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Felix - Held in Ausbildung

von Matthias Czarnetzki (Autor:in)
117 Seiten

Zusammenfassung

Im Angesicht des feuerspeienden Drachens fragte sich Felix, ob es klüger gewesen wäre, an diesem Morgen in die Schule zu gehen und die angekündigte Matheklausur zu schreiben. Die Wahl zwischen Held + Königreich + Prinzessin und Mathe schien leicht. Leider hatte zu dem Zeitpunkt niemand feuerspeiende Drachen, Seeungeheuer, tödliche Abgründe und das unsäglich Böse selbst erwähnt - ansonsten hätte sich Felix auf jeden Fall anders entschieden. Denn die Prinzessin ist nett - aber gleich für sie sterben klingt nur in Gedichten oder Brian-Adams-Songs gut. Doch zum Glück lassen sich die meisten Probleme einer Märchenwelt mit der Intelligenz und Logik eines cleveren Zwölfjährigen lösen - zumindest hofft Felix das.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Table of Contents

Titel

Infos zum Buch

Entschuldigung des Fehlens von Felix Krollman am Freitag, den 17. November

Ein Wort zum Schluss:

Leseprobe: Drachen Fliegen - Ein fast realistisches Märchen

Über den Autor

Fantasievermerk

Fair Use Vereinbarung

Impressum

Titel


Felix
Held in Ausbildung

von
Matthias Czarnetzki

Infos zum Buch

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Der direkte Draht zum Autor:
MCzarnetzki.de

Entschuldigung des Fehlens von Felix Krollman am Freitag, den 17. November

Sehr geehrter Herr Lehrer,
sicher haben Sie bemerkt, dass ich am Freitag nicht im Unterricht war und dadurch leider die angekündigte Mathematikklausur versäumt habe. Ich könnte jetzt eine halbwegs glaubwürdige Ausrede erfinden oder ein gefälschtes ärztliches Attest vorlegen, aber Sie sagen ja immer, die Wahrheit wird von Ihnen am wenigsten bestraft und kommt sowieso ans Licht. Deshalb will ich möglichst genau schildern, welche Ereignisse mein Erscheinen verhinderten.

Wie Sie sich bestimmt erinnern, war dieser Freitag relativ kühl und es nieselte. Da mir am Vorabend beim Weckerstellen ein Fehler in der Disposition bezüglich der Weckzeit unterlaufen war, wurde es sehr eng mit der Zeit. Nun hätte ich es mit einer geringfügigen Verspätung doch noch zur Schule schaffen können, aber wie gesagt, es war kühl. Und meine Mami sagt immer, wenn es kühl ist, nimm einen Schal. Den hatte ich in der Eile meines Aufbruches glatt vergessen, deshalb musste ich noch einmal umkehren, schließlich bin ich gut erzogen und kann die Anweisung meiner um mich besorgten Mami nicht einfach ignorieren. Deshalb konnte ich nicht wie gewohnt mit meinen Freunden zur Schule gehen.
Zu Hause war leider niemand mehr da, denn, wie Sie wissen, arbeiten meine Eltern beide, obwohl meine Mami nur halbe Tage. Ich musste deshalb allein nach dem Schal suchen, den ich nicht gleich fand, weil meine Mami am Tag zuvor aufgeräumt hatte. Ich finde übrigens nie etwas von meinen Sachen, wenn meine Mami aufgeräumt hat.
Vollkommen unvermutet hatte Mami den Schal gut sichtbar an der Flurgarderobe aufgehängt. Deshalb dauerte die Suche auch etwas länger. Danach verließ ich schnurstracks das Haus, um nicht zuviel vom Unterricht zu versäumen. Ich schloss gerade die Haustür zu, als ich hinter mir eine Stimme hörte. Da sie schon einige Hausbesuche bei uns gemacht haben, wissen sie ja, dass unser Haus etwas abseits in einer kleinen Buschoase liegt. Ich vermutete, dass sich eine kriminelle Gestalt in diesem Gebüsch versteckte und auf die Gelegenheit wartete, ein schwaches, wehrloses Kind zu überfallen und den Hausschlüssel zu rauben. Ich drehte mich also blitzschnell um und wollte dem Gegner durch einen speziell trainierten Kampfschrei Angst einjagen. Doch als ich Auge und Auge mit dem Unhold stand, blieb mir der Schrei im Hals stecken. In diesen Sekunden wiederholte das Wesen seine Frage.
"Could you please helping me?" Ich habe mir von meinem Papa später sagen lassen, dass das in einem grammatikalisch unzulässigen Englisch so etwas wie "Kannst du mir bitte helfen?" heißen sollte, aber selbst wenn ich Englisch so gut könnte, hätte mir das im Moment kaum geholfen. Ich war nämlich völlig baff. Denn vor mit stand ein ausgewachsener Troll!
Glauben Sie nicht, dass das nur ein Produkt meiner Phantasie war oder ich Ihnen was vorschwindeln will! Nein, da war wirklich ein Troll! Ich wusste sofort, dass das einer ist, obwohl ich vorher noch nie einen gesehen hatte. In diesem Moment war ich mir aber nicht der Einzigartigkeit meines Erlebnisses bewusst sondern eher dessen, dass die gewaltige, gut anderthalb Meter lange und mindestens hundert Kilo schwere Keule, die er über seiner Schulter trug, mir im Ernstfall empfindlich weh tun könnte. Und genau in diesem Moment nahm er das Ding von der Schulter und mir wurde schwarz vor Augen. Naja, Urglat (das ist sein Name) hat später beteuert, dass er die Keule nur absetzen wollte, um mir die Hand zu geben. Ehrlich gesagt, er ist auch ganz anders als die Trolle, von denen man sonst so liest. Er ist nett, freundlich und vollkommen harmlos, wenn er genug gegessen hat.
Das Nächste, was ich mitbekam, war, dass mich Urglat wie eine Feder hoch hob (er ist furchtbar stark, falls ich das noch nicht erwähnt hatte) und in die Büsche trug. Dort sah ich etwas, was mich an einen Riss in unserem Raum-Zeit-Kontinuum erinnerte. Ich spürte ein eigenartiges Kribbeln vom Scheitel bis zur Sohle, als mich Urglat durch diesen Riss trug, so, als würde man in eine Wasseroberfläche eintauchen, nur dass hinter der Oberfläche kein Wasser, sondern ein anderes Universum war. Die Erkenntnis, in ein Paralleluniversum verschleppt, in der Gewalt eines übermächtigen Feindes zu sein und nur geringe Hoffnungen zu haben, nach Hause zurückzukehren, waren zuviel für meine empfindliche Psyche. Mit anderen Worten, ich fiel in Ohnmacht. Schon wieder.

Als ich zu mir kam, sah ich nur weiß. Ich lag bäuchlings auf einem weißen Marmorfußboden in einem Zimmer mit weißen Marmorwänden, dessen weiße Marmordecke von weißen Marmorsäulen gestützt wurde. Die Architektur war nicht schlecht, nur die Farbgestaltung etwas eintönig - meiner bescheidenen Meinung nach.

Ich muss wohl eine ganze Weile weggetreten sein, denn ich hatte außer Kopfschmerzen noch einen gewaltigen Hunger bekommen. Ich begann etwas zu Essen zu suchen, da öffnete sich ein Vorhang. Ich hatte ihn vorher nicht bemerkt, weil er ebenfalls weiß war. Dahinter trat eine Prinzessin hervor. So eine richtige Märchenprinzessin mit einem Goldreif auf der Stirn und ganz in weiß gekleidet. Hätte ich einen älteren Bruder, dann würde der sagen, sie war ein richtig steiler Zahn. Da ich aber erst zwölf Jahre alt bin, habe ich noch einen klaren Verstand und kann ohne Übertreibung sagen, dass sie sehr gut aussah. Nur etwas blass, es kann aber auch sein, dass das ganze Weiß im Zimmer auf sie abgefärbt hat. Ich schätze mal, dass sie nicht viel älter war als ich, höchstens zwölf oder dreizehn. Sie sah aber jünger aus.

"Willkommen, Held aus der anderen Welt. Ich bin Prinzessin Lara." Mit dem Helden muss sie mich gemeint haben, weil sonst kein anderer im Zimmer war. Ich habe mich aber in diesem Moment nicht angesprochen gefühlt. Erst als sie mich anguckte, als müsse ich was sagen, habe ich begriffen, dass sie mit mir redete.
"Hi! Auch einen schönen Tag! Kannst du mir sagen, was hier überhaupt los ist?" erwiderte ich ihre Begrüßung. Ihre Stimme klang übrigens wie Honig. Das habe ich mal gelesen und mich gewundert, was das heißen sollte. Jetzt wusste ich es. "Und ich könnte was Essbares gebrauchen", hängte ich dran. Sie klatschte in die Hände.
"Du sollst sofort etwas zu essen bekommen. Aber iss schnell, wir müssen zum Hohen Rat. Der klärt dich über deine Mission auf." Gleich wieder Stress! Wie ich das liebe. Ein weißgekleideter Diener erschien mit einem riesigen Tablett voll biologisch wertvollen Obsts. Ich habe mich nicht gleich darauf gestürzt. Erst mussten ein paar dringende Fragen geklärt werden.
"Kannst du mir sagen, wo ich hier bin?"
"Du bist auf Zamora, dem Schwesterplaneten deiner Erde."
"Damit weiß ich genauso viel wie vorher."
"Du kennst dich mit den verschiedenen Dimensionen nicht so aus?" Auf mein Kopfschütteln redete sie weiter. "Es ist ganz einfach. Wir leben in eurer Welt, aber so, dass ihr uns nicht sehen könnt. Nur manchmal, in ihren Träumen, gelangen einige Menschen hierher und können von Zamora berichten. Und aus diesen Berichten entstanden eure Sagen, Legenden und Märchen."
"Dann bin ich in einer Traumwelt, oder so?"
"So ähnlich. Du bist in einem realen Traum. Und zwar gefangen."
"Klingt als gibt es keinen schnellen Rückweg."
"Du musst uns helfen und eine Aufgabe erfüllen. Dann können wir dich zurückschicken. Wenn du aber die Aufgabe ablehnen willst, weil du Angst hast und dich nicht traust sondern dich fürchtest, dann bringen wir dich gleich zurück. Natürlich würde dann meine Dimension vernichtet werden und du würdest dir wahrscheinlich dein Leben lang die Schuld dafür geben. Aber wir wären da wirklich nicht nachtragend. Wie sollten wir auch? Uns wird es dann nicht mehr geben." Bei dem Ton und der Argumentation konnte ich verständlicherweise nicht sofort ablehnen, obwohl ich laut meiner Uhr dadurch den Mathematikunterricht versäumen würde.
"Ich kann mir ja anhören, was ihr von mir wollt." Darauf hat sie nur gelächelt und ich habe mich über die Früchte hergemacht.
Nachdem ich meinen Hunger gestillt hatte, nahm Prinzessin Lara mich an der Hand und führte mich zur Tür. Dort habe ich mich von ihrer Hand befreit, da Händchenhalten nichts für einen richtigen Jungen ist, und folgte ihr. Dabei sah ich, dass das ganze Schloss weiß war, wirklich alles.
"Weißt du Lara, mein Papa ist ein guter Innenarchitekt. Falls dir die Farbe auch auf den Keks geht, könntest du ihn rüberholen lassen. Der macht die Bude hier wohnlich", sagte ich.
"Geht nicht. Das hier ist das Weiße Schloss und Weiß ist bei uns die Farbe für alles Reine und Gute. Das soll dafür stehen, dass ich mein Volk immer gerecht und weise regiere. Ein Spritzer Farbe bringt unser Gesellschaftssystem zum Wanken." Nun gut, das sollte dann ihr Problem sein. Glücklicherweise führte sie mich auf den Hof, wo ein paar Pferde auf uns warteten. Raten sie welche Farbe.
Nachdem Lara höflich, aber bestimmt, eine Eskorte abgelehnt hatte, ritten wir los.

