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Prinz Theo und der Elfenbeinturm

von Volker Friebel (Autor:in)
56 Seiten

Zusammenfassung

Prinz Theo lebt in einem Schloss und freut sich jeden Tag am Klang seiner Spieldose und am Rosengarten. Eines Tages stürmen die Schatten das Schloss und vertreiben seinen Vater, den König, und seine ganze Familie. Auch Prinz Theo flieht, begleitet nur von Hofmeister Grille. Zusammen machen sie sich auf die Suche nach dem Elfenbeinturm, um seine Familie wiederzutreffen oder ein neues, ein eigenes Königreich zu gewinnen … Mit zwölf Schwarz-Weiß-Illustrationen.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Flucht

 

Wie jeden Morgen erwacht Prinz Theo mit dem Läuten der Spieldose in seinem Himmelbett. Er lächelt und freut sich an ihrer hellen Melodie.

Aber etwas ist anders als sonst.

Auf seinem Nachttischchen hockt Hofmeister Grille und sieht ihn streng an. „Schnell aufgestanden, wir müssen fliehen“, schnarrt er und schlägt mit den Flügeln.

„Fliehen?“, wiederholt Prinz Theo und lächelt verwundert. Dieses Wort kennt er nicht.

„Hörst du das Poltern?“, schnarrt Hofmeister Grille. „Die Feinde des Königreichs stürmen das Schloss. Der König ist schon geflohen, die Königin folgt ihm mit deinen Schwestern.“

„Geflohen?“, fragt Prinz Theo erstaunt. „Mein Vater – geflohen? Wer sind die Feinde des Königreichs?“

„Das sind seine Schatten.“ Hofmeister Grille scharrt ungeduldig mit allen sechs Füßen. „Nicht länger gezögert, wir müssen los!“

„Wohin?“, ruft Prinz Theo.

„Zum Elfenbeinturm“, schnarrt Hofmeister Grille.

Prinz Theo öffnet eine Hand und streckt sie aus. Hofmeister Grille springt hinein und lässt sich im Brustbeutel des Prinzen verstauen.

Der dumpfe Laut von Äxten, die gegen alle Türen des Schlosses schlagen! Prinz Theo springt aus dem Himmelbett und zieht sich rasch an. Keine Zeit für ein Frühstück im Rosengarten! Keine Zeit für ein Lachen! Die Spieldose hat ihre Melodie lang schon beendet.

Prinz Theo verlässt sein Zimmer, hart fällt die Tür hinter ihm zu. In einer Wand des Gangs die verborgene Luke, im Dämmerlicht hastig Stufen hinunter: Durch den Geheimgang stürzt Prinz Theo weiter, immer weiter fort von zu Hause.

Im Buschwerk zwischen zwei Felsen verborgen der Ausgang. Prinz Theo spürt sein Herz pochen. Niemand zu sehen. Er biegt Zweige beiseite und tritt ins Freie. 

Prinz Theo schaut hinüber zum Schloss. Die Schatten holen gerade die goldene Fahne des Königs vom Turm und werfen sie vor die Mauern. Ihr wildes Geschrei hallt über Schloss und Land. Eine andere Fahne wird aufgezogen, ganz in Schwarz. Nun jubeln sie. 

Prinz Theo holt einmal tief Atem und wendet dann seinen Blick. Hinter den Wiesen beginnt der große Wald. Ein Weg führt hinein. 

Den Weg zu gehen ist einfach. Prinz Theo wiegt sich im Takt seiner Schritte. Er spürt, wie er ruhiger wird. Süße Lieder von Vögeln ringsum. Duft von Tannennadeln. Summen von Bienen. 

Wenn Prinz Theo an seine Flucht denkt, beschleunigt sein Herzschlag sich. Wenn er an seine Schwestern denkt – und an die Eltern, kommen ihm Tränen. 

Das Königreich ist klein, doch es hat viele Burgen und Türme. Vom Elfenbeinturm hat Prinz Theo noch niemals gehört. ‚Hofmeister Grille wird den Weg wissen‘, denkt er. 

