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Virtuelle Liebe

von Paul Riedel (Autor:in)
36 Seiten
Reihe: Tal der gebrochene Puppen, Band 1

Zusammenfassung

Kurze Geschichten sind eine tolle Option für Unterwegs und bieten einen optimalen Lesespass. Der Umweltminister wurde von einer gierigen Reporterin erwischt. Sein transsexueller Liebhaber aus Thailand droht seine Karriere zu beenden. Wer steckt hinter diesem Spiel? Wie kann man die Lage retten? Auch im katholischen Bayern sind nicht alle Liebesaffären christlich.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Vorwort

Die Welt verändert sich und Nostalgie kann unsere Sinne trüben.

Gefühlsenthaltsamkeit ist ein steigendes Problem, die durch unsere Technologie ausgelöst wird. Zum einen werden wir nach jeglichem Gefühlszeichen hungrig, andererseits wächst das Misstrauen.

Wie soll der Mensch in der Zukunft sein Leben gestalten?

Glaubt man den Kontaktportalen, wird man dort die so lange gesuchte Liebe treffen, jedoch würde man diese je treffen, wäre die Geschäftsgrundlage des Portals weg. Das steigende Angebot an unzufriedenen Liebesuchenden erhöht die Auswahl. Daraus erfolgt eine Bagatellisierung der Suchenden.

Die Prinzipien von Angebot und Nachfrage invadieren unsere Privatsphäre und verändern unseren Charakter.

In dieser kurzen Geschichte erlebt der Leser, wie Gutgläubigkeit und Naivität einen Menschen zerstören können.

Kann der Mensch intellektuell der Vereinnahmung durch größere Mächte widerstehen, oder sind wir bereits alle Opfer unseres technologisierten Geistes.



Virtuelle Liebe

Stille herrschte im Raum und die Sonne an diesem Sommertag war noch lange nicht bereit, sich zu zeigen. Weiße Wände stützten eine ebenso weiße Decke und unten wurden sie von einem Boden getragen, wo ein deprimierend grauer Teppich verlegt worden war. Die Bürotische waren fast wahllos im Raum verteilt, entsprechend der Empfehlung von modernen Innenarchitekten. Alle vier Männer im Raum blickten unsicher zum grauen Boden. Kein Handy klingelte und kaum ein Räuspern war im Nebenraum zu hören.

Auf dem Bildschirm des Fernsehens an der hinteren Wand fror das Bild ein, nachdem der Pausen­knopf gedrückt worden war. Eine Szene, die aus witzig gemeinten amerikanischen Soaps entnommen zu sein schien. Eine asiatische Frau, eine Reporterin, und aus verschiedenen Quellen schossen Lichtblitze auf beide. Der Gestank verbrannten Kaffees schwebte durch den Raum und unter dem Mantel des Schweigens, das dort herrschte, machte sich das schwere Aroma unangeneh­mer bemerkbar als sonst.

„Ich kann mir das nicht erklären“, heulte ein etwas voluminöser rothaariger Mann namens Angus. Er war ein erst knapp über vierzig Jahren alter Mann, sah aber wie sechzig aus. Seine Haare hatten sich bereits vor drei Jahren von seinem runden Haupt verabschiedet, nur an den Schläfen waren noch einige treue Exemplare von seiner früheren Mähne übriggeblieben und das darunterliegende Gesicht war faltig und rötlich. Unter den quälenden Umständen und dazu mit seiner weinerlichen Stimme ähnelte er einer Figur eines beliebigen antiken griechischen Theaterstücks. Sein Satz endete in einer sardonischen Grimasse und er kauerte sich in seinen Lederpolstersitz.

„Zu spät für deine Krokodiltränen, du Arsch“, Toshis Stimme klang leicht bedrohlich. Toshi lebte bereits seit seinem elften Lebensjahr in Deutschland und vor drei Jahren war er nach München gezogen und von seinem japanischen Ursprung war noch kaum etwas zu erkennen, außer den scharfkantigen Augen und dem bedrohlichen Blick eines zornigen Samurais.

„Ich habe nie mit einem virtuellen Jemand über mein privates Leben gesprochen.“ Angus blickte ins Leere und suchte nach etwas, was er eventuell übersehen hatte.

