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Geschichten, die Kinder entspannen lassen

Spielerisch Ausgeglichenheit und Konzentration fördern

von Volker Friebel (Autor:in)
100 Seiten

Zusammenfassung

Entspannung zu Hause zu lernen, darum geht es in diesem Buch. In den vielen Geschichten wird dem Kind vermittelt, was Entspannung ist, und ihm wird gezeigt, wie es Entspannung selbst anwenden kann. Gemeinsam mit dem Drachen Grünenstein und seinen Freunden fällt das leicht und macht Spaß. Die erste und die letzte Geschichtenserie (Entspannung in der Drachenwelt und Entspannung im Zauberwald) dienen vor allem der Vermittlung dessen, was Entspannung eigentlich ist und wie sie konkret eingesetzt werden kann. Die Geschichten dieser Kapitel sind besonders für ältere oder für bereits entspannungserfahrene jüngere Kinder gedacht. Die Kapitel Entspannung im Elfenreich und Geschichten vom Kätzchen und dem kleinen Bären sind besonders für das Kindergartenalter geeignet. Denn dort wird Entspannung durch die Geschichten selbst hervorgerufen. In diese sind nämlich Entspannungsformeln eingestreut (vegetative Entspannung und Achten auf den Atem), über die das Kind Entspannung erfährt. Besonderer Wert wird in einigen dieser Geschichten auf das Lernen des Unterschieds zwischen Spannung und Entspannung gelegt. So soll es dem Kind erleichtert werden, zu erkennen, wann es angespannt ist, und sich Entspannung als eigenes, immer verfügbares Mittel der Beruhigung (und Konzentration) anzueignen. Die Geschichten können vorgelesen oder vom Kind selbst gelesen werden. Damit sich das Kind gut entspannen kann, ist das Vorlesen vorzuziehen. Anschließend sollte noch ein wenig über den Inhalt der Geschichten gesprochen werden, vor allem über Erlebnisse des Kindes mit der Entspannung.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Vorwort

 

Entspannung zu Hause zu lernen, darum geht es in diesem Buch. In den vielen Geschichten wird dem Kind vermittelt, was Entspannung ist, und ihm wird gezeigt, wie es Entspannung selbst anwenden kann. Gemeinsam mit dem Drachen Grünenstein und seinen Freunden fällt das leicht und macht Spaß. 

Die erste und die letzte Geschichtenserie (Entspannung in der Drachenwelt und Entspannung im Zauberwald) dienen vor allem der Vermittlung dessen, was Entspannung eigentlich ist und wie sie konkret eingesetzt werden kann. Die Geschichten dieser Kapitel sind besonders für ältere oder für bereits entspannungserfahrene jüngere Kinder gedacht.

Die Kapitel Entspannung im Elfenreich und Geschichten vom Kätzchen und dem kleinen Bären sind besonders für das Kindergartenalter geeignet. Denn dort wird Entspannung durch die Geschichten selbst hervorgerufen. In diese sind nämlich Entspannungsformeln eingestreut (vegetative Entspannung und Achten auf den Atem), über die das Kind Entspannung erfährt. Besonderer Wert wird in einigen dieser Geschichten auf das Lernen des Unterschieds zwischen Spannung und Entspannung gelegt. So soll es dem Kind erleichtert werden, zu erkennen, wann es angespannt ist, und sich Entspannung als eigenes, immer verfügbares Mittel der Beruhigung (und Konzentration) anzueignen.

Die Geschichten können vorgelesen oder vom Kind selbst gelesen werden. Damit sich das Kind gut entspannen kann, ist das Vorlesen vorzuziehen. Anschließend sollte noch ein wenig über den Inhalt der Geschichten gesprochen werden, vor allem über Erlebnisse des Kindes mit der Entspannung.

Das Kind kann dabei ermutigt werden, Entspannung selbst einmal in konkreten Situationen auszuprobieren. Noch nicht nach der ersten Geschichte, aber durchaus schon bald. Druck sollten die Eltern aber nicht machen, das verleidet dem Kind die Entspannung nur.

Wenn mit dem Kind Alltagssituationen besprochen werden, in denen die Entspannung hilfreich sein könnte, dann sollte auch überlegt werden, in welcher Form sich die Entspannung in der jeweiligen Situation am besten einsetzen lässt. Klassenarbeiten beispielsweise sind für die meisten Schulkinder eine große Belastung. Sie werden meist unter Zeitdruck geschrieben, Raum für Entspannung scheint es hier nicht zu geben. Es hat sich aber beispielsweise gezeigt, dass es eine deutliche Verbesserung der Ergebnisse gibt, wenn vor der Selbstkorrektur eines Diktats eine kurze Entspannungsübung gemacht wird. Zwar steht dann weniger Zeit für das Durchschauen des Geschriebenen zur Verfügung. Statt aber im Stress der Korrektur genauso viele neue Fehler hineinzuverbessern wie gemachte zu beseitigen (das ist häufig), werden dann deutlich mehr Fehler beseitigt als neu gemacht.

Soviel zur Entspannung im Allgemeinen. Genauere Hinweise – so geschrieben, dass ältere Kinder sie selbst lesen können – finden sich vor den einzelnen Kapiteln.

Und nun wünsche ich Kindern und Eltern viel Spaß!

 

Volker Friebel

 

Entspannung für Kinder

 

Das Leben in vergangenen Jahrhunderten war in vielerlei Hinsicht viel schwerer als heute. Aber was erlebt wurde, war nah, war ganz. Sehen, Hören, Riechen, Schmecken, Spüren waren noch nicht wie vor dem Fernseher entkoppelt. Szenen folgten in einer natürlichen Reihe aufeinander, nicht zusammengeschnitten wie im Film. Lernen hatte mit den selbstverständlichen Lebensbedingungen des Kindes zu tun, war nicht derart von ihnen losgelöst, wie das in der Schule heute der Fall sein muss.

