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Das Alfa-Geheimnis

von Ben Lehman (Autor:in)
85 Seiten
Reihe: Die Alfas, Band 1

Zusammenfassung

Philip Saller hat es nicht leicht. Sein Stiefvater Georg kann ihn nicht leiden, ständig gibt es Ärger und Krach. Und ausgerechnet Philip wird nun auch noch Zeuge eines geplanten Verbrechens. Das wäre ja nicht so schlimm, wenn die beiden Verbrecher ihn nicht bemerkt hätten! Aber sie haben ihn bemerkt und Philip sitzt in der Falle. Mit Mühe gelingt ihm die Flucht zu Fuß. Sein Fahrrad haben die beiden miesen Typen im Fluss entsorgt und zu Hause glaubt Georg dem zerkratzten und verletzten Philip kein Wort. Zu allem Übel steht für Philip und seine Freunde die Trennung vor der Tür: Josef, eigentlich will er Jo genannt werden, kommt nach den Ferien in ein nobles Internat in der Schweiz. Ricky, Philips bester Freund, dagegen ins Bavaria-Internat. Nur Philip und Julia sollen auf der alten Schule bleiben. Doch manchmal geschehen im Leben seltsame und unglaubliche Dinge, es gibt richtige Geheimnisse, die an Wunder grenzen. Der alte Lex, ein verrückter Nachbar, über den alle lästern und lachen, weiht Philip und Ricky ein. Und dann beginnt das große Abenteuer und für die beiden Freunde ein ganz neues Leben: Sie werden Alfas! Was Alfas sind? So genau wissen das die beiden zu Beginn natürlich nicht. Aber sie lernen mehr und mehr dazu: Alfas verfügen über unglaubliche technische Errungenschaften. Alfas greifen ein und bekämpfen Verbrechen, während die Polizei machtlos zusieht, was gerade geschieht. Und Alfas arbeiten in einer streng geheimen Welt, den sogenannten Groofs, an ihren schwierigen Aufgaben. Und zu guter Letzt … aber nein, das sei hier nicht verraten!

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Prolog

Es geschehen immer öfter Dinge zwischen Himmel und Erde, für die es keine vernünftige Erklärung zu geben scheint. Selten genug erkennt überhaupt jemand, dass da etwas Unerklärliches geschieht. Meistens verstehen wir aber nur Bahnhof oder vermuten gar eine Zeitungsente.

In Wirklichkeit handelt es sich um echte Geheimnisse. Jeder, der mehr über die Sache weiß, ist zu absolutem Stillschweigen verpflichtet. Dabei muss es auch bleiben, denn die ganze Angelegenheit ist streng geheim. Sollte trotzdem einer unerlaubt etwas ausplaudern, würde es ihm sowieso kein normaler Mensch glauben. Ein verständnisloses Kopfschütteln, ein mitleidiges Lächeln oder der berühmte Fingerzeig an die Stirn wären bestimmt die Antwort, vielleicht sogar etwas noch Unanständigeres.

Zum Glück kommt es nicht so weit, denn wird ein Geheimnis verraten, ist es kein Geheimnis mehr.

Philip Saller und seine Freunde werden bald mehr erfahren, doch bis jetzt haben sie nicht die geringste Ahnung.

1. Ein Unglück kommt selten allein

Verdammt! Das war’s!“, stöhnte Philip Saller leise, sehr leise. Er seufzte unhörbar: „Jetzt ist alles aus.“

Etwas Tränenähnliches schlich aus seinem rechten Auge. Ärgerlich schüttelte er den Kopf. Nicht losheulen, bloß nicht jetzt. Sein rechtes Bein war auch eingeschlafen. Es fühlte sich ekelhaft taub an. Er musste es jetzt unbedingt bewegen, sonst ...

Aber vorsichtig! Trotzdem entstand ein zwar schwaches, aber brandgefährliches Kratzen. Er hielt die Luft an und lauschte. Zum Glück hatten sie nichts bemerkt. Ihre erregten Stimmen klangen unverändert. Philip spürte ihre Nervosität bis in sein schrecklich unbequemes Versteck. Eine falsche Bewegung und er würde hinunterstürzen.

Der Größere von beiden zischte: „… was sollen wir mit dem Kerl jetzt anfangen? Der hat doch garantiert alles beobachtet. Wir können ihn doch nicht …, er ist noch so jung.“

„Mach dir nicht gleich in die Hose, Mann“, knurrte der Dicke, „jetzt ist er erst mal oben eingesperrt. Später wird er erledigt und basta.“

Philip lief ein eiskalter Schauer über den Rücken. „Nicht bewegen! Vielleicht noch direkt vor ihre Füße plumpsen. Das fehlte noch!“, ermahnte er sich selbst.

„… und wie? Du willst ihn doch nicht etwa …“, der Lange schien nicht ganz so abgebrüht zu sein wie sein widerlicher Kumpel.

„Wirst schon sehen und jetzt halte die Klappe.“

Widerwillig schubste ihn der Dicke in die Seite: „Hau dich hin. Wenn du aufwachst, ist die Sache erledigt.“

„Wieso hast du diesen Typ mit der Glatze so grob niedergeschlagen?“, murrte der Lange, „Das musste nicht sein. Er hat sich nicht mehr bewegt. Wer weiß, ob er noch … Sie finden ihn bestimmt und dann …“

„Schnauze!“, brüllte der Dicke, „oder möchtest du heute lieber in einer Zelle übernachten?“

„Da landen wir sowieso, wenn sie uns erwischen“, jammerte der Andere.

