Lade Inhalt...

Spezl-Wirtschaft

von Ben Lehman (Autor:in)
293 Seiten
Reihe: Provinzkrimi, Band 1

Zusammenfassung

Mord in Obergrandau, einer kleinen Stadt im Berchtesgadener Land. Das Opfer ist ein Gast aus dem vornehmen Hotel Post. Sie wurde vergiftet. Schnell hat Hauptkommissar Hühnerbein, genannt Hühner, einen Täter gefasst: Walter Schmidtbauer, sympathischer Taxifahrer mit abgebrochenem Politik-Studium und Verehrer schöner Frauen, doch im Leben bisher ein Versager. Er landet im Gefängnis. Der reiche Siegfried Lang will ihm aus der Patsche helfen. Vielleicht aus Eigennutz? Plötzlich beginnt für Walter ein fast endloser Leidensweg. Er wird zwar das Gesicht von Langs Ökohof und sein Konterfei ziert alle Litfaßsäulen, alle nennen ihn jetzt Walt, doch er schlittert von einer Misere in die Nächste. Erst der Mordverdacht, dann ein angeblicher Selbstmordversuch, kurz darauf wird er schon wieder wegen Mordes verdächtigt. Keine Aussicht für Walter, gäbe es nicht gute Freunde, die im Hintergrund in Obergrandau die Geschicke lenken, echte Spezln halt. In Oberbayern gehen die Uhren manchmal etwas anders. Nicht nur der Dialekt, den der lustige Ermittler Lenz Zrenner spricht, ist für "Nordlichter" gewöhnungsbedürftig, auch die Methoden des Hauptkommissars Hühner sind noch nicht so fortschrittlich, wie zum Beispiel in München. Die Fortsetzung, ein merkwürdiger Unfall in Obergrandau, ist in Vorbereitung und erscheint bald. Schön, wenn Dir die oberbayerische Geschichte gefällt. Ich freue mich über jede Beurteilung - danke im Voraus. Ben Lehman

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


1.

Nachdem Walter das Fahrziel erreicht hatte, drehte er den Kopf zu seinem wohlbeleibten Fahrgast nach hinten und brummte entnervt: „Sieben achtzig“.

Er war heute bereits die vierte Kurzstrecke gefahren, stundenlang hatte er vergeblich auf eine etwas lohnendere Tour gehofft. Als Taxifahrer hast du es alles andere als leicht: Am Parkplatz rumhängen, blöd über nichts quatschen und endlos Zigaretten rauchen, bis sich endlich mal ein Fahrgast erbarmt. Aussuchen kannst du dir den sowieso nicht. Und dann immer die gleiche Scheiße: An der Ampel stoppen, die natürlich immer dann rot wird, wenn du es eilig hast oder wenn ein Penner seinen Vorwärtsgang sucht und ihn nicht findet, dann ist die Ampel auch schon wieder rot. Sich von anderen Autofahrern grundlos beschimpfen lassen – sogar Radler quatschen dich blöd an, wenn du keinen Meter Abstand hältst, und dann erst die Fußgänger! Und noch tausend andere Dinge, die dir den Arbeitsalltag so richtig versauern können.

Der Fahrgast wühlte in seiner Geldbörse. „Hab ich nicht“, keuchte er und blickte dann in das hintere Fach, das prall gefüllt war, wie Walter aus dem Augenwinkel sehen konnte.

„Hundert? Sie können doch wechseln.“ Er hob die Augenbrauen, zog einen Hunderter heraus und hielt ihn Walter vor die Nase.

Walter schoss das Blut in die Birne.

„Was glaubt ihr eigentlich, was unsereins einnimmt? Geben Sie her, das Wechselgeld kriegen Sie, sobald ich genug kassiert habe. Ich ruf Sie garantiert an!“

„Unverschämtheit, Sie primitiver Taxler, Sie! Alles Verbrecher heutzutage. Früher landeten solche wie du im Knast.“

„Dort kennst du dich bestimmt super aus“, keifte Walter zurück.

Der Fahrgast ließ den Hunderter wieder verschwinden und zog einen Zehner heraus.

„Na also, geht doch!“ Walters Laune war auf dem Tiefpunkt. Er holte zwei Euros von seinen spärlichen Einnahmen, reichte sie nach hinten und wartete darauf, dass der Widerling endlich verschwand.

„Ist das alles?“ Der Dicke suchte vergeblich nach einem Papiertaschentuch und zog dann den Rotz hoch, die laufende Nase war aber nicht zu bremsen. Hoffentlich fand Walter nicht später wieder alles auf dem Rücksitz.

Der Typ setzte den rechten Fuß aus dem Wagen. „Dann behalt den Rest und mach dir einen schönen Abend, aber sauf nicht zu viel!“

Walter konnte nicht anders. „Zwanzig Cents Trinkgeld soll ich versaufen? Wie denn? Dann fress dir doch lieber den Ranzen noch voller, Fettarsch!“

„Beleidigen lasse ich mich nicht. Und von so einem wie dir schon gar nicht.“

„Ja? Was bin ich denn für einer?“

Der Dicke hörte das jedoch nicht mehr, weil er im selben Augenblick die hintere Wagentür zustieß.

„Auch gut.“ Walter atmete einmal durch und beendete kurz darauf diesen trostlosen Arbeitstag. Dann schlurfte er grollend nach Hause.

Er hasste seine kleine Wohnung in der Mühlengasse in dem verschlafenen Ort Obergrandau, nahe Bad Reichenhall. Keiner hatte eine Ahnung, woher der unpassende Name Mühlengasse kam. Eine Mühle gab es hier jedenfalls nicht und hatte es auch nie gegeben. Walter war in Bad Reichenhall geboren und liebte seine Heimatstadt. Wegen seiner Anstellung als Taxifahrer war er vor einem Jahr nach Obergrandau gezogen. Davor war er von einem ziemlich erfolglosen Aufenthalt in Washington DC zurückgekehrt, niemand wollte dort einem halbfertigen Politikstudenten einen Job anbieten. Obergrandau war seine letzte Rettung gewesen.

Die Ausstattung seiner Wohnung war sagenhaft, also im negativen Sinne. Winzig, Souterrain, halbhohe Fenster, das hintere vergittert, weil es die Kinder beim Fußballspielen auf dem Hof bereits mehrmals zerdeppert hatten. Ein klappriges Bett, ein wackeliger Schrank, ein Tisch und zwei Stühle – das Mobiliar stammte noch vom Vormieter. Es hatte sich für den Kerl nicht gelohnt, das wurmstichige Zeug mitzunehmen. Etwas Besseres als so ein schäbiges Loch konnte Walter sich im Augenblick nicht leisten, hoffentlich nicht für immer.

Zum Entspannen ging er deshalb lieber ins Gasthaus Huberwirt im Nebenhaus, blieb oft stundenlang sitzen und dachte über sein wenig erfolgreiches Leben nach, das er sich einmal ganz anders vorgestellt hatte. Beim Huberwirt bekam er einen strammen Max nach Art des Hauses, also eine Scheibe Leberkäs mit Spiegelei und Ketchup, und eine Portion Kartoffelsalat für fünf neunzig. Der Kartoffelsalat war stadtbekannt, er wurde täglich von der Frau des Pächters Wildmoser frisch zubereitet, mit Essig, Öl und Zwiebeln, wie man es in Bayern eben liebt. Mayonnaise im Kartoffelsalat wollte hier keiner, auch wenn mancher es in Hamburg oder Düsseldorf schon einmal probiert hatte. Rosi, die gut gebaute Bedienung, wusste natürlich, dass Walter auf Ketchup stand und die rote Soße in ausreichender Menge haben wollte. Genau genommen bestand er darauf, sonst konnte er giftig werden. Und weil eine Bedienung weiß, was man einem Stammgast schuldig ist, warf Rosi ihm oft schon ein halbes Dutzend Beutel Ketchup auf den Tisch, bevor er sein Bier bestellt hatte.

„Sonst vergesse ich´s wieder“, gackerte sie und blinzelte dem gutaussehenden jungen Gast freundlich zu.

Heute war die Gaststube brechend voll, man feierte den runden Geburtstag des Polizisten Max Weber unter angetrunkenem Grölen. Inmitten der Gruppe stand auf einem Extratisch ein Fünfzigliterfass helles Bier. Jeder konnte zapfen, sobald sein Bierkrug leer war, was regelmäßig der Fall war, schließlich gibt´s nicht so oft Freibier. Das Fass musste bereits gekippt werden, damit der Krug noch komplett gefüllt werden konnte. Ein Gast übergab sich gerade, was von seinen Kollegen brüllend kommentiert wurde. Rosi sauste gerade, sichtlich verärgert, mit einem Eimer Wasser und mehreren Putzlappen heran und schimpfte über die maßlose Sauferei der Polizisten.

Walter wandte sich angeekelt ab. Im Nebenzimmer setzte er sich auf einen freien Platz neben einen Typen, den er vom Sehen kannte – „darf ich?“ –, und stierte kurz darauf in sein Bier.

Der Gast nickte: „Heute stinkig, Walter?“ Er grinste ihn von der Seite an.

„Ha? Was?“ Walter erschrak. „Wieso Walter?“

„Wie soll ich dich sonst nennen?“

„Wer sind Sie, … du?“ So angeduzt zu werden konnte er gar nicht leiden. Manche Fahrgäste schienen zu glauben, dass Taxifahrer Menschen zweiter Klasse sind, und duzten auch ihn immer wieder. Dann erfuhren sie aber jedes Mal recht schnell, dass ein ehemaliger Student der politischen Wissenschaften sehr deutliche Worte draufhat.

„Rate mal“, feixte der andere.

„Lass mich in Ruhe! Ich kenn dich nicht.“ Walter starrte wieder in sein Bier. Gerade brachte Rosi sein Essen. Während sie den Teller hinstellte, blickte Walter gedankenverloren auf ihren prallen, hochgeschnallten Busen. Ob der bei dieser Bewegung jetzt gleich aus dem knappen Dirndl heraushüpfen würde? Das wäre mal eine angenehme Abwechslung beim Huberwirt. Leider nicht.

„Guten Appetit!“

„Danke, Rosi.“ Walter öffnete den ersten Ketchup-Beutel.

Sein Sitznachbar befasste sich wieder mit seinem Stapel Papier. Doch er konnte es nicht lassen. „Bist schon ein seltsamer Vogel, Walter, mit deiner Ketchup-Fresserei. Du könntest echt mehr aus dir machen!“

Walter hob den Kopf, starrte ihn an und schmatze weiter. Doch das Schweigen hielt er nicht lange durch. „Wenn ich gegessen habe, erzähl ich dir was“, brummte er, während er ein weiteres Ketchup-Tütchen aufriss.

Der Nachbar kicherte. „Ich freue mich schon darauf. Dann lernen wir uns endlich besser kennen. Ich beobachte dich seit geraumer Zeit.“

Walter warf ihm einen kurzen Blick zu, dann aß er weiter.

„Ich könnte dir helfen“, sagte der Gast trotzdem.

Walter schwieg.

„Ich meine es im Ernst.“

Was sollte diese blöde Bemerkung? Walter biss sich auf die Unterlippe und entschied dann, erst einmal freundlich zu antworten: „Und wieso? Wie soll ich das verstehen?“

„So bin ich eben, ein echter Menschenfreund.“

„Wie genau, will ich wissen.“

„So wie ich es gesagt habe.“

„Hab´s nicht verstanden.“

„Frag deine Freundin. Du hast doch eine?“

„Was geht dich das an?“

„Nichts, war nur eine Frage. Wenn du heute zu ihr gehst, iss nicht wieder Wurstsalat mit Zwiebeln und Ketchup, wie gestern.“

Walter stutzte, überlegte kurz, dann meinte er: „Siehst doch, dass ich einen strammen Max esse, schon mit Ketchup, aber ohne Zwiebeln, oder hast du Tomaten auf den Augen?“

„Gut, gut. Wollte es nur erwähnen. Gestern wusstest du es allerdings nicht.“

„Hatte ich vergessen“, brummte Walter, „geht dich aber nichts an. Ketchup mag ich eben lieber als Zwiebeln.“

„Reden wir über deine Freundin. Wie heißt sie eigentlich?“

Walter hätte auch ganz anders antworten können. Doch jetzt war er müde und schlecht gelaunt, außerdem wollte er sein Essen nicht kalt werden lassen.