Die Massenmedien, für Kinder vor allem das Fernsehen, tragen eine Vielzahl von Eindrücken aus allen Regionen der Welt, aus vergangenen Stilepochen, aus Spezialisierungen, Berufszweigen und Lebensweisen an die Menschen heran. Eigentlich sind alle dieser Erlebnisse, Informationen und Bilder interessant, gelegentlich auch faszinierend, in irgendeinem Punkte immer lehrreich. Der Mensch lebt mit, im brasilianischen Urwald, auf Polizeistreife in nordamerikanischen Luxus- oder Elendsvierteln, auf den Spuren alter Handelsstraßen in China und an der afrikanischen Küste entlang ... Das alles kommt dem biologisch wichtigen Bedürfnis nach Neuem entgegen – aber in unguter Weise, denn es hat mit dem eigenen Leben des Zuschauers zu Hause kaum zu tun.

Sein Adrenalinspiegel allerdings weiß davon nichts. Er reagiert auf Spannung im Fernsehen oder Anforderungen in der Schule wie zu Urzeiten mit einer Alarmreaktion. Die Muskelspannung nimmt zu, Atmung und Herzschlag beschleunigen sich, der Blutzuckerspiegel steigt, das Immunsystem dagegen wird etwas gedämpft. Der Organismus bereitet sich unter Stress auf Kampf oder Flucht vor. Über Jahrmillionen menschlicher Geschichte war dies auch vollkommen richtig. Stress bezog sich früher fast immer auf eine unmittelbare und direkte Gefahr oder Herausforderung. In der modernen Welt aber hat diese Reaktion ihre Berechtigung verloren. Fast alles, was heute die Stressbelastung der Menschen bestimmt, sei es nun der Verkehr, die Arbeit (bei Kindern der Kindergarten oder die Schule) oder Fernsehfilme, lässt sich nicht bekämpfen, und Flucht hat selten einen Sinn. Während früher diese Reaktion auch eine zeitlich eng begrenzte Ausnahme war, führt die Vielzahl von ununterbrochenen Stressreizen heute zu einer Dauerreizung. Manche Menschen kommen damit gut, andere weniger gut zurecht.

Natürlich setzt eine Gewöhnung ein. Mit der Zeit berühren selbst die vielen schlimmen Dinge um Kriege und Not in der Welt immer weniger. Ob das nun gut ist oder auch etwas zur offenbar zunehmenden Verrohung unserer Welt beiträgt – für sich genommen ist es einfach notwendig. Denn Menschen müssen Unglück und schreckliche Erlebnisse auch ausblenden können.

Kinder stehen erst am Anfang dieses Gewöhnungsprozesses. Viele der Stressreize kommen den natürlichen Bedürfnissen des Kindes, das auf Erkunden und Lernen ausgerichtet ist, sogar sehr entgegen. Aber eine Überflutung mit Informationen und Reizen hat auch negative Auswirkungen. Eine zunehmende Anzahl von Kindern leiden unter psychischen Problemen wie Angst, Unkonzentriertheit, Depressivität oder unter körperlichen Beschwerden wie Kopfschmerzen, Bauchschmerzen und allergischen Erkrankungen.

Entspannung ist das Gegenteil von Stress. Entspannungsübungen sind deshalb eine einfache Möglichkeit, solchen alltäglichen Belastungen selbst etwas entgegenzusetzen.

 

Zugangswege zur Entspannung

 

Im Wesentlichen gibt es drei Zugangswege zur gelenkten Entspannung.

 

1. Muskelentspannung

An der Entspannung der Muskulatur, und das heißt am willkürlich beeinflussbaren Nervensystem, setzt die Muskelentspannung (Progressive Muskelrelaxation) an. Hier werden bestimmte Muskelgruppen erst angespannt, dann wird die Spannung wieder losgelassen. Der Übende achtet auf Spannung und Entspannung, lernt den Unterschied bewusst wahrnehmen und bekommt ihn so immer besser unter Kontrolle. So wird, mit den Händen beginnend, eine Muskelgruppe nach der anderen durchgegangen. Die Entspannung soll sich dabei auf den ganzen Körper und auf die Psyche ausweiten. 

 

2. Vegetative Entspannung (Autogenes Training) 

Diese Entspannungsmethode versucht, über eine physiologische Umschaltung das vegetative Nervensystem von der mehr leistungsbezogenen Aktivität auf Ruhe- und Aufbauaktivität umzustellen. Dies geschieht über Entspannungsformeln, die sich etwa auf Körperschwere und Körperwärme beziehen. Denn wenn der Mensch entspannt ist, dann werden seine Gliedmaßen auch besser durchblutet, sie fühlen sich warm und schwer an. Wärme und Schwere sind mit der Entspannung gekoppelt. Zumindest ein wenig lassen sich solche physiologischen Vorgänge, obwohl sie durch das unwillkürliche, das vegetative Nervensystem gesteuert werden, auch selbst beeinflussen, und so wird versucht, über bewusstes Herstellen von Schwere und Wärme Entspannung hervorzurufen.

 

3. Atemübungen

Atemübungen nehmen eine Zwischenstellung ein. Der Atem geht unwillkürlich, gesteuert durch das vegetative Nervensystem, er ist aber willkürlich ohne weiteres beeinflussbar. Jeder kennt die Beziehung zwischen Atem und Aufregung beziehungsweise Ruhe. Der Atem bietet sich deshalb als Ansatzpunkt zur Einflussnahme auf den körperlichen Aktivitätszustand geradezu an. Eine ganze Anzahl verschiedener Entspannungstechniken (auch das Autogene Training) bezieht den Atem deshalb als wichtigen Faktor mit ein. 

 

Diese drei Formen unterscheiden sich nur in der Art und Weise, wie Entspannung eingeleitet wird. Ihr Ziel ist dasselbe. In den Entspannungsgeschichten dieses Buchs wird es um alle drei Formen der Entspannung gehen. Nicht etwa, dass das Kind unbedingt alle drei anwenden soll. Eine davon genügt. Ene Auswahl ist aber von Vorteil, um sich nach den Vorlieben des Kindes richten zu können.

Außerdem lassen sich je nach Situation nicht alle drei Methoden gleich gut anwenden. Die Muskelentspannung ist eine schnell und leicht erlernbare Methode. Sie hat den Vorteil, dass sie ihr Augenmerk ausdrücklich auf das Erlernen des Unterschiedes zwischen Spannung und Entspannung legt. Sie ist so auch eine Art Achtsamkeitstraining und kann es dem Kind erleichtern festzustellen, wann es eigentlich angespannt ist und wann nicht. Aber es wird für die Umgebung einigermaßen merkwürdig wirken, wenn das Kind sie in einer Stress- oder Angstsituation in Schule oder Kindergarten anwendet. Und in manchen sozialen Stress-Situationen wird das dazugehörende Fäusteballen nicht gerade zur Entspannung beitragen. 

