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Liebesträume unter Palmen

von Stefanie Müller (Autor:in) Holly Stevens (Autor:in)
120 Seiten
Reihe: Urlaubs-Romanzen, Band 3

Zusammenfassung

Worauf hat sie sich da bloß eingelassen? Unter Vorspiegelung falscher Tatsachen hat sich Carrie beim einflussreichen Unternehmer Matteo Falchetti als Sekretärin eingeschlichen, um Beweise dafür zu finden, dass ihr Bruder Jake unschuldig im Gefängnis sitzt. Doch schon bald droht ihre Tarnung aufzufliegen – nicht zuletzt, weil sie Matteos Anziehungskraft nur schwer widerstehen kann … <br> Abgeschlossener Roman.<br> Ebook-Neuausgabe.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


 

 1. KAPITEL

 

Es war das Paradies auf Erden, doch wenn Carries Verdacht tatsächlich zutraf, dann stand der Mann, der hier lebte, dem Teufel weitaus näher als Gott.

Casa Fiori, das Anwesen der Familie Falchetti, lag auf einer Felsterrasse über dem Tal. Orangenbäume wuchsen an den sanft abfallenden Hängen, der intensive Duft der weißen Blüten erfüllte die Luft. Der Himmel, an dem sich nur einige harmlose Schäfchenwolken tummelten, war von einem schon fast unwirklich anmutenden Blau. Im strahlenden Sonnenschein glitzerte das türkisfarbene Wasser des Mittelmeers wie ein Ozean aus Diamanten.

Carrie Malewski atmete tief durch und wandte sich vom Fenster des Arbeitszimmers ihres Chefs ab. Sie war nicht hier, um zu träumen. Matteo Falchetti gehörte nicht zu den besonders geduldigen Menschen. Er stellte an seine Mitarbeiter dieselben Ansprüche wie an sich selbst. Wahrscheinlich durfte er, bei dem Gehalt, das er zahlte, auch überdurchschnittlichen Einsatz erwarten.

Doch Carrie hatte sich nicht des Geldes wegen um diesen Job beworben.

Auf dem Schreibtisch lag die Aktenmappe, die zu holen Matteo ihr aufgetragen hatte. Carrie nahm sie und ging zur Tür. Dann verharrte sie mitten im Schritt. Wollte sie sich diese einmalige Chance wirklich entgehen lassen?

Noch zögerte sie. Es stimmte schon, seit ihrem Arbeitsantritt vor vier Tagen bot sich ihr nun zum ersten Mal die Gelegenheit, sich allein im Büro ihres Chefs umzusehen. Trotzdem verursachte allein der Gedanke ein ungutes Gefühl in ihrer Magengegend. Es widerstrebte allem, was sie als richtig und anständig empfand, in fremdem Eigentum herumzuwühlen.

Aber was blieb ihr für eine Wahl?

Denk an deinen Bruder, sagte sie zu sich selbst. Nervös fuhr sie sich mit der Hand durch ihr schulterlanges schwarzbraunes Haar und rückte den kurzen cremefarbenen Rock ihres Businesskostüms zurecht; dann ging sie zum Schreibtisch zurück, legte die Aktenmappe ab und machte sich an die Arbeit.

Die Einrichtung des Arbeitszimmers war edel und teuer. Das wuchtige Pult bestand aus Rosenholz, dessen hübsche Maserung in verschiedenen rötlichen Tönen schimmerte. Dahinter stand ein Aktenschrank aus demselben Material. An der Wand hing das gerahmte Ölgemälde eines asketisch aussehenden, streng dreinblickenden Mannes. Seine stechenden dunklen Augen vermittelten Carrie den Eindruck, beobachtet zu werden.

Mit einem leichten Schaudern wandte sie sich dem Schreibtisch zu. Mach dich nicht verrückt, sagte sie zu sich selbst. Es ist nur ein Bild und kann dir ganz gewiss nicht gefährlich werden. Also hör auf, dich wie ein verängstigtes kleines Mädchen zu verhalten!

Doch so sehr sie sich auch bemühte, es zu ignorieren – das unangenehme Gefühl, angestarrt zu werden, blieb.

Hastig zog sie die erste Schublade auf, fand darin jedoch nichts Interessantes vor, ebenso wenig in der zweiten. In der untersten stieß sie zwar auf einige geschäftliche Unterlagen, allerdings befand sich abermals nichts darunter, das ihr irgendwie weiterhelfen konnte.

Mit jeder Sekunde, die verstrich, schien Carries Herz heftiger zu klopfen. Obwohl es im Zimmer dank seiner schattigen Lage angenehm kühl war, stand ihr der Schweiß auf der Stirn.

Wie lange hielt sie sich jetzt schon hier oben auf? Fünf Minuten? Zehn? Vermisste Matteo sie bereits? Oder lenkte ihn das Gespräch mit seinem Geschäftsfreund, einem glatzköpfigen älteren Italiener, so ab, dass ihr noch etwas Zeit blieb?

Angespannt lauschte sie auf Schritte im Korridor, doch nichts war zu hören. Schließlich nahm sie die Dokumente aus dem Ablagekorb auf dem Schreibtisch und blätterte sie hastig durch.

Nichts dabei. Aber war das ein Wunder? Ein Mann wie Matteo Falchetti würde Unterlagen mit sensiblen Daten wohl kaum einfach offen herumliegen lassen. Immerhin suchte Carrie nach Papieren, die ihn mit kriminellen Machenschaften in Verbindung brachten.

Denk nach! Wo würdest du etwas Derartiges verstecken?

Doch so angestrengt sie auch überlegte, ihr fiel nichts ein. Ihr Kopf war wie leergefegt, sie konnte sich einfach auf nichts konzentrieren.

Es schien unerträglich heiß im Zimmer zu werden. Das Blut rauschte ihr in den Ohren, ihre Hände zitterten leicht.

Nein, solche Aktionen waren nichts für sie. Sie brauchte keinen Nervenkitzel, um ihr Dasein aufregender zu gestalten. Mit ihren achtundzwanzig Jahren hatte sie bereits genug erlebt, um einen ruhigen und beschaulichen Lebensstil zu bevorzugen.

Aber irgendjemand musste etwas tun, und wie es aussah, war sie die einzige Person, die ihrem Bruder jetzt noch helfen konnte.

Als Nächstes wandte sie sich dem Aktenschrank zu. Sie beugte sich tief hinab, um die unterste Schublade zu öffnen.

In diesem Moment erklang ein Geräusch an der Tür.

Carrie erstarrte.

 

 

Wie gebannt stand Matteo im Türrahmen und beobachtete seine neue Assistentin. Die beugte sich gerade so tief hinunter, dass er deutlich den Spitzenabschluss ihrer halterlosen Strümpfe unter dem knappen Rock hervorblitzen sehen konnte.

Was für eine Frau!

Für Matteo stellte sie den Inbegriff der Sünde dar. Sie war nicht besonders groß, reichte ihm gerade einmal bis zur Brust. Mit den hochhackigen Schuhen, die sie immer trug, schummelte sie allerdings noch einmal gut und gerne zehn Zentimeter hinzu.

Ihre Figur konnte man als mädchenhaft schlank bezeichnen, wies jedoch weibliche Rundungen an den richtigen Stellen auf. Nylons ließen ihre langen, wohlgeformten Beine geheimnisvoll schimmern.

Sie war die personifizierte Verführung. Ihr schwarz glänzendes Haar, das ihr in sanften Wellen auf die Schulter fiel. Das herzförmige Gesicht, die großen blauen Augen und der sinnlich geformte Mund, der förmlich zum Küssen einlud …

Reiß dich zusammen!, rief Matteo sich zur Ordnung. Es war lange her, dass er wegen einer Frau derart die Kontrolle über sich selbst verloren hatte, und er dachte nur äußerst ungern an das letzte Mal zurück.

