Ecke und hatte große Ähnlichkeit mit dem Schlangenmesser.

Nur zierte dieses keine Schlange, sondern ein Drachen, dessen rubinrote Augen mir hypnotisierend entgegenstarrten. Im Griff war allerdings nichts eingraviert, kein Vogelkopf, kein Pentagramm, nur die schwarzen Edelsteine zierten den goldenen Schaft.

»Das sind angeblich Werkzeuge, die in den versteckten Gewölben einer alten Burg im nördlichen Baden-Württemberg erst vor wenigen Monaten gefunden wurden«, sagte ein älterer Mann neben mir.

Moritz sah ihn mit großen Augen an und trat zur Seite. Ich horchte auf. Eine Burg im nördlichen Baden-Württemberg? Ob das die Burg war, die ich suchte?

»In welcher Burg wurden die Sachen denn gefunden? Nicht zufällig in einer sehr zerfallenen Ruine auf einem schroffen Felsen?«, hakte ich nach.

Der Mann schüttelte den Kopf. »Nein, junger Mann, diese Burg war noch sehr intakt. Keinesfalls eine sehr zerfallene Ruine. Man hat nur in den Gewölben, tief unter der Erde, diese Artefakte ausgegraben. Auf einem Felsen steht die Burg auch nicht. Nein, warum fragen Sie?«

»Nur so«, erwiderte ich. »Erzählen Sie mir doch etwas über diese Dinge, die sind sehr interessant.«

Der Mann schien sehr erfreut und wurde sofort redselig. »Nun, ich habe noch keine Beweise, suche sie aber schon mein ganzes Leben lang. Ich bin Geschichtsprofessor und schrecklich neugierig«, lachte er. »Nein, im Ernst, es gibt da uralte Überlieferungen, die alle nicht bewiesen und deshalb auch keinen Pfifferling wert sind.«

Der Professor war groß und kräftig gebaut, hatte beinahe weißes Haar und eine runde Brille auf der Nase. Seine Kleidung war grau in grau, aber seine Backen waren rot, und seine Augen glänzten vor Abenteuerlust. Auf seinen Lippen lag ein belustigtes Schmunzeln. Er musterte mich ganz genau, vor allem meine Augen. Das machte mich irgendwie nervös, ich wandte den Blick ab.

»Darf ich Ihnen etwas zeigen?« Ich zog das Foto des Schlangenkreuzes aus meiner Jacke und reichte es ihm.

Das Schmunzeln verschwand schlagartig aus seinem Gesicht. »Woher haben Sie das?«

»Das ist mein Geheimnis. Haben Sie so etwas schon mal gesehen?« Ich sah, wie Moritz uns beobachtete. Er schien sehr interessiert an unserem Gespräch.

Der Professor nickte und senkte die Stimme. »Als Zeichnung in einem Buch über alte Legenden. Gibt es das auch in echt?«

Ich nickte. »Ganz sicher. Und ich habe noch etwas, das Sie interessieren könnte.«

Beim Anblick des Messers schienen die Augen des Professors noch mehr zu leuchten. »Meine Güte. Das sieht ja aus, wie dieses.« Er deutete auf das Messer im Glaskasten.

»Genau, und dieses Messer gibt es definitiv in echt. Ich hatte es in der Hand.«

»Kann ich die Bilder haben?« Gierig streckte der Alte die Hand nach den Fotos aus.

Ich zog sie weg. »Das geht nicht.« Die Fotografien verschwanden wieder in meiner Jackentasche. »Erzählen Sie mir etwas über dieses Messer.« Ich zeigte auf das mit dem Drachenkopf.

»Das geht nicht«, konterte der Professor grinsend. »Erzählen Sie mir etwas über dieses Kreuz.«

Ich kniff die Augen zusammen. »Wir treffen eine Abmachung. Sollte ich dieses Kreuz finden, werde ich Sie als Ersten informieren.«

»Sie wissen, wo es ist?«

»Nein, noch nicht, aber ich suche danach. Und jetzt erzählen Sie mir etwas über dieses Messer.« Ich verschränkte die Arme vor der Brust und sah den alten Mann eindringlich an.

»Sie sind ganz schön hartnäckig, junger Mann. Kann man Ihnen trauen?«

»Kann man Ihnen trauen?«, sagte ich.

Der Professor wurde mir immer sympathischer. Wir hatten dieselbe Wellenlänge. Ich fasste in die Innentasche meiner Jacke und zog meine Brieftasche heraus. Darin fand ich eine meiner Visitenkarten, die ich ihm reichte.

