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Der Franke II - Farangi

von Klaus Haidukiewitz (Autor:in)
483 Seiten
Reihe: Der Franke, Band 2

Zusammenfassung

Nach einer Fügung des Schicksals nimmt Jesco von Hohengreif das Kreuz und begibt sich zurück ins Heilige Land. Doch bereits auf Sizilien wird er von seiner Vergangenheit eingeholt und muss sich dort Anfeindungen erwehren, die ihn für lange Zeit begleiten werden. Er besteht die Gefahren der Seereise und erreicht schließlich das gelobte Land, in dem er einst aufwuchs und zum Ritter wurde. Doch auch dort stehen die Räder des Schicksals nicht still, denn er muss erneut zum Schwert greifen und Dinge mitansehen, die ihn mehr denn je an seinem Glauben zweifeln lassen. Als zudem noch eine geheimnisvolle Orientalin auftaucht und Jesco um sein Leben fürchten muss, entzündet sich die Glut in seinem Inneren zu einer lodernden Flamme der Rache.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Danksagung

 

Zunächst möchte ich mich bei meinen Leserinnen und Lesern bedanken, die mir einen Teil ihrer kostbaren Zeit schenken.

Desweiteren danke ich Ramona Pingel vom Lektorat Silbentaucher für die herzliche und überaus freundliche Zusammenarbeit, sowie Claudia Kaiser für die Umsetzung und Gestaltung meines Covers. Überaus hilfreich beim Umwandeln der Dateien war mir erneut der bekannte und von mir geschätzte Autor Matthias Czarnetzki. Großer Dank gebührt meiner langjährigen Lebensgefährtin für ihre Geduld, auch weil sie während des Schreibens meine Launen ertragen musste. Und selbstverständlich meinen Freunden, die nicht müde werden, mich immer wieder zu unterstützen und zu neuen Untaten anzustiften. Euch allen gehört mein tiefer und aufrichtiger Dank.

 

~

 

 

 

 

 

Prolog

Heiliges Land 1133

Das Glühen des Abendrots schimmerte wie Blut durch die Risse meines Schilds. Der Himmel schien zu brennen und tauchte Krieger und Pferde in sein flammendes Licht. Hufe wirbelten Sand empor und aus seinem Staubdunst drangen Krummschwerter und Lanzen auf mich ein. Ich kämpfte mit der rasenden Wut und Verzweiflung eines in die Enge getriebenen Tieres. Doch je weiter die Risse in meinem Schild aufklafften, desto deutlicher und unausweichlicher zeichnete sich auch unser Ende ab. Wir waren die selbsternannten Herren über Outremer und ernteten nun die Früchte unserer arroganten Macht.

   Meine Finger krampften sich um Ashirs Zügel, ich fühlte starke Schmerzen in meiner Schulter, konnte meinen Arm kaum noch bewegen und war erschöpft. Und ich war unachtsam, denn die Wucht eines Streithammers zertrümmerte meinen Schild und stieß mich aus dem Sattel. Ich schlug mit dem Rücken hart auf und bekam für einen Moment keine Luft. Eine Lanzenspitze bohrte sich neben meinem Kopf in den Boden und schleuderte mir aufspritzenden Sand ins Gesicht. Ich rollte mich zur Seite, kam zurück auf die Füße und nahm mein Schwert wieder auf.

Von allen Seiten drang Gebrüll, wütendes Wiehern und Waffenlärm an meine Ohren. Es war der kalte Klang des Krieges, der sich in seiner ganzen Grausamkeit mir doch so vertraut zeigte, geradezu wie ein alter Freund, der mich von Zeit zu Zeit aufsucht. Ich konnte hören wie sich die Klingen der Heiden dumpf schmatzend durch Fleisch und Knochen fraßen. Ihr fauchender Stahl gierte nach Vergeltung und fand nun seine Nahrung im Blut meiner Waffenbrüder.

Wie oft schon war ich Zeuge geworden, wie verletzte und im Sterben liegende Krieger ängstlich wimmerten oder gar nach ihren Müttern weinten. Diese Männer hingegen starben tapfer, aufrecht und mit dem Schwert in ihrer Hand. Doch ich war noch am Leben und verfluchte mich für meine Einfalt und meinen Hochmut, weil ich die Ungläubigen unterschätzt hatte.

Wenn ein Krieger in die Schlacht zieht, dann reitet die Angst vor dem Tod stets mit ihm. Im Kampf dann ist die Furcht plötzlich wie verschwunden, man fühlt nichts mehr, will nur überleben, und es gibt weder Mitgefühl noch Angst. Auch ich hatte bis dahin keine Angst, auch dann nicht, als der kalte Stahl einer Klinge zwischen meine Rippen fuhr und mir die Luft aus den Lungen presste. Bis dato wusste ich nur aus den Erzählungen anderer Krieger, wie es sich anfühlt, wenn einem eine Klinge in die Eingeweide gestoßen wird. Doch heute kann ich bestätigen, dass es beileibe so ist, wie mir berichtet wurde. Es fühlt sich an, als würde eine eisige Klaue in den Leib dringen, die einem die Rippen samt Gedärme aus dem Fleisch reißen will.

Ich musste aufschreien, als der Krummsäbel wieder aus mir herausgezogen wurde, denn der Schmerz war noch intensiver als beim Eindringen der Klinge. Ich sackte auf meine Knie und stützte mich mit dem linken Arm auf. Meine rechte Hand umschloss noch den Schwertgriff und ich spürte warmes Blut an meiner Hüfte herunterrinnen. Ich hörte nichts mehr, keine Schreie, kein Wiehern, kein Waffenklirren, nichts, nur noch mein klopfendes Blut in den Adern. Und ich blickte auf zwei Stiefelschäfte, und selbst an den Riss in ihrem abgewetzten Leder kann ich mich noch entsinnen.

Die blutige Spitze der gebogenen Säbelklinge berührte mein Kinn und zwang mich den Kopf anzuheben. Doch ich wollte meinem Gegenüber nicht ins Angesicht blicken und schloss meine Augen. In diesem Moment erschien mir im Geiste aber weder Gott noch das Paradies, sondern ein Gesicht. Es tauchte nur für einen kurzen Augenblick, nicht länger als der eines Wimpernschlags, vor mir auf. Ich sah Maries Antlitz, und die Wärme ihres Lächelns durchströmte mich und bekämpfte meine aufkommende Furcht. Als ich meine Augen wieder öffnete, sah ich durch den Sandnebel einen Helm mit schwarzem Schweif, und darunter die siegessichere Miene eines Seldschuken.

Alles in mir sträubte sich gegen diesen Moment, denn ich war weder bereit noch gewillt, meinem Schöpfer gegenüberzutreten. Die Säbelspitze entfernte sich von meinem Kinn und ich neigte den Kopf nach unten. Ich musste schnell sein, schneller als er. Meine Augen fixierten den Schatten der herabhängenden Säbelklinge, und noch bevor er sich bewegte, holte ich mit meinem Schwertarm aus und schlug zu.

   Damals, und es scheint mir, als wäre es erst gestern gewesen, waren meine Arme noch kräftig und mein Wille war stark, denn ich stand in der vollen Blüte meines Lebens. Heute hingegen bin ich ein Greis, bin zittrig und schwach, und auch mein Geist lässt mich in letzter Zeit immer öfter im Stich. Doch einst war ich ein junger Krieger und trug mit Stolz das Kreuz auf meinem Waffenrock, denn ich wollte Gott und den Heiligen schmeicheln und ihnen gefallen.

Mein Name ist Jesco von Hohengreif, und wenn auch einigen mein Name wie ein Dorn ins Auge sticht, so war ich dennoch viele Jahre ein Streiter Christi. Mir gebührt die Ehre, als Letzter den Namen meiner Ahnen tragen zu dürfen. Doch sollte es dem Herrn eines Tages einfallen mich zu sich zu holen, dann wird an diesem Tage die Linie dieses Geschlechtes enden – niemals jedoch die Erinnerung an ihre Taten.

Hohengreif

Im Jahre des Herrn 1128

Das tiefe Grollen des Donners drang unheilvoll über das Tal und hallte von den düster aufragenden Burgmauern wider. Die Nacht war hereingebrochen und ließ die Umrisse der mächtigen Eichen nur noch schemenhaft erkennen. Vom Rand meiner Kapuze tropfte Wasser herab, der Regen hatte meinen Umhang bereits durchweicht und mir war kalt. Das Trommeln der herabfallenden Tropfen erinnerte mich an jenen gottverdammten Tag, an dem es auch nicht aufhören wollte zu regnen. Ich rammte mein Schwert in den aufgeweichten Boden, als könnte ich dadurch die Dinge ungeschehen machen, die wie ein gewaltiger Sturm über mich hereingebrochen waren. Doch das Schicksal hatte seine Pläne für mich bereits geschmiedet.

Der Nebel hing in den Baumkronen und der Regen verstärkte sich. Ich spürte die kalte Nässe inzwischen auch auf meiner Haut, doch es war mir gleich. Außer Leere, Wut und tiefer Traurigkeit fühlte ich nichts mehr, denn mein Innerstes glich einem ausgehöhlten Baumstamm, dessen Lebensadern schon lange verdorrt waren. Ich öffnete meine halbverschlossenen Augen, die zu keiner Träne mehr fähig waren. Das zuckende Licht eines Blitzes erhellte für einen kurzen Augenblick die Umgebung und offenbarte mir, was ich immer noch nicht wahrhaben wollte. Es waren die in kalten Stein gehauenen Buchstaben einer Inschrift – »Marie«.

Noch vor wenigen Wochen waren wir voller Vorfreude gewesen und hatten der baldigen Geburt unseres Kindes entgegengeblickt. Es war eine Zeit voller Wärme und Harmonie, und ich hatte Marie nie glücklicher erlebt, als in den Monaten ihrer Schwangerschaft. Niemals werde ich jenen friedvollen Anblick vergessen, als sie im weichen Licht der Abenddämmerung unter einem Apfelbaum saß und mir ein sanftes Lächeln schenkte, während ihre Hand zärtlich über ihren gewölbten Bauch strich. In jenem Augenblick fühlte ich mich nach einem langen und steinigen Weg endlich angekommen, und ich war dem Herrn dankbar dafür.

Doch als es dann so weit war und der Tag der Niederkunft kam, da gefiel es dem Allmächtigen, mir mein Weib samt unseres ungeborenen Kindes zu entreißen. Und noch bis heute sehe ich die Bilder von jenem Tage im Geiste vor mir, allerdings nur verschwommen, düster und unwirklich. Die alte Hebamme war damals schweigend und ihren Blick gesenkt, im flackernden Kerzenschein vor mir gestanden, in ihrem Rücken die Tür zu unserem Gemach weit geöffnet. Doch kein Schreien eines Säuglings war zu hören gewesen, auch kein freudiges Lachen, stattdessen nur Stille, dunkle und leere Stille.

Mein starrer Blick ruhte auf dem Grab vor mir und ich nahm erneut einen Schluck aus dem Weinkrug, der mir in den letzten Tagen zu einem treuen Begleiter geworden war. Der Wein half mir, meine Sinne zu betäuben, um von dem Schmerz nicht hinweggespült zu werden. Ich trank in mich hinein, bis der Schlaf mich übermannte und in einen gnädigen Nebel des Vergessens entführte. Wenn ich dann wieder erwachte, war alles nur noch schlimmer und ich trank weiter.

Ich zog mein Schwert aus dem morastigen Boden und betrachtete die nasse Klinge, die im bleichen Mondlicht schimmerte. Am liebsten hätte ich mir den Stahl selbst ins Herz gestoßen, doch ich war zu feige und brachte es nicht fertig. Also setzte ich den Weinkrug erneut an und fragte mich, warum alle ins Himmelreich wollen, aber dennoch keiner sterben will. Die Antwort darauf blieb mir jedoch verwehrt, denn für mich war Gottes Stimme verstummt und ich verfluchte ihn für das, was er mir angetan hatte. Doch mein wütendes Flüstern wurde vom immer lauter prasselnden Regen übertönt. Wut war das Einzige, was mir noch geblieben war, und sie war der trostlose Nährboden, der mich weiter am Leben hielt. Einem Dasein im Schatten, fernab des Lichts und jeglicher Hoffnung beraubt.

Mir war mein Herz bei lebendigem Leib herausgerissen worden, und ich wusste, diese Wunde würde für immer bluten, mein ganzes Leben lang – schmerzvoll und unaufhörlich.

 

 

 

Straße von Messina

1129

Immer stärker werdender Wind blies mir den Nieselregen ins Gesicht. Der Himmel war von grauen Wolken verhangen und hob sich kaum von der Farbe der Wassermassen ab. Das triste Bild, das sich mir bot, spiegelte mein Gefühlsempfinden nur allzu deutlich wider. Meine Finger krallten sich an das Holz der Reling, während unser Schiff von den Wogen emporgehoben wurde, um dann wieder in das nächste Wellental hinabzugleiten.

Wir waren erst seit einer Stunde auf See und trotzdem hatten sich die Fische bereits mehrere Male meines Mageninhalts erfreuen dürfen. Dennoch weigerte ich mich zu Gott zu beten oder ihn gar um Hilfe zu bitten, denn ich war immer noch wütend auf ihn. Also beschloss ich, es auch ohne ihn zu überstehen. Ich blieb meinem Versprechen treu und trotzte ihm, deshalb betete ich kurze Zeit später zur Heiligen Jungfrau Maria. Doch sie schien mein Flehen nicht zu erhören, denn ich musste mich erneut übergeben.

»Leichter Regen und kalter Wind, gutes schottisches Wetter, mo charaid1

Es war Struan, der hinter mich getreten war und zufrieden lächelte. Kleine Wassertropfen perlten an seinem Bart herunter, der von rötlichen Strähnen durchzogen und zu zwei Zöpfen geflochten war. Ich warf ihm nur einen kurzen Blick zu.

   »Zur Hölle mit dir!«

Mein schottischer Freund hatte kein Bedauern für mich, er sah stattdessen an mir vorbei auf das stürmische Meer und grinste breit. »Ein großer Krieger wie du, und hat Angst vor Wasser.«

Offen gesagt, hatte er damit nicht ganz unrecht. Doch um meine wahre Gefühlslage zu verbergen, gab ich mich übertrieben hartgesotten und standhaft, so wie es sich für einen wahren Krieger gebührt. Bis mir diese verdammte kleine Fliege in die Nase flog.

