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Wie er ihren Ehegatten belog

von Bernard Shaw (Autor:in) Vitaly Baziyan (Übersetzung)
34 Seiten

Zusammenfassung

Oscar- und Literaturnobelpreisträger Bernard Shaw hat in dieser Komödie gezeigt, „was mit dem auch banalsten Bühnenrahmen getan werden kann, indem man ihn mit einem beobachteten Hauch echter Menschlichkeit anstelle von doktrinärer Romantik ausfüllt.“ Eine gewöhnliche, verhätschelte, mit Diamanten und schicken Klamotten ausgestattete 37-jährige Bürgerliche aus South Kensington hat ihren Spaß daran, dass prominente Männer sich in sie verlieben. Ihr stiernackiger, von seiner geschäftlichen Umgebung eingebildeter Ehegatte fördert sie dabei und ist auf ihren Siegeszug durch die Londoner Vorstädte sehr stolz. Auch ein wunderschöner 18-jähriger Träumer, Dichter und Amateurboxer verirrt sich an ihr und fällt ihr zum Opfer, obwohl er aus der Bibel zitiert und der Frau physisch und spirituell überlegen ist. Der Verlust seiner Gedichte an die Geliebte führt zu einer Zuspitzung des alltäglichen Ablaufs. Der Jüngling ist vom Teufel geritten und ist bereit, sein Glück durchzuboxen, falls der Ehegatte im Wege steht. Aber die Ehefrau will sich nicht wegen einer vorgetäuschten Liebe von ihrem Ehegatten trennen und zwingt den Dichter dazu, seine Autorschaft dem Ehegatten gegenüber zu bestreiten. Darüber ist der Ehegatte erbost, denn der Dichter muss sich – wie die anderen aus bester Gesellschaft – geschlagen geben und unbedingt gestehen, dass er sich bis über beide Ohren in seine Ehefrau verliebt ist. Da der Jüngling der Geliebten versprochen hat, sich artig zu benehmen und einen Ehrenmann zu spielen, weigert er sich, das Geständnis abzulegen. Es kommt zu einem Kampf. Die Nerven liegen blank. Obwohl es ihm schwerfällt, den Verlust seines idealisierten Liebessubjektes zu verkraften, machen eine Beule am Kopf und enttäuschte Liebe den Dichter sehend: Er vollzieht den Übergang von der romantischen Jugend zur zynischen Reife und wird vom Jungen zum Mann. Er gesteht dem Ehegatten sowohl die Autorschaft als auch die früheren Gefühle und Absichten hinsichtlich seiner Ehefrau. Darüber freut sich der Ehegatte wie ein Kind, weil noch ein Sieg auf das Konto seiner Ehefrau geht. Er schlägt vor, die Gedichte drucken zu lassen, um sie herumzuzeigen. Kein Ehegattensplitting kam zustande.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Wie er ihren Ehegatten belog

Es ist acht Uhr abends. Alle Vorhänge sind gezogen. Lampen leuchten im Salon IHRER Wohnung in der Cromwell Road. Ihr Geliebter kommt durch eine Tür, die in der Nähe der Ecke ist, hinein. Er ist ein wunderschöner achtzehnjähriger Jüngling. Er trägt einen Herrenrock und dazu einen Umhang, hält einen Blumenstrauß in einer Hand, einen Klappzylinder in der anderen Hand. Wenn er in der Tür auftaucht, hat er einen Kamin an der nächsten Wand zu seiner Rechten. Ein großer Flügel ist an der gegenüberliegenden Wand, zu seiner Linken. Auf einem kleinen Ziertisch, in der Nähe des Kamins, liegen ein Handspiegel, ein Fächer, ein Paar lange weiße Handschuhe ebenso wie ein kleines, flauschiges weißes Tuch, mit dem Frauen ihre Köpfe bedecken. Auf der anderen Seite des Raumes in der Nähe des Flügels steht ein breiter, quadratischer, weich gepolsterter Hocker. Der Raum ist nach der angesagten South Kensington Mode eingerichtet: Das heißt, er ähnelt einem Schaufenster und soll die gesellschaftliche Position wie auch die Kaufkraft seiner Besitzer demonstrieren und nicht im Geringsten bequem für sie sein.