»Fotograf und Künstler? Was hat ein Fotograf mit Kunst zu tun?«, feixte der Professor und lachte. Seine rosigen Wangen hüpften auf und ab.

»Nicht sehr viel.« Ich grinste.

»Also gut, Nick Holsten«, sagte er. Leiser fuhr er fort: »Dieses Messer wurde bei geheimen Zeremonien benutzt. Damit wurde den Geopferten angeblich das Herz herausgeschnitten, nachdem sie tot waren. So glaube ich zu wissen.«

»Das glauben Sie zu wissen«, wiederholte ich. »Werkzeuge der Jagd?«, las ich laut von einem Schild ab.

»Ja, es kommt immer darauf an, was man unter Jagd versteht.« Der alte Mann wandte sich zum Gehen.

Ich hielt ihn zurück. »Sie haben mir noch nicht Ihren Namen verraten?«

»Mein Name ist Helsing. Man kennt mich hier, ich bin der Leiter des Museums. Wenn Sie sich über Kunst oder so unterhalten möchten, können sie gerne mal vorbeikommen.« Er blickte auf meine Augen, anschließend auf Moritz, runzelte die Stirn und ging davon.

Ein außergewöhnlicher Mann, dachte ich mir.

»Das war spannend«, sagte Moritz voller Tatendrang. »Es ist gar nicht so langweilig im Museum.«

Ich nickte und warf einen letzten Blick auf das Messer im Glaskasten. Dann verließen wir das Museum.

***

Die Wiesen im Schlosspark leuchteten trotz des einziehenden Herbstes noch immer in einem satten Grün. Das »Neue Schloss« im Zentrum Stuttgarts beeindruckte im Glanz der Sonne unzählige Touristen. Der Engel auf der sogenannten Friedenssäule ragte weit auf in den blauen Himmel. Immer blickte ich zu der imposanten Statue auf, wenn ich auf einer der Bänke im Park saß. Seltsamerweise fand ich hier normalerweise die nötige Ruhe, wenn ich innerlich aufgewühlt war. An diesem Tag jedoch nicht.

Moritz saß neben mir auf der Bank und lutschte ein Eis. In meinem Kopf wirbelten die Gedanken durcheinander. Die Geschichten des Professors über das Messer und das Kreuz erinnerten mich an mein eigenes Schicksal. Eine Burg im nördlichen Baden-Württemberg. Aber wo lag diese Ruine, die ich immer wieder vor mir sah? Ob unter ihr diese düsteren Gänge lagen?

Der Refrain von Runaway riss mich aus meinen Gedanken. Auf dem Display des Handys erkannte ich Katharinas Nummer.

»Ja«, meldete ich mich.

»Ich bin‘s«, sagte Kati mit einem sehr energischen Unterton in der Stimme.

»Schön, dass du dich mal meldest. Soll ich Moritz heimbringen?«, fragte ich. »Ist dein neuer Freund auch da?«

»Ja, er ist auch da. Warum?«

»Wir sollten da was besprechen«, sagte ich.

Sie wechselte das Thema. »Geht es Moritz gut? Kaum war ich zu Hause, habe ich erfahren, dass es gestern einen Zwischenfall auf dem Bolzplatz gab. Steffen Meiers wurde beinahe getötet?«

»Ja. Leider«, sagte ich. »Er wird aber wieder gesund. Hab ich gehört.«

»Und mit dir und Moritz ist alles in Ordnung? Euch ist nichts passiert?«

»Uns geht’s gut. Wir kommen dann demnächst.« Ich beendete das Gespräch.

»Wollen wir?«, fragte ich Moritz.

Wir standen auf und gingen zum Parkhaus, wo mein Volvo parkte.

»Kann ich nicht doch bei dir wohnen?«, fragte Moritz. Er wirkte sehr niedergeschlagen.

 

Ich schüttelte den Kopf. »Tut mir leid, aber ich kann nicht für dich sorgen.«

Er sah mich an. »Wie meinst du das?«

Wie sollte ich ihm das erklären? Ich beugte mich zu ihm hinunter, damit ich ihm in die Augen sehen konnte. »Ich komme doch mir mir selbst nicht so richtig klar. Du weißt warum, oder?«

»Nein, weiß ich nicht. Warum?«

»Hat mit meiner Vergangenheit zu tun. Wir haben doch schon darüber geredet.« Nun, zumindest hatte ich Moritz gegenüber mal etwas erwähnt.

