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Schattenspiele

Die Enalogie von Mystar

von Daniel Prothmann (Autor:in)
317 Seiten

Zusammenfassung

Ein dunkler Lord in der Midlife-Crisis, ein finsterer Plan, und ein armer Lehrling, der die Suppe auslöffeln muss. So begibt sich der Zauberlehrling Armal auf eine abenteuerliche Reise, quer durch die fantastische Welt Mystar. Zusammen mit dem Glücksritter Herod, dem Pilzelfen Nuix und dem Barbaren Charles, stellen sie sich vielen Gefahren in einer Welt, in der nicht nur der Fortschritt chaotisch ist.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Prolog

Mystar ist eine Welt voller Fantasie. Voller Mythen, tapferer Helden und finsterer Wesen. Im Grunde unterscheidet sich Mystar nur geringfügig von anderen fantastischen Welten, wie man sie in jedem Fantasy-Roman findet. Dies erzürnte Haldar, den Gott der Künste, der Wissenschaften, und der ungedeckten Schuldverschreibungen, denn er war der Meinung, dass seine Welt ein wenig mehr Individualität verdiene.

So entschied er, als erster Gott, die Technologie in eine Fantasy Welt einzubringen. Da er jedoch sehr ungeduldig war und auch nicht der Klügste, beschloss er schlicht und einfach, die technologische Entwicklung sprunghaft einzuführen, und zwar nach dem Zufallsprinzip.

Die Folge war, dass nun hier und dort plötzlich Veränderungen auftraten. Immer in Maßen, nach einem zufälligen Muster, erhielt die Technologie Einzug in die Dörfer und Städte von Mystar. Buchstäblich über Nacht wurden selbst einfachste Alltagsgegenstände zu moderneren Varianten ihrer selbst, meistens sehr zur Verwirrung ihrer Besitzer, denn eine Gebrauchsanweisung gab es nicht mit dazu.

Ein solches Objekt wurde, nach dem Namen des Gottes selbst, als „Haldars Gabe“ bezeichnet, und dementsprechend bewundert, auch wenn ein solches Ereignis nicht immer zum Vorteil der Besitzer war. Manchmal wurde das Schicksal der Menschen dadurch verändert, beeinträchtigt, oder sogar komplett umgekrempelt. So musste zum Beispiel ein Bauer aus dem Süden Lyars seinen Beruf wechseln, da sich sein Bauernhof über Nacht in eine Tankstelle verwandelt hatte, es aber noch kaum Autos gab.

Obwohl solche großen Gaben eher die Ausnahme bildeten, so waren „Haldars Gaben“ an sich recht verbreitet. So ziemlich jeder hatte schon einmal ein solches Ding gesehen oder kannte sogar jemanden, der selbst eines besaß.

Kapitel 1

Astronomische Beobachtungen und irdische Verwicklungen

Armal, Student der finsteren Mächte im vierten Semester, schaute mit sorgenvollem Gesicht auf seinen Meister, Lord Kharatos, Virtuose der dunklen Magie, der Heimtücke und Philatelie. Dieser jedoch starrte unentwegt durch sein Teleskop, mit erstarrter Miene, und leise vor sich hin murmelnd. Vom Fenster seines Turmes aus blickte er hinaus in die Nacht, geduldig, wartend.

Armal räusperte sich: „Meister, seid ihr euch sicher, dass er kommt? Es könnte noch Monate dauern.“ „Schweig still, Armal!“, befahl Lord Kharatos. „Ich weiß, dass er kommt. Ich habe alle astrologischen Daten ausgewertet, die Tarot Karten befragt, und selbst die Innereien deines Hamsters deuteten mir, dass er kommen wird.“

Armal versuchte, etwas zu sagen, aber sein Mund stand weit offen, während er überlegte, was seinem Hamster Purzel zugestoßen war, oder eher, warum sein Meister ihn seziert hatte.

„Äh Meister... “, begann er zögerlich, doch Lord Kharatos unterbrach ihn jäh: „Da ist er, ich wusste es. Die Sterne und die Karten lügen niemals.“ Er justierte einige Rädchen an seinem Teleskop und starrte wieder hinaus in die Nacht. Beiläufig zischte er seinem Lehrling zu: „Rasch Armal, geh hinunter und öffne das Tor!“

Armal rannte die Stufen hinunter, denn er wusste, dass die Zeit knapp war. Würde er es nicht rechtzeitig schaffen, dann würde der von seinem Meister so lang erwartete Besucher vielleicht wieder gehen, und es würde Monate bis zu dessen Wiederkehr dauern. Mit einem Ruck zog Armal das schwere Tor auf und unter Knarren und Ächzen gab der eiserne Torflügel nach.

„Willkommen im Turm der Schatten, mein Meister erwartet sie im Turmzimmer“, ächzte er, während er den Besucher mit einer höflichen Geste einzutreten bedeutete. „Vielen Dank junger Freund“, antwortete dieser und ging schnellen Schrittes die steinernen Stufen des Turmes hinauf.

Oben angekommen, betrat er die Turmkammer, eine Mischung aus Studierzimmer, Sternwarte und Studentenwohnheim. Die Wände waren übersät mit Karten, welche die Bewegung der Sterne und der Planeten zeigten.

Ein Tisch in der Ecke war bis zum Bersten mit Gläsern voll gestellt, die eingelegte Tiere oder Früchte enthielten. Welch‘ dunklem Zweck sie wohl dienten? Aber deshalb war er nicht gekommen. Lord Kharatos begrüßte ihn mit ernster Miene:

„Ich habe lange auf diesen Moment gewartet, viel zu lange.“

Der Besucher hielt seinem ernsten Blick stand und antwortete bedächtig: „Meine Zeit ist knapp, wie ihr wisst, doch auch ich habe mich auf diesen Moment vorbereitet!“ Bei den letzten Worten verengten sich die Pupillen des Besuchers zu engen Schlitzen. „Dann sollten wir jetzt beginnen“, raunte der Lord, und festigte seinen Griff um seinen Zauberstab.

„Wann immer ihr soweit seid“, antwortete der Besucher und ließ seine Fingerknöchel knacken. Armal kam die Treppen hinauf gehastet, keuchend, nach Luft ringend. „Meister ...“, schnaufte er, „Der Besucher ist hier.“

Lord Kharatos und der Besucher warfen Armal einen verwirrten Blick von der Seite zu, doch dann ergriff der Lord wieder das Wort: „Aber dies ist nicht der richtige Ort. Armal, bereite das Sanktum vor, der Zeitpunkt ist gekommen.“

„Ja Meister“, bestätigte Armal immer noch keuchend, während er die Treppe wieder hinunter stolperte. „Ich sollte endlich das Rauchen aufgeben“, dachte er bei sich. Lord Kharatos und der mysteriöse Besucher folgten ihm gemächlichen Schrittes die Treppe hinunter, sichtlich angespannt, wie die Adern auf ihrer Stirn verrieten.

Nach vielen Stufen und einem halben Liter Adrenalin erreichten sie das Sanktum. Ein Gewölbe wie aus Stein gemeißelt. Die Inneneinrichtung zeugte von Geschmack und einem prallen Bankkonto. Eine gemütliche, knallgelbe Couch, synthetische Tigerfelle auf dem Boden, eine Dolby-Surround-Anlage mit Highend-Boxen, sowie ein Couchtisch mit eingebautem Kühlschrank und Minibar. Dominiert wurde der Raum jedoch von einer 100 Zoll großen, flachen Kristallkugel, die nur wenige Meter von dem Sofa entfernt auf einem steinernen Podest ruhte. „Also an die Arbeit“, befahl Lord Kharatos und deutete mit seinem Stab auf die Kristallkugel. Der Besucher ging zielstrebig auf die Kugel zu und zog eine lederne Tasche unter seinem Mantel hervor. Er öffnete sie und suchte einige seltsam anmutende Gegenstände heraus, dann machte er sich an die Arbeit. Zufrieden beobachtete Lord Kharatos die eigentümlichen Gesten des Besuchers und nach nur knapp zehn Minuten wandte sich dieser dem Lord zu: „Es ist vollbracht, Lord Kharatos. Vierzig Kanäle, sechzehn Themengebiete, Pay-TV und Werbeblocker.“

„Ausgezeichnet!“, frohlockte der Lord. „Die Zeit des Wartens hat sich gelohnt. Nun freue ich mich auf einen unterhaltsamen Abend. Armal, geleite unseren Besucher zur Tür, ich muss Vorbereitungen treffen.“

„Dann viel Spaß noch, Lord Kharatos, und vergessen sie nicht, ihre Garantiekarte auszufüllen“, verabschiedete sich der Besucher und ging hinaus, begleitet von Armal, der nun, sichtlich erleichtert, aber immer noch schwer atmend, hinterher stolperte.

Lord Kharatos machte es sich nun auf seiner Couch bequem. Er ergriff eines seiner edlen Kristallgläser aus der Elvis-Kollektion (limitierte Fassung) und füllte es bis zum Rand mit gut gekühltem Bier. Dann suchte er einige Süßspeisen und eine große Tüte geröstete Fußnägel aus seiner Minibar und stellte sie links und rechts auf den Couchtisch. Er lehnte sich zurück und legte die Füße auf den Tisch, wodurch seine Hausschuhe in Form von Bärentatzen sichtbar wurden, die sonst von seiner langen, wallenden Robe verdeckt wurden. Mit einer beiläufigen Geste verschmolz er die Fernbedienung mit seinem Zauberstab und schaltete auf den Fantasy-Kanal.

„Nun“, dachte er bei sich, „Wer jeden Tag hart arbeitet und böse Taten vollbringt, der darf es sich auch ruhig einmal so richtig gemütlich machen.“

Majestätisch und lautlos glitt der Adler durch die Lüfte. Die Landschaft unter ihm schien wie ein Bild von Monet, leicht unscharf aber voller leuchtender Farben. Der Wind streichelte seine Schwungfedern und brachte Töne von weither mit sich, fremde Melodien, wie aus einer anderen Zeit, oder vom Ende der Welt selbst. Seine scharfen Augen musterten die Gestalten, die unter ihm zurückblieben, wenn er vorüberflog, und die immer kleiner wurden, bis sie in der Ferne verschwanden. Frei und ohne Sorgen, ein Günstling des Herrn der Winde, immerwährend würde er seine Bahnen ziehen, als König der Lüfte.

„Zapp!“ Ein platschendes Geräusch durchbrach die Stille, als der Adler zu Boden fiel, getroffen, seiner Anmut beraubt. Herod wirbelte herum und fing den stürzenden Adler mit seiner Pfanne auf. „Guter Schuss, Nuix“, sagte er beiläufig, und Nuix antwortete lächelnd: „Gut aufgefangen, mein Freund."

Nuix und Herod waren alte Freunde, sie hatten sich vor zehn Jahren bei einem Treffen der „Anonymen Alkoholiker“ kennengelernt. Herod war ein Mensch: blond, blauäugig, groß gewachsen und kräftig, ein Held wie er im Buche steht. Er war ein Glücksritter, immer auf der Suche nach Gold und Ruhm.

Nuix dagegen war ein Elf aus den Pilzwäldern des Südens. Er war kleiner als Herod, nur etwa anderthalb Meter groß und sehr schlank. Seine Gesichtszüge waren ebenmäßig und filigran und seine Ohren waren gerade so spitz, wie es die Geschichte verlangt.

Er setzte sich an das Lagerfeuer und legte seinen Bogen beiseite. Herod nahm ebenfalls Platz und wendete den Adler in der Pfanne. Sie waren schon seit Tagen unterwegs und dieser andauernde Tankstellenfraß war ihnen zuwider. Da passte es gut, dass mal wieder etwas Frisches auf den Tisch kam, wenn sie denn einen gehabt hätten.

„In zwei Tagen sollten wir Andala erreichen“, nuschelte Nuix mit vollem Mund, während er mit einer knusprig gebratenen Adlerkeule gestikulierte. Herod nickte und warf einen abgenagten Knochen hinter sich. „Es wird mal wieder Zeit, etwas Geld zu verdienen“, sagte er. „Ich habe gehört, das Andala des Öfteren von Drachen heimgesucht wird“, warf Nuix ein. „Vielleicht können wir denen etwas aus dem Kreuz leiern.“

Herod warf ihm eine Dose aus der Kühlbox zu. „Warten wir erst mal ab“, sagte er. Sie packten ihre Sachen zusammen, löschten das Feuer, und machten sich wieder auf den Weg.

Kapitel 2

Das Gute, das Böse, und das hässliche dazwischen

Tarus, der Streiter des Lichtes, hob sein gleißendes Runenschwert in den Himmel und stieß einen gellenden Schrei aus. Seine Augen funkelten beinahe so sehr wie seine Rüstung aus purem Zwergengold. Rataxis, der Bote der Zerstörung, schickte immer neue Wellen seiner dunklen Diener gegen ihn aus. Verborgen in einer Wolke der Finsternis, harrte er darauf, dass Tarus irgendwann Schwäche zeigen würde.

Schon kam die nächste Angriffswelle. Etwa ein Dutzend schattenhafter Kreaturen, mit Reißzähnen und schweren Äxten bewaffnet. Geifernd und brüllend, stürmten sie auf Tarus zu. Er schnaufte schwer, lange würde er sie nicht mehr abwehren können. Er führte einige schnelle Schläge mit seinem Schwert und von seinen Angreifern blieben nur blutige Klumpen übrig. „Rataxis du Feigling!“, brüllte er, „Stell dich der Herausforderung und kämpfe gegen mich!“

Rataxis grinste in sich hinein. Seine dämonische Fratze war jedoch gut unter seinem pechschwarzen Kapuzenmantel versteckt, so das Tarus diese nicht sehen konnte. Die dunkle Wolke, die ihn umgab, tat ihr Übriges und mehrte seine Macht mit jeder Sekunde. Nur Tarus konnte ihn jetzt noch aufhalten, so mächtig war er geworden, doch das Licht fürchtete er noch immer.

„Sterblicher Mensch!“, zischte er. „Du bist mir nicht gewachsen. Fliehe, solange du noch kannst. Gegen meine Magie kannst du nicht kämpfen!“ Mit den letzten Worten schleuderte er Tarus eine Kugel aus schwarzem Feuer entgegen. Dieser hielt sein Schild schützend vor sich und die Flammen perlten davon ab, wie Wasser von einem Stein. Rataxis hielt erstaunt inne. „Asbestbeschichtung!“, höhnte Tarus. „Mit Feuer kommst du hier nicht weiter!“

Tarus umklammerte sein Schwert fester, nun musste er handeln. Er lief auf Rataxis zu, der ein Dutzend Schritte von ihm entfernt über dem Boden schwebte. „Für das Licht von Rhudar!“, schrie er und stürmte wild entschlossen auf Rataxis zu. Dieser hob sein schwarzes Schwert der Finsternis und ihre Klingen prallten klirrend zusammen. Mit einer schnellen Ausweichbewegung wich Tarus zur Seite aus und führte einen Hieb gegen Rataxis‘ Arm.

Die Klinge glitt durch die Knochen des Boten der Zerstörung, doch es schien diesen nicht zu beeindrucken. „Unwissender sterblicher!“, raunte Rataxis. „Was Tod ist, kann nicht getötet werden. Was unsterblich ist, kann niemals sterben!“

Ihre Klingen prallten abermals gegeneinander. Tarus spürte, wie die dunkle Magie des Boten seine Kräfte langsam verzehrte. Er würde sich beeilen müssen, wenn er diesen Kampf noch für sich entscheiden wollte. Rataxis‘ Klinge glühte blutrot, als sie sich in Tarus‘ Oberschenkel bohrte. Er zuckte zusammen. Der Schmerz ließ ihn für einen Augenblick unaufmerksam werden und Rataxis‘ Faust schmetterte gegen seinen Kiefer. Tarus taumelte und ging zu Boden. „Jämmerlich!“, höhnte Rataxis. „Sieh nur, wie schwach du bist. Und du wolltest mich herausfordern?“

Er lachte heiser und trat Tarus in die Nieren. Er spürte den Schmerz, den ihm die verfluchte Klinge zugefügt hatte, und sah nun, das Rataxis bereits über ihm stand. Schwarze Flammen züngelten aus Rataxis‘ knochigen Fingerspitzen und schlängelten sich um Tarus‘ Brust. Der Schmerz überwältigte ihn und das höhnische Lachen des Boten erschallte in seinen Ohren.

Sein Bewusstsein begann zu schwinden und seine Sicht vernebelte sich, aber noch war er nicht geschlagen. Mit einem Ruck setzte er sich auf und bohrte seine Klinge in Rataxis‘ Brust. „Für das Licht und die Ehre!“, keuchte Tarus unter Schmerzen. Der Bote der Zerstörung kreischte mit unmenschlicher Stimme und das schwarze Feuer, das ihn umgab, schwand dahin wie der Morgennebel. Er ließ sein Schwert fallen und eine Stichflamme aus grünlich-schwarze Flammen verzehrte seinen Torso.

Dann war es vorbei. Tarus stand langsam auf und stütze sich auf sein Schwert. „Ich habe es geschafft“, dachte er bei sich. Aber es war knapp gewesen. Die Kraft des Lichtes hatte gesiegt und das Böse war vernichtet worden. Langsam humpelnd, verschwand Tarus im Sonnenuntergang.

„Zapp!“ Wütend schaltete Lord Kharatos seine Kristallkugel aus. Warum musste jeder Film stets mit einem absoluten Klischee enden? Warum gewinnt der Gute immer, obwohl das Böse so viel mächtiger ist? Oder lag es an dem Kasten Bier, dessen leere Flaschen zu seinen Füßen verstreut lagen? Ja, wäre es ein Boxkampf gewesen, dann würden Untersuchungen und Dopingtests folgen, wenn der eindeutig unterlegene Boxer auf eine solche Art und Weise gewinnt. Durch einen Glückstreffer, anders konnte er es nicht erklären. Aber dies war nur Fernsehen. Das wirkliche Leben, so war er sich sicher, würde anders aussehen. Er lehnte sich zurück und ging im Geiste seine Schandtaten durch. Er hatte schon viel Böses vollbracht, aber war auch etwas wirklich Großes dabei gewesen? Er grübelte und grübelte, aber es wollte ihm nichts einfallen.