„Leila“ brummte er, während er ein großes Stück Leberkäs dick mit Ketchup bestrich und in den Mund schob.

„Ach ja, die liebe Leila“, grinste sein Nachbar, „kenne ich.“

Walter entschied von diesem Augenblick an endgültig zu schweigen. Dieses hirnlose Gequatsche war ihm echt zu blöd. Nach einer anstrengenden Taxischicht bist du einfach fertig und brauchst kein Gespräch mehr.

Er stand auf. „Dann bis morgen, vielleicht.“

Später besuchte er Leila, sie wohnte auf der anderen Straßenseite, ein paar Häuser weiter. Ihre Wohnung war ebenso klein wie Walters, allerdings lag sie im Dachgeschoss und bot einen wunderschönen Ausblick auf den kleinen Park hinter dem Haus.

„Schön, dass du mich besuchen kommst.“

„Freust du dich?“

„Hast du Zwiebeln gegessen?“

Walter stutzte, dann murmelte er: „Wieso? Natürlich nicht. Strammer Max, wie immer ohne Zwiebeln.“ Doch dann lächelte er, denn Leila trug ein durchsichtiges Negligé, kein Höschen darunter und keinen BH. Walters Grinsen wurde breiter. „Toller Busen“, sagte er und griff zu.

„He, he, nicht so eilig. Setz dich erst einmal. Willst du was trinken?“

„Was hast du denn?“

„Einen offenen Weißwein von gestern, schmeckt aber garantiert noch gut.“

„Du hattest gestern Besuch?“

„Ja, doch.“

„Wen?“

„Kennst du nicht, ist ein alter Freund.“

„Und worüber habt ihr gesprochen? Oder habt ihr …?“

„Lass diese blöde Fragerei. Wir haben über die Arbeit gesprochen.“

„Ich weiß nur, dass du für einen Supermarkt arbeitest. Was genau machst du da eigentlich?“

„Bin in der Buchhaltung, aber nur vier Tage die Woche.“

„Aha, also Buchhalterin.“

„Nicht direkt. Ich vergleiche die Kassenbelege mit den Einnahmen.“

„Geld zählen ist nicht schlecht“, stellte Walter schmunzelnd fest.

„Fällt dir nichts Besseres ein, als mich über meine Arbeit auszufragen? Ich bin froh, dass ich den Job habe. Du hörst damit jetzt auf, oder du gehst besser wieder in dein Verlies!“

Nach einem Blick auf Leilas ansprechende Figur entschied Walter, nicht zu gehen. „Einen komischen Kerl habe ich heute im Huberwirt kennengelernt. Hat mich blöde angequatscht.“

„Ich kann mir gut vorstellen, wie du reagiert hast, Walter. Das muss ich jetzt nicht so genau wissen. Komm jetzt, aber zerreiß mein Negligé nicht! Hat einen Haufen Geld gekostet.“

Walter zog sich blitzschnell aus. Leila schlüpfte vorsichtshalber selbst aus ihrem durchsichtigen Nichts und stand vor ihm. Eine tolle Figur, die er mit Händen von oben bis unten berührte. Dann warf er sie aufs Bett und lag auch schon neben ihr. Leila lächelte leise und öffnete die Schenkel.

„Bleibst du heute Nacht bei mir?“ fragte sie später.

Er nickte und küsste sie wieder.

2.

Sehr viel besser gelaunt als am Vortag startete er am nächsten Morgen sein Taxi. Der Diesel stotterte zuerst und blies eine dicke, schwarze Rauchwolke aus dem Auspuff. Bald tuckerte er jedoch in beruhigender Regelmäßigkeit. Er dachte an die wilde Nacht mit Leila – was für eine Frau! Sie hatte gewiss noch viel mehr drauf, das musste er unbedingt herausfinden. Er konnte sein Glück immer noch kaum fassen, dass er diese attraktive junge Frau vor gerade mal drei Wochen ins Café Guglhupf am Marktplatz hatte einladen dürfen, nachdem sie am Bahnhof bei ihm eingestiegen war – obwohl er, wie immer, finanziell klamm gewesen war. Und heute war sie seine Freundin. Echt schöne Frauen gibt’s in Obergrandau nicht so viele.

An diesem Tag lief alles wie am Schnürchen. Er hatte kaum Standzeiten und überwiegend gute Touren. Keine Arschlöcher als Fahrgäste wie den Fetten vom Vortag. Auch nicht nur Kurzstrecken vom Bahnhof ins nächste Hotel oder von Obergrandau nach Untergrandau für sieben sechzig, sondern sogar zwei Fahrten nach Bad Reichenhall und eine nach Berchtesgaden. Es gab mehrmals gutes Trinkgeld. Ein Saudi oder so was Ähnliches wollte nach Ankunft des Elf-Uhr-Zuges vom Bahnhof ins erste Hotel am Platz gebracht werden. Walter empfahl das prominente Hotel zur Post, dort gab´s für jeden angeschleppten Gast eine angemessene Provision, sobald der eingecheckt hatte. Die Tour kostete einundzwanzig Euro fünfzig, der Typ gab ihm dreißig und wollte das Wechselgeld allen Ernstes nicht annehmen. Stattdessen lächelte er, richtete seinen Turban und stieg aus. Walter wollte seine Koffer herausheben, aber der Hoteldiener James war schneller und nickte Walter zu.

„Auf Wiedersehen, goodbye“, rief ihm Walter nach, und „thank you, sir.“

Wenig später brachte ihm James ein Kuvert.

Eine gutaussehende Dame, nicht mehr die Jüngste, winkte ihm zu. „Sind Sie frei?“

Walter nickte. „Wo darf´s denn hingehen?“

„Ins Café Rialto. Wissen Sie, ich liebe italienisches Eis, das Champagner Sorbet dort ist ein Gedicht, besonders, wenn es von Mario serviert wird. Sollten Sie mal probieren. Worüber freuen Sie sich so?“

„Netter Gast gerade und prima Trinkgeld, darüber kann man sich doch freuen.“

„Kriegen Sie von mir aber auch“, sagte sie mit angenehm tiefer Stimme. „Sie sehen übrigens gut aus, junger Mann. Sind Sie Student?“

„Äääh …“, stotterte er überrascht, dann dachte er, ja, warum nicht: „Doch, bin ich, ja.“

„Was studieren Sie denn?“

„Politische Wissenschaften.“ Wohlweislich verschwieg er, dass er das Studium längst an den Nagel gehängt hatte.

„Eine gute Wahl für einen jungen Studenten, der mal aufsteigen will.“ Sie lächelte. „Vielleicht werden Sie mal Minister. Finanzminister vielleicht?“

„Das ist mein Nahziel“, gluckste Walter, inzwischen war er aufgetaut.

„Wir müssen unbedingt mal darüber reden. Könnte für Sie wichtig sein, also, ich meine für Ihre Zukunft. Wie heißen Sie?“

„Wie ich heiße?“

„Ja, wie?“

„Walter.“

„Übermorgen Abend, Walter? Hier in der Hotelhalle, dann besprechen wir ein paar Dinge. Okay?“

Walter nickte vollkommen überrascht und freute sich kurz darauf über ein dickes Trinkgeld.

„Danke. Vielen Dank, gnädige Frau.“

„Aber doch nicht gnädige Frau! Fragen Sie übermorgen Abend nach Melissa aus der Suite 132. Um acht?“

Walter nickte verblüfft und hielt den Atem an, bis sie im Café Rialto verschwunden war. Hinter der Tür wedelte ihm noch einige Zeit ein Vorhang Erfolg versprechend zu.

Er konnte nicht ahnen, welches Schicksal ihn mit dieser reichen Dame erwartete.

Bevor er sein Taxi in die Garage fuhr, zählte er sein Trinkgeld und wollte es kaum glauben. Zweiundzwanzig Euro sechzig, der Tag war absolut spitze gewesen.

Bevor er in seine Stammkneipe aufbrach, zog er sich um, ein buntes Hemd zur schwarzen Jeans.

Obwohl das Lokal ziemlich leer war, blickte er vorsorglich ins Nebenzimmer. Tatsächlich! Der Kerl saß wieder dort, vertieft in seinen Papierkram. Mit einem etwas unsicheren Grinsen setzte er sich, sagte „hallo“ und bestellte eine Tomatensuppe, dazu eine Scheibe Brot und ein leichtes Weißbier.

„Wo bleibt das Ketchup?“, stichelte der Mann.

„Zur Suppe? Quatsch!“

„Wieso nicht aufs Brot, damit es nicht so staubt? Ich beobachte dich seit Tagen und frage mich, wie man solche Mengen Ketchup vertilgen kann.“

„Rosi hat mich heute nicht vergessen, falls du das meinst, weil ich schon vorher meine Suppe bestellt hatte, oder siehst du hier vielleicht Ketchup?“

Er schüttelte den Kopf. „Aber sonst immer.“

„Ein Leben ohne Ketchup ist natürlich möglich, aber sinnlos.“

„Das kenn ich irgendwie anders. Hast du von Loriot abgekupfert. Geschäfte heute gut gelaufen? Du wirkst so aufgeräumt.“

Walter nickte und löffelte weiter.

„Suppe ist eine gute Wahl. Mit vollem Bauch bist du zu träge. Das kann Leila nicht leiden.“

Walter spürte, wie Zorn in ihm hochstieg. „Was weiß denn du von Leila?“

„Viel. Ich kenne sie noch besser als dich.“

„Du kennst mich überhaupt nicht, verstanden?“

„Nicht verstanden, Walter. Ich kenne dich besser, als du glaubst. Weil du mein Mieter bist!“

„Dein was soll ich sein?“

„Du kennst nicht einmal deinen Vermieter? Schäm dich! Hier, deine Selbstauskunft!“ Der Mann zog ein Blatt Papier aus seinem Stapel und wedelte damit vor Walters Nase herum.

Darauf wusste er nichts zu antworten und löffelte erst einmal seine Suppe weiter. Sollte er den Kerl jetzt blöd anquatschen oder besser die Klappe halten? Er kam zu dem Schluss, dass es ungeschickt wäre, den Typen zu verärgern. Er konnte ja nicht ausschließen, dass der die Wahrheit gesagt hatte.

„Natürlich kenne ich meinen Vermieter, aber ich lass mich nicht verarschen. Sag mir deinen Namen oder, besser, zeig mir deinen Ausweis.“

„Aha. Der Herr Politikstudent hat kombiniert.“

Walter stutzte. Woher wusste der das? Ja, klar.

Der Nachbar zog seine Geldbörse heraus, die ziemlich prall gefüllt wirkte. Daraus zog er eine Visitenkarte hervor:

Siegfried Lang – genau, das war der Name seines Vermieters – und eine Telefonnummer.

„Kannst du behalten, Walter, damit du meinen Namen nicht vergisst.“ Lang grinste mit kaum verhohlenem Triumph.

„Tschuldigung …, Herr …“

„Siegfried ist okay. Meine Freunde nennen mich Sigi. Hast mich ja gestern schon geduzt.“

„Wieso sitzen …, sitzt du hier im Gasthaus? Ist deine Wohnung ebenso scheiße wie meine?“

„Nicht scheiße, aber langweilig und einsam. Außerdem gehört mir auch dieses Haus. Also bin ich hier genauso zu Hause, und dieser Tisch ist immer für mich reserviert. Wenn nicht, kann ich durchaus ärgerlich werden.“

Walter erstarrte förmlich, der Rest seiner Suppe war kalt geworden. Er schüttelte ungläubig den Kopf und erinnerte sich dann. „Und wie … äääh, wie willst du mir helfen? Hast du schon zweimal gesagt.“

„Ganz einfach. Ich finde, du siehst gut aus, hast Benehmen, wenn du magst, hast auch ein wenig rumstudiert und solltest nicht für den Rest deines Lebens Taxi fahren, sondern mehr aus dir machen. Bist ja nicht blöd. Denk mal darüber nach! Irgendeine Tätigkeit mit Perspektive, falls du eine Idee hast. Und immer auf dich achten! Deshalb hatte ich dir auch empfohlen, keine Zwiebeln zu essen, bevor du Leila oder eine andere Frau besuchst. Leila ist wirklich ein nettes Mädel … und hübsch ist sie, auch wenn sie beruflich … äääh, wie soll ich es sagen, also … einen besseren Job haben könnte.“

Walter starrte ihn ungläubig an. „Wieso redest du so um den heißen Brei herum? Ich habe kein Wort verstanden.“

„Sagte ich doch. Denk über dich nach. Falls dir nichts Vernünftiges einfällt, besprechen wir das mal. Ich habe immer gute Ideen.“

Walter nickte und schwieg.