»Du meinst die Sache mit deinem Filmriss?«

»So könnte man das auch ausdrücken.« Ich besann mich einen Moment. »Außerdem muss ich für ein paar Tage weg und weiß nicht, wann ich wiederkomme. Es ist wichtig.«

»Wichtiger als ich?«

»Nein, natürlich nicht. Aber es ist auch wichtig.« Ich mühte mich zu einem Lächeln. »Ich werde dir davon erzählen, wenn ich zurück bin, okay? Aber jetzt muss ich dich nach Hause bringen.«

Als wir Katharinas Wohnung erreichten, wartete sie bereits ungeduldig an der Tür. Moritz verschwand ohne Worte grimmig in seinem Zimmer.

»Kann ich reinkommen?«, fragte ich. »Ich muss mit dir reden.«

Sie bat mich in die Küche. Im Vorbeigehen warf ich einen Blick ins Wohnzimmer. Auf dem Sofa saß ein gepflegter Mann, den ich auf vierzig Jahre schätzte, eher etwas älter.

»Hast du Ärger?«, fragte Katharina. Sie verschränkte ihre Arme vor der Brust, nachdem sie die Küchentür von innen geschlossen hatte. »Warum hast du mir das nicht gesagt, bevor ich dir meinen Sohn anvertraue?«

»Unseren Sohn! Außerdem hatte ich keine Gelegenheit, dir davon zu erzählen. Du hast mir ja nicht einmal die Chance gegeben.«

»Dann gibst du mir jetzt die Schuld dafür?« Tiefe Falten bildeten sich auf ihrer Stirn.

»Natürlich nicht.« Ich seufzte. »Die Kerle hatten es auf mich abgesehen, Steffen wollte mir nur helfen, was keine gute Idee war.« Ich schauderte bei dem Gedanken an all das Blut auf ihm, auf mir.

»Und was wollten die Kerle von dir?«, fragte sie besorgt.

»Ich habe da ein Problem, das ich aus der Welt schaffen muss. Meine Vergangenheit scheint mich einzuholen.«

»Deine Vergangenheit? Hast du etwas herausgefunden?«

»Ja, einiges.« Ich dachte kurz nach und wechselte das Thema. »Und da ist noch etwas, das mir nicht gefällt. Moritz hat mir erzählt, dass dein neuer Freund ihn geschlagen hat.«

»Das ist doch Quatsch. Mo ist nur eifersüchtig und in der Pubertät«, verteidigte Katharina ihren Lover. »Michael würde so etwas niemals tun.«

»Und Moritz würde mich nicht anlügen. Es ist ein Verbrechen, Kinder zu verprügeln.«

Die Tür ging auf, Michael streckte seinen Kopf herein. »Ist hier alles in Ordnung?« Er sah mich herablassend an.

In mir begann die Wut zu kochen.

»Alles bestens«, erwiderte Katharina. »Nur ein Missverständnis.«

Ein Missverständnis? Was war los mit ihr? War sie so blind?

»Haben Sie Moritz geschlagen?«, fragte ich an Michael gewandt.

»Was geht Sie das an?«, erwiderte er.

Mir gefiel seine Art nicht. »Was mich das angeht? Ich bin sein Vater.«

Ich sah wohl sehr zornig aus, als ich Michael entgegentrat. Zumindest wich er einen Schritt zurück.

»Der Junge hat eine blühende Fantasie, er lügt.« Michael zuckte die Achseln und grinste.

Und mir platzte der Kragen. Ich stürzte mich auf ihn, schubste ihn gegen die Wand. Ein Bilderrahmen fiel klirrend zu Boden. Michael riss entsetzt die Augen auf.

»Ich warne dich, Freundchen, wenn du meinem Sohn noch ein weiteres Haar krümmst oder ihn in sein Zimmer sperrst, bekommst du es mit mir zu tun.« Ich ballte meine Hand zur Faust. Sicher hätte ich sie auch benutzt, wenn Katharina nicht meinen Arm gepackt hätte und damit vor einer großen Dummheit bewahrte.

»Was ist denn hier los?«, hörte ich Moritz‘ Stimme. »Ach, es geht wohl um mich. Erzähl’s ruhig, wie du mich gepackt und eingesperrt hast, du …« Das Schimpfwort sparte er sich.