Wie schon erwähnt, ist er ein sehr schöner Jüngling, der sich wie im Traum schwebend in der Luft bewegt. Er legt seine Blumen vorsichtig auf den Tisch neben dem Fächer, zieht seinen Umhang aus, bringt ihn zum Flügel, weil es auf dem Tisch keinen Platz mehr gibt, legt seinen Klappzylinder obendrauf. Dann geht er zum Kamin hinüber, schaut auf die Uhr, tut sie wieder weg. Er bemerkt die Dinge auf dem Tisch, seine Augen leuchten auf, als ob er vor sich den Himmel offen sieht. Er geht zum Tisch, nimmt das Kopftuch in die beiden Hände, schmiegt seine Nase daran und küsst es. Er küsst die Handschuhe nacheinander, küsst den Fächer, stößt einen langen, schaudernden Seufzer der Ekstase aus. Dann setzt er sich auf den Hocker, bedeckt die Augen mit den Händen, um die Realität auszublenden und noch ein wenig zu träumen. Er nimmt seine Hände herunter, mit einem kleinen tadelnden Lächeln für seine Torheit schüttelt er seinen Kopf. Er bemerkt etwas Staub auf seinen Schuhen und wischt sie hastig mit seinem Taschentuch ab. Er erhebt sich, nimmt den Handspiegel vom Tisch, um sich mit einer ernsthaften Sorge zu vergewissern, dass die Krawatte richtig sitzt. Er schaut wieder auf seine Uhr. In diesem Moment kommt SIE, auch in der Abendgarderobe, sehr nervös hinein. Sie ist sowohl verwöhnt als auch verhätschelt, trägt viele Diamanten und hat den Anschein, eine junge, schöne Frau zu sein. Aber nüchtern betrachtet, abgesehen von der Kleidung und Anmaßung, ist sie eine ganz gewöhnliche Frau aus South Kensington von etwa 37 Jahren, die sowohl physisch als auch spirituell dem schönen Jüngling hoffnungslos unterlegen ist, der den Spiegel eilig niederlegt, während sie hereintritt.

ER (küsst ihre Hand): Endlich!

SIE: Henry, mir ist etwas wirklich Schreckliches passiert.

ER: Was denn?

SIE: Ich habe deine Gedichte verloren.

ER: Sie waren dir unwürdig. Ich werde dir noch mehr schreiben.

SIE: Nein danke. Nie wieder: keine Gedichte mehr für mich. Oh, wie konnte ich nur so verrückt sein! So unbesonnen! So unvorsichtig!

ER: Ich danke dem Himmel für deine Verrücktheit, für deine Unbesonnenheit, für deine Unvorsichtigkeit!

SIE (ungeduldig): Ach, sei vernünftig, Henry. Verstehst du nicht, wie schrecklich es für mich ist? Angenommen, dass jemand diese Gedichte findet! Was werden nur die Leute denken?

ER: Die Leute werden denken: Es war einmal ein Mann, der eine Frau hingebungsvoller liebte, als ein Mann eine Frau niemals zuvor geliebt hat. Aber sie würden nie erfahren, welcher Mann es war.

SIE: Was nützt es mir, wenn jeder erfährt, welche Frau es war?

ER: Aber wie werden sie es erfahren?

SIE: Wie werden sie es erfahren? Mein Name steht an jeder Stelle: mein dummer, unglücklicher Name. Oh, wenn ich nur Mary Jane getauft worden wäre! Oder Gladys Muriel oder Beatrice oder Francesca oder Guinevere oder etwas ganz Gewöhnliches! Aber Aurora! Aurora! Ich bin die einzige Aurora in London und jeder weiß es. Ich glaube, ich bin die einzige Aurora auf der ganzen Welt. Und es ist so schrecklich leicht, damit einen Reim zu bilden! Oh Henry, warum hast du nicht versucht, deine Gefühle mit Rücksicht auf mich ein wenig zurückzuhalten? Warum hast du nicht mit etwas Zurückhaltung geschrieben?

ER: Gedichte für dich, mit etwas Zurückhaltung zu schreiben! Das fragst du mich?!

SIE (mit gewohnter Zärtlichkeit): Ja, Liebling, natürlich war es sehr nett von dir, und ich weiß, dass es auch gleichermaßen sowohl deine als auch meine eigene Schuld war. Ich hätte darauf achten müssen, dass deine Verse niemals an eine verheiratete Frau gerichtet sein sollten.

ER: Ach, wie ich mir sehnlich wünsche, dass sie an eine unverheiratete Frau gerichtet wären! Wie ich mir wünsche, sie wären an eine Unverheiratete gerichtet!

SIE: Dazu hast du kein Recht, so etwas in der Art zu wünschen. Denn sie sind außer einer verheirateten Frau für keine andere geeignet. Das ist eben die Schwierigkeit. Was werden meine Schwägerinnen denken?

ER (sichtlich erschüttert): Hast du Schwägerinnen?

SIE: Ja, natürlich. Hast du geglaubt, dass ich ein Engel bin?