„Trotzdem, diese Reporterin kennt sogar Details deiner Liebespraktiken ebenso gut wie Details aus unserer Politik.“ Toshi schaltete die Espressomaschine aus und ging mit der Kanne aus dem Raum in Richtung der Küche, wo eine gewöhnliche Kaffeemaschine stand. Er war schlank und sah für einen Berater in seiner Position sehr zierlich aus, aber sein sehr entschiedener Gang verriet, dass er viel Durchsetzungsvermögen besaß. Er arbeitete seit fast fünfzehn Jahren in der Politik und verfügte über sehr gute Verbindungen zu allen Parteien und Politikern.

„Du wirst zurücktreten müssen. Kein Politiker kann sich nach einer solchen Blamage noch im Amt halten.“ Siegfried wurde meistens nur Siggi genannt und er war immer freundlich, aber an seiner Professionalität konnte keiner zweifeln. Er war immer zuversichtlich bei seinen Auftritten, und wie viele politische Berater wusste er sich bei Bedarf auch durchzusetzen. Viele Reporter wussten, dass Siggi zu widersprechen auch bedeuten konnte, bei der nächsten Pressekonferenz vergessen zu werden, oder schlimmer, auf einen unmöglichen Platz eingeladen zu werden. Die Lage, in die sie durch eine Enthüllung gebracht worden waren, war für alle Beteiligten fatal. Als Berater könnte er sich nur noch schnell aus dieser Affäre retten, indem er alles ordentlich abschließen und sich einen neuen Job suchen würde.

„Du bist nicht der erste Mann, der seinen Schwanz nicht in der Hose behält, aber du bist mindestens der erste, der sich in Thailand beim Sex mit drei Transvestiten fotografieren lässt und dann das Foto noch ins Internet postet.“ Siggi konnte kaum einen Lacher unterdrücken, als er zum Standbild im Fernsehmonitor blickte.

Das Büro war schlicht eingerichtet und bis auf einige nützliche Büromaterialen, die auf den Tischen lagen, waren nur zwei Kunstdrucke an der Wand zu sehen, die eine entfernte Ähnlichkeit mit Matisse hatten. Es war kein passendes Szenario für ein solches Drama. Angus war vor drei Jahren mit einem Freund im Urlaub in Thailand gewesen und hatte ihn seither nie wieder getroffen. Beide hatten sich über Anstand und Spaß so gestritten, dass Angus seinen Rückflug erst drei Tage später als geplant antrat. Er fand seinen moralischen Ausrutscher normal für einen Männerurlaub. Angus dachte, dass eventuell dieser Freund Kopien von den Fotos aus seiner Kamera gemacht hätte. Das war mehr als unwahrscheinlich, weil er die Kamera immer bei sich gehabt hatte.

Auch Angus‘ Frau hatte sicherlich niemals in seinen Sachen gewühlt und selbst wenn, sie war nicht imstande, ein E-Mail-Programm zu öffnen, daher wäre es purer Zufall gewesen, falls sie etwas gefunden hätte.

Das Standbild in Fernsehen hatte einige Diskretionsstreifen über Angus‘ Penis und den Penis des fünfzehnjährigen Naidong, einem der drei Transvestiten, der den Anschein erweckte, Angus von hinten befriedigen zu wollen, während Angus lachte und wie ein nackter dickbäuchiger Faun Naidong seinen Hintern entgegenreckte. Man konnte sich beim Ansehen dieses Fotos das Wort grotesk in verschiedenen Ausführungen vorstellen. Kein Bild für das Nachmittagsfernsehen, aber bestimmt ein Bild, das am nächsten Tag auf dem Titelblatt aller Skandalblätter der Stadt sein würde, falls sie nicht klug und schnell reagierten. Das war Angus sehr klar.

Angus selbst gab zu, dass das Bild etwas zu derb war. Damals im Urlaub hatte er es lustig gefunden, aber jetzt, einen Tag vor der Ankündigung einer wichtigen Gesetzesvorlage, kam ihm dieses Kunststück nicht mehr so lustig vor.