Seiner Ex-Verlobten war es gelungen, ihn wie einen kompletten Narren erscheinen zu lassen. Diese Erfahrung wollte er wirklich nicht noch einmal machen. Das Fiasko mit Sofia reichte ihm für den Rest seines Lebens.

„Kann ich Ihnen irgendwie behilflich sein?“, fragte er, um den Zauber zu brechen, den seine neue Assistentin auf ihn ausübte. Er sprach immer Englisch mit ihr, obwohl er wusste, dass sie die italienische Sprache beherrschte.

Langsam richtete sie sich auf und drehte sich zu ihm um. Ihre blauen Augen wichen seinem Blick aus. Sie wirkte nervös. „Ich … nun, es …“

Matteo seufzte. „Was ist denn los? Ich habe Sie vor fast zwanzig Minuten gebeten, die Unterlagen für Signore Renaldi zu holen. Er ist ein viel beschäftigter Mann und hat noch andere Termine – und ich, nur am Rande bemerkt, ebenfalls. Wenn es also ein Problem gibt, dann lassen Sie es mich bitte wissen.“

„Es tut mir leid, aber ich habe die Papiere nicht finden können“, erwiderte sie hektisch. Ihre Stimme war kaum mehr als ein heiseres Flüstern.

Es klang verdammt sexy.

Matteo atmete tief durch. „Vorhin lagen sie noch auf dem Schreibtisch.“ Er trat ins Zimmer. Die Akte, die er benötigte, befand sich noch an genau der Stelle, an der er sie zurückgelassen hatte. Er nahm sie auf. „Hier ist die Mappe doch!“

„Ach, diese Unterlagen meinten Sie! Ich fürchte, ich habe da etwas missverstanden.“ Nervös fuhr sie sich durchs Haar. Diese harmlose Geste reichte aus, um Matteos Mund trocken werden zu lassen.

Er schüttelte den Kopf. So ging das nicht weiter. Carrie war seine Angestellte, und er ihr Boss. Sie hatten ein rein berufliches Verhältnis zueinander, und so sollte es auch bleiben. Eine Affäre oder gar eine Beziehung mit ihr lag absolut nicht in seinem Interesse. Mit dem Thema Frauen hatte er nach der Sache mit seiner ehemaligen Verlobten endgültig abgeschlossen. Er brauchte nur daran zu denken, wie Sofia ihn vor aller Welt lächerlich gemacht hatte, und ihm stieg die Zornesröte ins Gesicht.

Allora, was stehen Sie da noch rum?“, fuhr er Carrie barsch an. Er konnte nur hoffen, dass man ihm nicht zu deutlich ansah, was wirklich in ihm vorging. „Signore Renaldi hat bereits lange genug gewartet, denken Sie nicht? Jetzt kommen Sie endlich!“

Mit diesen Worten wandte er sich ab und verließ den Raum.

 

 

Carrie holte tief Luft und glättete ihr Haar, dann folgte sie ihrem Boss. Ihre Knie waren noch immer etwas zittrig, was nicht zuletzt an seiner unglaublich männlichen Ausstrahlung lag. Wenn er einen Raum betrat, schien die Luft förmlich zu vibrieren.

Gutes Aussehen allein erklärte dieses Phänomen nicht, auch wenn Matteo mit Sicherheit einer der attraktivsten Männer war, die sie je getroffen hatte. Seine Haut besaß eine tiefe Bräune, und seine markanten Gesichtszüge erinnerten Carrie an die Büsten alter griechischer Götter. Das dichte schwarze Haar wies einen modischen Schnitt auf, und er besaß den Körper eines Athleten. Am meisten aber fesselten sie seine dunklen, fast schwarzen Augen, in deren Tiefen man versinken konnte.

Seine überwältigende Präsenz lag jedoch in etwas anderem begründet, und zwar in Stolz und Selbstbewusstsein. Er war ein harter Mann, mit dem man keine Spielchen spielen sollte. Er gehörte zu den Menschen, die alles, was sie sich vornahmen, auch in die Tat umsetzten, ganz gleich, welche Opfer sie dafür erbringen mussten.

Ihn umgab eine gewisse Aura der Skrupellosigkeit, allerdings mochte Carrie sich das auch nur einbilden. Immerhin gab es bislang nicht den geringsten Beweis dafür, dass an ihrem Verdacht irgendetwas dran war. Nur ihre eigene, auf ziemlich wackeligen Beinen stehende Theorie. Doch mehr hatte sie nicht. Es war ihre einzige Chance, den Namen ihres Bruders reinzuwaschen. Sie durfte einfach nicht falsch liegen! Jakes gesamte Zukunft hing davon ab, was sie hier, auf Sizilien, herausfand. Wenn sie scheiterte, würde er aller Wahrscheinlichkeit die nächsten Jahre im Gefängnis verbringen müssen. Und das wollte sie um jeden Preis verhindern.

Hinter Matteo trat sie hinaus auf die Terrasse. Der weiße Granit, aus dem der Boden und das Geländer bestanden, erstrahlte so hell im Sonnenlicht, dass Carrie für einen Moment geblendet war. Sie beschattete ihre Augen mit den Händen und erblickte den italienischen Geschäftspartner ihres Chefs, der unter einem großen blauen Schirm saß. Vor ihm auf dem Tisch stand ein Glas Weißwein, bereits zur Hälfte geleert.

Der ältere Mann lächelte, als Matteo und Carrie sich zu ihm setzten. Carrie kannte diese Art von Lächeln nur zu gut, und sie hatte gelernt, sich davor in Acht zu nehmen. Es war lediglich aufgesetzt und erreichte die dunkelbraunen Augen nicht, deren Blicke Bände sprachen. Sie wäre bereit gewesen, ein Vermögen darauf zu verwetten, dass Signore Renaldi in diesem Moment liebend gern auf Matteos Gesellschaft verzichtet hätte.

Carrie unterdrückte ein Schaudern. Warum nur rief sie in Männern immer wieder diese Reaktion hervor? Sicher, sie kleidete sich nicht gerade züchtig, doch das war noch lange kein Grund, sie auf jene Weise anzuschauen.

Endlich zog Matteo die Aufmerksamkeit seines Geschäftspartners auf sich, indem er ihm den Inhalt der Dokumentenmappe überreichte. Während die Männer miteinander verhandelten, ließ Carrie den Blick über das Meer schweifen, das blau und silbern im Sonnenschein schimmerte. Die Straße von Messina, die Meerenge zwischen dem italienischen Festland und Sizilien, die das Tyrrhenische und das Ionischen Meer verband, war an dieser Stelle etwa drei Kilometer breit. Man konnte die Küste von Kalabrien mit bloßem Auge erkennen.

Ein herrliches Panorama, das sich einem von hier oben darbot. Ein Ausblick, der sich mit Geld kaum bezahlen ließ. Doch nichts war zu teuer für die Falchettis, die jahrhundertelang über das Tal geherrscht hatten und es im Grunde noch immer taten. Mit den Arbeitsplätzen, die sie in ihren verschiedenen Unternehmenszweigen schufen, war auch heute noch die Existenz ganzer Familien untrennbar mit dem Erfolg oder Misserfolg der Falchettis verknüpft.

Ebenso wie die Zukunft von Carries Bruder nun in den Händen dieser Familie lag.

„… finden Sie nicht auch, Signorina Malewski?“

Erschrocken zuckte sie zusammen, als ihr Name fiel. Sie hatte die Unterhaltung der beiden Männer längst nicht mehr verfolgt und wusste daher tatsächlich nicht, was Matteos Geschäftspartner von ihr wollte. „Wie bitte?“ Sie zwang sich zu einem Lächeln. „Es tut mir leid, aber ich fürchte, ich war mit meinen Gedanken nicht ganz bei der Sache.“

Matteo bedachte sie mit einem finsteren Blick. „Ich bezahle Sie nicht fürs Träumen“, fuhr er sie an. „Entweder Sie konzentrieren sich, oder Sie suchen sich eine Stelle, die Ihren Fähigkeiten eher entspricht.“

„Jetzt seien Sie doch nicht so furchtbar streng, Ragazzo!“, fiel Renaldi ihm ins Wort. „Ein solch schöner Tag lädt nun einmal zum Träumen ein.“ Und mit einem Seitenblick zu Carrie fügte er hinzu: „Ich muss gestehen, dass ich in Gegenwart einer so bezaubernden jungen Dame wie Ihrer Assistentin auch meine Schwierigkeiten habe, einen kühlen Kopf zu behalten.“

Angespannt wartete Carrie auf Matteos Reaktion. Sie kannte ihn noch nicht gut genug, um ihn wirklich einschätzen zu können. Es ließ sich nicht ausschließen, dass er dieses Zeichen ihrer Unaufmerksamkeit zum Anlass nahm, ihr zu kündigen.