Die vegetative Entspannung gilt für Erwachsene als schwerer erlernbar. (Bei Kindern allerdings sind die Unterschiede, wenn überhaupt vorhanden, gering.) Sie kann aber fast unsichtbar durchgeführt werden, hat im Alltag gegenüber der Muskelentspannung also einen gewaltigen Vorteil. Das gilt auch für die Atementspannung, die sich besonders als Kurzentspannung in Alltagssituationen eignet.

Grundsätzlich sollte aber auch bedacht werden: Je umfassender und vielseitiger sich das Kind in der geschützten Situation zu Hause oder in einem Entspannungskurs zu entspannen lernt, umso leichter wird ihm Entspannung dann auch im rauen Kinderalltag fallen. Deshalb wird in den Geschichten von allen drei Zugangswegen zur Entspannung die Rede sein, mit Schwerpunkt allerdings auf der Vegetativen Entspannung und der Beobachtung des Atems. Denn angestrebt wird, dass die Entspannung vom Kind selbst angewendet und in seinem alltäglichen Leben eingesetzt werden kann.

Auch wenn das Augenmerk dieses Buches und seiner Geschichten auf der Entspannung liegt, sollte eines nicht vergessen werden: Das Gegenteil ist genauso wichtig. Kinder tollen gerne herum, sie haben eine unglaubliche Energie, die ausgelebt werden möchte. Blindes Ausleben allerdings kann auch schaden. Deshalb ist es wichtig, dass das Kind Kontrolle über Anspannung und Entspannung gewinnt. Bei den meisten Kindern scheint die natürliche Entspannungsfähigkeit weniger beeinträchtigt als bei Erwachsenen. Kinder benötigen allerdings stärker als Erwachsene Unterstützung dabei, in welchen Situationen Entspannung helfen kann und wie sie ihre natürliche Entspannungsfähigkeit am besten wecken. Konzentration auf den Atem, Entspannungsformeln oder muskuläre Spannungs- und Entspannungsübungen geben eine solche Hilfe.

 

Einsatzmöglichkeiten

 

In den letzten Jahrzehnten wurde nachgewiesen, dass sich Entspannung für Kinder bei Angststörungen, Konzentrationsproblemen, Hyperaktivität, aggressivem Verhalten, Schulproblemen, Asthma, Schmerzen (auch Kopfschmerzen), Schlafstörungen und vielem mehr mit guten Erfolgsaussichten eingesetzt lässt. Entspannung hilft dabei alleine oder als Teil eines umfangreicheren Programms. Wenn Entspannung therapeutisch eingesetzt wird, sollte dies durch einen entsprechend ausgebildeten Therapeuten geschehen.

Noch wichtiger als der therapeutische Bereich ist Entspannung als allgemeine Lebenshilfe, zur Gesundheitsvorsorge und zur Förderung von Grundkompetenzen. Und zwar für alle Kinder, nicht nur für Kinder mit aktuellen Problemen. Stress ist etwas, das alle Menschen gleichermaßen betrifft, mehr oder weniger stark. Das gilt schon für Kinder, und die Stressbelastung nimmt im Laufe der Jahre eher zu als ab. Früh lernt sich Entspannung am leichtesten. Schon im Alltag wird sie nutzen. Und wenn später einmal größere Probleme Bereich auftreten, ist dem Kind bereits eine Möglichkeit bekannt, die helfen kann. 

Entspannung ist kein Wundermittel, sie soll Kinder bei der Bewältigung ihres Alltags und bei besonderen Probleme unterstützen, sie ist ein Mittel zur Selbsthilfe. Sie kann beispielsweise die Konzentration des Kindes wesentlich fördern und so auch etwas zur Verbesserung von Schulleistungen beitragen. Aber lernen müssen die Kinder deshalb immer noch. Entspannung kann in diesem Bereich nur helfen, das bereits Vorhandene optimal einzusetzen. Auch daran sollte ab und zu erinnert werden.

 

Merksprüche

 

In die Geschichten sind hin und wieder verschiedene Merksprüche eingestreut, zum Beispiel „Mit Mut geht's gut“ oder „Konzentriert geht's wie geschmiert“. Es ist uns selten bewusst, aber wir befinden uns fast ununterbrochen in einem inneren Monolog, Kinder wie auch Erwachsene. Wir setzen uns dabei mit uns selbst, den Dingen um uns sowie unserem Verhältnis zu den Dingen und Ereignissen auseinander. Wir bewerten, wir machen uns Mut – oder wir entmutigen uns auch manchmal, schränken durch ungünstige innere Betrachtungen uns selbst und unsere Möglichkeiten ein.

Es kann hilfreich sein, diesen inneren Monolog bewusst zu machen und gegebenenfalls zu verändern. Das ist eine weitgesteckte Aufgabe, die Kinder kaum leisten können. Aber ein wenig kann dennoch getan werden. Hierzu werden in kritischen oder fordernden Situationen zielgerichtete und positiv gehaltende Merksprüche eingesetzt, die diesen inneren Monolog langsam, aber sicher in eine günstige Richtung lenken. Die Verbindung mit Entspannung ist besonders empfehlenswert. Im Autogenen Training wird etwas Ähnliches mit der sogenannten Vorsatzbildung geleistet.

Das Kind kann über die Entspannungsgeschichten verschiedene Merksprüche lernen. Diese lassen sich dann in kritischen Situationen nach einer kurzen Atementspannung anwenden: Nach der Entspannung wird dazu der Merkspruch tief in sich hineingesprochen. Sehr hilfreich kann es sein, auch ohne einen direkten Anlass passende Merksprüche nach einer Entspannung zu verinnerlichen, hilfreich beispielsweise für Kinder mit Ängsten oder sonstigen überdauernden Problemen.

Die folgende Liste nennt einige bei der Entspannung für Kinder verbreitete Merksprüche.

 

* Mit Mut geht's gut.

* Nur ruhig Blut, dann geht's gut.