Als Leila ihm später die Tür öffnete, erwartete sie ihn zu seiner Enttäuschung in Jeans und Bluse, einer schicken Hochsteckfrisur, super geschminkt, erkennbar ausgehbereit, die Jacke schon in der Hand.

„Gehen wir irgendwohin?“

Er zögerte kurz, nickte und meinte dann: „Wohin möchtest du gehen?“

Sie lächelte. „Am liebsten ins Rialto. Möchte mal wieder einen Eiskaffee trinken. Kennst du das Rialto?“

„Klar. Ich war allerdings selbst noch nicht drin. Aber meine Fahrgäste mögen es.“

„Dann wird’s Zeit.“

Das Rialto war gut gefüllt. Walter und Leila quetschten sich an den einzigen freien kleinen Tisch.

„Hallo Leila.“ Der Kellner berührte vertraut ihre Schulter, bevor er die Bestellung aufnahm. „Geht´s gut?“

„Geht schon. Bring mir einen Eiskaffee, mit Schuss, Mario.“

„In Ordnung. Wie immer.“ Er lächelte verschmitzt. „Und der Herr?“

„Zwei Kugeln Champagnersorbet.“

„Oh“, Leila stieß ihn in die Seite, „du kennst dich aber aus. Das beste Eis des Hauses.“

„Eine Kundin hat mir das empfohlen. Wieso kennst du den Kellner so gut?“

„Ich kenne ihn eben. Kann mich schließlich nach der Arbeit nicht immer vergraben. Genügt das?“

Walter reagierte nicht. Später, als das Eis vor ihm stand, fragte er dann doch nach, denn die Andeutung seines Vermieters ging ihm nicht aus dem Kopf: „Die Kasse im Supermarkt zu überprüfen ist nicht so einfach.“

„Ja und?“

„Da musst du gut rechnen können.“

„Kann ich, war schließlich nicht in der Baumschule. Und jetzt frag mich nicht dauernd über meine Arbeit aus. Ich habe Feierabend – und du auch.“

„Kaufst du den Wein in deinem Supermarkt?“

„Ich klaue nicht, wenn du das meinst.“

„Entschuldige“, stotterte er.

„Mein Eiscafé ist spitze.“ Leila lächelte ihn verführerisch an. „Gehen wir anschließend zu mir?“

Die Nacht war unglaublich. Und Walters Ausdauer überraschte ihn selbst.

„Du hast heute keine Zwiebeln gegessen“, stöhnte Leila nach der zweiten Runde. „Du bist heute super drauf.“

„Du merkst es, wenn ich Zwiebeln gegessen habe?“

„Aber bitte, Walter! Nicht merken, riechen! Ich habe übrigens beschlossen, dich ab heute Walt zu nennen, okay?“

„Wieso Walt?“

„Weil Walter langweilig ist und altmodisch und blöd klingt. Walt ist viel moderner. Jeder kennt den Namen und denkt vielleicht dann an den berühmten Walt Disney. Wenn ich dich mal jemandem vorstelle, werde ich sagen ‚das ist Walt, mein Freund. Wir kennen uns seit unserer USA-Reise.“

„Das ist doch Blödsinn. Ich war allein in den USA. Damals kannte ich dich noch gar nicht.“

„Ist doch völlig egal. Du liebst mich doch, oder?“

„Aber klar, Leila. Ich bin so froh, dass ich dich habe. Du bist die schönste Frau in Obergrandau und meine ganz persönliche Traumfrau. Vor allem nachts.“

„Aber nicht nur nachts, gell!“

„Nein, nein. Du hast gesagt, Walt ist moderner. Bin ich als Walter vielleicht nicht modern?“

„Überhaupt nicht, Walt. Und auch deine Kleidung, da fällt mir echt keine treffende Bezeichnung ein, ohne dich zu beleidigen.“

Walter dachte nach. Das musste geändert werden. „Kennst du Siegfried Lang?“

„Natürlich. Sigi ist mein Vermieter.“

„Deiner auch?“

„Der hat einen Geldscheißer, aber ich mag ihn trotzdem.“

„Oder gerade deshalb?“

„Werde nicht gemein, Walt, sonst nenne ich dich wieder Walter.“

„Übrigens habe ich morgen keine Zeit, habe Spätschicht.“

„Wieso denn? Das hattest du doch noch nie, Walt.“

„Ist aber so!“

„Dann passt das prima. Ich habe nämlich auch keine Zeit.“

3.

Am nächsten Tag dachte Walter lange nach. Über Leila und ihre männlichen Bekannten, die bei ihr Wein tranken, über Siegfried Lang, der mehr aus ihm machen wollte, und über Melissa von Suite 132 im Hotel Post und ihre Einladung, die er noch nicht einordnen konnte. Und wieso kannte der Kellner aus dem Rialto Leila so gut? Richtig vertraulich hatte er ihr auf die Schulter geklopft. Beinahe hätte er in Gedanken einen Radfahrer gerammt, während er in eine Seitenstraße einbog. Der warf sich zum Glück zur Seite, sprang hoch, zeigte ihm den Stinkefinger und fluchte so schrecklich, wie es nur aggressive Radler draufhaben. Walter öffnete das Seitenfenster und schrie: „Scheißkerl! Sei froh, dass ich dich nicht plattgemacht habe.“

Der Radfahrer fuhr erneut den Stinkefinger aus, drohte mit der Faust und schrie: „Arschloch, blödes! Scheiß Dieselstinker“, sprang wieder auf sein Fahrrad und flitzte um die nächste Ecke.

Stundenlang stand Walter danach am Bahnhof und wartete wie alle anderen Taxifahrer auf Züge. Sie diskutierten und rauchten in Gruppen und beobachteten jeden Fahrgast mit Koffer, in der Hoffnung, dass endlich wieder einer nach einem Taxi rief.

„Ich habe schon lange die Schnauze voll“, meinte Paul, der bereits seit Jahrzehnten diesen Beruf ausübte. „Ein Hungerlohn ist das. Eigentlich will ich ja endlich mit dem Rauchen aufhören, aber in diesem Scheißberuf ist das die einzige Abwechslung.“

„Reg dich ab!“ Maria war die einzige Frau in der Gruppe. „Was sollen wir erst sagen? Nicht einmal den Mindestlohn zahlt er mir. Du bist wenigstens dein eigener Herr und entscheidest sogar deine Fahrzeiten selbst.“

„Du hast gut reden. Du wackelst einfach ein bisschen mehr mit deinen Titten, da stehen ja vor allem die älteren Fahrgäste darauf. Meinst du vielleicht, wir kriegen das nicht mit? Oder kauf dir ein Taxi, dann geht´s dir genauso gut wie mir. Wirst schon sehen, welche Kosten und Steuern dann auf dich zukommen.“

„Kaufen? Ich? Ein Taxi? Können vor lauter Lachen, Paul. Wenn du mir das Geld vorstreckst, bin ich sofort dabei.“

„Hast wohl keine gute Bank, weil du mich anhaust, Maria.“

„Nein, habe ich nicht und anhauen würde ich dich schon dreimal nicht. Deswegen habe ich auch zum nächsten Ersten gekündigt. Da verkauf ich doch lieber Klamotten. Dort grapscht mich auch keiner an, ihr könnt euch nicht vorstellen, wie mir das schon lange auf den Geist geht.“

„Auch nicht schlecht, dann können wir uns endlich wieder ordentliche Witze ohne schlechtes Gewissen erzählen.“

„Macht ihr doch sowieso. Als würdet ihr euch mit euren schweinischen Witzen zurückhalten. Wie lange machst du denn noch, Walter?“ Sie wandte sich an ihn. „Du hast doch sogar studiert, oder?“

„Jaja“, brummte Walter, „schon, aber jetzt bin ich hier.“

Vincent, ein blasser Student, meinte: „Aber unser beider Zukunft sieht ganz anders aus, Walter, gell?“

Walter antwortete nicht.

Auch aus dem nächsten Regio stiegen keine Fahrgäste aus, die nach einem Taxi Ausschau hielten. Erst recht kein Saudi, der ein dickes Trinkgeld versprochen hätte.

Walter dachte an sein bevorstehendes Treffen im vornehmen Hotel Post.

Er kleidete sich sorgfältig, dabei erinnerte er sich an Leilas Kommentar, dass ihr über seine altmodische Kleidung keine treffende Bemerkung einfällt. Leider war seine vorhandene Auswahl an Kleidungsstücken wenig üppig. Wieder ging er ins Gasthaus Huberwirt, setzte sich wie selbstverständlich neben Siegfried Lang, begrüßte ihn kurz und bestellte eine Cola und ein Schinkenbrot.

„Seit wann trinkst du Cola?“, wunderte sich Siegfried, „Cola hebt den …, du weißt schon, oder?“

„Hab ich nicht nötig.“

„Heute schon, oder? Besuchst du nicht Leila?“ Er grinste.

„Die hat heute keine Zeit.“

„Weiß ich doch.“

„Wieso?“

„Ich habe sie zum Essen eingeladen.“

Walter verschluckte sich fast an seinem Schinkenbrot, das er dick mit Ketchup bestrichen hatte.

„Wieso?“, widerholte er idiotischer weise, nachdem er ausgiebig gehustet hatte.

Siegfried ging darauf nicht ein. „Du hast heute irgendwas Wichtiges vor, so schick, wie du dich gemacht hast, schwarze Jeans und dunkles Shirt. Eine andere?“

„Ich treffe mich mit einem Geschäftsfreund.“

„Wen meinst du denn damit? Deine Taxlerkollegen siehst du doch den ganzen Tag. Ist es nicht eher eine Freundin?“, bohrte Siegfried.

„Und wenn schon.“

„Also doch! Ist sie nett?“

„Wir haben was zu besprechen.“ Im selben Moment ärgerte sich Walter, das hätte er besser nicht gesagt.

„Keine Angst. Leila erfährt es von mir nicht.“

Walter zog den Kopf ein.

„Im Hotel Post?“

„Wieso kommst du gerade auf die Post?“

„Weil du hier immer in Räuberzivil rumrennst.“

Walter antwortete nicht.

„Gut so“, nickte Siegfried. „Darüber reden wir morgen.“

Punkt acht betrat Walter mit Herzklopfen das Hotel Post. Er kannte bislang nur den Empfangsbereich, wo er oft seine Vermittlungsprovision abholte. Für ein Posthotel richtig vornehm, dachte er, als er den feudalen Gastraum betrat und sich suchend umblickte.

Tatsächlich. Sie saß an der Bar, ein Glas Sekt in der Hand und drehte sich gerade um. Als sie Walter erblickte, winkte sie ihm zu und deutete auf den freien Hocker neben sich. Walter näherte sich langsam.

„Guten Abend …, ich weiß Ihren Namen gar nicht.“

„Melissa heiße ich, das weißt du doch ...“

Er errötete. „Guten Abend, Melissa. Schön, Sie zu sehen.“

Melissa schien mindestens bereits beim zweiten Sekt angelangt zu sein, da ein leeres Glas vor ihr auf der Theke stand. Sie lächelte: „Schön, dich zu sehen, wolltest du doch sagen, oder?“

Walter nickte und setzte sich auf den Hocker.

„Für den Herrn auch einen Champagner, Roberto“, rief Melissa dem Ober zu.

„Kommt sofort, Melissa!“

„Dann auf dein Wohl, lieber Walter.“

Sie hob ihr Glas, nachdem der Kellner Walters Champagner gebracht hatte.

„Auf dein Wohl.“

Es war Walters erster Champagner, er hatte ihn sich anders vorgestellt.

„Wie geht es dir? Anstrengenden Tag gehabt?“

„Passt schon. Prost.“

Walter wusste nicht, wie er sich verhalten sollte. So eine Einladung hatte er noch nie erlebt, sogar mit Champagner, wer weiß, wie teuer der war. Er beschloss, seine charmanteste Seite hervorzukehren, und setzte sein schönstes Lächeln auf, das bisher immer gewirkt hatte. „So eine schöne Bluse“, sagte er und schämte sich im nächsten Moment, weil ihm nichts Besseres eingefallen war.

„Gefällt sie dir?“

„Und ob.“ Walter wurde sicherer. „Worüber wollen wir reden?“ Er wagte es sogar, ihr zuzuzwinkern.