Wird er die Lieben finden? Und dann? Was soll nur werden? Erwacht er morgen früh wieder im Himmelbett? Läutet dann wieder die Spieldose? Prinz Theo spürt etwas in sich, das ihm sagt: ‚Niemals mehr‘! 

Die Schritte zu gehen tut gut. 

 

Am Wald versperrt eine Schranke den Weg. Prinz Theo bleibt vor ihr stehen und kratzt sich hinter dem Ohr. 

Ein Gnom, der auf der Schranke sitzt, kratzt sich hinter dem seinen. „Durchgang verwehrt – Antwort begehrt“, brummt er und furzt. „Das ist die Straße zum Elfenbeinturm.“ 

Prinz Theo rümpft die Nase. 

„Muckel-Mäupchen“, grient der Gnom. 

„Huckel-Stäubchen“, Prinz Theo versucht sein Glück. 

„Duckel-Täubchen“, der Gnom lässt die Antwort nicht gelten. 

„Suckel-Schräubchen“, behauptet Prinz Theo. 

„Schuckel-Läubchen“, kontert der Gnom. 

„Nuckel-Säubchen“, setzt Prinz Theo nach. 

„Fuckel-Näubchen“, wehrt der Gnom ab. 

„Stuckel-Käubchen“, hilft Hofmeister Grille aus dem Brustbeutel aus. 

„Guckel-Gäubchen“, antwortet der Gnom mit letzter Kraft. 

„Ruckel-Räupchen“, rufen Prinz Theo und Hofmeister Grille zusammen. 

„In Würde verlieren – er darf passieren!“ Der Gnom plumpst von der Schranke, die sich ächzend auftut. Er tupft sich mit einem Taschentuch das schweißnasse Gesicht. 

Prinz Theo grüßt ihn freundlich. Auch Hofmeister Grille streckt sein Köpfchen aus dem Brustbeutel und grüßt. Dann lassen sie die Schranke hinter sich. 

 

„Was war denn das für ein Kerl?“, fragt Prinz Theo beim Gehen. 

„Das war einer der edlen Wächter des Waldes. Sein Volk diente schon deinen Ahnen“, schnarrt Hofmeister Grille aus dem Brustbeutel. 

„Und wenn einer ,Ruckel-Räupchen‘ sagt, lässt dieser Wächter ihn durch?“ 

„Vielleicht war es das Wort“, schnarrt Hofmeister Grille. „Vielleicht war es, wie du das Wort betont hast. Vielleicht war es deine Stimme – ob sie zittrig wurde oder fordernder oder unbewegt blieb. Vielleicht war es dein Geruch. Vielleicht war es, weil du nicht aufgabst, sondern dich immer weiter bemüht hast.“ 

Prinz Theo fängt an zu singen: „Jedenfalls sind wir durch, durch, durch!“ 

Aber die Heimat, das Schloss, ist erobert! 

Sie wandern hinein in die Tiefe des Waldes. 

 

 

Die Müllerskatze

 

Ihr Weg führt zwischen hohen Bäumen. Hofmeister Grille springt auf die Schulter des Prinzen und erklärt ihm die Welt.

„Was du da hörst, sind Vögel“, schnarrt er.

„Wir haben einen Vogel im Schloss gehabt, in einem Käfig“, sagt Prinz Theo. „Er sang auch manchmal.“

„Deshalb fingen die Menschen den Vogel und sperrten ihn ein“, schnarrt Hofmeister Grille. „Dass er für dich singt. Dass du ihm zuhören kannst und nicht selbst singen musst.“

„Ich singe aber gern selbst! Der Käfig war dem Vogel sein Haus, kein Gefängnis. Erwachsene sind so dumm“, sagt Prinz Theo.

„Kinder sind so dumm“, behauptet Hofmeister Grille, „sie wollen Erwachsene werden. – Was du da siehst, ist Wald“, setzt er fort.

Prinz Theo geht den Pfad zwischen Bäumen. Prinz Theo spürt, wie die Bäume zusammen etwas bilden, das mehr ist, als sie selbst. Das muss der Wald sein. Das muss das Spiel von Licht und Schatten sein und der weite Raum in diesem Spiel, durch den Käfer fliegen, den alles atmen kann.