Bis zu diesem Moment hatte ich noch keine Gelegenheit gehabt, einen Blick nach draußen zu werfen, denn während der ganzen Zeit kam ich nie nah genug an ein Fenster, um die Landschaft zu betrachten.
Jetzt war ich aber überwältigt von der Pracht des Landes. Saftig grüne Grasflächen wellten sich über sanfte Hügel soweit das Auge reichte. Farbenprächtig blühende Bäume wuchsen überall und verströmten einen angenehmen, süßen Duft. Wir folgten einem breiten Sandweg, der sich durch die grüne Fläche wie eine riesige gelbe Schlange wand, immer zwischen den Hügeln entlang.
Zuerst war ich etwas verwirrt, denn sowohl vor, als auch hinter mir, schien es eine Sonne zu geben. Die hinter mir stand ziemlich hoch am Himmel, während die vor mir gerade den Horizont überstrahlte. Lara bemerkte meine Verwunderung.
"Das vor uns ist die goldene Stadt. Ihre Bewohner nennen sie manchmal die Schwester der Sonne. Dort befindet sich der Hohe Rat." Ich nahm diese Erklärung hin und sehnte mich nach meiner Sonnenbrille. Die Spieglung ging mir nämlich langsam auf den Nerv und die Kopfschmerzen wurden davon auch nicht besser, doch mit der Zeit gewöhnte ich mich daran. Ich vermied es, direkt nach vorn zu schauen und sah in die Landschaft, an der wir gerade vorbeikamen. Vereinzelt führten kleine Pfade vom Hauptweg weg und endeten an den Türen winziger Häuser, deren Bewohner damit beschäftigt waren, die Gärten zu pflegen, in der Sonne zu sitzen oder sich zu unterhalten. Ebenso wie die Häuser, waren auch die Bewohner sehr klein. Ich schätze, dass ein Erwachsener von ihnen mir gerade bis an die Schulter reichen würde.
Wenn wir an ihnen vorbeikamen, dann hielten sie inne, wandten sich zu uns und verbeugten sich. Lara erwiderte jeden dieser Grüße durch ein huldvolles Winken.
Nachdem wir ungefähr die Hälfte des Weges zurückgelegt hatten, gesellte sich ein kleiner Bach zu dem Weg. Sein Plätschern verband sich mit dem Zwitschern der Vögel zu einem lustigen Reiselied. Ich konnte es nicht vermeiden und pfiff beinahe wie von selbst die Melodie mit. Lara lächelte mich von der Seite an.
Schließlich fiel mir auf, dass der Glanz der Goldenen Stadt verschwunden war. Aufmerksam betrachtete ich die Landschaft. Die Hügel links und rechts von mir waren unmerklich angestiegen und verdeckten alles dahinter, bis wir uns am Grund einer Schlucht befanden, die der Bach - jetzt ein reißender Fluss - in den Stein geschnitten hatte. Plötzlich, hinter einer Biegung, traten die Felswände zur Seite und gaben den Blick in ein riesiges Tal frei.

Mein Blick wurde automatisch zu dessen Mittelpunkt gezogen. Denn dort war die Goldene Stadt. Das, was ich vorhin gesehen hatte, war nicht mehr als das Funkeln der höchsten Turmspitzen, die über den Rand des riesigen Talkessels hinausschauten. Der Fluss strömte direkt zu dieser Stadt, wo er einen Wassergraben speiste, der sie ganz umgab. Dieser Graben spiegelte den Glanz der Stadt ebenfalls wieder und verstärkte ihn. Augenblicklich war ich geblendet. Aus den Augenwinkeln sah ich, wie Lara mir eine Brille reichte.
"Setz die auf. Jemand, der es nicht gewöhnt ist, bekommt ziemlich schnell Kopfschmerzen von dem ganzen Funkeln." Was sie nicht sagte. Die Gläser waren zwar fast schwarz, aber im Vergleich zu der Helligkeit, die von der Stadt ausging, reichten sie gerade so aus.

In alle vier Himmelsrichtungen spannten sich gewaltige Brücken über das Wasser, die auf massiven Pfeilern ruhten. Von jeder Brücke aus führte dann eine breite Straße gerade bis zum Horizont. Wir reisten auf der Südstraße, der wir bin ins Zentrum der Stadt folgten.
Zwar gab es viel Verkehr auf den Straßen, aber die Einwohner waren freundlich und nicht die geringste Reiberei zwischen den Wagen, den Fußgängern und den Reitern störte unsere Reise.

Obwohl ich die unterschiedlichsten Wesen und Rassen auf den Plätzen und Straßen sah, schien doch der Hauptteil der Bevölkerung aus Menschen zu bestehen, so wie ich sie kannte. Das heißt solche, die auch eine normale Größe erreichten. Ansonsten war an denen nicht viel normal. Jeder trug Kostüm und Maske. Wie es aussah, war Blau wohl die Farbe der Saison. Zugegeben, vor dem Gold sah es ganz hübsch aus.

Langsam näherten wir uns dem Punkt, an dem sich die vier Straßen treffen mussten, dem Zentrum und landeten schließlich auf einem großen, freien Platz. Mitten darauf stand ein riesiges Schloss.

Und es war wirklich riesig. Wenn ich sage riesig, denn meine ich das auch. Unser ganzes Haus hätte bequem durch das Tor gepasst und so sehr ich mich auch anstrengte, ich konnte die Spitze des obersten Turmes nicht sehen. Sie verschwand irgendwo im Himmel. Wo konnte ich nicht erkennen; bei dem ganzen Goldgefunkel hätte ich auch gleich in die Sonne starren können und trotz Sonnenbrille mein Augenlicht verloren.
"Beeindruckend, nicht wahr?" sagte Lara. "Es sind schon Menschen blind geworden, die es zu lange angeschaut haben." Wer hätte das gedacht!
"Danke für die Warnung. Das nächste Mal vielleicht fünf Minuten eher."
Als wir in das Schloss hineinritten, umschwärmten uns augenblicklich Heerscharen von Dienern. Sie halfen uns beim Absteigen, führten die Pferde weg, brachten uns etwas zu trinken und fragten, ob wir noch irgendwelche Wünsche hätten. Doch sie verstummten, als ein alter Mann den Hof betrat. Sein weißer Bart reichte bis zur Brust und gekleidet war er in etwas, was ich hier mal als blaues Nachthemd bezeichnen möchte.
"Seid gegrüßt, Prinzessin Lara."
"Ich grüße euch ebenfalls, Corak", erwiderte sie und verbeugte sich. Dann warf der Alte einen Blick auf mich.
"Ist er das?" fragte er die Prinzessin.
"Ja." Darauf musterte er mich in der Art, wie meine Mami im Laden eine Jacke für mich erst mal auf mikroskopische Fehler untersucht, die einen Rabatt rechtfertigen würden. Allerdings konnte ich an seinem Gesicht nicht ablesen, was er von mir hielt.
"Sei willkommen auf Zamora", sagte er schließlich. "Du befindest dich in der Goldenen Stadt und ich bin Corak, der Vorsitzende des Hohen Rates."
"Hi, ich bin Felix und nach dem, was ich gehört habe, eure letzte Hoffnung."
"Das fürchte ich." Wenn man bedenkt, dass von seinem Verhalten die Rettung Zamoras abhängen konnte, dann war das wohl ziemlich frech. Aber bevor ich dazu etwas sagen konnte, machte er eine Geste in Richtung Eingang. "Kommt mit. Der Hohe Rat erwartet euch bereits."
Ich folgte Lara und Corak durch die hohen Gänge des Palastes. Obwohl wir kaum Treppen stiegen, hatte ich doch das Gefühl, dass wir immer höher kamen. Als ich einen Blick aus einem Fenster warf, sah ich die Dächer der Stadt unter mir. Ich wunderte mich zwar darüber, konnte aber keinen meiner beiden Führer deswegen fragen, die waren nämlich ins Gespräch vertieft. Ich verstand kein Wort, aber es schien um sehr wichtige Dinge zu gehen. Schließlich hielten wir vor einer unscheinbaren Tür.
Ohne dass Corak ein Zeichen gegeben hätte oder jemand unsere Ankunft bemerkt und gemeldet haben könnte, schwang sie geräuschlos auf und wir traten ein.

Der Raum war kreisrund. In seiner Mitte stand ein ebenso kreisrunder Tisch, an dem zehn Männer saßen, die mindestens so alt wie Corak und genauso gekleidet waren. Zwei Stühle waren noch frei, zu denen begaben sich nun Corak und Lara. Ich musste stehen bleiben. So viel zur Gastfreundlichkeit.