   »Ich habe keine Angst!«

Struan stand an ein Holzfass gelehnt und verschränkte seine muskulösen Arme vor der Brust. Seiner hünenhaften Gestalt schienen Wind und Wetter nichts anhaben zu können, wofür ich ihn innerlich verfluchte. Den Blick seiner stahlblauen Augen immer noch aufs Meer gerichtet, übertönte seine tiefe Stimme das Rauschen der Wellen.

»In den Highlands gibt es ein Sprichwort, wenn man Angst hat: Cuimhnich air na daoine o'n d' thanig thu – entsinne dich derer, von denen du abstammst.«

Ich umfasste das kleine Lederbeutelchen an meiner Brust, in welchem ich eine Haarlocke von Marie bewahrte, und blickte hinaus auf die wogenden Wassermassen. Es war nicht die Angst vor dem Tod, die mich begleitete, sondern die vor dem Leben und den Launen des Schicksals.

   Nach Maries Tod hatte ich wochenlang versucht, meinen Kummer in Wein zu ertränken. Ich trieb in einem dunklen Nebel von hoffnungsloser Gleichgültigkeit, die mich innerlich zu zerbrechen drohte. Auch ein Pfaffe aus dem Nachbarort hatte mir nicht zu helfen vermocht, als er mir empfahl meine Sünden zu beichten, um somit meinen Seelenschmerz zu lindern.

   »Die Wege des Allmächtigen sind unergründlich, der Herr gibt und der Herr nimmt es«, hatte er zu mir gesagt. Was mich dazu veranlasste, mir die Worte des Allmächtigen zu Herzen zu nehmen. Nur in umgekehrter Reihenfolge, denn ich nahm und gab. Ich nahm dem fettwanstigen Pfaffen seinen Weinbecher aus der Hand und gab ihm dann einen Fußtritt, mit dem ich ihn aus meiner Halle beförderte. Denn er war so unnütz wie eine pochende Eiterbeule.

Wie der Teufel das Weihwasser, so scheute ich den Gang in ein Gotteshaus, und wenn sich doch eine Gelegenheit dazu bot, dann ging ich ihr aus dem Weg. Der finstere Abgrund, auf den ich haltlos zu torkelte, hatte seinen gähnenden Schlund bereits weit geöffnet und drohte mich zu verschlingen. Ich war zu einem Abtrünnigen meiner Seele geworden, bis zu jenem Tag – ich erinnere mich, dass mein Kopf erbarmungslos in Wasser getaucht worden war, immer und immer wieder, bis ich fast keine Luft mehr bekommen konnte. Mein ganzes Wimmern und Bitten, wenn ich zwischendurch nach Atem gerungen hatte, war vergebens gewesen. Es war Beros Hand, die damals meinen Schädel so unerbittlich unter Wasser drückte. Er war mein ältester Freund und eines Tages hatte er genug von meinem trunkenen Selbstmitleid. Worauf er mir dann mit klaren Worten gehörig den Kopf gewaschen hatte. Zu Anfang mit eiskaltem Wasser.

Danach hatte er nicht nur sämtliche Weinvorräte verriegeln lassen, sondern mich auch jeden Morgen mitleidlos aus dem Bett getrieben, so wie man Vieh aus dem Stall treibt. Auch hatte er mir das Versprechen abgerungen, dem Wein zu entsagen. Was ich ihm auch hoch und heilig versprach und mir dann den Wein heimlich zukommen ließ, indem ich einen Nichtsnutz aus dem Dorf dafür bezahlte. Da Bero mich aber gut kannte und leider auch den Nichtsnutz, der sich dümmer nicht hätte anstellen können, wurde meine List schon bald durchschaut. Infolgedessen bekam ich keinen Wein mehr und der Nichtsnutz eine Tracht Prügel von Bero. In den Tagen danach verweigerte ich das Sprechen, und wer nicht spricht, hat umso mehr Zeit zum Denken. Und so keimte ein Gedanke in mir, der nach reiflicher Überlegung letztendlich in einem unverrückbaren Entschluss endete.

Gemeinsam mit meinem Nachbarn Anslin, dem Herrn über Burg Rheinlohe, hatte ich mich nur wenig später auf den Weg zum Mainzer Erzbistum begeben. Ich war Anslin freundschaftlich verbunden und vertraute ihm, außerdem war er ein entfernter Verwandter des Erzbischofs. Und so kam es, dass ich vor Erzbischof Adalbert I. meinen Eid ablegte, um das Kreuz zu nehmen und ins Heilige Land zu ziehen. Somit war meine kleine Burg samt den bescheidenen Ländereien unter dem Schutz der Kirche. Für die Zeit meiner Abwesenheit wurde Anslin vom Bischof als Verwalter über meinen Besitz bestimmt.

Ich muss gestehen, das Kreuz zu nehmen kam mir mehr als gelegen, denn so wusste ich meine Ländereien und all die Menschen in guten Händen. Auch plagte mich deshalb mein Gewissen nicht, denn ich fühlte mich Gott für nichts schuldig. Sollte ich auf meiner Pilgerreise jedoch sterben, so würde mein gesamter Besitz der Kirche zufallen. Dies war die Abmachung und sie galt für jeden Kreuzfahrer, der seinen Besitz in die Obhut der Kirche gab.

Der wahre Antrieb meines Handelns war jedoch feige Flucht, denn ich wollte einfach nur fort. Ich wollte nicht nur den engen Mauern der Burg entfliehen, sondern auch dem Hort meiner schmerzhaften Erinnerungen, wo mir jeder Stein und Winkel immer wieder Maries Verlust verdeutlichte. Ich ertrug diesen Ort nicht mehr und so entfloh ich ihm wie ein Verräter in der Nacht, ohne mich noch einmal umzudrehen.

   Dass ich meine Burg und meinen Besitz zurückließ, dafür mag mich gewiss so mancher einen Narren schelten. Und womöglich haben diejenigen auch recht damit. Wenngleich ich auf Gottes Erde dann nur ein weiterer Narr wäre, von denen einige sogar das Schicksal ganzer Völker bestimmen. Ich wusste nicht, wohin mein Weg mich führen würde und es war mir auch gleich. Nur eines wusste ich, und dies war für mich so unumstößlich wie der Tod auf das Leben folgt – Marie würde in meiner Seele und meinem Geist für immer fest verankert sein, bis auch ich eines Tages mit meinem letzten Atemzug die Augen schließen würde.

 

Die hohen schneebedeckten Berge hatten uns alles abverlangt und eisige Kälte und Hunger waren unsere stetigen Wegbegleiter. Doch wir überstanden die Strapazen unversehrt und blieben auch von Räubern verschont, die in den Wäldern oft ihr Unwesen trieben. Wir waren erschöpft und sehnten uns nach einem weichen Strohsack und einer warmen Mahlzeit. Schon seit Stunden war kein Wort mehr zwischen uns gefallen, dennoch war ich froh in Gesellschaft zu sein, auch wenn ich von zwei sturen Dickköpfen begleitet wurde. Struan und Gilbert waren mir wie Brüder und hätten unterschiedlicher nicht sein können. Beide hatte ich in Jerusalem kennengelernt, wo ich einst als Waise aufgewachsen und unter der strengen Hand Borchweis zum Ritter geworden war.

Struan stammte aus den schottischen Highlands, einem Land hoch oben im Norden, das er Alba nannte. Er fand nur selten Gefallen daran viel zu reden, daher schwieg er meistens. Gilbert war normannischer Abstammung und das genaue Gegenteil von Struan. Er liebte das Leben, den Wein und die Frauen, welchen er regelmäßig den Kopf verdrehte. Doch beide hatten eines gemeinsam, sie waren herausragende Kämpfer und wir konnten uns stets aufeinander verlassen. Sie beide hatten mir hartnäckig versichert, sie würden mich nur aus reiner Abenteuerlust begleiten, doch ich hatte schnell den Eindruck gewonnen, dass sie wohl eher auf mich aufpassen wollten. Wie dem auch sei, ihre Freundschaft trug mich und ich war ihnen mehr als dankbar dafür.

Als vierter im Bunde sei noch mein Knappe Albert erwähnt. Sein Alter ist nicht weiter von Belang, denn nicht einmal er selbst wusste es, jedenfalls war er noch recht jung. Bevor ich ihn in meine Dienste nahm, hatte er sich auf Hohengreif als Pferdebursche verdingt. Die Rädchen seines Verstandes griffen meist nur recht langsam ineinander über, was mich nicht selten große Geduld kostete. Dennoch hatte Marie ihn stets in Schutz genommen und ihm sogar ein wenig Lesen und Schreiben beibringen können. Jedoch waren seine Bemühungen, mit Tinte und Feder umzugehen, noch lausiger als die meinen. Anfangs hatte ich mich dagegen gesträubt ihn mitzunehmen, doch irgendwann hatte ich seinem ständigen Drängen nachgegeben, nicht zuletzt auch wegen seiner bedingungslosen Treue zu mir.

Unser Ziel war Sizilien im Süden Italiens, wo Gilberts Familie ansässig war. Wir hatten sie auf unserer Reise von Palästina bereits kennenlernen dürfen und ich freute mich auf ein Wiedersehen mit ihnen. Auch hoffte ich, dort in meinem Inneren etwas zur Ruhe zu kommen und den Geistern der Vergangenheit entfliehen zu können. Danach wollten wir weiterziehen ins Heilige Land, so wie ich es mit meinem Eid geschworen hatte.

   Kurz nach den großen Bergen wurde das Wetter besser und die Landschaft flacher. Die Bäume und Sträucher schlugen bereits zaghaft ihre ersten Triebe aus und machten somit dem Winter den Garaus. Einzig an schattigen Hängen konnten kleine vereinzelte Schneeflächen dem einsetzenden Frühling noch standhalten. Der Boden war vom geschmolzenen Schnee weich und schlammig, sodass unsere schweren Streitrösser oft tief in den Morast einsanken. Doch die Sonne zeigte sich nun immer öfter und wir konnten wenigstens am Tage unsere Fellumhänge ablegen.

Unser Weg führte uns an Bächen vorbei, die sich durch das Schmelzwasser zu reißenden Strömen verwandelt hatten. Es war eine raue und karge Gegend, die kaum besiedelt war, und wenn doch, dann fanden wir meist nur ärmliche und fast verfallene Bauernkaten vor. Auf den eingekoppelten Weiden stand kein Vieh, nicht einmal Hühner waren zu sehen, nur ein abgezehrter Hund bellte uns mit gefletschten Zähnen aus einem Dorf entgegen.

Die wenigen Menschen, die unseren Weg nun kreuzten, litten ganz offensichtlich unter Kälte, Hunger und Krankheit. Die meisten waren abgemagert und trugen nur noch dreckige, nasse und oft zerrissene Lumpen am Leib. Der letzte Winter war hart und lang gewesen und so mancher Bauer hatte um seine Existenz bangen müssen. Und diejenigen, die ihr Hab und Gut verloren hatten, mussten nun in den Dörfern betteln um zu überleben. Ich warf dem einen oder anderen manchmal eine kleine Kupfermünze zu, was ihr Leid und auch mein Gewissen etwas erleichterte.

Als wir durch ein kleines Städtchen ritten, das groß genug war, um einen kleinen Markt zu beherbergen, war der Anblick nicht minder trostlos. Die Marktstände waren fast leer und das wenige Brot und Gemüse, das angeboten wurde, war oft verschimmelt und noch dazu überteuert. Manche Marktfrauen boten gar ihre Liebesdienste an, nur um die hungrigen Mäuler ihrer Kinder stopfen zu können. Albert war von der Not der armen Leute erschüttert, denn er hatte noch nie zuvor so viel Elend gesehen. Auf unserer bisherigen Reise hatte er die Welt mit großen Augen bestaunt, denn er war zuvor nie weiter als zwei Tagesritte von Hohengreif entfernt gewesen. Doch nun zeigte sich ihm das Leben von seiner dunklen Seite und sein noch kindliches Gemüt war dagegen nur schwerlich gefeit.

Wir nächtigten in einer klapprigen Scheune zwischen fauligem Stroh und wärmten uns an einem kleinen Feuer. Struan hatte zuvor einen Hasen erlegt, der uns wenigstens halbwegs sättigte. Am nächsten Morgen verließen wir zügig diese Gegend und waren froh, das Elend nicht mehr vor Augen zu haben.

Mit Hilfe von Flößern überquerten wir anschließend einen großen See, dessen Längsseiten von grauen, hoch aufragenden Felsen gesäumt waren. Das nervöse Wiehern unserer Pferde hallte über das Wasser und von den Steinwänden wider, als würden sie ihnen antworten. Ich empfand diese menschenleere Gegend als fremd und abweisend, daher war ich sehr erleichtert, als wir sie bald hinter uns ließen. Auf unserem weiteren Weg in Richtung Süden durchritten wir anschließend tagelang grüne und blühende Wiesen. An ihren Flanken erstreckten sich sanfte Hügel und Weinberge, so weit unsere Augen reichten. Danach folgten wir zwei Tage einem Fluss mit flachen Ufern, der die Landschaft mit zahlreichen engen Windungen durchzog. Die Einheimischen nannten ihn Tiber.

Von Osten zogen graue, dunkle Wolken auf und verdrängten die Sonne, die nun schon seit Tagen unsere Gesichter wärmte. Starker Wind kam auf und verwandelte die zuvor noch glatte Wasseroberfläche des Flusses in kleine unruhige Wellen. Doch glücklicherweise zog das Unwetter an uns vorüber und wir saßen von unseren Pferden ab. Danach führten wir sie über steinige Pfade einen mit Gestrüpp bewucherten Hang hinauf. Müde und in Vorfreude auf eine Rast, erklommen wir den Kamm des Hügels und wurden dort mit einer Aussicht belohnt, die uns den Atem verschlug. Doch es war nicht nur der Blick über die Landschaft, der uns beeindruckte, sondern auch die gewaltigen Mauern, die vor uns in der Ferne thronten – Rom lag vor uns.