Das Ganze hatte sich wirklich so zugetragen, wie man es sich bei spätpubertären Männer im Urlaub vorstellt. Er war in seinem betrunkenen Zustand mit seinem Kumpel durch die Straßen von Koh Samui getorkelt. Kaum sehr weit gekommen, wurden beide alternde Herren von drei sehr hübschen Damen angesprochen. Wie es in Thailand in Urlaubsorten zu erwarten war, kamen die Damen mit in ihr Hotel. Bei Sekt und Bier zogen sich alle hemmungslos aus. Das Foto entstand, als sie dann nackt feststellten, dass es sich um Transvestiten handelten und nicht um Frauen. Angus fand die Verwechselung lustig und so entschied er sich, für dieses Foto zu posieren.

Kein Psychologe, keine Psychologin wird je verstehen, was manche Männer in solchen Momenten empfinden, und sie selbst wären auch nie in der Lage, die Situation zu erklären. Eine Mischung aus Scham, Naivität mit einem Übermaß an Alkohol setzte eine peinliche Marke im Leben schon vieler Männer und Frauen, so leider auch in Angus‘ Leben.

„Und du bist sicher, dass niemand dieses … Foto im Internet hat sehen können?“ Toshi war wieder mit der sauber gespülten Kaffeekanne ins Zimmer hineingestürmt. Die Pause vor dem Wort Foto gab einem klaren Hinweis auf seine Gefühle, welche meistens verborgen blieben.

Die Sendung lief weiter und ein achtzehnjähriger Thailänder erzählte, wie der deutsche Angus ihn geliebt und seine Reise nach Deutschland bezahlt hatte und dass er ihn bald darauf heiraten wollte. Sicher, einen Oscar würde der Transvestit für diese Vorstellung niemals bekommen.

„Er lügt!“, heulte Angus wieder und an der Echtheit seiner Tränen war nicht zu zweifeln. Er suchte nach Worten und wollte klarstellen, dass er nicht homosexuell sei, was seine Kollegen in diesem Moment gar nicht interessierte. Angus‘ Augen waren rot angelaufen und angeschwollen. Das war nicht das erste Mal, dass etwas Unerwartetes seine politische Karriere bedrohte, aber diesmal schien eine Lösung die Möglichkeiten seiner Assessoren zu übersteigen.

Der Beitrag endete mit einer lächelnden Reporterin mit einer scheußlichen roten Perücke, die „Zurück ins Studio!“ rief, und ein anschließendes herzzerreißendes Jaulen von Angus erfüllte den Raum.

Im Nebenraum kam bereits die erste Mitarbeiterin in den Empfangsbereich und sie schien die Eilmeldung, die per E-Mail in der letzten Nacht gekommen war, noch nicht mitbekommen zu haben.

„Angus, ich glaube, ich habe doch etwas auf deinem Computer gefunden.“ Marcus, der bisher kein Wort von sich gegeben hatte, brachte mit diesem Satz alle dazu zu schweigen. Alle anderen drei bewegten sich zum Monitor des Computers und sahen ein Chatprotokoll, auf dem das Foto an Jemina67 gezeigt wurde, wie sie ein Kuss-Emoticon zurücksendete.

Marcus war der Älteste in der Gruppe und das, was man eine treue Seele nennt. Er behielt mehr Geheimnisse der bayerischen Politik für sich, als man sich vorstellen kann. Er war seit über vierzig Jahren im Dienst verschiedener Politiker und sogar hochrangiger Militärs. Seit der Entstehung dieses Büros war er dabei und bereinigte alle Gerüchte, Fotos und unangenehmen Kommentare über seine Vorgesetzten aus dem Netz. Seien es Social-Media-Berichte, Kommentare oder Fotomontagen, er hielt mit seinen wachsamen Augen, die aktuell von einer Brille unterstützt wurden, seine Gegner immer wegen möglicher Angriffe im Blick.

„Marcus, wie konntest du das übersehen?“ Siggi, der dazu Pressesprecher und der immer Bestangezogene der Gruppe war, versuchte die Chronologie dieses Vorfall zu verstehen.