Corak wollte keine Zeit verlieren. Er stand auf und sagte mit lauter, ruhiger Stimme: "Der Hohe Rat ist nun versammelt." Umwerfende Feststellung. "Ihr alle kennt die Gefahr, die über uns schwebt. Wie beschlossen, besorgten wir uns einen Helden aus der anderen Welt, da solche Personen die einzigen sind, denen der Fluch des Schwarzen Schlosses nichts anhaben kann." Hier merkte ich auf. Von einem Fluch hatte bisher niemand etwas gesagt. Über diesen Punkt würde ich noch Erkundigungen einziehen müssen. "Wir schickten unseren treuen Troll Urglat in die andere Welt und er brachte uns... Felix, einen Helden aus der anderen Welt. Oder das, was dem am nächsten kommt." Damit zeigte er auf mich. Alle drehten nun ihre Köpfe zu mir und starrten mich an wie ein Sonderangebot.
"Ich weiß zwar nicht viel von ihm, aber ich hoffe, dass sein Herz rein und mutig genug ist, um uns helfen zu können. Und nun zu dir!" Damit meinte er mich. "Wie Prinzessin Lara mir sagte, weißt du noch nichts über deine Mission." Ich nickte. Corak seufzte. "Es ist eine lange Geschichte."
"Macht nichts. Ich hab Zeit." Das wäre dann nämlich ein guter Ersatz des Geschichtsunterrichts, der nach meiner Uhr gerade in vollem Gange war.
"Wir aber nicht. Es gibt eine Kurzfassung. Das Problem entstand kurz nachdem dieser Planet geschaffen wurde. Die Mächte des Bösen kämpften gegen die Mächte des Guten - also gegen uns - um die Vorherrschaft über den Planeten zu gewinnen und es gelang keiner Seite, einen Vorteil zu erringen. Stattdessen wurde das Land verwüstet und alle Völker standen kurz vor der Ausrottung. Es sah schlecht aus, als Galadrim auftauchte. Er kam aus dem Nichts und er verschwand später auch wieder dorthin. Unter seiner Führung drängten wir die dunklen Armeen zurück bis auf die südliche Hälfte des Kontinents. Eines Nachts, es war eine besondere Nacht, befahl Galadrim unseren Armeen den sofortigen Rückzug. Er allein blieb zurück. Als die Schwärze der Nacht am tiefsten war, bebte die Erde. Alle spürten es und keiner blieb ohne Furcht. Am nächsten Morgen sahen wir, was geschehen war: Morgul. Morgul trennt unseren Kontinent. Morgul ist der unüberwindbare Wall, ein riesiges Gebirge mit tiefen Schluchten und Gipfeln, die weit über den Himmel reichen. Keinem Geschöpf ist es gelungen, Morgul zu überqueren. Die Mächte des Bösen waren jenseits des Walls gefangen. Wir konnten frei und glücklich auf unserer Seite leben. Das war das Ende des letzten Krieges, den Zamora gesehen hat. Ich glaube nicht mal, dass wir in der Lage sind, überhaupt noch einen zu führen.
Nun denn, Galadrim kam am Morgen danach zum Hohen Rat und übergab ihm Elendir, den Weltenstein, mit folgenden Worten: 'Bewahrt ihn gut, denn er enthält die Macht über Morgul. Er erhält ihn oder er zerstört ihn, wenn die Zeit gekommen ist.' Wir bewahrten Elendir seitdem ihm Weißen Schloss auf und glaubten uns in Sicherheit." Hier machte Corak eine Pause. Die Geschichte nahm ihn sichtlich mit.
"Und weiter?" fragte ich, als die Pause zu lang wurde.
"Elendir ist weg. Verschwunden. Nicht mehr da. Nur Prinzessin Lara und ich hatten Zutritt zu dem Raum, in dem er aufbewahrt wurde. Gemäß der Tradition sehen der Vorsitzende des Hohen Rats und der Thronfolger ein Mal im Monat nach, ob er noch da ist. Vor einer Woche kontrollierten wir den Raum und Elendir war weg."
"Hat ihn die Putzfrau weggeworfen?" fragte ich. "Wenn bei uns in der Schule was wegkommt, dann war es meistens Frau Wiegelhuber, die Putzfrau. Sie ist irgendwie krankhaft putzsüchtig. Und sie schmeißt alles weg, was nicht angenagelt ist." Aber Corak bedachte mich nur mit einem ärgerlichen Blick.
"Natürlich nicht! Der Raum wird durch Magie rein gehalten! Diebstahl ist die einzige Erklärung. Unsere Feinde müssen den Wall überwunden und den Stein gestohlen haben. Wahrscheinlich liegt Elendir jetzt im Schwarzen Schloss und wartet auf seine Zeit, um Morgul zu zerstören." Corak knabberte aufgeregt an seinen Fingernägeln. "Was dann passiert, wage ich mir nicht auszumalen. Die Horden des Bösen werden unsere friedlichen Völker überrennen und ausrotten. Deshalb brauchen wir deine Hilfe. Du musst Elendir aus dem Schwarzen Schloss holen und zurückbringen. Du musst!"
"Naja", sagte ich, "es gibt da noch einige Kleinigkeiten, die ich vorher wissen müsste. Zum Beispiel hast du vorhin den Fluch des Schwarzen Schlosses erwähnt. Es würde mich doch schon stark interessieren, in was ich da reinlaufe." Corak runzelte die Stirn.
"Der Fluch kann dir nichts anhaben. Keiner unseres Volkes kann es betreten, uns hält der Fluch auf. Aber du kommst von außerhalb. Bei dir wirkt die Magie nicht."
"Dazu muss ich nur den unüberwindbaren Wall überwinden."
"Ja", bestätigte Corak.
"Unüberwindbar. Fällt da was auf?"
"Wenn es einer von der Gegenseite geschafft hat, muss es einen Weg geben. Es gehört zu deiner Aufgabe diesen Weg zu finden."
"Müsste ich sonst noch was wissen?"
"Etwas Eile wäre angebracht."
"Warum?"
"Die bestimmte Zeit, zu der Elendir seine Macht entfaltet. Wie ich vorhin sagte, wurde Morgul in einer besonderen Nacht erschaffen. Damals standen alle Planeten unseres Sonnensystems in einer Reihe und verstärkten die kosmischen Kräfte. Diese Stellung kommt alle dreitausendachthunderteinundneunzig Jahre einmal vor."
"Wie das klingt, habt ihr eine andere Auffassung von Eile als ich."
"Das nächste Mal gibt es diese Stellung in einundzwanzig Tagen. Wirst du uns zu retten?"
"Eigentlich würde ich ja schon", sagte ich, "aber es gibt da ein Problem. Wenn ich nicht pünktlich zum Abendessen zu Hause bin, krieg ich Zoff mit meinen Eltern."
"Wir können nach deiner Rückkehr ein Dimensionstor öffnen, das dich rechtzeitig in deine Welt zurückbringt." Im Prinzip kam mir die Abwechslung ja gelegen - das tägliche Hin und Her zwischen Schule und Heim war nach sechs Jahren etwas langweilig geworden. Außerdem lernen wir ja für das Leben und ich dachte, dass eine praktische Anwendung meiner Kenntnisse ganz in ihrem Sinne ist. Trotzdem wollte ich meine Begeisterung nicht so offen zeigen und kratzte mich hinter dem Ohr.
"Okay, ich kann's ja mal versuchen.", murmelte ich schließlich. Und alle atmeten erleichtert auf. Außer mir. Denn laut Uhrzeit war so eben die letzte Unterrichtsstunde verstrichen. Ich bedauere dieses Versäumnis immer noch zutiefst.

Damit könnte ich eigentlich meinen Bericht hier beenden, aber sicher interessiert sie auch der Rest der Geschehnisse. Wenn sie alles gelesen haben, können sie mit Recht stolz auf ihre pädagogischen Leistungen sein, die ich hier praktisch angewendet habe.

Corak legte mir die Hand auf die Schulter.
"Du sollst nicht allein gehen. Bis zum Schwarzen Schloss werden dich unsere besten Krieger begleiten." Er zeigte auf eine Tür, die ich noch nicht bemerkt hatte. Ich bin auch ziemlich sicher, dass sie bis zu diesem Moment nicht da war.
"Tretet ein!"