Noch nie zuvor hatte ich eine Stadt mit solchen Ausmaßen gesehen. Einzig die Kirchtürme, von denen es unzählige zu geben schien, konnten die hohen Stadtmauern noch überragen. Wir waren überwältigt von dem Anblick, und noch mehr, als die abendliche Sonne zum Vorschein kam und die gewaltigen Mauern in ihr Licht tauchte, weithin sichtbar wie ein scharlachrotes Wahrzeichen der Macht.

   »Man sagt, die Römerinnen seien die schönsten Frauen der Welt«, schmunzelte Gilbert neben mir im Sattel und konnte seine Vorfreude kaum verbergen.

»Dann sieh zu, dass du uns nicht abhanden kommst. Denn wie ich hörte, sind sie nicht nur heiratswillig, sondern auch sehr eifersüchtig«, warnte ich ihn.

Um seine blauen Augen, denen schon unzählige Frauen erlegen waren, kräuselten sich kleine Lachfältchen. »Ein gut geplanter Angriff ist meist von Vorteil, aber noch wichtiger ist ein gut durchdachter Rückzug im richtigen Moment.«

Gilbert hatte seine Liebesstrategie gerade von sich gegeben, als mein Knappe sein Pferd neben meines lenkte. Da sein Schimmel etwas kleiner war als mein Ashir, musste er zu mir hochblicken.

»Herr, dürfte ich mich … also ich meine, wenn wir in Rom sind … einen Abend Gilbert anschließen?«

Struan, der vor mir ritt, schwieg, und obwohl ich nur seinen Rücken sehen konnte, so wusste ich doch, dass er grinste. Gilbert lachte. »Hat noch kein Haar am Kinn und will schon Männerdinge verrichten. Barba decet virum, der Bart macht den Mann, mein Freund.«

   »Herr, bitte!«, wandte sich Albert erneut an mich. Ich konnte es ihm nicht verdenken, blieb aber um Strenge bemüht und hielt meinen Blick nach vorne gerichtet. »Bevor du ein Pferd besteigst, solltest du auch reiten können. Spar dir dein Silber, bevor du es für eine Hure ausgibst, die ihre Beine schon für halb Rom öffnete.« Ich wischte mit der Hand die lästigen Fliegen vor meinem Gesicht weg. »Du wirst noch früh genug ein Mädchen finden, eine die du nicht mit Silber bezahlen musst. Und bis dahin kannst du dir Gilberts verderbte Seele als mahnendes Beispiel nehmen.«

Ich zwinkerte Gilbert zu, von dem ich nur ein gequältes Lächeln erntete. Albert hingegen stand die Enttäuschung ins Gesicht geschrieben, als er mir kleinlaut antwortete: »Ja, Herr.«

Am westlichen Ufer des Tiber näherten wir uns einem der Hauptportale Roms, der Porta Aurelia. Wie ein riesiger Wurm kroch der Strom aus Händlern, Pilgern und Kriegern der Stadt entgegen und zwängte sich durch den imposanten Torbogen. Von Neugier getrieben, machten wir uns auf den Weg in die Stadt und reihten uns in die Flut der Ankömmlinge ein. Als ich stöhnend aus dem Sattel stieg, konnte sich Gilbert ein diebisches Grinsen nicht verkneifen. »Sieht aus, als würde dir etwas wehtun.«

Ich rieb mir meinen Hintern, weil wir nun schon seit Wochen im Sattel saßen. »Mir brennt der Arsch, als würde ich in einem glühenden Kohlebecken sitzen.«

»Du warst doch derjenige, der den Landweg nehmen wollte. Auf einem Schiff hättest du deinen zarten Hintern schonen können«, lachte Gilbert. Ich ging auf sein Frotzeln nicht weiter ein, nahm stattdessen Ashir am Zügel und ging voran.

Je näher wir den Mauern kamen, desto mehr konnten wir die Ausdünstungen von Mensch und Tier riechen, was uns aber auch vor Augen führte, dass unser eigener Körpergeruch dem in nichts nachstand.

An dem riesigen Tor angekommen, wurden wir erst nach strenger Kontrolle hindurchgelassen, und der Andrang an Menschen ließ auch im geschäftigen Inneren der Stadt kaum nach. Frauen trugen mit viel Geschick Tonkrüge auf ihren Köpfen, Männer schleppten Säcke und Kisten, aus den Tavernen wurden Fässer gerollt und vollbeladene Eselskarren knarrend an uns vorbeigezogen. In der Enge der Gassen wurde der beißende Gestank dann fast unerträglich. Erst als wir auf eine breite Straße mit hohen Arkaden gelangten, wurde die Luft etwas besser und wir konnten die ganze Pracht der römischen Steinhäuser bewundern. Viele von ihnen glichen eher Palästen, zu denen lange Treppen emporführten. Wir sahen riesige Steinsäulen, die so glatt poliert waren, dass sie im Sonnenlicht glänzten wie nasse Flusskiesel. Auf hohen Sockeln standen aus Stein gehauene Figuren, die so echt aussahen, als würden sie gleich zum Leben erwachen. Nicht nur meinem Knappen stand der Mund offen, auch ich war fasziniert von der Macht und Schönheit dieser Stadt.

Unser Weg führte uns weiter zu einem gewaltigen steinernen Rund, der mit riesigen Säulenfenstern auf mehreren Stockwerken versehen war. Die Mauern maßen gut und gerne die Höhe von zwei Bergfrieden. Noch nie zuvor hatten wir ein Bauwerk von solch biblischen Ausmaßen gesehen. Wir blieben stehen und schauten voller Ehrfurcht und Respekt zu den Mauern empor. Ein junger Mönch, dem unsere staunenden Blicke nicht entgangen waren, erklärte uns dann, dass es Colloseo genannt wurde und hier einst Christen den Löwen zum Fraß vorgeworfen wurden. Ich kannte nur von Steinmetzen erschaffene Löwen, die ich an einer Kathedrale in Mainz hatte bewundern dürfen. Doch wenn es sie wirklich gab, dann mussten es wahrhaft grauenvolle und blutrünstige Untiere sein. Meinen Blick auf die hohe und prächtige Fassade gerichtet, war es mir nahezu unvorstellbar, wie die alten römischen Baumeister so etwas erschaffen konnten. Von all den Eindrücken abgelenkt, fand ich zum ersten Mal seit langer Zeit wieder etwas Ruhe in mir, auch wenn meine Gedanken die Vergangenheit nach wie vor nicht loslassen wollten.

Wenig später versorgten wir uns an einem Marktstand mit frischem Brot, Speck und etwas Obst. Die Preise schienen uns völlig überhöht, doch wir konnten den leckeren Düften nicht widerstehen, zumal unsere Mägen bereits laut um die Wette knurrten. Ich konnte den Preis etwas herunterhandeln und bezahlte gerade bei der Marktfrau, als Albert mich plötzlich am Ärmel zupfte.

   »Herr, seht, mit wem redet Gilbert da?«

Ich folgte seinem Blick und sah Gilbert vor einer alten Frau stehen, die gebeugt auf einem kleinen Schemel saß. Ihr Kleid war löchrig und schmutzig, und die Kapuze, die ihren Kopf bedeckte, bestand nur noch aus dünnen Fetzen.

»Gar nicht gut«, hörte ich Struan leise hinter mir brummen, wobei er argwöhnisch und zugleich ehrfürchtig zu der Alten schaute.

   »Was meinst du?«, fragte ich verwundert.

Seine blauen Augen ruhten immer noch wie gebannt auf der Alten, als er mir antwortete: »Solche Frauen gibt es auch in den Highlands. Sie sind weise, doch manchmal ist es besser, sich vor ihren Worten zu hüten.«

Ich war erstaunt über seinen ungewohnt üppigen Wortschwall, und noch mehr als er weitersprach: »Sie hat die Gabe, denn sie kann die Stimmen der Götter hören und ihre Zeichen deuten.«

   »Natürlich«, schnaubte ich humorlos. »Und woran erkennst du das?« Kaum hörbar und in seiner Sprache, murmelte Struan etwas in seinen Bart, dann wandte er sich ab. Ich sah ihm kopfschüttelnd hinterher, nahm dann Albert an der Schulter und ging mit ihm zu Gilbert.

Die Greisin saß im Schatten eines Mauervorsprungs und hielt ihren Kopf nach unten geneigt. Die dicke und verschlissene Wolldecke, die ihre schmalen Schultern bedeckte, konnte ihren ausgemergelten, hageren Körper kaum verbergen. Ihre faltige Hand lehnte auf einem Stock, während sie zwischen den knorrigen Fingern der anderen eine Kette hielt, die aus kleinen Knochen bestand.

   »Sie behauptet eine Seherin zu sein«, belächelte Gilbert die Alte. »Und dass ich ein langes Leben vor mir haben werde … mit einem Stall voll Kinder.«

Ich blickte ihn schief an. »Du an Heim und Kochstelle?«

   »Ausgerechnet ich«, lachte Gilbert und wandte sich wieder der alten Frau zu. »Na los, du alte Vettel, die Münze, die ich dir gegeben habe, dürfte reichen, um auch meinem Freund die Zukunft vorauszusagen!«

Die Greisin hob langsam ihren Kopf an. Ihr Gesicht war von tiefen Falten durchfurcht und ihre blasse Haut hob sich vom dunklen Schatten der Mauer ab. Sie öffnete langsam ihre verschlossenen Lider und sah mich an. Ihre Augen, die von einem trüben milchigen Schleier überzogen waren, durchdrangen mich und ich spürte plötzlich ein Frösteln. Ich hatte das Gefühl, sie käme aus der Ewigkeit und könne direkt in meine Seele blicken. Ich wollte mich abwenden, doch ihre Augen schienen mich wie eine unsichtbare Kraft festzuhalten. Wie aus der Ferne hörte ich das leise Klirren ihrer Knochenkette, als sie mit krächzender Stimme zu sprechen begann.

   »Euer Geist ist dunkel, denn Ihr habt großen Verlust erlitten.« Sie schloss für eine kurze Weile ihre Augen und als sie sie wieder öffnete, hatte sich ihr Gesichtsausdruck verfinstert. »Ihr seid ein guter Mensch und Euer Wille ist stark. Doch der Weg, den Ihr beschreitet, wird Euch und vielen anderen Blut und Verderben bringen.«

Unbehagen stieg in mir hoch, denn sie war mir unheimlich. Ihre Stimme, die aus den Weiten der Jahrhunderte zu kommen schien, zog mich jedoch in einen Bann, dem ich nicht entfliehen konnte. Erst als Gilbert mich am Arm rüttelte, kam ich wieder zu mir.

   »Hör der alten Drud nicht zu. Lass uns gehen!«

Er zog mich weg, doch ich spürte die Augen der Alten weiterhin auf mir ruhen. Ich wollte ihrem Blick entgehen und drehte mich dennoch zu ihr um. Das Zittern ihrer Hand war stärker geworden und ihre schmalen Lippen hatten sich zu einem düsteren Lächeln verzogen.

   »Ja, geht nur, ihr hochmütigen Herren, die ihr Euch für unverwundbar haltet, geht nur. Eure Schwerter mögen stark sein, doch ich sehe großes Unheil.«

Ich fuhr Albert, der ängstlich auf die Greisin starrte, mit der Hand durch die Haare. »Na komm schon, Junge, lass uns von hier verschwinden.«

Er wirkte verwirrt und konnte sich vom Anblick der Alten ebenso schwer lösen wie ich. Als wir kurz darauf wieder zu Struan stießen, nickte dieser mir nur beiläufig zu. Seine Bedenken um die Gabe der Seherin hatten sich auf seltsame Weise bewahrheitet. Wir waren schon einen guten halben Steinwurf entfernt, doch konnten wir ihre unheilschwangere Stimme immer noch vernehmen, die sich inzwischen zu einem lauten Geifern verwandelt hatte.

»Ich sehe Licht, doch ich sehe darin auch die Schatten der Finsternis. Ich sehe Krieg, blutigen Sand und großes Unheil ...!«

Obwohl ich mich dagegen wehrte, brannten sich ihre Worte in mein Inneres ein. Selbst als wir schon wieder in unseren Sätteln saßen und die belebten Stadttore passiert hatten, hörte ich in meinem Geiste immer noch ihre Verheißung.

Wir blieben noch bis zum nächsten Tag vor den Mauern Roms und zogen dann weiter. Der Weg war meist unbeschwerlich und wir kamen gut voran, auch wenn uns der Regen manchmal wolkenbruchartig durchnässte. Nach weiteren zwei Wochen hatten wir schließlich den südlichen Zipfel Italiens erreicht.

Während unserer ganzen Reise hatte ich nicht einen Tropfen Wein getrunken, denn ich wollte nicht erneut in dieses dunkle Loch der Traurigkeit fallen, für das der Wein mir stets ein guter Wegbereiter gewesen war. Mit jeder Woche, die verging, spürte ich meine innere Kraft wieder zurückkehren, wenngleich sie nur einem zarten Pflänzchen glich. Ich fühlte, dass der Pfad, den ich beschritt, der richtige war. Daran änderten auch die Worte der Alten nichts.

In der Hafenstadt Reggio verbrachten wir ein paar Nächte in einer heruntergekommenen Herberge. Wir teilten unser Quartier mit Pilgern und wappenlosen Kriegern, es waren Söldner, die nichts weiter besaßen als ihre Waffen, hungrige Mägen und ihre Gier nach Blut und Beute.

Nachdem wir einige Tage in dem nach Fäulnis stinkenden Hafen verbracht hatten, konnten wir glücklicherweise auf einem einmastigen italienischen Handelsschiff die letzten freien Plätze ergattern. Mir war nicht wohl dabei. Wieder war ich den Widrigkeiten des Meeres und meines Magens hilflos ausgesetzt. Bereits beim Betreten des Schiffes bildete ich mir eine aufkommende Übelkeit ein. Selbst Ashir weigerte sich, die schmale Holzplanke hinaufgeführt zu werden und folgte mir erst nach beruhigendem Zureden. Er stampfte dabei mit den Vorderhufen mehrmals widerwillig auf, denn auch ihm war Wasser nicht geheuer, noch dazu wenn es in so gewaltiger Menge vor uns lag.

