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Die Perle der Ruhe

Entspannungsgeschichten für Kinder

von Volker Friebel (Autor:in)
68 Seiten

Zusammenfassung

Entspannungsgeschichten für Kinder haben sich weit verbreitet. Anfangs waren sie dafür gedacht, ein konventionelles Entspannungsverfahren wie das Autogene Training oder die Progressive Muskelrelaxation vorzubereiten oder zu verlängern. Das kann auch heute noch ihre Aufgabe sein. Man erkannte aber bald ihren ganz eigenständigen Wert für die Entspannung von Kindern. Entspannungsgeschichten können vorgelesen werden und die Kinder können beim Hören in die Entspannung finden. Manche Geschichten zeigen Kindern außerdem, wie sie selbst Entspannung im Alltag anwenden können. Diese Sonderausgabe enthält eine Auswahl von 24 Geschichten aus den Büchern „Entspannungsgeschichten für Kinder“ und „Geschichten, die Kinder entspannen lassen“. Die letzte Serie, die Geschichten vom Kätzchen und dem kleinen Bären, ist besonders für das Kindergartenalter geeignet, die anderen Geschichten eignen sich für Schulalter und Kindergartenalter gleichermaßen. Entspannungsgeschichten sind eine ausgezeichnete Weise zur Ergänzung einer Entspannung für Kinder oder sogar für ihre eigenständige Durchführung. Die meisten Kinder profitieren davon. So wünsche ich viel Freude und viel Entspannung mit den Geschichten!

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Entspannungsgeschichten

 

Entspannungsgeschichten für Kinder haben sich weit verbreitet. Anfangs waren sie dafür gedacht, ein konventionelles Entspannungsverfahren wie das Autogene Training oder die Progressive Muskelrelaxation vorzubereiten oder zu verlängern. Das kann auch heute noch ihre Aufgabe sein. Man erkannte aber bald ihren ganz eigenständigen Wert für die Entspannung von Kindern. 

Entspannungsgeschichten können vorgelesen werden und die Kinder können beim Hören in die Entspannung finden. Manche Geschichten zeigen Kindern außerdem, wie sie selbst Entspannung im Alltag anwenden können. 

Diese Sonderausgabe enthält eine Auswahl von 24 Geschichten aus den Büchern „Entspannungsgeschichten für Kinder“ und „Geschichten, die Kinder entspannen lassen“. Die letzte Serie, die Geschichten vom Kätzchen und dem kleinen Bären, ist besonders für das Kindergartenalter geeignet, die anderen Geschichten eignen sich für Schulalter und Kindergartenalter gleichermaßen.

Entspannungsgeschichten sind eine ausgezeichnete Weise zur Ergänzung einer Entspannung für Kinder oder sogar für ihre eigenständige Durchführung. Die meisten Kinder profitieren davon. So wünsche ich viel Freude und viel Entspannung mit den Geschichten!

 

 

Geschichten vom Wolkenschloss

 

 

Das Wolkenschloss

 

Stell dir vor, du liegst auf einer weiten Wiese und hast die Augen geschlossen. Gras wiegt im Wind. Vögel singen. Du spürst die Ruhe in dir ... Dein Atem geht ein und aus, ein und aus, ganz ruhig und gleichmäßig, ganz von allein ...

Ein Windhauch weht über dein Gesicht – und schon tanzt ein Schmetterling vor deiner Nase. Auf und ab, hin und her – du meinst fast, dass er dir zuzwinkert.

Dann flattert er davon. Und schaut zurück, ob du ihm folgst.

Du gehst hinter dem Schmetterling über die Wiese. Da siehst du vor dir Wolken, wie Stufen. Die unterste schwebt dicht über der Wiese. Auf der letzten erhebt sich das Wolkenschloss.

Der Schmetterling flattert weiter, die Wolkenstufen hinauf, auf das Schloss zu.

,Mit Mut geht's gut', sagst du tief in dich hinein.