Der Erste, der durch die Tür trat, war ein mir sehr bekannter Troll.
"Urglat", stellte Corak ihn vor. "Er ist der beste Kämpfer aus der Sippe der weißen Trolle." Dazu sollte man wissen, dass es am ganzen Körper von Urglat kein einziges weißes Haar gab, vielmehr war jedes kohlrabenschwarz. Ich runzelte die Stirn, doch Lara erklärte die Sache.
"Es gibt zwei Trollvölker. Die Weißen, zu denen Urglat gehört. Sie haben schwarzes Fell, aber sie kämpften in den alten Kriegen auf der Seite des Weißen Schlosses. Daher der Name. Es gibt noch ein anderes Volk, jenseits von Morgul. Die haben weißes Fell, aber ihre Herzen sind schwarz. Vor denen solltest du dich in Acht nehmen." Inzwischen war Urglat bis zu mir gekommen. Er reichte mir freundlich die Hand und sagte:
"Ich hoffe, wir werden uns gut verstehen. Ich wollte dich bei unserer ersten Begegnung wirklich nicht erschrecken."
"Schon gut", erwiderte ich und gab ihm die Hand. "Ich hatte nur mit deinem Englisch Probleme." Dabei versuchte ich zu lächeln. Urglat hatte zwar im Moment keine Keule dabei, aber mit zwei Metern Größe und hundertfünfzig Kilo Lebendgewicht bei null Prozent Fettanteil hätte mir bereits bloßes Anhauchen ernsthaft schaden können.
"Corak hat mir diese Worte aufgeschrieben. Er sagte, das ihr in eurer Welt vielleicht nicht unsere Sprache sprechen könnt." Das mit der Sprache fiel mir erst jetzt auf: Obwohl Zamoranisch mit nichts vergleichbar war, was ich in der Schule jemals gelernt hatte, konnte ich es ohne Schwierigkeiten verstehen und sprechen. Ich wünschte, dass ginge mir mit Englisch genauso.
Als nächstes trat ein achtzig Zentimeter hohes, goblinhaftes Wesen durch die Tür. Ich kann ihn wirklich nicht näher beschreiben, nur das er unheimlich alt aussah und eben wie ein Goblin. Vom Kopf her jedenfalls. Denn der Rest des Körpers verdeckte eine blaue Robe. Außer den langfingrigen Händen, die aus zwei überdimensionierten Ärmeln hervorlugten, war nichts zu sehen. Ich war nicht sicher, ob er lief oder über den Boden schwebte, denn nicht die kleinste Bewegung war zu sehen.
"Elrun, der Weise", machte Corak uns bekannt. "Er hat die Gabe der Voraussicht und er kennt alle Rätsel und Geheimnisse diesseits von Morgul. Wenn du auf seinen Rat hörst, wirst du sehr schnell vorankommen."
"Hi", sagte ich und streckte Elrun die Hand entgegen. Der registrierte sie nicht einmal. Als ich näher hinsah, entdeckte ich, dass er die Augen geschlossen hatte und hörte, wie er leise vor sich hinsummte. "Oh Mann", murmelte ich, "Meister Yoda auf Dope." Elrun schien meine Worte nicht gehört oder nicht beachtet zu haben; ohne eine Miene zu verziehen entfernte er sich wieder. Jetzt war ich mir sicher, dass er schwebte. Auf Wolke neun oder höher.
"Der letzte im Bunde", rief Corak jetzt in Richtung Tür. Dort erschien ein junger Mann. Jung wie in Er hat noch alle Haare und alle Zähne. "Dargol, der Drachentöter", nannte Corak dessen Namen. "Er stammt aus einer Familie äußerst erfolgreicher Drachenbekämpfer." Mit drei langen Schritten durchquerte Dargol den Raum, bis er vor uns stand und mir die Hand reichte.
"Hallo Dargol", presste ich hervor. Ich musste wirklich pressen, denn es ist gar nicht so einfach zu sprechen und gleichzeitig einen Lachkrampf zu unterdrücken. Denn Dargol hatte zwar eine gewaltige Größe, zwei Meter zehn schätze ich, aber dabei war er kaum dicker als ein Besenstiel (naja, etwas dicker schon, aber nicht viel).
"Sei gegrüßt Felix", antwortete er. "Und sei versichert, mit mir an deiner Seite brauchst du keinen Drachen zu fürchten."
"Super", schoss es aus mir heraus, "wie viele Drachen hast du den schon erledigt?" Sofort legte sich ein peinliches Schweigen über den Raum. Dargol sah beleidigt aus und Corak räusperte sich verlegen.
"Nun", begann Corak zu erklären, "es mangelt uns an Drachen. Sie sind jenseits von Morgul gefangen. Aber Dargol ist am besten für Drachenkämpfe trainiert. Er wird seine Sache gut machen."
"Okay", sagte ich zu Dargol, der immer noch ein Gesicht wie ein saurer Apfel machte. "War nicht so gemeint. Ich vertraue dir."
"Ich nehme die Entschuldigung an", antwortete Dargol, obwohl seine Stimme klang, als ob es noch sehr viel Schleimerei nötig wäre, um ihn vollständig zu besänftigen.
"Damit wäre deine Gruppe komplett", bemerkte Corak.
"Ich werde Felix auch begleiten." unterbrach ihn Lara. Ein ungläubiges Stöhnen ging durch den Saal. Nur ich war nicht ganz so überrascht. Ich weiß, dass ich eine unwiderstehliche Wirkung auf Frauen habe.
"Das ist unmöglich!" sagte Corak. "Als Herrscherin unseres Volkes ist ihr Platz im Weißen Schloss und nicht im Schwarzen Land."
"Die Aufgabe eines Herrschers ist es, für sein Volk zu sorgen und nicht, sich in seinem Schloss zu verstecken. Außerdem enthält die Bibliothek des Weißen Schlosses die genauesten Informationen über das Schwarze Land und ich habe alle Bücher gelesen. Unschätzbares Wissen, sobald wir Morgul überwunden haben."
Corak strich sich durch den Bart und wollte gerade etwas sagen, als sich einige der älteren Herren aus der Runde einmischten.
"Sie hat Recht, Corak. Lass sie mit ihnen ziehen, so wie die alten Könige an der Spitze ihrer Armeen in den Krieg gezogen sind. Es ist zum Teil auch ihre Bestimmung. Außerdem müssen wir irgendwie die Frauenquote in der Geschichte erfüllen." Einige Augenblicke sah Corak erst den Hohen Rat, dann die Prinzessin ernst und sorgenvoll an.
"Dann geh mit ihnen, Prinzessin. Und gib gut auf sie und dich acht", sagte er schließlich. Darauf umarmte Lara Corak.
"Das werde ich tun, Vater", flüsterte sie ihm ins Ohr. Und Corak wischte sich verstohlen eine Träne aus dem Auge.

Die nächsten Stunden wurde Proviant gepackt und die Reise vorbereitet. Corak zeigte mir Landkarten, auf denen jede Einzelheit des Weißen Landes verzeichnet war. Das Weiße Schloss und die Goldene Stadt lagen im Norden, weit weg von Morgul. Als sie erbaut wurden, bedeutete das Sicherheit vor dem Feind, der im Süden lauerte. Viel konnte Corak sonst nicht sagen, schließlich war seit Jahrhunderten keine Expedition mehr in diese Richtung unternommen worden und das Meiste über das Schwarze Reich war in Vergessenheit geraten.
Der Rat hatte beschlossen, dass wir am nächsten Morgen aufbrechen sollten. Den so noch verbleibenden Abend wollte man mit einem Abschiedsfest vor allem mir zu Ehren ausfüllen.

Zu dem Fest wurde ich aufs Feinste ausstaffiert, allerdings entsprach das Feinste nicht gerade meinem erlesenen Modegeschmack. Man steckte mich in Kleider, die man für einen Prinzen angemessen hielt, denn so viel Ehre wollte man dem zukünftigen Retter des Weißen Landes schon zukommen lassen. Ich wehrte mich zwar verzweifelt gegen die Strumpfhosen, die mir (als Hosenersatz) zugedacht wurden und gegen die Schuhe mit kleinen Glöckchen vorn an den Spitzen, aber ich hatte keine Chance gegen die Massen von Dienern, die mich schließlich überwältigten. Über die Zipfelmütze (ebenfalls mit Glöckchen) diskutierte ich mit den Zofen eine halbe Stunde lang, dann gab der Klügere nach und ich setzte das Ding auf. Beim abschließenden Blick in den Spiegel stellte ich dann eine höhere Ähnlichkeit mit einem Hofnarren als mit einem Prinzen fest.

Deshalb betrat ich den Festsaal mit gesenktem Kopf und vermutete gar nicht, dass der Applaus und das staunende Schweigen mir zugedacht waren. Lara kam zu mir.
"Du siehst großartig aus", flüsterte sie. Misstrauisch blinzelte ich sie an, aber es war keine Spur von Spott in ihrem Gesicht zu finden. Wahrscheinlich meinte sie das ernst.
"Ich sehe aus wie ein Hofnarr!" flüsterte ich zurück.
"Unsinn!" antwortete Lara. "Was du trägst, ist die Kleidung eines Prinzen. Gibt es so was bei euch nicht?"
"Das gab es schon, nur ist es bereits seit einigen Jahrhunderten aus der Mode." Lara nahm nun meinen Arm und führte mich zum Ehrenplatz.
"Denk einfach nicht dran, wie du aussiehst, sondern was du bist. Niemandem würde es hier einfallen, unseren einzigen Helden auszulachen."

Das Fest begann mit einer Ansprache Coraks, in der er mich dem anwesenden Volk vorstellte. Nach dem, was er so sagte, bin ich eine Mischung aus Herkules und Albert Einstein. (Ich würde dem Lehrkörper raten, dass in der nächsten Beurteilung zu erwähnen.) Nachdem er eine Weile geredet hatte und kurz bevor der Erste einschlief, eröffnete er den gemütlichen Teil des Abends, der Buffet genannt wurde. Ich glaube kaum, dass sich irgendjemand diese Speisetafel vorstellen kann, deshalb überspringe ich die Beschreibung, aber ich kann sagen: Schlaraffenland? Gebratene Tauben? Billigfutter!
Gerade, als ich den letzten Bissen in mich stopfte, leitete Corak mit einem Händeklatschen den nächsten Teil des Festes ein.
Ein Vorhang wurde auf der oberen Galerie des Saales zur Seite gezogen. Dahinter hatte ein Orchester Platz genommen. Dann drehten sich alle im Saal zu mir um und sahen mich erwartungsvoll an. Und ich guckte erwartungsvoll zurück.
"Der Eröffnungstanz!" flüsterte Lara.
"Na und?" flüsterte ich zurück.
"Das Fest ist zu deinen Ehren. Also musst du den ersten Tanz tanzen."
"Bist du verrückt? Ich kann überhaupt nicht tanzen. Und mit wem soll ich den tanzen?" Lara sah mich prüfend an und zog mich in die Mitte des Saales.
"Ich kann doch überhaupt nicht tanzen!" zischte ich ihr immer wieder zu. Ich rammte meine Fersen ins Parkett, aber vergeblich.
"Du kannst hier alles, was du willst. Du musst nur ganz fest daran glauben", sagte Lara. "Wenn du daran glaubst, kannst du Städte erschaffen und vernichten. Wobei du mit dem vernichten vorsichtig sein solltest." Zufällig warf ich einen Blick auf Corak. Der grinste wissend. Ich beschloss, dass er das eines Tages bereuen würde. "Pass auf", redete Lara weiter. "Du legst eine Hand auf meine Schulter und die andere gibst du mir. Ich führe." Das ist alles, was ich über tanzen weiß und jemals wissen werde. Und es reichte aus. Auf ein Zeichen fing das Orchester an zu spielen. Es war etwas Langsames. Zum Glück.
Ich konnte zwar Laras Füße nicht sehen, aber wenigstens waren sie nicht da, wo ich hintreten wollte. Nach zwei Minuten war ich zum ganz passablen Tänzer herangereift. Ich schwebte mit Lara über das Parkett, während sich immer mehr Paare uns anschlossen.
"Wenn du willst, können wir jetzt aufhören. Der Pflichttanz ist vorbei", sagte Lara nach einer Weile. Ich hatte zwar inzwischen Spaß an der Sache gefunden, wollte es aber nicht gleich übertreiben.
"Wir können ja nachher noch mal." Während wir zu unseren Plätzen zurückgingen, begann ich mich zu fragen, was Lara mit den Städten erschaffen oder vernichten gemeint hatte. Als wir saßen, fragte ich danach. Sie überlegte einen Moment.
"Es ist im Prinzip ganz einfach", erklärte sie. "Diese Dimension erscheint euch ab und zu in euren Träumen. Ihr seht dann einen Teil unserer Welt. Gleichzeitig träumt ihr aber eure eigenen Gedanken mit hinein. Und diese werden hier Realität. Deshalb bist du im Augenblick die mächtigste Person auf Zamora, auch wenn du in deiner eigenen Welt nur ein kleiner Junge bist. Denn in deiner Fantasie liegt die Macht, alles zu erschaffen, zu verändern oder zu zerstören. Aber du musst daran glauben. Mit all deiner Kraft." Ich sah sie etwas ungläubig an. Schließlich widersprach ihre Erklärung jeder Logik, von der ich (vor allem im Unterricht) je etwas gehört hatte. Ich runzelte die Stirn.
"Lara, es gibt ein Sprichwort bei uns. Träume sind Schäume. Sie sind unwirklich. Ich glaube auch nicht, dass ich nur durch Gedanken was erschaffen kann. Dazu brauche ich schon meine Hände. Wie können meine Gedanken denn was erschaffen?"
"Du wirst es lernen. Du wirst es begreifen und du wirst es schaffen, wenn es darauf ankommt. Das weiß ich."
In dem Augenblick kam Corak.
"Ihr müsst morgen sehr früh aufbrechen. Es ist besser, wenn ihr jetzt schlafen geht." Ich fühlte mich zwar noch nicht müde, folgte aber seinem Rat. Ich wollte mein Heldenimage, nicht durch dumme Quengeleien ruinieren. Corak brachte mich persönlich zu einem luxuriös ausgestatteten Gemach und verabschiedete mich an der Tür. Ich wusch mich und schlief ein, sobald ich mich hingelegt hatte.