Am achten Tag des Lenzmonats im Jahre 1129, legte unser Schiff im Morgengrauen vom Hafen in Reggio ab. Die Seeleute unseres Schiffes hatten das Wetter für gut befunden. Ich nicht.

In der Nacht zuvor war starker Wind aufgekommen. Ashir und die anderen Pferde waren aufgrund des heftigen Schwankens in ihren Holzpferchen nervös geworden. Ihr lautes Wiehern hatte uns kaum Schlaf finden lassen, da wir direkt neben ihnen untergebracht waren. Meine längst verheilten Narben pochten bereits seit einigen Stunden, was für mich ein untrügliches Zeichen war, dass das Wetter umschlug. Am frühen Morgen hatte der Wind dann nachgelassen, war aber immer noch stark genug, um mich angespannt werden zu lassen. Unter der Besatzung wurden laute Kommandos gerufen und die langen Ruder klatschten ins Wasser. Zwei Seemänner kletterten geschickt den Hauptmast empor, andere zogen an Seilen oder zurrten sie an Holzpflöcken fest. Ich hatte keine Ahnung, was sie da taten, jedenfalls setzte sich das Schiff langsam in Bewegung.

Um nicht im Weg zu stehen, stellte ich mich neben ein Holzfass und hielt mich an dessen Rand fest, während die Seeleute geschäftig um mich herum eilten.

   »Jesco, in ein paar Stunden hast du wieder festen Boden unter den Füßen«, munterte mich Gilbert auf, dessen lange Haare vom Wind durchweht wurden. Er freute sich auf seine Familie, die er seit über drei Jahren nicht mehr gesehen hatte.

»Wenn wir vorher nicht untergehen«, gab ich weit weniger hoffnungsvoll von mir. Gilberts graue Augen lächelten mich an. »Du wirst es überleben mein Freund.«

Ich entgegnete sein Lächeln, konnte aber seine Zuversicht weiß Gott nicht teilen. Er klopfte mir kurz auf die Schulter und ging dann unter Deck zu unseren Pferden.

Nach nur wenigen Meilen hatte unser Schiff bereits Fahrt aufgenommen und hob und senkte sich auf den unendlich scheinenden Wassermassen. Der Wind blähte das große weiße Segel auf, während die breiten Holzplanken unter meinen Füßen knarrten und ächzten. Ich hasste Schiffe.

   »Herr, Ihr seht etwas mitgenommen aus.«

Mein Knappe Albert war neben mich getreten und sah besorgt zu mir, konnte sein schadenfrohes Grinsen aber nicht verbergen.

»Füttere die Pferde und steh nicht nutzlos rum!«, entfuhr es mir etwas ruppiger, als ich eigentlich wollte.

»Habe ich bereits, sie sind bestens versorgt«, erwiderte mir Albert unbeeindruckt. Ich gab nur ein leises Brummen von mir, während er mit freudiger Erwartung zum Horizont blickte. Voller Aufregung und Neugier sah er der Zukunft entgegen, die für ihn ein einziges Abenteuer zu sein schien. Schon seit unserer Abreise hatte er mich mit Fragen gelöchert und mir dabei nicht selten den letzten Nerv geraubt. Als ich seiner ständigen Fragerei dann irgendwann müde war, hatten Struan und Gilbert herhalten müssen. Dennoch hatte er ein gutes Händchen für Pferde und schnell gelernt mit den Waffen umzugehen. Seine zerzausten roten Haare erinnerten mich oft an meinen ältesten Freund Bero, den ich schmerzlich vermisste. Er war auf Burg Hohengreif zurückgeblieben, denn Alia erwartete ein Kind von ihm. Ich freute mich für die beiden, doch der Abschied von ihnen war mir schwergefallen.

Nach der Hälfte der Überfahrt wurde der Wind stärker und brachte unsere Kogge nun doch gehörig ins Schaukeln. Trotz des Rauschens der Wellen konnte ich das nervöse Wiehern hören, das von unten ans Oberdeck drang. Doch schon kurze Zeit später hatte sich der leichte Sturm gelegt und unser Schiff glitt ruhig und gleichmäßig auf den Wogen dahin. Nachdem mir die Heilige Jungfrau erneut ihren Beistand verweigerte und mein Magen komplett entleert war, konnten wir gegen Nachmittag den Hafen von Messina erblicken.

 

Als wir unter Deck gingen, um unsere Pferde zu holen, konnte ich Ashirs ungeduldiges Wiehern bereits von der Stiege aus hören. Ich hätte es unter Hunderten von Pferden herausgehört. Ashir war inzwischen nicht mehr der Jüngste und seine Ausdauer hatte ein wenig nachgelassen, dennoch war er immer noch kräftig und schnell. Wir beide hatten aus den vielen Schlachten unsere Narben davongetragen und es gab bestimmt bessere und jüngere Streitrösser, doch keines hätte mir Ashir ersetzen können. Er war ein treuer Gefährte, der mir überallhin gefolgt wäre, selbst in die Hölle.

Nachdem wir aufgesessen waren und an der langen Kaimauer entlangritten, fielen mir in dem halbrunden Hafenbecken einige große Kriegsschiffe auf. Auf mehreren Segeln prangte eine gelbe Lilie auf blauem Grund, auf den anderen das rote Kreuz auf weißem Grund, das Wappen der Templer. Doch da Messina ohnehin als Kreuzritterhafen bekannt war, fand ich daran nichts Außergewöhnliches, höchstens die große Anzahl der Schiffe. Ich dachte mir nichts weiter dabei, und so trieben wir unsere Pferde an und ritten die steile Küste entlang, bis wir schließlich ins Landesinnere abzweigten.

Schon wenig später durchquerten wir fruchtbare Täler mit grünen Hängen, die von kleinen Bächen und Felsen durchzogen waren. An einem kleinen Wasserfall legten wir eine Rast ein und tränkten die Pferde. Die Sonne lachte uns entgegen und das freche Zwitschern der Vögel konnte selbst mein Gemüt ein wenig aufhellen. Nach einem halben Tagesritt erreichten wir schließlich das verschlafene Dörfchen Scaletta, das aus einem guten Dutzend kleiner Hütten bestand, deren Dächer mit Stroh gedeckt waren. Oberhalb des Dorfes thronte auf einem Hügel die gleichnamige Burg, deren Herr Gilberts Bruder Guillaume war.

Wir ritten langsam die vom Regen aufgeweichte Dorfstraße entlang, welche im Anschluss hoch zur Burg führte. Zwei fette Schweine suhlten sich im Schlamm und ein paar gackernde Hühner liefen vor den Hufen unserer Pferde davon. Eine Frau mit einem Korb in der Hand eilte in ihr Häuschen und schloss die Tür hinter sich, als sie uns gewahr wurde. Wir waren solcherlei Gebaren längst gewohnt, sahen wir doch mit Waffen, Helmen und Kettenhemden nicht gerade vertrauenerweckend aus.

In Gilberts Miene zeigte sich bereits die Vorfreude auf seine Familie, er wirkte aufgeregt und konnte seine Ungeduld kaum noch verbergen. Seinen Blick zur Burg gerichtet, grinste er breit.

»Zuerst eine ordentliche Mahlzeit und Wein«, dabei zwinkerte er mit einem Auge verschwörerisch zu Struan, »und danach ein Bad und der Gesang eines hübschen Mädchens.«

Der Gesichtsausdruck unseres Hünen blieb unbewegt, während er sein Pferd um eine große Pfütze lenkte. »Aye, viel Wein, kein Bad, und ein Mädchen ohne Gesang.« Für Struans Verhältnisse war dies bereits ein begeisterter Freudenschrei. Ich musste lächeln, zum ersten Mal seit langer Zeit.

»Herr, wenn Ihr erlaubt, dann würde ich mich Gilbert und Struan später gerne anschließen ...«

   »Du wirst dich den Pferden anschließen, im Stall!«, antwortete ich unwirsch, worauf Albert trotzig sein Kinn reckte und protestierte. »Herr, ich denke, ich bin jetzt alt genug ...«

»Dazu müsstest du erst mal wissen, wie alt du bist, und jetzt Schluss!«

»Aber könnte ich nicht wenigstens …« Mein schneller Handgriff unterbrach ihn. »Herr, wenn Ihr noch stärker zieht, dann reißt Ihr mir das Ohr ab!«

Ich ließ los und Albert rieb sich sein Ohr, während sich über seiner Nasenwurzel kleine Zornesfalten bildeten. »Ganz wie Ihr meint, Herr.«

Wir bewegten unsere Pferde langsam bergauf in Richtung Burg. Ein wuchtiger Bergfried und hohe Mauern zeugten von der Wehrhaftigkeit dieser kleinen Festung. Auf der Straße, die hoch zur Burg führte, entdeckten wir in der Erde frische Wagenspuren und unzählige Hufabdrücke. Gilbert hatte sein Pferd gezügelt und beugte sich im Sattel hinunter, wobei er kritisch die tiefen Spuren im Schlamm betrachtete. Dann richtete er sich wieder auf. »Es scheinen Besucher auf der Burg meines Bruders zu sein.« Er runzelte seine Stirn. »Wollen wir hoffen, dass es keine unliebsamen sind.«

Das hofften wir alle, doch unsere Besorgnis war unbegründet. Denn als wir uns dem Burgtor näherten, hörten wir von den Wachen auf der Mauer schon die ersten Freudenrufe. Zwischen italienischen Wortfetzen hörte ich immer wieder „Gilberto“ heraus. Und als sich kurz danach das Burgtor knarrend öffnete, liefen uns schon die ersten Frauen und Männer entgegen. Gilberts Mutter und Schwester kamen mit gerafften Röcken auf ihn zugerannt und fielen ihm um den Hals. Freudentränen flossen zwischen Umarmungen und lachenden Gesichtern, während Gilbert geherzt und geküsst wurde. Es war ein einziges lautes Durcheinander, weil jeder auf Gilbert einredete, der sich dem freudigen Ansturm kaum erwehren konnte.

Wir anderen hielten uns im Hintergrund, um ihre Begrüßung nicht zu stören. Als sich dann die erste Überraschung langsam gelegt hatte, wurden auch wir herzlich und voller Wärme empfangen. Und schließlich erschien auch der Burgherr unter dem Torbogen, Gilberts älterer Bruder Guillaume. Um seine Schultern hing ein dunkler Umhang aus Bärenfell, der ihn noch breiter aussehen ließ, als er ohnehin schon war. Seine Begrüßung fiel etwas distanzierter, aber nicht weniger herzlich aus. Er nahm seinen jüngeren Bruder in die Arme und betrachtete ihn wohlwollend, um ihm dann noch einmal kräftig auf die Schulter zu klopfen. Anschließend ging sein Blick zu uns und er lächelte. »Jesco, Struan, welch eine Überraschung! Schön, euch nach so langer Zeit zu sehen. Seid uns willkommen! Aber jetzt rein mit euch, ihr seht hungrig und durstig aus.«

Seit unserem letzten Besuch hatten sich silberne Fäden in Guillaumes schwarzes Haar und seinen Bart gestohlen, dennoch wirkte er immer noch jung und voller Tatendrang. Er war durch und durch ein Krieger, der wie wir, ebenfalls viele Jahre im Heiligen Land gekämpft hatte. Ich mochte ihn und seine Familie, die stets unbeschwert und so voller Fröhlichkeit war.

Erst als wir wenig später unsere Pferde in die Festung führten, bemerkte ich im hinteren Teil des Burghofs einige Männer, die augenscheinlich nicht zur Burgmannschaft gehörten. Sie trugen Eisenhemden und auf ihren weißen Waffenröcken leuchtete das rote Templerkreuz. Nicht weniger auffallend waren die blauen Waffenröcke, die mehrfach mit kleinen gelben Lilien bestickt waren. Als die Ritter uns bemerkten, waren wir ihnen nur ein paar abschätzige Blicke wert.

   »Ihr seid nicht die einzigen Besucher, wie ihr seht«, unterbrach Guillaume meine Beobachtungen. »Aber ruht euch nun erst mal aus, später reden wir.«

Wir bekamen eine geräumige Kammer neben dem Stall, mit sauberen Strohsäcken und frisch ausgestreuten Binsen auf dem Fußboden. Albert ging die Pferde versorgen, während wir unsere Packtaschen und Waffen verstauten.

Gilbert und ich stöhnten erleichtert, als wir uns den schweren Kettenhemden entledigten. Es war eine wahre Wohltat, nicht mehr die schwere Last auf den Schultern zu spüren, wo sich trotz Gambeson schon Druckstellen in der Haut abzeichneten. Danach zogen wir unsere verdreckten Stiefel aus und warfen sie in die Ecke. Nach einer Weile klopfte es an der Tür und Guillaume betrat mit einem Weinkrug und Tonbechern in den Händen unsere Stube. Auf der Brust seines Waffenrocks prangte das normannische Wappen der Hautevilles, das rot–weiß gewürfelte Diagonalband auf blauem Grund.

Guillaumes stets ruhige und zugleich gelassene Art wirkte einnehmend und vermittelte dennoch Stärke. Er gehörte zu jenen Menschen, in deren Gesellschaft man sich wohl fühlt. Als er die Becher einschenkte, lehnte ich dankend ab und begnügte mich mit Wasser, was bei Guillaume ein leichtes Stirnkräuseln auslöste. Doch nach Gilberts Bitte um Verständnis, verflüchtigte sich dieses wieder und wir stießen an. Nachdem wir getrunken hatten, wischte sich Guillaume mit dem Handrücken über Mund und Bart. »Wie ihr ja bereits festgestellt habt, haben wir noch andere Gäste untergebracht«, begann er dann zu erklären. »Graf Fulko von Anjou weilt auf der Insel und ist Gast am Hofe Rogers. Der Graf ist mit großem Gefolge unterwegs, daher beherbergen wir einige seiner Männer bei uns. Der Hof der Hautvilles ist zwar groß, aber nicht groß genug für fünfhundert Mann.«

Daher also die gelbe Lilie, schlussfolgerte ich. Es war das Wappenzeichen der Anjous, die in Frankreich große Macht besaßen und hoch in der Gunst König Ludwigs standen. Und nicht nur das, erinnerte ich mich, denn Fulkos Tochter Isabella war mit Heinrichs Erben William Aetheling verheiratet, ein angeleiertes Bündnis zwischen Normannen und Angevinern.