Die Bäume bewegen sich leicht im Wind. Ihr Holz knackt. Sie machen eine Weite um sich, weiter noch als der Spiegelsaal des Schlosses. „Die Bäume könnten meine Freunde sein“, sagt Prinz Theo.

Hofmeister Grille erklärt ihm den Nutzen des Waldes für Möbel und Feuerholz. Er erklärt ihm, wie Holzfäller Bäume fällen. Er erzählt ihm von den Schwertransportern, die die Bäume zur Sägemühle bringen und wie die Sägemesser sie dort in Bretter zerteilen. Über die Möbelwerkstatt erzählt er und über die Läden mit Kinderspielzeug.

Prinz Theo hört halb zu, halb lauscht er den Stimmen des Waldes.

 

Der Pfad ist zum Weg geworden. Sie kommen an den Bach und die Mühle.

„Das ist keine Sägemühle“, nimmt Hofmeister Grille eine Frage von Prinz Theo auf, bevor der sie sprechen kann. „In dieser Mühle wurde früher das Korn von den Feldern gemahlen.“

Ein Mühlrad dreht sich. Prinz Theo ist stehen geblieben und schaut ihm zu.

Nach einer Weile bemerkt er, dass er selbst beobachtet wird. „Wer bist du?“, fragt er die Katze auf dem Steg übern Bach.

„Müller heiß ich, Wanderer“, schnurrt die Katze.

„Das ist Prinz Theo, nicht bloß ein Wanderer“, fährt Hofmeister Grille die Katze an. „Das ist kein Müller, bloß eine Müllerskatze“, schnarrt er dann ins Ohr des Prinzen.

„Wer wandert, ist ein Wandersmann“, schnurrt die Katze und setzt fort: „Der alte Müller lebt nun in der Stadt. Und ich lebe hier, so bin ich Müller geworden.“

„Und wer mahlt das Korn?“, fragt Hofmeister Grille. „Du vielleicht?“

Aber die Katze ist schon um die Ecke verschwunden.

 

Prinz Theo setzt sich auf eine Wurzel der alten Eiche an der Mühle. Hofmeister Grille springt auf seine offene Hand und sieht ihn an.

Eine Weile schweigen sie einfach. Prinz Theo denkt zurück an das Schloss und die Flucht. Er ertappt die eine oder andere Träne, die über seine Wangen strömt und zu Boden tropft. Prinzentränen. Hofmeister Grille seufzt tief.

„Heute beginnt ein anderes Leben“, schnarrt er dann. „Das Spielzimmer liegt hinter uns. Wir werden den König suchen, er muss unser Königreich zurück erobern.“

„Und wenn wir ihn nicht finden?“, fragt Prinz Theo. „Und wenn er erobern nicht kann?“, setzt er gleich dazu und denkt an das feine Gesicht seines Vaters.

„Dann suchen wir uns ein anderes Königreich“, schnarrt Hofmeister Grille.

Sie richten sich notdürftig ein Lager unter dem Baum und legen sich hin. Die Dämmerung hat eingesetzt.

Prinz Theo liegt lange noch wach. Er lauscht den Tieren des nächtlichen Waldes. Die nichts von ihm und dem Schloss und der Spieldose wissen. Die Glücklichen! Er betrachtet über sich all die Sterne.

 

Unterwegs durch den Wald

 

Am nächsten Morgen erwacht Prinz Theo erfrischt aus dem Traum. Er hat von der Spieldose geträumt. Sein Lächeln erlischt, als er statt seinem Zimmer im Schloss Bäume um sich sieht und die Mühle.

Hofmeister Grille sitzt im Gras und schaut ihn an.

„Ich hab von meiner Spieldose geträumt“, sagt Prinz Theo. „Ihr Lied war so schön! Ob ich sie je wieder hören werde?“

„Sie hat dich gehindert, selbst zu singen“, schnarrt Hofmeister Grille und springt in die geöffnete Hand des Prinzen.