„Sie erwischen uns aber nicht. Schluss für heute!“

Mit einem sorgenvollen Seufzer ließ sich der Lange in der Ecke auf einen zusammengedrückten Pappkarton fallen.

Philips Gedanken überschlugen sich. Ob es vielleicht doch eine Möglichkeit gab, den beiden Schurken zu entkommen? Aber wie? Er begriff noch immer nicht, wie er überhaupt in diese miese Lage geraten konnte. Warum traf es immer nur ihn? Seine Freunde hatten prima Familien und zu Hause null Stress. Und er, Philip? Am liebsten würde er abhauen, egal wohin. Sein Leben hatte schon so lausig angefangen. Der Vater, von wegen Vater, hatte kurz nach seiner Geburt die Kurve gekratzt und sich nie wieder blicken lassen. Klar, deshalb war die Mutter jahrelang alleinerziehend. Das Geld reichte hinten und vorne nicht. Toll! Wenn er einen Wunsch äußerte, hieß es jedes Mal: Können wir uns nicht leisten! Seit ein paar Jahren hatte sie einen neuen Freund, Georg hieß er, und schon bald ein Kind von ihm. Leider war danach für Philip alles noch viel schlimmer geworden. Die kleine Halbschwester, Maria, war Georgs erklärter Liebling. Er las ihr jeden Wunsch von den Augen ab. Und er, Philip? Auf ihm wurde dauernd herumgehackt, die Mutter war einfach zu schwach.

„Schläfst du schon?“, wollte der Dicke wissen.

„Kann nicht!“, kam die Antwort aus der dunklen Ecke.

„Wir müssen noch alle Spuren verwischen, wenn wir später abhauen“, knurrte der Dicke.

Keine Antwort: „Hast du gehört?“

„Was heißt später, wir wollten doch erst morgen früh …“

„Mann bist du doof! Willst du vielleicht hier warten, bis sie uns abholen? So mit allem Trara und schönen silbernen Handschellen?“

„Um Gottes Willen. Ja nicht“, antwortete der Lange und erhob sich keuchend auf seinen rechten Ellenbogen, „was soll ich tun?“

„Das Fahrrad von dem Bengel. Wo hast du es versteckt?“

„Habe ich in den Fluss geschmissen. Wurde von der Strömung längst weggerissen.“

Philip konnte es nicht fassen. Sein schönes gelbes Fahrrad war auch weg. Sein einziger Stolz. Das würde zu Hause wieder einen riesen Ärger geben, falls er es überhaupt nach Hause schaffte.

„In Ordnung“, nickte der Dicke zufrieden. „Wir machen jetzt Folgendes: Du gehst raus und guckst, ob die Luft rein ist.“

„… und du?“

„Ich geh nach oben und knöpf mir den Lümmel vor.“

Der Lange rappelte sich mühsam hoch. „Von mir aus. Wenn es denn unbedingt sein muss. Geh ich eben.“

„Wenn ich die kleine Dachluke aufschieben könnte“, dachte Philip verzweifelt. „Aber wahrscheinlich ist die sowieso eingerostet.“

Philip war am Spätnachmittag mit seinem Fahrrad zufällig genau an der Stelle vorbeigefahren, an der gerade ein blutiger Zweikampf stattfand. Natürlich wieder er, Philip, wer sonst? Warum nicht Ricky oder Josef?

Die beiden schrägen Vögel versuchten gerade einen Eisenträger auf die Bahnschiene zu ziehen, um den Zug entgleisen zu lassen. In diesem Augenblick tauchte ein kräftiger junger Mann mit Glatze auf, den Philip vorher noch nie gesehen hatte. Er schaffte es zwar, das Verbrechen zu verhindern. Doch seine Bemühung endete in einer blutigen Auseinandersetzung. Der Dicke schlug ihm zuletzt von hinten einen Knüppel über den Schädel. Dann verschwanden sie. Bestimmt lag der Mann noch immer dort. Lebte er überhaupt noch? Dann entdeckten sie Philip, der die brutalen Schläger entsetzt anstarrte. Philip schoss hoch und wollte nichts wie weg. Mit einem gewaltigen Satz hechtete er auf seinen Fahrradsattel. Doch auf dem weichen Waldboden konnte er nicht schnell genug in die Pedale treten. Der Lange hatte ihn nach wenigen Metern eingeholt und zerrte ihn vom Fahrrad. Sie schleppten ihn in die nahe gelegene Waldhütte und warfen ihn mit Schwung oben in die kleine Kammer. Philip krachte gegen die Bretterwand. Er hielt die Luft an, um den Schmerz ertragen zu können. Während der Dicke und der Lange unten nach einer Schnur suchten, mit der sie die klapprige Tür verschließen konnten, sprang Philip trotz der höllischen Stiche in der Schulter blitzschnell hoch und huschte auf leisen Sohlen hinaus. Sie bemerkten es nicht. Vorsichtig zog er die Tür zu, damit sie nicht misstrauisch wurden. Er entdeckte eine enge Öffnung, kroch hindurch und landete auf dem schmalen Balken neben dem Dachkniestock, auf dem er seitdem versuchte, einigermaßen das Gleichgewicht zu halten. Zum Glück lag die Dachschräge im Dunkeln, sodass sie ihn dort nicht sehen konnten. Mit schmerzverzerrtem Grinsen beobachtete er, wie die Männer dann die vergammelte, nasse Schnur sorgfältig um die Türklinke und auf der anderen Seite um einen Balken herumwickelten, ohne vorher einen letzten Blick in den kleinen Raum zu werfen.