„Unser größter Feind ist Angus‘ dunkle Seite. Hätte er mir seine Geheimnisse erzählt, wüsste ich alle Peinlichkeiten rechtzeitig aus dem Weg zu räumen. Aber er behielt viele Sachen für sich.“ Ja, man konnte sagen, dass der ruhige Marcus diese Wörter durch die geschlossenen Zähne zischte. Er war etwas aufgebracht, da er sich niemals einen solchen Fehler erlauben würde.

„Wer ist Jemina67?“

Enttäuschung ist meistens nur ein kurzer Zustand und sie kann vergehen, doch Marcus schien auf Professionalität zu schalten und klimperte weiter auf seiner Tastatur und der Anflug seiner Gefühle schien mit einem Wischer seiner Hand über die Haare wie wegradiert.

„Sofort. Und ich will keine Märchen hören …“, Toshi zeigte etwas mehr Emotionen, als er Angus aufforderte, die Wahrheit zu sagen.

„Ich denke …“ Die Mitarbeiterin brachte eine Kanne Kaffee herein und nahm die alte leere Kanne mit. Sie schaltete die Klimaanlage an, die die Herren offensichtlich nicht kannten. Die Luft verbesserte sich langsam und die Wörter kamen aus Angus heraus.

„Ja, sie war ein Mädchen aus Idaho, mit der ich so etwa einmal pro Woche gechattet habe.“

„Wo und wann?“ Marcus klimperte.

„Das war nichts Bedeutendes, es war nur eine Frau auf einer Website.“ Angus‘ Beschwichtigung kam nicht gut an.

„Ich habe dich gebeten, alle Computeraktivitäten an diesem Computer und in deiner Wohnung zu erledigen, aber das Protokoll zeigt nur ein Ausschnitt von einem Chat bei My-Porn-Lady.info.“ Marcus rollte die Augen zur Decke und klatschte die Hände auf die Knie. „Du hast das gelöscht und mir nichts gesagt. Du darfst solche Seiten benutzen, aber nicht unter deinem Namen.“

„Habe ich nicht. Dort bin ich als Thorshammer bekannt. Ein Pseudonym. Kein Mensch kennt mich in Idaho und meinen Namen habe ich nie angegeben.“

„Das Foto wurde nicht hier hochgeladen und bei dir zu Hause prüfe ich auch täglich.“

„Das war an einem Wochenende bei meiner Schwester in Oberammergau. Ich war gelangweilt und wollte mich mit Jemina vergnügen. Etwas, was jeder Mann tut.“

„Nein, Angus, nicht jeder, und momentan wollen wir nur, dass du deine Schwester anrufst und sie bittest, auf einen Link in der E-Mail zu klicken, die ich ihr sende, und dann den Raum bitte zu verlassen. Verstanden?“

Angus nickte Markus zustimmend zu und bewegte sich zum Telefon. Er schlurfte anstatt zu gehen, scheinbar machte das in seinen Körper vorhandene Adrenalin seine Beine schwer.

„Eins weiß bestimmt jeder, dass Angus nicht besonders gebildet ist, weil, wenn er sich Thorshammer nannte, sollte er sich dann lieber Mjölnir nennen, das wäre wenigstens der richtige Name von Thors Hammer.“ Diese Bemerkung von Toshi fiel zwar beiläufig, aber sie gab klar zu verstehen, wie wenig er Angus‘ Verhalten und Person schätzte.

„Allein von einem Foto kann man einen Thailänder nicht ausfindig machen oder gar Angus‘ Namen vermuten. Er ist kein internationaler Politiker und seine Bedeutung ist noch mäßig.“ Siggy setzte die Gedankensplitter zusammen und schaltete seinen Bildschirm auf den Projektor und malte auf eine Plantafel einen Sticker mit dem Foto in der Mitte und verband dieses Icon mit einem Symbol, das Jemina67 repräsentieren sollte.

„Ich habe mich im Computer von Angus‘ Schwester eingeloggt. Angus hat tatsächlich seine Daten nach den Chat gelöscht, aber nicht ganz. Ich kann einige Dateien retten.“

Marcus klickte auf ein Icon und da war das Foto wieder zu sehen.