Er setzte sich ruckartig auf. Könnte es wahr sein? Die Erkenntnis traf ihn wie ein Blitz. Er war schon weit über vierzig, aber er hatte noch keine weltbewegende Böse Tat vollbracht. Zweifel überkamen ihn. Er sprang auf und dachte bei sich: „Ich werde mir etwas so Böses und unglaubliches finsteres ausdenken, dass mein Name die Menschen für alle Zeiten in Angst und Schrecken versetzen wird.“ Er wusste zwar noch nicht genau wie, aber ihm würde sicherlich etwas einfallen. Doch jetzt war es Zeit für ihn, schlafen zu gehen. Er ging zu Bett und schlief den Schlaf der Ungerechten.

Kapitel 3

Ein finsterer Plan und sonnige Gemüter

Am nächsten Morgen stand Lord Kharatos bereits bei Sonnenaufgang auf, obwohl er letzte Nacht viel Bier und Nachos verspeist hatte. Er zwängte sich in seinen Morgenmantel, schlüpfte in seine Bärenpantoffeln, und wankte zum Fenster. Die aufgehende Sonne stach ihm direkt ins Gesicht. Dann überkam es ihn. „Die Sonne!“, dachte er bei sich, „Das ist es!“

Er würde den Menschen die Sonne nehmen, das Tageslicht. Eine Welt voller Finsternis würde ihm als ewiges Denkmal gereichen. „Armal!“, rief er. „Armal, komm her!“

Schnellen Schrittes eilte Armal herbei. Auch er trug noch seinen Morgenmantel. „Hier bin ich, Meister“, sagte er gähnend und verbeugte sich demütig. „Ich habe die Eichhörnchen noch nicht vergiftet, aber ich werde es direkt nach dem Frühstück tun, Ehrenwort.“

„Das ist es nicht, Armal“, entgegnete der Lord. „Hier geht es um mehr als das. Sieh aus dem Fenster und sage mir, was du siehst.“ Armal schaute aus dem Fenster, blinzelnd, und blickte dann zu seinem Meister. „Ich verstehe nicht, Meister“, sagte er. „Ich werde das Licht von Mystar verbannen“, klärte ihn der Lord auf. „Auf Armal, das Frühstück muss warten, wir haben viel zu tun.“

Die Sonne schien auf Herod und Nuix, während sie auf der staubigen Straße nach Andala unterwegs waren. Sie gingen schon seit einigen Stunden, aber die Sonne machte sie fröhlich und sie flachsten über alte Abenteuer.

„Weißt du noch“, fragte Nuix kichernd, „Als wir die Jungfrau vor dem Drachen gerettet haben?“ „Oh ja!“, prustete Herod los. „Und anschließend haben wir sie auf dem Marktplatz an den Meistbietenden verkauft.“ „Die Stadtwachen haben uns durch die ganze Stadt gejagt, aber das war es Wert!“, grölte Nuix.

„Warst du schon mal in Andala?“, fragte Herod und wischte sich die Tränen aus den Augen. „Nur einmal", antwortete Nuix.

„Aber ich habe viel über Andala im Reiseführer gelesen.“ „Was ist das für eine Stadt? Was erwartet uns dort?“, fragte Herod neugierig. „Na ja, es ist eine Großstadt wie jede andere“, erklärte Nuix. „Aber die Kneipen dort sind über die Stadtgrenzen hinaus bekannt. Du weißt schon: Import-Bier, regelmäßige Prügeleien, Glücksspiel, und die schönsten Frauen weit und breit.“

Herod lächelte. Ein bisschen Abwechslung vom Trott des Alltags käme ihm gerade recht, wenn nur sein Geldbeutel nicht so gähnend leer wäre.

Sie erreichten eine Weggabelung mit einem klapprigen Wegweiser. „Nach Andala“ stand auf dem hölzernen Pfeil, der nach Norden zeigte. Der andere deutete nach Westen und führte direkt in einen Wald. „Zum lustigen Zecher“ stand dort geschrieben. Die beiden blieben stehen und betrachteten die Schilder aufmerksam.

„Wir könnten einen kleinen Umweg machen und im Wirtshaus einkehren“, schlug Herod vor. „Eine Spitzen-Idee“, entgegnete Nuix. „Ich könnte einen ordentlichen Schluck vertragen.“ „Außerdem springt vielleicht eine zünftige Rauferei dabei heraus“, fügte Herod hinzu und er grinste wie ein Franzose an einer „All-you-can-eat“ Bar. „Dann ist es beschlossen mein Freund. Auf zur feuchtfröhlichen Einkehr“, bekräftigte Nuix und versetzte Herod einen freundschaftlichen Klaps auf die Schulter. Sie beschleunigten ihre Schritte und schon eine halbe Stunde später saßen sie bereits im Wirtshaus „Zum lustigen Zecher“.

Nachdem sie sich einen Tisch ausgesucht und die dort sitzenden Gäste zur Tür hinaus „geleitet“ hatten, riefen sie den Wirt und ließen sich etwas Hochprozentiges kommen. „Heda, Herr Wirt!“, rief Herod quer durch die Taverne. „Schenke er nach, wenn’s beliebt!“ Der Wirt eilte herbei und nahm die Bestellung der beiden aufmerksam entgegen, so als würden sie nicht schon seit einer knappen Stunde alle fünf Minuten das Gleiche bestellen. „Und bringe er uns auch etwas Warmes für unsere Mägen, aber hurtig!“, fügte Nuix hinzu. Da ihre Becher leer waren und die beiden ziemlich gelangweilt, nutzten sie die Gelegenheit, sich ein wenig in der Taverne umzusehen.

Es war eine üble Spelunke, voller Halsabschneider, Halunken, und Strolche. Und die anderen Gäste waren auch nicht besser. Hier würden sie kaum etwas verdienen können, aber vielleicht könnten sie einem der anwesenden ein wenig Geld aus dem Kreuz leiern.

„Wir könnten mit einigen dieser Leute Lokcha spielen“, schlug Nuix vor. „Warum eigentlich nicht“, stimmte Herod ihm zu. Minuten später saßen sie mit einem halben Dutzend zwielichtiger Gestalten, denen man nicht im dunklen Begegnen möchte, um einen Lokcha-Tisch herum, und Herod teilte die Karten aus. Lokcha war ein Spiel, das dem irdischen Poker sehr ähnlich ist, auch was die Regeln betrifft. Meistens gewann jedoch derjenige, der die meisten schlagkräftigen Freunde in Rufweite hatte.

Aus Gründen des Verständnisses wird das nun folgende Spiel in zwei verschiedene Absätze unterteilt. Der erste Absatz, liebe Leser, ist denjenigen unter ihnen gewidmet, die sich ein wenig mit Lokcha oder Poker auskennen. Der zweite Absatz dagegen, ist für diejenigen unter ihnen, die keine Ahnung von derlei Spielen haben.

Absatz eins, Lokcha Spiel, dritte Setzrunde, Five Card Stud, Small Blind und Big Blind.

Herod musste passen, vier der Halunken ebenso. Nuix hat drei Damen, einen König und eine (schwarzherz-) sieben auf der Hand. Der Halunke rechts von Nuix beginnt mit einem Einsatz von 20 Kronen, Nuix hält und erhöht um 20. Der Schurke links von Herod passt. Nuix wirft seine Sieben ab: „Eine neue Karte bitte!“ Nuix erhält einen weiteren König und erhöht seinen Einsatz auf 80 Kronen. Der Halunke geht mit und will sehen. Nuix legt seine Karten auf den Tisch. „Full House!“, ruft Nuix triumphierend. Der Halunke legt seine Karten ebenfalls offen und zischt mit zusammengebissenen Zähnen: „Nur ein Drilling, verdammter Mist!“

„Kommt zu Papa!“, frohlockt Nuix und streicht seinen Gewinn ein. Dann zahlt er den Big Blind für die nächste Runde.

Absatz zwei, ein Lokcha-Spiel mit vielen bunten Karten, und einigen hölzernen Chips.

Nuix hat fünf Karten auf der Hand, eine zeigt eine dunkle Sieben, die anderen Bilder von Königen oder so. Nuix und einer der Schurken legen hölzerne Chips in die Mitte des Tisches, der andere wirft seine Karten fort und beißt in die Tischkante. Nuix wirft seine Sieben ab: „Eine neue Karte, bitte!“ Nuix bekommt eine Karte mit einem König darauf und schiebt weitere Chips in die Tischmitte. Der Halunke legt daraufhin ebenfalls eine Menge Chips in die Tischmitte und sagt: „Lass uns nun die Ergebnisse unserer Karten vergleichen, wer denn nun gewonnen hat.“

Beide legen ihre Karten offen auf den Tisch und Nuix gewinnt, weil seine Karten besser sind, als die des Halunken. Nuix nimmt alle Chips aus der Tischmitte an sich, legt aber einen wieder dorthin zurück. Vielleicht die großzügige Geste eines Siegers?

So in etwa vergingen die nächsten zwei Stunden und Herod und Nuix füllten ihre Taschen bis zum Bersten mit kleinen, unmarkierten Münzen. Zudem hatte Nuix einem der Halunken seine Rolex abgenommen und die beiden waren sichtlich zufrieden. Die Halunken trollten sich zähneknirschend, aber ohne Größeres aufheben von dannen. Sie wankten die Treppen hinauf zu ihrem Zimmer, das sie sich nun locker leisten konnten. Auch wenn die Beschreibung „Zimmer“ wohl etwas beschönigt war. Ein winziger Raum mit hölzernen Pritschen und Strohmatten, der aussah, wie eine entmilitarisierte Zone und zwei Dutzend Kakerlaken als Empfangskomitee.

Während Nuix sich um diese Plage kümmerte, hielt sich Herod die Wange. Möglicherweise hatte die Bedienung seinen Satz: „Heda, holde Maid, möchtest du dir etwas Trinkgeld dazu verdienen?“, falsch verstanden und jetzt zierte ein dunkelroter Handabdruck sein Gesicht. „Morgen werden wir nach Andala gehen", seufzte Herod. Nuix nickte ihm zu und löschte das Licht.

Lord Kharatos verbrachte den Tag mit dem Studium uralter Schriftrollen, arkaner Folianten und verbotener Bücher. Zwischendurch warf er einen Blick in die September-Ausgabe des „Penthouse“, nur um sich erneut seinen Studien zu widmen. Armal assistierte ihm, schleppte tonnenweise Bücher und Folianten hin und her, platzierte sie auf dem Studiertisch seines Meisters, oder sortierte sie wieder in die schrankgroßen Regale ein.

„Meister“, röchelte Armal, “Kann ich jetzt eine Raucherpause machen?“ „Geh nur“, raunte der Lord abfällig, “Aber denke immer daran: Die Dunkelheit sollte in deinem Geist und deinem Herzen sein, nicht in deiner Lunge.“

„Ich werde es mir merken, Meister“, antwortete Armal unterwürfig und torkelte die Treppen hinunter. Der Lord wanderte mit dem Zeigefinger seiner linken Hand über die vergilbten Schriften des Buches, das nun offen vor ihm lag, während er sich mit der anderen Hand durch seinen weißen Bart strich. „Das ist es“, murmelte er gedankenverloren vor sich hin. „So könnte es gehen.“ Er klemmte sich das Buch unter den Arm, ergriff mit der freien Hand seinen Zauberstab, und eilte in die Kammer der Beschwörung. Dort angekommen, legte er das Buch auf einen schweren, eisernen Buchständer, und stellte sich vor ein in den steinernen Boden eingelassenes Pentagramm. „Armal!“, rief er, als er seinen Lehrling die Treppe herauf trotten hörte. „Bringe mir mein Beschwörungsgewand und die Ingredienzien für eine dämonische Anrufung!“

Armal seufzte. Die andauernde Lauferei und das Schleppen schwerer Gegenstände, stand nicht in der Broschüre der schwarzen Zunft, aber so wie es aussah, hatte er nicht die Wahl.

„Ja Meister, sofort!“, bestätigte er, während er in die Turmspitze hinauf spurtete. Der Lord bereitete sich derweil auf die Anrufung vor. Er versprühte seltsame Düfte in der Kammer, zupfte seine Haare zurecht, und murmelte finstere Verse, die ich aus Gründen des Jugendschutzes hier nicht nennen kann. Als Armal die Kammer betrat, legte er seinem Meister die geforderten Ingredienzien buchstäblich zu Füßen.

Der Lord zog sein Beschwörungsgewand an und platzierte einige obskure Gegenstände in und um das Pentagramm herum.

„Sieh genau zu, Armal!“, befahl er. „Eine Beschwörung solchen Ausmaßes wirst du nicht mehr oft zu Gesicht bekommen.“

Armal nickte stumm und schaute gebannt auf seinen Meister. Der Lord riss die Hände ruckartig in die Höhe und grünliche Flammen loderten aus dem Pentagramm hervor. Sein Zauberstab glühte und dass Gewimmer gepeinigter Seelen war zu vernehmen. Manche der Stimmen schienen Armal seltsam vertraut, der mit offenem Mund auf die Flammen starrte. Vielleicht war es auch nur Einbildung, aber er schien nun zu ahnen, warum der Postbote nicht mehr kam. Groß war die Macht seines Meisters, dachte er bei sich. Die Stimme des Lords erschallte in der Kammer:

„Erscheine Rhakhorzim, Knechter der Seelen, Geißel der Sterblichen, Anwalt der finsteren Sphäre. Offenbare dich mir!“ Die Flammen zuckten, dann wurde es totenstill in der Kammer. Eine unnatürliche Kälte kroch Armal ins Gebein und sein Atem gefror. Starr und tiefgefroren erwartete er das Erscheinen des Dämons, das nun unmittelbar bevorstand. Eine rötliche Schwefelwolke innerhalb des Pentagrammes kündigte sein Erscheinen an.

Dann war es so weit. Eine rötliche Gestalt, knappe zwei Meter groß, mit Hörnern und Klauen bewehrt. Schwefelgestank füllte die Kammer und Armal wurde ganz anders zumute. Der Dämon trug einen Maßanzug und eine geschmacklose Seidenkrawatte, polierte Schuhe und eine versilberte Nickelbrille. „Wer wagt es, mich zu rufen?“, fragte er mit donnernder Stimme.

„Welch sterbliches Wesen riskiert seine Seele, mich zu bemühen?“ „Ich bin es, Rhakhorzim!“, erwiderte der Lord, „Ich, Lord Kharatos, Meister der dunklen Künste, benötige deine Dienste.“ „Nun, Lord Kharatos, meine Dienste sind nicht billig, und ich akzeptiere nur Seelen, Blut oder Kreditkarte als Bezahlung“, entgegnete ihm der Dämon. „Ich möchte, dass du mich als Anwalt vertrittst, in einem spektakulären Prozess, der deine ganze Aufmerksamkeit erfordert“, eröffnete ihm der Lord. „Nun denn, worum geht es?“, fragte der Dämon mit Grabesstimme. „Ich werde Ansul auf Unterlassung verklagen“, ereiferte sich der Lord. „Ansul, den Gott der Sonne, auf das kein Sonnenstrahl mehr auf Mystar fällt.“ „Klingt interessant“, entgegnete der Dämon, „Aber dies wird nicht einfach sein.“

„Sag mir, was du benötigst, Dämon, und ich werde es dir beschaffen!“, offerierte ihm der Lord. Armal unterdessen versuchte, sich möglichst unauffällig in Hintergrund zu halten, falls der Dämon ein Menschenopfer fordern sollte. Dies gestaltete sich umso schwieriger, da seine noch immer angefrorenen Gelenke knackende Geräusche von sich gaben. „Für einen solchen Fall benötige ich die Gesetzessammlung von Ulthar“, sagte der Dämon nachdenklich. „Mit diesem Wissen und den gesammelten Präzedenzfällen von Jahrhunderten, könnte es mir gelingen“ „So sei es, Dämon!“, rief der Lord aus. „Ich werde diese Schriften besorgen und der Preis wird der Eure sein.“

Der Dämon griff in seine Anzugtasche und überreichte Lord Kharatos eine kleine, glühende Karte. „Meine Visitenkarte“, erläuterte er. „Ruft mich, wenn ihr die Schriften habt.“ Dann verschwand er, wie er gekommen war, mit Feuer und Schwefel.

Kapitel 4

Zwei Reisen woanders hin

Herod und Nuix wanderten wieder auf der Straße nach Andala. Die letzte Nacht hatte sie ein wenig geschlaucht und der Alkohol und ihre vollen Taschen trugen dazu bei, dass sie sich mühsamer dahinschleppten, als am Tage zuvor.

Der Himmel war leicht bewölkt und die Landschaft um sie herum, obwohl ländlich und malerisch, vermochte ihre Laune nur bedingt zu steigern. Herod brach das Schweigen: „Sag mal Nuix, alter Freund, ist es noch weit?“ „Nicht so laut, mein Kopf dröhnt wie ein Bienenschwarm“, knurrte Nuix mit heiserer Stimme. „Es kann nicht mehr weit sein. Sieh doch, dort ist das südliche Stadttor von Andala!“ Und tatsächlich: Hinter der letzten Biegung des Flusses erhob sich die Stadt Andala, mit ihrem vorgelagerten, südlichen Stadttor. Sie musterten aufmerksam die Stadtwachen, die das Tor bewachten. Kerzengerade standen sie dort, ihre Waffen und Rüstungen poliert, ihre Fahnen flatterten im Wind. Ihre Wappenröcke trugen das Wappen der Stadt. Einen silbernen Flaschenöffner auf grünem Grund. „Haaaaaalt!“, riefen die Wachen unisono, als die beiden sich dem Tor näherten, und kreuzten ihre Hellebarden. „Wir haben Befehl, nur ehrbare Bürger und Sauftouristen einzulassen!“ „Nicht so laut“, brummte Herod. „Aber wir sind Sauftouristen und wir haben schon den Umsatz ganzer Königreiche angekurbelt“, ergänzte Nuix. „Nun denn Fremde, tretet ein!“, riefen die Wachen und gaben den Weg frei, beäugten die beiden jedoch misstrauisch.