Ich weiß nicht genau, was auf Zamora üblicherweise als früh gilt, aber mit meiner Auffassung stimmt es auf keinen Fall überein. Ich hatte mit Frühstück gegen neun Uhr gerechnet, doch die Sonne war noch nicht einmal aufgegangen und ich konnte sogar noch Sterne am Himmel sehen, als mich ein Diener wachrüttelte. Er hielt meine Klamotten in der Hand. Sein Glück, dachte ich. In dem Fummel von gestern Abend hätte ich keinen Schritt aus dem Zimmer gemacht. Ich zog mich so schnell an, wie ich das als Halbzombie konnte, und folgte dann dem Bediensteten zum Speisesaal.

An einem kleinen Tisch saß der Rest meines Trupps schon beim Essen.
"Entschuldige, dass wir schon angefangen haben. Du brauchtest etwas länger als wir dachten."
"Morgen" knatterte ich. Mehr konnte ich um diese Uhrzeit nicht rausbringen. Jemand goss mir ein Glas Milch ein und setzte mir eine Schüssel Cornflakes vor. Ich kaute langsam und nicht sonderlich begeistert. Besorgt sahen mich alle an.
"Bist du krank?" fragte Lara schließlich.
"Nein", seufzte ich. "Das gibt sich, sobald ich richtig aufgewacht bin." Doch schon lange vorher wurde das Frühstück als beendet erklärt und wir gingen zu unseren Pferden.

Ein paar Minuten später trabten wir aus dem Schloss in die leeren Straßen der Stadt. Das laut durch die Häuserschlucht schallende Klappern der Pferdehufe und das unsanfte Auf und Ab weckten mich jetzt ganz auf. Ich sog ein paar Mal kühle Morgenluft ein und sah mich genau um. Denn es bestand die Möglichkeit, dass ich nicht zurückkehrte.
"Kennst du die Richtung?" fragte ich Lara, die neben mir ritt.
"Ja. Keine Sorge, jeder von uns kennt sich im Weißen Land so gut aus, dass er selbst mit geschlossenen Augen sein Ziel findet. Corak hat dir einige Karten mitgegeben." Sie zeigte auf eine runde, längliche Lederhülle, die vorn an meinem Sattel hing. Ich warf einen Blick auf die anderen. Jeder war umfangreich für die Reise ausgerüstet. Dargol und Urglat hatten außerdem Waffen dabei: Urglat seine Keule; Dargol ein ganzes Arsenal von Drachenbekämpfungsmitteln, vom Schwert bis zur Pike. So etwas vermisste ich bei meiner Ausrüstung.
"Hat Corak mir etwas zur Verteidigung mitgegeben?"
Lara sah mich erstaunt an.
"Wozu? Du sollst Elendir zurückholen und niemanden umbringen." So etwas kann mich aufregen. Ich gab Lara ein Beispiel.
"Nehmen wir an, ich stehe in Reichweite von Elendir, und eine fünfundzwanzigköpfige Schutztruppe aus übelsten Nachtgestalten springt aus dem Nichts auf mich zu, um den Stein mit ihrem Leben zu verteidigen und meins dabei auszulöschen. Glaubst du, ich schaffe es, sie totzukitzeln?" Lara dachte kurz nach, ließ sich zu Elrun zurückfallen und redete eine Weile mit ihm. Dann kam sie wieder zu mir.
"Elrun kennt eine Waffe die angemessen für dich ist. Das leuchtende Schwert des Tempels von Moria. Wir werden dort vorbeikommen, sobald wir aus den Wäldern von Ceiron zurück sind."
"Gut. Und was wollen wir da?"
"Wo?"
"In den Wäldern von Ceiron."
"Wir bitten Ceiron um ein paar seiner Gefolgsleute. Kein normales Pferd würde es schaffen, uns schnell genug über das freie Land bis zum Morgul zu bringen, aber für die Zentauren ist es eine Kleinigkeit. Ich hoffe nur, dass er sie uns auch gibt", murmelte sie leise.
"Kannst du ihm das nicht einfach befehlen? Schließlich bist du die Prinzessin des Landes."
"So einfach ist das nicht. Die meisten Völker gehorchen mir freiwillig. Und es gibt Völker, wie Ceirons Zentauren, die sich nicht unter die Herrschaft des Weißen Schlosses gestellt haben. Wir leben friedlich nebeneinander, doch keiner ist verpflichtet, dem anderen zu helfen."
"Wie lange werden wir brauchen?"
"Drei Tage."

In diesen drei Tagen stellten sich uns keine nennenswerten Hindernisse in den Weg. Ich ließ mir von Lara viel von ihrem Land und seiner Geschichte erzählen und erfuhr Einiges über die Eigenarten seiner Bewohner. Sehr interessant, aber nichts Außergewöhnliches.

Am Nachmittag des dritten Tages änderte sich die Landschaft. Statt der weiten, bis zum Horizont reichenden Grasmeere, tauchte in weiter Ferne Wald auf. Wir beschlossen, bis zum Sonnenuntergang weiter zu reiten und unser Lager im Grasland aufzuschlagen, bevor wir am nächsten Morgen Ceirons Reich betreten würden, um den Zentauren zu suchen.
Wir schlugen unser Lager auf, als wir noch etwa zwei Kilometer vom Waldrand entfernt waren. Kaum hatten wir unser Essen verzehrt und uns zum Schlafen hingelegt, erscholl ein grauenhaftes, durchdringendes Geräusch, eine Mischung aus aufheulendem Motor, dem Geschrei eines Indianerangriffes und dem Geheul von Werwölfen.
"Sie feiern ein Fest", stellte Elrun fest. Der Weise hatte es geschafft, drei Tage kein einziges Wort zu sagen. Das war der erste Laut, den ich überhaupt von ihm hörte.
"Ein bestimmtes Fest?" fragte Dargol.
"Nein", antwortete Elrun. "Das ist ihr allabendliches Gute-Nacht-Fest." Ungefähr zu diesem Zeitpunkt war mein Puls wieder unter zweihundert.
"Wenn das Freudengeschrei ist, will ich sie nicht wütend erleben", murmelte ich.
"Macht euch keine Sorgen", beruhigte Elrun. "Sie haben keinen Grund uns anzugreifen, also werden sie es auch nicht tun."
Trotzdem brauchte ich länger mit dem Einschlafen.