„Du gefällst mir, Walter, das habe ich dir ja schon gesagt.“ Sie rückte etwas näher zu ihm. „Vielleicht könnte ich mehr aus dir machen.“

Walter nickte überrascht, lächelte und dachte daran, dass Siegfried Lang es ganz ähnlich formuliert hatte.

„Aha.“ Er blieb vorsichtig.

„Ja“, Melissa rückte näher, „ich möchte einen meiner Geschäftsführer feuern. Den Job könntest du doch übernehmen. Hättest du Lust?“

„Ääääh …“ Walters Herz machte einen gewaltigen Sprung oder so etwas Ähnliches, „ja, doch …, vielleicht.“

„Nicht vielleicht, Walter. Sicher. Ich erklär es dir. Aber nicht hier. Die Kellner haben immer so große Ohren.“ Mit den Händen formte sie diese in der Luft. „Wir können ja anschließend ins Rialto gehen. Ich muss mir nur noch eine Jacke holen. Komm doch rasch mit, damit du hier nicht so allein rumhockst! Am Ende schleppt dich noch irgendeine Schickse ab, bevor ich zurückkomme.“

Sie zog Walter vom Hocker und hinter sich her zum Lift. Oben angekommen, öffnete sie ihre Tür und schob Walter regelrecht hinein. Noch nie hatte er so ein feudales Hotelzimmer gesehen.

„Schönes Zimmer.“ Mehr brachte er nicht heraus.

„Ist die schönste Suite im Hotel.“ Sie lächelte. „Wenn ich hier absteige, sag ich immer: ‚Meine Präsidentensuite, bitte, Herr Oberhofer.‘ Setz dich auf die Couch, es gibt noch ein Gläschen Schampus.“

Melissa stand auf und nahm eine angebrochene Champagnerflasche aus dem Kühlschrank. „Auf dein Wohl, lieber Walter“, sagte sie und saß auch schon direkt neben ihm, mit Körperkontakt. „Wir müssen noch unser Du besiegeln.“

Sie legte den Arm um Walters Hals und küsste ihn erst vorsichtig und, nachdem Walter den Mund geöffnet hatte, leidenschaftlich. Sie berührte sein Gesicht: „Ein schöner Mann bist du, Walter.“

„Meine Freunde sagen ‚Walt‘ zu mir.“ Sofort ärgerte er sich, das hätte er besser nicht gesagt, weil es Leilas Idee gewesen war.

„Dann nenne ich dich auch Walt. Ist viel moderner, unbedingt. Ab heute bist du Walt, mein Geschäftsführer. Was sagst du dazu?“

Walter fühlte sich wie im falschen Film. „Geschäftsführer von was?“

„Du wirst mein Vermögen verwalten, das ist alles. Kannst du doch! Ich sehe dir das an. Du hast ja studiert. Wir werden uns gut verstehen.“

Sie nahm Walters Hand und führte sie an ihren beachtenswerten Busen. Als Walter zupackte, stöhnte sie leise und küsste ihn wieder. Walter spürte, dass sich bei ihm was regte. Er begann, Melissas Bluse aufzuknöpfen, vorsichtig.

„Ich helfe dir“, sagte sie, als Walter beinahe an dem raffinierten Knopfsystem gescheitert wäre.

Nachdem er ihren BH geöffnet hatte, sah er wohlgeformte Brüste, vielleicht zu wohlgeformt ... Sie stand auf, stand vor ihm, ein schöner Anblick. Walter beschäftigte sich umgehend mit ihren restlichen Kleidungsstücken.

„Jetzt steht eine nackte Frau vor dir“, lächelte Melissa, „wie gefalle ich dir?“

„Super!“ Das war nicht gelogen. Blitzschnell entledigte er sich seiner Kleider und stand nun vor Melissa mit anschwellendem Untergeschoss.

Es wurden feurige Stunden.

Später sagte sie: „Morgen regeln wir das Geschäftliche, Walt, einverstanden?“

„Ich kann es mir noch gar nicht vorstellen. Was werde ich tun müssen, wo werde ich wohnen oder leben? Wo bist du überhaupt zu Hause? Du bist doch nicht von hier.“

In Walters Kopf schwirrte es wild durcheinander.

„Morgen, Walt, alles morgen. Ich bereite einen Vertrag vor, den wir morgen unterzeichnen. Dann gilt er. Morgen Abend, vielleicht um sieben?“

Walter nickte sprachlos.

„Und anschließend besiegeln wir unsere Vereinbarung mit ein paar netten Stunden, okay? Wie viel möchtest du eigentlich verdienen? Nenn mir eine Zahl.“

Walter schluckte. Nachdem er den Mund mehrmals geöffnet und geschlossen hatte, sagte er: „Weiß ich nicht. Schreib du die Summe auf. Ich bin einverstanden.“

„Gut, gut. So machen wir es.“

„Ich muss los“, sagte er nach einem Blick auf seine Uhr, es war bereits elf, „habe morgen Frühschicht. Dabei bin ich total durcheinander.“

„Schön“, entgegnete Melissa, „wirklich schön, wenn du durcheinander bist. Ich freue mich schon auf morgen.“

Walter torkelte förmlich nach Hause, obwohl er stocknüchtern war. Nie und nimmer kann ich jetzt schlafen, dachte er und betrat sein Gasthaus. Trotz der späten Stunde saß Siegfried Lang wieder an seinem Stammtisch. Walter ließ sich auf einen Stuhl am Nachbartisch plumpsen und atmete tief.

„War´s so schlimm?“

„Noch viel schlimmer.“

„Spann mich nicht auf die Folter.“ Siegfrieds Kopf ging hoch.

„Vielleicht bin ich bald nicht mehr hier“, sagte Walter nachdenklich, „aber mehr sag ich nicht.“

„Soll ich das als mündliche Kündigung deiner Wohnung verstehen?“

„Nein, um Gottes willen! Ist noch viel zu früh. Ich sag´s dir morgen, wenn ich den Vertrag unterschrieben habe.“

„So ernst?“

„Ich glaub schon.“ Walter zögerte kurz, dann sagte er: „Ich werde Geschäftsführer, also vielleicht. Morgen Abend unterschreibe ich den Vertrag. Dann kündige ich meine Wohnung und ziehe weg.“

Siegfried blickte lange vor sich hin.

„Ehrlich gesagt, Walter, das würde mir sehr leidtun. Ich hätte mit dir auch so einiges vorgehabt. Aber gut, dann eben nicht. Hoffentlich vergisst du Leila nicht, mein Lieber. Ich muss schlafen. Gute Nacht, bis morgen. Soll ich die Daumen drücken?“

Walter nickte. „Gute Nacht.“

4.

Walter wälzte sich die ganze Nacht von einer Seite auf die andere. An richtigen Schlaf war nicht zu denken. Kaum eingenickt, war es auch schon wieder vorbei. Schweißgebadet wachte er mindestens hundert Mal auf. Seine Gedanken kreisten von einem Extrem ins nächste. Einmal sah er sich als großen Firmenboss mit Anzug und Krawatte an einem riesigen Schreibtisch sitzen, darauf fünf Telefone, die alle gleichzeitig klingelten, dann wieder als fluchenden Taxifahrer, dessen Fahrzeug nicht anspringen wollte, obwohl mehrere Fahrgäste ungeduldig warteten und schimpften. Zuletzt dachte er an Leila. Wie sollte er ihr das erklären und wie würde sie darauf reagieren? Vielleicht traurig, vielleicht einfach nur wütend mit den Worten: „Du hast mich nur benutzt, du gemeiner Schuft du!“

Übel gelaunt und alles andere als ausgeschlafen, begann er seine Taxifrühschicht. Es wurde ein normaler Arbeitstag mit wenig Trinkgeld und ausreichend Ärger, entweder wegen des Fahrpreises oder wegen der verstopften Straßen oder beidem. Obwohl Walter immer korrekt den Taxameter einschaltete, musste er ständig Diskussionen wegen der Höhe des Fahrpreises führen, für den er überhaupt nicht zuständig war. Dann war an Trinkgeld nicht mehr zu denken.

Um Punkt sechs saß er beim Huberwirt, wenige Minuten später kam Siegfried angehumpelt.

„Hast du dich verletzt?“, wollte Walter wissen.

„Hab ich nicht“, schnauzte er.

„Warum schreist du mich an? Du humpelst doch.“

„Schon immer, Mann!“

„Wusste ich nicht.“

„Dann weißt du es jetzt.“

„Ja, ja.“

„Du wirst also heute einen Vertrag als Geschäftsführer unterschreiben.“

Walter nickte.

„Um was für eine Tätigkeit handelt es sich? Du hast dein Studium gar nicht abgeschlossen. Wissen deine Vertragspartner, was du studiert hast? Bestimmt nicht. Willst du trotzdem unterschreiben?“

„Darüber haben wir noch nicht geredet. Aber ich habe erklärt, dass ich politische Wissenschaften studiert habe, und das stimmt ja wohl.“

Siegfried nickte: „Gerade mal fünf Semester, dann bist du in die USA abgehauen und hast dort rumgejobbt. Kurz vor dem Verhungern bist du hier wiederaufgetaucht.“

„Geht dich das was an?“

„Wollte dich nur daran erinnern. Mach keinen Scheiß, und unterschreibe nicht leichtfertig einen Vertrag, den du nicht erfüllen kannst. Halte dich mit dem Bier zurück, damit du da nicht angedudelt hinwackelst. Lies dir den Vertrag ganz genau durch! Besser, du bringst ihn mit und schläfst darüber eine Nacht. Sieh das als wohlgemeinten Ratschlag eines guten Freundes an.“

„Ich habe mich hier noch nie mit Bier volllaufen lassen“, fuhr Walter auf. Dann beruhigte er sich: „Aber danke dir für den Ratschlag. Ich werde ihn beherzigen.“

Zehn Minuten vor sieben brach er auf. Die wenigen Schritte bis zum Hotel Post versuchte er noch einmal seine Gedanken zu ordnen. Was würde ihm Melissa für einen Vertrag vorlegen? Wollte sie ihn womöglich nur für sich als Liebhaber gewinnen? Immerhin war Melissa deutlich älter als er. War das moralisch für ihn ein Problem? Könnte er das auf Dauer mit seinem Gewissen vereinbaren? Und hatte er überhaupt eine Alternative? Er war finanziell so klamm, dass er ohnehin nicht wusste, wie es weitergehen sollte. Aber mit so einer Tätigkeit könnte er eine echte Liebesbeziehung zu einer netten jungen Frau, einer wie Leila, und eine Familiengründung vergessen, auch wenn er mit seinen siebenundzwanzig Jahren dafür noch genügend Zeit hatte. Vielleicht ließe Melissa ihn nie wieder los?

Geschäftsführer? Finanzen verwalten?

Er schüttelte den Kopf. Er würde Verantwortung für eine Aufgabe übernehmen müssen, von der er keinen blassen Schimmer hatte. Nun, da er klarer sah, überlegte er, ob er besser wieder umkehrte, bevor er eine unüberlegte Dummheit machte. Aber vielleicht hatte er einiges auch völlig falsch verstanden? Genau genommen war ihm in der letzten Nacht alles viel zu schnell gegangen. In einem erotischen Zustand reagiert man eben anders, der gesunde Menschenverstand hat dann Pause. Andererseits, seine derzeitige Situation? Für die paar Kröten, die er als Taxler verdiente, war keine Verwaltung nötig gewesen. Wenn die weg waren, dann waren sie eben weg. „Walter“, sagte er zu sich, „sei auf der Hut. Sieh dir die ganze Sache in Ruhe an und sag lieber nein, als dich ins Unglück zu stürzen. Denk an das, was Siegfried gesagt hat!“

Diese Entscheidung bekräftigte er mit heftigem Nicken. Hoffentlich beobachtete ihn gerade niemand und hielt ihn für durchgeknallt.

Bevor er das Hotel betrat, atmete er ein letztes Mal tief durch. Ausatmend drückte er auf die Drehtür und betrat das Hotel. Heute Abend schien ordentlich viel los zu sein. Wahrscheinlich viele Neuankömmlinge, die gerade eincheckten. Doch bald begriff er, dass etwas anders war. Die meisten, die hier umherwuselten, sahen nicht wie Hotelgäste aus. Als der Empfangschef Oberhofer, der ihm immer die wenigen Kröten auszahlte, entdeckte, flüsterte er einem Mann neben ihm etwas zu. Der drehte sich um und war mit wenigen Schritten bei ihm. „Polizei! Hände hoch! Sie sind verhaftet!“

Zwei weitere Polizisten, einer in Uniform, der andere in Zivil, standen auch schon neben ihm und legten Walter blitzschnell Handschellen an.