Die Stadt war eine mittelalterlich anmutende Großstadt. Kauzige Häuser zierten die meisten Straßenverläufe und überall schoben sich Menschenmassen verschiedenster Sorten durch die stinkenden, überfüllten Straßen. Bauern, Handwerker, Gelehrte, Kleriker und Adel, alle Gesellschaftsschichten waren vertreten. Jedoch, auf den zweiten Blick fiel Herod etwas auf: Wo waren die Frauen? „Hör mal Nuix“, begann Herod, „Siehst du hier irgendwo Frauen?“ „Scharf beobachtet“, antwortete Nuix. „Ich hoffe doch, dies spiegelt nicht die Gesinnung der Stadtbevölkerung wider.“

„Heda, Bursche!“, rief er einen Jungen, der gerade im Begriff war, seinen Geldbeutel zu klauen. „Sag mal, wo sind denn die ganzen Frauen?“ Der Junge antwortete mit zitternder Stimme, während Herod den Klammergriff um dessen Arm löste: „Die sind verschwunden. Im Wald der großen Erwartungen.“

Herod ließ ihn los und warf einen kurzen Blick auf den Arm des Jungen, der nun dunkelrot angeschwollen war. „Interessant“, stellte Nuix fest. „Denkst du, was ich denke, Herod, alter Freund?“ „Möglicherweise“, grübelte Herod halblaut vor sich hin. „Ein Rippchen Wettessen und der Verlierer bezahlt?“

„Ja, dass auch“, antwortete Nuix leicht verunsichert. „Aber ich meinte die Frauen. Wenn wir sie finden, könnte ein stolzes Sümmchen Geld dabei herausspringen.“

„Ja, und wir könnten direkt einen guten Eindruck bei den Ladys hinterlassen“, ergänzte Herod. Sie ließen den Jungen laufen und eilten schnellen Fußes in Richtung Rathaus. Dort angekommen, mussten sie sich wieder mit einigen Wachen auseinandersetzen. Nach einigen kurzen Erläuterungen und vielen Treppen, wurden sie zum Bürgermeister vorgelassen. Da sie gebeten wurden, auf den Bürgermeister zu warten, nutzen sie die Zeit, um den Getränkeautomaten in dessen Büro zu plündern. Dann setzten sie sich auf zwei gepolsterte Ledersessel und warteten.

Nach einer knappen Viertelstunde erschien endlich der Bürgermeister, begrüßte die beiden und nahm hinter seinem Schreibtisch Platz. „Nun, Gentlemen“, begann er, „Sie sind also die beiden Helden, die unsere Frauen zu retten gedenken?“ „Ganz genau“, bestätigte Herod. „Wir sind reisende Helden aus den südlichen Ländern. Ich bin Herod und dies ist mein Gefährte Nuix. Wir werden ihre Frauen retten. Natürlich sind wir auf Ruhm und Ehre aus, jedoch würden wir eine kleine Belohnung nicht ausschlagen“, flötete Herod mit heroischer Stimme und stolzgeschwellter Brust.

„Nun denn“, begann der Bürgermeister, „Ich biete euch 1000 Kronen und zwei Jahreskarten für alle Heimspiele der Andala Hawks. Einverstanden?“ Nuix und Herod blickten sich kurz an, dann ergriff Herod das Wort: „Einverstanden, betrachten sie diese Angelegenheit als erledigt.“

Sie verabschiedeten sich und gingen schnurstracks zum nächsten Krämer. Dort kauften sie all jene Dinge, die Helden zur Ausübung ihres Handwerkes benötigen: Seile, Proviant, Wasserschläuche, Verbandszeug, und Ähnliches.

„Ich muss mein Schwert noch nachschleifen lassen“, stellte Herod nach einem prüfenden Blick auf seine Klinge fest.

„Dann gehe ich so lange Pfeile kaufen“, erwiderte Nuix. Während Herod sein Schwert schleifen ließ, betrat Nuix den Laden des örtlichen Pfeilmachers. „Guten Tag“, sagte er freundlich.

„Haben sie panzerbrechende, doppelt geschliffene, zwei Zoll breite Pfeilspitzen, mit stabilisierenden Federn und gezackter Spitze?“ „Äh, da müsste ich mal im Lager nachsehen“, erwiderte der Pfeilmacher stirnrunzelnd und verschwand im hinteren Teil des Gebäudes. Nuix prüfte die Spannung seines Bogens und war der Ansicht, dass er auch eine neue Sehne benötigte.

„Sie haben Glück“, rief ihm der Pfeilmacher freudig entgegen, als er aus dem Lager zurückkehrte. „Wie viele brauchen sie?“

„Ein Dutzend bitte und eine neue Bogensehne“, antwortete Nuix. Der Pfeilmacher übergab Nuix die Pfeile und warf einen fachmännischen Blick auf seinen Bogen: „Was für eine Art von Bogen ist das?“, fragte er. „Ein austarierter, 32er Pilzwood mit Klappmechanismus und Zielvisier“, klärte Nuix ihn auf.

„Ich schau mal, ob ich eine Sehne finde, die wenigstens einigermaßen ihrem Bogen entspricht“, flachste der Pfeilmacher und verschwand wieder in Lager.

Als er zurückkehrte, präsentierte er stolz eine Bogensehne, die in der Tat die richtigen Maße hatte. „30 Kronen bitte“, sagte der Verkäufer. „Hier sind 35 Kronen, kaufen sie sich was Schönes oder lassen sie sich die Haare schneiden“, witzelte Nuix. Zufrieden ging er zum Schmied, um nach Herod zu sehen.

Auch Herod war sichtlich froh. Sein Schwert war frisch geschliffen und poliert und am Knauf hing ein grünes Duftbäumchen. „Wehe denen, die sich uns in den Weg stellen!“, brüllte Herod und hielt sein Schwert gegen die Sonne, dass sich das Licht auf der Klinge spiegelte.

„Und Nuix, sind wir glücklich?“, fragte er mit einem breiten Grinsen. Nuix antwortete lächelnd, während er an seinen neuen Pfeilspitzen herumfingerte: „Oh ja. Wir sind glücklich.“

Sie fragten einige Wachen nach dem Weg und begaben sich dann zum westlichen Stadttor. „Dort hinten liegt der Wald der großen Erwartungen!“, sagte Herod und deutete auf den Horizont. „Dorthin führt uns das Schicksal. Dort werden wir dem Bösen das Fürchten lehren.“ Beschwingten Schrittes, machten sie sich auf den Weg.

„Die Gesetzessammlung von Ulthar“, sinnierte Lord Kharatos vor sich hin. „Gesammelt von Mönchen und Paladinen der alten Königreiche von Ulthar. Das geballte Wissen von Generationen von Anwälten, Richtern und Rechtsgelehrten. Ich muss sie besitzen, wenn mein Plan erfolgreich sein soll.“

„Wo befindet sich diese Sammlung, Meister?“, fragte Armal neugierig. „In den Ruinen der Abtei von Ulthar“, erklärte ihm der Lord. „Dreißig Meilen nordöstlich der heutigen Stadt Zartas.“ Armal schluckte: „Dreißig Meilen nordöstlich von Zartas? Das ist doch Sperrgebiet, oder?“ „Ganz recht“, bestätigte der Lord.

„Das gesamte Areal steht unter Natur- und Denkmalschutz. Eindringlinge werden strengstens bestraft.“

„Aber Meister“, fragte Armal besorgt, „Wer soll dort eindringen, um die Sammlung zu stehlen?“ Der Lord erhob die Stimme, während er wild mit den Händen und seinem Stab gestikulierte: „Meine Macht ist viel größer, als du dir auch nur im Entferntesten vorstellen kannst, Armal. Es wäre ein leichtes für mich, dort einzudringen und die Sammlung zu stehlen. Aber nach einem unangenehmen Vorfall vor vielen Jahren, in meiner ungestümen Jugend, habe ich dort leider Hausverbot. Deshalb wirst DU gehen!“ „Ich?“, entfuhr es Armal. „Aber Meister, meine Macht ist begrenzt und ich bin mitten im Semester.“

„Keine faulen Ausreden, Armal!“, polterte der Lord. „Ich habe dich vieles gelehrt, jetzt kannst du mir deinen Wert beweisen.

Du wirst noch heute aufbrechen.“ „Ja, Meister“, stöhnte Armal. Jetzt hatte er den Salat. Welche finsteren Schrecken würden ihn dort erwarten? Welche Geheimnisse würde er lösen müssen? Welche tödlichen Fallen würden dort auf ihn warten? Sein Gehirn schob Überstunden, während er seinen Koffer packte.

Der Meister hatte ihm neben den üblichen Reise-Utensilien einige spezielle Ausrüstungsgegenstände mitgegeben: ein Ladekabel für seinen Zauberstab, Kleingeld für die Mautstellen und Parkuhren, eine Karte von Zartas und den umliegenden Orten, sowie ein Buch voller Zaubersprüche. Zudem hatte der Lord, in einem Anfall von Gutmütigkeit, Armals Hamster Purzel wiederbelebt, damit Armal auf seiner Reise nicht so allein wäre. „Enttäusche mich nicht!“, befahl der Lord, als er Armal am Tor verabschiedete, und winkte ihm mit seinem schwarzen Taschentuch nach.

Armal trottete bedächtig fort, während die Skyline der dunklen Zitadelle langsam hinter ihm verschwand. Als er die Hauptstraße erreichte, bog er nach Süden, und sehnte sich bereits nach seinem gemütlichen Bett. Zumindest, so dachte er, könnte er nun in Ruhe rauchen, ohne dass sein Meister ihm irgendwelche Predigten über die Dunkelheit in seiner Lunge halten würde. Er streichelte Purzel, seinen Hamster, den er in einem Tragebeutel mit sich führte. „Wenigstens war er nicht allein unterwegs“, dachte er bei sich, obwohl sich Purzel ein wenig verändert hatte. Er war nun größer, roch ein wenig strenger als üblich, und hatte auf der kurzen Reise bereits zwei Wölfe gefressen. Aus dem fröhlichen fiepen war ein Grunzen und knurren geworden und seine Augen glitzerten grünlich und leer.

Kapitel 5

Große Erwartungen und allgemeine Planlosigkeit

Herod und Nuix standen vor dem Saum des Waldes der großen Erwartungen. Sie spähten in das dunkle Dickicht aus Bäumen, die so alt waren, wie die Welt selbst. Irgendwo in diesem finsteren Forst musste etwas Grässliches auf sie lauern. Viele Frauen von Andala waren in diesem Wald verschwunden, um nie wieder zu kehren. Vielleicht ein Drache, ein böser Zauberer, oder eine Bande von Sklavenfängern? Aber es gab nur einen Weg, um es herauszufinden. Herod ging voran, seinen Blick immer noch auf die Finsternis des Waldes gerichtet, sein Schwert fest umklammert. Nuix schlich hinter ihm her, seinen Bogen hielt er schussbereit in den Händen, und versuchte den Rückweg im Auge zu behalten.

Der Waldboden knirschte unter ihren Füßen, während sie langsam voranschritten, und um sie herum vernahmen sie Geräusche, wie das Flüstern des Windes, das Rascheln der Blätter, und das Raunen der Bäume. Der Waldweg, der diesen Namen kaum verdiente, führte sie an eine steinerne Bogenbrücke, unter dem ein kleiner Bach lieblich vor sich dahinplätscherte. Als sie gerade im Begriff waren, die Brücke zu betreten, schoss plötzlich eine dunkle Gestalt unter dieser hervor und postierte sich drohend vor den beiden. Es war ein Troll, eine Kreatur des Waldes, hässlich wie die Nacht und mit mordlüsternen Augen. Er überragte die beiden um mindestens zwei Köpfe und Schaum stand vor seinem Mund. Herod und Nuix machten einen Satz nach hinten und machten sich verteidigungsbereit.

„Fremdlinge!“, krächzte der Troll, „Niemand darf hier passieren, der nicht drei meiner Rätsel zu lösen vermag.“ „Und wenn wir deine Rätsel nicht lösen können?“, fragte Herod. „Und wenn wir einfach um die Brücke herum gehen?“, fragte Nuix. „Dann, ihr unwürdigen, werde ich euch das Fleisch von den Knochen nagen!“, höhnte der Troll und schwang seine stachelbewehrte Keule. „Nun gut, nenne uns dein erstes Rätsel!“, forderte Herod. „Also gut“, begann der Troll. „Was läuft zu Beginn seines Lebens auf vier Beinen, in der Mitte seines Lebens auf zwei Beinen, und gegen Ende seines Lebens auf drei Beinen?“

„Bei Haldar!“, rief Herod aus. „Das ist doch das älteste Rätsel der Welt. Das kommt in jedem billigen Roman vor. Es handelt sich natürlich um den Menschen!“

„Na ja, ich bin hier draußen ziemlich isoliert und höre nicht oft neue Rätsel“, antwortete der Troll beschämt. „Also gut, dann das nächste Rätsel“, fuhr der Troll fort. „Welches Team hält den Rekord für die meisten Touchdowns innerhalb einer Saison?“

„Tja, ich würde sagen, die Lhun Paladins“, sagte Nuix breit grinsend. „Richtig“, knirschte der Troll mit zusammengebissenen Zähnen. „Ich habe auf der Elfen Hochschule Football gespielt“, klärte Nuix den Troll auf. „Die letzte Frage!“, donnerte der Troll. „Wie hoch war das durchschnittliche Bruttoinlandsprodukt der östlichen Königreiche in den letzten sieben Jahren?“

Herod und Nuix blickten sich fragend an und Herod nickte kaum wahrnehmbar. Beide reagierten blitzschnell. Nuix schoss dem Troll zwei Pfeile in den Hals, während Herod ihm in den Unterleib trat, und ihm anschließend den Kopf vom Rumpf trennte. „Schwätzer!“, sagte Herod abwertend und spuckte auf den Kadaver des Trolls. „Welcher irre denkt sich solche Fragen aus?“, fragte Nuix, während er fragend in den Himmel hinauf blickte. Anschließend passierten sie die Brücke, während sie den Kopf des Trolls zum Zeitvertreib hin und her kickten.

Die Anspannung war von ihnen gewichen, obwohl sie noch immer aufmerksam die Umgebung beobachteten. „Der Wald der großen Erwartungen“, sinnierte Herod. „Irgendwie hatte ich mehr erwartet.“

Während der nächsten Stunde kamen sie gut voran, doch sie wurden zunehmend nervöser, da sie der Meinung waren, sie kämen zu gut voran. „Lass uns eine Pause einlegen“, schlug Nuix vor. „Einverstanden“, antwortete Herod, und ließ seinen Rucksack zu Boden fallen. Sie setzten sich auf den weichen Waldboden und genehmigten sich erst mal ein eiskaltes Bier aus der Kühlbox. „Nie ist ein Mülleimer in der Nähe, wenn man mal einen braucht“, murrte Herod keine Minute später und warf die leere Dose hinter sich. „Wir sollten sie mitnehmen und recyceln“, forderte Nuix. „Auf diese Weise halten wir den Wald sauber und sparen wertvolle Ressourcen.“

„Der Meinung bin ich auch!“, rief die vermummte Gestalt, die gerade aus dem Schatten der Bäume heraus trat. Eine menschenähnliche Gestalt, in grüne Gewänder gehüllt und mit einem Bogen bewaffnet. Ein Waldhüter, so schien es. Er blickte Herod zornig an und zückte seinen Notizblock. „Waldverschmutzung in einem minderschweren Fall!“, sagte er grummelnd und überreichte Herod den Zettel. „30 Kronen?“, fragte Herod empört. „Zahlbar innerhalb von 30 Tagen“, fügte der Waldhüter hinzu. Herod nahm seinen Geldbeutel und händigte ihm widerwillig das Geld aus, dann hob er die Dose auf und steckte sie in die Kühlbox.

„Was macht ein Waldhüter in einem solcherart verfluchten, monsterverseuchten Wald?“, fragte Nuix stirnrunzelnd.

„Auch ein verfluchter Wald voller Bestien verdient ein sauberes Umfeld“, antwortete der Waldhüter mit ruhiger Stimme. „Außerdem habe ich kein Privatleben“, fügte er hinzu. Brummelnd machte sich Herod wieder auf den Weg, während Nuix ihm folgte, und ihn mit vielen kleinen Sticheleien bedachte, was das Wegwerfen der Dose betraf.

„Wenn auch das Wandern des Müllers Lust ist, so ist es doch des Zauberlehrlings Frust", dachte Armal bei sich, und platschte durch den vom Regen aufgeweichten Pfad, der nach Süden führte. In spätestens zwei Tagen sollte er die nächste (von Menschen) bewohnte Stadt erreichen. Im Moment allerdings konnte er keine 10 Meter weit sehen, da der Regen so dicht war, und sauer war er zudem. Wenn seine Lehrlingsrobe nicht magisch imprägniert wäre, würde er bereits seit Stunden nackt herumlaufen. Er hatte sich schon überlegt, sich irgendwo unterzustellen, aber diese Umgebung hielt manche Schrecken bereit. Deswegen wollte er sie so schnell wie möglich verlassen. Purzel schien der Regen jedoch nichts auszumachen. Er grunzte vergnügt, wenn die Tropfen zischend von ihm abperlten.

Die Landschaft um ihn herum schien trostlos und geisterhaft. Abgestorbene, pechschwarze Bäume, verdorrtes Gras, und dornige, verdrehte Sträucher säumten seinen Weg. Wäre dies ein Film, so dachte er bei sich, hätte man die gleichen Kulissen immer und immer wieder verwenden können.

Seine Gedanken wurden jäh gestört, als er in eine Pfütze trat, die offenbar tiefer war, als sie aussah. Als er bis zum Hals im Wasser stand, hatte er den Kaffee auf. „So ein verdammter Mist!“, brüllte er.

„In was für eine [zensiert] bin ich hier bloß reingeraten? Ich hätte [zensiert] noch mal lieber Medizin studieren sollen, dann wäre so eine [zensiert] niemals passiert, und ich müsste nicht bei so einem [zensiert] Wetter in so einer [zensiert] Landschaft herumlaufen, um so eine [zensiert] Gesetzessammlung zu besorgen!“ Er kletterte mühsam aus der Pfütze heraus und schwang seinen Zauberstab. „Ignisphaeri clotharaes ex!“, rief er aus, und ein Schweif rötlicher Funken stieb aus der Spitze seines Zauberstabes hervor, welcher langsam auf ihn niedersank. Einen Augenblick später war seine Robe wieder knochentrocken. „Wenigstens etwas“, dachte er bei sich.