„Wie schaffst du das?“ Angus lenkte die Aufmerksamkeit vom Foto auf die Wunder der Technik, die Marcus vorführte. Das Foto verschwand in einem Löschprogramm und das altmodische Geräusch einer Papiervernichtungsmaschine war zu hören.

„Aber das, was es hier noch zu sehen gibt, kann ich nur zum Teil zeigen, weil das Streaming-Programm nur fünf Minuten des Gesprächs behält.“

Ein Video startete und darauf war Jemina in einer neuen Darstellung der nackten Venus in einem billigen Schlafzimmer zu sehen. Halb so elegant wie die echte Venus, befand sie sich in einem Hotelzimmer mit viel rotem Samt, bei dem man sogar ohne Hilfsmittel den Schimmel unter dem modernden Stoff riechen konnte. Während sie an einer Übungsstange zum Takt einer Techno­version eines Popklassikers ihre Beine hob, sprach sie mit einem harten Akzent.

Sie verlangte dabei, dass Angus zum Ende kam. Angus wirbelte nackt auf dem Gästebett seiner Schwester und fuchtelte mit seinen dicklichen Händen an seinem Unterleib herum. Marcus verdrängte seine Empfindungen ‒ darin hatte er mittlerweile viel Übung.

Plötzlich spielte er kurz zurück und hörte noch einmal, wie sie sagte: „Bin ich schöner als die Thais?“, und Angus stöhnte ein Finale wie ein Sterbender in einem Horrorfilm. Sie verabschiedete sich und das Kleinbild von Angus blendete in das Vollbild über.

„Schalte bitte den Scheiß ab“ Toshi versuchte seinen Stress zu vermindern, indem er mit Daumen und Zeigefinger der linken Hand über seine beiden Augen rieb.

„Angus hat mit einem Chat angefangen, aber das meiste lief als Videochat. Das Gespräch dauerte siebenunddreißig Minuten und ich nehme an, es wurde mit zehn Tokens bezahlt ‒ mit deiner persönlichen Kreditkarte. Den Betrag hast du als Spielgeld deklariert. So geht es wirklich nicht, Angus.“

Marcus zeigte auf ein Dokument auf dem Monitor, wo der Wert mit Angaben von Datum und Uhrzeit zu sehen war.

„Ja, aber diese Karte hat keinen echten Account und man kann mich und den Namen auf der Kreditkarte nicht in Zusammenhang bringen“, entschuldigte sich Angus.

„Toshi. Ich bereite eine Gegendarstellung vor, falls das wirklich ausgestrahlt wird, und ich bitte dich zu versuchen, mit Marcus die Quelle dieser Show ausfindig zu machen.“

„Jemina67 hat ihr Profil aus My-Porn-Lady bereits gelöscht. Aber ich habe auch festgestellt, dass die übertragenen Videos zu einer anderen Frau gehören, die anscheinend Spitfire heißt und die vor zehn Jahren im Internet eine Show gehabt hat, und was unser Angus gesehen hat, war nur eine Wieder­holung. Mann, kaufe dir nächstes Mal einen Porno!“

„Mach du deinen Job! Ich muss mich nicht erniedrigen lassen. Ich bin immer noch der Umwelt­minister.“

Alle drehten sich zurück zu ihrem Computer und ignorierten den um Aufmerksamkeit ringenden Angus, der hilfesuchend einen Ausweg aus dieser Situation suchte.

„Woher kennst du diese Website?“ Marcus wechselte vom Computer von Angus‘ Schwester zu dessen privatem Computer und loggte sich in seine verschiedenen Social-Media-Konten ein.

„Ach, das war ein Kumpel, mit dem ich mich seit über zwei Jahren in einer Gruppe unterhalte. Der hat nichts damit zu tun. Er hat mir mal anvertraut, dass er in einsamen Stunden das Portal besucht.“

„Du hast dich mit deinem Fake-Profil eingeloggt oder hast du den Fehler gemacht, dich auch mit dem privaten zu verbinden?“

„Nein. Niemals.“

Tatsächlich stellte Marcus fest, dass Angus sich an die Vorgaben gehalten hatte.

„Wer und wo war der Kontakt?“

Marcus tippte die Adresse, die Angus auf einem Zettel notiert hatte, in die Navigationsleiste ein.