Gott sei Dank!

Nun lag Philip also auf dem schmalen Balken und spürte seine Glieder fast nicht mehr.

„Dann geh ich mal“, brummte der Lange.

„Mach einen weiten Bogen um die Hütte und beobachte alles ganz genau. Nicht träumen, verstanden! Augen auf!“ Der Dicke war wirklich widerlich vorsichtig.

„Ja, ja“, knurrte der Lange, warf die klapprige Holztür hinter sich zu und wandte sich nach links.

Der Dicke kletterte die schmale Leiter hoch und fummelte schimpfend an der immer noch feuchten Schnur herum. Dummerweise hatten sie den Knoten so festgezurrt, dass er ihn jetzt nicht mehr lösen konnte. Fluchend polterte er wieder hinunter und suchte nach einem Messer. In seinem Rucksack fand er schließlich eins. Nun schnell zurück und wieder die Leiter hoch. Dann, auf der obersten Leitersprosse, blieb er aus irgendeinem Grund hängen und stürzte der Länge nach hinunter auf den Hüttenboden. Sogar Philips Balken bebte. Vor Wut schäumend verwünschte er die primitive Hütte und hockte einige Zeit erbärmlich jaulend auf dem feuchten Holzboden.

Philips Atem stockte für den Bruchteil einer Sekunde. Jetzt oder nie! So wie der Dicke da gerade kauerte und sich bemitleidete, konnte er Philip nicht sehen. Sein ekelhaftes Gejammer unterstützte Philips Vorhaben. Blitzschnell ließ er sich deshalb hinuntergleiten. Glücklicherweise war er sehr sportlich. Einen Moment lang klammerte er sich mit den Händen am Balken fest. Die Beine pendelten hin und her. Während der Dicke sich schließlich schwer atmend wiederaufzurichten versuchte, ließ sich Philip fast lautlos auf den Bretterboden gleiten. Rasch drückte er sich in die Ecke und hielt die Luft an. Mühsam, doch dieses Mal vorsichtig, keuchte der Dicke wieder die Leiter hoch. Oben angekommen, zerschnitt er die Schnur. Nun war es höchste Eisenbahn. Noch wenige Sekunden und er würde die Kammer leer vorfinden. Auf Zehenspitzen huschte Philip zur Tür. Er war froh, dass sie nicht quietschte, glitt hinaus und zog sie rasch hinter sich zu. Selbstverständlich hatte er beobachtet, dass der Lange nach links verschwunden war. Deshalb wandte er sich nach rechts und rannte los, so schnell er konnte. Es dämmerte bereits.

Als Philip das furchterregende Gebrüll des Dicken aus der Hütte vernahm, erstarrte er einen Augenblick. Bloß weiter! Zu zweit würden sie ihn ganz sicher bald eingeholt haben. Wohin? Ein riesiges, dichtes Unterholz, gerade mal hundert Meter entfernt, schien ihm geeignet. Auf Knien krabbelte er unter die wuchernden Äste. Zweige zerkratzten ihm das Gesicht, er spürte Blutstropfen und wischte sie mit dem Handrücken ab. Erst nach etlichen Metern fühlte er sich einigermaßen sicher. Keuchend hielt er inne. Die rasch fortschreitende Dämmerung würde es seinen Verfolgern schwermachen, ihn in diesem Gestrüpp zu finden. Philip atmete tief, sehr tief. Seine Lungen sogen die feuchte Waldluft ein. Er musste sehr bald bereit sein, die Luft lange anhalten zu können, wenn seine Verfolger sich näherten. Eine dicke Erdkröte neben ihm schien sein plötzliches Auftauchen nicht sonderlich zu schätzen. Mit einem seltsamen Schnaufen setzte sie sich verärgert in Bewegung und verzog sich. Philip grinste etwas erlöst, heute zum ersten Mal.

Die beiden Verfolger suchten und suchten. Doch sie entdeckten Philip nicht. „Der hat sich bestimmt irgendwo versteckt“, vermutete der Dicke messerscharf.

„Den finden wir nie. Schon viel zu dunkel.“

„Sehe ich auch“, knurrte der Dicke.

„Was machen wir jetzt?“

„Mann, frag doch nicht schon wieder so blöd. Los, wir hauen ab.“

„Der Typ, den du niedergestreckt hast, ist weg. Ich habe ihn überall gesucht“, bemerkte der Lange.

„Na bitte. Ein Grund mehr, Fersengeld zu geben.“

Der Dicke drehte sich auf dem Absatz um und marschierte ohne ein weiteres Wort los. Nach kurzem Überlegen folgte ihm der Lange schulterzuckend.

Philip wartete und wartete. Die Schritte wurden immer leiser und verhallten bald in der Ferne. Ab und zu knackte noch ein Ästchen, dann war es still.

Schließlich kroch er aus dem Gebüsch heraus und klopfte die feuchte Erde von seiner Hose. Zu Fuß war es ein weiter Weg bis nach Hause in die Prof.-Rosswald-Straße. Wenn er doch noch sein schönes Fahrrad hätte!