Aber das durfte auf keinen Fall geschehen! Wenn er ihr nur noch eine einzige Chance gab, würde sie ihm beweisen, dass sie genau die Mitarbeiterin war, nach der er gesucht hatte.

Ihr Bruder vertraute ihr. Sie durfte ihn auf keinen Fall enttäuschen!

Erleichtert atmete sie auf, als Matteo plötzlich lächelte. „Sie haben recht. Dieser Tag ist wirklich zu schön, um sich über unwichtige Nebensächlichkeiten aufzuregen. Also, wo waren wir stehen geblieben?“

Jetzt achtete sie darauf, jedes Wort der Unterhaltung zwischen den Männern genauestens zu verfolgen. Sie war einmal bei einer Unaufmerksamkeit ertappt worden, doch das würde ihr ganz gewiss kein zweites Mal passieren.

Mit einem Mal spürte sie eine fremde Hand an ihrem Bein. Carrie erstarrte. Ein Versehen, beruhigte sie sich selbst, atmete tief durch und drehte sich ein Stück zur Seite. Das Gewicht auf ihrem Knie verschwand kurz, kehrte aber nur Sekunden später wieder zurück. Unauffällig blickte sie zu Renaldi herüber.

Der grinste anzüglich.

Ihr erster Impuls war es, aufzuspringen und diesem unverschämten Kerl eine Ohrfeige zu verpassen. Doch sie zwang sich zur Ruhe. Es war weiß Gott nicht das erste Mal, dass sie in einer solchen Situation steckte. Aus Erfahrung wusste sie, dass eine unbedachte Reaktion oft mehr schadete als half.

Wie aus weiter Ferne hörte sie Matteo über Statistiken und Umsatzentwicklungen referieren. Er schien von alldem nichts mitbekommen zu haben, und so sollte es auch bleiben. Carrie fiel es schwer, ihn einzuschätzen. Möglich, dass er zu der Sorte von Männern gehörte, die stets der Frau die Schuld zuschoben. Sie durfte kein Risiko eingehen.

Ihr Blick fiel auf Renaldis Glas, das inzwischen leer vor ihm auf dem Tisch stand, daneben die ebenfalls leere Weinkaraffe, und auf einmal kam ihr die rettende Idee.

„Sie haben ja gar keinen Wein mehr, Signore“, sagte sie mit einem gezwungenen Lächeln. „Einen Moment, ich hole Ihnen sofort noch welchen.“ Sie sprang abrupt auf und unterdrückte ein erleichtertes Aufatmen, als Renaldis Hand von ihrem Bein rutschte. Dann wandte sie sich an Matteo: „Sie kommen doch sicher auch einen Moment ohne mich zurecht, Signore Falchetti?“

Fragend musterte ihr Chef sie. Er schien zu spüren, dass sie nur einen Vorwand vorbrachte, um sich zurückziehen zu können. Er zuckte mit den Achseln. „Non mi importa – meinetwegen. Gehen sie nur.“

Carrie spürte Matteos forschenden Blick in ihrem Rücken, als sie hastig die Terrasse verließ und in die kühle Dunkelheit des Salons trat. Vermutlich fragte er sich, was ihr seltsamer Auftritt zu bedeuten hatte. Besser, sie ließ sich jetzt schon einmal eine glaubhafte Erklärung einfallen, falls er sie später danach fragte. Die Wahrheit zu sagen erschien ihr wenig ratsam. Sie hatte die Erfahrung machen müssen, dass Männer meistens zusammenhielten, wenn es um das Thema Frauen ging. Genau wie damals bei ihrem Pflegevater – und später bei Sam …

Als sie den hinteren Teil des Salons erreichte und damit außer Sichtweite gelangte, stütze sie sich auf die Rückenlehne eines antiken, mit kunstvollen Schnitzereien versehen Stuhls, schloss die Augen und holte ein paar Mal tief Luft. Dann ging sie weiter zur Küche, um den Wein für Renaldi zu holen. Normalerweise hätte sie einem widerlichen Kerl wie ihm den Drink einfach ins Gesicht geschüttet, denn er verdiente es nicht besser. Sein Verhalten ihr gegenüber konnte man nur als unverschämt und respektlos bezeichnen. Carrie verabscheute Männer, die Frauen auf diese Weise behandelten, und normalerweise hätte sie sich ein solches Benehmen auch nicht bieten lassen.

Doch sie musste an Jake denken. Nur um seinetwillen schluckte sie Zorn und verletzten Stolz hinunter. Für die Genugtuung, Renaldi eine Lektion zu erteilen, durfte sie die Zukunft ihres Bruders nicht aufs Spiel setzen.

Ihr Handy klingelte, als sie sich gerade im Korridor befand. Sie holte es aus der Innentasche ihrer Kostümjacke. Bei dem Anrufer handelte es sich um Thomas Livingston, dem Anwalt ihres Bruders. Verstohlen blickte sie sich um, denn bei dieser Sache konnte sie keinen Mithörer gebrauchen. Kurz überlegte sie, ihn später, nach dem offiziellen Ende ihres Arbeitstages, zurückzurufen, entschied sich dann aber dagegen und nahm das Gespräch an.

Livingston kam ohne Einleitung zum Thema. „Sie haben mich gebeten, Sie sofort zu informieren, sollte es Neuigkeiten geben.“

Carrie schluckte. Der Anruf des Anwalts mochte ein gutes Zeichen sein, ebenso aber auch ein schlechtes. Livingstons Stimme ließ sich jedenfalls nichts entnehmen. Sie atmete tief durch. „Ich hoffe, Sie haben positive Nachrichten.“

Sein Seufzen machte Carrie wenig Hoffnung. „Leider nein. Das Gericht hat einen Verhandlungstermin für den Fall Ihres Bruders festgelegt. Die erste Sitzung soll bereits Ende des Monats stattfinden.“

„Ende des Monats?“ Carrie musste sich zusammenreißen, um nicht laut aufzuschreien. „Aber das sind ja nur noch etwas mehr als zwei Wochen! Wie soll ich bis dahin die Informationen beschaffen, die Sie brauchen? Das ist vollkommen unmöglich!“

Sie beendete das Gespräch und atmete tief durch. Trotz der drückenden Hitze des Tages fröstelte sie.

Was jetzt?, fragte Carrie sich. Ihr blieb kaum noch Zeit. Wenn sie ihrem Bruder helfen wollte, war nun höchste Eile geboten. Doch dabei durfte sie nicht unvorsichtig werden. Sollte Matteo herausfinden, warum sie wirklich hier war, würde er nicht zögern, sie augenblicklich zu entlassen.

Und dann war alles aus!

 

 

 2. KAPITEL

 

Fünf Stunden später – die Sonne sank bereits dem Horizont entgegen – nahm Carrie die letzten Lieferscheine, die bis vor kurzem Teil eines riesigen unsortierten Stapels gewesen waren, und heftete sie in den entsprechenden Aktenordner.