„Wieder ein gelöschtes Profil. Jedoch kann ich noch etwas erahnen. Ich glaube Jemina67 war der gleiche Mann, der dir den Tipp gegeben hat.“ Als Marcus sich zu Angus drehte, spiegelten sich die Lichter der Deckenbeleuchtung in seinen dicken Gläsern. In diesem Moment bekam er für eine Sekunde das Gefühl, als wäre Marcus nicht real.

Der Vormittag verlief still und die vier Herren bereiteten den Kampf vor: eine Pressekonferenz, Pressemitteilungen wurden gesendet und Termine mit einigen Unterstützern wurden ausgemacht.

Alle anderen Mitarbeiter wimmelte die fleißige Anne an der Tür ab und sie bekamen einen freien Tag.

Noch war alles geheim.


Kurz vor Mittag kamen sie wieder zusammen und Marcus trug seine Ergebnisse vor.

„Ich komme mit meinen Recherchen vier Jahre zurück und wie es bisher scheint, hat Angus mit verschiedenen virtuellen Personen mal hier, mal dort Hinweise auf seine politischen Ideen ausgetauscht. Dafür nutzte er seinen Politiker-Account. Diese habe ich verwaltet und es schien bisher alles geregelt zu sein. Die meisten Kontakte habe ich beantwortet und die kritischen Aussagen hat Toshi geprüft.

Aber Angus hat uns nicht wie vereinbart in sein privates Leben eingewiesen.

Angus, wir haben immer gesagt, dass es zwischen uns keine Geheimnisse geben dürfe.“ Marcus zeigte dabei seine Enttäuschung über Angus‘ Verhalten.

„Ich habe die Daten von Marcus in einem Chart zusammengetragen.“ Siggy schaltete den Projektor und es erschien ein sehr buntes Bild.

„Es ist klar, Jemina67 hat nie existiert.“ Angus kauerte sich zusammen und schnaubte herum.

„Aus den IP-Adressen von Jemina67 wird auch klar, dass sie nicht aus Idaho kam und offenbar war sie die gleiche Person, die Angus mit einem seiner privaten Fake-Profile kontaktiert hatte. Und zwar kam der Kontakt von Angus auf eine Anzeige hin zustande. Diese Anzeige wurde in seinem E-Mail-Account so platziert, dass er dachte, dass es sich um eine Werbeanzeige für Kontaktportale handelte. Aber Marcus ist der Überzeugung, dass Angus seit vier Jahren mit verschiedenen Fake-Profilen überwacht wird. Alle Profile auf diesem Chart sind in den letzten vierundzwanzig Stunden gelöscht worden.“

„Mit jeder diese Personen wurde unbeabsichtigt ein kleiner Teil des Umweltprogramms besprochen. Wir dachten, diese Aussagen haben keine Auswirkung, weil wir sie als Stimmungsbarometer genutzt haben. Wir wollten wissen, wie die Bevölkerung auf gewisse Statements reagiert.“ Siggy schwitzte trotz der laufenden Klimaanlage.

„Haben wir die Gefahr der Sozialen Medien vielleicht unterschätzt?“, warf Toshi nebenbei ein.

„Ich denke, zum Teil ja.“ Nach einem scharfen Blick in Angus‘ Richtung zog Siggy seine Jacke zurecht und setzte seinen Vortrag fort.

Details

Seiten
ISBN (ePUB)
9783739378879
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2017 (Februar)
Schlagworte
Intrige Politiker Queer Politik Thriller Computer Umweltminister Dating LGBT Gay Erzählungen Kurzgeschichten

Autor

  • Paul Riedel (Autor:in)

Deutsch brasilianischer Autor geboren im Jahr 1960 in der Großstadt Sao Paulo im Süden Brasiliens, schreibt seit 1996 kurze Geschichten, Sachbücher und Romane. Paul Riedel beendete seine erfolgreiche Karriere in der IT und Datenbanken im Jahr 2010 und seitdem widmet er sich seiner Kunst und sozialen Einsätzen. Seine Romane sind meistens im Bereich Thriller Mystery und seine Fantasie ist sehr vielfältig.
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Titel: Virtuelle Liebe