ER (beißt die Lippen): Ja, habe ich. Der Himmel helfe mir, ich habe – oder ich hatte – oder (Er erstickt ein Schluchzen)

SIE (erweicht sich, legt ihre Hand streichelnd auf seine Schulter): Hör mir zu, mein Liebling. Es ist sehr nett von dir, mit mir in einem Traum zu leben und mich zu lieben und so weiter und so fort, aber ich kann nichts dafür, dass mein Ehegatte unangenehme Verwandte hat, kann ich?

ER (hellt sich auf): Ja, natürlich, sie sind die Verwandten deines Ehegatten: Das habe ich vergessen. Vergib mir, Aurora. (Er nimmt ihre Hand von seiner Schulter und küsst sie. Sie setzt sich auf den Hocker. Er bleibt in der Nähe mit dem Rücken zum Tisch und lächelt albern hinunter zu ihr)

SIE: Teddy hat allerdings niemanden außer seinen Verwandten. Er hat acht Schwestern und sechs Halbschwestern und so viele Brüder – aber ich habe nichts gegen seine Brüder. Wenn du nur mindestens von den einfachsten alltäglichen Dingen gewusst hättest, Henry, hättest du gewusst, wie es in einer großen Familie vorgeht: Obwohl die Schwestern wie verrückt miteinander streiten, aber wenn einer der Brüder heiratet, wenden sich alle auf ihre unglückliche Schwägerin und widmen mit vollkommener Einstimmigkeit den Rest ihres Lebens, ihn davon zu überzeugen, dass seine Frau ihm nicht würdig ist. Sie könnten es von ihrer Nase tun, ohne dass sie es weiß, denn es gibt immer viele dumme Familienwitze, die niemand außer Familienangehörigen versteht. Du kannst die Hälfte der Zeit nicht mitbekommen, worüber sie reden: Das macht mich einfach verrückt. Es sollte ein Gesetz gegen die Schwestern des Ehegatten geben, das ihnen verbietet, sein Haus nach der Hochzeit zu besuchen. Ich bin mir so sicher, wie ich nun hier sitze, dass Georgina diese Gedichte aus meiner Schmuckschatulle gestohlen hat.

ER: Ich denke, sie wird die Gedichte nicht verstehen.

SIE: Oh doch! Sie wird sie sehr gut verstehen. Sie wird da mehr sehen, als es je in ihnen gab: diese böse, vulgäre, blöde Kuh!

ER (zu ihr gehend): Oh nein, denke nicht so über die Menschen. Denke überhaupt nicht an sie. (Er nimmt ihre Hand und setzt sich zu ihren Füßen auf den Teppich) Aurora, erinnerst du dich an den Abend, als ich hier zu deinen Füßen gesessen habe und dir diese Gedichte zum ersten Mal vorgelesen habe?

SIE: Ich sollte dir das verbieten: Das sehe ich jetzt ein. Wenn ich daran denke, dass Georgina zu Teddys Füßen sitzt und sie ihm zum ersten Mal vorliest, fühle ich, dass ich gleich wahnsinnig werde.

ER: Ja, du hast recht. Es wird eine Entweihung sein.

SIE: Oh, ich kümmere mich nicht um die Entweihung, aber was wird Teddy denken? Was wird er tun? (Sie wirft plötzlich seinen Kopf von ihren Knien) Du denkst anscheinend überhaupt nicht an Teddy. (Sie springt auf und wird immer aufgeregter)

ER (auf dem Boden liegend, denn sie hat ihn aus dem Gleichgewicht gebracht): Für mich ist Teddy nichts und Georgina ist weniger als nichts.

SIE: Du wirst es bald herausfinden, dass sie viel weniger als nichts ist. Wenn du denkst, dass eine Frau keinen Schaden anrichten kann, weil sie nur ein skandalsüchtiges und altbacken gekleidetes Sammelsurium ist, dann täuschst du dich gewaltig. (Sie schwirrt im Raum herum. Er steht langsam auf und staubt seine Hände ab. Plötzlich rennt sie zu ihm und wirft sich in seine Arme) Henry, hilf mir. Finde einen Ausweg für mich, und ich werde dich segnen, solange du lebst. Oh, wie unglücklich ich bin! (Sie schluchzt an seiner Brust)

ER: Oh! Wie glücklich ich bin!

SIE (abrupt von ihm weggehend): Sei nicht so egoistisch.

ER (demütig): Ja, ich habe es verdient. Ich denke, wenn ich mit dir an den Pranger gestellt werden sollte, wäre ich trotzdem so glücklich mit dir, dass ich deine Gefahr kaum mehr als meine eigene spüren könnte.