Du gehst die Wolkenstufen hinauf, bis vor das Wolkenschloss. Das Tor steht weit offen, so gehst du hinein. Trompeten ertönen. 

„Willkommen!“ Im Schlosshof steht ein kleiner Mann mit Krone. Er trägt eine goldene Gießkanne. „Ich bin der kleine König Ferdinand. Willkommen im Wolkenschloss!“ Er blinzelt dir freundlich zu. „Wenn du Ruhe und Kraft brauchst, hier findest du sie. Du kannst immer hierher kommen, so oft du willst. Schau dich überall um! Mieze wird dich begleiten.“

Der kleine König deutet auf eine Katze neben sich. Er gießt noch das letzte Gänseblümchen des Rasens und verschwindet in seinen Gemächern.

Du gehst mit Mieze durch das Schloss und schaust dir alles genau an.

Die Küche besucht ihr, wo der Koch gerade eine Suppe für den König zubereitet. „Hinaus, hinaus, sonst kocht sie über!“, ruft er, als Mieze kosten will.

Im Verlies wirbelt Staub. „Leider steht es leer, seit das letzte Gespenst ausgewandert ist“, schnurrt Mieze. „Ich hoffe, es kommt bald wieder zurück.“

In der Schatzkammer erhebt sich ein Drache von einer Truhe, als ihr hineinschaut. Er blinzelt mit seinen grünen Lidern und öffnet das Maul. Schnell schließt du die Türe wieder.

Mieze miaut. „Das war Fridolin. Die Schatztruhe ist sein Lieblingsplatz. Mit ihm spiele ich gern.“

Ihr steigt auf einen der vielen Türme und schaut auf das Wolkenmeer. Mieze zeigt dir die Stufen hinab in die blauen Länder. „Dort werden wir manches Abenteuer erleben“, schnurrt sie.

Du siehst ein Land, in dem die Blätter der Bäume aus Gold sind.

In einem anderen Land gibt es nirgendwo Straßen, die Menschen fliegen mit Federschwingen.

In einem weiteren Land haben die Tiere die Herrschaft übernommen.

Ihr steigt die Stufen des Turmes hinab. Mieze gähnt. Ihr legt euch auf das große blaue Sofa im Burghof. Du schließt deine Augen. 

 

Da liegst du – ganz ruhig. Kannst du die Ruhe in dir spüren? Die Ruhe ist überall in dir, ganz tief. – Kannst du fühlen, wie schwer du bist? Dein ganzer Körper ist schwer, angenehm schwer. – Kannst du fühlen, wie warm du bist? Die Wärme strömt durch deinen ganzen Körper. Du bist warm, schön warm. – Dein Atem geht ein und aus, ein und aus, ganz ruhig und gleichmäßig, ganz von allein. – Du liegst ruhig, schwer und warm – ruhig, schwer und warm. – So liegst du ein Weilchen und ruhst dich aus. Du ruhst dich aus und fühlst die neue Kraft tief in dir wachsen. 

 

Damit kommt die Geschichte langsam zum Ende. Wenn du bereit bist, reckst und streckst du dich und öffnest die Augen.

 

 

Der kleine König hat Angst

 

Stell dir vor, du stehst im Innenhof des Wolkenschlosses. Der kleine König Ferdinand läuft aufgeregt vor dir auf und ab. „Ein Ungeheuer“, ruft er immer wieder. „Das Schloss ist verloren!“ Du schaust dich um, kannst aber nichts Ungewöhnliches erkennen.

Auch Mieze sieht verschreckt aus. Sie kauert neben dem blauen Sofa.

„Vielleicht kannst du uns helfen!“ Der kleine König ist stehengeblieben und schaut dich an.

„Aber du hast doch deine Mäusesoldaten“, sagst du überrascht und zeigst auf die Truppe, die sich im Schlosshof aufgestellt hat.

„Schau, wie sie zittern!“, sagt Ferdinand. Und tatsächlich, du siehst, die Soldaten zittern wie Espenlaub.