Am nächsten Morgen weckte mich ein freundlicher Sonnenstrahl und nicht wie üblich Urglats Kampfgebrüll. Der Troll trieb sich in der Gegend rum, Elrun und Lara schliefen noch. Als ich so dastand und mich streckte, um auch den letzten Rest Müdigkeit aus meinem Körper zu verbannen, entdeckte ich Dargol. Er stand in voller Waffenrüstung etwa fünfzig Meter vom Lager entfernt. Ich fragte mich gerade, Dargol vorhatte, als er anfing, mit affenartiger Geschwindigkeit seine Waffen zu ziehen und damit einen imaginären Drachen fertig zu machen. Ich kenne mich zwar in Drachenbekämpfung nicht so aus, aber das Reptil hätte nicht die geringste Chance gehabt. Dargol sprang von einem Ort zum anderen, fast schneller als ich ihm mit dem Blick folgen konnte. Und jedes Mal stieß er mit dem Schwert zu. Innerhalb von Sekunden musste sein Gegner starke Ähnlichkeit mit einem Sieb aufweisen. Langsam ging ich auf Dargol zu, als er sein Schwert einsteckte. Offensichtlich war der nicht existierende Drache seinen schweren Verwundungen erlegen.
"Das sah ja wirklich gut aus" gab ich anerkennend zu.
"Ich bin auch der Beste", bestätigte Dargol. "Oder kennst du jemanden, der besser ist?"
"Nein", sagte ich mit tiefster Überzeugung. Und selbst wenn ich jemanden kennen würde, hätte ich das nicht zugeben. Schließlich wollte ich mein Verhältnis zu ihm verbessern. "Du bist der beste Kämpfer, den ich je gesehen habe", setzte ich noch dran.
"Wirklich? Besser als die Krieger in deiner Welt?"
"Definitiv." Dargol lächelte selbstgefällig. Meine Taktik wirkte. "Wo hast du das gelernt?" fragte ich weiter.
Dargol sah mich prüfend an, ob ich seine Antwort wert wäre. "Mein Vater hat es mir beigebracht. Und der hat es von seinem Vater. Und der wieder von seinem. Mein Urgroßvater hat übrigens noch gegen lebende Drachen gekämpft. Das hier ist das Schwert, mit dem der letzte Drache getötet wurde." Das Ding an seinem Gürtel sah aus wie ein King-Size-Sägemesser. "Jeder Drachenkämpferclan kämpft auf seine Weise. Mit der Zeit starben die Clans mit minderwertiger Kampftechnik aus und nur unser Clan überlebte. Unsere Technik geht auf Siegfried den großen Drachentöter zurück. Er hatte im Blut seines ersten erlegten Drachen gebadet und war dadurch unverwundbar geworden. Deshalb konnte er gefahrlos neue Kampftechniken ausprobieren. So entstand der 'Windtänzer'..." Hier begann sich Dargol in Einzelheiten zu verlieren, die ich mir mit (zugegeben) geheucheltem Interesse anhörte. Offenbar erzählte er gern von seinem Clan und offenbar hatte er nur selten Gelegenheit dazu. Er redete, als die anderen aufwachten, als Urglat zurückkehrte, als wir frühstückten, und als wir unsere Pferde sattelten. Erst als wir losreiten wollten sagte er: "Es gibt noch so viel zu erzählen, aber jetzt sollten wir uns auf unsere Aufgabe konzentrieren. Es ist nicht gut, wenn man zwei Dinge auf einmal macht. Ich werde dir später noch den Rest erzählen." Nach dieser Drohung stiegen wir auf unsere Pferde. Aus den Augenwinkeln sah ich dabei Lara, die mich anlächelte. Sie hatte wohl meine tieferen, diplomatischen Absichten erkannt.
Übrigens wäre es wirklich unmöglich gewesen, während des Rittes mit Dargol weiterzureden. Ich wurde durch die Schmerzen, die jede Faser meines Körpers aussandte, stark in meiner Konzentration behindert. Für einen geübten Reiter ist das vielleicht unverständlich, aber nach drei Tagen Ritt auf einem ungepolsterten Sattel über freies Gelände tat mir vor allem die Hinterfront empfindlich weh.

Wir erreichten den Wald nach kurzer Zeit. Dabei war dieser Wald nicht das, was ich sonst gewohnt war. Keine hochgewachsenen, vereinzelten Stämme mit breiten Wanderwegen zwischen ihnen. Dieser Wald war eine massive Wand, eine Festung. Der zuständige Oberförster musste seine Arbeit ziemlich vernachlässigt haben. Ich konnte kaum über das Unterholz sehen, selbst vom Pferd aus. Schnell wurde entschieden, dass Urglat, Elrun und Lara nach rechts reiten würden, und Dargol mit mir nach links, bis sich irgendwo eine Möglichkeit bot, den Wald zu betreten. Dann sollte ein schneidiger Pfiff die andere Gruppe rufen und gemeinsam in das Dickicht vorgedrungen werden.

Gemütlich trabten wir los. Überall bot sich uns das gleiche Bild: Sträucher und Hecken, die zwischen den mächtigen Stämmen bis in den Himmel ragender Bäume nicht nur den Durchgang, sondern auch die Sicht versperrten. Nicht alles davon war wild gewachsen, behauptete Dargol. Vieles war durch fachkundige Hände so angelegt worden. Die Botschaft war einfach: Zentauren bildeten eine geschlossene Gesellschaft und waren an einer Änderung dieses Zustandes nicht wirklich interessiert. Etwa nach fünfzehn Minuten blieb Dargol hinter mir zurück. Seine scharfen Augen entdecken etwas, was ich wohl übersehen hatte. Er rief mich zurück. (Ich hatte sein Stehenbleiben gar nicht bemerkt und war schon eine Strecke weitergetrabt.) Dann zeigte er auf eine Stelle, die sich für meine Augen um keinen Deut vom Rest des Gestrüpps unterschied.
"Die Hecke ist hier dünner", sagte er. "Ich kann eine Bresche reinschlagen." Ich nickte zustimmend und er zückte sein Schwert. Innerhalb von zwei Minuten hatte er einen bequemen Durchritt möglich gemacht. Zufrieden steckte er sein Schwert wieder weg. "So, jetzt können wir die anderen herpfeifen." Dabei sah er mich auffordernd an.
"Ich kann nicht pfeifen", entschuldigte ich mich.
"Ich auch nicht", gab Dargol zu. "Dann muss eben einer zurückreiten und die anderen holen." Er sah mich an. "Du siehst auf dem Rücken eines Pferdes nicht unbedingt glücklich aus."
"Wirklich?" bemerkte ich, da war er schon auf dem Weg.

Dargol war bereits außer Hörweite, als drinnen wütendes Gekreische losging. Das weckte meine Neugier. Die anderen würden in frühestens zwanzig Minuten da sein - ausreichend, um einen Blick auf die Szene hinter der Hecke zu werfen und wieder zurückzukommen. Vorsichtig steuerte ich meinen Gaul in den Wald.

Hinter der Hecke erwartete mich die erste Überraschung. Das Gestrüpp sollte offensichtlich nur als Schutzwall dienen, denn drinnen war der Waldboden nur mit kurzem, weichem Gras bedeckt. Nichts erinnerte an einen düsteren, verwilderten Wald, sondern mehr an eine gut gepflegte, licht- und luftdurchflutete Parkanlage. Die unteren Äste der Bäume streiften gerade um meinen Kopf und irgendwo aus dieser Höhe kam lautes Gezeter. Ich folgte dem Geräusch und entdeckte den Urheber fünfzig Meter vom Eingang entfernt.

Er sah aus wie ein Affe, obwohl ich relativ sicher bin, dass Affen kein neongrünes Fell haben. Das Wesen baumelte kopfüber an einem Baum, wo er sich anscheinend in einer Liane verfangen hatte. Ich musste ihn erst mal erwischen und festhalten (wirklich keine leichte Sache; das Tier war äußerst temperamentvoll) bevor ich ihn langsam befreite. Die Liane hatte sich wie eine Schlinge um seine Füße gewickelt, aber das machte mir keine sonderlichen Probleme. Nur das Wesen rastete immer mehr aus. Ich erhielt Tritte und Kniffe auf den ganzen Oberkörper und hätte fast meine Bemühungen aufgegeben, aber da hatte ich es schon losgemacht.
Als ich es befreit hatte, schauten wir uns genauer an. Ich war wohl nicht das, was es erwartet hatte. Kaum hatte es mir in die Augen gesehen, beruhigte es sich und wurde ganz anschmiegsam. Das Wesen sah wie ein Plüschtier aus. Ein kleines Äffchen mit dem Gesicht eines Mopses - bloß intelligent - mit neongrünem Fell und einem Schwanz, der doppelt so lang wie das Wesen hoch war.
"Hallo", sagte ich nur, da veränderte sich sein Gesichtsausdruck zu purem Entsetzen, dann stob der Kleine davon. Ich überlegte, ob ich meine Zähne nicht geputzt hatte oder sonst irgendwas an mir war, was seine Flucht erklären würde, als mich zwei starke Arme packten. Ich wurde vom Pferd gerissen und sah in eine riesige, verärgerte Fratze.
"Das! War! Mein! Frühstück!" Sie kennen Hausmeister Kallunke, wenn wieder ein paar Zehntklässler über seinen geliebten Rasen latschen? Der Kollege hier war schlimmer.
"Ich kann dir ersatzweise ein Pfefferminz anbieten" stöhnte ich mit der letzten, aus meinen Brustkasten herausgequetschten Luft. "Das macht satt und du kannst es gebrauchen." Denn mein Gegenüber hatte MUNDGERUCH. In Großbuchstaben.
"Ich hoffe, du schmeckst", war seine Antwort, die mir überhaupt nicht gefiel.
"Das glaube ich nicht. Das liegt an meiner falschen Ernährung. Wenn ich so schmecke wie die Hamburger, die ich mir immer reinschiebe, dann bist du besseres gewöhnt! Viel besseres!" Doch er achtete gar nicht mehr auf das, was ich sagte. Er wickelte mich in ein Seil, warf mich auf den Pferdeteil seines Körpers und trabte tiefer in den Wald hinein. Das war meine erste Begegnung mit einem Zentauren. Ich musste nur aufpassen, dass es nicht meine letzte würde.

Nach einem holprigen Ritt wurde meine Nase wieder aus dem Fell gehoben und zusammen mit dem Rest meiner Wenigkeit unsanft zu Boden geworfen. Als ich mich vorsichtig umsah, bemerkte ich einen gewaltigen Kochtopf und einen dunklen Höhleneingang, in dem die weibliche Hälfte des Zentauren stand.
"Was ist das, Fargon?" fragte sie.
"Was zu essen. Koch es!"
Übrigens, was ich hier als zivilisierte Kommunikation darstelle, lief in dem Kommandoton ab, mit unser Sportlehrer Herr Hörig versucht, uns zum morgendlichen Zehntausend-Meter-Lauf zu motivieren - für empfindliche Trommelfelle extrem schädlich. Die Zentauren schienen es gewohnt zu sein.
Die Zentaurin kam auf mich zugetrabt und hob mich hoch. Dann beobachtete sie mich misstrauisch.
"Was ist das, Fargon?"
"Ein ganz abscheulich schmeckendes, übelkeitsverursachendes, ungenießbares, nährstoffarmes und vielleicht auch giftiges Etwas, welches kaum zum Verzehr geeignet ist", sprang ich ein.
"Du hältst dich da raus" knurrte sie mich nur an.
"Keine Ahnung, Weib!" brüllte Fargon von irgendwo her, "Es war in der Falle, also koch endlich!"
"Vielleicht ist es wirklich ungenießbar?" Sie schnupperte auf eine Art und Weise an mir, die mir nicht gefiel.
"Ja, ja, ganz bestimmt! Ungenießbarkeit ist eines der Hauptattribute unserer Rasse", pflichtete ich bei, wurde aber von Fargon übertönt.
"Wir finden es raus, wenn du es in den Topf wirfst!"
"Da hat er recht", sagte Keirin und ließ mich fallen. Dann zündete sie das Kochfeuer an. Einen Augenblick später hatte sie aus der Höhle einige Gewürze geholt.
"Wenn ich nur wüsste, wie du schmeckst." Dabei sah sie ratlos zwischen dem Topf, den Gewürzen und mir hin und her.
"Sü...", wollte es mir gerade entfleuchen. Manchmal ist mein Mund schneller als mein Kopf, doch ich konnte mich noch stoppen. Ich hatte zwar mal gehört, dass Menschenfleisch süßlich schmecken soll, aber das brauchten die Zentauren nicht zu erfahren. Ich wollte ihnen nicht als Gourmethappen im Gedächtnis bleiben, wenn schon, dann als massive Magenverstimmung.
"Süß also?" Ich würdigte Keirin keiner Antwort. Sie warf verschiedene Gewürze in den Kessel, aus dem langsam erste Dampfschwaden aufstiegen. Ich hoffte, dass Dargol mit dem Rest der Truppe mittlerweile zum Eingang zurückgekehrt war, den Spuren folgen und in den nächsten Minuten hier auftauchen würde. So lauschte ich auf jedes Geräusch, das sich vom Waldrand näherte.