„He! Was soll das?“, fauchte er. „Seid ihr verrückt geworden?“

„Schnauze!“, zischte der Mann in Zivil.

„Lasst mich los, verdammt noch mal. Ich bin hier Hotelgast.“

„Aha, Hotelgast. Dann kommen Sie mal mit.“

„Wieso denn? Ich will erst wissen, was ihr von mir wollt.“

„Erfahren Sie sofort. Kommen Sie!“

Walter wurde in einen kleinen, äußerst kärglich eingerichteten Raum bugsiert, eine Art Besenkammer, darin ein winziger Tisch und vier Stühle. Er wurde auf einen der Stühle gedrückt, die drei Polizisten setzten sich auf die übrigen drei Stühle.

„Ich bin Hauptkommissar Hühnerbein, dies sind meine Kollegen Weber und Siegel.“ Er deutete auf die anderen Polizisten.

„Zuerst nehmen wir Ihre Personalien auf. Bitte Name, Adresse, Wohnort und so weiter.“

„Ich will erst wissen, was ihr von mir wollt! Ich habe hier eine Verabredung, die will ich nicht warten lassen.“

Hühnerbein ging gar nicht darauf ein. „Ja, also, wie erbeten: Name und so weiter. Dann erfahren Sie alles.“

„Na gut“, stöhnte Walter, „mein Name ist Walter Schmidtbauer Er leierte seine Personalien runter, während einer der Polizisten eifrig notierte.

Zuletzt blickte Walter auf. „Was noch? Letzter Stuhlgang?“

„Nein, darauf verzichten wir heute.“ Hauptkommissar Hühnerbein ließ sich nicht provozieren.

„Herr Schmidtbauer, wieso sind Sie in dieses Hotel gekommen? Sie haben uns gerade erklärt, dass Sie Taxifahrer sind. Vorher sagten Sie zu meinem Kollegen, Sie seien Hotelgast. Was stimmt eigentlich?“

„Alles.“ Walter konnte sich kaum beherrschen und schrie es heraus: „Ich bin Taxifahrer und komme jetzt gerade als Hotelgast, weil ich eine Verabredung habe, wegen einer Vertragsverhandlung.“

„Gut.“ Hühnerbein nickte. „Und mit wem sind Sie verabredet?“

„Sie heißt Melissa. Sie bewohnt hier die Präsidentensuite.“

„Meines Wissens gibt es im Hotel Post keine Präsidentensuite. Aber wie auch immer. Weiter. Wie heißt Ihre Bekannte Melissa mit Familiennamen?“

Walter spürte, wie eine heiße Woge in ihm hochstieg. „Hab ich vergessen, nein, äääh, genau genommen weiß ich es nicht. Aber Sie können nachfragen, Sie bewohnt die Präsidentensuite Nummer 132.“

„Zimmer 132 kennen wir sehr wohl. Aber da wohnt keine Melissa. Der letzte Gast dort war eine Andrea Friedrich.“

„Kenne ich nicht.“

„Gut.“ Hühnerbein nickte wieder.

„Wieso soll das gut sein“, schrie Walter los. „Sie haben die Zimmer verwechselt oder meinen eine ganz andere Person. Ich kann Sie gerne zu 132 führen, dann sehen Sie, was das für ein angeblich normales Zimmer ist. Und Melissa wird alles aufklären. Nun nehmen Sie mir endlich die Handschellen ab, verdammt noch mal.“

„Herr Schmidtbauer“, Hühnerbeins Miene wurde sehr ernst, „der weibliche Hotelgast von Zimmer 132 wurde ermordet. Der Rezeptionist behauptet, dass Sie sich gestern mit dem Gast getroffen hatten und anschließend auf ihrem Zimmer verschwunden sind. Ist das richtig, oder wünschen Sie, dass Ihnen das der Empfangschef noch einmal persönlich bestätigt?“

Walter schluckte und wurde kreidebleich. „Das muss ein Irrtum … sein.“ Er schüttelte mehrmals den Kopf. „Schon. Ich war mit Melissa auf ihrem Zimmer 132, aber die andere Person kenne ich nicht. Wieso soll ich lügen, wenn das die Wahrheit ist?“

„Das werden wir herausfinden“, murmelte Hühnerbein. „Wir nehmen jetzt Ihre Fingerabdrücke und machen das Übliche. Dann erklären Sie uns, welche Art Verabredung …“, er sah ihn bedeutungsschwanger an, „... sie heute haben sollten.“

Nachdem die polizeilichen Ermittlungsarbeiten durchgeführt waren, wurde Walter wieder in die Besenkammer geführt. Ein Uniformierter posierte sich breitbeinig an der Tür. „Wir können jetzt auf die Handschellen verzichten, Herr Schmidtbauer. Unsere Überprüfung hat ergeben, dass Ihre Angaben zur Person richtig sind. Sie haben auch einen festen Wohnsitz, dass macht alles leichter.“

Walter hatte während der polizeilichen Prozedur Zeit zum Nachdenken gehabt. Nun wollte er wissen: „Kann es sein, dass Sie von einer ganz anderen Person sprechen? Wieso sollte sich meine Bekannte als Melissa ausgeben, wenn sie so gar nicht heißt? Macht doch überhaupt keinen Sinn. Vielleicht ist alles ganz anders, als Sie meinen, und die Tote sieht ihr nur ähnlich. Das kann nicht die Melissa sein, die ich besucht habe. Melissa lebt in Wirklichkeit noch, und ich wurde völlig zu Unrecht festgenommen. Ich könnte das schnell aufklären. Bringen Sie mich dorthin, wo die Tote jetzt gerade ... Dann klärt sich alles auf der Stelle auf, Herr Hauptkommissar, und ich könnte sofort wieder verschwinden. Ich verzichte auch auf eine Entschuldigung.“

Hühnerbein schüttelte unablässig den Kopf. „Vergessen Sie das, Herr Schmidtbauer. Besuchen geht nicht. Die Tote wurde in die Rechtsmedizin gebracht und bleibt dort, bis die polizeilichen Ermittlungen abgeschlossen sind. Danach kann sie von ihrer Familie abgeholt und bestattet werden. Aber, was ich Ihnen gerade zu erklären versucht habe, hat alles seine Richtigkeit. Der Name der Ermordeten ist Andrea Friedrich, das ist die Person, mit der Sie sich gestern getroffen hatten. Nun möchten wir wissen, wie gestern Ihr Abend hier im Hotel verlaufen ist.“

Walter zuckte die Schultern. „Was soll da groß verlaufen sein. Wir haben ein Glas Champagner hier an der Bar getrunken.“

„Wer hat gezahlt?“

Walter ging nicht darauf ein. „Wir wollten in das Eiscafé Rialto gehen. Ich habe sie auf ihre Suite begleitet, weil sie sich noch eine Jacke holen wollte.“

„Und? Sie sind dann ins Rialto gegangen?“

„Nein“, er zog den Kopf leicht ein, „das hat sich nicht ergeben.“

„Weil Sie sie umgebracht haben, oder?“

„Nein! Verdammt noch mal. Wieso sollte ich sie umbringen?“

„Sondern?“

Walter schloss kurz die Augen. Es nützte nichts. „Weil wir im Bett gelandet sind.“

„Aha. Und dann?“

„Dann bin ich nach Hause gegangen, weil ich heute Frühschicht hatte.“

„Aha“, wiederholte Hühnerbein, „und da war sie noch am Leben?“

„Na klar, verdammte Scheiße. Ich lass mir keinen Mord in die Schuhe schieben.“

„Ganz ruhig, Herr Schmidtbauer. Ich habe lediglich gefragt. Das überprüfen wir natürlich.“

„Ja, hoffentlich bald.“

„Es geht alles seinen Weg. Und warum sind Sie heute wiedergekommen? Um wieder im Bett zu landen?“

„Nein, wirklich nicht. Vielleicht später. Ich sollte einen Vertrag unterschreiben.“

„Interessant. Was für einen Vertrag?“

„Ich sollte ihr neuer Geschäftsführer werden, weil sie einen ihrer bisherigen Geschäftsführer entlassen wollte.“

„Aha.“

„Jetzt sagen Sie nicht dauernd ‚aha‘, verdammt noch mal.“

Wieder reagierte Kommissar Hühnerbein darauf nicht. „Sie wollten also einen Vertrag mit einer Melissa, Nachname unbekannt, unterschreiben. Und zwar mit einer Melissa, die es gar nicht gibt.“

Walter legte den Kopf in beide Hände und stöhnte. Dann riss er seinen Körper hoch und schrie es laut heraus: „Ich kann Ihnen versichern, dass der Gast von Zimmer 132 Melissa Friedrich hieß. Sie war Witwe. Ihr kürzlich verstorbener Mann hat ihr ein großes Vermögen hinterlassen.“ Nach einer Unterbrechung brummte er: „Eine Andrea Friedrich kenne ich nicht.“

Hühnerbein zog ein Foto aus der Jackentasche und warf es vor Walter auf den Tisch. „Ist diese Person Ihre Melissa?“

Es war zu erkennen, dass die Person tot war. Der Kopf etwas auf der Seite liegend, die Augen geschlossen, der Mund schräg und leicht geöffnet, verzerrt, ihre Haare völlig zerzaust. Walter erkannte sie trotzdem sofort.

„Oh Gott“, sagte er kleinlaut, „ist das schrecklich. So eine vornehme Dame, und jetzt liegt sie richtig erbarmungswürdig da. Ja, ich erkenne sie wieder, das ist Melissa.“

„Das war Andrea Friedrich“, erwiderte Hühnerbein überraschend sanft.

„Und wieso hat sie sich mir als Melissa vorgestellt?“

„Tja. Vielleicht gefiel ihr Andrea nicht sonderlich. Erleben wir immer wieder, dass jemand seinen richtigen Namen ablegt, manchmal sogar die gesamte Identität.“

„Und was geschieht jetzt mit mir?“

„Ihre Personalien haben wir, ebenso Fingerprints und so weiter. Wir wissen, dass Sie als Taxifahrer angestellt sind und sich bisher nichts zuschulden haben kommen lassen. Da Sie einen festen Wohnsitz haben, können Sie erst einmal nach Hause gehen. Sie dürfen die Stadt nicht verlassen. Morgen um zehn Uhr erwarte ich Sie in unserer Polizeidienststelle. Hier meine Karte. Sollte etwas Unerwartetes geschehen, bitte sofort anrufen. Ich gehe allerdings davon aus, dass nichts Unerwartetes geschieht und wir uns morgen schon sehen werden. Vorsichtshalber werden wir auf Sie ein wenig aufpassen. Auf Wiedersehen, Herr Schmidtbauer.“

Walter meinte, sein Grinsen richtig zu deuten. Er stand auf und verließ das Hotel.

Die kühle Luft empfand er als angenehm, erfrischend und beruhigend. Die ersten Schritte stolperte er geradezu, kein Wunder, nach diesen widerlichen Verhören. Wie hatte das alles nur geschehen können? Ein erotisches Abenteuer, das so harmlos begann, lustig sogar, nicht sein erstes, und plötzlich in Handschellen vor den Augen aller Hotelgäste und sogar des Oberhofer, den er nicht leiden konnte. Noch nie im Leben hatte er sich von einer älteren Frau zum schnellen Sex bewegen lassen. Wie blöd war er eigentlich gewesen? Geschäftsführer! Ein idiotischer Witz, und er war darauf reingefallen. Er drehte sich nochmals um und blickte nachdenklich zurück zum Hotel, in den ersten Stock, wo er eigentlich einen Vertrag als Geschäftsführer hätte unterschreiben sollen. Und nun? Er stand unter Mordverdacht, kein Vertrag und keine aufregende Nacht mit Melissa, die offenbar außerdem Andrea hieß. Er übersah auch nicht, dass ihm jemand mit größerem Abstand folgte. Deshalb das hinterhältige Grinsen des Kriminalers.

Keine Frage, dass er den Huberwirt ansteuerte, an Schlafengehen war nicht zu denken, er würde ohnehin nur verzweifelt in seinem Souterrainzimmer hocken und an die Wand starren.