   »Und was treibt diesen mächtigen Mann zu uns italienischen Normannen? Doch wohl nicht unser Wein?«, hakte Gilbert nach und nahm wieder einen Schluck aus seinem Becher.

»Wohl eher nicht. Fulko von Anjou ist auf dem Weg ins Heilige Land, um dort Melisende zu ehelichen, König Balduins älteste Tochter und Erbin.« Guillaume sah uns durchdringend an, so als würde er ein wohlbehütetes Geheimnis lüften. »Und da König Balduin nur vier Töchter, aber keinen männlichen Thronerben hat, wird Fulko einmal König von Jerusalem sein!«

Unser schweigender und erstaunter Blick ließ ihn vielsagend schmunzeln. »Tja, so schnell und einfach wird man König.«

   »Ja, es muss nur die richtige Frau die Beine spreizen«, kicherte Gilbert und stieß Struan verstohlen seinen Ellbogen in die Rippen. Doch Struans regloser Gesichtsausdruck zeigte nur, dass ihn dies alles nicht im Geringsten interessierte. Also schwieg er, doch nicht aus Gleichgültigkeit, so gut kannte ich ihn, sondern eher aus Erfahrung. Denn den Ränkespielen der Mächtigen war man ausgesetzt, ob man wollte oder nicht, ändern konnte man sie sowieso nicht; und nicht selten endeten sie in Kriegen und ließen das Land und seine Menschen ausbluten.

Guillaume ergriff wieder das Wort, doch nicht ohne seinem Bruder einen leicht vorwurfsvollen Blick zuzuwerfen. »Ich denke, du unterschätzt die Wichtigkeit der Dinge. König Balduin sandte nicht umsonst Wilhelm von Bures und den Herrn von Beirut, Guigo Brisebarre, nach Frankreich, um Fulko zu überreden seine Tochter zu heiraten.«

   »Dann hätte sich Balduin mal für mich entscheiden sollen, denn mich hätte man nicht erst überzeugen müssen«, frotzelte Gilbert und hielt dabei dem Blick seines Bruders stand. Die aufkeimende Rivalität zwischen den Brüdern entging mir nicht und ich mischte mich ein.

   »Ich denke, König Balduin ist klug genug, um zu wissen, was er tut. Es soll nicht unsere Sorge sein.«

   »Eure vielleicht nicht«, lächelte Guillaume, »aber meine, denn ich werde Fulko von Anjou ins Heilige Land begleiten.« Für einen kurzen Moment herrschte überraschtes Schweigen, bis ihm Gilbert seine Hand auf die Schulter legte. »Das trifft sich gut, Bruder, denn auch wir wollen dort hin. Allerdings wollten wir etwas länger hier in Sizilien verweilen, denn Jesco ...«

   »Tha am pathadh orm … ich habe Durst.«

Wir schauten verdutzt zu Struan, der seinen leeren Becher in der Hand hielt. Er hatte Gilbert unterbrochen und ich war meinem hünenhaften Gefährten dankbar dafür. Ich blickte wieder zu Guillaume.

   »Was du soeben vernommen hast, nennt man einen schottischen Redeschwall. Ist genauso selten wie ein Gewitter im Winter.«

»Verzeiht, ihr habt natürlich recht, die Tafel wird gleich gedeckt und es wird auch genügend Wein da sein. Über alles andere reden wir später«, entschuldigte sich Guillaume und wandte sich an Gilbert. »Mutter und Schwester können es kaum erwarten zu hören, wie es dir ergangen ist. Lass sie nicht zu lange auf dich warten.« Mit diesen Worten verließ er unsere Kammer und wäre an der Tür fast mit Albert zusammengeprallt, der gerade von den Pferden kam. Er hatte gerötete Wangen und wirkte von den vielen neuen Eindrücken aufgewühlt und kein bisschen müde.

»Herr, vorhin hat ein Mädchen unsere Pferde bewundert. Ich konnte sie zwar nicht verstehen, aber sie schien von mir angetan. Ein wenig klein zwar, aber sehr hübsch.«

»Sie war noch kleiner als du?«, stichelte ich und erntete dafür seinen beleidigten Blick.

»Dann war sie bestimmt keine Normannin«, mischte sich Gilbert ein und klärte dann meinen fragend dreinschauenden Knappen auf. »Wir italienischen Normannen entstammen der Normandie und waren ursprünglich Wikinger. Vor vielen Jahren eroberten wir Süditalien und ließen uns hier nieder. Manche der Einwohner haben sich mit uns vermischt, manche nicht. An ihrer Körpergröße und Haarfarbe erkennt man oft ihren Ursprung, denn wir aus dem Norden haben meist helle Haare und sind von größerer Statur. Kapiert?«

   »Das heißt dann also ....«

   »Dass deine Vorfahren keine Wikinger, sondern kurzbeinige Zwerge waren.«

    »Ich hör mir das nicht mehr an!«, erzürnte sich Albert.

   »Wirst du aber müssen, solange du noch keinen Schatten wirfst«, spottete Gilbert.

   »Man misst die Größe eines Mannes nicht nach seinem Schatten, sondern nach seinen Neidern«, erklang die tiefe Stimme unseres schottischen Riesen, worauf Albert nur wortlos zu ihm hoch starrte.

Gilbert ging zu seinen Verwandten, Albert packte grübelnd seine Sachen aus, und ich streckte meine müden Knochen auf dem Strohsack aus, um ein wenig auszuruhen. Erst jetzt machten sich die Strapazen unseres langen Weges bemerkbar. Vom langen Reiten schmerzte mein Rücken, mein Nacken war steif und meine Beine fühlten sich bleischwer an. Ich ertrug zwar mein Los, beneidete aber dennoch Albert um seine Jugend. Meinen Blick zur Zimmerdecke gerichtet, lag ich da und verschränkte meine Arme hinter dem Kopf. Als ich meine Augenlider schloss, schweiften meine Gedanken zurück nach Jerusalem, zu meiner sorglosen Kindheit, meinem väterlichen Freund und Ausbilder Borchwei und den vielen Kämpfen und Kriegen gegen die Ungläubigen, als ich später erwachsen war. Menschen und Gesichter aus der Vergangenheit zogen an mir vorüber, um dann am Ende doch nur dies eine Gesicht vor mir zu sehen – das Antlitz Maries.

   Als der Abend bereits dämmerte und seine Schatten auf den steinernen Boden des Burghofs warf, begaben wir uns in die Halle. Zuvor hatten wir uns gewaschen, die Bärte etwas gestutzt und saubere Tuniken übergezogen.

Schon an der Türschwelle zum Palas konnten wir von drinnen das Stimmengewirr vernehmen. Als wir dann eintraten, schlug uns Rauch, Wärme und Weingeruch entgegen. Dutzende von Kerzen und brennenden Kienspänen erhellten die Halle, in deren Kamin ein Feuer brannte und darüber, an einem Spieß, ein Ferkel hing. Der kleine Saal war berstend voll und rauchiger Dunst hing über den Köpfen der Anwesenden, zwischen denen junge Mägde mit Weinkrügen umhereilten.

An der langen Tafel, an dessen Stirnende Guillaume saß, hatten an die drei Dutzend Gäste Platz genommen. In der Halle verteilt standen weitere Ritter, die sich in kleinen Grüppchen angeregt unterhielten. Ich hörte französische Sprachfetzen und hier und da auch lateinische Worte von Kirchen– und Edelmännern in feinsten Gewändern. Im Vergleich zu ihnen sahen wir in unseren einfachen Tuniken schäbig aus, störten uns aber nicht daran.

Als Guillaume uns erblickte, winkte er uns zu sich und wir drängten uns durch die Umstehenden bis hin zur Tafel. Neben Guillaume erhoben sich in diesem Moment drei Tempelritter und verabschiedeten sich zur Nachtruhe, wonach wir ihre Plätze einnehmen durften. Albert blieb neben dem Kamin stehen und blickte sehnsüchtig auf das fetttriefende Ferkel. Kaum dass wir saßen, standen auch schon mit Wein gefüllte Becher vor uns und nach einem lauten Trinkspruch wurde angestoßen. Ich ließ meinen Becher unschlüssig zwischen den Fingern kreisen und zögerte, doch dann stieß auch ich mit an und trank.

Zu Guillaumes rechter Seite saß ein Pfaffe, dessen Leibesfülle gleich zwei Sitzplätze beanspruchte, und während die gute Laune der Männer anstieg, gähnte der Pfaffe nur hemmungslos. Als er mit seinem Doppelkinn dann erneut zu einem Gähnen ansetzte, schien Guillaumes Missmut endgültig geweckt.

   »Pater Antonio, wenn Ihr Euch so langweilt, dann dürft Ihr Euch auch gerne zum Gebet zurückziehen.«

Als wäre er bei etwas ertappt worden, ruckte der Kopf des Pfaffen nach oben und er räusperte sich. »Nun, Ihr mögt durchaus recht haben, werter Guillaume, es ist an der Zeit für die Komplet.« Seine hohe Stimme erinnerte mich an das Quieken eines Ferkels. «Ich werde mich zurückziehen, denn es verlangt mir nach etwas Ruhe und dem Zwiegespräch mit dem Herrn.» Dabei wuchtete er seine Leibesfülle mühsam hoch, gab einen piepsenden Furz von sich, zwängte sich am Tisch vorbei und entfernte sich mit feistem Grinsen.

»Pfaffen!«, zischte Guillaume abfällig. »Das Einzige, nach dem ihm verlangt, sind meine jungen Mägde und mein Silber, welches ich der Kirche regelmäßig zukommen lasse!« Er spuckte verächtlich auf den Boden, doch als er bemerkte, dass er die Blicke auf sich gezogen hatte, hielt er kurzum seinen Becher in die Höhe.

»Auf den Klerus und ihre unerschöpfliche ...« Ich erwartete Habgier, doch er besann sich. »...unerschöpfliche Güte.«

Ich konnte an der Tafel einige zweideutige Blicke erkennen, doch dann wandte sich Gilberts Bruder wieder an mich und meine Gefährten. »Männer, darf ich euch Lucien Beaufort vorstellen, einen ergebenen Vasall des Grafen Fulko.« Guillaume wies auf einen jungen Mann, der uns schräg gegenüber saß. Er trug eine wattierte Tunika mit reich bestickten Verzierungen und eine goldene Kette schmückte seinen Hals. Sein halblanges dunkles Haar war glatt, die Nase gedrungen und seine Augen standen auffallend weit auseinander. Durch seine arrogante Erscheinung konnte ich mir durchaus vorstellen, dass er bei Hofe die Blicke der Damen auf sich zog. Ich jedoch fühlte mich bei seinem Anblick an einen hässlichen Aal erinnert.

Guillaume stellte ihm zuerst seinen Bruder vor und danach mich, doch als er meinen Namen nannte, bemerkte ich ein kurzes Aufblitzen in den Augen meines Gegenübers. Er nickte Gilbert und mir knapp zu, nur Struan, dessen Name zuletzt genannt wurde, sah er nicht einmal an. Lucien Beaufort kümmerte sich nicht weiter um uns und widmete sich wieder seinem Tischnachbarn, doch nicht ohne mir noch einmal einen verstohlenen Blick zuzuwerfen. Unsere Gesellschaft schien ihm wohl nicht ausreichend standesgemäß zu sein und am wenigsten wohl die unseres schottischen Freundes. Aus dem Augenwinkel sah ich, wie Struans Knöchel weiß hervortraten, als er seinen Becher mit der Hand umschloss.

»Wann hast du vor, nach Outremer aufzubrechen?«, fragte Gilbert dann unseren Gastgeber.

»Die Flotte des Grafen wird in drei Wochen auslaufen. Roger stellt für uns Normannen drei Schiffe bereit, wir sollen nach Antiochia, um die dortigen Normannen zu unterstützen.«

Guillaume bemerkte unseren nachdenklichen Gesichtsausdruck und lächelte dann aufmunternd. »Auf einem der Schiffe werden wir bestimmt noch ein Plätzchen für euch finden. Wenn ihr wollt.«

Gilberts und Struans fragende Blicke gingen zu mir. Ich schwenkte den Wein in meinem Becher und überlegte kurz. Schließlich stimmte ich zu.

   »Nun gut, dann soll es so sein«, freute sich Guillaume und besiegelte unseren Beschluss mit neuem Wein.

Beaufort hatte sich inzwischen erhoben und ans untere Ende der Tafel gesetzt, wo er sich mit einem Geistlichen unterhielt. Irgend etwas an dem Kerl missfiel mir, vielleicht lag es aber auch an dem frostigen Blick, den er mir kurz zuvor noch zugeworfen hatte. Jedenfalls konnten wir den Verlust seiner Gesellschaft durchaus verschmerzen. Hätte ich allerdings damals schon gewusst, was ich heute weiß, dann hätte ich ihn noch am selben Abend im nächstbesten Bach ertränkt. Denn es war der Tag, an dem Beaufort sich in mein Leben fraß und sich darin einnistete wie lästiges Ungeziefer.

   »Der Kerl hat Haare wie ein Weib und sie duften nach Rosen«, spöttelte Gilbert über Beauforts Aussehen und nahm erneut einen kräftigen Schluck. »Und wenn mich nicht alles täuscht, dann hat er Struan ganz besonders ins Herz geschlossen, nicht wahr, Großer?«

   »Reicher Adel und Darmwinde sind notwendige Übel«, knurrte Struan, »und beides riecht schlecht.«

»Hoho, ein Feiertag! Struan hat eine Vielzahl von Worten gesprochen«, lachte Gilbert und schenkte sich erneut nach.