Sie waschen sich am Mühlenbach. Die Katze lässt sich nicht sehen.

„Etwas zu essen wäre schön“, sagt Prinz Theo.

Hofmeister Grille seufzt.

„Wohin sollen wir gehen?“, fragt Prinz Theo.

„Wir suchen den König“, schnarrt Hofmeister Grille.

„Und wo ist der König?“

„Wahrscheinlich im Elfenbeinturm“, überlegt Hofmeister Grille, „hinter den Sieben Bergen im Paradies.“

Sie machen sich auf.

 

Die Füße gehen, die Gedanken haben frei. Prinz Theo lauscht den Stimmen des Waldes. Doch er versteht sie nicht. Bald ist ihm das Lauschen zu langweilig geworden und er redet.

„Im Elfenbeinturm“, beginnt Prinz Theo, „ist es da so schön wie bei der Spieldose im Schloss?“

„Im Elfenbeinturm“, meint Hofmeister Grille, „ist es schöner – und es ist weniger schön. Schöner ist es, weil dort alles klar ist. Weniger schön ist es, weil es dort streng ist. Im Elfenbeinturm ist auch die Wahrheit zu Hause.“

„Oh!“, entfährt es Prinz Theo. „Heißt das, dass ich dort nicht lügen darf?“, fragt er dann nach.

„Das geht weit über Lügen hinaus“, schnarrt Hofmeister Grille. „Aber das wirst du später verstehen. Jetzt suchen wir den Elfenbeinturm.“

„Und wenn wir die Eltern nicht finden?“, fragt Prinz Theo. 

„Dann versuchen wir, unser Königreich selbst zurückzugewinnen“, schnarrt Hofmeister Grille. „Wir wandern in die Hauptstadt, das Volk jubelt uns zu und trägt uns zurück auf den Thron.“ Hofmeister Grille seufzt voller Vorfreude. 

„Aber im Schloss lauern die Schatten!“, wirft Prinz Theo ein. 

„Ja!“, Hofmeister Grille, seufzt wieder, dieses Mal aus Verzweiflung. „Dann müssen wir uns irgendwo anders ein neues Königreich gewinnen.“ 

„Vater sagte, ich sei zum Regieren zu jung“, sagt Prinz Theo. 

„Bis zu deiner Krönung vergeht Zeit. Und mit jedem bisschen vergangener Zeit wird der Prinz älter“, schnarrt Hofmeister Grille. „Und auf der Suche nach einem eigenen Königreich lernt der Prinz so viel, dass er sofort regieren kann.“ 

„Was muss ich denn lernen, um gut zu regieren?“, fragt Prinz Theo. 

„Du musst lernen, gerecht zu sein“, schnarrt Hofmeister Grille. 

„Das ist schwierig“, sagt Prinz Theo. 

„Du musst lernen, streng zu sein“, schnarrt Hofmeister Grille. 

„Das ist einfach!“, meint Prinz Theo. 

Hofmeister Grille wiegt den Kopf. 

„Du musst lernen, weise zu sein“, schnarrt er dann. 

„Auch das ist schwierig“, sagt Prinz Theo. 

„Du musst lernen, deinen Untertanen zuzuhören“, schnarrt Hofmeister Grille. 

„Zuhören kann ich“, freut sich Prinz Theo. 

Hofmeister Grille wiegt wieder den Kopf. 

Sie rasten an einem Bach. Prinz Theo setzt sich ans Ufer und lauscht dem Wasser. Er hört eine Biene summen. Sie landet auf einer Blume. 

Details

Seiten
ISBN (ePUB)
9783739478272
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2019 (Dezember)
Schlagworte
Abenteuer Kindergeschichte Prinz

Autor

  • Volker Friebel (Autor:in)

Volker Friebel ist promovierter Psychologe und Verfasser von Büchern mit den Spezialgebieten Entspannung, Gesundheit, Sprache und Musik sowie Texten literarischer Art. Er lebt und arbeitet als Ausbildungsleiter, Schriftsteller, Bildermacher und Musiker in Tübingen.
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Titel: Prinz Theo und der Elfenbeinturm