Ich wurde bitter enttäuscht. Das Wasser neben mir kochte und keine Rettung war in Sicht. Da hörte ich Pferdegetrappel. Doch es war keine Rettung: statt meiner Gefährten kam ein weiterer Zentauer.

Er war gewaltig. Größer als Fargon und Keirin, muskulöser und vor allem wesentlich älter. Statt des tiefschwarzen Haares der beiden anderen, war seines schlohweiß und wallte bis auf den Rücken herunter.

"Sei gegrüßt, Ceiron!" Ceiron! Das war also der Zentaurenkönig!
"Seid ebenfalls gegrüßt! Was habt ihr da?" Dabei zeigte er mit dem Finger auf mich.
"Das war heut früh in meiner Falle."
"Nicht in sondern an!" protestierte ich. "Ich war nur an seiner Falle und habe ein armes, unschuldiges Wesen befreit. Verzeiht mir meine Unwissenheit über die örtlichen Ernährungsgewohnheiten. Und lasst mich frei, denn ich bin als Ersatz denkbar ungeeignet." Ceiron sagte nichts, sondern hob mich hoch und betrachtete mich eingehend. Dann warf er mich wieder auf den Boden.
"Ich bin mir sicher, irgendwann schon mal solche Wesen gesehen zu haben. Aber wo?" murmelte er und trabte zu Fargon, der ein wenig abseits stand. Die beiden redeten leise miteinander und ab und zu sah Ceiron in meine Richtung. Jedes Mal hoffte ich inständig, dass er sich erinnern würde, dass ich Mitglied einer intelligenten Rasse bin, die man nicht einfach auffrisst. Doch jedesmal schaute er wieder weg.
Mittlerweile kochte das Wasser und Keirin hielt den Zeitpunkt für gekommen, die letzte Zutat in den Kessel zu werfen. Sie packte zu und hielt mich mit ausgestreckten Armen weit von sich, um meinen Tritten und Befreiungsversuchen zu entgehen. Ich schrie aus Leibeskräften und wehrte mich mit Händen und Füßen, bis ich plötzlich durch Ceiron zum Schweigen gebracht wurde.
"Halt!" brüllte er. "Jetzt fällt es mir wieder ein!" Fargon und Keirin blieben wie erstarrt stehen. "Das ist ein Mensch!" verkündete Ceiron. "Keine andere Rasse macht so einen Lärm, wenn es ans Leben geht!" Keirin hielt mich immer noch über den Kochtopf, doch stiegen meine Überlebenschancen. "Lass ihn runter", befahl Ceiron. Widerwillig ließ Keirin mich fallen. Ceiron kam zu mir und löste meine Fesseln.
"Er gehört zu den Völkern draußen, deshalb habt ihr noch nie einen seiner Art gesehen. Vor Jahrtausenden habe ich Seite an Seite mit ihresgleichen gekämpft. Es könnte viel Ärger geben, wenn ihr ihn verspeist." Ich nickte eifrig, um die letzte Aussage zu bestätigen. "Allerdings, dass die äußeren Völker zu uns kommen, bedeutet nichts Gutes." Ich zögerte kurz, dann nickte ich auch dazu.

In dem Moment erschien endlich Dargol und der Rest der Truppe. Hätte Ceiron sich nicht erinnert, dann wäre es zu spät gewesen. Das verschaffte ihnen einige Minuspunkte bei mir.

"Sei gegrüßt, Ceiron. Ich bin Lara, die Prinzessin des Weißen Schlosses." Der Zentauer neigte sein gewaltiges Haupt.
"Ich grüße euch ebenfalls." Kein Ehrentitel. Offensichtlich scherte sich Ceiron nicht sonderlich um Ränge. Andererseits waren er und Lara Kollegen. "Was wollt ihr hier?" Offenbar wollte Ceiron gleich zum Thema kommen.
"Wir brauchen eure Hilfe."
Ceiron lächelte müde.
"Euer Leben ist nicht unser Leben und eure Probleme nicht unsere."
"Die Gefahr bedroht alle, uns wie euch", wandte Lara ein. "Ohne deine Hilfe wird Morgul vernichtet. Dann überrennen uns die schwarzen Horden, mein Volk und das eure." Ceiron merkte auf.
"Morgul soll vernichtet werden? Wie kann das sein?"
"Sie haben Elendir. Wenn wir ihn nicht schnellstens zurückholen, wird bei der Übereinkunft der Planeten Morgul fallen." Ceiron schüttelte den Kopf.
"Konntet ihr nicht einmal auf diesen kleinen Kieselstein aufpassen! Jetzt sollen wir euch wieder rausholen! Versucht es, vielleicht finden sich ein paar Freiwillige. In manchen jungen Fohlen fließt abenteuerlustiges Blut."
"Ich kann mich noch gut an dich erinnern." Elrun hatte gesprochen. Er sah aus, als sprach er aus einer längst vergangenen Zeit und von einem weit entfernten Ort. "Du hast gekämpft wie ein Löwe damals. Du warst gefürchtet unter deinen Feinden und bewundert von deinen Freunden wegen deiner Kraft und deiner Macht. Aber wahrscheinlich hat dich die Zeit zu sehr geschwächt. O nein, du bist nicht mehr der starke Anführer der Zentauren. Du bist nicht mehr als ein müdes Pferd, das sich nicht traut, einem seiner Zentauren einen Befehl zu geben. Fürchtest du, deine Zentauren verweigern dir den Gehorsam und du wärst nicht stark genug, dich durchzusetzen? Fürchtest du, du bist zu alt?" Eines musste man Elrun lassen: er war mutig. Aber an dieser Stelle würde ich es eher dumm nennen, denn Ceiron war gegen Elrun das, was eine deutsche Eiche gegen ein Streichholz ist. Der Zentauer schnaubte und ich könnte schwören, dass aus seinen Nüstern Funken stoben.
"Wer wagt es, mich schwach zu nennen!?"
"Erinnerst du dich nicht mehr?" fragte Elrun schlicht. Ceiron stürmte auf Elrun zu und riss ihn aus dem Sattel. "Sind deine Augen so schwach, dass du mich nicht mehr erkennst?" fragte Elrun weiter. Ceiron kniff die Augen zusammen und betrachtete den Goblin genauer.
"Elrun?"
"Wie ich sehe, funktioniert dein Gehirn noch."
"Elrun!" rief Ceiron - jetzt voll Freude. Er drückte unseren Weisen an sich, wobei dem Kleinen ziemlich alle Rippen zerspringen mussten. Ceiron drehte sich zu Fargon und Keirin um. "Das ist so ziemlich der respektloseste Knappe mit dem losesten Mundwerk, der jemals gelebt hat! Er hat mir sogar mal das Leben gerettet! Hat einer Furie, die sich von hinten auf mich stürzen wollte, einfach Salz in die Augen geworfen, während ich vorn mit fünf oder sechs Golems beschäftigt war."
"Zwei."
"Vier!"
"Vielleicht drei. Aber mehr auf keinen Fall."
"Der respektloseste Knappe. Ich habe nicht geglaubt, dass du mit deinem Mundwerk ein langes Leben vor dir hast. Wie ist es dir ergangen?" Elrun schüttelte den Kopf.
"Uns fehlt die Zeit für Geschichten. Die Gefahr ist ernst. Wir müssen sofort aufbrechen. Und wenn du dich nicht traust, einigen deiner Zentauren zu befehlen, uns bis zum Morgul zu bringen, ist es schon zu spät." Missmutig schaute Ceiron Elrun an.
"Du hast es schon immer verstanden, mir keine Wahl zu lassen." Ein Augenblick gedankenvoller Stille trat ein. "In Ordnung. Fargon du trägst diesen kleinen Menschen da", er zeigte auf mich, "und Keirin die Prinzessin. Seht euch die Welt draußen an. Tragt die Menschen hin, wo sie wollen und sorgt dafür, dass ihnen und ihren Gefährten nichts passiert!" Scheu nickten die jungen Zentauren. Dann redete Ceiron wieder zu uns. "Wartet an der Stelle, an der ihr unseren Wald betreten habt. Ich schicke noch drei weitere Zentauren. Sehr kräftige", fügte er mit einem Blick auf Urglat hinzu. Dann verschwand er im Wald.

Fargon kam zu mir getrabt.
"Wie heißt du?" fragte er artig. Die Tatsache, dass ich zur Gemeinschaft von jemanden gehörte, der so gute Beziehungen zu seinem König hatte, flößte ihm Respekt ein.
"Felix", antwortete ich. "Freut mich, dich kennenzulernen."
"Tut mir leid, dass ich dich kochen lassen wollte." Dass kam mir das jetzt nicht mehr so schlimm vor. Ich versuchte immer noch, ein loses Mundwerk und Elrun miteinander zu verbinden. Wahrscheinlich hatte der Weise in seiner Jugend sein zugeteiltes Kontingent an Worten aufgebraucht und durfte jetzt nicht mehr zu verschwenderisch damit umgehen. Dann machten wir uns zum Waldausgang auf (Nachdem Keirin brandschutzgemäß das Feuer gelöscht hatte).