»Ihr solltet etwas zurückhaltender sein, obwohl ich eure Meinung durchaus teile«, lenkte Guillaume ein, wobei er seine Stimme gesenkt hielt und mit dem Kopf zu Beaufort hinüber wies. »Solche verweichlichten Muttersöhnchen haben wir früher übereinander gestapelt und sie als Barrikade vor dem Schildwall benutzt. Trotzdem scheint mir dieser Lucien nicht ungefährlich zu sein, denn er weilt gern im Dunstkreis des Grafen und tut alles dafür, um seine Gunst zu erlangen. Und uns Normannen sind die Angeviner sowieso nicht immer grün. Außerdem weiß man nicht, welchen Papst sie momentan unterstützen.«

   »Du solltest dich weniger mit Machtansprüchen beschäftigen, das vertrocknet einem das Hirn«, entgegnete Gilbert, bei dem der Wein bereits Wirkung zeigte. »Mich interessiert es einen Fliegenschiss, welchen Papst sie gerade unterstützen.«

»Das sollte es aber«, erwiderte sein Bruder belehrend, »denn Roger will sich zum König von Sizilien erheben lassen, und zwar vom Gegenpapst Anaklet. Roger will das Schisma unter Papst Innozenz für seine Zwecke nutzen.«

»Und ich werde den Aborterker nutzen«, grummelte Gilbert. Dann stand er schwankend auf und entfernte sich, während sein Bruder ihm nur kopfschüttelnd nachsah.

»Sieh es deinem Bruder nach, solche Dinge kümmern ihn einfach nicht«, nahm ich Gilbert in Schutz. Doch Guillaume stellte seinen Becher krachend ab und schnaubte nur. »Wie auch! Er hat nie gelernt Verantwortung zu tragen, hat nur Frauen und Wein im Kopf!«

   »Das macht es vielleicht einfacher«, lächelte ich.

Guillaume brummte etwas Unverständliches in seinen Bart, dann erhob er sich und kümmerte sich um seine anderen Gäste. Struan und ich blieben sitzen, tranken Wein und hüllten uns in Schweigen. Seine wortlose Gesellschaft kam mir gelegen, denn mir war nicht nach Reden, ich wollte einfach nur meine Ruhe.

Mit fortgeschrittener Nacht wurde es an der Tafel immer lauter und ungezügelter. Die französischen Ritter hielten sich zwar etwas zurück, doch dafür tranken die Normannen umso mehr. Sie sangen unzüchtige Lieder und klopften dazu mit ihren Bechern im Takt auf die Tischplatte. Im Anschluss daran wurde mit Kriegserlebnissen geprahlt, welche derartig übertrieben geschildert wurden, dass nur ein Kind sie geglaubt hätte. Albert schenkte ihnen Glauben, denn er stand mit offenem Mund da und hörte fasziniert zu.

Gilbert hatte sich ein Mädchen auf seinen Schoß gezogen und schien ebenfalls seinen Spaß zu haben. Nur mir war nicht nach Feiern und ich hatte mich bis dahin mit dem Wein zurückgehalten. Als ich es mir nach einiger Zeit jedoch anders überlegte und ein paar Becher in mich hineingekippt hatte, kam es dann wie ein Sturmwind über mich. Ganz plötzlich ertrug ich die vielen Menschen nicht mehr. Ihre lauten Stimmen hörten sich auf einmal an, als kämen sie aus den Kehlen von Dämonen. Der stickige Rauch und die Enge der Halle wirkten mit einem Mal erdrückend auf mich und es kam mir vor, als würden die Wände immer näher auf mich zurücken. Ich fühlte mich eingeengt, als würde mir jemand die Luft zum Atmen nehmen. Ich stand ruckartig auf und drängte mich dann durch die dicht aneinander stehenden Anwesenden. Einige von ihnen rempelte ich unsanft an und gelangte irgendwie bis zur Eingangstür. Ich stieß sie auf und trat hinaus ins Freie, wo mich die Nacht wie ein bereits wartender Freund empfing. Ich atmete ein paar Mal tief ein, füllte meine Lungen mit der kühlen Luft und war dankbar um die friedvolle Stille, die ich dort vorfand.

Durch die Ablenkungen unserer langen Reise hatte ich geglaubt, es überstanden zu haben, doch nun brach die Schwermut wieder über mich herein und drohte mich innerlich zu zerreißen. Als wollte ich ihr entfliehen, stolperte ich ziellos durch den einsamen Burghof, bis ich schließlich die Stiege zur Festungsmauer hochkletterte. Auf dem Wehrgang hinter den Zinnen fand ich ein Plätzchen, wo ich ungestört sein konnte. Mit dem Rücken an die Steinwand des Bergfrieds gelehnt, ließ ich mich nieder und war so vor Blicken aus dem Burghof geschützt. Ich saß einfach nur da, schaute hinauf zum sternenklaren Himmel und fühlte mich elend. Vor meinem inneren Auge sah ich mich in meiner Halle auf Hohengreif sitzen, einen prächtigen Sohn in meinen Armen und meine liebende Frau neben mir. Doch der Allmächtige hatte anders entschieden und so blieb mir nichts als die schmerzende Vorstellung.

Ich schloss meine Augen und dachte an Marie und die glückliche, aber viel zu kurze Zeit, die uns beschieden war. Eine sanfte Windböe strich durch die Baumkronen und ließ die Blätter leise rascheln, als würden sie Maries Namen flüstern. Und für einen kurzen Moment war es mir, als würde sie an meiner Seite sitzen und mir zulächeln. Doch als ich neben mich blickte, war da nur kalter Stein und Dunkelheit. Die alte und längst überstanden gedachte Wut kam wieder in mir hoch und nagte gefräßig an meiner Seele. Die anschließende Leere war noch schlimmer und ich hätte am liebsten laut in die Nacht geschrien. Ich weiß nicht mehr, wie lange ich so dasaß, doch irgendwann zog ich die Beine an, legte die Arme um meine Knie und bettete meinen Kopf auf sie. Als lange danach meine letzten Tränen versiegt waren, schlief ich ein.

Ich spürte eine Hand auf meiner Schulter und schreckte hoch. Meine Finger griffen unwillkürlich nach dem Dolch in meinem Stiefel, doch dann erkannte ich Struan, der mich nur behutsam geweckt hatte. Er war nicht verwundert über meine Reaktion, denn zu oft war uns im Schlaf schon nach dem Leben getrachtet worden, ob im Krieg oder einfach nur von Wegelagerern.

Der Morgen graute bereits und vereinzelte, dichte Nebelschwaden zogen schwerfällig über die Zinnen hinweg. Ich nahm Struans mir dargebotene Hand und ließ mich von ihm hochziehen. Für einen kurzen Moment verlor ich mich im Anblick der diesigen Landschaft und atmete tief ein. Das friedvolle Licht der Morgensonne bedeckte die Baumkronen und ließ sie über dem Nebel wie Gold schimmern. Ich lehnte meine Ellbogen auf die noch klamme Mauerbrüstung und beobachtete einen Falken. Ohne mit den Flügeln zu schlagen, zog er über uns seine Kreise und verschwand dann langsam im morgendlichen Dunst. Ich blickte dem Raubvogel gedankenverloren hinterher und sah dann über meine Schulter zu meinem schottischen Gefährten.

    »Denkst du, es war richtig an diesen Ort zu kommen?«

Struan trat neben mich, legte seine Hände auf die Mauer und richtete seinen Blick ebenfalls in die Ferne. Sein Schweigen verwunderte mich nicht, und ich war umso erstaunter, als ich seine tiefe Stimme dann doch noch vernahm.

   »Das, was du suchst, wirst du hier nicht finden. Denn dafür gibt es keinen Ort.« Er machte eine kurze Pause und wendete mir sein Gesicht zu. »Es kommt nicht auf den Ort an, an dem du dich befindest. Deinen Seelenfrieden findest du nur in dir selbst, ganz gleich, wo du bist.«

Struan verblüffte mich immer wieder aufs Neue. Er sprach meist gar nichts, doch wenn er es tat, dann waren seine Worte so treffend, wie der wohlgezielte Schuss eines Bogenschützen.

   »Haben dir das deine alten Götter zugeflüstert?«, fragte ich.

»Nein, jemand der noch viel mehr Macht besitzt – meine Großmutter.«

Ich musste schmunzeln. »Eine kluge Frau.«

   »Aye, das ist sie.«

 

Nachdem wir uns zum Frühmal mit Hirsebrei und Milch gestärkt hatten, traf ich mich anschließend mit Struan im Burghof. Er und Gilbert hatten mich noch am Abend zuvor überredet, ein wenig mit den Waffen zu üben. Ich hatte eingewilligt, obwohl sich mein Ansporn in überschaubaren Grenzen hielt.

Albert half mir die Schnallen meines Gambesons zu schließen und band mir die Kettenhaube am Hinterkopf zu. Struan trug über seinem wollenen Waffenrock einen Lederpanzer, wobei seine Arme wie immer ungeschützt blieben. Wir tranken am Brunnen noch etwas Wasser, als auch Gilbert endlich erschien. Die Nacht hatte ihre Spuren in seinem Gesicht hinterlassen, er war bleich und hatte dunkle Ränder unter seinen geröteten Augen, dennoch zwinkerte er uns schelmisch zu.

»Alessia hat mich die ganze Nacht wachgehalten, aber es reicht immer noch, um euch den Arsch zu versohlen.«

Struan schnaufte nur gelangweilt aus, während Albert sich daranmachte, auch Gilberts Gambeson zu schnüren. Ich lockerte meine steifen Knochen und fühlte mich etwas unsicher. Denn während sich die beiden in den letzten Monaten regelmäßig an den Waffen geübt hatten, war mein Interesse daran völlig erloschen. Als ich nun mein Schwert in der Hand wog, fühlte ich mich ungelenk und eingerostet, doch ich überspielte meine Unsicherheit, indem ich mich aufreizend in Kampfpose schmiss. Wir standen uns gegenüber, den Kampfschild am linken Arm und das Schwert in der rechten Hand. Gilbert grinste mich herausfordernd an. »Nun denn, alter Knabe, bereit?«

   »Bereit wie immer«, erwiderte ich heiter. Worauf mir Gilbert mit dem Schwert auf den Schild hämmerte, sodass ich rückwärts torkelte und beinahe gestolpert wäre.   

Wir waren zwar gut gepolstert und versuchten uns beim Üben nicht ernsthaft zu verletzen, dennoch blieb immer ein Risiko bestehen. Inzwischen hatten sich noch einige andere Ritter im Hof eingefunden und schauten unserem Treiben interessiert zu. Gilberts Schläge waren schnell und gezielt und ich hatte alle Mühe sie abzuwehren. Die Wucht seiner Angriffe überraschte mich, aber noch mehr, dass ich ihm nicht allzu viel entgegensetzen konnte. Unaufhörlich prasselten seine Hiebe auf mich ein und drängten mich bis an die Burgmauer zurück. Meine monatelange Antriebslosigkeit machte sich jetzt deutlich bemerkbar, denn meine Reaktionen waren zu langsam und ich bekam einige schmerzhafte Treffer mit der flachen Klinge zu spüren. Erst als auch ich einige Schläge anbringen konnte, verschaffte ich mir etwas Luft und konnte kurz durchatmen. Mein Blick ging zur Treppe des Palas, wo ich Beaufort, unseren Tischnachbarn vom Vorabend ausmachen konnte. Er stand unter den anderen Zuschauern und grinste abschätzig zu uns herüber.

Der Kampf war inzwischen ausgeglichen, wir waren beide kampferprobte Recken, die sich alles abverlangten, und der kleinste Fehler konnte die Niederlage bedeuten. Als sich unsere Klingen erneut kreuzten, blockierte ich Gilberts Schwert mit meiner Parierstange. Im selben Augenblick stellte ich ihm ein Bein und drückte ihn seitlich nach unten. Doch er hatte seinen Arm in meinem Ellbogen eingehakt und so gingen wir beide zu Boden. Wir schlüpften blitzschnell aus den locker angezogenen Schildriemen und wie zu einem Knäuel verstrickt, kämpften wir mit Händen und Füßen weiter. Gilbert war bald über mir und ich versuchte verzweifelt meinen Schwertarm freizubekommen, doch er schien mir an diesem Tag überlegen zu sein. Irgendwie schaffte ich es, seinem Griff zu entkommen und presste meinen Arm um seinen Hals, doch er entwand sich meiner Umklammerung und rollte sich zur Seite. Ich stürzte mich sogleich auf ihn und wir verkeilten uns erneut ineinander. Keiner wollte sich geschlagen geben und wir scheuten uns auch nicht, schmutzige Tricks anzuwenden, doch jede Finte wurde vom anderen sofort durchschaut. Erst als uns Struans kräftige Hände nach einer Weile auseinanderzogen, ließen wir voneinander ab. Wir belauerten uns wie bissige Köter und wären wohl erneut aufeinander eingefahren, wenn nicht Struan kopfschüttelnd zwischen uns gegangen wäre.

   »Genug! Kein Sieger.«

Wir streckten beide unsere Rücken durch und reichten uns dann erschöpft die Hände. »Hattest nur Glück.«

   »Du auch!«

Albert kam herbeigeeilt und reichte uns einen Wasserschlauch, dessen Inhalt wir gierig leerten. Ich war noch außer Atem und genoss das kühle Wasser in meiner Kehle, als eine Stimme durch den Burghof hallte.

   »Da hat der Tölpel wohl recht. Kein Sieger … aber dafür zwei Verlierer.«

Wir drehten uns um, die Worte waren von Lucien Beaufort gekommen, der jetzt mit vor der Brust verschränkten Armen am Brunnen lehnte. Er lachte großspurig und seine Handvoll Begleiter stimmten höhnisch in sein Gelächter mit ein. Ich schenkte ihnen nur einen flüchtigen Blick und drehte mich wieder weg. Um einen Streit zu vermeiden, verkniffen wir uns jeglichen Kommentar und sammelten unsere Waffen ein. Gilbert fluchte dabei leise vor sich hin, während Struans Schweigen einer wortlosen Drohung glich.

Als wir alles beisammen hatten und den Burghof verlassen wollten, kam Beaufort näher und stellte sich uns breitbeinig in den Weg. Er grinste blasiert und ich fragte mich, ob sein Gebaren angeboren oder die Grütze in seinem Schädel dafür verantwortlich war. Ganz plötzlich verspürte ich den Drang, ihm sein Grinsen aus dem Gesicht zu hauen und seine Visage in einen dampfenden Pferdehaufen zu drücken.