Der Regen ebbte ab und eine blasse Sonne tauchte die Umgebung in ein kränkliches, gelbes Licht. Er setze sich einen Moment, um auszuruhen. Er steckte sich eine Dark Lord an und schon nach wenigen Zügen war seine schlechte Laune verflogen. Fünf Minuten später machte er sich wieder auf den Weg und legte einen Hustenanfall hin, bei dem er kleine Schleimbröckchen hustete, welche farblich perfekt zur Landschaft passten. Er trottete vorwärts, aber seine Schritte waren tapsig und schwer. Wie sollte er die Gesetzessammlung von Ulthar an sich bringen? Er würde Verstärkung brauchen, vielleicht ein paar Söldner? Aber die würden ihn bei nächster Gelegenheit in den Rücken fallen. Vielleicht sollte er einige idealistische Helden unter falschem Vorwand für seine Arbeit einspannen. Das wäre eine Idee. Aber er müsste es klug anstellen, denn schließlich waren die meisten Helden nicht auf den Kopf gefallen. Aber erst einmal müsste er die nächste Siedlung erreichen, dann würde er weitersehen.

Herod und Nuix setzten ihren Marsch durch den Wald fort, die Anspannung war von ihnen gewichen. Der Sieg über den Troll und das plötzliche Auftauchen des Waldhüters hatte dem einst so finsteren Forst etwas Banales verliehen und die Schrecken waren verblasst. Als sie die nächste Biegung erreichten, hörten sie eine schwache, eindeutig weibliche Stimme um Hilfe rufen: „Helft mir!“

Herod spurtete los und Nuix blieb nur knapp hinter ihm. Er versprühte hastig eine Portion Deo über sich, denn schließlich ist der erste Eindruck auch der Wichtigste. Sie fanden eine junge Frau auf dem Weg liegend. Sie war hübsch anzusehen und ihre langen blonden Haare verdeckten teilweise ihr Gesicht. Ihr Kleid war schmutzig und an einigen Stellen zerrissen.

Genug, um ihre Attraktivität noch zu steigern, jedoch nicht so viel, um die Jugendfreigabe dieses Buches zu gefährden. Herod kniete sich neben sie und half ihr hoch. Nuix sicherte die Umgebung und versuchte, dabei besonders heldenhaft auszusehen.

„Was ist ihnen widerfahren?“, fragte Herod und wischte ihr mit seinem Taschentuch den Schmutz aus dem Gesicht.

„Das Licht!“, röchelte sie. „Das Licht!" Herod blickte sie ernst an: „Du musst uns sagen, was dir zugestoßen ist. Woher kommst du und wer hat dir das angetan?“ Mit sichtbarer Anstrengung hob sie ihren linken Arm und deutete nach Norden, tiefer in den Wald hinein. „Hier scheint es sicher zu sein“, stellte Nuix fest und packte seinen Verbandskasten aus. Sie versorgten die Frau und gaben ihr Nahrung und Wasser.

Nach einigen Minuten hatte sie sich einigermaßen gefangen und war schon wieder kräftig genug, ihre Lidschatten nachzuziehen, was sie auch ausgiebig tat. Anschließend erzählte sie den beiden, was ihr widerfahren war: „Ich bin nur in den Wald gegangen, um Pilze zu suchen. Aber plötzlich wurde ich von einer unwiderstehlichen Kraft tiefer in den Wald gezogen. Dann weiß ich nur noch, dass ich ein helles Licht gesehen habe.

Gestern konnte ich mich davon befreien und versuchte, den Wald zu verlassen.“

„Und was hat es mit diesem Licht auf sich, von dem du erzählt hast?“, fragte Herod. „Keine Ahnung“, antwortete sie.

„Dieser Gedanke war in meinem Kopf, wie ein fast vergessener Traum, eine unerfüllte Sehnsucht.“

„Könnte das etwas bedeuten?“, fragte Herod zu Nuix gewandt. „Na ja“, entgegnete Nuix. „Das muss nicht zwangsweise etwas bedeuten.“ „Wir sollten auf alle Fälle die Augen offen halten“, stellte Herod fest. Sie erklärten der jungen Maid den Weg aus dem Wald heraus und gaben ihr noch etwas Proviant für unterwegs mit. „Nach Norden also“, sagte Herod entschlossen.

„Vielleicht steckt schwarze Magie dahinter?“, mutmaßte Nuix.

Sie machten sich wieder auf den Weg und nach zwei Stunden hörten sie ein Gewirr klagender Stimmen aus der Ferne.

Es waren wimmernde, weibliche Stimmen. Sie klangen wie in Trance und weit konnten sie nicht mehr weg sein. So schlichen sie sich vorsichtig an die Quelle der Stimmen heran und behielten ihre Umgebung aufmerksam im Auge. Die Stimmen schienen von einer Lichtung zu kommen, die von großen dunklen Tannen umgeben war. In der Mitte war eine Art von Gebäude und eine Vielzahl von bunten, glitzernden Lichtern leuchtete aus dessen Vorderfront. Mehrere Dutzend Personen, dem Anschein nach handelte es sich um die vermissten Frauen, standen beinahe regungslos vor dem Gebäude, und murmelten vor sich hin. Einige von Ihnen lagen am Boden und versuchten, in diese Richtung zu kriechen, sofern sie es noch vermochten.

Welch dunkle Magie konnte den Verstand dieser Frauen getrübt haben? Langsam schlichen sie näher heran und das Unterholz knackte und raschelte unter ihnen. Noch immer konnten sie keine Bedrohung wahrnehmen, doch dies konnte ebenso gut eine Falle sein. Sie waren am Rande der Lichtung angekommen, doch zögerten sie noch, sie zu betreten.

Nuix gab Herod ein Zeichen: „Ich gebe dir Deckung“, flüsterte er. Herod nickte und betrat die Lichtung. Nervös wandte er den Kopf in alle Richtungen, doch konnte er keine Gefahr erspähen. Die Frauen schienen keinerlei Notiz von ihm zu nehmen. Fast so, als wäre er ein Geist. Wie in Zeitlupe wandelte er durch sie hindurch, bis er in der Mitte der Lichtung stand.

Nun konnte er die Front des Gebäudes sehen. Was er sah, verschlug ihm den Atem. Er winkte Nuix herbei, woraufhin dieser geduckt und schnellen Schrittes zu ihm aufschloß.

„Was ist das?“, fragte er Herod. „Sieh es dir an, das ist unglaublich“, antwortete Herod fassungslos. Nun konnte auch Nuix die Front des Gebäudes sehen. Beinahe dessen gesamte Vorderseite bestand aus einem riesigen Schaufenster. Dahinter war eine unglaubliche Auswahl an Damenschuhen. Große und kleine, für alle Gelegenheiten, und in allen Regenbogenfarben. Alle paar Sekunden veränderten sie ihre Form, Farbe oder Beschaffenheit. „Tja, damit wäre das Geheimnis gelöst“, schlussfolgerte Herod. „Nicht ganz“, warf Nuix ein. „Wer hat dieses Gebäude gebaut und für welchen Zweck?"

Sie fuhren herum, denn ein ungutes Gefühl überfiel sie wie ein kalter Schatten. „Ich spüre dunkle Magie“, flüsterte Nuix und erschauerte. Herod blickte hektisch in die Finsternis der Tannen, welche die Lichtung umgaben, und er spürte, wie sein Herz aufgrund der Anspannung schneller zu schlagen begann.

„Willkommen ihr Helden!“, vernahmen sie eine knarzende Stimme hinter sich. Sie fuhren abermals herum und ihr Blick fiel auf eine skelettähnliche Gestalt, die auf dem Dach des Gebäudes stand. Sie trug die verwitterte, modrige Uniform eines Schuhmachers, und schwang einen knorrigen Spazierstock in der rechten Hand. „Was bei Haldar ... “, begann Herod.

„Ihr seid hier in meinem Reich“, geiferte der Schuhmacher, und in seinen leeren Augenhöhlen flackerte die schwarze Flamme des Hasses. „Und ihr werdet es niemals wieder verlassen.“ „Warum tust du diesen Frauen etwas so Grausames an?“, fragte Herod verständnislos. „Was haben sie dir denn getan?“

„Was sie mir angetan haben, willst du wissen?“, donnerte der Schuhmacher los. „Meine Ex-Frau hat so lange Schuhe gekauft, bis ich vor dem Geschäft verhungert bin. Sie hat mich einfach vergessen. Und dafür will ich Rache an allen Frauen von Andala!“

„Dumm gelaufen“, stellte Nuix fest. „Aber so behandelt man keine Damen.“

„Ach ja?“, höhnte der Schuhmacher. „Meine Damen, das Schuhgeschäft hat bis auf Weiteres geschlossen!“, rief er.

Ein markerschütterndes Wimmern fuhr durch die Frauen um sie herum. „Und es wird erst wieder geöffnet, wenn diesen beiden Eindringlinge erledigt sind!“, fügte er sadistisch grinsend hinzu. Herod und Nuix hatten plötzlich einen dicken Kloß im Hals. Die Frauen würden doch nicht ... Oder würden sie doch?

Wie eine Armee von Zombies fielen die Damen über sie her.

Mit einigen gut gezielten, jedoch harmlosen Hieben versuchten die beiden, sich ein wenig Luft zu verschaffen, doch innerhalb weniger Sekunden waren sie umzingelt.

„Wie in einem beschissenen Zombie Film!“, keuchte Herod.

„Ich schlage keine Frauen!“, versuchte Nuix die aufgebrachten Damen zu beruhigen und gestikulierte beschwichtigend mit seinen Händen. Der Schuhmacher lachte mit heiserer Stimme: „Wer mir ihre Köpfe bringt, erhält ein nagelneues Paar Schuhe seiner Wahl!“

Ein gequälter Aufschrei fuhr durch die Damen und sie drängten immer dichter an die beiden heran. Sollte es so enden, dachten sie bei sich? Umringt von einer Horde wütender, geifernder Maiden, die nach ihnen grapschten und versuchten, sie in winzige Schnipsel zu reißen?

Herod teilte einige entschlossene Faustschläge aus, um die Damen von sich fernzuhalten. Doch für jede Maid, die er mit einem Kinnhaken niederstreckte, erschienen zwei neue, um ihren Platz einzunehmen. Auch Nuix erging es nicht besser. Da er von kleinerer Statur war als Herod und weniger Zeit im Fitnessstudio verbracht hatte als dieser, waren seine Schläge schwächer und weniger präzise.

Nach wenigen Minuten lag er unter einer Woge kreischender Ladys begraben, aber nicht so, wie er es schon oft in seinen Träumen erlebt hatte. Herod stütze sich mit seinem linken Knie am Boden ab, um nicht umgeworfen zu werden, und verteilte weiterhin wütende Fausthiebe in alle Richtungen. Ihre Waffen hätten ihnen hier einen Vorteil verschaffen können, aber ihrer beider Erziehung hielt sie davon ab.

„Nur weiter so, meine Damen, reißt sie in Stücke!“, grölte der Schuhmacher und weidete sich an der drohenden Niederlage der beiden. „Ich kann mich nicht mehr lange halten!“, brüllte Herod und Nuix antwortete umgehend: „Ich kann keinen Finger mehr rühren, und diese wütenden Weiber zerkratzen mich wie eine Horde Hyänen!“

Herod musste handeln, das war ihm klar, aber selbst wenn er wollte, so könnte er seine Waffe kaum noch effektiv einsetzen. Er musste ihre Aufmerksamkeit irgendwie von sich und Nuix ablenken. Seine linke Hand tastete auf dem Boden umher und ergriff einen etwa faustgroßen Stein. Mit einem Ruck richtete er sich auf und schüttelte die verdutzten Damen von sich ab. Ihm blieben nur wenige Sekunden, bevor die wütende Woge erneut über ihm zusammenbrechen würde.

Einen Moment lang überlegte er, den Stein nach dem Schuhmacher zu werfen, dann aber entschied er sich anders. Er nahm all seine Kraft zusammen und schleuderte den Stein mit voller Wucht gegen das Schaufenster.

Das Klirren der Schaufensterscheibe drang ihnen durch Mark und Bein, aber gleichzeitig klang es wie ein erlösendes Signal der Freiheit in ihren Ohren. Der wütende Mob hielt abrupt inne und die Damen blickten sich fragend und murmelnd um, so als wären sie aus einem tiefen Schlaf erwacht.

Der Schuhmacher war außer sich vor Zorn: „Neeeeeiiiiin! Meine Rache ist gescheitert. Fluch über euch!“

Während Nuix sich keuchend aufraffte, riskierte Herod einen kurzen Blick in das Innere des Schaufensters. Doch hinter der nun zerstörten Scheibe war kein Glanz weiblicher Schuhmode mehr zu sehen. Nur unförmige, unmodische, und farblich grauenerregende Schuhe lagen dort noch in wüstem Durcheinander verstreut. Herod richtete seinen Blick nun auf den Schuhmacher und keine Sekunde zu spät. Denn dieser warf mit einem halben Dutzend billiger Pumps nach ihnen. „Vorsicht!“, kreischte Nuix, „Diese Absätze sind scharf wie Rasiermesser!“

Herod versuchte auszuweichen, was ihm nur teilweise gelang. Zwei der Pumps trafen ihn jedoch und schlitzen ihm Oberschenkel und Handgelenk auf, wie ein heißes Messer, das durch Butter pflügt. Der Schmerz trübte seine Konzentration und so übersah er den schweren, Größe 52 Reiterstiefel mit der genagelten Sohle aus doppelt genähtem Leder, der nun auf ihn zu schoss.

„Runter!“, brüllte Nuix, doch seine Warnung kam zu spät. Der Stiefel donnerte Herod direkt vor die Brust und warf ihn röchelnd zu Boden. Nuix rollte sich zur Seite und ergriff dabei seinen Bogen. Dann griff er in seinen Köcher und zog einen Pfeil heraus. Die Maiden um sie herum, durch das Kampfgetümmel und das Blut nun endgültig aus ihrer Trance erwacht, liefen kreischend und wild durcheinander. Nuix spannte blitzschnell seinen Bogen, legte den Pfeil auf die Sehne, und schoss.

Sein Schuss durchbohrte den zweiten Stiefel, der auf Herod gezielt war, und nagelte ihn an eine nahe gelegene Tanne. „Schnapp ihn dir, Nuix!“, keuchte Herod.

„Tod allen blauäugigen, naiven Helden!“, zischte der Schuhmacher. „Ich bin weder blauäugig, noch naiv“, entgegnete Nuix schroff, während er nach einem weiteren Pfeil aus seinem Köcher Griff. „Außerdem bin ich kein Held, noch nicht“, fügte er kleinlaut hinzu.

„Einerlei!“, brüllte der Schuhmacher und deckte sie mit einer Salve angeschimmelter Einlegesohlen ein. Herod rappelte sich auf und entging den Sohlen nur knapp durch einen beherzten Hechtsprung. Während er sich wieder aufrappelte, feuerte Nuix seinen zweiten Schuss ab. Sein Pfeil verfehlte den Schuhmacher nur knapp, der jetzt wie wahnsinnig lachend auf dem Dach herumtanzte, während er immer weitere Wurfgeschosse nach ihnen warf. Die meisten der Ladys hatten die Lichtung bereits verlassen und so hatte Nuix wenigstens ein freies Schussfeld. Doch der Gestank der Sohlen und die blutenden Kratzer an seinem Körper trugen nicht gerade zu seiner Treffsicherheit bei. Herod hatte sich abermals aufgerappelt und zog sein Schwert.

Er pflügte sich gerade durch einen Schwung ausgelatschter Sandaletten, als er das Wort ergriff: „Nuix, wir müssen auf das Dach gelangen!“

„Einverstanden!“, bestätigte Nuix und näherte sich schnellen Fußes dem Gebäude, während er sich durch eine Wolke fliegender Schusternägel schlängelte. Herod rannte nun ebenfalls auf das Gemäuer zu und überlegte sich, wie sie das Dach erreichen könnten. Von außen war keine Leiter oder Treppe zu sehen, also musste es einen Aufgang im Inneren des Gebäudes geben. Nuix machte einen Satz durch die Tür und hielt den Bogen gespannt vor sich. Sein Blick schweifte hastig durch den Raum, eine wahre Bruchbude, in der sich Unmengen von Objekten stapelten, die entfernt an Schuhe erinnerten.

Herod war direkt hinter ihm und gemeinsam durchstöberten sie hektisch das Gebäude. Irgendwo hier musste es doch eine Treppe geben, die nach oben führte.

„Dort!“, flüsterte Nuix und zeigte auf ein klappriges Schuhregal. Herod trat vor und stieß es um, sein Schwert schützend vor sich haltend. Das Regal krachte zu Boden und zerfiel in seine billigen Einzelteile. Dahinter war eine hölzerne Treppe zu sehen, die nach oben führte. Herod rannte hinauf, vor Wut brüllend:

„Jetzt bist du fällig, du irrer Schuhklopfer!“

Herod setzte seinen Fuß auf das Dach und traute seinen Augen nicht. Der Schuhmacher stand am anderen Ende des Daches, auf einem Berg von Schuhen, und schien wohl zu wissen, dass sein Ende nahte. Denn warum sonst stand er bewegungslos da, ohne Anzeichen von Gegenwehr? Nuix schlüpfte wie ein Wiesel durch die Dachluke und legte auf den Schuhmacher an.

„Ergib dich, es ist aus!“, befahl Nuix mit ernster Stimme.

„Ganz im Gegenteil“, entgegnete dieser. „Das einzige, was ihr von mir bekommt, sind ein paar saftige Tritte in den Allerwertesten!“ Ein schriller Schrei entsprang seiner Kehle, als er seine Hände ruckartig auf die Helden richtete. Ein heftiger Windstoß kam wie aus dem nichts, der Schuhberg wirbelte herum wie eine Windhose und versetzte den beiden diverse Tritte.

„Das waren Golfschuhe!“, fluchte Herod, der wie ein Berserker auf die herumfliegenden Schuhe einhieb.

„Ich werde nie wieder Schuhe kaufen!“, jammerte Nuix.

Der Schuhmacher schien von den umherwirbelnden Schuhen keinerlei Schaden zu erleiden und seine Stimme kam aus immer wechselnden Richtungen. So, als würde er sich wie ein Fisch im Wasser bewegen. Herod hieb mit seinem Schwert nach ihm, wenn er dessen Umrisse zu sehen glaubte. Nuix konnte sich kaum auf den Beinen halten und die Tritte, die er erleiden musste, strapazierten seine Konstitution erheblich.