Seufzend lehnte sie sich auf ihrem Schreibtischstuhl zurück. Matteos letzte Assistentin, die sich nach einem Autounfall im Krankenhaus befand und noch mindestens ein halbes Jahr ausfallen würde, war offenbar, was Büroorganisation und Ablage betraf, kein großes Talent gewesen. Seit ihrem Arbeitsantritt bei Falchetti e Figlio vor vier Tagen kämpfte Carrie nun schon gegen das Durcheinander an, das ihre Vorgängerin hinterlassen hatte. Jetzt endlich schien das Gröbste aufgearbeitet zu sein.

Tief atmete sie durch und warf einen Blick auf ihre Armbanduhr. Kurz nach halb sechs. Ihre reguläre Arbeitszeit war schon seit über einer Stunde vorüber. Und nach dem unerfreulichen Erlebnis mit Signore Renaldi am frühen Mittag hatte sie sich ihren Feierabend redlich verdient. Ganz davon abgesehen diente ihr Aufenthalt hier keineswegs dazu, um sich in der Firma hochzuarbeiten.

Nein, darum ging es ihr nun wirklich nicht. In spätestens zwei Wochen musste sie ihre eigentliche Aufgabe erledigt haben, und dann würde sie ihren Dienst bei Matteo wieder quittieren. Sie erfüllte die täglich anfallenden Arbeiten, koordinierte Termine und erledigte Schreibarbeiten. Zudem stand, wie sie erfahren hatte, demnächst ein großer Geschäftsabschluss bevor, und von ihr wurde erwartet, dass sie Matteo mit all ihren Fähigkeiten und Erfahrungen tatkräftig zur Seite stand.

Sicher war es nicht gerade die feine Art gewesen, sich unter Vorspiegelung falscher Tatsachen hier einzuschleichen, und Carries schlechtes Gewissen meldete sich in diesem Moment nicht zum ersten Mal. Doch ihr blieb keine andere Wahl, es ging einfach um zu viel. Zudem zweifelte sie nicht daran, dass Matteo schnell Ersatz finden würde.

Sie dachte über ihn nach. Fraglos handelte es sich bei ihm um einen Mann, der es gewohnt war, Befehle zu erteilen und der erwartete, dass diese Befehle auch befolgt wurden. Nicht selten wirkte er dadurch arrogant und herrschsüchtig.

Sein ungemein attraktives Äußeres machte es für Carrie nicht einfacher, mit ihm umzugehen. Ganz im Gegenteil sogar. Immer wieder ertappte sie sich dabei, dass sie in seiner Gegenwart ins Träumen geriet. Warum, konnte sie sich selbst nicht erklären. Und das lag nicht nur an seinen gravierenden charakterlichen Unzulänglichkeiten. Schließlich verdächtigte sie ihn, in kriminelle Machenschaften verwickelt zu sein.

Das war auch der Grund dafür, dass sie sich überhaupt um die freie Stelle bei Falchetti e Figlio beworben hatte. Sie brauchte diesen Job nämlich keineswegs.

Carrie lebte in London und leitete dort eine kleine, aber gutgehende Agentur zur Vermittlung von Sekretärinnen und Bürokräften, die für die Dauer ihrer Abwesenheit von ihrer Stellvertreterin und guten Freundin Jennifer Brixton geführt wurde.

Wochenlang hatte sie nach einer Möglichkeit gesucht, in die Nähe des sizilianischen Großunternehmers Matteo Falchetti zu gelangen, als ihr der Zufall zur Hilfe gekommen war. Über ihre Beziehungen und Kontakte in der Branche erfuhr sie, dass Falchetti nach einer persönlichen Assistentin suchte. Aufgrund ihrer tadellosen Referenzen und mit der Unterstützung eines befreundeten Agenturchefs war sie schließlich an ihn vermittelt worden.

Sie tat dies alles hier nur für eine Person. Für Jake, ihren Bruder.

Beim Gedanken an ihn und seine verzweifelte Situation stiegen ihr Tränen der Wut und der Verzweiflung in die Augen. Seit fast zwei Monaten saß er nun schon in einem französischen Untersuchungsgefängnis und wartete darauf, dass ihm der Prozess gemacht wurde. Und das alles hatte er, wenn Carrie mit ihrem Verdacht richtig lag, niemand anderem als einer Person zu verdanken.

Matteo.

Morton Smith, der von ihr engagierte Privatdetektiv, war vor knapp einem Monat auf die Verbindung zwischen Falchetti e Figlio und der französischen Firma gestoßen, für die Jake seit etwas mehr als einem halben Jahr als Buchhalter arbeitete, und bei der er sich der Geldwäsche schuldig gemacht haben sollte. Von Smith stammte auch die Information, dass es Gerüchte gab, die besagten, dass die Falchettis mit der Mafia im Bunde standen.

Allein das Wort ließ Carrie erschaudern. Sie kannte die Mafia nur aus Filmen und verband damit skrupellose, von Profit und Machtgier besessene Gangster. Dass sie sich jetzt vielleicht im Haus eines solchen Menschen aufhielt, mit ihm sogar unter einem Dach lebte, jagte ihr Angst ein.

Aber sie konnte es sich nicht erlauben, in ihren Methoden wählerisch zu sein. Ihr Bruder, der immerhin die Verantwortung für eine Frau und zwei kleine Kinder trug, saß unschuldig im Gefängnis. Für die wahren Schuldigen war er nichts anderes als ein Sündenbock. Doch damit würden diese Verbrecher auf keinen Fall durchkommen! Carrie hatte versprochen, Jake zu helfen, und sie würde ihr Wort halten.

Und wo standen die Chancen besser, an nützliche Informationen zu gelangen, als direkt in der Höhle des Löwen?

Mit einem leisen Seufzen schaltete sie den Computer aus und nahm ihre Jacke, die über der Rückenlehne des Stuhls hing. Matteo hatte bereits vor über einer Stunde Feierabend gemacht und wie üblich seine Bürotür hinter sich abgeschlossen. Es bestand also kaum Hoffnung, dass sie heute noch etwas Brauchbares herausfinden konnte, und sie benötigte dringend ein wenig frische Luft. Denn obwohl sie daran gewöhnt war, oft mehr als zehn Stunden täglich im Büro zu verbringen, machte ihr die Klimaumstellung doch zu schaffen.

Nachdem sie sich am Tag ihrer Ankunft gleich mehrmals in dem riesigen Familienstammsitz der Falchettis verlaufen hatte, fand sie sich inzwischen ganz gut zurecht. Matteo leitete das Unternehmen von seinen Arbeitsräumen im Obergeschoss des Westflügels des Familienstammsitzes der Falchettis aus. Über den seitlichen Treppenaufgang gelangte sie zu einer Tür, die direkt hinaus in den Garten führte.

Carrie atmete tief durch.

Hier draußen war es einfach herrlich. Der intensive Duft des Jasmins, dessen weiße Blüten fast die gesamte die rückwärtige Fassade des Hauptgebäudes bedeckten, erfüllte die Luft. Die Blätter der Ölbäume raschelten im Wind, der sanft vom Meer her blies.

Für einen Moment stand sie einfach nur da und lauschte dem Zirpen der Grillen, als sie plötzlich Matteos Stimme vernahm.

„Maledizione!“, hörte sie ihn unterdrückt auf Italienisch fluchen. Sie konnte ihn zwar nicht sehen, aber er schien sich in ihrer unmittelbaren Nähe zu befinden. Dann entdeckte sie ihn. Er stand nur ein paar Meter entfernt von ihr, halb verborgen hinter einem üppig blühenden Rosmarinstrauch. Er hielt sein Handy ans Ohr gepresst, und mit der freien Hand fuhr er sich immer wieder angespannt durchs Haar.

„Was soll das, Giuseppe?“, sagte er als Nächstes. „Du weißt genau, wie nervös unsere Geschäftspartner seit der Angelegenheit in Frankreich sind. Wir dürfen uns keine weiteren Pannen erlauben, sonst könnte es übel für uns enden. Also finde heraus, was hier vorgeht, und melde dich wieder bei mir, sobald du mehr weißt, verstanden?“

Frankreich? Carrie horchte auf. Sie gehörte für gewöhnlich nicht zu den Menschen, die fremde Gespräche belauschten, doch wenn es um Jakes Zukunft ging, durfte sie sich keine falsche Zurückhaltung erlauben.