Beaufort trug einen farbenprächtigen Wappenrock, von dem ich bezweifelte, dass er jemals Schmutz oder Blut gesehen hatte. Mit einer Art, von der er wohl dachte, sein hoher Rang würde sie ihm abverlangen, blickte er mich mit selbstverliebter Miene an.

»Hohengreif, man sagt, Eure Klinge sei vom Blut Eurer Feinde gehärtet. Doch was ich soeben sah, hat mich doch eher an kämpfende Weiber erinnert.«

Wieder ertönte das spöttische Gelächter seiner Begleiter, die sich inzwischen neben ihm aufgebaut hatten. Ich konnte meine Abneigung gegen ihn nur schwer unterdrücken, ging einen Schritt auf ihn zu und sah ihm ins Gesicht.

»Und sagt man nicht auch, dass Ihr es seid, der sich gerne unter ihren Röcken versteckt, wenn es darauf ankommt?!«

Für einen kurzen Moment herrschte Todesstille im Burghof, und Beauforts Dauergrinsen schien ihm im Gesicht festgefroren zu sein. Zweifelsohne wollte er sich bei unserem kleinen Wortgefecht keine Blöße vor seinen Begleitern geben. Sein Nasenflügel zuckte leicht, ehe sich seine Augen verengten und er seinen Hals wie eine Schlange nach vorne reckte. Seine Stimme war nur ein einziges bösartiges Zischen.

»Welch wundersame Fügung des Schicksals, dass sich unsere Wege hier kreuzen. Denn ich weiß, wer Ihr seid, Hohengreif!« Er kostete meinen stutzigen Blick aus und drückte seine Schultern durch. »Ihr habt Wulfin von Rheinlohe getötet.«

Ich war überrascht und zugleich verblüfft um seine Kenntnis von meiner Vergangenheit. Er suchte in meinem Gesicht nach Anzeichen von Verunsicherung, die seine Worte bewirken sollten, doch ich tat ihm den Gefallen nicht und blieb gelassen. »So ist es, doch was schert Euch das?«

»Sein Tod schert mich nicht im Geringsten, auch wenn er vielleicht tapfer gestorben ist.«

»Ist er nicht.«

Ein grimmiges Lächeln huschte über Beauforts Gesicht und seine Stimme wurde leiser. »Aber er war der Kettenhund meines Vaters, und er war dumm genug, um für ein paar Goldmünzen auch meine Interessen und Pläne zu vertreten.« Er gab sich gleichgültig, als würde er über das Wetter reden, jedoch ohne die Feindseligkeit in seinem Blick zu verlieren. »Der alte Wulfin hätte meine Schwester ehelichen sollen, um meinen Einfluss nördlich der Loire geltend zu machen. Es war bereits alles arrangiert, doch dann kamt Ihr, und Euer Name hat sich mir eingeprägt!«

Wulfins Ländereien grenzten an die meinen und unsere Familien waren in jahrzehntelanger Fehde gelegen. Ich tötete ihn in offener Schlacht und verhehle nicht, dabei Freude empfunden zu haben, denn er war ein elender Blutsauger und hatte den Tod verdient. In meinem Geiste hörte ich seine Verfluchung, die er mir mit seinem letzten Atem entgegengespien hatte.

Ich sah Beaufort ins Gesicht und zuckte gleichmütig mit den Schultern. »Eure Schwester hätte dann immer noch mit Anslin, Wulfins Sohn, vorlieb nehmen können.«

   »Anslin!?« Beaufort spuckte den Namen aus wie Hustenschleim. »Er lehnte eine Verbindung ab. Dieser Weichling steckt seinen Kopf in Bücher und zieht es vor, sich mit zarten Knaben zu umgeben.«

Ich ließ seine verlogene Behauptung an mir abprallen. »Eine Vorliebe, die man auch Euch nachsagt«, grinste ich belustigt, worauf Beauforts Begleiter einen Schritt näher rückten und von meinen Worten nur wenig erheitert wirkten.

   »Pass auf, was du sagst«, flüsterte Gilbert hinter mir, »sie sind in der Überzahl und wir stecken jetzt schon bis zum Hintern in der Gülle.«

   »Euer spitzes Mundwerk, Hohengreif, könnte Euch eines Tages Kopf und Kragen kosten«, drohte mir Beaufort mit bösem Lächeln. »Ihr habt mich um Ländereien und Einfluss gebracht, und das war dumm von Euch, sehr dumm.«

   »Verzeiht, wenn ich Eure ehrgeizigen Pläne durchkreuzt und Eurer Schwester das Joch unter Wulfin erspart habe«, heuchelte ich Bedauern und blickte dabei in Augen, die so herzlos wirkten wie kalter Stein.

   »Meine Schwester!?», presste er geringschätzig hervor, »meine Schwester zählt vierzehn Lenze und ist ein einfältiges Küken. Sie schert mich genauso wenig wie Wulfin, doch ihr Schoß bleibt nun kalt und wird welken wie altes Fleisch. Sie nutzt mir nicht mehr, Dank Euch, Hohengreif!«

Ich stellte mir seine kleine Schwester als Wulfins Gemahlin vor, und bei dem Gedanken verstand ich so manche Frau, welche freiwillig die Obhut eines Klosters der Ehe vorzog. Beauforts aufreizender Blick forderte mich zu einer Antwort auf und ich blieb sie ihm nicht schuldig, wobei ich mich zurücknahm und lächelte.

   »Nun, noble Seigneurs«, säuselte ich, »so mancher Hahn glaubt, er sitze auf einem goldenen Thron und dass die Sonne nur seinetwegen aufgeht. Doch jedes Huhn weiß, dass er nur auf einem qualmenden Misthaufen sitzt und dessen Gestank noch übertrifft!«

Abermals setzte kurze Stille ein und ich hörte nur Gilberts leise Worte. »Jetzt bis zum Hals in der Gülle!«

Aus dem Augenwinkel nahm ich wahr, wie einige seiner Männer sich die Handschuhe überstreiften. Meine Worte hatten ihre Wirkung nicht verfehlt, denn Beaufort war einen Schritt zurückgewichen und seine bartlosen Wangen waren vor Zorn gerötet. Dennoch behielt er seine Fassung, während er mich von unten bis oben herablassend betrachtete.

»Ihr seid nur ein kleiner unbedeutender Landbesitzer, und es wäre besser, Ihr begäbet Euch wieder in das Loch, aus dem Ihr gekrochen seid!«

Ich versuchte seine Beleidigungen an mir abgleiten zu lassen und schenkte Beaufort nur ein mitleidiges Lächeln. Um einer weiteren Auseinandersetzung aus dem Wege zu gehen, ersparte ich mir eine erwidernde Bemerkung und wollte seitlich an ihm vorbeigehen. Doch er versperrte mir erneut den Weg und ließ sich zu einem Lachen herab.

»Sagt, Hohengreif, seid Ihr bei Eurem Weibe auch so feige, wenn sie für Euch die Beine spreizt? Statt eines Hasenfußes wie Ihr, sollte ich sie vielleicht besser bespringen.«

Ich hatte mich schon von ihm abgewendet und ihm den Rücken zugekehrt, doch nun verharrte ich in meiner Bewegung. Meine Muskeln spannten sich an und ich spürte ein Pochen hinter meinen Schläfen. Mit einem tiefen Atemzug drehte ich mich langsam zu ihm um, sodass mein Gesicht ganz nahe dem seinen war. Meine Stimme war nur noch ein drohendes Flüstern.

   »Ich verspreche dir Eines, du Possenreißer, noch ein Wort über mein Weib und ich werde dir hier und jetzt die Zunge herausreißen!«

Beaufort zuckte mit dem Oberkörper leicht zurück, doch nicht aufgrund meiner Drohung, sondern weil meine Hand zum Schwertgriff ging. Sofort zogen Beauforts Begleiter ihre Klingen ebenfalls bis zur Hälfte aus der Scheide. Die anderen Beobachter im Burghof zogen sich in Anbetracht dessen ein paar Schritte zurück. Wir standen uns belauernd gegenüber, jeder darauf wartend, dass der andere sein Schwert zuerst erhob. Es war einzig Gilberts Gelassenheit zu verdanken, dass es keiner tat, denn er trat neben mich, musterte Lucien mit abschätzigem Blick und legte dann seine Hand auf meinen Schwertarm.

   »Lass es, der ist die Scharte an deiner Klinge nicht wert.«

Obwohl es in mir brodelte, kehrte meine Beherrschung wieder zurück. Ich steckte mein Schwert wieder in die Scheide und verzichtete auf weitere Worte – doch ich hatte nicht mit Struan gerechnet. Er stand plötzlich vor mir und blickte auf den einen Kopf kleineren Lucien herunter.

   »Wer den Streit sucht, den sollte man nicht warten lassen.«

Lucien Beaufort wandte seinen Blick von mir ab und schaute überrascht zu Struan hoch. Und als wäre Struan nicht würdig, überhaupt das Wort an ihn richten zu dürfen, entfuhr ihm nur ein hochmütiges Schnauben.

»Mir scheint, du bist genauso dumm, wie du groß bist«, näselte Lucien und ging einen Schritt auf unseren Hünen zu. »Ich denke, ich werde dir höfisches Benehmen beibringen müssen, und wenn es sein muss, mit meinen Fäusten, du Barbar!«

Doch Struan verdrehte nur gelangweilt die Augen. »Nighean!2«

Lucien blickte verdutzt zu uns rüber. »Was hat der Trottel eben gesagt?«

   »Dass es ihm eine Ehre ist», erwiderte Gilbert.

Struan nickte nur und ging dann einige Schritte zurück. Nach kurzem Zögern ging auch sein Gegenüber ein paar Schritte rückwärts und legte mit überheblichem Gesichtsausdruck sein Schwertgehänge ab. Ich schnappte Struan am Arm und wollte ihn von seinem Vorhaben abbringen, doch als er mich mit seinen blauen Augen wortlos ansah, wusste ich, dass es zwecklos war. In kürzester Zeit bildete sich um Beaufort ein kleiner Pulk seiner Speichellecker, während wir Struan, der die Ruhe selbst zu sein schien, aus seiner Lederpanzerung heraushalfen.

   »Zeig diesem eingebildeten Pfau was eine schottische Ramme ist!», grinste Gilbert und schlug ihm dabei kräftig auf die Schulter. »Ich werde auf dich wetten.«

   »Aye.«

Ich hielt mich zurück und konnte beobachten, wie immer mehr Schaulustige den Burghof füllten. Die edlen Herren und Krieger schienen dankbar für die Abwechslung zu sein und von einigen Gaffern ertönten bereits die ersten auffordernden Zurufe. Wetten wurden lauthals abgeschlossen und Münzen wechselten die Hände ihrer Besitzer. Einige, die nicht um ihren Spaß betrogen werden wollten, drängelten sich bereits durch die Umstehenden nach vorne. Selbst die Mägde und Knechte trauten sich mit ihrer Arbeit innezuhalten und stellten sich auf den Brunnenrand, um besser sehen zu können.

Struan hatte sich gerade seines Wollumhanges entledigt und krempelte die Ärmel seiner Tunika hoch, als ich auf der Treppe zum Palas Gilberts Bruder Guillaume entdeckte. Unsere Blicke trafen sich und er schüttelte fast unmerklich seinen Kopf. Seine warnende Geste war kaum wahrnehmbar, hatte für mich aber genügt, um zu verstehen. Als Zeichen, dass ich begriffen hatte, nickte ich nur leicht zurück.

Die Menge wurde nun immer lauter und die Stimmung heizte sich auf. Inmitten der Zuschauer hatte sich ein kleines freies Rund für die Kämpfer gebildet. Als Struan sich dorthin begeben wollte, hielt ich ihn am Arm fest und gab ihm versteckt und mit der Handfläche nach unten einen heimlichen Hinweis. Er begriff meine Andeutung nicht sofort, erst als er mir in die Augen sah, verstand er. Sein Kopfnicken wirkte allerdings nicht sonderlich begeistert, was ich durchaus verstehen konnte, denn es gab bessere Dinge, als einen Kampf absichtlich zu verlieren. Doch in diesem Fall vertraute ich auf Guillaume, denn wenn Struan einen französischen Edelmann mit einer Niederlage demütigen würde, dann hätte uns dies vermutlich nur Scherereien eingebracht.

   »Hau ihn um, Struan!«

Mein Blick reichte und Albert zog seinen Kopf zwischen die Schultern. »Du hältst deine Klappe oder du wirst heute Nacht in der Latrine schlafen!«

Struan stand Lucien Beaufort nun gegenüber und hatte seine muskulösen Oberarme vor der Brust verschränkt. Sein Blick ging noch einmal kurz zu mir, dann wandte er sich wieder Beaufort zu. Weinkrüge wurden umhergereicht und die Kämpfer mit lauten Rufen angefeuert.

»Struan wird ihn mit einem Schlag in den Boden stampfen!«, raunte mir Gilbert vergnügt zu. Ich zuckte nur mit den Schultern und schüttelte meinen Kopf, denn mir war, als würde ich mich inmitten von halbwüchsigen und rauflustigen Knaben befinden.

Die beiden Kontrahenten standen sich nun dicht gegenüber. Lucien musterte Struan mit siegessicherem Gesichtsausdruck, dann reichten sie sich die Hände und gingen wieder ein paar Schritte auseinander in ihre Ausgangsposition. Die Zuschauer johlten aus vollen Kehlen, einer der normannischen Ritter schlug mit dem Schwert auf seinen Schild und der Zweikampf war eröffnet.

Die Kämpfer bewegten sich gegenseitig belauernd im Kreis, wobei Lucien äußerst konzentriert wirkte. Struan hingegen schien völlig entspannt zu sein, doch seine Bewegungen sahen gezwungen aus, ganz anders als sonst. Er umkreiste seinen Gegner und wirkte dabei wie ein tapsiger Bär. Alles an ihm wirkte seltsam und geziert. Schließlich schlug er mit einer umständlichen und viel zu weit ausholenden Bewegung zu, doch seine Faust verfehlte Luciens Kopf um eine ganze Armeslänge. Struan hatte seinen Schwinger so langsam und unbeholfen ausgeführt, dass selbst ein Volltrunkener seinem Schlag hätte ausweichen können.