SIE (neigt sich, liebevoll auf seine Hand klopfend): Oh, du bist ein lieber Junge, Henry, aber nicht von dieser Welt. (Sie wirft seine Hand verärgert weg) Ich brauche Hilfe, ich möchte, dass mir jemand sagt, was ich tun sollte.

ER (in fester Überzeugung): Dein Herz wird es dir zur richtigen Zeit sagen. Ich habe darüber gründlich nachgedacht, und ich weiß, was wir beide früher oder später tun müssen.

SIE: Nein, Henry. Ich werde nichts Unsittliches, nichts Unehrenhaftes tun. (Sie setzt sich plump auf den Hocker und sieht unbeugsam aus)

ER: Wenn du es tust, wärest du nicht mehr meine Aurora. Unser Weg ist absolut einfach, absolut unkompliziert, vollkommen makellos und aufrichtig. Wir lieben einander. Ich schäme mich nicht dafür: Ich bin bereit, hinauszugehen und es so einfach in die ganze Stadt London hinauszuposaunen, wie ich deinem Ehegatten es sagen werde. Du wirst es sehen – du wirst es sehr bald sehen. Das ist der einzige ehrenhafte Weg für dich, der einzuschlagen ist. Lass uns heute Abend ohne Verheimlichung und ohne Scham zu unserem eigenen Haus zusammen gehen. Denke daran! Wir schulden deinem Ehegatten etwas. Wir sind hier seine Gäste: Er ist ein ehrenhafter Mann. Er war nett zu uns. Er hat dich vielleicht derart geliebt, wie seine prosaische Natur und seine schmutzige geschäftliche Umgebung ihm zugelassen haben. Aber wir schulden ihm in aller Ehre, es nicht zuzulassen, dass er die Wahrheit von einem Klatschmaul erfährt. Lass uns jetzt Hand in Hand friedlich zu ihm gehen, ihm Lebewohl sagen und aus dem Haus hinausgehen, ohne Verheimlichung und Täuschung, frei und aufrichtig, in voller Ehre und Selbstachtung.

SIE (ihn anstarrend): Und wo werden wir hingehen?

ER: Wir werden nicht um eine Haaresbreite von dem gewöhnlichen, natürlichen Ablauf unseres Lebens abweichen. Wir hatten vor, ins Theater zu gehen, als der Verlust der Gedichte uns dazu zwang, etwas sofort zu unternehmen. Wir werden trotzdem ins Theater gehen, aber wir werden deine Diamanten hier lassen, denn wir können uns keine Diamanten leisten und wir brauchen sie auch nicht.

SIE (verärgert): Ich habe dir schon gesagt, dass ich Diamanten hasse. Nur Teddy besteht darauf, dass ich sie überall am Körper trage. Du sollst mir nicht die Bescheidenheit predigen.

ER: Ich habe nie daran gedacht, es zu tun, meine Liebste: Ich weiß, dass dieser Kleinkram dir nichts bedeutet. Was ich sagen wollte – oh ja. Statt nach dem Theater hierher zurückzukommen, werden wir zu meinem Haus gehen – das von nun an unser Zuhause wird – und zu gegebener Zeit, wenn du geschieden bist, erledigen wir alle müßigen legalen Formalitäten, die du dir nur wünschst. Ich lege keinen Wert auf das Gesetz: Meine Liebe wurde weder durch das Gesetz in mir erschaffen, noch kann sie durch das Gesetz gebunden oder gelöst werden. Das ist einfach genug und süß genug, nicht wahr? (Er nimmt die Blume vom Tisch) Hier sind die Blumen für dich. Ich habe die Karten. Wir werden deinen Ehegatten bitten, uns die Kutsche zu leihen, um zu zeigen, dass es keine Bosheit und keinen Groll zwischen uns gibt. Komm!

SIE (nimmt mutlos die Blumen, ohne sie anzusehen, und zögert): Teddy ist noch nicht da.

Details

Seiten
ISBN (ePUB)
9783752129236
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2021 (Januar)
Schlagworte
Literaturkritik Klassiker Dramatik Englische Literatur Humor

Autoren

  • Bernard Shaw (Autor:in)

  • Vitaly Baziyan (Übersetzung)

Der ehemalige Hochschuldozent Vitaly Baziyan ist ein führender zeitgenössischer Shavian, Linguist und Anglist. Insgesamt hat er sechs Theaterstücke von Bernard Shaw aus dem Englischen ins Deutsche neuübersetzt: Candida, Majorin Barbara, Die Millionärin, Weh euch, ihr bunten Heuchler, die ihr der Witwen Häuser fresset, Wie er ihren Ehegatten belog und Pygmalion. Alle diese Übersetzungen gehören zur Bücherreihe Die vielleicht besten deutschen Übersetzungen.
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Titel: Wie er ihren Ehegatten belog