Leise trat sie näher, wobei sie darauf achtete, außerhalb von Matteos Blickfeld zu bleiben. Doch die Mühe war umsonst, denn im selben Moment ertönte der Klingelton ihres eigenen Handys, das in ihrer Jackentasche steckte.

Carrie unterdrückte einen Fluch. Hastig zerrte sie das Mobiltelefon hervor und schaltete den Alarm ab, den sie extra programmiert hatte, damit sie nicht vergaß, Michelle, die Frau ihres Bruders, anzurufen.

Als das durchdringende Geräusch endlich verstummte, war Matteo natürlich längst auf sie aufmerksam geworden.

„Wie lange sind Sie schon hier?“, fuhr er sie brüsk an. „Gehört es zu den Gepflogenheiten englischer Chefsekretärinnen, die Telefonate ihrer Arbeitgeber mit anzuhören?“

„Ich weiß nicht, wovon Sie sprechen!“, entgegnete Carrie und schaffte es dabei sogar irgendwie, vollkommen gelassen zu klingeln. „Ich habe gerade Feierabend gemacht und wollte mir lediglich ein wenig die Beine vertreten. Das ist doch wohl nicht verboten!“

Er zögerte. Misstrauen sprach aus seinem Blick, doch schließlich schüttelte er den Kopf. „Nein, natürlich nicht. Sie können sich jederzeit frei auf dem Anwesen bewegen.“

„Dann hätten wir das ja geklärt.“

Sie wandte sich ab, erleichtert darüber, diese unangenehme Situation überstanden zu haben. Doch so einfach schien Matteo sie nicht davonkommen lassen zu wollen.

„Warten Sie!“, rief er.

Carrie erstarrte. Sie wagte es nicht, sich zu ihm umzudrehen, da sie fürchtete, dass man ihr die Nervosität vom Gesicht ablesen konnte.

Sie hörte, wie er näher kam, und kurz darauf spürte sie seine Hand auf ihrer Schulter. Die Berührung durchzuckte sie wie ein elektrischer Schlag. Für den Bruchteil einer Sekunde wurde ihr schwarz vor Augen, und ihr stockte der Atem.

Dann hatte sie sich wieder im Griff.

Er drehte sie zu sich um. „Hören Sie schlecht? Ich habe nach Ihnen gerufen.“

„Müssen Sie eigentlich immer so unfreundlich sein?“, platzte es aus ihr hervor. Als ihr klar wurde, was sie gesagt hatte, erschrak sie. „Ich … Es tut mir leid, Signore, ich …“

„Nun hören Sie schon auf zu stammeln“, fiel er ihr ins Wort. „Sie scheinen ja zu glauben, dass ich Ihnen den Kopf abreiße, wenn Sie mir auch nur ein einziges Mal widersprechen. Ich kann Ihnen versichern, dass dies nicht der Fall ist. Auch wenn es vielleicht nicht den Anschein macht, ich kann Kritik durchaus vertragen.“

Er lächelte, und Carrie hatte das Gefühl, dass es ihr den Boden unter den Füßen wegzog. Ihre Knie wurden weich, und ihr Herz fing an, schneller zu klopfen. Verflixt, was war bloß mit ihr los?

Sie reagierte nicht zum ersten Mal mit einer solchen Heftigkeit auf ihn. Schon von Anfang an hatte sie gewusst, dass dieser Mann ihr gefährlich werden konnte. Seine Ausstrahlung wirkte einfach überwältigend auf sie. So sehr, dass sie manchmal sogar kurzzeitig vergaß, warum sie eigentlich hier war.

Reiß dich zusammen!, ermahnte sie sich selbst. Matteo ist der Feind. Vergiss nicht, dass er mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit für die Misere verantwortlich ist, in der dein Bruder gerade steckt. Wenn du Jake wirklich helfen willst, darfst du dich nicht von diesem Mann einwickeln lassen!

Sie atmete tief durch. „Es war ein langer Tag“, sagte sie schließlich. Selbst für ihre eigenen Ohren klang ihre Stimme ungewöhnlich heiser und dünn. „Ich werde mich wohl besser auf mein Zimmer zurückziehen. Buona Sera, Signore.“

Eilig ging sie auf das Haus zu. Sie streckte die Hand gerade nach der Türklinke aus, als er sie abermals zurückrief.

„Einen Augenblick noch!“

 

 

Matteo konnte nicht glauben, wie sehr diese Frau ihn immer wieder aus dem Konzept brachte. Sie brauchte ihn nur anzusehen, und schon vergaß er, was er eigentlich sagen wollte. Vielleicht ging er auch gerade deshalb oft so ruppig mit ihr um. Er gefiel ihm nämlich ganz und gar nicht, derart die Kontrolle über sich zu verlieren. Zumal es im Augenblick wirklich andere – wichtigere – Dinge gab, um die er sich kümmern musste.

Falchetti e Figlio war als Unternehmen in viele Bereiche der italienischen Wirtschaft involviert. Weinproduktion und Handel zählten ebenso dazu wie die Fischfangindustrie und Landwirtschaft. Einige Zweige dieses weit verbreiteten Firmennetzes reichten inzwischen bis ins Ausland, nach England, Frankreich, Spanien und Deutschland.

Und speziell die Beziehungen zu Frankreich waren es, die Matteo im Moment Kopfzerbrechen bereiteten.

Das Telefonat mit seinem Vetter Giuseppe hatte ihn beunruhigt. Es schien jemanden im Unternehmen zu geben, der ein falsches Spiel spielte. Der Buchhalter von Vins de Pays, einem kleinen französischen Weinhandel, war aufgrund des Verdachts der kriminellen Geldwäsche verhaftet worden. Die Behörden stellten bereits neugierige Fragen, und früher oder später würde jemand auf die Verbindung zu Falchetti e Figlio stoßen.

Und schlechte Publicity war etwas, das Matteo in der jetzigen Situation am allerwenigsten gebrauchen konnte. Nicht, wo gerade der große Abschluss mit dem Unternehmer Domenico Canzonetti bevorstand, von dem für die Firma eine Menge abhing. Diese Zusammenarbeit würde den Bestand von Falchetti e Figlio über Generationen hinweg sichern und damit die Fehler ausmerzen, die Matteos Vater in der Vergangenheit gemacht hatte.

Doch darüber wollte Matteo jetzt nicht nachdenken. Trotzdem: Eine einzige negative Schlagzeile konnte das Geschäft mit Canzonetti noch zum Scheitern bringen, dessen war er sich bewusst.

„Was gibt es denn?“, fragte Carrie und riss ihn damit aus seinen Überlegungen. „Kann ich noch etwas für Sie tun?“

Er zögerte kurz, dann winkte er ab. „Nein, es ist schon gut. Ich wünsche Ihnen auch noch einen angenehmen Abend.“

Sie runzelte die Stirn, ging dann aber ohne ein weiteres Wort ins Haus.

Matteo schüttelte den Kopf. Er wusste einfach nicht, was er von Carrie halten sollte. Gerade hatte er kurz mit dem Gedanken gespielt, sie über sein Gespräch mit Giuseppe in Kenntnis zu setzen. Als seine persönliche Assistentin waren derlei Informationen auch für sie wichtig. Trotzdem hatte er sich schließlich dagegen entschieden.

Und das lag vor allem daran, dass er sich nach wie vor nicht hundertprozentig sicher war, inwieweit man ihr trauen konnte.

Grund für seine Skepsis war ihr merkwürdiges Verhalten, das ihm immer wieder auffiel. Die Art und Weise, wie sie ihn anschaute, wenn sie glaubte, er merke es nicht, und ihre ständige Nervosität. Vielleicht bildete er sich das alles auch nur ein, und sie war lediglich deshalb so überdreht, weil sie in ihrem neuen Job alles richtig machen wollte.