* Wach und still geht's wie ich will.

* Konzentriert geht's wie geschmiert.

* Ich weiß ich kann – ich bleibe dran.

* Den Faden nicht verlieren, ich will mich konzentrieren.

* Frisch und wach wie ein Fisch im Bach.

* Wenn ich will, ist alles um mich still.

* Genau geschaut und dann getraut!

* Schau! – langsam und genau!

* Tief innen ist alle Kraft drinnen.

* Augen wach, denk erst nach.

* Überlegen, dann sich regen.

* Du kommst weit mit Freundlichkeit.

* Was ich auch tue, die Kraft kommt aus der Ruhe.

* Aus der Ruhe kommt die Kraft, die alles schafft.

* Ich hab die Macht, ob es ruhig bleibt oder kracht.

* Ein Schritt zurück, der bringt jetzt Glück.

* Lachen ist gut gegen Wut.

* Ein freundliches Gesicht macht Ärger zu Licht.

* Spür den Atem eine Zeit – dann wird alles klar und weit.

 

Merksprüche sollen kurz, prägnant und positiv gehalten sein. Es soll dabei das erwünschte Verhalten oder das Ziel angesprochen werden, nicht ein Verhalten, das es zu vermeiden gilt. Anzusprechen ist also beispielsweise der Mut, den wir erreichen wollen, nicht etwa die Angst, die wir überwinden möchten.

Wichtig ist auch eine Auswahl. Je genauer ein Spruch auf das Problem des Kindes passt, umso besser. Manche älteren Kinder erfinden sich selbst Merksprüche, wenn sie erst einmal damit vertraut gemacht wurden.

Reime merken sich Kinder am leichtesten. Wie auch die anderen Regeln sollte der Reim aber nur als Richtlinie betrachtet werden, nicht als unbedingt einzuhaltendes Gesetz.

Entspannungshaltungen

 

Das Buch stellt Entspannung in Form von Geschichten vor. In den Grünenstein- und Zauberwaldgeschichten wird auch darauf eingegangen, wie das Kind Entspannung selbst, ohne Hilfe durch andere und ohne Entspannungsgeschichte, einsetzen kann. Hilfreich vor allem für das ungeübte Kind sind dabei bestimmte Entspannungshaltungen. Eine solche Haltung soll einfach dazu beitragen, den Körper muskulär zu entspannen. Grundsätzlich sollte Entspannung aber immer möglich sein, auch ohne dazu eine bestimmte Haltung einzunehmen.

 

1. Liegehaltung

Für die Liegehaltung legt sich das Kind auf den Rücken, die Arme liegen neben dem Körper, am besten mit den Handflächen nach unten. Die Beine sind ausgestreckt und überkreuzen sich nicht. Die Augen sind möglichst geschlossen. Wenn das dem Kind zu unheimlich ist, kann es die Augen auch aufbehalten. Die Blicke sollten dann aber nicht umherschweifen. Gute Anzeichen für Entspannung sind ein ruhiger Atem und nach außen fallende Fußspitzen.

So lässt sich dem Kind auch das Wesen der Entspannung verdeutlichen: Zuerst soll es sich ganz stocksteif hinlegen und alle Muskeln anspannen. Und dann soll es alle Spannung loslassen. Dann müssten die Fußspitzen nach außen fallen. Das Kind kann dann gebeten werden, Spannung und Entspannung nur über die Fußspitzen zu fühlen: einmal wenn die gerade zum Himmel stehen, dann wenn sie nach außen fallen.

Die Liegehaltung eignet sich besonders für das Hören von Entspannungsgeschichten oder bei einer Entspannungsübung zu Hause. In der Schule oder in besonderen Stress-Situationen lässt sie sich kaum anwenden.

 

2. Angelehnte Sitzhaltung

In der Schule ist die angelehnte Sitzhaltung der Liegehaltung vorzuziehen. Das Kind setzt sich dabei auf einen Stuhl oder Hocker und lehnt den Rücken an. Die Füße stehen (wenn möglich) fest auf dem Boden, nicht zu eng nebeneinander, etwa in Schulterbreite. Die Hände liegen auf den Oberschenkeln, die Handflächen nach unten, sie berühren sich nicht. Der Kopf ist etwas gesenkt. Diese Sitzhaltung eignet sich besonders für eine ruhebetonte Entspannung. 

 

3. Königshaltung

Zielt die Entspannung auf Konzentration ab, sollte die Königshaltung gewählt werden. Das Kind setzt sich dazu relativ weit vorne auf einen Stuhl oder Hocker, die Hände liegen mit den Handflächen nach unten auf den Oberschenkeln. Die Füße stehen etwa in Schulterabstand fest auf dem Boden. Der Rücken aber wird gerade gehalten, auch der Kopf ist aufrecht. Die Augen sind wie bei den anderen Haltungen möglichst geschlossen. 

 

Dies sind gebräuchliche Entspannungshaltungen, mit denen sich in fast allen Situationen gut zurechtkommen lässt. Die Sitzhaltungen lassen sich gut in Alltagssituationen einnehmen, ohne dort zuviel störende Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen.

Die Haltung soll nur ein Hilfsmittel für die Entspannung sein. Wenn das Kind bereits andere Haltungen kennt oder mit anderen Haltungen, die dasselbe erreichen möchten, besser zurechtkommt, ist dagegen nichts einzuwenden. Die wohl beste Konzentrationshaltung ist keine der beschriebenen Entspannungshaltungen, sondern der Lotossitz. Er ist aber schwer zu erlernen, deshalb wollen wir hier auf ihn verzichtet. Die vorgestellten Haltungen sollten dem Kind schon nach wenigen Versuchen leichtfallen, und sie genügen uns vollauf.

Mit zunehmender Erfahrung sollte sich jeder – Kind oder Erwachsener – ganz unabhängig von einer bestimmten Haltung entspannen können. Für „Anfänger“ haben sich diese Entspannungshaltungen aber als nützlich erwiesen. Am Vorbild des Drachen Grünenstein werden die Kinder an diese Entspannungshaltungen herangeführt. Wenn die Eltern dies unterstützen und die Haltungen gegebenenfalls ein wenig korrigieren (nicht alles muss perfekt sein), sind diese Haltungen dem Kind gerade am Anfang eine gute Hilfe bei der Entspannung.