Irgendwann erreichte er mit immer heftigerem Herzklopfen seine Haustür. Inzwischen war es stockdunkel geworden. Er zögerte einen Augenblick, hatte aber keine Wahl. Dann öffnete er die Tür.

Wie erwartet, glich die Begrüßung mehr einem Überfall.

„Du verdammter Mistkerl. Du bist wohl von allen guten Geistern verlassen. Wo kommst du so spät her?“, pfiff ihn Georg Weber, der Lebensgefährte seiner Mutter, an und baute sich drohend vor ihm auf. „Kein bisschen Verstand im Leib. Deine Mutter sorgt sich seit Stunden zu Tode. Wenn du so weitermachst, schmeiß ich dich endgültig raus! Das ist ja hier, wie im …“

„Philip! Wie siehst denn du aus?“ Die Mutter schien einem Herzanfall nahe. „Wie kann ein Mensch nur so verdreckt nach Hause kommen? … und Blut, … wo kommt das Blut her, Philip?“

„Der stinkt“, mischte sich schließlich auch noch seine kleine Halbschwester Maria ein.

„Halt deinen Mund“, erlaubte sich Philip zu knurren.

„Sie wird ihren Mund nicht halten“, schnauzte Georg Weber, „weil es stimmt. Bei uns darf jeder die Wahrheit sagen.“

„Außer mir“, flüsterte Philip.

„Marsch! Sofort ins Bad“, befahl Georg, „ist ja nicht mehr auszuhalten. Hast du dein Fahrrad in den Keller gebracht?“

Warum musste der jetzt auch noch an das blöde Fahrrad denken. Philip überhörte die Frage und machte sich schleunigst auf den Weg zum Bad.

„Hast du nicht gehört?“, verfolgte ihn Georgs Stimme.

„Phiiilllipp!“, rief nun auch die Mutter, „was ist mit deinem Fahrrad?“

„Ist weg“, jammerte Philip und schloss die Badezimmertür. Restlos erledigt setzte er sich auf den Toilettendeckel. Was sollte er auf die Frage, wo sein Fahrrad geblieben sei, antworten? Im Fluss weggetrieben? Na dann gute Nacht.

Die nächste Standpauke ließ am Morgen nicht lange auf sich warten. Philip versuchte, sein schreckliches Erlebnis ebenso wie den Verbleib seines Fahrrads zu erklären. Leider vergeblich. Georg glaubte ihm leider kein Wort, selbst die Mutter blickte Philip kritisch an.

„Dann hast du eben kein Fahrrad mehr“, Georg zuckte die Schultern und verschwand zur Arbeit.

Mutter machte ein trauriges Gesicht: „Philip, musste das gestern sein?“

„Ich kann nichts dafür, ihr glaubt mir einfach nicht.“

„Ich möchte dir ja glauben, aber es ist wirklich schwer.“ Die Mutter schüttelte den Kopf.

„Der ist immer so ekelig zu mir“, jammerte Philip, „dabei hat er überhaupt keinen Grund.“

„Georg meint es nicht so. Er rastet schnell aus. Dann kann ich ihn auch nicht mehr bremsen. Oft ist er wirklich nett.“

„Aber nie zu mir.“

Die Mutter legte ihren Arm um Philips Schultern und schwieg.

2. Der alte Lex

Sie waren vier gute Freunde, Philip, Ricky, Julia und Josef. Sie gingen morgens immer gemeinsam zur Schule.

Am nächsten Morgen konnte es Philip kaum erwarten, über seine schrecklichen Erlebnisse vom Vortag zu berichten.

Seine Freunde waren entsetzt.

Julia schüttelte bestürzt den Kopf: „Also, dass du darüber heute so gelassen erzählen kannst! Ich könnte das nicht.“

„Ich bin so froh, dass wenigstens ihr mir glaubt“, seufzte Philip.

„Und wer glaubt dir nicht?“, wollte Julia wissen.

„Na, wer wohl?“ Philip verdrehte die Augen. „Georg natürlich, mein …, ach ihr wisst schon.“

„Darf der doch gar nicht“, regte sich Ricky auf, „weil er nicht dein Vater ist.“

„Darf er leider doch“, entgegnete Philip, „sonst muss es meine Mutter wieder ausbaden.“

Der dicke Josef schüttelte den Kopf: „Ich würde mir das nicht gefallen lassen. Versteh dich nicht.“

„Kann keiner verstehen. Ihr könnt euch nicht vorstellen, wie sauer ich oft bin. Wenn ich könnte, würde ich abhauen. Und jetzt hört damit auf.“

Julia und Josef schauten sich erschrocken an: „Okay, okay“, murmelte Julia und hob tröstend die Hand, „ist ja schon gut, Philip.“

Ricky deutete auf Philips Schrammen im Gesicht: „Ist das von gestern? Von diesen Typen? Oder hast du das Georg zu verdanken?“

Philip schob sich einen Kaugummi grinsend in den Mund:

„I wo. Das traut sich Georg wirklich nicht. Ist gestern Abend passiert. Bei meiner Flucht bin ich in ein fast undurchdringliches Unterholz gekrochen. Die Halunken vermuteten es, wussten aber nicht in welches, da gab es zu viele. Und zu dunkel war es auch.“

„Mann, ein richtiges Abenteuer.“ Julia konnte es kaum fassen.