Trotzdem hielt er es für besser, sie zunächst noch eine Weile im Auge zu behalten, ehe er sie in allen Belangen der Firma ins Vertrauen zog. Wenigstens so lange, bis Giuseppe, den er damit beauftragt hatte, Erkundigungen über sie einzuholen, Entwarnung gab. Doch sein Vetter hatte im Augenblick wirklich Wichtigeres zu tun.

Matteo wollte gerade wieder ins Haus gehen, als sein Handy klingelte. Es war Giuseppe.

Pronto“, begrüßte er seinen Vetter. „Hast du schon etwas herausgefunden?“

„Ja – allerdings fürchte ich, dass dir meine Neuigkeiten nicht besonders gefallen werden.“

„Nun rede schon!“, forderte Matteo gereizt. „Was geht hier vor?“

„Jemand betrügt uns“, antwortete sein Vetter. „Ich weiß nicht, wer es ist, und auch nicht, wie er es anstellt, aber fest steht, dass es in der Firma jemanden gibt, der gegen uns spielt.“ Er machte eine kurze, dramatische Pause, ehe er weitersprach: „Und es muss sich um jemanden handeln, der Zugang zu unserem innersten Kreis hat. Immerhin ist es ihm offenbar gelungen, ohne unser Wissen die Firmenkonten für illegale Transaktionen zu benutzen.“

Matteo beendete das Gespräch. Nachdenklich steckte er das Handy in die Innentasche seines Sakkos zurück.

Was nun? Er musste etwas unternehmen, so viel stand fest. Wenn die Person, die für das ganze Durcheinander verantwortlich war, nicht bald gestoppt wurde, brachte sie am Ende noch die ganze Firma in Gefahr.

Und das musste unter allen Umständen verhindert werden.

 

 

„Bitte, Michelle, du musst mir vertrauen. Ich tue wirklich alles, was in meiner Macht steht, um zu helfen.“

Mit angezogenen Knien saß Carrie auf dem Bett des Gästezimmers. Nach ihrer Begegnung mit Matteo im Garten war sie gleich hierhergekommen und hatte Jakes Ehefrau Michelle in Frankreich angerufen, um sie auf dem Laufenden zu halten – und ein bisschen auch, um nicht immer an ihren attraktiven Boss denken zu müssen.

Wie sich herausstellte, gab es leider keinerlei Neuigkeiten. Ihre Schwägerin war völlig am Ende und weinte bitterlich. „Ich habe solche Angst“, schluchzte sie. „Wie soll es denn jetzt bloß weitergehen? Was geschieht mit Jake, wenn es dir nicht gelingt, seine Unschuld zu beweisen?“

Carrie atmete tief durch. Sie konnte Michelles Verzweiflung nur allzu gut verstehen. Ihr Mann saß unschuldig im Gefängnis, und währenddessen stand sie ganz allein mit ihren beiden kleinen Söhnen da. Ohne Geld, ohne Hoffnung. Um nichts in der Welt wollte Carrie mit ihr tauschen.

„Du darfst jetzt nicht die Nerven verlieren“, versuchte sie Michelle zu beruhigen. „Im Moment kannst du Jake am besten helfen, indem du ihm zusammen mit den Jungs eine moralische Stütze bist. Ich bleibe in der Zwischenzeit hier am Ball.“

Für einen Moment herrschte Schweigen am anderen Ende der Leitung, dann hörte sie ein unterdrücktes Aufschluchzen. „Louis und Michel fragen immerzu nach ihrem Vater. Was soll ich ihnen denn bloß sagen? Sie sind doch noch viel zu klein, um das alles zu verstehen.“

„Gib die Hoffnung nicht auf“, sagte Carrie sanft. „Es wird alles gut ausgehen, davon bin ich überzeugt.“

„Danke“, flüsterte Michelle heiser. „Ich wüsste gar nicht, was ich ohne dich machen sollte. Du meldest dich doch, sobald du etwas Neues erfährst?“

Carrie lächelte. „Natürlich. Und jetzt geh zu den Jungs und gib Ihnen einen Kuss von ihrer Lieblingstante, okay?“

Nachdem sie das Gespräch beendet hatte, saß Carrie noch eine ganze Weile regungslos da und starrte das Telefon in ihrer Hand an. Es zerriss ihr fast das Herz, die Familie ihres Bruders so unglücklich zu erleben. Michelle war eine Seele von einer Frau. Sie hatte es nicht verdient, so zu leiden.

Carrie ballte die Hände zu Fäusten. Und die Verantwortung für all das trug niemand anderes als ihr Boss – Matteo Falchetti.

Nach den wenigen Sätzen, die sie vorhin im Garten von seinem Telefonat hatte mit anhören können, war sie davon jetzt sogar noch überzeugter als zuvor. Was er mit der „Angelegenheit in Frankreich“ gemeint hatte, war für sie mehr als offensichtlich: Es ging ganz bestimmt um Jakes Verhaftung. Und sie konnte sich ausrechnen, dass es sich bei den angeblichen Geschäftspartnern, die so nervös auf die Nachricht seiner Festnahme reagiert hatten, in Wahrheit vermutlich um irgendwelche Mafiosi handelte. Natürlich war Matteo nicht so dumm, das so offen am Telefon zu sagen, doch für Carrie bestand daran kein Zweifel.

Allerdings fehlten ihr noch immer stichhaltige Beweise, die ihren Verdacht belegten. Ohne diese hatte sie nichts in der Hand, um die französische Polizei zu überzeugen. Die dortigen Beamten gingen immerhin davon aus, den wahren Täter bereits dingfest gemacht zu haben. Carrie konnte es ihnen nicht einmal verübeln, denn alle Indizien sprachen tatsächlich gegen Jake. Dennoch glaubte sie ihrem Bruder. Sein Wort zählte für sie mehr als alle Verdachtsmomente der Welt. Und wenn er darauf beharrte, nichts mit dieser Sache zu tun zu haben, dann stand für sie fest, dass er lediglich als Sündenbock für die Taten anderer herhalten musste. Wahrscheinlich war es von langer Hand geplant gewesen, den Verdacht auf Jake fallen zu lassen, sollten die kriminellen Machenschaften der Firma eines Tages aufgedeckt werden.

Carrie atmete tief durch. Ihr blieb nicht mehr viel Zeit. Der Prozess würde schon bald beginnen, und bis dahin musste sie Beweise für die Unschuld ihres Bruders vorlegen können, sonst war alles umsonst gewesen. Sie nahm sich vor, so schnell wie möglich erneut in Matteos Büro nach Hinweisen suchen. Vermutlich gab es in dem Raum irgendwo ein verstecktes Fach, in dem ihr Boss vertrauliche Unterlagen aufbewahrte.

Und wenn sie dort nicht fündig wurde, brauchte sei einen neuen Plan. Vielleicht konnte sie von einem der Dienstboten mehr über Matteo und seine Verbindungen zur Mafia erfahren.

Eines stand jedenfalls fest: Sie musste die Zeit, die ihr bei Falchetti e Figlio noch blieb, nutzen.

Seufzend stand sie auf. Sie wollte noch einmal zurück in die Geschäftsräume der Firma und in ihrem Dienst-PC nach Anzeichen für kriminelle Machenschaften forschen. Zwar würde Matteo diese wohl kaum für jeden zugänglich auf einem öffentlichen Laufwerk abspeichern, aber Carrie kannte sich mit Computern recht gut aus. Möglicherweise war sie in der Lage, in das interne Firmennetzwerk einzudringen. Das wäre zwar alles andere als legal, doch in diesem Fall heiligte der Zweck für sie die Mittel.

Sie wollte gerade die Tür öffnen, als von außen angeklopft wurde.

„Signorina Malewski?“

Es war Matteo.

Carrie atmete tief durch. Sie ärgerte sich darüber, dass allein der Klang seiner Stimme ihr Herz schneller klopfen ließ. Sie wollte sich nicht zu ihm hingezogen fühlen. Er war ein mieser Schuft, der es billigend in Kauf nahm, dass andere Menschen für seine Verbrechen sühnten. Ahnte er überhaupt, was er Jake und seiner Familie mit seinem schäbigen Verhalten antat?