»Du hast ihn eingesperrt?«, fragte Katharina und starrte Michael fassungslos an.

Ich trat einige Schritte zurück und sammelte mich erst einmal.

»Okay, ich habe einen Fehler gemacht, aber er hat mich beleidigt«, gab Michael nun zu. Irgendwie kam er mir ziemlich jämmerlich vor. »Es tut mir leid, es wird nicht wieder vorkommen.«

»Genau, es wird nicht wieder vorkommen, weil es mit uns vorbei ist«, sagte Katharina erstaunlich ruhig. »Verlass‘ sofort meine Wohnung.«

»Aber …«, widersprach Michael.

Ich erhob erneut die Faust. Michael kuschte und verließ fluchtartig die Wohnung. Die Tür fiel mit einem lauten Krachen ins Schloss.

»Was für ein Widerling«, stellte ich fest.

»Sag ich doch«, erwiderte Moritz. »Danke.«

Katharina schluchzte. »Wie konnte ich nur so dumm sein?«

Ich ging zu ihr und nahm sie in den Arm. »Du musst deinem Sohn vertrauen, nicht den anderen. Und du solltest deinen Männergeschmack neu überdenken.«

»Ja, du hast recht. Aber warum bist du so ausgerastet? So kenne ich dich überhaupt nicht.« Eine letzte Träne rollte über ihre Wange. Ich wischte sie fort.

»Es ist nicht in Ordnung, wenn ein Erwachsener einem Kind wehtut. Ich habe es am eigenen Leib erfahren«, flüsterte ich.

»Ist das dein Ernst?«, fragte sie.

»Ja. Ich werde nach Freiburg fahren. Dort habe ich früher wohl gelebt. Vielleicht finde ich dort noch mehr über mich heraus.«

»Und die Männer, die hinter dir her sind?«, fragte sie leise. »Was wollen die?«

»Das kann ich dir im Moment nicht sagen.« Ich wandte mich an Moritz. »Ich bin in ein paar Tagen zurück, okay? Und sei vorsichtig.«

»Ja, du aber auch.«

Ich nickte und verließ die Wohnung.

 

25

 

Als ich nach Hause kam, saß Eddy in dem einzigen Sessel, der in meinem Wohnzimmer stand. Das überraschte mich nicht einmal. Er hatte einen Schlüssel und keine Hemmungen, immer wieder unangemeldet in mein Leben zu platzen.

»Hast du dich selbst reingelassen?«, fragte ich und ließ mich erschöpft aufs Sofa fallen.

»Ich wollte nicht draußen warten, dein Handy ist wieder mal nicht an«, erklärte er. Seine Stimme klang belegt, er räusperte sich. »Hör zu. Ich weiß nicht, wie lange ich die Informationen von dir noch zurückhalten kann. Bei uns in der Mordkommission ist die Hölle los.«

Ich zog die Augenbrauen zusammen und sah ihn finster an. »Das hätte ich mir eigentlich denken können.« Soviel zum Thema Vertrauen. Dabei war mir schon klar, dass Eddy keine Wahl hatte.

»Wenn herauskommt, dass ich Infos zurückhalte«, erklärte Eddy, »kann ich mir erstens einen neuen Job suchen, und zweitens kriege ich eine Klage an den Hals. Es geht hier um so viel mehr, als nur um dich, Nick.«

Das wusste ich, mir gefiel aber nicht, was Eddy vorhatte.

»Ich habe das Foto des toten Mädchens vergangene Nacht von deinem Laptop gezogen«, erklärte er mir. »Solange du unten an der Tür warst.«

Ich verkniff mir einen Kommentar.

Eddy fuhr fort. »Wir müssen das analysieren, vielleicht gibt es uns einen Hinweis darauf, wo der Mord stattgefunden hat.«

Erwartete er auch noch meine Zustimmung? Ich sah ihn nur an.

»Ich muss meinem Chef das alles sagen. Aber ich werde ihm nicht erzählen, woher ich die ganzen Informationen habe, okay?«

Mir war nicht nach Reden. Die Geister meiner Vergangenheit trieben ihr Unwesen in meinem Kopf. Ich wollte nur noch meine Ruhe haben.

»Nick? Hörst du mir eigentlich zu?«, fragte Eddy.