„Wenn wir ihn nicht erwischen können, dann müssen wir die Schuhe in Fetzen hauen!“, stellte Herod fest, und verteilte links und rechts weitere Hiebe. Jede Minute erschien ihnen wie eine Ewigkeit und die beiden hieben mit ihren Schwertern wie wild um sich. Als von den Schuhen nur noch Schnipsel übrig waren, ebbte auch der Wind ab. Schwer atmend, mit blauen Flecken und Prellungen übersät, und aus zahlreichen, wenn auch nur kleinen Wunden blutend, standen sie nun vor ihrem Feind.

„Wenn ich mit dir fertig bin, passt dir kein Schuh mehr“, keuchte Herod und ging auf den Schuhmacher los. Dieser zückte ein Paar aus Metallringen geflochtene Socken, welche an den Ballen zusammengenäht waren, und ging Herod entgegen.

„Dein Tod wird mein Triumph sein, Mensch!“, lachte er und schwang seine Socken wie ein Nunchaku um seinen skelettierten Körper herum. Dem ersten Schlag konnte Herod gerade noch entkommen, doch der zweite hinterließ einen wenig schmeichelhaften Abdruck auf seinem Gesicht. Er taumelte zurück und Nuix konnte den dritten Hieb mit seinem Schwert parieren. „Danke, Freund“, stammelte Herod benommen und versuchte sich wieder zu fangen. Nuix führte einige schnelle Schläge mit seiner Klinge, doch die wirbelnden Kettensocken waren schwer zu erfassen, selbst mit seinen elfischen Augen. Ein schneller Schlag traf seine Waffenhand und stieß sein Schwert beiseite. Nuix duckte sich mit unmenschlicher Geschwindigkeit unter den folgenden Schlägen hinweg, doch aus dem Augenwinkel sah er, dass Herod wieder neben ihm stand.

Herod bündelte seine ganze Kraft und stieß sein Schwert in die Mitte des wirbelnden Kettengeflechtes. Ein dumpfes Röcheln bestätigte ihm, das er sein Ziel getroffen hatte. Der Schuhmacher ließ die Socken fallen und ein schneller und kraftvoller Tritt Herods sorgte dafür, dass der Kiefer des Schuhmachers über die Dachkante flog, gefolgt von seinem Besitzer.

Mit einem knackenden Geräusch zerschellte dieser auf dem Boden der Tatsachen. Mit Mühe schleppten sich die beiden die Treppe runter und überzeugten sich davon, dass ihr Gegner auch wirklich tot war.

„Der kommt nicht wieder“, entfuhr es Herod erleichtert.

„Dieses Mal sicher nicht“, fügte Nuix erleichtert hinzu.

Nachdem sie die restlichen Knochen des Schuhmachers in handliche Krümel zerkleinert hatten, versorgten sie ihre Wunden. Sie beschlossen, erst einmal Atem zu schöpfen und einige Erfrischungen zu sich zu nehmen. Anschließend würden sie die versprengten und sicherlich völlig verzweifelten Maiden zusammentreiben und zurück in die Stadt führen.

Kapitel 6

Der Lohn des Ruhmes und der lange Weg dorthin

Armal hatte es geschafft, endlich stand er vor einer von Menschen bewohnten Siedlung. Vor dem Dorf Lhun, um genau zu sein. Lhun war im Grunde eine Ansammlung weltfremder Hinterwäldler, die sich fernab der Zivilisation eine Existenz aufgebaut hatten. Die Menschen dort waren zwar einfach und auch ein wenig einfältig, aber gastfreundlich, so hieß es zumindest. Armal klopfte sich noch einmal den Staub von seiner Robe und betrat dann erhobenen Hauptes das malerische kleine Dorf Lhun.

„Ich grüße euch, wehrte Dame“, sprach er eine Magd an, die ihm mit einem Huhn unter dem Arm auf der Straße entgegenkam. Die Magd schenkte ihm ein Lächeln und blieb vor ihm stehen: „Seid gegrüßt, höflicher Fremder, willkommen in Lhun.

Was führt euch hierher?“, fragte sie aufrichtig. In diesem Moment wurde Armal klar, wie lange er bereits keine Frau mehr gesehen hatte, es sei denn auf dem Labortisch seines Meisters. „Nun, ich bin nur auf der Durchreise nach Süden. Ich muss nach Zartas“, erwiderte Armal ein wenig schüchtern.

„Nie davon gehört“, entgegnete die Magd. „Aber genießt doch unsere Gastfreundschaft. Dort hinten befindet sich ein Wirtshaus. Dort werdet ihr für wenige Kronen ein Nachtlager und Verpflegung bekommen.“ Armal antwortete sichtlich gerührt: „Ich danke euch, Fräulein. Ich fühle mich schon fast wie zuhause.“ Dann zog er seinen Hut vor der Magd und machte sich auf in Richtung Wirtshaus.

Er konnte es schon von weitem sehen, da das Dorf nicht gerade groß war. So dauerte es nur knappe drei Minuten, bis er vor der Tür des Wirtshauses stand. Er trat ein und ihm bot sich sogleich ein idyllisches Bild. Hart arbeitende Bauern und Handwerker saßen an großen Eichentischen und tranken kühles Bier aus irdenen Krügen. Die Einrichtung war wie die Dorfbevölkerung, einfach aber gemütlich. Ein sehr rundlicher Wirt in einem fleckigen Unterhemd begrüßte ihn überschwänglich und bot ihm einen Platz an einem der Tische an: „Kommt nur herein, junger Freund. Fühlt euch wie Zuhause.“

Armal setzte sich und legte seinen Rucksack neben seinen Stuhl. „Was darf ich euch bringen?“, fragte der Wirt höflich.

„Eine Ziegenmilch und eine heiße Suppe wäre mir genehm“, antwortete Armal erschöpft aber glücklich.

„Kommt sofort“, bestätigte der Wirt und eilte in die Küche. Armal streckte seine Beine aus und fühlte sich zum ersten Mal seit Beginn seiner Reise wirklich entspannt. Er zündete sich eine Dark Lord an und pustete Rauchringe in die Luft.

Als er gerade fertig war, kam der Wirt zurück und servierte ihm eine Ziegenmilch und eine dampfend heiße Suppe.

„Vielen Dank“, sagte er freundlich und ließ sich die Suppe schmecken. Ob diese Leute auch noch so freundlich wären, wenn sie wüssten, was er vorhatte? Wohl kaum. Ein wenig hatte er schon ein schlechtes Gewissen, aber was sollte er machen?

Der Meister hatte es befohlen. Er bekam ein nettes kleines Zimmer. Rustikal, aber gemütlich. Er ließ sich sofort auf sein überraschend weiches Bett fallen und fiel alsbald in einen tiefen, sorglosen Schlaf.

Die Torwachen staunten nicht schlecht, als unsere beiden Helden vor dem Tor Einlass begehrten. Gezeichnet durch ihre jüngsten Erlebnisse und mit mehreren Dutzend lieblicher Maiden im Schlepptau, zogen sie durch das Stadttor.

Die Bevölkerung staunte und viele applaudierten, die „Helden Andalas“ wurden sie gerufen. Wenn auch einige, vornehmlich ältere und verheiratete, Bürger der Stadt nicht so erbaut darüber waren, dass ihre Frauen wieder zurückgekehrt waren, so waren doch die meisten der Bürger voller Freude und überschwänglichem Dank für ihre Heldentat.

Der Bürgermeister staunte nicht schlecht und hielt sein Wort. Er übergab den beiden die vereinbarten 1000 Kronen und die Jahreskarten für die VIP-Loge. Herod und Nuix waren sichtlich zufrieden. Ihre Taschen voller Geld, sie hatten sich unsterblichen Ruhm erworben, und außerdem die eine oder andere Telefonnummer der Maiden. Sie beschlossen nun, ihren Sieg mit einer deftigen Party zu feiern. So kehrten sie in das beste Wirtshaus am Platze ein und bestellten ein reichhaltiges Buffet und dazu einige Flaschen Champagner. Auch einige der Maiden, welche sie gerettet hatten, waren zu der Feier eingeladen.

Sie feierten die ganze Nacht, so wie es sich für Helden gebührt. Natürlich völlig jugendfrei. Trotzdem ist es mir leider nicht gestattet, die Feier im Detail zu beschreiben. Sagen wir einfach mal, dass sie sich prächtig amüsierten, wie edle Herren aßen, am Champagner nippten, und hochgeistige Konversation mit den anwesenden Damen führten. Am nächsten Morgen hatte beide einen Werwolf-ähnlichen Kater und verbrachten den ganzen Tag im Bett.

Armal erwachte bei Morgengrauen. Ohne Kater, dafür aber mit Hamster. Er öffnete die Fensterläden und die Sonne schien ihm auf sein Gesicht. „Ein guter Start in den Morgen“, dachte er bei sich. Er verließ sein Zimmer und ging hinunter in die Schankstube, wo ihn der Wirt mit einem kräftigen Frühstück bereits erwartete. Sein Appetit stieg noch, als ihm der Wirt eröffnete, das Frühstück ginge aufs Haus. So ließ er es sich schmecken und überlegte sich, ob er nicht noch ein paar Tage dortbleiben sollte. Aber sein Meister würde eine Verzögerung sicherlich nicht billigen. So nahm er denn schweren Herzens Abschied und machte sich wieder auf den Weg nach Süden.

Jenseits der Straße verzückten grüne Wiesen und bunte Blumen sein Auge. Bäume mit sattgrünen Baumkronen luden förmlich dazu ein, es sich unter ihrem Schatten bequem zu machen.

Die Sonne schien auf Armal herunter und das Zwitschern der Vögel war wie Musik in seinen Ohren. Er würde die Sonne schon vermissen. Was wären schon die Frühlingsferien am Strand von Elrad ohne Sonne? Ein grauenhafter Gedanke. Er verdrängte diesen und setzte seinen Weg fort. Selbst die Luft schmeckte irgendwie würzig.

Purzel schien das jedoch nicht zu beeindrucken. Er versteckte sich schon seit Tagen in seinem Beutel und würde er nicht ab und an mal grunzen, wüsste Armal nicht, ob er noch da wäre. Aber er machte sich keine Sorgen, denn schließlich war Purzel ja bereits tot, was die Pflege ungemein vereinfachte.

Am Morgen des zweiten Tages, als er gedankenverloren die gepflasterte Hauptstraße entlang schlenderte, hörte er das Rumpeln eines Wagens, welcher sich ihm von hinten näherte. Er blieb stehen und drehte sich um. Es handelte sich um einen Ochsenkarren, der sich ihm in gemütlichem Tempo näherte. Ein kleiner, aber sehr voluminöser, Mensch saß auf dem Kutschbock und sang ein seltsames Lied: „Die Straße fahr ich auf und ab, von Norden bis nach Süden, die gute Laune fährt mit mir, die nichts vermag zu trüben. Ich kehre ein in jeden Ort und lass es mir dort munden, am nächsten Tage fahr ich fort, und so vergeh‘n die Stunden.“

Armal wartete, bis der Karren in Rufweite war, dann rief er dem Kutscher zu: „Heda, Kutscher, nimmt er mich mit nach Süden?“ Der Kutscher nickte ihm freundlich zu und bedeutete ihm, aufzusteigen. Armal sprang auf den Kutschbock und machte es sich bequem. „Danke“, sagte Armal. „Aber sagt mir doch, wer seid ihr und was macht ihr hier?“, begann er ein sinnfreies Gespräch. „Ich bin der alte Malekith, ein Händler von Beruf, wer freundlich ist, den nehm ich mit, weil mich Haldar so schuf!“

„Äh, ja“, begann Armal und versuchte, dem seltsamen Kutscher in gleicher Weise zu antworten: „Armal heiß ich, komm‘ aus dem Norden, find‘ nett euch und auch wunderlich, mein Herz ist voller Sorgen.“

Der Kutscher nickte wohlwollend, doch Armal hörte ein grunzendes Lachen aus seinem Tragebeutel. Entweder stand er unter Stress oder Purzel hatte sich gerade über seine Dichtkünste lustig gemacht. „Mach’s besser“, zischte er in den Beutel hinein und versetzte Purzel ein Stoß.

„Womit handelt ihr denn genau?“, fragte Armal neugierig. Der Kutscher antwortete singend: „Ihr kennt der Zeitenwende Gaben, die uns mit reichlich Tand beschert? Die sammle ich in meinem Wagen und manches ist sogar von Wert. Wenn ihr was braucht von meinen Waren, so sagt es mir nur frei heraus, doch Kronen will ich dafür haben, dann handeln wir was aus.“

Armal drehte sich um und warf einen Blick in den Wagen des Händlers. Dort waren allerlei seltsame Gegenstände verstaut, die er noch nie gesehen hatte. Blinkende Lichter, ein Gewirr aus Kabeln, und seltsamere Dinge, bei denen es sich ohne Zweifel um Haldars Gaben handelte. Welchen Zweck diese wohl erfüllten? „Im Moment brauche ich nichts von alledem“, sagte Armal. „Aber sollte ich doch noch etwas finden, das ich benötige, dann lasse ich es euch wissen. Aber sagt mir doch, wohin fahrt ihr?“

Der Kutscher antwortete lächelnd: „Wir fahren in den Süden, ins schöne Andala, noch mindestens vier Tage, dann sind wir auch schon da.“ „Ah ja“, erwiderte Armal. „Fahrt ihr auch weiter nach Süden, so in die Richtung von Zartas?“ „Nach Zartas fahr ich nimmermehr, das ist ein Sperrbereich, dort prügeln dich die Wachen sehr, also vergiss das gleich“, antwortete der Kutscher poetisch. „Na ja, bis Andala ist auch gut“, sagte Armal leicht desillusioniert. Und während die Kutsche langsam in Richtung Süden rumpelte, hingen beide ihren Gedanken nach.

Kapitel 7

Neue Freunde und alte Bekannte

Herod erwachte bei Sonnenaufgang und sein Kater war noch nicht gänzlich verflogen. Er setzte sich auf und blickte mit roten Augen durch das Zimmer. Es war ein einziges Chaos. Die Möbel waren zertrümmert, überall lagen leere Flaschen herum, und Fetzen zerrissener Kleidungsstücke lagen im Zimmer verstreut. Sein Atem roch wie ein totes Tier und seine Augen brannten. Er stand auf und torkelte zum Waschbecken. Nach einigen Händen voll Wasser kehrte langsam das Leben in ihn zurück. Er wankte hinüber zu Nuix und goss eine große Schüssel Wasser über ihm aus. „Ich will heute nicht in die Schule gehen“, murmelte Nuix und öffnete die Augen. Er sah nicht viel frischer aus als Herod und die beiden Würden ein kräftiges Frühstück brauchen, um in die Gänge zu kommen.

Nach der Minimum-Katzenwäsche trotteten beiden hinunter in die Schankstube und bestellten ein reichhaltiges Mahl. Etwa eine Stunde und einige Liter Wasser später waren beide wieder frisch und munter.

„Also“, begann Nuix, „Welche Heldentaten werden wir heute begehen?“ „Keine Ahnung, mal sehen“, brummte Herod. „Erinnerst du dich an die letzten zwei Tage?“, fragte Herod. „Nein, nicht wirklich“, antwortete Nuix lächelnd. Sie tranken aus und beschlossen, sich ein wenig in der Stadt umzuhören. Vielleicht würden sie bald auf eine neue Herausforderung stoßen. Doch in der ganzen Stadt schienen nur Ruhe und Frieden zu herrschen. Sollte ihre Heldenkarriere schon vorbei sein, noch bevor sie so richtig begonnen hatte? Nachdem sie den ganzen Tag damit verbracht hatten, nach neuen Herausforderungen zu suchen, mussten sie sich wohl damit abfinden.

„Vielleicht müssen wir warten, bis das Abenteuer zu uns kommt“, bemerkte Herod. „Tja, sieht ganz so aus, als hätten wir keine Wahl“, entgegnete Nuix. Sie schlenderten durch die inzwischen dunklen Straßen von Andala und nur einige wenige Gaslaternen beleuchteten ihren Weg. Als sie das Wirtshaus erreichten, nahmen sie ein spartanisches Nachtmahl zu sich, und gingen zu Bett. In ihren Träumen aber, sahen sie sich Heldentaten bestehen, Drachen erschlagen, und Prinzessinnen retten.

Armal und Malekith hatten unterdessen ein Nachtlager aufgeschlagen. Der alte Händler hatte nicht nur ein Lagerfeuer entfacht, sondern auch ein seltsames Gerät aus seinem Wagen dazu benutzt, ihnen beiden Sandwiches zu grillen. So ließen sie es sich schmecken und starrten in die knisternden Flammen. „Wnhas isnh dhoas füeir eihnm sejltshameas Dihnk?“, fragte Armal mit vollem Mund.

Malekith schaute zu ihm herüber und im Schein des Feuers blitzten seine Augen: „Wo du auch bist, denk immer dran, mit vollem Mund man nicht reden kann.“

Armal spülte den letzten Rest des Sandwiches hastig herunter, und wiederholte seine Frage: „Sagt Malekith, was ist das eigentlich für ein Ding?“ „Dieses Ding, ich sag es dir, grillt jede Pflanze, jedes Tier. Pack Toast hinein und Käse satt, den Bügel runter, drück es platt. Und wenn die rote Lampe brennt, so öffne es und sei bereit, was übrig bleibt, man Sandwich nennt, und ist ne wahre Köstlichkeit.“ „Oh ja, es ist in der Tat sehr köstlich“, antwortete Armal zufrieden.

Nachdem sie sich satt gegessen hatten, wickelten sie sich in ihre Schlafsäcke, und schauten in den sternenklaren Himmel. Armal erkannte einige der Sternenbilder, die er während seines Studiums auswendig lernen musste. Die große Kutsche, den Polarstern, die Schimäre, und die Drillinge. Purzel hatte sich zu Armal in den Schlafsack gekuschelt und gab ein grunzendes Fiepen von sich. Es dauerte nicht lange, da waren sie eingeschlafen.