„Ja, bitte?“, rief sie.

„Ich störe nur ungern, aber wir haben noch eine dringende Angelegenheit miteinander zu besprechen.“

Carrie öffnete die Tür. „Kann es nicht auch bis morgen warten?“, fragte sie. „Ich bin wirklich erschöpft.“

Er schüttelte den Kopf. „Leider nein. Ich muss Sie nämlich bitten, Ihre Koffer zu packen.“

Entsetzt starrte sie ihn an. War das ein Rauswurf? Sie dachte an Jake, und Übelkeit stieg in ihr auf. „Aber Signore Falchetti, ich …“ Nervös fuhr sie sich durchs Haar. „Was werfen Sie mir denn vor? Gibt es denn wirklich keine Möglichkeit, die Sache anders zu regeln?“

Irritiert sah er sie an. „Cosa? Entschuldigen Sie bitte, aber ich verstehe nicht. Wovon sprechen Sie eigentlich? Es geht mir lediglich darum, dass wir morgen in aller Früh ohne große Verzögerungen aufbrechen können.“

„Aufbrechen? Aber wohin denn?“

„Nun, ich habe mir überlegt, dass Sie die einzelnen Sparten des Unternehmens kennenlernen sollten. Meiner Ansicht nach wäre dies für Sie mehr als vorteilhaft. Wir werden also gemeinsam eine etwa einwöchige Reise unternehmen, bei der ich Ihnen das sizilianische Kerngeschäft von Falchetti e Figlio vorstelle.“

„Was sagen Sie da?“ Carrie hatte das Gefühl, als hätte man ihr den Boden unter den Füßen weggezogen. „Wir verreisen? Eine Woche lang?“

Er nickte. „Wie ich schon sagte: Wir brechen gleich morgen Früh auf.“

„Unmöglich!“, erwiderte sie entsetzt. „Das geht nicht!“

 

 

 3. KAPITEL

 

Carries Gedanken rasten wild durcheinander. Was sollte sie jetzt bloß tun?

Ihr blieben nur noch etwas mehr als zwei Wochen, um Informationen zur Entlastung ihres Bruders zu beschaffen, ehe sein Prozess begann. Dass sie nun eine Woche davon mit Matteo quer durch Sizilien reisen sollte, ließ sich absolut nicht mit ihren Plänen vereinbaren.

Sie musste sich irgendetwas einfallen lassen, um das zu verhindern.

„Wie meinen Sie das, es geht nicht?“ Matteo musterte sie forschend. „Scusi. Sie müssen entschuldigen, ich bin nicht daran gewöhnt, dass man meine Anweisungen anzweifelt. Aber sicher haben Sie eine gute Erklärung für Ihr Verhalten.“

„Ich … Es ist nur, weil ich …“ Carrie stockte, denn sie wusste absolut nicht, was sie weiter sagen sollte. Sie brauchte einen stichhaltigen Grund, warum sie diese Reise nicht antreten konnte, doch in ihrem Kopf herrschte eine totale Leere. „Ich denke, es wäre besser, wenn ich hier bliebe“, fuhr sie schließlich unbeholfen fort. „Offen gestanden, die Ablage Ihres Schriftverkehrs ist nach wie vor ein heilloses Durcheinander. Da gibt es für mich noch einiges zu tun, außerdem …“

„Sie wollen also lieber Akten sortieren als Ihren Chef auf eine geschäftliche Reise zu begleiten?“ Er lachte leise. „Das ist mir auch noch nicht untergekommen. Sie sind wirklich eine außergewöhnliche Frau.“

Carrie war erleichtert, dass er die Angelegenheit mit Humor nahm. „Ich bleibe also hier?“, fragte sie. „Sie fahren allein?“

„Keineswegs.“ Matteo schüttelte den Kopf. „Die Ablage kann warten. Ich bestehe darauf, dass Sie mit mir kommen. Die Unternehmensstruktur von Falchetti e Figlio ist recht kompliziert. Als meine Assistentin müssen Sie die Zusammenhänge überblicken können. Davon abgesehen glaube ich, dass wir effektiver zusammenarbeiten werden, wenn wir einander ein wenig besser kennengelernt haben.“

Carrie fühlte sich innerlich wie betäubt, doch sie nickte. Was blieb ihr auch anderes übrig? Wenn sie sich weigerte, ihren Boss zu begleiten, würde sie mit größter Wahrscheinlichkeit ihren Job verlieren.

Und damit auch jede Möglichkeit, Jake zu helfen.

Ging sie aber mit Matteo, verlor sie eine wertvolle Woche im Kampf um die Freiheit ihres Bruders.

Es war zum Verzweifeln. Ganz gleich, welche Entscheidung sie traf – es konnte die Falsche sein. Um Beweise dafür zu finden, dass Matteo und seine Firma mit dem organisierten Verbrechen in Verbindung standen, musste sie auf Casa Fiori bleiben und … Sie stockte. Stimmte das denn wirklich? Stellte diese Reise nicht vielleicht auch eine Chance dar?

„Was wird während dieser Woche meine Aufgabe sein?“, fragte sie, mit einem Mal wie elektrisiert. „Ich nehme nicht an, dass Sie mich dafür bezahlen, ein paar Betriebe zu besichtigen, mir die Abläufe einzuprägen und den Rest des Tages damit zu verbringen, faul in der Sonne zu liegen.“

„Natürlich nicht! Ich beabsichtige, die Bücher der jeweiligen Zweigstellen zu überprüfen, und Sie sollen mich dabei unterstützten – im Rahmen Ihrer Möglichkeiten. Ich weiß ja, dass Sie keine ausgebildete Buchhalterin sind.“

„Gibt es denn Anlass für die Annahme, dass wir bei den Prüfungen auf irgendwelche Unregelmäßigkeiten stoßen werden?“

Matteo zögerte einen Moment, schüttelte dann aber den Kopf. „Nein, das nicht. Es handelt sich um eine reine Routineangelegenheit.“ Wieder schien er kurz überlegen zu müssen, ehe er weitersprach. „Noch etwas: Halten Sie Augen und Ohren für mich offen. Ich wünsche, dass Sie mich sofort informieren, sollte Ihnen etwas Ungewöhnliches auffallen.“

Carries Stimmung hob sich deutlich. Vielleicht war diese Reise doch gar nicht so schlecht für sie. Wenn sie direkten Zugriff auf die Bücher der einzelnen Unternehmen der Falchetti-Gruppe erhielt, konnte es gut möglich sein, dass sie auf etwas stieß, das sich in Bezug auf Jakes Verteidigung als nützlich erwies.

Die Gelder, die über Vins de Pays, so der Name der Firma, für die ihr Bruder gearbeitet hatte, gewaschen worden waren, stammten ersten Ermittlungen der Polizei zufolge aus Italien. Da Falchetti e Figlio Anteile an Vins de Pays besaß, lag die Vermutung nahe, dass eines der zahlreichen Unternehmen der Gruppe in die Angelegenheit verwickelt war. Und immerhin war Sizilien auch heute noch einer der größten Einflussbereiche der Mafia. Nicht auszuschließen also, dass auch ihr Boss persönlich Verbindungen in diese Kreise pflegte.

Außerdem glaubte sie nicht daran, dass es sich bei dieser Reise tatsächlich nur um eine reine Routineangelegenheit handelte. Dazu kam das alles viel zu plötzlich.

Aber was steckte dann dahinter?

Carrie seufzte. Sie wusste es nicht, aber sie würde es herausfinden. Und falls ihr die Reise doch nicht dabei helfen konnte, ihren Bruder freizubekommen, war es immer noch möglich, unter irgendeinem Vorwand vorzeitig nach Casa Fiori zurückkehren.