„Der Hauptmann ist in Ohnmacht gefallen, als er das Ungeheuer sah“, sagt der kleine König. „Er liegt auf der Krankenstation. Und jemand muss die Soldaten doch führen!“

„Und der Drache?“, fragst du. „Kann er nicht helfen?“

„Der kommt die schmale Treppe des Turms nicht hinauf. Und eben dort oben hat sich das Ungeheuer versteckt.“

Ein Ungeheuer, das sich versteckt? Das willst du dir genauer anschauen. Langsam gehst du zum Turm. Mieze und der kleine König gehen hinter dir.

Die Tür zum Turm ist schwer zu öffnen und knarrt schrecklich. Du schaust die Wendeltreppe hinauf und kannst nichts erkennen. Der kleine König entzündet eine Fackel und gibt sie dir. Eine zweite trägt er selbst. Das flackernde Licht sieht unheimlich aus.

Du achtest auf deinen Atem und spürst, wie du ruhiger wirst. Dein Atem geht ein und aus, ein und aus, ganz ruhig und gleichmäßig, ganz von allein ... Ruhe und Kraft strömen in dich. ,Mit Mut geht's gut', sagst du in dich hinein.

Du steigst die Stufen hinauf. Ferdinand und Mieze folgen dir. Im obersten Raum des Turmes bläst ein kräftiger Windzug die Fackeln aus. Du erschrickst. Von der Decke des Raumes beobachten euch zwei riesige Augen.

,Mit Mut geht's gut', sagst du dir nochmals.

Der kleine König hat endlich die Streichhölzer gefunden. Mit zitternden Fingern entzündet er die Fackeln neu. Ihr seht eine Eule auf dem Schrank sitzen. Ihre Augen scheinen im Licht viel kleiner geworden. Sie sieht euch ruhig an.

„Ein Uhu!“ Der kleine König atmet erleichtert durch. „Und wir dachten, dass, wir dachten, dass ... Was dachten wir denn eigentlich, Mieze?“ Aber Mieze schnurrt nur. „Wir dachten gar nichts und malten uns nur Schlimmes aus“, sagt der kleine König. „Statt einfach nachzuschauen.“ Er seufzt.

„Liebe Eule“, spricht der kleine König Ferdinand feierlich den Uhu an. „Ich ernenne dich hiermit zum Wächter des Turms!“

Er seufzt noch einmal. Ihr steigt den Turm hinunter. Dieses Mal fallen die Stufen viel leichter.

Im Schlosshof bedankt sich der kleine König bei dir. „Ich gebe dir hiermit den Titel Turmbesteiger, sagt er. Kopfschüttelnd verschwindet er in seinen Gemächern.

Du legst dich auf das große blaue Sofa und schließt deine Augen. 

 

Da liegst du – ganz ruhig. Kannst du die Ruhe in dir spüren? Die Ruhe ist überall in dir, ganz tief. – Kannst du fühlen, wie schwer du bist? Dein ganzer Körper ist schwer, angenehm schwer. – Kannst du fühlen, wie warm du bist? Die Wärme strömt durch deinen ganzen Körper. Du bist warm, schön warm. – Dein Atem geht ein und aus, ein und aus, ganz ruhig und gleichmäßig, ganz von allein. – Du liegst ruhig, schwer und warm – ruhig, schwer und warm. – So liegst du ein Weilchen und ruhst dich aus. Du ruhst dich aus und fühlst die neue Kraft tief in dir wachsen. 

 

Damit kommt die Geschichte langsam zum Ende. Wenn du bereit bist, reckst und streckst du dich und öffnest die Augen.

 

 

Schneckensalat

 

Du steigst mit Mieze vom Wolkenschloss in ein Traumland hinunter, an langsam treibenden Wolken vorbei.

Die Treppe endet am Waldrand vor einem wackligen Haus. Ein Willkommensschild hängt am Torbogen zwischen den Rosen. Aber: „Eintritt für Schnecken verboten!“, liest Mieze laut das Schild an der offenen Gartentür.