Und in dieser Nacht hatte Armal einen seltsamen Traum. Er träumte, er sei der Mond. Er war dick und rund, aber glücklich. Millionen von Sternen umgaben ihn und ihr Licht erhellte seinen Geist. Sternschnuppen flogen vorbei und ihr Schweif kitzelte seine Nase. Wie aus weiter Ferne hörte er das Geheul der Wölfe, die ihn anjaulten. Eine große, leuchtende Sternschnuppe flog direkt auf ihn zu. Es war der Sonnenwagen des Ansul. Eine Kutsche aus goldenem Licht, gezogen von vier silbernen Kaninchen. Auf dem Wagen stand Ansul, der Gott der Sonne. Er hielt vor Armal und hob seinen Sonnenstab.

„Wie kannst du zulassen, dass mein Licht verlischt, denn ohne es wirst auch du verlöschen“, sprach er vorwurfsvoll. Das machte Armal nachdenklich. Würde der Mond ohne das Licht Ansuls aufhören zu scheinen?

„Aber eure Erleuchtheit“, begann er im Traum zu sprechen.

„Ich bin ein Freund der Sonne. Ich liebe ihr Licht und ich habe eine Dauerkarte für das Solarium der schwarzen Zitadelle.“ „Verlasse den Pfad der Dunkelheit, junger Sterblicher“, begann Ansul erneut. „Ohne die Sonne ist das Leben selbst gefährdet. Alle Blumen und Tiere werden sterben, die Gemüter der Sterblichen werden sich ebenso verdunkeln, und die Solarzellentechnologie kann niemals genutzt werden.“

„Ich weiß“, stammelte Armal im Traum. „Aber mein Meister hat es befohlen.“

Ansul schnaubte goldene Funken aus seiner Nase und sprach mit herrischer Geste: „Die Sonne hat den heutigen Tag so wunderbar gemacht, dass du sogar vergessen hast, zu rauchen.“

„Das stimmt“, entgegnete Armal verwundert. Aber vielleicht hatte der Schreiber dies auch nur zu beschreiben vergessen und versuchte jetzt, sich aus der Affäre zu ziehen.

„Nein!“, erschallte eine donnernde Stimme von irgendwoher. Doch bevor er noch etwas entgegnen konnte, war der Traum wieder fort, so plötzlich wie er gekommen war.

Herod und Nuix waren bereits bei Sonnenaufgang auf den Beinen. Sie joggten sogar eine Runde um den Block, was prinzipiell eine gute Idee war. Andala jedoch war eine Stadt, die eigentlich nur aus einem einzigen, großen Block bestand.

Als sie nach einer knappen Stunde keuchend und ächzend wieder am Wirtshaus ankamen, wussten sie es auch. Sie schleppten sich in die Schankstube hinein und ließen sich auf einen Stuhl fallen.

„Ich sollte öfter Sport treiben“, keuchte Herod. „Du hast es gut“, entgegnete Nuix. „Du hast wenigstens längere Beine.“

Herod nahm seine letzte Kraft zusammen und hob die Hand, woraufhin der Wirt herbeieilte. „Zwei große Wasser bitte“, röchelte Herod. Der Wirt nickte und ging zurück hinter die Theke, wo er ihnen zwei große Krüge mit frischem Quellwasser füllte. Zumindest stand dies auf den rostigen Dosen geschrieben, aus denen er das Wasser in die Krüge füllte.

Nachdem die beiden das Wasser regelrecht in sich hinein geschüttet hatten, ließen sie sich entspannt zurückfallen.

Am nächsten Morgen waren Armal und Malekith schon bei Sonnenaufgang auf den Beinen. Sie genehmigten sich noch die übrig gebliebenen Sandwiches vom letzten Tag, dann machten sich wieder auf den Weg nach Süden. Während die Kutsche die holprige Straße nach entlang rumpelte, hing Armal seinen Gedanken nach. Es würde noch mindestens drei Tage dauern, bis sie Andala erreichen würden. Dort würde er sich nach einigen Helden umsehen, die ihm bei seiner Aufgabe helfen sollten. Natürlich dürfte er ihnen nicht reinen Wein einschenken. „Schwelge nicht in Sorgen Junge, folg‘ stets deinem Herzen, der Sommer singt aus voller Lunge, und hilft dir es verschmerzen“, sang Malekith vor sich hin und lächelte Armal an.

„Vielleicht habt ihr recht“, erwiderte Armal, aber bei sich dachte er, dass Malekith wohl noch Restalkohol von gestern im Blut hatte. Er verdrängte seine finsteren Gedanken und genoss den schönen Sommertag.

Nachdem Herod und Nuix sich frisch gemacht und ein üppiges Frühstück verzehrt hatten, waren sie wieder obenauf. Nun waren sie voll gespannter Erwartung, was ihnen der Tag bescheren würde. Sie gingen eine gemütliche Runde durch Andala und hielten alle fünf Ohren offen. Und diesmal hatten sie Glück. Ein reisender Schneider erzählte ihnen eine Geschichte, die ihr Interesse weckte: „Westlich von hier befindet sich der Distel Pass, ein Weg der Andala mit den Städten im Westen verbindet. Dort treibt sich übles Gesindel herum. Räuber und Schlimmeres lauert dort auf Handelskarawanen. Ein Kopfgeld ist auf dieses Pack ausgesetzt. Wenn ihr Abenteuer sucht, geht dorthin, aber seid gewarnt.“

Herod und Nuix warfen sich vielsagende Blicke zu. „Dann sollten wir sofort aufbrechen“, beschloss Herod. „Worauf warten wir noch?“, bestätigte Nuix. Sie packten ihre Ausrüstung zusammen und machten sich auf nach Westen, in Richtung Distelpass.

Als sie das Stadttor nach Westen passierten, wurden sie von den Wachen freundlich gegrüßt, was ihrem Ego einen ordentlichen Schub verlieh. Es dauerte auch nicht lange, bis sie den Distelpass erreichten. Es handelte sich um eine schlecht befestige Straße, die an beiden Seiten von felsigen Erhebungen gesäumt wurde. „Ein perfekter Ort für einen Hinterhalt!“, stellte Herod fest. „Kannst du jemanden sehen?“ „Nein“, antwortete Nuix. „Es scheint niemand hier zu sein.“ Herod überprüfte den lehmigen Boden auf Spuren, doch er fand nur Wagenspuren. „Hier sind vor Kurzem einige Wagen durchgekommen“, stellte er fest.

„Ich höre Kampfeslärm!“, zischte Nuix und wand den Kopf nach Westen. Herod zog sein Schwert und eilte im Laufschritt den Pass entlang. Nuix spurtete hinter ihm her, den Bogen in der Hand. „Vielleicht eine Karawane, wir müssen uns sputen Nuix“, sagte Herod entschlossen.

Nach einer knappen Minute erreichten sie den Rand des Kampfplatzes. Inmitten des Passes stand ein einzelner, muskelbepackter Mensch im Lendenschurz, der eine große Streitaxt schwang. Um ihn herum waren ein gutes Dutzend abgerissener Gestalten versammelt, vier weitere lagen bereits am Boden.

„Bei Zoltar, ihr bekommt mich niemals lebend!“, brüllte der Mensch und hieb einem der Räuber den Kopf ab.

„Wir müssen ihm helfen Nuix“, rief Herod entschlossen und stürmte mit gezogenem Schwert auf die Angreifer zu. Nuix nickte und feuerte einen Pfeil ab, der einem der Halunken den Arm durchbohrte. Der Getroffene schrie auf und ließ seine Waffe fallen. Herod rannte einen der Angreifer buchstäblich über den Haufen und versetzte ihm dabei einen saftigen Schlag mit seinem Ellbogen. Der Räuber stürzte zu Boden und Herod verpasste ihm den Gnadenstoß.

„Bei Zoltar, ihr kommt zur rechten Zeit fremde“, knurrte der Mensch mit zusammengebissenen Zähnen, während er einem weiteren Räuber abwehrte. Herod und der Fremde kämpften tapfer, doch schon bald waren sie umzingelt. „Rücken an Rücken kämpfen!“, befahl der Fremde. „Einverstanden“, bestätigte Herod, während er einem der Angreifer einen saftigen Tritt verpasste, woraufhin dieser rückwärts taumelte. Nuix holte einen Weiteren der Halunken von den Beinen. Der Fremde konnte die Klinge eines Angreifers abwehren, doch der zweite Schlag brachte ihm eine klaffende Wunde bei. Mit einem zornigen Schrei hieb er den Feind in zwei Hälften. Herod teilte in alle Richtungen Hiebe aus und Nuix ließ ein wahres Sperrfeuer niedergehen. Als die Angreifer sich endlich verzogen, lagen knappe zwei Dutzend Feinde reglos am Boden, und Ihr dunkles Blut tränkte die Erde.

„Habt dank Fremde“, sagte der Mensch sichtlich erleichtert. „Immer bereit für Heldentaten“, entgegnete Herod. „Ich bin Herod und das dort drüben ist mein Freund Nuix, ein Elf aus den südlichen Pilzwäldern."

„Zoltar hat euch zu mir geschickt!“, rief der Mensch freudig. „Nein, eigentlich war es Zufall“, erwiderte Nuix. Der Mensch lachte und sprach: „Ja vielleicht. Aber wie dem auch sei. Ich bin Charles Winthorp III., Barbarenkrieger aus dem Norden.“ „Angenehm“, erwiderte Nuix und schüttelte ihm die Hand. „Waren das vorhin nicht nur ein knappes Dutzend Räuber?“, fragte Herod leicht verwirrt. „Eigentlich schon“, bestätigte Charles. „Wahrscheinlich wurde ihre Anzahl aufgrund dramaturgischer Aspekte nach oben korrigiert.“ „Wäre möglich“, sinnierte Nuix.

Charles ergriff wieder das Wort: „Ich war auf dem Weg nach Andala, als sich diese Räuber auf mich gestürzt haben. Dabei habe ich so gut wie keine Zahlungsmittel bei mir.“

Herod winkte ab: „Das macht nichts. Immerhin ist auf diese Bande ein sattes Kopfgeld ausgesetzt. Wir sammeln sie ein und geben sie beim Bürgermeister ab. Das bringt richtig Schotter, so etwa 15,25 Kronen pro Kopf.“

Charles strich sich nachdenklich durch seinen Drei-Tage-Bart und murmelte: „24 Räuber je 15,25 Kronen Kopfgeld macht insgesamt 366 Kronen. Geteilt durch drei sind das 122 Kronen für jeden von uns. Abzüglich der Kopfsteuer von 16 % bleiben für jeden noch 102,48 Kronen übrig.“

„Äh, kann sein“, versuchte sich Herod einzubringen, während Nuix versuchte das Ergebnis mit Händen und Füßen nachzurechnen. Was allerdings nicht so einfach ist, wenn man nur vier Finger an jeder Hand und nur vier Zehen an jedem Fuß hat. „Ihr scheint mir sehr gebildet zu sein für einen Barbarenkrieger aus dem Norden“, staunte Herod ungläubig. „Ich habe Architektur und Physik studiert, aber mit dieser Ausbildung bekommt man in den rauen Nordlanden keine Arbeit. Deshalb habe ich an einer Umschulungsaktion des Arbeitsamtes Nordland teilgenommen und jetzt bin ein Barbarenkrieger.“ „Klingt vernünftig“, bestätigte Herod. „Obwohl dies sicherlich ein langer und anstrengender Prozess gewesen ist, oder?“, fragte Nuix neugierig. „Na ja“, antwortete Charles. „Das schwerste ist es gewesen, den Gebäudekomplex des Arbeitsamtes Nordland zu finden, zu betreten und jemanden anzutreffen, der für dich zuständig ist. Der Rest war hartes Training, Sport und die richtige Ernährung.“

„Wir sollten uns langsam nach Andala aufmachen“, warf Herod ein. „Es wird Zeit für ein üppiges Mittagessen.“ „Nun auf nach Andala, ihr Helden, dann werden wir sehen, welche kulinarischen Genüsse diese Stadt zu bieten hat“, bestätigte Charles. So wanderten sie über die staubige Straße in Richtung Osten, die Köpfe ihrer besiegten Gegner in den Händen.

Armal und Malekith hatten die Hälfte des Weges schon hinter sich gebracht, als sie beschlossen eine kurze Rast einzulegen. Sie ließen sich einige Tiefkühlpizzas schmecken und Armal vergaß sogar, Malekith danach zu fragen, was sie aßen oder wie es zubereitet wurde. Er ließ es sich einfach schmecken und versäumte auch nicht, Purzel einige Stückchen zuzustecken. Purzel verschlang sie gierig und grunzte dabei wie ein Schwein auf Freigang.

„Welch seltsam‘ Tier, ein Hamster wohl, doch saget mir, geht es ihm wohl? Es schauet aus, als wär‘ es tot, die Haut verwest, die Augen rot. Die Krallen spitz, die Zähne lang, da wird‘s dem alten Händler bang‘.“

„Macht euch keine Sorgen, Malekith“, erwiderte Armal lächelnd. „Er sieht nur so aus, weil er tot war, und mein Meister ihn wiederbelebte. Aber er ist ein braves Tier und mein Begleiter auf meiner langen Reise.“ Malekith schaute Armal ernst an, als er wieder das Wort ergriff: „Denkt dran, wenn eure Worte wahr, es bleibt nicht alles wunderbar. Was tot gewesen und erweckt, in diesem jetzt ein Dämon steckt. Bald schon wird er groß und kräftig, der Dämon in ihm wächst bedächtig. So achtet stets auf seinen Hunger, denn dies erspart euch großen Kummer.“

„Das werde ich“, antwortete Armal lachend und stopfte sich das letzte Stück Pizza in den Mund. Sie machten sich wieder auf den Weg und Armal war gespannt, wie Andala wohl aussehen würde. Sie war die erste große Stadt, die er seit Langem sehen würde. Die letzten Jahre hatte er in der schwarzen Zitadelle seines Meisters verbracht, oder in staubigen Hörsälen der Universität der schwarzen Künste. Er stellte sich eine große, blühende Stadt vor, voller Menschen, die aus den unterschiedlichsten Gegenden Mystars kamen. Tapfere Helden, fleißige Bauern, große Krieger, und edle Fräuleins. Gerade auf die Letzteren freute er sich am meisten. Er würde den ersten Tag mit einkaufen verbringen, denn seine Klamotten waren solchermaßen aus der Mode, dass sie beinahe schon wieder modisch waren. Einen neuen Hut würde er auch brauchen und er sollte darauf achten, dass er nicht auf den ersten Blick als Mitglied der schwarzen Zunft erkennbar wäre. Danach würde er erst mal einen drauf‘ machen und sich ein oder zwei Tage lang von seiner Reise erholen. Dann würde er sich einige Helden suchen und… Na ja, den Rest kennen sie ja bereits.

Kapitel 8

Die drei lustigen vier

Zwei ereignislose - aber recht gemütliche - Tage später, hatten Armal und Malekith endlich das Stadttor von Andala erreicht. Unter den aufmerksamen Augen der Wachen rumpelte die Kutsche durch das Tor. Malekith pfiff ein Lied vor sich her und Armal bestaunte die Stadt. Sie war genau so, wie er es sich vorgestellt hatte.

Die Straßen waren voller Menschen und obwohl die Kutsche durch die Menschenmassen nur mühsam vorwärtskam, empfanden sie diese Enge nicht als Nachteil. Malekith hielt am Rande des Marktplatzes und begann seine Waren auszuladen.

Er wandte sich noch einmal an Armal: „Geh nun hin und such dein Glück, und hüte dich vor Neid und Gier, bereu nicht und schau nicht zurück, das Allerbeste wünsch ich dir.“

Armal bedankte sich artig für die Fahrt und machte sich dann auf den Weg zum nächsten Schneider. Ein hübsch dekorierter Laden mit allerlei Sorten von Stoffen und Tüchern erregte seine Aufmerksamkeit.

Er trat ein und wurde sofort von einer Person begrüßt, die sowohl Mann als auch Frau hätte sein können. Nach der neusten Mode gekleidet und frisiert und mit einer Parfüm-Fahne, die einen Troll auf der Stelle hätte tot umfallen lassen.

„Seid mir herzlichst gegrüßt mein Freund, was kann ich dir Schönes antun? Es stört dich doch nicht, wenn ich Du sage, oder?“ "Ein wirklich netter Mensch", dachte Armal bei sich, wenn auch die Stimme eher zu einem Eichhörnchen gepasst hätte.

„Äh nein, schon in Ordnung“, erwiderte Armal leicht verwirrt. „Ich brauche eine neue Garderobe, eine Robe, Schuhe, Hut, das ganze Paket.“

„Ich habe die besten Stoffe in ganz Andala und jeder der etwas auf sich hält, kauft bei mir. Ich werde dir mal ein kleines Ensemble zusammenstellen. Du darfst mich übrigens Jaques nennen.“

Während Jaques wie ein Wirbelwind durch den Laden fegte, schaute Armal sich um und fühlte sich durch die unglaubliche Vielfalt an Klamotten geradezu erschlagen. Aber Jaques würde schon wissen, was er tut, dachte er bei sich.

Wenige Minuten später lagen sieben verschieden Sätze Kleidung vor Armal ausgebreitet. Komplett von Kopf bis Fuß. Jaques beobachtete entzückt Armals überforderten Gesichtsausdruck und begann ihm dann jede einzelne Kollektion zu erklären:

„Hier haben wir die Kollektion Wanderslust. Robust, unauffällig, aber edel. Für reisende Zauberer, die belastbare, aber modische Kleidung schätzen.

Als Nächstes haben wir hier eine wunderbare Kollektion in Creme. Ein frecher Schnitt, modisches Design, aber anfällig für Flecken. Wird auch gerne von Priestern getragen.

Die nächste Kollektion ist ein echter Klassiker. Die Weltenbrandkollektion, ganz in Anthrazit gehalten. Für ernste Anlässe, finstere Gesellen, oder Leute, die für solche gehalten werden wollen. Reduziert das Risiko überfallen zu werden um 35 %.

Aber vielleicht schlägt dein Herz eher für meine nächste Kollektion. Die Mr. Nice Guy Kollektion. Robust, todschick, und mit einem Lächeln auf jedem Saum. Aus weißer Seide, mit silbernen Stickereien. Trocknergeeignet und bügelfest.

Dann hätte ich noch die heißer Feger Kollektion. Feuerrot, feuerfest und kältebeständig. Vier zusätzliche Taschen und eine Halteschlaufe für den Zauberstab. Wird gerne von Elementaristen getragen.