Josef war der Stärkste der Gruppe und darauf mächtig stolz: „Ich hätte mich an deiner Stelle nicht verkrochen, sondern verdammt noch mal gewehrt.“ Er ließ seine Muskeln spielen, machte damit allerdings bei seinen Freunden wenig Eindruck.

„Klar Josef, aber nur mit dem Mund“, erhob Julia Einspruch, „du allein gegen zwei starke Gangster. Dass ich nicht lache.“

„Von mir aus lach doch“, antwortete Josef beleidigt.

„Jetzt hast du kein Fahrrad mehr“, murmelte Ricky.

Philip schüttelte den Kopf.

„Kriegst du ein Neues?“, wollte Julia wissen.

Philip schüttelte wieder den Kopf.

„Und warum nicht?“, Josef zog die Stirn in Falten.

„Ihr kennt doch Georg“, murmelte Philip. „Da geht gar nichts.“

„Und deine Mutter?“, fragte Julia.

„Die hat nicht so viel Geld. Und Georg gibt ihr nicht so viel. Für mich erst recht nicht. Hat er schon gesagt.“

Ihr täglicher Weg zur Schule führte an einem fürchterlich verwilderten Grundstück vorbei. Das Unkraut wucherte mannshoch. Manche der schrecklich ordentlichen Nachbarn entrüsteten sich darüber, doch das nützte gar nichts. Umgeben von einem ziemlich verrotteten Holzzaun erweckte das gesamte Grundstück wirklich keinen einladenden Eindruck. Von der Straße führte ein schmaler Weg zu dem alten, heruntergekommenen Häuschen. Der Putz blätterte überall ab.

Auf der anderen Seite des Gartens, der diese Bezeichnung gar nicht verdiente, stand ein halb verfallener Schuppen. Er war so windschief, dass manche Nachbarn schon Wetten abschlossen, bei welchem Windstoß er wohl zusammenkrachen würde. Ob dieser Schuppen noch einen Zweck erfüllte, wusste keiner, wollte vielleicht auch keiner wissen. Doch Philip und Ricky hatten in jüngster Zeit wiederholt unerklärliche, seltsam rumpelnde Geräusche genau aus diesem Schuppen gehört. Bisher hatten sie die Ursache nicht herausgefunden.

Auf diesem geheimnisumwitterten Grundstück lebte eine eigenartige Gestalt, der alte Lex, wie er allgemein genannt wurde. Er mied jeden nachbarschaftlichen Kontakt, niemand wusste irgendetwas über sein Leben oder seine Vergangenheit. Nur mit den jungen Leuten redete er gerne.

Der alte Lex war groß und kräftig, hatte einen vollen weißen Bart und einen stechenden Blick. Die Leute tuschelten, dass man sich vor ihm in Acht nehmen sollte. Versuchte jemand ein harmloses nachbarschaftliches Gespräch anzuknüpfen, verzichtete er nach ein paar Worten gerne auf eine Fortsetzung. Die Antworten des alten Lex waren entweder angriffslustig oder unverständlich oder ganz einfach hirnverbrannt. Auch deshalb waren die Nachbarn davon überzeugt, dass er wirr im Kopf war, wenn nicht sogar verrückt. Jemand wollte einmal gehört haben, dass Lex früher Professor gewesen sei. Aber das war entweder abwegig oder ein Märchen.

Der alte Lex trug meist eine seiner vielen bunten Kappen, die wegen der törichten Aufdrucke von den Nachbarn als ebenso verrückt bezeichnet wurden.

Er besaß einen großen, dunklen Hund, ohne den er keinen einzigen Schritt ging. Sein Name: Mister Rex. Bei Einbruch der Dunkelheit machten sich die beiden oft irgendwohin auf den Weg. Die Nachbarn rätselten, wohin Lex und Rex oft stundenlang verschwanden. Wahrscheinlich war aber alles völlig harmlos.

Der alte Lex schien Philip besonders ins Herz geschlossen zu haben. Ihm gegenüber verhielt er sich immer nett. Als sie sich an diesem Tag begegneten, zog er zur Begrüßung mit einer tiefen Verbeugung seine Mütze vom Kopf.

Philip sagte: „Hallo.“

Der alte Lex murmelte etwas Unverständliches. Auf der leuchtend grünen Kappe stand: ICH BOSS

Philip grinste ihn freundlich an: „Wohin gehen Sie?“

„Mister Rex hat vorgeschlagen, dass wir heute Nacht den Mond anbellen.“

„Hat Mister Rex gesagt?“

„Na klar.“

„Und wer bellt?“, feixte Philip.

Der alte Lex knurrte und wechselte das Thema:

„Und wohin gehst du?“

„Weiß noch nicht. Vielleicht nach Hause, vielleicht auch nie mehr.“

„Bist wohl nicht so glücklich zu Hause. Ist es wegen dem Freund deiner Mutter?“

„Na ja“, Philip schnaufte tief und wechselte das Thema: „Warum heißt der Hund Mister Rex und nicht nur Rex?“ Das wollte Philip schon lange fragen. Mit dieser Frage konnte er erst einmal von seinen Sorgen ablenken.