„Was nun: Willkommen oder verboten?“, fragst du.

„Wir sind keine Schnecken“, maunzt Mieze und tritt in den Garten. Du folgst ihr.

Im Garten steht ein weiteres Schild: „Bleibt aus meinem Salat!“, liest Mieze. Und gleich daneben: „Hier gibt es nichts für euch zu holen, haut ab!“

In den Salatbeeten tummeln sich Schnecken. „Wahrscheinlich können sie nicht lesen“, sagst du und lachst.

Da öffnet sich die Haustür und eine alte Frau stürmt heraus. Genau vor euch steckt sie ein weiteres Schild in die Erde. Sie funkelt euch wütend an und verschwindet wieder im Haus. „Lachen verboten!“, liest Mieze langsam vor.

Da öffnet sich die Haustür schon wieder. Die Frau stürmt heraus, steckt ein weiteres Schild in den Rasen und verschwindet wieder im Haus. „Ja, ihr, genau euch meine ich, raus hier!“, liest Mieze.

Du wunderst dich, denn die Gartentür stand doch offen. Aber wo man nicht willkommen ist, soll man nicht bleiben. Ihr geht zum Gartentor. Als ihr an der Haustür vorbeikommt, hört ihr ein lautes Poltern, gefolgt von einem Knall.

„Im Haus stöhnt jemand“, meint Mieze und spaziert weiter auf das Gartentor zu.

„Wir können doch nicht einfach gehen“, meinst du. „Vielleicht hat sich die Frau etwas gebrochen!“

Mieze lenkt deinen Blick auf die Haustür. „Eintritt verboten!“, liest sie laut.

„Trotzdem“, sagst du. Das Stöhnen ist lauter geworden. „Du kommst nur weit mit Freundlichkeit.“ Vorsichtig trittst du ins Haus. Mieze folgt dir.

Im Haus ist ein einziges Durcheinander. Und zwischen Schachteln und Müllsäcken liegt die alte Frau. Du hilfst ihr auf einen Stuhl. Sie stöhnt laut.

„Ich glaube, der Fuß ist gebrochen“, meint Mieze.

„Wir holen den Arzt“, sagst du.

„Telefon habe ich keines, das haben die Schnecken gefressen“, schluchzt die Frau. „Alles wollen sie mir nehmen! Nur ihr seid gut!“

„Wir holen besser zwei Ärzte“, meint Mieze und macht sich auf den Weg.

Du bleibst da und hilfst der alten Frau ins Bett. Dort wird sie ruhiger. Sie erzählt dir von ihrem Garten und wie gerne sie ihn hat. „Aber die Schnecken, sie fressen einfach alles auf! Früher sind oft Kinder gekommen. Aber seit die Schnecken die Schaukel gefressen haben, kommt niemand mehr, und ich bin allein.“

Endlich kommt Mieze mit einem Arzt. Während der die Frau untersucht, verabschiedet ihr euch. „Kommt einmal wieder“, sagt sie.

Im Gras unter dem Apfelbaum liegen ein gebrochener Ast und eine Schaukel. „Was sie nur mit den Schnecken hat“, meinst du.

„Ich glaube, sie spinnt“, sagt Mieze.

„Vielleicht sollten wir wirklich wieder vorbeischauen“, sagst du.

„Du kommst nur weit mit Freundlichkeit“, lacht Mieze dich an.

Ihr geht zur Wolkentreppe zurück. Stufe um Stufe steigt ihr empor. Mit jeder Stufe merkst du, wie du ruhiger wirst.

Im Wolkenschloss legst du dich auf das große blaue Sofa und schließt deine Augen. 