Die Zentauren mussten sich der Geschwindigkeit der Pferde anpassen, deshalb wartete Ceiron mit den drei anderen Zentauren schon auf uns, als wir den Treffpunkt erreichten. Wie ich später bemerkte, sind Zentauren sonst wirklich sehr schnell. Dort, wo Fargon mich aufgegabelt hatte, wartete immer noch mein Pferd. Als Dargol und die anderen auf der Suche nach mir hier vorbeigekommen waren, hatten sie es - wie von mir vermutet - angebunden und waren einfach den Spuren Fargons bis zu seiner Höhle gefolgt.

Doch jetzt befreiten wir die Pferde von unserem Gepäck und entließen sie mit einem leichten Klaps aus unseren Diensten. Lara war sicher, dass die Tiere allein zur Goldenen Stadt zurückfinden würden. Während die Prinzessin und ich bereits Fargon und Keirin bepackten, stellte Ceiron den anderen ihre Zentauren vor. Ich sah nur, dass der Urglat zugedachte mindestens genauso breit wie hoch war und einen stämmigen Eindruck machte. Das war angesichts Urglats Körperbau auch dringend nötig. Ich hörte nicht, wie sie hießen und gedachte eigentlich, das später heraus zu bekommen, doch dazu kam es nicht. Zentauren sind ein seltsames Volk. Und eine ihrer Hauptangewohnheiten ist es, so wenig wie möglich Kontakt zu anderen Rassen zu suchen.
Minuten später waren die anderen reisefertig. Zu unser aller Überraschung (vor allem der Zentauren) umarmte Ceiron Elrun zum Abschied.
"Versuche am Leben zu bleiben, mein Freund", sagte Ceiron. "Und falls du überlebst, lass dich hier mal blicken."
"Ich verspreche dir, am Leben zu bleiben, so wie die vergangenen viertausend Jahre. Dann komme ich und nerve dich für den Rest meines Lebens", erwiderte Elrun. Den Zentauren musste das alles seltsam vorkommen. Zuerst hatten sie noch nie in ihrem Leben eine andere intelligente Rasse gesehen, und jetzt stellte sich heraus, dass die verschiedensten Völker vor längst vergessenen Zeiten einmal zusammen gekämpft hatten. Doch nun mussten wir aufbrechen. Nach meiner Uhr war es Neun und wenn wir an diesem Tag noch etwas Sinnvolles vollbringen wollten, mussten wir langsam damit anfangen. Wie üblich überließ ich die Ausführung meiner Anregung Lara. Sie ritt langsam zu den zwei Veteranen und räusperte sich.
"Es wird Zeit aufzubrechen", sagte Elrun.
"Ja, es wird Zeit", seufzte Ceiron. "Zum Morgul?"
"Zuerst müssen wir zum Tempel von Moria", antwortete Lara.
"Durch die wasserlose Wüste."
"Sie ist kleiner geworden seit dem letzten Krieg. Man kann sie jetzt mit einem Pferd durchqueren."
"Früher schafften es nur Zentauren durchzukommen, bevor sie verdursteten", erinnerte sich Ceiron. "Was wollt ihr da? Die Mönche werden euch kaum helfen können, Morgul zu überqueren."
"Man hat das Leuchtende Schwert dorthin gebracht. Wir müssen es holen."
"Ich hoffe, dass ihr die Kuttenträger überzeugen könnt. Das sind Starrköpfe."
"Wir werden sehen." erwiderte Lara.

Langsam trabten wir zu der Bresche in der Hecke, während Ceiron zurückblieb. Ich sah ihn noch lange wie er allein dastand, groß, majestätisch, alt. Das Wahrzeichen einer längst vergangenen Epoche.
Lara ritt als erste nach draußen. Sie hatte auf Keirin die Führung übernommen, da sie, im Gegensatz zu mir, den Weg kannte.

Als ich auf Fargon gerade ins Freie trabte, sprang urplötzlich etwas auf meinen Rücken. Für einen Moment blieb mir das Herz stehen und ich kriegte keine Luft mehr. Dann sah ich die fellbedeckten, neongrünen Arme und Beine, die sich an mich klammerten, und den Schwanz, der zweimal um meine Hüfte gewickelt war. Ich erinnerte mich an den kleinen Affen, den ich aus der Falle befreit hatte. Fargon erinnerte sich auch.
"Ah, mein Frühstück", murmelte er. Aber inzwischen war ich wieder für feine Nuancen von Wahrnehmungen fähig - das heißt, ich zitterte selbst nicht mehr - und spürte, wie das Äffchen am ganzen Leib schlotterte. Das Schlottern verstärkte sich.
"Nix Frühstück. Nulldiät." Elrun lenkte seinen Zentauren neben mich. Er war auf dem Pferdewesen kaum zu bemerken. Für ihn hätte ein Zentaurenpony genügt.
"Ein Arak", bemerkte er. "Schmeckt wirklich ausgezeichnet, wenn man ihn richtig zubereitet. Sind aber schwer zu fangen."
"Denkt hier jeder nur ans Essen? Der Kleine sucht bei mir Schutz! Ich werde ihn nicht essen und ihr auch nicht. Verstanden?" Elrun zuckte nur mit den Schultern, Fargon ließ ein missmutiges Brummen hören. Ich löste nun vorsichtig die Umklammerung und hielt den Arak vor mich.
"Bleib in meiner Nähe", sagte ich zu ihm, "dann landest du in keinem Kochtopf."
"Arak bleibt immer da!" plapperte das Äffchen. Gut, dachte ich, wenn er Arak als seinen Namen betrachtet, dann nenne ich ihn in Zukunft auch so. In der Zwischenzeit waren alle aus dem Wald herausgekommen und Lara hatte Keirin die Richtung angesagt.
"Festhalten!" rief Keirin. "Es geht los."

Von uns hatte bis dahin nur Elrun das Vergnügen gehabt, auf einem Zentauren zu reiten, aber außer mir wussten alle wenigstens ungefähr, was sie erwartete. Ich leider nicht. Ich sag bloß, ein Raketenstart ist ein Spaziergang dagegen. Panisch griff ich nach dem Erstbesten, woran ich mich festhalten konnte. Ich erwischte Fargons wehendes Haar, zog mich daran bis in den Windschatten seines Rückens, umklammerte seine Hüfte und blieb mit fest geschlossenen Augen so sitzen. Erst nach ein oder zwei Stunden wagte ich es, meine Augen einen Spalt weit zu öffnen.

Die Landschaft raste an mir vorüber. Wir waren zu schnell, als dass ich Kleinigkeiten wie etwa Bäume, Felsen oder ähnliches genau erkennen konnte, sie verschwammen zu bunten Streifen. Die Hufe der Zentauren wirbelten den trockenen Boden auf und dichte, lange Staubfahnen markierten unseren Weg. Trotz des Tempos strauchelte kein Zentauer und keiner war außer Atem. Ich glaubte, einen glücklichen Schimmer auf ihren Gesichtern zu sehen - die Freude darüber, mit voller Kraft ausgreifen zu können, anstatt langsam zwischen Bäumen entlangzutraben. Ich fragte mich, warum dieses Volk trotzdem den engen Wald bevorzugte, obwohl es offensichtlich für die Weite geschaffen war.

Ein Blick auf die anderen zeigte, dass auch sie sich festklammerten - bis auf Elrun, der aussah, als bestände für ihn nicht die geringste Gefahr herunterzufallen. Nachdem wir das weite Grasland durchquert hatten (wofür wir bei der Hinreise zwei volle Tage gebraucht hatten), würde die Gegend öder. Bäume, die vorher vereinzelt bis in den Himmel reichten, verschwanden ganz, die Büsche waren nicht mehr grün, sondern eher braun und zwischen dem Gras gab es nun trockene Flecken, die immer größer wurden, bis nur noch einzelne Pflanzeninseln übrig blieben.
Nach weiteren zehn Minuten Ritt verschwand selbst das letzte bisschen Vegetation. Der Boden wurde sandiger, bis riesige Dünen sich bis zum Horizont erstreckten, vor uns, neben uns und bald auch hinter uns. Das musste die Wüste sein, die Lara und Ceiron vorhin erwähnten.
Die Zentauren galoppierten jetzt nebeneinander. Die Sandfahnen, die sie aufwirbelten, hätten dem Hintermann Sicht und Atem genommen und abgesehen davon: jedes Sandkörnchen wäre bei dem Tempo ein schmerzhaftes Kleingeschoss.
Die Sonne brannte erbarmungslos auf meine sonnenbrandanfällige, sensible Haut. Selbst der starke Gegenwind brachte keine Kühlung; der brennende Atem der Wüste schlug uns entgegen. (Das wollte ich schon immer mal schreiben.) Aber ehrlich: halten sie sich einen Föhn ins Gesicht, das kommt dem ziemlich nahe.
Wieder verbarg ich mich hinter Fargons Rücken. Da die Wüste bis zum Tempel reichte, würde ich wohl kaum eine landschaftliche Sehenswürdigkeit verpassen.

Drei Stunden später hielten wir an. Ich war mittlerweile in einen leichten Dämmerzustand gefallen und musste meine Augen wieder an das grelle Sonnenlicht gewöhnen. Und so hielt ich das, was ich vor mir sah, für ein Trugbild.

Fast senkrecht vor uns ragte ein gewaltiges Gebirge auf. Die schneebedeckten Gipfel der Berge reflektierten das Licht des Tages und verstärkten es unerträglich, so dass keiner sie ansehen konnte. Doch das wollte auch niemand. Denn wir standen am Fuß einer Treppe, die hier unten wohl an die hundert Meter breit war, am oberen Ende dagegen an einem winzig kleinen Punkt kurz unter den Wolken im Berg verschwand.

Details

Seiten
ISBN (ePUB)
9783739464398
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2019 (August)
Schlagworte
Drachen Abenteuer Märchen Fantasy Humor

Autor

  • Matthias Czarnetzki (Autor:in)

Matthias Czarnetzki begann als Banker, wurde Journalist und studierte Informatik, bevor er feststellte, dass Schriftsteller mehrere Leben führen können, aber nur für eins Steuern zahlen müssen.
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Titel: Felix - Held in Ausbildung