 

Begleiterscheinungen

 

Während der Entspannung werden wahrscheinlich auch Begleiterscheinungen auftreten. Vor allem Kribbeln in Händen und Füßen sowie Muskelzucken in Armen und Beinen können vorkommen. Sie sind harmlos und sollten als Anzeichen für die sich einstellende Entspannung gesehen werden. Bei den sich ebenfalls häufig einstellenden Darmgeräuschen ist das bekannt: Der Körper ist dann auf Ruhe und Aufbau eingestellt. 

Mit zunehmender Übung werden solche Begleiterscheinung seltener – vielleicht stören sie auch einfach weniger und werden deshalb gar nicht mehr bewusst wahrgenommen. Stört einmal eine Begleiterscheinung zu sehr, dann sollte die Entspannung einfach etwas zurückgenommen werden. Beispielsweise lassen sich die Hände zu Fäusten ballen, um Kribbeln oder ungute Empfindungen zu vertreiben. Je weniger man sich um solche Begleiterscheinungen kümmert, umso weniger stören sie.

 

Entspannung in der Drachenwelt

 

Grünenstein ist zwar ein Drache und hat schon allerlei gelernt, seit vor vielen tausend Jahren sein Ei aufbrach und er den Kopf erstmals auf die Dracheninsel hinausstreckte. So weiß er, was Zitronen sind. Er weiß, wie man schläft und wie man isst. Er kann ganz gut Bäume fällen – indem er gegen den Stamm tritt. Er redet auch gern. Manchmal behauptet er sogar, er lerne schon fliegen.

Aber von manchem hat er gar keine Ahnung. So weiß er zum Beispiel nicht, was Rollschuhe sind. Er kennt keine Bagger und Eisenbahnen, kein Vanilleeis und keine Verkehrsampeln. Das macht aber nichts, denn das ist auf der Dracheninsel alles ganz unnötig. Doch er hat auch keine Ahnung, was Ruhe und Entspannung ist – oder Konzentration. Und das könnte er manchmal durchaus gut gebrauchen.

Die ersten zwölf Geschichten des Buches erzählen, wie Grünenstein über diese Dinge allerhand erfährt. Am Ende weiß er schon ganz gut Bescheid und wendet die Entspannung selbst an. Und wer bei den Geschichten gut aufpasst, der kann das dann auch.

 

Die Drachenkette

 

Stell dir vor, du fliegst bis weit hinüber zur Dracheninsel. Direkt in der Höhle von Grünenstein erscheinst du.

„Aha, Besuch“, sagt er und schaut von einem Haufen Steine auf. „Ein Menschenkind. Du kannst mir gleich helfen.“ Und er erzählt dir von seiner Dracheninsel.

Von den Klippen erzählt er, vom Wind, vom Schrei der Möwen über den Felsen, vom ewigen Brausen des Meeres, vom weichen Sand an den Ufern. Und von der Dame Schuppenglanz, die er liebt. Sie wohnt in einer Felsengrotte am Murmelmeer. Am Tag des Himmels, dem höchsten Drachenfeiertag, ist es unter den Drachen üblich, Geschenke zu machen.

„Ich will ihr eine Kette verehren“, erzählt Grünenstein. „Aber ich schaffe es nicht, die Steine einzufädeln. Vielleicht kannst du mir helfen.“

Du schaust dir die Steine genauer an. „Wie hast du denn die Löcher hineinbekommen?“, fragst du den Drachen.

„Die waren schon drin, ist doch klar“, antwortet Grünenstein. „Das sind Felsenwurmlöcher, etwas ganz Seltenes. In einer Klippe unten am Meer ziehen sich lange Wurmlöcher durch das Gestein. Ich musste nur noch die Felsen herum wegknabbern, bis ich die Bröckelchen zusammen hatte.“

„Alle Achtung“, meinst du. „Das war sicher sehr anstrengend.“

„Vor allem macht es dick“, seufzt Grünenstein und streicht sich über den Bauch.

Dann nimmt er einen Stein und versucht, die Schnur hindurchzubekommen. Aber es klappt nicht

„Warum machst du denn dabei die Augen zu?“, fragst du verwundert.

„Damit ich nicht sehen muss, wie es schiefgeht“, murmelt der Drache.

„Es klappt nicht, es klappt nicht, es klappt nicht, es klappt nicht!“, ruft er dann, mit jedem Mal lauter. Er stampft auf die Erde, dass der Boden erzittert. Seine gewaltige Nase weitet sich noch mehr – und dann schnaubt roter Feueratem über den Stein. Der zerfließt wie Butter. Schnell springst du zur Seite.

„So wird das nichts“, sagst du dann.

„So wird das bestimmt nichts“, sagt auch Grünenstein. Wie ein Häufchen Elend hockt er nun auf seinem gezackten Drachenschwanz. Aus seinen Augen rollen ein paar schimmernde Perlen und verschwinden in den Ecken und Spalten der Höhle.

„Du musst ruhiger werden“, sagst du dem Drachen. „Und schau genau hin, was du tust!“

„Ich muss ruhiger werden“, sagt auch der Drache. „Fragt sich nur, wie.“

„Achte einfach auf deinen Atem“, sagst du. „Du atmest doch, oder?“, fragst du dann lieber mal nach. „Und wie“, sagt Grünenstein und bläht seine Nüstern auf. „Atme nur ganz gewöhnlich“, sagst du schnell. „Aber bei jedem Ausatmen sagst du dir das Wort ‚Ruhe' vor. Und dabei stellst du dir vor, wie du ruhig wirst.“

Und Grünenstein atmet. Du siehst, wie die Luft in seiner gewaltigen Nase verschwindet. Und dann strömt sie wieder heraus. „Ruhe“, donnert der Drache, dass die Wände wackeln. Eine kleine Steinlawine spritzt von der Höhlendecke. Du hältst dir die Hände über den Kopf.

„Nein, nein, nicht laut, nur innerlich, in dich hinein“, sagst du dann schnell.

Grünenstein atmet nun richtig. Du siehst, wie er ruhiger wird. „Jetzt geht es bestimmt besser“, sagst du.