„Das hat verschiedene Gründe“, antwortete der alte Lex mit weit aufgerissenen Augen. Es schien, als wollte er wieder zu einer seiner verrückten Erklärungen ansetzen. Schließlich entschied er sich anders und nuschelte mit wegwerfender Handbewegung: „… es war sein eigener Wunsch.“

„Sein eigener Wunsch?“, fragte Philip überrascht. „Was hat denn ein Hund für eigene Wünsche? Außer fressen und kläffen?“

„Du hast ja überhaupt keine Ahnung, was Mister Rex alles kann. Warte nur! Erfährst es noch!“

Damit ließ der alte Lex Philip stehen und setzte mit Mister Rex seinen Weg fort.

Philip schüttelte den Kopf. Schließlich entschied er sich, darüber nicht länger nachzudenken. Er war einfach so, der alte Lex. Manchmal sprachen die Freunde lange über ihn, wurden aus ihm jedoch nicht schlau. Ihre Eltern beobachteten den alten Lex argwöhnisch und versuchten immer wieder zu erreichen, dass ihre Kinder dem alten Mann aus dem Weg gehen.

Beim nächsten Treffen rief der alte Lex ihm entgegen:

„Hallo Philip, wie war die Schule?“

„Hm. Geht schon.“ Philip hatte den Eindruck, dass ihn Mister Rex seltsam beobachtete. Er trat vorsichtig einen Schritt zur Seite.

Der alte Lex bemerkte das und sagte: „Brauchst vor Mister Rex keine Angst zu haben, der ist schlau.“ Er beobachtete Philip eine Weile mit seinem stechenden Blick: „Weißt du, was er zu mir gesagt hat?“

„Wer, Mister Rex?“

„Sag ich doch.“

„Was denn?“, Philip war gespannt.

„Er hat zu mir gesagt: Professor, der Philip ist okay“

„Das soll Mister Rex gesagt haben?“

„Klar.“

„Meine Mutter sagt, ich soll ihm aus dem Weg gehen“, meinte Philip.

Der alte Lex antwortete: „Du doch nicht!“

„Wieso ich nicht?“, fragte Philip überrascht.

„Du weißt schon warum, … das heißt, eigentlich noch nicht, ach was, ist ja auch egal.“

„Ja, was denn? Was?“

„Was! Was! … Wasser gibt’s im Wasserwerk.“

Der alte Lex machte auf dem Absatz kehrt und verschwand.

Verblüfft ging Philip nach Hause. Am Abend fiel ihm noch einmal dieser seltsame Wortwechsel ein. Vielleicht sollte er mit dem Freund seiner Mutter mal wieder ein paar belanglose Worte wechseln:

„Magst du eigentlich Mister Rex, Georg?“

„Kenn ich nicht. Wer soll das sein?“

„Na, der Hund vom alten Lex, wer denn sonst.“

„Wie heißt der?“

„Mister Rex!“

„Mister? Ein Hund der Mister heißt? Warum nicht gleich Doktor Rex oder Professor Rex? Lass mich in Ruhe mit deinem Blödsinn!“

Philip seufzte enttäuscht und beschloss, dieses Thema nie wieder anzusprechen. Es hatte wirklich keinen Zweck. Außerdem war Georgs Meinung sowieso nicht so wichtig. Aber die Bemerkung des alten Lex war schon seltsam.

Hätte Philip zu diesem Zeitpunkt die ganze Wahrheit erfahren, er hätte sie sowieso nicht geglaubt.

Am nächsten Tag traf sich Philip mit seinen Freunden. Er erzählte von dem seltsamen Gespräch mit dem alten Lex und Georgs Bemerkungen.

Josef konnte es mal wieder nicht lassen: „Immer wieder bist du nett zu Georg und kriegst sofort eine aufs Maul. Guck ihn doch einfach nicht mehr an!“

„Das sagst du so einfach“, antwortete Philip bitter.

Julia mischte sich ein: „Josef hetz nicht immer. Du siehst doch, dass Philip am Ende ist.“

„Ich meine ja nur.“

Auf einmal näherten sich zwei Mädchen und ein Junge aus ihrer Klasse. Es waren Martina, Biggi und Sam, die zwei Straßen weiter wohnten. Sie begrüßten sich und setzten ihren Weg gemeinsam fort. Als sie am Haus des alten Lex vorbeikamen, stand der gerade am Gartentor.

„Aha, großes Treffen. Alles okay?“, begrüßte er sie. Mister Rex lag scheinbar teilnahmslos neben dem Zaun. Josef fürchtete sich vor dem großen Hund, gab es aber nie zu. Vorsichtshalber wollte er einen Bogen machen. Der Hund hob den Kopf und knurrte angriffslustig. Josef erschrak und schimpfte: „‚Dieses Hundeviech gehört eingeschläfert‘ …, sagt mein Vater.“

„Und …? Bist du derselben Meinung?“, grinste Julia.

„Los, sag schon“, forderte auch Sam.

Josef schnaubte verärgert, hielt jedoch den Mund.

„Dabei freut sich Mister Rex immer, wenn er Josef sieht“, bemerkte der alte Lex.

„Hat Mister Rex das zu Ihnen gesagt?“, dieses Mal war Ricky gemein.

Der alte Lex überhörte die Bemerkung und fragte: „Ihr habt ja bald Pfingstferien. Wohin soll’s denn hingehen?“

„Ich bleibe zu Hause“, brummte Philip traurig.