»Ja, ich höre dir zu«, murmelte ich. »Tu, was du nicht lassen kannst, aber erwarte nicht, dass ich mich darüber freue. Wenn Alex oder mir etwas zustößt, bist du dafür verantwortlich.«

Eddy hob die Augenbrauen, öffnete den Mund und schloss ihn wieder. Er erhob sich aus dem Sessel und sah auf mich herab. »Ich werde mein Möglichstes tun, die Sache aufzuklären, ohne, dass auch nur eine kleine Information nach außen dringt.«

»Gut.« Ich wollte und konnte meine Enttäuschung nicht verbergen. »Falls du mich suchen solltest, ich fahre morgen nach Freiburg.«

»Freiburg? Wenn’s dir hilft, warum nicht. Glaub mir, Nick, es tut mir wirklich leid.« Eddy wandte sich zum Gehen.

»Ja, mir auch.«

Er blickte mich an und verschwand dann die Treppe hinunter. Kurz darauf fiel die Tür zu. Die Stille, die mich umgab, war kaum zu ertragen. Ich wünschte mir, Alex wäre bei mir, sonst nichts. Dabei kannte ich sie doch kaum. Noch nie zuvor hatte ich einen Menschen so sehr vermisst wie sie. Ich fühlte mich leer, ausgepumpt und verloren. Wäre ich in diesem Moment nicht so entsetzlich müde gewesen, hätte ich mich in mein Auto gesetzt und wäre auf der Stelle nach Freiburg gefahren.

Ich schleppte mich ins Schlafzimmer, schlüpfte aus Jeans und Shirt und legte mich ins Bett. Am Laken nahm ich Alex‘ Geruch war. Ich schloss die Augen und fühlte die Leidenschaft in mir, und da war noch etwas anderes. War es Liebe? Ein völlig fremdes Gefühl, das mein Herz erfüllte. Mit diesem Gedanken schlief ich ein …

***

… und erwachte in meinem düsteren Verlies. Ich saß auf dem kalten Steinboden. Meine Hände waren mit einem Strick zusammengebunden, der meine Handgelenke wund scheuerte. Mit den Zähnen riss ich an den Fesseln, um sie loszuwerden. Sie lockerten sich, meine Hände waren frei.

Ich stand auf und warf mich mit meinem vollen Gewicht gegen die Tür der Zelle. Sie gab keinen Millimeter nach, ich war definitiv nicht stark genug. Meine Finger glitten über den rauen Stein, die Felswände entlang. Auf Augenhöhe fand ich einen Spalt im Mauerwerk. Ich erinnerte mich an mein Versteck. Dort bewahrte ich meine wichtigsten Sachen auf. Malblock, Stifte und ein metallischer Gegenstand. Ein Schlüssel! Er passte in das Schloss der Tür. Ich öffnete es und legte den Schlüssel zurück in mein geheimes Fach. Sorgfältig verschloss ich das Versteck und drückte den losen Stein fest in die Mauer. Ich verließ die Zelle.

An der Wand gegenüber der Tür flackerte eine Fackel. Ich nahm sie in die Hand, wandte mich nach links und setzte einen Fuß vor den anderen. Immer wieder musste ich nachdenken, wo ich lang gehen musste. In diesem Labyrinth konnte man sich schnell verlaufen. Ich gelangte in einen hell erleuchteten Raum. Auch hier brannten Fackeln an felsigen Wänden. Im Raum verteilt standen riesige Kerzenständer mit züngelnden Flammen. Dazwischen erkannte ich einen Altar. Auf diesem lag ein Mädchen mit hellbraunen Locken. Ihre Augen waren geschlossen, aber ich wusste, dass sie braun waren. Neben ihr lag ein Buch mit goldroten Symbolen auf dem schwarzen Einband. Auf der nackten Brust des Mädchens sah ich ein goldenes Kreuz mit einem Pentagramm in der Mitte. Die schwarze Schlange wand sich um das Metall. In ihrem Kopf sah ich glühende Augen. Sie starrten mich an.

Ich sah, wie sich ein großer Mann über das Mädchen beugte. Mein Atem wurde lauter. Offenbar hörte er mich. Er wirbelte herum. In der Hand hielt er ein goldenes Messer mit langer, verzierter Klinge. Hellblaue Augen blitzten mich aus seinem verschwommenen Gesicht wütend an. Blitzschnell sprang er auf mich zu. Er hob das Messer weit über seinen Kopf und dann …

***

… riss ich in meinem Bett die Augen auf. Mit einem Ruck setzte ich mich auf. Mein Atem ging hektisch, mein Herz hämmerte gegen meinen Brustkorb. Ich fürchtete, es könnte explodieren. Über meinen nackten Oberkörper rannen Schweißtropfen. Ich sprang aus dem Bett, hastete ins Badezimmer und nahm erst mal eine Dusche. Selten hatte ich mich so miserabel gefühlt. Nur langsam kamen meine Vitalfunktionen zur Ruhe und drehte den Wasserhahn zu.