Der Drache atmet ganz ruhig. Dann packt er plötzlich ein Ende der Schnur und führt es sicher durch die Wurmlöcher in den Steinen. Bald ist es geschafft: Die Kette ist fertig! Grünenstein bindet die Schnur zusammen.

„Schuppenglanz wird sch freuen“, sagt er dann und bewundert sein Werk.

„Merk dir das, und denk an den ruhigen Atem, wenn du wieder einmal so etwas vorhast“, sagst du ihm noch. Dann machst du im Kopf eine kleine Bewegung, und so schnell deine Gedanken dich tragen, fliegst du davon, wieder zurück in deine eigene Welt.

 

Entspannung für Grünenstein

 

Du sitzt mit Grünenstein unten am Strand vor den Klippen. „Du bist viel zu zappelig und ungeduldig“, sagst du. „Weißt du was? Ich zeige dir etwas, das wir bei mir zu Hause Entspannung nennen. Willst du's versuchen?“ 

„Gib schon her“, antwortet Grünenstein.

„Das ist nichts, das man von jemand anderem bekommen kann“, sagst du. „Das ist etwas in dir selbst. Du hast es schon in dir. Aber du weißt es nicht.“

„Ich kannte da mal einen Berg“, berichtet Grünenstein sofort. „Fünf oder sechs Millionen Jahre wird es nun her sein. Der hatte auch etwas in sich und wusste es nicht. Es war eine Goldader. Ich habe ihn mit ein paar anderen jungen Drachen gesprengt und geplündert. Da wusste er's dann.“

„Entspannung ist anders“, erklärst du. „Das ist etwas in dir, schon wie ein Goldschatz. Aber es ist mehr eine Art Kraft. Eine Art Ruhe und Kraft. Nehmen kann ihn dir keiner. Geben kann ihn dir auch keiner. Du musst ihn schon selbst entdecken. Aber wie, das kann ich dir zeigen.“

„Den kann mir niemand mehr nehmen?“, fragt Grünenstein. „Wegen dem Goldschatz haben wir uns damals schwer gestritten. Ich glaube, ich hab in der Rauferei alle Schuppen an meiner linken Schwanzseite verloren. Hat hundert Jahre gedauert, bis die wieder nachgewachsen sind. Und ein paar Berge sind auch noch ins Meer gestürzt. Das sind nun die Inseln dort draußen.“ Er zeigt auf die See.

„Niemand kann ihn dir nehmen“, bestätigst du ihm. „Und jetzt mach mal mit. Leg dich erst hin, auf den Rücken, die Arme neben den Körper, die Beine lang ausgestreckt, dass sie sich nicht überkreuzen.“ Der Drache lässt sich in den Sand des Strandes plumpsen. Auch du legst dich hin.

„Nun schließ die Augen.“ Die Drachenaugen schließen sich langsam.

„Und jetzt sag dir selbst dreimal vor: ‚Ich bin ganz ruhig'. Sag es dir vor und stell dir dabei vor, wie du ruhig bist. Innerlich, alles nur innerlich“, fügst du schnell hinzu.

„Ist doch klar“, beruhigt dich der Drache.

„Und dann sag dir innerlich dreimal vor: ‚Ich bin ganz schwer'. Sag es dir vor, und stell dir vor, wie du schwer wirst. Stell dir vor, wie die Arme schwer werden, wie die Beine schwer werden, wie dein ganzer Leib schwer wird.“ Du wartest ein Weilchen, dann fährst du fort:

„Und dann sag dir innerlich dreimal vor: ‚Ich bin schön warm'. Sag es dir vor, und stell dir vor, wie du warm wirst. Stell dir vor, wie die Arme warm werden, wie die Beine warm werden, wie dein ganzer Leib schön warm wird. Es ist wie eine freundliche Sonnenflut, die durch dich fließt.“ Du wartest wieder ein Weilchen und fährst dann fort:

„Und dann achte auf deinen Atem. Beobachte ihn, wie er in dich hineinströmt und wieder heraus. Lass ihn ruhig strömen, verändere ihn nicht, beobachte ihn einfach nur. Er geht ein und aus, ein und aus, ganz ruhig und gleichmäßig, ganz von allein.“

Du wartest wieder ein Weilchen und beobachtest die kleinen Feuerflämmchen, die bei jedem Atemzug aus den Nüstern des Drachen tanzen, ganz ruhig und gleichmäßig.

„Und dann sag dir noch einmal: ‚Ich bin ganz ruhig.' Und stell es dir dabei gut vor, dieses Gefühl, ganz ruhig und entspannt zu sein.“ Nach einer Weile sagst du dann:

„Wenn du hinterher wieder etwas tun willst, musst du immer erst die Muskeln anspannen. Mach das nun auch. Ball die Hände kräftig zu Fäusten, reck dich und streck dich ... Dann ist die Entspannung zu Ende, und du kannst mir erzählen, wie es war.“

Grünenstein reckt und streckt sich, dass die ganze Sandküste wackelt. Dann setzt er sich neben dich. „Gut war's“, meint er. „Vor allem die Ruhe und der Atem.“

„Die Schwere und die Wärme denn nicht?“, fragst du schnell.

„Schwer bin ich immer“, meint Grünenstein und schlägt mit dem schuppigen Schwanz einen Felsen ins Meer. „Und warm eigentlich auch.“ Er lässt aus seinen Nüstern ein paar extralange Feuerflammen schießen.

„Aber du hast recht.“ Nachdenklich legt er den Kopf schief. „Ich bin das zwar immer, aber ich weiß es eigentlich nie. Und es ist doch so schön.“

„Wenn du daran denkst“, sagst du, „kannst du die Entspannung auch ab und zu alleine machen.

„Ist doch klar“, sagt Grünenstein.

Du aber machst im Kopf eine kleine Bewegung, und so schnell deine Gedanken dich tragen, fliegst du davon, wieder zurück in deine eigene Welt.

 

Die Kraft der Gedanken

 

„Sag mal“, beginnt Grünenstein, als ihr wieder einmal zusammen am Sandstrand des Drachenmeeres sitzt und euch die Zehen umspülen lasst, „diese Entspannung, die du mir neulich gezeigt hast, wieso funktioniert die denn?“

„Wie meinst du das?“, fragst du und hebst eine angespülte Muschel auf.