Doch nun zu meinem persönlichen Liebling. Die Kollektion Glitzerfee, aus reinster Spinnenseide. Ein wenig teurer, aber luftdurchlässig und transparent. Auf Wunsch auch mit Rüschen in Creme oder Altrosa.

Und als Letztes meine Kollektion Regenbogen. Aus den feinsten Stoffen der östlichen Königreiche gewebt. Schillert und glitzert in allen Regenbogenfarben. Zeigt außerdem ihren Gemütszustand an. Nun, was darf es sein?“

Armal überlegte gründlich, fragte sich aber gleichzeitig, wieso Jaques fünf Minuten lang hatte reden können, ohne Luft holen zu müssen. „Ich glaube, ich nehme die Kollektion Mr. Nice Guy“, antwortete Armal unsicher. Darin würde er zumindest wie ein Zauberer der weißen Zunft aussehen.

„Eine ausgezeichnete Wahl. Du darfst die Umkleidekabine dort drüben benutzen, wenn du magst“, jubilierte Jaques. Armal zog sich um und verstaute seine alten Klamotten in seinem Reiserucksack. Er schaute in den Spiegel und stellte erstaunt fest, dass diese Kleidung wirklich sehr gut zu ihm passte.

Er verließ die Kabine und ging zu Jaques, der jetzt hinter der Theke stand.

„Wirklich allerliebst, wie für euch gemacht“, flötete Jaques, der sichtlich aus dem Häuschen war. Armal bezahlte, verabschiedete sich brav und machte sich auf den Weg in das nächste Wirtshaus. Dort würde er sicherlich alle Sorten von Helden, Glücksrittern, Abenteurern und Ähnlichem finden.

Nachdem unsere Helden ihr Kopfgeld einkassiert hatten, beratschlagten sie nun in der Taverne, welche Heldentaten sie als Nächstes verbringen würden. Nach einer längeren Diskussion hatte Charles schließlich die Idee: „Ich hörte jüngst von einem verlassenen Verlies einer alten Mystiker-Vereinigung, dass sich nordöstlich von Andala befinden soll. Möglicherweise gibt es dort noch verborgene Schätze und Kreaturen, die sie bewachen.“

„Das wäre doch was“, entgegnete Herod freudestrahlend.

„Wir drei gemeinsam gegen die Finsternis“, bekräftigte Nuix. „Dann ist es beschlossen“, verkündete Charles feierlich und drückte seinen neuen Kampfgefährten die Hand zu feinem Püree. „Was für eine Mystiker-Vereinigung war das denn?“, stöhnte Nuix, während er seine Hand in einen Eimer Eiswürfel drückte. „Es handelte sich dabei um die Bruderschaft der schwarzen Klaue. Ein okkulter Orden bestehend aus Hexern, Ketzern und abtrünnigen Finanzbeamten. Sie beteten zahlreichen Dämonen an und brachten ihnen sogar Blutopfer dar. Vor einhundert und fünfzehn Jahren wurden die Obersten des Ordens jedoch von der Garde Andalas und einiger Helden, die nicht näher erwähnt werden, vernichtet. Seitdem gilt der Orden als nicht mehr existent.“

„Dann könnten wir es mit schwarzer Magie zu tun bekommen“, sagte Herod wenig erfreut. „Ja, in der Tat. Viele ihrer Wächter und Fallen waren schwarzmagischer Natur“, bestätigte Charles. „Nun vielleicht sollten wir einen Zauberer mitnehmen, das könnte sich als nützlich erweisen“, schlug Nuix vor. „Aber woher sollen wir einen nehmen?“

Nachdenkliches Schweigen überkam unsere drei Freunde, aber nur für wenige Sekunden.

„Wir könnten diesen Warmduscher da mitnehmen, der uns ohnehin die ganze Zeit belauscht“, schlug Charles vor und deutete auf Armal. Die drei standen auf und gingen auf Armal zu, der tatsächlich ihre Unterhaltung mit angehört hatte. Charles baute sich vor Armal auf, „Ein wahres Muskelgebirge von einem Mann“, dachte Armal bei sich.

„Du da, Zauberer“, sprach Charles streng und hielt Armal seinen Finger direkt vor die Nase, so als wäre nicht eindeutig genug gewesen, wen er meinte. „Hast du uns belauscht?“

„Ja habe ich, aber das war nur, weil ... “, stammelte Armal.

„Weil was?“, fragte Charles mit seiner Böser-Barbar-Stimme.

„Ich war bloß neugierig. Dieses Gerede über Abenteuer und Heldentaten finde ich unheimlich spannend“, druckste Armal herum. „Dann komm mit uns und erlebe selbst welche“, schlug Herod vor. „Wenn du den Mut hast.“

Das Schicksal schien ihm wohlgesonnen zu sein, dachte Armal bei sich. „Einverstanden, ich bin dabei“, brach es aus ihm heraus und damit war eine neue Gruppe von Helden geboren. Eine neue Generation, deren Taten unsterblichen Ruhm mit sich bringen würden. Vier Helden, welche die Grundfesten der Finsternis erschüttern würden. Um dies zu würdigen, werde ich nun eine schweige Zeile einlegen.

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Unsere vier Helden machten sich abmarschbereit und obwohl Armal seine neuen Freunde mit argwöhnischen Augen betrachtete, so zweifelte er doch nicht daran, dass sie ihm auch bei seiner Aufgabe helfen würden. Doch zunächst musste er erst einmal ihr Vertrauen gewinnen. Seine Sauftour und der Einkaufsbummel würden wohl noch eine Weile warten müssen, aber er hatte ohnehin kaum noch Geld übrig. Zumindest hatte seine neue Garderobe ihren Zweck erfüllt.

Sie marschierten schnellen Schrittes in Richtung des östlichen Tores. Herod und Nuix teilten gegenseitig freundschaftliche Schläge aus, wagten es aber noch nicht bei Charles. Der beobachtete ihr albernes Gebaren mit Amüsiertheit.

Armal dagegen war nervös. Er hatte zwar Kenntnis vieler Zauberformeln und hatte schon Dinge gesehen, die manch ein Zauberer nie zu Gesicht bekommen würde, jedoch war er in der Universität eher Mittelmaß gewesen. Zudem musste er sich noch nie seines Lebens erwehren. Er konnte nur darauf hoffen, dass ihm seine neuen Gefährten den Rücken freihalten würden.

„He junge, träumst du?“ Charles Stimme riss ihn jäh aus seinen Gedanken. „Ich habe nur nachgedacht. Außerdem heiße ich Armal“, antwortete er. „Ich bin Charles Winthorp III., die beiden heißen Herod und Nuix“, stellte Charles sie vor. Herod und Nuix nickten zustimmend. Dann ergriff Herod das Wort: „Wir werden in wenigen Stunden dort sein, aber wenn Charles recht hat, könnten wir dort auf unliebsame Gesellschaft stoßen. Hast du schon jemals ein Abenteuer bestritten?“

„Noch nicht, aber ich denke, ich bin bereit“, antwortete Armal entschlossen. „Du denkst, du bist bereit?“, fragte Charles skeptisch.

„Na ja ich meine, ich weiß ich bin bereit“, bekräftigte Armal.

„Das wollte ich hören“, lachte Herod und versetzte Armal einen freundlichen Klaps auf die Schulter. Von diesem Augenblick an war die Anspannung von Armal gewichen. Nun genoss er den Marsch sichtlich und er musterte die Umgebung mit wachsender Neugier.

Schon bald hatten sie ihr Ziel erreicht, um 17.35 Uhr Ortszeit, um genau zu sein. Eine stillgelegte Mine im inneren eines Felsplateaus war der Zugang zum Verlies der schwarzen Klaue. „17.35 Uhr?“, fragte Nuix mit einem beiläufigen Blick auf seine Rolex. „Dann geht meine Uhr nach, verdammt!“ Nuix stellte seine Uhr richtig ein und betrachte zufrieden, wie das schwindende Sonnenlicht auf dessen goldenem Gehäuse glänzte.

Charles und Herod durchbrachen die Bretter, welche den Eingang zur Mine versperrten. Nuix behielt die Umgebung im Auge und Armal fingerte nervös an seinem Zauberstab herum. Als sie den Eingang der Mine freigelegt hatten, erwartete sie ein gähnender Abgrund der Finsternis. Der finstere Schacht führte mit leichtem Gefälle in nördlicher Richtung in den Berg hinein. „Nun Armal, dann sorge mal für Licht“, forderte Herod. Armal schwang seinen Zauberstab und sprach: „In Luciferi ex!

Ein rötlicher Funkenregen schoss aus der Spitze seines Stabes und aus den Funken bildeten sich daumengroße Teufelchen aus wirbelnden, knisternden Funken. Etwa ein halbes Dutzend von ihnen schwebten nun um Armal herum und tauchten die Umgebung in ein orange-rotes Licht. Sie kicherten und flüsterten, während sie um die Helden herum tanzten.

„Er ist ein Hexer, verbrennt ihn!“, kreischte Nuix.

„Natürlich bin ich ein Zauberer, deshalb habt ihr mich doch mitgenommen“, entgegnete Armal schockiert.

„Ach ja, stimmt“, räumte Nuix kleinlaut ein. „Ist ein alter Reflex aus früheren Zeiten.“ Herod schlug sich vor Lachen auf die Schenkel und Charles rollte mit den Augen. „Ihr seid mir ja ein paar Helden“, sagte er kopfschüttelnd und ging voran in die Dunkelheit. Herod und Nuix folgten ihm und Armal versuchte, sein Herz wieder in Gang zu bringen.

Der Minenschacht war eng und feucht. Der Boden war mit glitschigen Pilzen bewachsen und die Luft roch dezent muffig. Alle paar Meter wurde der Schacht von hölzernen Stützbalken abgestützt, die offenbar schon ganze Holzwurm-Kolonien hervorgebracht hatten. Ab und an traten sie in Pfützen abgestandenen Wassers und das Geräusch ihrer Schritte hallte dumpf von den Wänden wider.

Nach einigen Minuten erreichten sie eine Kreuzung. Ein schmaler Gang führte nach links, ein anderer nach rechts. Beide schienen identisch zu sein und wiesen keinerlei Besonderheiten auf. Charles winkte Nuix nach vorne.

„Also gut, Spurenleser, zeig was du kannst“, forderte er Nuix auf. Er kniete sich hin und prüfte den Boden.

„Sedimentgestein, mittelgradig porös. Ein 63er Jahrgang. Vielleicht auch ein 64er“, stellte Nuix fachkundig fest. „Spuren von mehreren Personen, etwa eine Woche alt. Metallene Abschürfungen, wahrscheinlich metallbeschlagene Räder von Loren.“

„Wir sind also nicht allein“, zischte Herod und zog sein Schwert. Charles ergriff seine Streitaxt mit beiden Händen und Nuix griff nach seinem Bogen. „Ich würde sagen wir gehen nach links“, flüsterte Nuix und schlich geduckt in den linken Gang. Herod, Charles und Armal folgten ihm vorsichtig.

Der Gang verlief ebenerdig und mündete in eine große Kammer. Diese war in den Fels‘ gehauen und bot einen überraschenden Anblick. Zwei Feuerstellen waren dort zu sehen und mehrere Loren standen herum. Sie waren offenbar mit Erz beladen, denn ein silbriger Glanz vermischte sich nun mit dem orange-roten Licht von Armals Zauber. Ein weiterer Schacht führte in westlicher Richtung abwärts.

„Hier wurde damals das Erz geschmolzen und in Barren gegossen“, erklärte Herod. „Sieh genau hin“, forderte Charles.

„In den Essen brennt noch ein Feuer.“ Nuix schlich sich an der Wand entlang in den Raum und beobachtete den Schacht im Westen. Er konnte keine Feinde ausmachen, also winkte die anderen zu sich.

Sie positionierten sich in der Mitte der Kammer und Nuix untersuchte den Inhalt der Loren. „Silbererz“, stellte er mit einem prüfenden Biss in einen der Erzbrocken fest.

„Scheint eine wahre Goldgrube zu sein“, murmelte Armal nachdenklich. „Wir sollten uns hier nicht allzu lange aufhalten“, gab Charles zu bedenken.

Er ging vorsichtig in Richtung des westlichen Schachtes und Nuix folgte ihm. Herod behielt den Eingang im Auge und bedeutete Armal mit einer Handbewegung, den anderen zu folgen. Armal schloss zu den anderen auf und wollte gerade den Gang betreten, da fiel sein Blick auf einige seltsame Zeichen, welche in die Stollenwand gemeißelt waren.

„Wartet!“, zischte er. Charles und Nuix fuhren herum und Herod wandte den Kopf zu Armal. „Was denn?“, raunte Herod ungeduldig. „Hier sind seltsame Zeichen in die Stollenwand geritzt“, erklärte Armal. „Kannst du sie lesen?“, fragte Charles, der jetzt neben Armal stand. „Ich werde es versuchen“, entgegnete Armal und trat näher heran.

„Und was bedeutet das?“, hakte Herod ungeduldig nach. „Frei übersetzt bedeutet das: 'Fürchte die Schatten, wenn du keiner bist'“, murmelte Armal. „Was, bei Haldar, könnte das bedeuten?“, fragte Herod.

„Es könnte eine Warnung sein, ein Hinweis, oder auch einfach nur ein Limerick“, versuchte Charles ihn zu beruhigen.

Armal kannte viele Kreaturen der Dunkelheit. Einige von ihnen waren nur lästig, andere dagegen hochgradig gefährlich.

Er wollte seine Kameraden aber nicht beunruhigen. Zudem würden sie sicherlich skeptisch werden, wenn er ihnen sein gesamtes Wissen über Schattenkreaturen und Schattenmagie offenbaren würde. Dieses Risiko konnte er nicht eingehen. Zu gegebener Zeit würde er ihnen die benötigten Informationen in kleinen Häppchen servieren. „Wir sollten auf alle Fälle vorsichtig sein, es könnte sich um Wächter handeln“, ließ Armal sie wissen.

„Dann vorwärts und ich will keinen laut hören“, flüsterte Charles entschlossen.

Vorsichtig schlichen sie den Stollengang entlang, die Augen auf die Finsternis vor ihnen gerichtet. Sie vermieden dabei jegliches Geräusch, bis auf das leise Plätschern, wenn sie in eine der vielen Schlammpfützen traten. Armal hatte die Leuchtkraft seiner Feuerteufel reduziert, damit sie nicht allzu leicht entdeckt werden würden. Doch auch ihre eigene Sinneswahrnehmung wurde dadurch getrübt. Nuix, der geduckt vorneweg schlich, und von allen die besten Augen hatte, spähte angestrengt in die Dunkelheit. Wenn der Weg sicher zu sein schien, winkte er die anderen herbei, doch so kamen sie nur langsam voran.

Es dauerte eine knappe Viertelstunde, bis sie Fackelschein am Ende des Stollens erspähten. Nuix gebot ihnen mit einer Geste, stehen zu bleiben. Sie harrten in der Dunkelheit aus und wagten nicht zu atmen. Nuix schlich weiter den Gang entlang, bis er kurz vor der Halle stand, aus dem der Fackelschein flackerte.

Er spähte um die Ecke und blickte in eine steinerne Halle.

Sie war groß und offenbar natürlichen Ursprungs, doch an ihrem Ende befand sich ein schwarzes Tor aus dunklem Felsgestein. Die gesamte Halle war in Dunkelheit gehüllt und Nuix konnte keinerlei Gefahren erkennen. Deshalb flüsterte er seinen Gefährten zu: „Hier ist niemand, ihr könnt jetzt eintreten.“ Sichtlich erleichtert kamen Herod, Charles und Armal herbei, und Armal erhöhte nun die Leuchtkraft seiner Teufelchen wieder, um die gesamte Halle auszuleuchten. Nuix und Herod untersuchten die felsigen Wände der Halle, während Charles sich dem Tor zuwandte.

„Heda, Armal!“, rief er, „Das hier ist dein Fachgebiet, Zauberer.“ Armal eilte herbei und betrachtete das Tor. Es war in der Tat aus einem schwarzen, sehr harten Gestein, und es schien das Licht zu verschlucken. Charles beobachtete Armal, wie dieser die Oberfläche des Tores abtastete.

„Und was glaubst du?“, fragte Charles. „Ich bin mir nicht sicher“, antwortete Armal. Er hob seinen Stab und flüsterte:

In offendis pare!“ Ein Schwall bläulicher Funken verließ die Spitze seines Stabes und verteilte sich auf der Oberfläche des Tores. Armal murmelte leise vor sich hin und betrachtete ihre Reflexionen. Charles wurde sichtlich nervös. Er ging einen Schritt zurück und fingerte an seiner Axt herum. Nuix und Herod prüften noch immer die Wände auf verborgene Durchgänge, doch ohne Erfolg. Die gesamte Halle schien tatsächlich aus massivem Felsgestein zu bestehen.

„Dann eben keine versteckte Schatzkammer, Schade“, flüsterte Nuix enttäuscht und Herod kicherte leise. Armal war verwirrt ob seiner Analyse. Dieses Material schien kein Gestein, kein Mineral und kein Erz zu sein. Die Muster der Reflexionen auf der Oberfläche des Tores ergaben keinen Sinn. Die chaotischen Fluktuationen, die er erkennen konnte, gab es doch eigentlich nur bei Lebewesen, nicht aber bei toter Materie, es sei denn ...

Die Oberfläche des Tores begann nun zu verschwimmen, so als wäre das Gestein flüssig geworden. Es bildeten sich Krallen auf dessen Oberfläche und Armal vernahm eine leise Stimme in seinem Kopf, in der Sprache der Schatten:

„Seid verdammt, sterbliche, die Zeit der Schatten ist gekommen.“ „Das ist eine Falle!“, schrie Armal und sprang rückwärts. Charles fuhr herum und blickte auf die amorphe, schwarze Masse, die nun langsam Gestalt annahm. Nuix und Herod eilten herbei und zogen ihre Waffen. „Was, bei Haldar ... “, stammelte Herod. Doch Armal unterbrach ihn jäh: „Das Tor ist ein Wächter. Das Gestein war nichts anderes als komprimierter Schatten.“

Eine drei Schritt große Gestalt aus flüssigem Schatten, vor Klauen und Zähnen strotzend, und sich unablässig wandelnd, erhob sich nun vor ihnen. Eine Sekunde lang standen sie alle wie angewurzelt da, doch Nuix reagierte als Erster. Er schoss der Schattenkreatur einen Pfeil direkt zwischen die Augen, doch dieser glitt durch die Masse hindurch wie durch Wasser. Der Schatten kroch vorwärts und eine seiner Arme hieb nach Charles. Dieser hielt die Axt dazwischen, doch er hatte nicht mit der ungeheuren Kraft des Schattens gerechnet. Er wurde zu Boden geworfen. Herod hieb auf den Arm der Kreatur ein und dieser zerplatze an seinem Schwert. Die schwarze Flüssigkeit tropfte von seiner Klinge und jene, die auf dem Boden gelandet war, floss zurück zu der Kreatur, nur um sich erneut mit ihr zu vereinen. „Ein Schatten Homunkulus!“, entfuhr es Armal.