 

Da liegst du – ganz ruhig. Kannst du die Ruhe in dir spüren? Die Ruhe ist überall in dir, ganz tief. – Kannst du fühlen, wie schwer du bist? Dein ganzer Körper ist schwer, angenehm schwer. – Kannst du fühlen, wie warm du bist? Die Wärme strömt durch deinen ganzen Körper. Du bist warm, schön warm. – Dein Atem geht ein und aus, ein und aus, ganz ruhig und gleichmäßig, ganz von allein. – Du liegst ruhig, schwer und warm – ruhig, schwer und warm. – So liegst du ein Weilchen und ruhst dich aus. Du ruhst dich aus und fühlst die neue Kraft tief in dir wachsen. 

 

Damit kommt die Geschichte langsam zum Ende. Wenn du bereit bist, reckst und streckst du dich und öffnest die Augen.

 

Für den Koch unterwegs

 

Du bist wieder einmal im Wolkenschloss. Mieze führt dich in die Küche. Der kleine dicke Koch steht gerade vor dem Regal mit den Kräutervorräten und seufzt. Als er euch sieht, hellt sich seine Miene auf.

„Wunderbar, dass ihr kommt!“, sagt er. „Ich brauche unbedingt ein paar Zutaten aus den Traumländern. Wollt ihr sie mir besorgen?“

„Gerne“, schnurrt Mieze.

Der Koch gibt ihr eine Liste. Du nimmst den Korb.

Dann steigt ihr die Wolkenstufen hinab in ein Traumland, Stufe um Stufe, an langsam treibenden Wolken vorbei. Den letzten Schritt setzt ihr auf einen Feldweg zwischen Kornfeldern.

„Wunderbar, Kamille!“, schnurrt Mieze und riecht an den Blüten am Wegrand.

Du pflückst eine Handvoll Blüten und legst sie in den Korb.

„Willst du die nicht auf der Liste ausstreichen?“, fragst du Mieze.

„Kamille steht doch gar nicht drauf“, schnurrt Mieze. „Aber ich trinke so gern Kamillentee.“

Du pflückst noch ein paar Mohnblumen – weil die so schön aussehen, wie Mieze sagt. Dann geht ihr weiter.

Bald seid ihr im Wald und kommt an ein eigenartiges Haus. Büsche und Bäume sind dort so ineinander verflochten, dass sie Wände bilden – und sogar ein Dach. Herabhängender Efeu bildet die Tür. Du streichst ihn bei Seite. Ihr geht hinein.

„Hallo“, begrüßt euch ein Waldgnom mit einer riesigen Brille auf der gleichfalls gewaltigen Nase.

„Die besten Sachen muss man selber machen. Alles andere gibt es bei Tatti. Das bin ich. Was wollt ihr denn haben?“

Mieze schaut in ihre Liste. „Als erstes brauchen wir einen Atemzug Glückshauch“, liest sie vor.

„Glückshauch, hm“, der Waldgnom legt sein Gesicht in Falten und rückt seine Brille zurecht. „Schwierig.“

„Aber kannst du es besorgen?“, fragt Mieze.

„Vielleicht“, antwortet Tatti.

„Eine Blume Fantasie“, liest Mieze weiter vor.

Der Waldgnom nimmt ein leeres Glas aus dem Regal und verschließt es. Er schließt die Augen und brummelt vor sich hin. Mieze tut es ihm gleich.

„Gedanken weit und wendig – die Fantasie lebendig“, meinst du zu verstehen und siehst, wie im Glas Farben zu wallen beginnen. Tatti öffnet wieder die Augen und strahlt euch an. Er öffnet das Glas und nimmt eine Blume heraus. Du legst sie in den Korb.

Posten für Posten arbeitet ihr Miezes Liste ab. Manches hat Tatti im Laden. Anderes muss er zusammenmischen. Wieder anderes lässt er besorgen. Mit der Bestellung ,Honig' schickt er eine Biene in den Wald hinaus. Wenig später kommen tausend Bienen zurück und füllen sein Honigglas.

Zuletzt ist nur noch ein Name auf der Liste übrig. Es ist der erste überhaupt. „Ein Atemzug Glückshauch“, liest Mieze noch einmal vor.