„Na“, antwortet Grünenstein“, ich stell mir das doch nur innerlich vor, diese Ruhe, diese Schwere und diese Wärme. Weshalb werd ich denn dann auch wirklich ruhig, schwer und warm? Das mit dem Atem versteh ich ja, aber den Rest ...“

„Das ist wie bei den Zitronen“, antwortest du und hältst dir die Muschel ans Ohr. „Ihr habt hier doch Zitronen, oder?“, fragst du schnell nach.

„Klar“, antwortet Grünenstein. „Das sind doch diese schaligen gelben Bälle, ganz ohne Schuppen, die so ekelhaft schmecken.“

„Warum hast du denn eben dein Gescht verzogen?“, fragst du.

„Na“, antwortet Grünenstein, „das ist doch klar. Erst neulich hab ich in eine Zitrone hineingebissen – ganz aus Versehen natürlich –, und ich kann dir sagen ... Er schüttelt sich, dass der Schwanz nur so wackelt.

„Gut“, antwortest du, „neulich hast du in eine hineingebissen. Aber jetzt doch nicht. Es sind überhaupt keine Zitronen in der Nähe. Jetzt aber hat es dich geschüttelt. Das ist die Vorstellung. Und ganz so ist es auch mit der Entspannung.“ 

„Verstehe ich nicht“, antwortet Grünenstein und lässt missmutig seinen Schwanz über den Strand streichen.

„Schließ mal deine Augen“, sagst du. Grünenstein schaut dich erst groß an, aber dann macht er doch die Augen zu.

„Und jetzt stell dir eine Zitrone vor“, fährst du fort. „Eine große, gelbe, saftige Zitrone ... Und jetzt stell dir vor, wie du mit einem großen Messer die Zitrone in zwei Hälften schneidest.“ Du siehst, wie Grünenstein schlucken muss, aber du verkneifst dir dein Lachen und redest weiter. „Und jetzt stell dir vor, wie du eine der beiden Zitronenschalen in die Pranke nimmst und herzhaft hineinbeißt.“ Grünenstein verzieht das Gesicht, aber er versucht es ganz offenbar.

„Na, wie war es?“, fragst du dann. „Die Augen kannst du jetzt wieder aufmachen.“

„Schrecklich war es, ist doch klar“, sagt Grünenstein. „Dieser Geschmack ... obwohl gar keine Zitrone da war, nur meine Gedanken davon. Aber das Wasser ist mir im Mund zusammengelaufen, als würde ich wirklich in eine hineinbeißen.“

„Das ist die Kraft der Gedanken“, erklärst du. „Du stellst dir etwas vor, und in deinem Körper tut sich dann tatsächlich etwas.“

„Geht das auch mit dem Fliegen?“, fragt Grünenstein. „Das wollt ich nämlich schon immer. Aber meine Flügel sind einfach zu kurz.“ Dabei wedelt er mit zwei grünen Flügelstummeln auf seinem Rücken, die du bisher noch gar nicht bemerkt hast.

„Nein, das geht nur mit Dingen, die du schon eigentlich kannst“, antwortest du, nicht mit fliegen. „Vor allem geht das mit der Entspannung. Eigentlich kannst du entspannt sein – du bist es nur oft nicht, wenn du es brauchst. Aber wenn du dir vorstellst, ruhig zu sein, dann wirst du gleich etwas ruhiger. Wenn du dir vorstellst, schwer zu werden und warm, dann klappt auch das nach einer Weile. Vielleicht nicht sofort, aber doch nach ein paarmal versuchen.“

„Ist doch klar“, meint Grünenstein zufrieden. „Das probier ich gleich morgen, da haben wir Kegeln. Ich bin immer viel zu aufgeregt und schiebe die Felsbrocken an den Bäumen vorbei. Aber diesmal mach ich vorher die Entspannung, dann klappt es vielleicht besser.“

„Das ist etwas in dir, diese Ruhe“, sagst du. „Die kann dir niemand geben, die kann dir niemand nehmen. Nur denken musst du selbst daran.“

„Ist doch klar“, dröhnt Grünenstein und lässt stolz einige Flammenstöße durch seine Nüstern fauchen.

„Das ist tief in dir drinnen, du musst nur darauf hören“, sagst du noch einmal. Dann legst du die angeschwemmte Muschel an sein Ohr.

„Hör mal“, sagst du. Und du siehst, wie der Drache seine Augen schließt und lauscht, einfach nur lauscht, tief in die Muschel hinein. Denn im Innern der Muschel hört er das Rauschen des Meeres.

 

Grünenstein besucht die Dame

 

„Also, weißt du“, beginnt Grünenstein und schlägt verlegen mit seinen winzigen Flügeln, „wenn du nachschauen würdest, dann wüsstest du gleich: Da drinnen pocht ein echtes Drachenherz!“ Und er klopft sich fest gegen die Schuppen seiner mächtigen Brust.

„Nachschauen?“, fragst du und lachst.

„Du könntest bestimmt zwischen meinen Brustschuppen hindurchkriechen. Für so einen Winzling wie dich ist das doch gar kein Problem.“ Der Drache ist durcheinander, das merkst du gleich, denn so schlimm übertreibt er sonst selten. „Oder du kriechst in meinen Rachen hinein, da hast du eine gute Aussicht. Wenn ich nicht zufällig schlucken muss, kann auch gar nichts passieren, ist doch klar!“ Er  sperrt sein riesiges Maul auf und lässt ein paar Flammen in den Himmel tanzen.