Irgendwie war er froh, dass Siegfried Lang an seinem Stammtisch saß und in seinen Schriftstücken blätterte.

„Was suchst du dauernd in deinen Papieren?“, grüßte Walter.

Siegfried blickte hoch, schloss den Aktendeckel, schwieg und wartete.

„Was ist?“, knurrte Walter.

„Du gefällst mir heute gar nicht“, entgegnete Lang, „ist was passiert?“

Walter stutzte. „Wie gefall ich dir nicht? Habe ich vergessen, mich zu kämmen oder zu rasieren?“

„Quatsch nicht blöd rum“, war die ärgerliche Antwort, „raus mit der Sprache! Ich sehe doch, wie´s dir geht.“

Was sollte er antworten? Schließlich streckte er Lang die Hände entgegen. „Hier, siehst du es noch? Bis vor einer Stunde trug ich metallene Armbänder.“

„Handschellen?“

„Was denn sonst?“

Lang hatte es offenbar die Sprache verschlagen.

„Kein Witz“, sagte Walter. „Handschellen statt Geschäftsführervertrag.“

„Dann waren das wohl krumme Geschäfte, die du führen solltest, und die Polizei wusste es bereits.“

„Viel schlimmer.“ Walters Stimme klang bitter. „Sie wurde ermordet.“

„Von wem?“

„Von mir nicht! Obwohl sie es behaupten. Siegfried, ich schwöre es dir. Ich bin doch nicht gegen einen Schrank gelaufen.“

„Wie meinst du das?“

„Wie man so sagt. Ich bringe doch keine attraktive Frau um, die mir einen super Vertrag anbietet und als Dank dafür mit mir auch noch ins Bett springt.“

„Und? Haben sie dir geglaubt?“

„Nicht so richtig. Fingerabdrücke und den ganzen Scheiß. Morgen Vormittag muss ich wieder zur Polizei. Damit ich nicht heimlich verschwinde, haben sie mir jemanden an die Fersen geheftet. Und derjenige ist kaum zu übersehen. Steht jetzt wahrscheinlich auch vor der Tür ...“

„Wer könnte sie denn umgebracht haben?“

„Keine Ahnung. Sie hat nichts davon gesagt, dass sie hier in der Stadt noch andere Bekannte oder Freunde hat. Darüber hatten wir nicht gesprochen.“

„Klar, offenbar gab es da jemand, der nicht so harmlos war wie du Traumtänzer. Weißt du, wie sie ermordet wurde?“

Walter schüttelte den Kopf. „Keine Ahnung, auf dem Foto war nichts zu erkennen. Vielleicht erschossen, erstochen oder sonst wie. Ich habe nicht gefragt, weil ich total erledigt war. Stell dir vor, du gehst nichts ahnend zu einer Verabredung, und dann klicken Handschellen.“

„Ich muss darüber nachdenken.“ Siegfried legte das Kinn auf den Handballen. „Vielleicht hat einer meiner Freunde etwas gehört. Ich habe gute Freunde.“

„Das muss ich dann unbedingt wissen, Siegfried. Bitte! Versprochen?“

„Ja, ja.“

„Ich kann jetzt auf keinen Fall schlafen. Ich bestell mir noch ein Bier. Bleibst du noch ein bisschen hier?“

„Ja, mach ich. Was wirst du Leila sagen?“

Walter schnaufte. „Sie wusste zwar, dass ich einen Termin hab. Aber jetzt. Daran habe ich noch gar nicht gedacht. Ich weiß es nicht.“

„Du musst es ihr sagen, weil es morgen sowieso in der Zeitung steht. Verschweige ihr besser, dass du mit ihr ins Bett gehüpft bist. Spielt jetzt, da sie tot ist, eh keine Rolle mehr.“

Walter nickte.

„Ich denke, dass ich mich jetzt doch mehr um dich kümmern muss“, meinte Siegfried nachdenklich. „Wenn du die Sache mit der Toten hinter dir hast, reden wir weiter.“

5.

„Haben Sie sich ein wenig beruhigt?“, fragte ihn Kommissar Hühnerbein und wirkte durchaus mitfühlend, als Walter am nächsten Morgen im Polizeirevier aufkreuzte.

„Geht schon. Wie wurde sie …?“

„Ermordet?“

Walter nickte.

„Sie wurde vergiftet. Mit einer geringen Menge Zyankali, aber das war absolut ausreichend. Hat die Gerichtsmedizin festgestellt. Das Gift wurde wahrscheinlich in einem Glas Champagner aufgelöst. Die halbvolle Flasche stand noch da, allerdings ohne Zyankali. Dauert nur wenige Minuten, dann ist alles vorbei. Das Glas wurde allerdings nicht gefunden, der Täter muss es mitgenommen haben, vielleicht wegen möglicher Fingerabdrücke. Wir gehen deshalb von Mord aus.“

Walter wunderte sich. „Ich hatte mit ihr auch ein Glas Champagner getrunken, aus der Kühlbox, und lebe noch, wie Sie sehen. Tranken wir natürlich beide gemeinsam.“

„Ihre Fingerabdrücke wurden auf der Flasche nicht gefunden.“

„Sie hatte eingegossen und die Flasche anschließend wieder in die Kühlbox gestellt.“

„Dazu kann ich nichts sagen. Wir gehen allen Spuren nach und überprüfen auch, ob Gläser fehlen.“

Walter schüttelte den Kopf: „Aber warum ist sie jetzt tot?“

Hühnerbein zuckte die Schultern.

Walter wurde lauter: „Die haben hier im Hotel doch bestimmt eine Videoüberwachung. Die sollten Sie mal überprüfen! Dann haben Sie den Mörder innerhalb kürzester Zeit und müssen mich nicht dauernd nerven.“

„Danke für den großartigen Vorschlag.“ Hühnerbein lächelte verständnisvoll. „Sie glauben also, auf diese Idee wären wir nicht längst gekommen?“

„Ich meinte nur“, murmelte Walter, „schließlich muss ich hundert Pro entlastet werden. Darauf bestehe ich!“

„Gut, aber …“, entgegnete Hühnerbein.

Walter wunderte sich über dieses Aber und zog die Augenbrauen hoch. Dann noch seine gekräuselte Stirn. Er befürchtete eine weitere Überraschung, die auch umgehend kam.

„Aber, da gibt es noch etwas.“

„Und zwar?“

„Wir haben bei der gerichtsmedizinischen Untersuchung Spermaspuren gefunden. Sie haben sich also auch verewigt.“

„War zu erwarten. Aber wieso ‚auch´?“

„Weil nicht nur Ihre Spermaspuren gefunden wurden, Herr Schmidtbauer“, Hühnerbein grinste wieder genauso hinterhältig, wie schon am Vortag.

„Was! Wie! Hat da vielleicht noch einer mit ihr gepennt?“ Walter starrte sein Gegenüber an. „Dann bin ich doch jetzt schon entlastet, oder?“

„Vielleicht“, orakelte Hühnerbein, „unsere Untersuchungen laufen weiter. Ich muss Sie nochmals bitten, die Stadt auf keinen Fall zu verlassen.“

„Hab ich sowieso nicht vor.“

„Hat Andrea Friedrich mit Ihnen über weitere männliche Bekanntschaften gesprochen?“

Walter schüttelte den Kopf. „Mit einer attraktiven Frau im Bett redest du nicht über andere Männer. Verstehen Sie das nicht?“

„Doch“, bestätigte Hühnerbein und atmete tief, „im Augenblick verstehe ich fast alles. Aber wir fassen noch einmal zusammen, Herr Schmidtbauer: Sie kamen gegen neunzehn Uhr ins Hotel Post und trafen sich mit Andrea Friedrich, die Sie am Vortag mit Ihrem Taxi ins Hotel gefahren hatten, in der Bar. Ist das richtig?“

„Ja, freilich, sagte ich bereits mehrmals.“

„Einmal, Herr Schmidbauer“, berichtigte Hühnerbein. „Sie tranken mit ihr dort ein Glas Champagner, richtig?“

„Richtig, ich trank ein Glas, Melissa hatte bereits ein Glas in der Hand, als ich eintraf, ein weiteres stand geleert auf der Bar.“

„Gut“, nickte Hühnerbein. „Dann wollten Sie ins Rialto aufbrechen, doch Frau Friedrich wollte sich noch eine Jacke holen. Bezahlte Frau Friedrich den Champagner?“

Schmidtbauer schüttelte den Kopf. „Wurde auf ihre Zimmerrechnung geschrieben.“

„Und dann verließen Sie die Bar?“

„Wir beide. Ich sollte sie in ihre Suite begleiten, damit mich nicht zwischenzeitlich jemand in der Bar anmacht, sagte sie.“

„Ich nehme an, sie meinte eine andere Frau.“

„Was sonst?“

„Waren da noch andere Frauen?“

„Darauf habe ich nicht geachtet, weil ich ziemlich aufgeregt war.“

„Hmm“, nickte Hühnerbein. „Natürlich. Sie begleiteten sie also zu Zimmer 132 und betraten es auch.“

„Ja, schon, aber eigentlich zog sie mich hinein.“

„Das spielt jetzt keine Rolle. Nahm sie ihre Jacke, um aufzubrechen?“

„Noch nicht. Sie bot mir ein Glas Champagner an. Die Flasche stand im Kühlfach.“

„Sie wollte also mit Ihnen noch ein Glas Champagner trinken, bevor Sie zum Rialto aufbrachen.“

„Genau so war es. Sie meinte, dass wir unser Du noch besiegeln sollten.“

„War damit das Rialto vergessen? Haben Sie sie nicht daran erinnert aufzubrechen?“

„Na ja.“ Schmidtbauer grinste. „Wir haben uns geküsst, also, zuerst sie mich.“

„Da haben Sie sich gewiss nicht gewehrt.“ Auch Hühnerbein grinste nun.

Walter schüttelte den Kopf. „Aber schon gar nicht.“

„Und wann kam das Gespräch auf den angeblichen Geschäftsführervertrag?“

„Immer wieder“, erklärte Walter, „zuerst hab ich ihr nicht geglaubt, aber dann hat sie erklärt, dass sie einen ihrer Geschäftsführer rauswerfen müsse.“

„Und hat sie gesagt, warum?“

Walter schüttelte den Kopf. „Ich wusste echt nicht, wie mir geschieht. Ich war total überrascht.“

„Nannte sie den Namen dieses, äääh, angeblichen Geschäftsführers?“

„Kann mich echt nicht erinnern. Vielleicht.“

„Und dann“, grinste Hühnerbein, „kam also die Bettszene. Sie wollen sich anschließend verabschiedet haben, weil Sie am nächsten Tag Frühschicht hatten.“

„Ja klar, das können Sie jederzeit nachprüfen. Ich muss schließlich ein Fahrtenbuch führen. Außerdem können Sie die anderen Taxler der Frühschicht fragen. Alle haben mich gesehen, wir haben miteinander geredet.“

„Das wird nicht nötig sein. Und wie waren Sie mit Frau Friedrich zuletzt verblieben?“

„Na ja, ein Abschiedskuss – und bis zum nächsten Abend wollte sie den Vertrag ausarbeiten.“

„Und das war dann der Abend, an dem wir Sie festgenommen haben. Wissen Sie, wie sie den Vertrag aufsetzen wollte? Hatte sie einen Laptop dabei?“

„Das weiß ich nicht.“

„Vielleicht auf ein Blatt aus dem Hotelzimmer?“

„Kann schon sein.“

„Gut. Das war´s dann erst einmal, Herr Schmidtbauer.“

Daraufhin durfte Walter das Polizeigebäude verlassen. Er setzte sich in sein Taxi und nahm missmutig seine Tagesarbeit auf.

Als er später am Bahnhof aufkreuzte, standen sie bereits zusammen und diskutierten aufgeregt. Paul, Maria, Vincent und Mehmet, ein Kollege, der in Deutschland geboren und aufgewachsen war. Er sprach sogar einige Worte waschechtes Bayrisch, was aber immer noch ein wenig antrainiert klang.