Sie schließt die Augen. Tatti tut es ihr gleich. Erst weißt du gar nicht, auf was du achten sollst, weil gar kein Glas bereitgestellt ist. Dann fällt dir der Atem der beiden auf. ,Ein Atemzug', hieß es ja! Du beobachtest, wie sie ein- und ausatmen. Und dann achtest du auf deinen eigenen Atem, wie er einströmt und ausströmt, ein und aus, ganz ruhig und gleichmäßig, ganz von allein.

Mieze und Tatti öffnen die Augen. „Den Atem haben wir immer dabei“, sagt Mieze. Du nimmst den gut gefüllten Korb und ihr verabschiedet euch.

Ihr geht durch den Wald und weiter den Feldweg, bis zu den Wolkenstufen. Der Korb scheint beim Aufstieg immer leichter zu werden. Mit jeder Stufe merkst du, wie du ruhiger wirst.

Im Wolkenschloss legst du dich auf das große blaue Sofa und schließt deine Augen. 

 

Da liegst du – ganz ruhig. Kannst du die Ruhe in dir spüren? Die Ruhe ist überall in dir, ganz tief. – Kannst du fühlen, wie schwer du bist? Dein ganzer Körper ist schwer, angenehm schwer. – Kannst du fühlen, wie warm du bist? Die Wärme strömt durch deinen ganzen Körper. Du bist warm, schön warm. – Dein Atem geht ein und aus, ein und aus, ganz ruhig und gleichmäßig, ganz von allein. – Du liegst ruhig, schwer und warm – ruhig, schwer und warm. – So liegst du ein Weilchen und ruhst dich aus. Du ruhst dich aus und fühlst die neue Kraft tief in dir wachsen. 

 

Damit kommt die Geschichte langsam zum Ende. Wenn du bereit bist, reckst und streckst du dich und öffnest die Augen.

 

 

Kapitän Sturm

 

„Herein, die Tür steht offen“, dröhnt eine tiefe Stimme sofort nach Miezes Klopfen. Ihr spaziert also hinein in die Wohnung. So etwas hast du im Wolkenschloss noch nicht gesehen. An den Wänden hängen Landkarten, Fischernetze, Muscheln und präparierte Fische. Sogar ein Schwertfisch ist dabei.

Im Wohnzimmer stellt ein breiter Mann Tee auf den Tisch. „Setzt euch“, begrüßt er euch. „Der Tee ist gleich fertig.“

Stühle sind keine zu sehen. Nur ein großer Sessel, in den sich der Mann setzt. Und eine Truhe, auf der eine dicke Decke liegt. „Nur zu, hier auf die Schatzkiste!“, ermuntert euch der Mann.

„Ich bin Kapitän Sturm“, wendet er sich dann an dich. Du sagst deinen Namen.

„Schön, dass du deinen Besuch einmal mitbringst“, sagt der Kapitän zu Mieze. „Du weißt ja, mein Tee ist der beste!“

„Vor allem deine Geschichten“, schnurrt Mieze.

„Woher haben Sie denn Ihren Namen?“, fragst du neugierig.

„Oh, von meinem Vater“, lacht Kapitän Sturm. „Und der hat ihn von seinem Großvater, der auch zur See fuhr. – Obwohl ich mir den Namen oft genug verdient habe“, fährt er fort und streicht sich über den roten Bart.

Er gießt euch Tee ein. In seine eigene Tasse kommt noch eine ordentliche Portion Rum. Dann streicht sich der Kapitän noch einmal über den Bart und schließt die Augen.

„Das erinnert mich an eine Fahrt mit der Trubeldratt durch den indischen Ozean“, beginnt er. „Seit Wochen ging keinerlei Wind, die Segel hingen schlaff. Kein Land war in Sicht. Die Vorräte gingen langsam zur Neige, vor allem das Wasser. Um uns ein ganzes Meer aus Wasser – aber aus Salzwasser“, brummt Kapitän Sturm und seufzt.