„Danke, danke“, sagst du schnell, „ich glaub dir schon, dass du ein Drachenherz hast. – Aber weshalb die Felsenwurmkette noch in deiner Höhle herumliegt, das hast du noch immer nicht gesagt. Du wolltest sie doch der Dame Schuppenglanz schenken.“

„Warum, warum ... eben wegen diesem Drachenherz wohl“, meint Grünenstein nun auf einmal ganz verlegen. „Ich trau mich nicht! Wenn es um einen Kampf gegen die Wolkenriesen ginge oder um eine Schlacht gegen das Nebelmeer, da wär ich ganz vorne mit dabei, ist doch klar! Aber ich kann doch nicht ... Vielleicht lacht sie mich aus ... Komm, geh doch mit!“

„Na gut, ein Stückchen kann ich ja mitgehen“, sagst du. Grünenstein richtet sich kerzengerade auf. „Wirklich?“, strahlt er. „Dann kann ja nichts mehr schiefgehen, ist doch klar!“

An den Riesenstachelbeeren kommt ihr ohne Probleme vorbei, ihr kämpft euch durch Beete voll wilder Petersilie und geht über nackte Felsen, die schon seit Jahrmillionen niemand mehr betreten hat, außer vielleicht gestern eine Igelfamilie bei ihrem Ausflug ans Meer. Und womöglich ein Schmetterling, als er sich sonnen wollte. Sogar durch den Wind kämpft ihr euch durch, der vom Meer her weht, ohne im mindestens zurückzuschrecken. „Das ist der Atemstrom eines gewaltigen Riesen“, flüstert dir Grünenstein ins Ohr. Aber du wirst kein bisschen langsamer deshalb, und er auch nicht.

Schließlich steht ihr vor einer steinernen Brücke. Zierlich führt sie über einen Abgrund zwischen zwei Felsnadeln hinweg. Darunter schlagen die Brecher der Wellen gegen die Klippen. Grünenstein bleibt stehen. Er zittert wie Espenlaub. Er hält deine Hand, dass es fast weh tut. „Dort drüben ist es“, flüstert er dir schnell ins Ohr.

„Und gerade dieses Stück musst du alleine gehen“, sagst du.

„Ist doch klar“, murmelt er. „Aber kannst du nicht trotzdem mitkommen?“

„Weißt du was?“, fällt dir da ein. „Ich gebe dir etwas mit, einen Merkspruch, das ist eine Art Zauberspruch. Den sag dir nur immer vor, nur so in dich hinein, dann wird es schon besser gehen.“ Du streckst dich bis zu den kleinen Drachenohren hinauf und flüsterst leise etwas hinein. „Mit Mut geht's gut.“

Grünenstein nickt, schaut dir noch einmal fest in die Augen und stampft los. Du siehst, wie er etwas in sich hineinspricht. Das wird der Merkspruch sein. Du schaust auf die Bewegungen seines Drachenrachens: „Mit Mut geht's gut“ – er hat es tatsächlich richtig behalten. Ohne weiter zu zögern, geht Grünenstein über die Brücke und verschwindet im Höhleneingang dahinter.

Du setzt dich hin, schaust auf das Meer hinaus und lauscht dem Rauschen der Wellen und dem Möwengeschrei. Ein Geruch von Salz liegt im Wind, und du meinst, noch etwas Tieferes riechen zu können: das endlose Meer. So sitzt du da und summst wohl auch ein Windlied vor dich hin. Grünenstein bemerkst du erst, als dir seine Pranke in den Rücken klatscht.

„Hurra“, jauchzt er. „Sie hat die Kette genommen, und wir haben uns verabredet, morgen, am Strand.“

„Wunderbar“, sagst du und reibst dir den Rücken. Und dann singt ihr zusammen ein Lied, dem Wind und den mächtigen Wellen unten an den Klippen entgegen. Es hat nur eine Strophe, aber die singt ihr wieder und wieder: „Mit Mut geht's gut.“ Was die Möwen singen, das weißt du nicht, und du kennst auch die Wasserworte des Wellenlieds nicht, aber vielleicht sind es alle dieselben.

 

Grünenstein lernt Fäuste ballen

 

Über die Klippen bläst ein scharfer Wind, vom Meer her. Ein Geruch von Salz liegt in der Luft. Die Möwen am Himmel schreien. „Flug, Flug, Fisch, Fisch“, meinst du herauszuhören, aber du bist dir nicht sicher. Grünenstein lässt sich neben dir ins Gras plumpsen und sagt jedenfalls sehr gut vernehmlich: „Also, so ganz kapiert hab ich es immer noch nicht, mit dieser Entspannung, ist doch klar.“

„Aber du hast sie doch selbst ausprobiert“, sagst du. „Was ist denn dann noch unklar?“

„Na, was das eigentlich heißen soll, dieses ‚Entspannung'“, meint Grünenstein. Er reißt Gras aus und beschaut sich jeden Halm genau, bevor er ihn wegwirft. Zwei bleiben übrig, die steckt er sich vergnügt in die Ohren.

„Was das eigentlich heißen soll“, murmelst du. „Entspannung, das ist eben so etwas wie Ruhe. Aber nicht nur dein Mund ist ruhig, sondern dein ganzer Körper.“

„Aha“, sagt Grünenstein.

„Vielleicht probieren wir das einfach noch einmal aus, aber diesmal anders“, sagst du. „Da, setz dich auf den Stein.“

„Probieren ist immer gut“, sagt Grünenstein. Aus seinen Ohren quellen kleine Rauchwölkchen, dann gibt es plötzlich einen Doppelknall und die schon ziemlich angeglühten Halme fliegen wie Pfeile heraus. „Das musste mal durchgepustet werden“, meint Grünenstein.

Du bläst einen glühenden Grashalm aus und fragst: „Sitzt du bequem?“

„Ist doch klar“, meint Grünenstein und kratzt sich schnell noch hinter den Ohren.

„Deine Hände legst du auf die Oberschenkel, die Handflächen nach unten“, sagst du. „Der Rücken ist gerade. Die Füße stehen fest auf dem Boden.“

Du schaust, ob Grünenstein alles richtig macht, dann fährst du fort: „Und nun ball mal deine rechte Hand zur Faust“, sagst du.

Details

Seiten
ISBN (ePUB)
9783739373737
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2016 (Dezember)
Schlagworte
Autogenes Training Traumreisen Ruhe Progressive Muskelrelaxation Fantasiereisen Konzentration Entspannung Ausgeglichenheit Entspannungsgeschichten Ruheort

Autor

  • Volker Friebel (Autor:in)

Der AutorVolker Friebel ist promovierter Psychologe und lebt in Tübingen. Er ist in der pädagogischen Fortbildung als Referent tätig und hat lange Jahre mit Kindergruppen gearbeitet. Zahlreiche Veröffentlichungen zu Pädagogik und Psychologie mit den Spezialgebieten Entspannung, Gesundheit, Sprache und Musik haben weite Verbreitung gefunden.
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Titel: Geschichten, die Kinder entspannen lassen