„Ich fliege vielleicht nach Amerika“, platzte Ricky heraus. „Aber das ist noch nicht sicher.“

Das war auch für Philip neu, er riss überrascht Mund und Augen auf: „Ricky! Ist das wahr?“

„Ich bin vielleicht auch in Amerika“, bemerkte der alte Lex ziemlich ernst.

Ein vielstimmiges Gelächter war die Antwort.

Der alte Lex errötete. Er drehte verlegen seine dunkelrote Mütze mit der Aufschrift SUPERSTAR erst nach links, dann wieder nach rechts und entschied schließlich, die Sache auf sich beruhen zu lassen. Dann drückte er die Kappe entschlossen auf den Kopf, drehte den Schild nach hinten und beendete das Thema: „Äh, ja, also … ich muss jetzt dringend mit Amerika telefonieren. Wisst ihr eigentlich, wie spät es ist? Ich habe nämlich meine Uhr im Haus vergessen.“

Inzwischen war Mister Rex aufgesprungen und knurrte bedrohlich. „Ist schon in Ordnung, Mister Rex, reg dich nicht wieder auf. Also dann, bis zum nächsten Mal.“

Weg war er, ohne die genaue Uhrzeit abzuwarten.

Die Freunde konnten es kaum fassen. Mit offenem Mund verfolgten sie seine hastigen Schritte, bis er in seinem alten Haus verschwunden war.

„Habt ihr so was schon mal erlebt?“, fragte Ricky schließlich.

„Und wie er mit seinem Hund redet“, meinte Philip nachdenklich.

Ricky nickte verständnisvoll: „Wie mit einem Menschen. Na ja, er hat ja sonst niemanden. Außer uns natürlich.“

Martina und Biggi waren derselben Meinung.

Josef tippte mit dem Finger an die Stirn und schnaubte ärgerlich, ohne ein Wort zu sagen.

Philip schüttelte den Kopf: „Ich verstehe überhaupt nichts mehr. Alle sagen immer, der alte Lex ist seltsam. Wahrscheinlich spinnt er wirklich.“

„Klar spinnt er“, stimmte Josef zu.

Julia hatte mit dem alten Lex Mitleid: „Aber nicht immer!“

„Oft.“

„Ist doch egal“, entschied Biggi.

Philip und Ricky erreichten das Ende des Grundstücks, ihre Freunde waren bereits einige Schritte voraus.

Ricky deutete auf eine lockere Zaunlatte: „Immer noch nicht festgenagelt. Sollten wir nicht endlich mal?“

„Klar, wir wollen doch schon lange herauskriegen, was für merkwürdige Geräusche aus dem Schuppen kommen. Wir lüften endlich das letzte Geheimnis des alten Lex, Ricky!“

„Super! Ich bin dafür. Du auch? Ja oder nein?“

„Hm. Doch.“

„Heute?“

„23.00 Uhr?“

„Okay.“

Das widerliche Zirpen der Armbanduhr weckte Philip. Er zog sich hastig und so leise er konnte an. Draußen war es stockdunkel, nur die Straßenlaterne verbreitete ein bleiches Licht. Philip nahm seine Taschenlampe und blinkte das vereinbarte Signal in Richtung Rickys Fenster. Umgehend kam die Antwort. Er war also ebenfalls bereit.

Philip öffnete leise sein Fenster und glitt, wie schon oft, vorsichtig auf das Dach des Müllhäuschens hinab. Es entstand nur ein leichtes Kratzen, als seine Füße Halt suchten. Anschließend die gleiche Prozedur vom Müllhäuschen hinunter. Wenige Sekunden später stand er auf der Erde. Ein paar vorsichtige, schnelle Schritte zur Straße, rasch auf die andere Straßenseite und dort stand Ricky bereits, an die Hauswand gedrückt.

„Leise …“, flüsterte er. „Wir bleiben im Schatten der Büsche, da sieht uns niemand.“

Zu so später Stunde befand sich sowieso kein Mensch mehr auf der einsamen Straße. Bis zum alten Lex waren es gerade mal hundert Meter. Noch lief alles glatt. In seinem Häuschen war es absolut dunkel, also von dort drohte keine Gefahr. Vorsichtig schoben sie die wackelige Zaunlatte zur Seite. Philip kroch als Erster durch die schmale Öffnung. Ein paar Sekunden später hatte es auch Ricky geschafft und sie standen im Garten. Beide grinsten vor Aufregung, was man in der Dunkelheit aber nicht erkennen konnte. Mit vorsichtigen Schritten bewegten sie sich durch das widerlich hohe Unkraut in Richtung Schuppen. Ab und zu knackte es unter ihren Füßen, doch sie trauten sich nicht, ihre Taschenlampen einzuschalten.

„Er ist sowieso nicht zu Hause“, beruhigte Philip seinen Freund. Aber genau wusste er es natürlich auch nicht, vielleicht schlief er bereits. Schließlich standen sie vor dem heruntergekommenen Gartenhäuschen, hatten heftiges Herzklopfen und zögerten. Ricky packte Philip nervös am Arm.

„Jetzt versuch ich’s, Ricky“, flüsterte Philip und drückte auf die Türklinke. Sie gab ohne Widerstand nach. Nicht das geringste Quietschen war zu vernehmen.

„Frisch geölt“, flüsterte Ricky Philip ins Ohr.

In der Hütte war es stockdunkel.

„Ein Glück! Jetzt sind wir erst mal hier“, schnaufte Ricky fast unhörbar.