„Und was habt ihr gemacht?“, fragt Mieze.

„Zum Glück hatten wir einen Notvorrat schnellwachsendes Himmelskraut dabei. Davon steckten wir eine Bohne in einen Pflanzenkübel auf dem Deck und gossen kräftig. Denn Himmelskraut gedeiht mit Salzwasser sogar besonders gut. Fast sofort bildeten sich Blätter. Auf jedes Blatt stellte sich ein Matrose. Ich ging als Kapitän mit gutem Beispiel voran. Die anderen gossen und gossen – und das Himmelskraut wucherte in den Himmel hinein und nahm uns mit. Hoch oben fingen wir mit unseren Seilen ein paar Wolken ein und zogen sie über das Schiff. Bald regnete es in Strömen, und wir konnten unseren Durst löschen. Aber der Wind, der dadurch aufgekommen war, wurde so stark, dass sogar das Himmelskraut ins Schwanken kam. Wir verloren das Gleichgewicht, plumpsten von Blatt zu Blatt und landeten endlich mit einigen blauen Flecken auf dem Deck unserer Trubeldratt. Der Sturm blies den ganzen Tag und die Nacht. Am nächsten Morgen landeten wir in Afrika. Dort wurden wir sofort als Piraten festgenommen, und es dauerte eine ganze Weile, bis wir unsere Unschuld beweisen konnten. Aber das ist eine andere Geschichte.“

Der Tee ist kalt geworden. Mieze erhebt sich und ihr verabschiedet euch. „Kommt ruhig wieder einmal vorbei“, verabschiedet der Kapitän euch. „Ein Blatt vom Himmelskraut“, sagt er zu dir, als du ein riesiges Pflanzenblatt über der Wohnungstür ansiehst. „Ich glaube sogar, das ist jenes, in dem ich damals selbst stand.“

Du gehst mit Mieze über den Hof des Wolkenschlosses.

„Ob die Geschichte stimmt?“, fragst du.

„Ich war nicht dabei“, schnurrt Mieze. „Aber das Zuhören war schön!“

„Ja“, sagst du.

Du legst dich auf das große blaue Sofa und schließt deine Augen. 

 

Da liegst du – ganz ruhig. Kannst du die Ruhe in dir spüren? Die Ruhe ist überall in dir, ganz tief. – Kannst du fühlen, wie schwer du bist? Dein ganzer Körper ist schwer, angenehm schwer. – Kannst du fühlen, wie warm du bist? Die Wärme strömt durch deinen ganzen Körper. Du bist warm, schön warm. – Dein Atem geht ein und aus, ein und aus, ganz ruhig und gleichmäßig, ganz von allein. – Du liegst ruhig, schwer und warm – ruhig, schwer und warm. – So liegst du ein Weilchen und ruhst dich aus. Du ruhst dich aus und fühlst die neue Kraft tief in dir wachsen. 

 

Damit kommt die Geschichte langsam zum Ende. Wenn du bereit bist, reckst und streckst du dich und öffnest die Augen.

 

Details

Seiten
ISBN (ePUB)
9783739322421
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2015 (Oktober)
Schlagworte
Relaxation Atementspannung Atem Kinder Ruhe Geschichten Entspannungsgeschichten

Autor

  • Volker Friebel (Autor:in)

Der Autor Dr. Volker Friebel (*1956) ist promovierter Psychologe und Verfasser von Veröffentlichungen mit den Spezialgebieten Entspannung, Gesundheit, Sprache und Musik sowie Texten literarischer Art. Zahlreiche seiner Bücher zur Entspannung für Kinder wurden bei den Verlagen Rowohlt, Herder, Ökotopia, Trias, Musikbär, Lambertus und Beltz veröffentlich. Er arbeitet als Ausbildungsleiter und Autor und lebt in Tübingen.
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Titel: Die Perle der Ruhe