„Hast du schon gehört?“, begrüßte ihn Paul, als er sich zu der Gruppe gesellte und seine erste Zigarette aus der zerdrückten Packung herausschüttelte. Walter dachte nach, während er sie anzündete. Natürlich konnte es sich nur um den Mord an Melissa handeln, schließlich hatte es in der Zeitung gestanden. Wie reagieren? Wenn er jetzt davon nichts zu wissen vorgab, war es sauschwer, später alles doch zugeben zu müssen. Also, am besten die Flucht nach vorne. Zuerst einmal grinste er vor lauter Unsicherheit, in der Hoffnung, dass die Kollegen seine Aufregung nicht bemerkten.

„Klar, habe ich“, bestätigte er vorsichtig und blies gekonnt eine Rauchwolke in den Himmel.

„Wir überlegen gerade, wer sie umgebracht haben könnte“, sagte Maria, „einen Mord gab´s hier in Obergrandau noch nie. Vielleicht mal einen Diebstahl oder einen Einbruch oder ein paar randalierende Besoffene. Aber Mord? Allerdings – und das könnt ihr mir echt glauben – traue ich dem Hotel Post jede Schweinerei zu. Eine meiner Cousinen hat dort mal an der Rezeption gearbeitet. Was die mir alles erzählt hat. Könnt ihr euch wirklich nicht vorstellen. Außen hui und innen pfui, jawohl, genauso geht’s in der Post zu.“

„Arbeitet sie dort noch?“, wollte Mehmet wissen. Er hatte oft eine lange Leitung und grinste einfältig, wenn er nur die Hälfte mitbekam.

„Hatte ich gerade gesagt, Mehmet. Nein, sie arbeitet dort nicht mehr. Ohren verstopft, oder was?“

Paul klinkte sich wieder ein: „Walter, du hast doch kürzlich einen Saudi hingefahren, der dir ein dickes Trinkgeld gegeben hat.“

„Schon, aber der kommt nicht in Frage, weil er vor dem Mord schon wieder abgereist war.“

„Wieso weißt du das?“

Walter schluckte kurz. Bringen wir´s hinter uns.

„Ich weiß das, weil ich stundenlang bei der Polizei war, ich dachte, dass ich das bereits gesagt hatte.“

„Sag bloß“, wunderte sich Maria, „hast zu den Bullen so gute Kontakte, oder haben sie dich stundenlang verhört?“

„Es ist nämlich so, Maria. Ich bin sozusagen ein Insider.“ Walters Herz klopfte wie wild. Als er von seinen Kollegen verständnislos angestarrt wurde, fuhr er fort: „Sie verdächtigten ganz überraschend nämlich mich.“

„Sie ermordet zu haben?“ Maria hieb mit der flachen Hand so kraftvoll auf den Kotflügel ihres Fahrzeugs, dass ihr Busen aufgeregt wippte. „Du doch nicht!“

„Leider ja. Das erzähl ich euch später.“ Walter war froh, dieses Thema vertagen zu können, da schon der dritte Fahrgast mit Gepäck gerade nach einem Taxi rief. Er war der Nächste in der Reihe.

„Hotel Post!“, fauchte der erschöpft wirkende Fahrgast mittleren Alters, sündteuer gekleidet, wie Walter neidvoll feststellte. Der Mann wischte sich den Schweiß von der Stirn. Walter packte den Koffer und wuchtete ihn in den Kofferraum, seine lederne Reisetasche warf der Gast selbst auf den Rücksitz und hockte sich daneben. Daraufhin öffnete er die Tageszeitung, die er am einzigen Kiosk im Bahnhof erstanden hatte. Die Schlagzeile des Tages sprang dem Leser geradezu ins Auge.

„Bei euch in Obergrandau gibt’s also neuerdings Mörder. Ich dachte, das hier ist ein verschlafenes Nest, wo sich Fuchs und Hase gute Nacht sagen.“ Seine Stimme klang eintönig und blechern, ähnlich gelangweilt war sein Gesichtsausdruck.

„Fuchs und Hase haben wir hier in der Stadt nicht, Mann“, entgegnete Walter, „da müssen Sie in den Wald gehen.“

Der Fahrgast blickte auf und beugte sich vor: „Und wo ist der Mord passiert?“

Der Kerl war Walter denkbar unsympathisch. Mit todernster Miene drehte er den Kopf nach hinten. „Dort, wo ich Sie gerade hinbringe.“

„Was? Aber nicht in der Post?“

Walter nickte. „Klar, sagte ich gerade.“

Der Fahrgast blickte hoch. „Vielleicht sollte ich die Finger von diesem Hotel lassen, wenn da sogar gemordet wird? Ich habe von Freunden gehört, dass es dort tolle allein reisende Frauen geben soll, die nicht nur wegen der Ruhe und des guten Essens kommen, wenn Sie verstehen, was ich meine. Deshalb hatte ich es auch ausgewählt. Können Sie das bestätigen? Oder empfehlen Sie mir ein besseres Hotel?“

„Es gibt kein besseres Hotel im Ort. Allerdings gibt´s in Obergrandau nur tolle Frauen, nicht nur in der Post.“

„Aha, na dann. Und wie wurde sie umgebracht?“

„Vergiftet.“

Der Fahrgast nahm sich nun den Artikel vor und wollte dann wissen: „Ungewöhnlich für eine kleine Stadt. Was meinen Sie, als Taxifahrer dazu?“

„Ich weiß nur, was hier geredet wird. Hab den Artikel noch nicht gelesen. Mach ich gleich anschließend.“

„Weiß man schon, wer es war?“

Walter dachte einen Moment nach und schüttelte dann den Kopf. „Es gab einen Verdächtigen, aber den haben sie wieder laufen lassen.“

„Taxifahrer wissen immer alles Wichtige. Ihr seid eine Art lebende Bildzeitung. Das gefällt mir an euch.“

Der Fahrpreis war wieder einundzwanzig fünfzig. Er gab ihm fünfundzwanzig Euro. Walter durfte den Rest behalten.

„Danke, der Herr“, rief ihm Walter nach, „sehr freundlich. Und viel Vergnügen mit unseren tollen Frauen“.

Nachdem er einige Minuten vor dem Hotel gewartet hatte, fuhr er zurück zum Bahnhof, wo er bereit von seinen Kollegen erwartet wurde.

„Jetzt spuck es endlich aus!“, forderte Paul.

„Hab ich doch bereits! Müsst besser zuhören. Sie haben mich vernommen, weil ich den Gast vom Hotel zum Rialto gebracht hatte. Hätte euch ebenso passieren können. Wir können das ja gelegentlich alles noch einmal breittreten. Heute möchte ich meine Ruhe haben. Mein letzter Fahrgast hat übrigens vier Euro fuffzig Trinkgeld ausgespuckt. Geht doch, oder?“

„Sehr großzügig“, nickte Maria anerkennend. „Aber wieso haben sie ausgerechnet dich vernommen?“

„Sagte ich gerade. Weil sie mein letzter Fahrgast war, bevor sie ...“

„Blödsinn. Dann könnten sie auch den Lokführer festnehmen, der hat sie ebenfalls nach Obergrandau gebracht.“

„So ein unsinniges Gequatsche“, schimpfte Walter.

„Hatten Sie dich richtig eingebuchtet?“, wollte Mehmet wissen.

„Das ist für dich jetzt wieder besonders wichtig, was? Sonst kannst du heute die ganze Nacht nicht schlafen.“

„Haben sie, oder haben sie nicht?“ Mehmet ließ nicht locker.

„Klar. Meinst du vielleicht, dass ich freiwillig mitgegangen wäre?“

Paul wiegte den Kopf bedächtig hin und her. „Ich glaube, du erzählst uns nur die halbe Wahrheit, Walter. So etwas ist kein Grund, einen Taxifahrer zu verhaften. Geht uns aber nichts an. Ich denke, du mauerst. Vielleicht hast du sie doch ermordet.“

„Es reicht, Paul. Halt endlich deine blöde Klappe.“

„Aha. Schiss, oder?“

„Wirklich nicht.“

Am Abend beschloss Walter mit denkbar schlechtem Gewissen Leila zu besuchen. Wie sollte er ihr das alles erklären? Im Gasthaus Huberwirt wartete Siegfried bereits auf ihn. „Und jetzt?“

Walter zuckte mit den Schultern. „Stell dir vor, was mir passiert ist. Angeblich liebte sie mich unendlich und wollte mit mir eine gemeinsame Zukunft aufbauen. Und in Wirklichkeit gab es noch einen weiteren Verehrer, den sie später, noch am selben Tag, getroffen haben muss. Hat sie den vielleicht auch geliebt?“

„Sag bloß!“

„Ich kann sie also gar nicht ermordet haben.“

„Wieso? Vielleicht warst du ihr letzter Beischläfer.“

Walter schüttelte den Kopf und bestellte eine Cola.

„Sag Annemarie lieber nur die halbe Wahrheit“, schlug Siegfried vor.

„Wer ist jetzt schon wieder Annemarie?“

„Ich dachte, du kennst Leila gut? Ich habe von ihr natürlich auch eine Ausweiskopie, wie von jedem meiner Mieter, einschließlich einem gewissen Walter Schmidtbauer.“

„Ja klar, du bist ihr Vermieter. Sonst nichts?“

„Ich weiß nicht, was diese Frage soll. Sei mal etwas netter zu ihr, sie hat es verdient.“ Siegfried wandte sich wieder seinen Unterlagen zu.

„Jetzt erklär mir, wieso Leila Annemarie heißen soll?“

„Nicht soll, sie heißt eben so.“

„Ja und?“

„Frag sie selbst. Ich habe jetzt keine Zeit.“

„Hallo Annemarie“, grüßte Walter, als Leila ihm die Tür öffnete.

Sie explodierte förmlich: „Nenn mich nie wieder so, sonst ist es auf der Stelle aus mit uns beiden, verstanden! Der Sigi soll sich um seinen eigenen Scheiß kümmern, da hat er genug zu tun.“

„Ja, ja. Reg dich wieder ab. Jetzt weiß ich es also, aber leider nicht von dir. Ich dachte, wir haben keine Geheimnisse. Wir sollten jetzt unbedingt …, ich muss auch was …“

„Ist kein Geheimnis. Ich heiße Leila, seit ich … Ist doch egal. Komm rein! Warum bist du gestern nicht gekommen? Kein Anruf, keine Mail, nichts wusste ich.“

„Weil ich im Knast war“, grinste er verlegen, „sehr einfaches Einzelzimmer ohne Dusche.“

„Duuu? Im Knast?“

Er nickte. „Sie haben mich vernommen, weil ich die Ermordete aus dem Hotel Post angeblich als Letzter gefahren hatte.“

Mit einem weiteren Nicken bestätigte er seine Aussage. „Immerhin muss die Polizei jedem Verdacht nachgehen, auch wenn er noch so idiotisch ist.“

Leila blickte ihn nachdenklich an. „Und deswegen sollen sie dich festgenommen haben? Schwindle nicht! Du kanntest sie bestimmt näher.“

„Nicht so, wie du meinst. Wie sollte ich auch? Die kam doch mit dem Zug von was weiß ich woher.“

„So, so, wie ich meine. Wie meine ich denn?“

„Glaubst du vielleicht, dass jeder weibliche Fahrgast mit dem Taxifahrer was anfängt, sobald sie im Hotel angekommen ist?“

„Vielleicht? Vielleicht doch. Ich bin mir da nicht so ganz sicher.“

„Was hast du eigentlich gestern gemacht? Hattest ja angeblich keine Zeit.“

„Das weißt du doch längst. Der Sigi hat mich zum Essen eingeladen.“

„Und dann …?“

„… haben wir den Rest Wein ausgetrunken.“

„Bei dir?“

„Wo sonst?“

Walter zögerte kurz. „Hat er bei dir übernachtet?“

„Ja, aber auf der Couch, weil ihm sein kaputtes Bein so wehgetan hat.“

„Aha, hat ihm plötzlich sehr wehgetan. Bevor er zu dir kam, allerdings noch nicht. Gut, dann schlafe ich heute Nacht auch auf der Couch.“

„Du doch nicht. Ich dachte, wir sind richtig verliebt.“

„Wirklich? Bist du dir sicher.“

„Ich bin mir sicher, du vielleicht nicht?“

„Doch, liebe Leila.“

„Und was war mit der Ermordeten? Sei ehrlich, du hattest was mit ihr. Ich spüre so etwas.“

„Ich muss dir das erklären, Leila. Ich kann es noch immer nicht fassen, ist mir in meinem ganzen Leben noch nicht passiert. Kannst du dir vorstellen, dass sie mir einen super Job anbieten wollte? Immerhin habe ich ja studiert.“

„Und woher wusste sie das?“

„Rate mal. Aber ich kann´s dir auch erklären. Ich habe es ihr gesagt, weil ich nicht immer und ewig Taxi fahren will.“

„Aber darüber spricht man doch nicht mit einem Fahrgast, Walt.“

„Der Sigi sagte, ich soll akquirieren, damit ich mal einen besseren Job bekomme.“

„Ist akquirieren ein anderes Wort für bumsen?“

Walter schnaufte tief. „Nein, Leila, akquirieren heißt so viel wie werben oder einen Kontakt knüpfen, um ein bestimmtes Ziel zu erreichen.“

„Ich habe schon verstanden, du wolltest sie ins Bett ziehen und hast darum geworben.“

„Lass mich doch in Ruhe! Wir sind heute beide nicht so gut drauf. Dann bis morgen.“

Walter stand auf und ging, nicht gerade unglücklich, nach Hause.