Nach einer schnellen Tasse Kaffee packte ich mein Reisetasche und verließ die Wohnung. Die Uhr zeigte erst sechs Uhr am Morgen, als ich mich in meinen Wagen setzte und in Richtung Freiburg fuhr.

 

26

 

Es war Montagmorgen, somit eine neue Woche angebrochen, und noch immer tappte die Kripo im Dunkeln. Weder gab es neue Spuren zur Herkunft der Skelette noch Hinweise zu Bachmanns Ermordung. Eddy war drauf und dran, alle Informationen, die er von Nick bekommen hatte, offiziell bekannt zu geben. Noch hielt er sie unter Verschluss. Nicks mahnende Worte geisterten durch seinen Kopf. Das schlechte Gewissen plagte ihn, und er konnte nichts dagegen tun.

Solange der Computer nach vermissten Personen suchte, starrte Eddy auf das Foto der kleinen Vanessa und fragte sich, wo sie gefangen gehalten wurde. Ein dunkles Gewölbe, mehr war auf dem Schnappschuss nicht zu erkennen. Ob das zweite Mädchen, Stefanie Huber aus Stuttgart, sich ebenfalls dort befand?

Das Programm beendete seine Suche, auf dem Bildschirm erschienen jede Menge Namen von Menschen, die zwischen 1980 und 1995 verschwunden waren. Eddy grenzte die Suche auf weibliche Personen von acht bis zwölf Jahren ein, und wählte die Mädchen nach Haar und Augenfarbe aus. Am Ende blieben noch dreiunddreißig übrig. Er verringerte den Zeitraum auf 1985 bis 1991. Fünfzehn Mädchen passten ins Muster. Alle waren zum Zeitpunkt ihres Verschwindens neun bis elf Jahre alt gewesen. Zwei der Mädchen hatten sie gefunden. Lena Kosta und Melissa Gruber. Das dritte Skelett blieb weiterhin namenlos. Eddy druckte die Namen aus und legte die Liste auf seinen Tisch.

Dann nahm er sich Marcs Phantombild vor und ließ es durch den Cyberspace laufen. Kein Treffer, gar nichts. Dieser Mann schien nicht zu existieren. Eddys Blick fiel auf einen Namen, den er auf einen Zettel geschrieben hatte: Nicolas Rabenstein. Den hatte er ja total vergessen. Er griff zum Telefon und wählte die Nummer des Präsidiums in Freiburg.

Am anderen Ende meldete sich Kommissar Greiner. Er war ein alter Freund von Eddys verstorbenem Vater. »Hallo, Hans. Krieger hier.«

»Eddy Krieger«, schallte Greiners klare Stimme durch den Lautsprecher an sein Ohr. »Lange nichts von dir gehört.«

»Ja, ist eine Weile her«, sagte Eddy. »Hör mal. Ich bin auf einen Namen gestoßen, als ich jemanden überprüft habe. Sagt dir der Name Nicolas Rabenstein etwas?«

»Nicolas Rabenstein sagst du? Ja, ich erinnere mich an diesen Namen. Aber er ist vor vielen Jahren gestorben.«

Details

Seiten
ISBN (ePUB)
9783739441276
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2019 (Januar)
Schlagworte
Erinnerung Serienkiller Thriller Rituale Tod Krimi vergessen Schicksal Liebe Ermittler Psychothriller

Autor

  • B. M. Ackermann (Autor:in)

B. M. Ackermann lebt mit Familie und zwei Schäferhunden in der Nähe von Stuttgart. Bereits im Teenageralter begann der Autor, sich Geschichten auszudenken und auf Papier zu bringen. Doch erst im Jahr 2013 wurde es ernst, und der erste Thriller "Der vergessene Tod" wurde veröffentlicht. Mit "Todesrauschen" erschien im Januar 2015 der zweite Thriller. Im Januar 2016 wurde "Die letzte Prüfung" mit Co-Autor Jay S. veröffentlicht.
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Titel: Der vergessene Tod / Todesrauschen