Und bis dahin würde sie – wie Matteo es von ihr erwartete – Augen und Ohren offen halten. Dass er selbst es war, für den sie sich am meisten interessierte, ahnte er dabei nicht. Von nun an besaß er einen zweiten Schatten, der ihn auf Schritt und Tritt verfolgte. Was immer er auch unternahm, mit wem auch immer er sich traf, Carrie würde es erfahren.

„Also gut“, sagte sie schließlich. „Dann fange ich am besten gleich an zu packen. Um wie viel Uhr brechen wir morgen Früh auf?“

 

 

Matteo hatte sich direkt nach seinem Gespräch mit Carrie in seine Räumlichkeiten zurückgezogen, mit dem Vorsatz, zeitig zu Bett zu gehen, um am nächsten Morgen frisch und ausgeruht die Fahrt nach Palermo antreten zu können. Doch an Schlaf war nicht zu denken gewesen. Um kurz nach Mitternacht hatte er den Versuch schließlich aufgegeben, sich angezogen und das Haus durch den Garten verlassen, um noch einen kleinen Spaziergang zu machen.

Nun stand er inmitten einer Zitronenplantage, die, wie das meiste Land in der direkten Umgebung, zum Anwesen seiner Familie gehörte. Der Wind raschelte in den Kronen der Bäume. Süßer Blütenduft erfüllte die Luft. Am nachtschwarzen Himmel glitzerten Tausende von Sternen, und der fast volle Mond tauchte die Landschaft in silbrigen Schein.

Doch alles, woran Matteo denken konnte, war Carrie.

Die Idee, sie mit auf seine Geschäftsreise zu nehmen, war ihm ganz spontan gekommen. Eigentlich hatte er sie nur darüber informieren wollen, dass sein Vetter Giuseppe für die Dauer seiner Abwesenheit die Leitung der Geschäfte übernehmen würde. Nur deshalb hatte er sie auf ihrem Zimmer aufgesucht. Doch als sie dann vor ihm stand, hatte er plötzlich den unwiderstehlichen Drang verspürt, sie in seiner Nähe zu behalten. Warum, konnte er sich selbst nicht recht erklären.

Dennoch – je länger er darüber nachdachte, desto weniger dumm erschien ihm sein spontaner Entschluss. Solange Carrie sich in seiner Nähe aufhielt, konnte er sie im Auge behalten. Und hatte er sich nicht genau das ohnehin vorgenommen?

Doch wenn er ehrlich zu sich selbst sein wollte, musste er zugeben, dass es eigentlich einen ganz anderen Grund für seinen Entschluss gab, sie mitzunehmen: In Wahrheit ging es ihm nämlich um sie selbst. Was er auch tat, er bekam sie einfach nicht mehr aus dem Kopf. Aber war das ein Wunder?

Bei dem Aussehen wohl kaum. Matteo kannte nicht wenige attraktive Frauen, doch keine von ihnen bestand den Vergleich mit Carries makelloser Schönheit. Sicher konnte sie sich vor Verehrern kaum retten.

Aber gerade er sollte für solche reinen Äußerlichkeiten nun wirklich nicht mehr empfänglich sein!

Seufzend schloss er für einen Moment die Augen. Nach der Sache mit Sofia hatte er eigentlich angenommen, immun gegen die Reize einer schönen Frau zu sein. Was immer da zwischen Carrie und ihm bestand, es konnte einfach zu nichts Gutem führen. Er zweifelte nicht daran, dass sich unter der schönen Fassade ein ebenso selbstverliebter und berechnender Charakter befand wie bei den meisten anderen weiblichen Wesen, die ihm in seinem Leben bisher begegnet waren.

Seiner Erfahrung nach interessierte sich das weibliche Geschlecht vorrangig für Ansehen, Macht und Geld. Carrie bildete in dieser Hinsicht ganz bestimmt keine Ausnahme.

Es war auch nicht ihr gutes Aussehen allein, das ihn so an ihr faszinierte. Er spürte einfach, dass sich hinter ihrer zurückhaltenden und unnahbaren Art ein Geheimnis verbarg.

Und er hatte noch nie einem interessanten Rätsel widerstehen können.

Nachdenklich fuhr er sich durchs Haar. Ihre Reaktion auf seine Reisepläne war, je länger er darüber nachdachte, mehr als merkwürdig gewesen. Zuerst hatte er überlegt, ob es vielleicht an ihm lag. Sie schien in seiner Nähe immer ungewöhnlich nervös und angespannt zu sein. Aber das war ganz sicher nicht der Grund dafür, dass sie lieber allein zurückgeblieben wäre, anstatt mit ihm auf Geschäftsreise zu gehen.

Er mochte sich irren, schließlich kannte er sie noch nicht lange genug, um sich ein Urteil bilden zu können, aber sie hatte regelrecht entsetzt gewirkt, als er darauf bestand, dass sie ihn begleitete. So verhielt sich doch keine professionelle Assistentin gegenüber ihrem Chef! Und dass es sich bei ihr um eine solche handelte, durfte er eigentlich erwarten. Immerhin war sie ihm von einer renommierten Agentur vermittelt worden.

Und dann ihr plötzlicher Sinneswandel. Auf einmal schien sie regelrecht begierig auf diese Reise zu sein. Da stimmte doch etwas nicht!

Matteo hatte keine Ahnung, warum sie sich so seltsam benahm, aber er war fest davon überzeugt, dass die kommende Woche ihm ausreichend Gelegenheit bieten würde, es herauszufinden. Und für den unwahrscheinlichen Fall, dass ihm dies nicht gelang, so würde sein Vetter spätestens dann einige Informationen über sie gesammelt haben.

Wie um sich selbst zu überzeugen, nickte Matteo. Und wenn er ihr Geheimnis erst einmal kannte, gelang es ihm vielleicht auch, sie aus seinen Gedanken zu verbannen und sich endlich wieder auf die wirklich wichtigen Dinge im Leben zu konzentrieren.

 

 

Eingebettet in die Ebene zwischen dem Monte Pellegrino im Norden und dem Monte Catalfano im Osten erstreckte sich Palermo, das politische und kulturelle Herz Siziliens.

Gegen sechs Uhr morgens waren Carrie und Matteo aufgebrochen, und nach knapp vier Stunden Fahrt erblickten sie nun endlich den Dom aus dem zwölften Jahrhundert, dessen nachträglich hinzugefügte Barockkuppel hoch in den makellos blauen Himmel ragte. Im Hintergrund glitzerte das Tyrrhenische Meer im Sonnenschein.

„Wunderbar!“, stieß Carrie zutiefst beeindruckt aus, als Matteo den Wagen entlang der von Palmen gesäumten Küstenstraße in Richtung Innenstadt lenkte. Sie passierten den Porticciolo – den Jachthafen mit seinen Seglern und Luxusbooten, deren weiße Rümpfe wie Perlen schimmerten –, und drangen schließlich tief in das verwirrende Labyrinth enger Straßen und Gassen ein, das die Altstadt Palermos kennzeichnete. „Es muss herrlich sein, hier zu leben.“

Matteo fuhr an den Straßenrand, um Platz für ein entgegenkommendes Fahrzeug zu machen. „Für Besucher und Touristen hat die Stadt tatsächlich eine Menge zu bieten“, erklärte er, „aber man sollte dabei nicht aus den Augen verlieren, dass Palermo von allen Provinzhauptstädten Italiens das niedrigste Pro-Kopf-Einkommen hat.“

Details

Seiten
ISBN (ePUB)
9783752135466
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2021 (Februar)
Schlagworte
romantisch Liebesroman Sizilien romantische Komödie Reiseroman Urlaubsroman humorvoll Sommerroman Frauenroman chick-lit Erzählungen Kurzgeschichten Erotik Humor

Autoren

  • Stefanie Müller (Autor:in)

  • Holly Stevens (Autor:in)

Stefanie Müller liebt es, Geschichten zu schreiben, die vor exotischen Kulissen spielen.
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Titel: Liebesträume unter Palmen