Philip fuhr nervös mit der Hand durch sein rotes Stoppelhaar und flüsterte: „Und was machen wir jetzt?“ Langsam verließ ihn der Mut. Er versuchte sich zu erinnern, ob die Hütte ein Fenster besaß. Es fiel ihm nicht ein.

Ricky reagierte ungewöhnlich cool: „Ich schalt meine Taschenlampe ein, okay?“

Eine Antwort wartete er nicht ab. Die Taschenlampe erhellte einen kleineren Raum, als sie erwartet hatten. Philip registrierte, dass es kein Fenster gab, also keine Gefahr, dass sie das Licht ihrer Taschenlampen verriet.

Sie blickten sich um. Philip hatte jetzt ebenfalls seine Taschenlampe eingeschaltet. Keiner sagte ein Wort. Da war gar nichts. Was sie eigentlich erwartet hatten, wussten beide plötzlich nicht mehr.

„Das ist …“, flüsterte Ricky, „… ich kann’s nicht glauben, das ist ja vollkommen leer – und blitzblank. Und so klein.“

„Ich dachte, wir entdecken hier ein Geheimnis oder vielleicht eine fürchterliche Rumpelkammer“, meinte Philip. „Und jetzt überhaupt nichts. Was macht er hier bloß immer? Stundenlang!“

„Schau mal. Diese Markierung? Sieht aus wie eine Tür?“ Ricky kratzte sich nachdenklich am Kopf.

„Vielleicht steckt dahinter das Geheimnis“, flüsterte Philip.

„Ja vielleicht!“

„Und jetzt?“

„Lass uns wieder abhauen“, schlug Ricky vor.

„Hm, … ist bestimmt besser“, nickte Philip. Doch vorher wollte er noch die merkwürdige Türzeichnung untersuchen.

„Warte, das schau ich mir noch an. Wenn es eine Tür ist, muss dahinter ein Raum sein. Der Schuppen ist doch deutlich größer.“

Philip wollte die Tür öffnen, doch es handelte sich nur um eine aufgemalte Klinke.

„Wie macht man so eine Tür auf? Hast du eine Ahnung, Ricky?“

„Das ist überhaupt keine Tür“, antwortete Ricky ratlos, „und jetzt komm!“

„Was soll es denn sonst sein?“

„Was weiß ich.“

So einfach wollte Philip nicht aufgeben. Er suchte nach einem Türspalt. Nichts! Schließlich schlug er enttäuscht mit der Faust auf die gemalte Klinke.

Oh je! Er löste eine Alarmanlage aus. Ein rhythmisches Hupen ertönte, begleitet von einer blinkenden roten Signallampe am oberen Rand. Die hatten sie vorher nicht bemerkt.

„Bist du verrückt?“, erschrak Ricky. „Jetzt hast du alles verraten!“

„Los, weg hier.“

Philip zog Ricky hinter sich zum Ausgang. Aus dem Untergrund ertönte ein rumpelndes Geräusch. Schlagartig wurde beiden klar, dass sie sich genau über ein solches Geräusch mehrfach gewundert hatten.

Es dauerte keinen Wimpernschlag und sie hetzten stolpernd zum Zaun. Gräser schlugen ihnen ins Gesicht. Hastig zwängten sie sich durch die schmale Öffnung. Als beide wieder auf der Straße standen, verharrten sie eine Sekunde keuchend. Ihre Herzen klopften, als würden sie zerspringen.

„Komm weiter, Philip.“ Ricky zerrte an seinem Arm, als dieser prüfen wollte, ob sie verfolgt werden. Sie hörten nichts. Alles blieb ruhig. Auch das merkwürdige Rumpeln war wieder verstummt.

„Schnell, nach Hause“, drängte Ricky. „Dort sind wir sicher.“

Philip nickte. So schnell hatten sie sich noch nie verabschiedet. In ihren Zimmern sprangen sie vollständig angezogen in die Betten. Man konnte ja nie wissen! Beide waren mehr als hellwach.

Als Philip auch nach einer kleinen Ewigkeit nicht das geringste Geräusch hörte, wurde er ruhiger und sein Herz hämmerte nicht mehr so entsetzlich. Er zog sich leise aus, kroch wieder ins Bett und versuchte, seine Gedanken zu ordnen. Aber … keine Chance.

Was hatten sie entdeckt?

Nichts! Oder?

Neue Fragen stellten sich. Ricky war doch so ein Schlaumeier. Vielleicht konnte der sich was zusammenreimen.

Details

Seiten
ISBN (ePUB)
9783752118100
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2020 (Oktober)
Schlagworte
Freunde Technik Beamen Geheimnis Spannung Science Fiction

Autor

  • Ben Lehman (Autor:in)

Ben Lehman kommt aus dem Bayerischen Wald und lebte überwiegend in München. Seit Jahren ist der Starnberger See seine neue Heimat. Der Informatiker arbeitete als Programmierer und Systemanalytiker, auch in internationalen Unternehmen. Sein erfolgreiches Softwarehaus wurde vor einigen Jahren veräußert. Danach begann er seine ehrenamtliche Tätigkeit für die Peter-Ustinov-Stiftung bis zu dessen Tod, Schwerpunkt die Organisation der Peter-Ustinov-Mädchenschule in Afghanistan.
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Titel: Das Alfa-Geheimnis