„Er besteht nur aus Zorn und Schatten. Seid wachsam!“

Charles stand auf und ergriff seine Axt. Nuix ließ seinen Bogen fallen und zog sein Schwert. „Können wir ihn besiegen, Armal?“, fragte er. „Mit vereinten Kräften vielleicht“, antwortete Armal und er spürte, wie seine Knie zu zittern begannen. Die Kreatur hieb erneut auf sie ein, ungezielt zwar, doch durch seinen Zorn und seine große Reichweite waren seine Schläge eine ernst zu nehmende Gefahr. Herod duckte sich behände und Charles wich ebenfalls aus. Armal deutete mit seinem Stab auf die Kreatur und schrie: „Disvocatio ex in ternam!“ Ein schwarzer Blitz schoss auf die Kreatur zu und spaltete ihren Körper in zwei Hälften, jedoch nur für einen Augenblick. Schon nach wenigen Herzschlägen hatte sich die Kreatur wieder zusammengefügt.

In diesem Moment wünschte sich Armal, er hätte doch die Schule des Lichtes besucht, statt jener der Schatten. Herod und Charles schlugen auf die Kreatur ein und die schwarze Masse flog ihnen buchstäblich um die Ohren. Nuix hielt sich noch im Hintergrund, er schien auf etwas zu warten, vielleicht dachte er aber auch darüber nach, wie man diese Kreatur besiegen könnte. Ein wuchtiger Hieb traf Armal, während dieser noch in Gedanken war; er flog quer durch die Halle und prallte gegen die steinerne Wand. Der Schmerz schien ihm unerträglich und Blut floss aus seinem Mund und tropfte auf den felsigen Boden. Er kämpfe gegen die Ohnmacht an, doch vor seinen Augen zogen sich dunkle Schatten zusammen (im wahrsten Sinne des Wortes). Charles vergrub seine Axt tief im Rumpf der Kreatur und Nuix führte einige schnelle Hiebe aus, doch als Herod zuschlagen wollte, rannte er direkt in den Angriff der Kreatur hinein. Sie umschloss ihn mit eisernem Griff und hob ihn hoch, während sie ihn wie eine Zitrone presste. Herod stieß einen Schrei aus und das Echo der Halle trug diesen weit fort. Armal stütze sich auf und versuchte, sich zu erheben. Er tastete nach seinem Stab und stützte sich auf ihn. Röchelnd stand er auf und wankte zu seinen Gefährten. „Wir sollten uns langsam was einfallen lassen, Nuix“, ächzte Charles und schlug auf die Kreatur ein. Nuix führte einige gezielte Schläge gegen die Kreatur, doch er erzielte keinerlei Wirkung, bis auf eine Handvoll schwarzer Masse, die auf seine Kleidung spritze. „Gute Idee“, entgegnete Nuix sarkastisch, „Aber du bist doch der Studierte von uns.“

Charles wischte sich die schwarze Masse aus dem Gesicht und spuckte aus. „Das Ding muss doch irgendeine Schwäche haben“, fluchte er. „Wie wäre es mit Licht?“, fragte Nuix, obwohl er die Antwort bereits kannte.

„Könnte klappen, aber hast du welches?“, fragte Charles, während er sich unter einem Hieb wegduckte. Die Kreatur verfehlte ihn und traf einen Stalagmiten, woraufhin der Greifarm der Kreatur sich in einem Platschen auflöste und sich über Charles ergoss. „Versuchs doch mit Feuer“, keuchte Herod, dessen Gesicht mittlerweile blau angelaufen war. Na ja, eigentlich war es mehr ein blaugrün. Armal stand nun wieder zwischen seinen Gefährten und natürlich hatte er die Unterhaltung mitangehört. „Also gut“, schnaufte er. „Versuchen wir es: 'Expurgico Ignaetem'!“ Eine spiralförmige Flammenlanze schoss aus seinem Zauberstab und versenkte die weiten Ärmel seines Gewandes. Die Kreatur loderte in einer Stichflamme auf und brannte binnen weniger Sekunden lichterloh. Armals Freude darüber wurde jedoch durch den Geschmack nach Blut in seinem Mund und den Geruch verbrannten Textils in seiner Nase getrübt. Charles führte einen kräftigen Hieb gegen den Arm der Kreatur, die Herod noch immer umklammerte. Mit einem brodelnden Zischen zerfiel der Arm in eine stinkende, zähflüssige Substanz. Herod fiel zu Boden und Nuix zog ihn weg von der brennenden Kreatur. „Brenne Bastard!“, japste Herod und versuchte sich aufzusetzen.

Sie gingen einige Schritte zurück und beobachteten mit Genugtuung, wie sich die Kreatur in eine schleimige, zähe Masse verwandelte, die sich blubbernd auf dem Boden verteilte. Nachdem die letzten Flammen erloschen waren, setzten sie sich auf den Steinboden und beschlossen, eine kurze Rast einzulegen. Nuix versorgte ihre Wunden und als sie sich im Kreis gegenüber saßen, trafen sich ihre Blicke. Und sie spürten zum ersten Mal deutlich ihre Verbundenheit als eine Gruppe, ja sogar als Gefährten. Armal musste lächeln. Er wusste nicht warum. Ob aus Erleichterung oder angestachelt durch eine Laune des Schicksals. Charles erwiderte seinen Blick und lächelte ebenfalls. „Gut gemacht, Armal“, sagte er gönnerhaft. „Ja saubere Arbeit“, stimmte Herod zu. „Und keine Minute zu spät.“ Nuix schwieg gedankenverloren und taxierte Armal aus dem Augenwinkel. Sein Volk besaß ebenfalls die Kenntnis der Pfade der Magie, wenn auch nur rudimentär. Aber den Schattenblitz, den Armal auf die Kreatur abgefeuert hatte, wusste er wohl zu deuten. Er würde ihn im Auge behalten müssen.

Kapitel 9

Finstere Pfade zu Tod und Verderben

Nachdem sie gerastet hatten, beschlossen unsere Helden nun endlich, das Portal zu durchqueren, obwohl es nun, technisch gesehen, kein Portal mehr war, sondern nur noch eine Öffnung in der Felswand. Eigentlich schade, denn schließlich ist das Durchschreiten eines Portales um ein vielfaches heroischer als das Trotten durch eine Öffnung im Felsen.

Nichtsdestotrotz machten sich unsere Helden daran, die dunkle Öffnung in der Felswand zu durchschreiten. Mit gerunzelten Brauen und wachen Augen spähten sie in das dämmrige Zwielicht vor ihnen. Der Gang hinter der Öffnung fiel sanft ab und führte sie zu einer alten, rostigen Rolltreppe, die schon seit Jahrzehnten nicht mehr im Betrieb gewesen sein konnte.

Die Rolltreppe führte steil in die Tiefe und ein muffiger Geruch von Tod und Verfall stieg ihnen in die Nase.

„Diese antike Konstruktion sollte uns in das Herz der alten Kultstätte der schwarzen Klaue führen“, stellte Armal fest.

„Wir sollten vorsichtig sein“, entgegnete Nuix, und untersuchte den Fuß der Rolltreppe. Nach einem prüfenden Blick seiner scharfen Augen runzelte er die Stirn und deutete auf ein Messingschild, welches seitlich an der Rolltreppe angebracht war. Charles entzifferte die eingestanzte Schrift und las seinen Gefährten mit bestürzter Miene den Text vor:

„TÜV-Siegel abgelaufen, betreten auf eigene Gefahr.“

Herod fasste sich ein Herz und betrat als erster die bereits stark korrodierte Gummimatte am Fuße der Rolltreppe. Mit einem ächzenden Geräusch setzte sich die Rolltreppe in Bewegung und Nuix hatte das Gefühl, als wenn ein Dutzend Schrottzüge in seinem Gehörgang rangierten. Mit zusammengebissenen Zähnen folgte er Herod, während Armal und Charles nur widerwillig folgten, und sich am Geländer festhielten. Armal warf einen Blick in den scheinbar bodenlosen Abgrund, der unter ihnen gähnte. Auch das andere Ende der Rolltreppe war nicht zu sehen.

Es vergingen einige bange Minuten, ehe sie das Ende der Rolltreppe erreichten. Als Armal seinen Fuß wieder auf festen Boden setzte, fiel ihm ein Stein vom Herzen, und mit zittrigen Händen zündete er sich eine Dark Lord an. Herod mutmaßte, dass sie sich auf einem großen Felsvorsprung in einer noch größeren Höhle befinden mussten. Nuix bestätigte seine Vermutung, nachdem er wieder in der Lage war zu hören. Charles betrachtete den Torbogen, der sich vor ihnen erhob, und spähte in die Finsternis, in dem verzweifelten Versuch, etwas zu erkennen.

„Wir sollten kurz Verschnaufen“, schlug Herod vor und alle nickten zustimmend. Eine Zigarettenlänge später machten sich unsere Helden auf, denn Ruhm und Reichtum würden auf der anderen Seite des Tores auf sie warten. Hinter dem Tor erwartete sie eine in den Fels‘ geschlagene Kammer. Die Wände wiesen eindeutige Spuren von Bearbeitung auf und im schwachen Dämmerlicht sahen sie Tische, Pulte und Bücherregale, die den Raum dominierten.

„Das muss ein Studierzimmer gewesen sein“, mutmaßte Charles. „Nun ja, wohl eher ein geheimes Arkanum“, berichtigte ihn Armal. Sie durchforsteten die Kammer und achteten auf alles, was ihnen wertvoll erschien.

„Ich habe die Chronik der schwarzen Klaue gefunden“, jubelte Armal und hielt einen uralten Schmöker in die Höhe.

„Ich habe einige Beutelchen Gold gefunden“, frohlockte Herod. „Ich habe einige Pfeile und eine Ersatzsehne gefunden“, rief Nuix freudig. Charles hatte seine Gefährten bisher nur beobachtet, um ihnen den Rücken freizuhalten.

„Wieso gibt es in einem geheimen, magischen Studierzimmer Pfeile und Ersatzsehnen?“, fragte er stutzig und blickte Nuix fragend an.

„Eine gute Frage“, erwiderte Armal. Während sich Nuix fragend den Kopf mit seinen neuen Pfeilen kratzte, ergriff Herod das Wort: „Ein Schatz enthält immer für jeden etwas, das ist ein Grundgesetz der Fantasy-Literatur.“

„Ich bin vielleicht noch nicht so lange ein wandernder Abenteurer wie du“, begann Charles erneut, „Aber das macht trotzdem keinen Sinn. Denn schließlich hat Nuix ja noch genügend Pfeile übrig und seine Bogensehne ist auch noch wie neu.“ „Jetzt wo du es sagst“, murmelte Nuix unsicher.

Einige schweigsame Sekunden der Ratlosigkeit vergingen, bis Nuix wieder das Wort ergriff: „Seht mal, was ich gefunden habe, einen Heiltrank, der verlorene Gesundheit wieder aufzufrischen vermag.“ Er streckte seine linke Hand vor, in der er vor wenigen Sekunden noch die Pfeile gehalten hatte, und zeigte seinen verdutzten Gefährten eine kristallene Phiole mit der gut sichtbaren Aufschrift: „Überdurchschnittlich starker Heiltrank“ „Na also“, seufzte Charles. „Da das jetzt geklärt ist, können wir ja weitergehen.“ Allerdings eröffnete sich ihnen kein weiterer Weg, was sie zu der Schlussfolgerung führte, dass sie den „Geheimen Raum“ bereits entdeckt hatten.

Solchermaßen ernüchtert begaben sie sich wieder auf den Weg zur Rolltreppe, um ein zweites Mal ihr Leben in diese rostige, antike Waagschale zu werfen, die Armal eine Rolltreppe nannte. Diese setzte sich wieder mit ihrem sympathischen Ächzen und Knirschen in Bewegung, allerdings gab es da ein kleines Problem: Die Rolltreppe lief nämlich nach unten, und augenscheinlich war es auch nicht möglich, den Mechanismus umzukehren.

Charles runzelte die Brauen und winkte Armal herbei: „Sag mir Armal, vermögen uns deine magischen Künste hier von Nutzen zu sein?“ „Tja“, erwiderte Armal trocken, „Ich bin ein Zauberer, kein Mechatroniker.“ „Ich sehe euer Problem nicht, Leute“, warf Herod ein. „Die Rolltreppe bewegt sich zwar in unsere Richtung, aber nur in Schrittgeschwindigkeit. Es dürfte doch nicht allzu schwierig sein, sie schnellen Schrittes zu passieren.“

„Sehr kurzsichtig gedacht mein Freund“, belehrte ihn Charles. „Wir haben fünf Minuten für den Weg hier herunter gebraucht, ohne die Bewegungsdynamik unserer Körper zu nutzen. Wenn wir uns schwer bepackt und gegen die Laufrichtung bewegen müssen und dazu noch mit einer Steigung von mindestens 35°, dann wird dies eine immense körperliche Herausforderung werden. Abgesehen von der Tatsache, dass jegliche größere Kraftaufwendung unsererseits der strukturellen Integrität dieser antiken Rolltreppe abträglich wäre.“

„Außerdem könnte es ja auch passieren, dass wir auf der Rolltreppe kämpfen müssen“, warf Nuix ein, der auch einmal etwas Intelligentes sagen wollte. „Gut überlegt und das könnte wirklich ein Ärgernis werden“, fügte Armal hinzu. Nach eingängiger Diskussion legten sie folgende Strategie fest:

1) Sie dürften nicht rennen, um die Struktur der Rolltreppe nicht unnötig zu belasten.

2) Sie müssten jegliche getragene Last zu gleichen Teilen auf alle vier Helden verteilen, unter Berücksichtigung der Größe und Konstitution jedes einzelnen von ihnen, um die Rolltreppe nicht unnötig zu belasten.

3) Sie sollten sich in einem von Charles errechneten Algorithmus bewegen, damit ihre Füße niemals gleichzeitig auf die Rolltreppe auftreffen (um sie nicht unnötig zu belasten).

4) Sie würden während ihres Marsches auf jegliche Kommunikation verzichten und außerdem keine Eindrücke ihrer Umgebung verarbeiten (um den Schreiber nicht unnötig zu belasten).

Nachdem die Vorbereitungen getroffen waren, zählte Charles von fünf an runter, und losging der Marsch. Wie eine Gruppe legasthenischer Pinguine wackelten die vier die Rolltreppe hinauf. Es fiel ihnen schwer, sich im Rhythmus zu bewegen, im Takt zu atmen, die Balance zu halten, und dabei noch einigermaßen heldenhaft auszusehen. Herod dachte bei sich, dass sein alter Ausbilder bei der Armee sicherlich sehr stolz auf ihn wäre, wenn er ihn jetzt sehen könnte. Vorausgesetzt, er würde sich nicht vor Lachen den Abgrund hinunterstürzen. Nach zwanzig knallharten Minuten hatten sie es schließlich geschafft. Sie erreichten die Spitze der Rolltreppe und fielen spontan in ein kollektives Koma.

Als sie wieder erwachten, spendierten Herod und Nuix eine Runde eiskalter Getränke aus ihrer Kühlbox. Wenige Minuten später waren unsere Helden wieder auf den Beinen. Sie verteilten ihr Gepäck um und machten sich auf den Weg, um diesen unfreundlichen Ort zu schnell wie möglich zu verlassen. „Das Studium der Chronik wird uns sicherlich mit äußerst interessanten Informationen versorgen“, brach Armal das erschöpfte Schweigen. Aber dabei sollte es vorerst auch bleiben. Erst als sie den Ausgang der Mine erreicht hatten, fiel die Anspannung von ihnen ab. Sie legten eine kurze Rast ein, reckten und streckten sich und machten sich dann auf die beschwerliche Reise zurück nach Andala. Obwohl es dunkel war, wanderten sie recht sorglos, denn sie befürchteten nicht, überfallen zu werden, oder es war ihnen einfach egal.

Am nächsten Morgen begrüßte sie ein malerischer Sonnenaufgang, so als wollte Haldar sie für ihre Strapazen der vergangenen Nacht belohnen. Erschöpft, aber glücklich wankten sie durch das östliche Stadttor von Andala. Ihr Anblick glich dem einer Horde streunender Hunde. Müde und abgekämpft, mit Verbänden, und kleineren Verletzungen übersät. Es fiel ihnen schwer, sich auf den Beinen zu halten, denn nun gesellte sich zu ihrer Erschöpfung noch eine große Müdigkeit.

Sie betraten das Rasthaus und torkelten die Treppe hinauf. „Keine Anrufe bitte“, ließ Armal den Wirt wissen. Sie ließen sich in ihre Betten fallen und bald lagen sie alle in einem tiefen, traumlosen Schlaf. Gegen Abend waren sie ausgeruht und trafen sich in der Wirtsstube, um ihre Beute zu begutachten und ihr weiteres Vorgehen zu bereden. Armal ließ Purzel auf seinem Zimmer, denn er war noch um einiges größer geworden, und passte nun nicht mehr in seinen Tragebeutel. Armal schlenderte die Treppe zur Schankstube hinunter und ließ sich auf einen bequemen Stuhl fallen.

„Herr Wirt!“, rief Herod aus. „Tequila bitte!“

Details

Seiten
ISBN (ePUB)
9783752135596
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2021 (Februar)
Schlagworte
Technik Fantasy Freaks Humor Hamster Zauberer

Autor

  • Daniel Prothmann (Autor:in)

Der bisher noch nicht in Erscheinung getretene Autor Daniel Prothmann hat sich lange mit dem Schreiben beschäftigt. Dies ist nun sein erstes Werk.
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Titel: Schattenspiele