6.

Hauptkommissar Gerhard Hühnerbein, hinter seinem Rücken der Kürze wegen einfach nur Hühner genannt, trommelte seine Mitarbeiter Max Weber und Gottfried Siegel zusammen.

„Jetzt hat´s uns tatsächlich auch erwischt“, stöhnte er. „Premiere. Der erste Mordfall in Obergrandau, seitdem ich hier Dienst tue. Dabei sind wir mit unserer Arbeit ohnehin fast an der Kapazitätsgrenze.“

„Jetzt übertreibst du, Gerhard“, murmelte Gotti. „Wir sind doch nun mal die Kriminalpolizei, also die Mordkommission, und ich möchte mich nicht dauernd nur mit einer Rauferei im Wirtshaus oder einem Nachbarstreit befassen müssen.“

„Bringt aber eine Menge Verwaltungsaufwand – und dann noch der Ärger. Und jetzt ein Mord. Dass ich so was noch erleben muss, hätte ich nie gedacht. Habe schließlich auch genügend andere Aufgaben.“

„Endlich“, erlaubte sich Max Weber festzustellen.

„Endlich? Du bist wohl von allen guten Geistern verlassen, Max. Wir müssen uns doch ohnehin schon um allen möglichen kleinen Scheißdreck in Ober- und Untergrandau kümmern. Wir haben nicht einmal genügend Zeit, um sorgfältig Streife zu gehen.“

„Wegen unseren zwei Falschparkern können wir uns das sowieso sparen. Das mach ich zum Beispiel gar nicht gerne“, brummte Weber.

„Ihr drückt euch vorm Streifegehen doch sowieso schon immer mit sehr durchsichtigen Ausreden. Also, wie sollen wir diese Mordermittlung jetzt auch noch verkraften? Los, raus mit der Sprache, du Klugscheißer“, Hühnerbein wurde richtig grantig.

Weber zuckte zusammen, dann griente er verhalten: „Ermitteln, Gerhard. So richtig ermitteln müssen wir jetzt, oder?“

„Hast du jemals ermittelt, Mann?“

„Ich nicht. Du bist doch der Chef, Gerhard.“

Hühnerbein zog eine Packung Tempo aus der Tasche, fingerte umständlich ein Taschentuch heraus und schnäuzte sich nachdrücklich. Dann richtete er sich in seinem Stuhl senkrecht auf und zog die Lehne nach vorne. Damit wollte er seinen Vorgesetztenstatus deutlicher hervorheben.

„Natürlich. Also Leute, jetzt wird ermittelt! Und wie wir ermitteln! Könnt ihr euch kaum vorstellen. Wir erstellen ein ordentliches Protokoll, das dann nach ganz oben geht, zur Inspektion in Bad Reichenhall. Die erwarten das von uns. Diese Aufgabe übertrage ich an euch, kapiert? Wer von euch kann am besten schreiben?“

Die Mitarbeiter blickten stumm zu Boden, Max kratzte sich am Kopf.

„Dann übernimmst du das, Max.“

„Wieso ich?“

„Du wolltest soeben ermitteln. Und wer sich am Kopf kratzt, kombiniert. Protokolle schreiben ist eine sehr wichtige Aufgabe bei jedem Mordfall. Da kannst du dich profilieren für deinen weiteren Dienstweg.“

„Und was machst du?“

„Ich ermittle ebenfalls weiter …, das heißt, ich koordiniere die verschiedenen Aufgaben.“

„Welche denn noch? Wir sollen doch jetzt den ganzen Quatsch übernehmen.“

„Ruhe!“ Hühnerbein war jetzt ganz Chef. „Habt ihr die Aufzeichnungen der Überwachungskameras im Hotel gesichtet?“

„Schon.“ Siegel zuckte mit den Schultern. „Ich habe niemanden erkannt. Der Max auch nicht. Die Aufnahmen sind auch richtig scheiße.“

„Das Wort Scheiße kommt mir nicht ins Protokoll, verstanden?“

„Ja, ja, ist schon in Ordnung. Aber wir werden wohl noch normal sprechen dürfen.“

Den letzten Satz ignorierte Hühnerbein.

„Dann schlage ich vor, dass ihr den Empfangschef vom Hotel zu Hilfe holt. Der muss uns die Namen geben, sonst …“

„Was sonst? Der hat doch nie Zeit, ein blöder Hektiker ist der Oberhofer.“

„Das ist mir vollkommen egal, ob der Zeit hat oder nicht. Der hat sich die Zeit zu nehmen! Ich verlange, dass jeder Unbekannte idi…, idento…, also festgestellt wird. Name, Adresse und was sonst noch im Hotel notiert wird. Ich hoffe, dass dort ordentlich gearbeitet wird. Vielleicht machen sie auch Ausweiskopien.“

„Das kann ich mir nicht vorstellen.“ Weber schüttelte entschieden den Kopf. „Im Hotel Post pennen doch oft irgendwelche Chefs mit ihren Sekretärinnen oder Assistentinnen. Die geben niemals ihre richtigen Namen an. Das weiß doch jeder bei uns.“

„Langsam, Gottfried! Nur Tatsachen, keine bloßen Vermutungen.“

„Wieso nennst du mich jetzt Gottfried? Bist du auf mich sauer? Sonst sagst du immer Gotti zu mir.“

„Weil ab sofort die ganze Angelegenheit offiziell ist. Ab morgen wird uns die Presse löchern. Die warten auf so ein Verbrechen und sind dann nicht mehr zu bremsen.“

„Welche Presse soll uns denn löchern?“

„Mann, stell dich nicht so blöd, Gotti. Natürlich der Reporter vom Grandauer Tageblatt.“

„Wenn du den Holz Manfred meinst, der kennt uns doch alle vom Stammtisch beim Huberwirt. Der löchert uns garantiert nicht. Der ist froh, wenn wir ihn nichts Persönliches fragen.“

Bei dem letzten Satz grinste Max verständnisvoll und nickte.

Doch Hühnerbein wischte den Einwand mit einer Handbewegung zur Seite. „Also, ihr bringt mir den Empfangschef her, und zwar sofort!“

„Und wenn er nicht will? Ich meine, wenn er keine Zeit hat?“

„Dann nehmt ihr ihn fest. Ich garantiere euch, dass der sofort spurt, wenn er die Handschellen sieht. Ab sofort herrscht hier wieder Recht und Ordnung.“

„Du meinst, wir sollen ihm in aller Öffentlichkeit Handschellen anlegen und ihn abführen? Auch wenn es jeder im Hotel sieht?“ Siegel sah man das Erschrecken an.

„Selbstverständlich …, also, das heißt nicht direkt“, ruderte er zurück, „aber, wenn er sich weigert, dann ist das Widerstand gegen die Staatsgewalt.“

„Okay.“ Siegel nickte. „Wenn du das befiehlst.“

Weber und Siegel standen auf und wollten sich auf den Weg machen.

Angesichts ihres Grinsens bekam Hühnerbein kalte Füße und rief ihnen hinterher: „Damit das klar ist. Nur, wenn er sich weigert freiwillig mitzugehen.“

„Wie oft darf er sich weigern?“

„Sagen wir …, äääh, dreimal.“

Weber und Siegel nickten und machten sich auf den Weg.

„Uns lässt der Hühner die Drecksarbeit machen“, maulte Max Weber, „und er hockt auf seinem Drehstuhl und furzt hinein.“

Gotti grinste gemein. „Wenn du mal Chef bist, wirst du es genauso machen.“

„Puh, also ich weiß nicht. Wir hatten in Obergrandau echt noch nie einen Mord. Eigentlich sollten wir erfahrenere Ermittler von ganz oben anfordern.“

„Was meinst du mit ganz oben?“

„Was weiß ich, Bundeskriminalamt, FBI oder so.“

Siegel lachte. „Du Blödmann! FBI und am besten Jerry Cotton, der Geheimagent mit seinem Jaguar eType? Vielleicht auch noch Scotland Yard?“

„Na ja, die kommen doch nicht wegen eines Mordes von London nach Obergrandau. Da müssen schon ganz andere Verbrechen geschehen.“

„Und welche?“

„Was weiß ich. Irgendwas mit weltweiten Drogenkurieren oder internationalen Banden.“

„Ja, wenn du das sagst.“

Inzwischen hatten sie das Hotel Post erreicht. Unsicher blieben sie vor der Drehtür stehen.

Weber wollte wissen: „Hast du die Handschellen eingesteckt?“

„Klar.“ Siegel nickte selbstbewusst. „Wenn du mich nicht hättest!“

Kaum hatten sie das Hotel betreten, kam Ludwig Oberhofer auf sie zu. „Was wollt ihr denn schon wieder von mir?“

„Ludwig, wir sollen dich festnehmen und abführen“, erklärte Weber.

„Ja, seid ihr denn total verrückt geworden?“, regte sich Oberhofer auf. „Warum denn? Doch nicht etwa wegen der Toten? Meint ihr vielleicht, ich habe sie umgebracht?“

„Nein, nein, Ludwig“, wehrte Siegel ab, „der Max hat sich versprochen, er wollte nicht sagen festnehmen und abführen, sondern mitnehmen. Also wir wollen dich bitten mitzukommen. Weil dich der Hühner vernehmen will.“

„Wenn er von mir was will, soll er herkommen. Aber ich habe bereits alles gesagt, mehr weiß ich nicht. Was will er denn noch?“

„Du sollst mit ihm die Aufzeichnungen der Überwachungskameras ansehen und ihm sagen, wer all die Leute sind. Also, wie sie heißen, ihre Adresse, Begleitpersonen und so weiter. Er will jede Einzelheit wissen, weil er jetzt so richtig ermitteln will.“

„Ich habe jetzt echt keine Zeit für euch. Im Übrigen kenne ich die Leute nicht. Da kommen jeden Tag neue Gäste. Glaubt ihr vielleicht, dass ich mir jedes Gesicht und jeden einzelnen Namen merken kann? Außerdem sind die Namen, die sie hier angeben, sowieso oft falsch.“

„Das müssen wir aber melden, Ludwig.“ Siegel zückte sein Notizbuch.

„Blödmann!“, schimpfte Oberhofer. „Das weiß hier im Ort sowieso jeder. Unsere Stammgäste wissen, warum sie ins Hotel Post kommen.“

„Also dann, Ludwig …“ Weber bekam einen strengen Ton: „Dann, Ludwig“, er zog die Handschellen aus der Tasche, „dann müssen wir dich doch festnehmen, verstanden?“

Siegel flüsterte ihm zu: „Dreimal, hat er gesagt.“

Weber nickte und steckte die Handschellen wieder ein.

Details

Seiten
ISBN (ePUB)
9783752121995
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2020 (November)
Schlagworte
Student im Pech Mord Kleinstadt Luxushotel schöne Frauen Polizei alter Schule rau aber herzlich Krimi Thriller Spannung

Autor

  • Ben Lehman (Autor:in)

Ben Lehman kommt aus dem Bayerischen Wald und lebte in München. Seit zehn Jahren ist der Starnberger See seine neue Heimat. Der Informatiker arbeitete als Programmierer und Systemanalytiker, auch in internationalen Unternehmen in New York und Northampton. Sein erfolgreiches Softwarehaus wurde vor einigen Jahren veräußert. Danach begann er seine ehrenamtliche Tätigkeit für die Peter-Ustinov-Stiftung bis zu dessen Tod, Schwerpunkt die Organisation der Peter-Ustinov-Mädchenschule in Afghanistan.
Zurück

Titel: Spezl-Wirtschaft