»Was macht dieser Idiot da?! Er hat doch noch gar nichts getrunken!«, stieß mir Gilbert seinen Ellbogen in die Rippen. Ich antwortete nicht und sah weiterhin dem Treiben zu.

Lucien bewegte sich leichtfüßig und witterte seine Chance, ganz im Gegensatz zu unserem Schotten, der weiterhin tolpatschig um sein Gegenüber herumschlich. Beaufort versuchte Struan mit obszönen Gesten seiner Hände zu reizen, doch der reagierte nicht einmal darauf und torkelte weiterhin umher. Schließlich packte Lucien die Gelegenheit am Schopf und schlug zu. Seine Faust traf Struan am Kinn, dessen Kopf dadurch zur Seite gerissen wurde. Er blieb jedoch stehen und es geschah zunächst gar nichts. Doch dann, und mit etlicher Zeitverzögerung, kippte Struan langsam um und fiel direkt vor unsere Füße, wo er auf seinem Rücken liegen blieb. Allerdings war er so plump und ungelenk umgefallen, dass sein Mummenschanz selbst einem Blinden aufgefallen wäre. Seine Schauspielkunst würde wohl nicht bis über die Grenzen des Landes berühmt werden.

Ich gewann den Eindruck, dass Lucien bereits vor dem Kampf damit gerechnet hatte, dass Struan ihn gewinnen lassen würde. Vermutlich war er es schon von Kindheit an gewohnt, dass man ihn gewinnen ließ.

Lucien sonnte sich mit Siegerposen im Jubel seiner Männer, was ich mit geballten Fäusten zähneknirschend hinnahm. Gilbert hingegen warf wütend seine Handschuhe beiseite und beugte sich zu Struan hinunter. »Bist du von allen Heiligen verlassen!? Ich habe wegen dir eine Silbermünze verloren!«

Struan mimte immer noch den Ohnmächtigen, doch nach Gilberts Worten öffnete er langsam seine Augen und zwinkerte uns zu. »Meine kleine Schwester schlägt härter zu.«

Gilbert stieß einen Grunzlaut aus, packte Struan unter den Achseln und zog ihn hoch. Sein Gesicht war rot angelaufen und er schäumte vor Wut. »Das wirst du mir erklären müssen!«

Auch mein Knappe war außer sich und starrte fassungslos zu Struan hoch. »Du hast ihn doch absichtlich gewinnen lassen!«

   »Halt die Klappe, Albert!«, zischte ich ihm leise zu. Doch als ich in seinem Gesicht die tiefe Enttäuschung über Struans Niederlage sah, tat er mir leid und ich legte meine Hand auf seine schmale Schulter.

»Albert, das, was Struan soeben getan hat, könnte man auch Politik nennen.«

   »Äh, was?!«

   »Später Albert, später ...«

»Hat euer Bauerntölpel genug oder braucht er eine weitere Abreibung?!«, rief Lucien und stand dabei aufgeplustert in der Mitte des Platzes. Seine eitle Art brachte mich an die äußeren Grenzen meiner Geduld.

   »Hat er soeben Bauerntölpel gesagt!?«, hörte ich Struan fragen, wobei seine Stimme einen drohenden Unterton erkennen ließ.

   »Da hast du richtig gehört«, stichelte Gilbert. »Das würde ich mir nicht gefallen lassen, Großer.«

Struan richtete sich zu voller Größe auf und sein Blick ging zu Lucien. Ich konnte nicht anders und stöhnte innerlich auf, denn dieser Blick war mir nur allzu vertraut. Ganz beiläufig klopfte sich Struan den Staub von seiner Tunika. »Aye!« Dann ging er mit entschlossenen Schritten an mir vorbei. Ich wollte ihn noch zurückhalten, doch er riss sich los und betrat erneut das Rund. Gilberts mehrdeutiges Grinsen bewies mir nur, dass er über Struans Entscheidung alles andere als unglücklich war.

»Keine Macht dieser Welt kann ihn jetzt noch daran hindern. Du kennst Struan.«

   »Weiß Gott, ja! Aber war das nötig?!«, entgegnete ich.

»Ich kann nichts dafür, wenn er ihn einen Bauerntölpel nennt«, amüsierte sich Gilbert mit unschuldiger Miene. »Aber Struans Eltern sind Bauern und ich denke, das fand er ganz und gar nicht lustig.«

Ich schnaufte aus und beschloss, den Dingen ihren Lauf zu lassen, ändern konnte ich sie jetzt sowieso nicht mehr. Auf der Suche nach Guillaume ging mein Blick zur Palastreppe, doch ich konnte ihn weder dort noch unter den Zuschauern entdecken. Also widmete ich mich wieder dem Geschehen, wenngleich mit einer unguten Vorahnung.

Viele der Schaulustigen waren noch anwesend und freuten sich nun auf eine weitere Darbietung. Die Streithähne wurden durch Zurufe aus heiseren Männerkehlen erneut ermuntert. Wieder wurde ein Schwert auf einen Schild geschlagen und der Kampf begann aufs Neue.

Beaufort schlich in aufreizender Haltung um Struan herum und setzte ihn der Lächerlichkeit preis, indem er seine Faust in der Luft kreisen ließ. Die gaffende Meute schien ihren Spaß zu haben und machte unseren Schotten durch ihr Lachen noch mehr zum Gespött. Struan stand derweil völlig unbeweglich da und hatte seine Arme in die Hüften gestemmt. Beaufort befand sich eine Armlänge von ihm entfernt. »Also schön, Bauer, dann werde ich dir die nächste Lektion erteilen.« Er grinste zu einem Diener. »Schenk mir schon mal Wein ein, denn das hier wird gleich vorbei sein!«

Kaum hatte er ausgesprochen, da fuhr seine Rechte auch schon heimtückisch und blitzschnell nach vorn. Struan blieb stehen und wich dem Schlag aus, indem er seinen Oberkörper nur leicht zur Seite neigte. Luciens Hieb ging ins Leere, wobei er durch den Schwung ins Straucheln geriet und dadurch eine unglückliche Figur abgab. Obwohl leicht überrascht, setzte er sofort wieder sein überhebliches Grinsen auf. Die Menge grölte laut und wollte mehr, und Beaufort schien das Schauspiel zu genießen. In gespielt höfischer Manier verbeugte sich Lucien vor den Zuschauern, doch nur, um gleich darauf wieder hinterhältig zuzuschlagen. Diesmal wich Struan seinem Hieb nicht aus, sondern fing die entgegenkommende Faust mit seiner linken Hand ab und hielt sie fest umschlossen. Lucien schien verblüfft ob der plötzlichen Schnelligkeit seines Gegners, worauf er mit der anderen Faust zuschlug. Aber auch diese fing Struan mühelos ab und hielt sie ebenfalls fest umklammert. Beaufort versuchte sich verzweifelt aus seiner misslichen Lage zu befreien und sah dabei recht hilflos aus.

Ein erstauntes Raunen ging durch die Menge, als Struan die Arme seines Gegners, dessen beide Fäuste er in seinen Pranken hielt, ganz langsam und scheinbar ohne großen Kraftaufwand auseinander drückte. Beaufort versuchte Struans eisernem Griff zu entkommen, doch seine Mühen waren vergeblich. Mit kalter Miene sah Struan seinem Widersacher in die Augen, die keine zwei Handbreit von seinen entfernt waren. Dann drückte er Beauforts Hände samt seinem Oberkörper nach unten, langsam und jeden Moment auskostend, bis er schließlich vor ihm auf die Knie sank. Dieses Bild in Worten zu beschreiben, obliegt vielleicht eher einem fahrenden Sänger, denn mir. Jedenfalls hielt Struan die Hände seines Kontrahenten fest umschlossen, und an Beauforts verzerrter Miene und an Struans weißen Knöcheln konnte man deutlich erkennen, dass er den Druck erhöhte. Lucien kämpfte noch kurz dagegen an, doch dann presste er leidend das eine Wort heraus:

   »Capituler.«

»Er gibt auf«, freute sich ein normannischer Ritter neben uns.

Struans Pranken gaben Beauforts Fäuste frei, worauf er mit kurzem Stöhnen vor ihm zusammensank. Als wäre nichts geschehen, bückte sich Struan und hob seinen wollenen Schulterumhang vom Boden auf. Sein Gegner kniete immer noch hinter ihm, hielt sich seine schmerzenden Hände und blickte ihm hasserfüllt hinterher. Die Menge war verstummt und keinerlei Spott mehr zu hören, vielmehr waren es jetzt anerkennende Blicke, die Struan begleiteten, als er zu uns zurückkam.

»In einem hatte der Geck ja recht, es war wirklich gleich vorbei«, scherzte Gilbert, der sich vor Freude in die Hände klatschte, während er Struan empfing. Albert strahlte glücklich bis über beide Ohren, als hätte er selbst den Kampf gewonnen. Und ich stand einfach nur da und wunderte mich nicht zum ersten Mal über die Selbstverständlichkeit, mit der meine Gefährten die Dinge regelten. Als ich allerdings in Beauforts Augen sah, deren Blick mich gerade traf, wurde mir klar, dass ich an diesem Tag einen Feind gefunden hatte. Dieser Umstand allein war nichts Außergewöhnliches, denn so wie es ohne Wasser keine Mühlen gäbe, so gibt es gewiss auch keinen Krieger ohne einen Feind. Wenngleich meiner gewisse Ähnlichkeit mit zwei Afterballen hatte.

 

Drei Tage später lud uns Guillaume zur Jagd ein. Ich war kein guter Jäger, weshalb mich seine Einladung nicht gerade in Hochstimmung versetzte. Dennoch war es ein willkommener Zeitvertreib, zumal nicht nur ich, sondern auch unsere Pferde ein wenig Auslauf benötigten. Während wir die Schwertgehänge über unseren Gambesons anlegten, wurden lange Spieße und Jagdbögen unter den Männern verteilt. Struan zog es jedoch vor, seinen eigenen Bogen zu benutzen. Die Treffsicherheit an seiner Waffe war bemerkenswert und hatte uns in der Vergangenheit schon manch gutes Stück Fleisch beschert. Er spannte die Bogensehne ein paar Mal durch, nickte dann zufrieden und hing sich den Köcher um.

Nachdem ich Ashir gesattelt hatte und wir unsere Pferde auf den Hof hinausführten, erblickte ich zu meiner Überraschung auch Beaufort in der Jagdgesellschaft. Er saß lustlos im Sattel und tat so, als ob er mich nicht sehen würde. Als dann auch noch Struan sein Pferd an ihm vorbei lenkte, wandte er sein Gesicht ab und suchte das Gespräch mit einem der Männer. Für einen Moment überlegte ich, ob Gott mich strafen wollte und mir deshalb Beaufort gesandt hatte, aber vielleicht war es auch Wulfins späte Rache aus dem Totenreich. Ich spielte mit dem kurzen Gedanken, Beaufort mittels meiner Klinge zu Wulfin zu schicken, um ihm seine Einsamkeit in der Hölle zu erleichtern, doch ich sah davon ab.

Es war noch früh und die Morgenröte erfüllte den Himmel, als ein starkes Dutzend Reiter und einige Knechte mit Hunden, die uns als Treiber dienten, die Burg verließen. Beaufort hielt sich am Ende des Zuges und schien absichtlich Abstand zu uns zu halten.

»Die Schranze wird doch wohl nicht beleidigt sein«, flachste Gilbert, der neben mir ritt. Ich gab keinen Kommentar ab, da ich schlecht geschlafen hatte und mich zudem ein Zahn plagte.

Wir ritten durch einen dichten Pinienwald, über dessen Boden noch der Morgennebel schwebte. Ich mochte den Geruch der feuchten Nadelhölzer, der immer intensiver wurde, umso tiefer wir in den Wald eindrangen. Vor den Nüstern der Pferde bildeten sich kleine weiße Wölkchen, die sich dann in den flach hereinfallenden Sonnenstrahlen wieder auflösten. Ich schloss für einen kurzen Augenblick meine Augen, um die klare Luft und die Geräusche des Waldes in mir aufzunehmen. Eine plötzliche Unbeschwertheit nahm von mir Besitz ein und stimmte mich für den Moment versöhnlich. Der Allmächtige musste wohl gut gelaunt gewesen sein, als er diesen Flecken Erde erschaffen hatte.

Nachdem wir einen kleinen Bach durchquert hatten, entfernten sich die Knechte mit ihren Hunden in nördliche Richtung, um uns von dort das Wild entgegenzutreiben. Wir saßen ab und nutzten die Zeitspanne, um die Pferde am Bach zu tränken. Guillaume wirkte unbekümmert und voller Tatendrang, er blickte zu Lucien Beaufort, der sich auf einem bemoosten Stein niedergelassen hatte.

»Hier gibt es die größten und fettesten Wildschweine, die Ihr je gesehen habt.«

Beaufort blickte kurz auf, schenkte aber seinen Worten keine weitere Beachtung und stocherte mit einem Zweig im Boden. Guillaume ließ sich von seinem Desinteresse nicht beirren und nahm die Zügel seines Pferdes auf. »Unser Großvater, Gott sei ihm gnädig, konnte ein Lied davon singen. Denn ein mächtiger Eber schlitzte ihm mit seinem Hauer den Oberschenkel auf, vom Knie bis zu seinem Gemächt.«

»Und ein Bader hat ihm dann das Bein abgesägt und den Stumpf ausgebrannt. Er hat dabei geschrien wie am Spieß, aber hat's überlebt«, warf Gilbert lachend ein und schenkte Beaufort einen zweideutigen Seitenblick. »Es braucht schon mehr als einen Eber, um einen Normannen zu fällen!«

Er zielte dabei auf die generationenlange Rivalität zwischen Normannen und Angeviner in Nordfrankreich ab, doch Luciens Miene blieb trotz der Anspielung unbeweglich. Einer seiner Begleiter reichte ihm einen Weinschlauch, den er mit einer Handbewegung mürrisch abwies. Vermutlich nahm er an der Jagd nur teil, um seinen Gastgeber nicht zu beleidigen. Darüber hinaus war ich mir sicher, dass dieser eitle Emporkömmling sich   unter seinesgleichen bei Hofe wohler gefühlt hätte, als unter uns Kriegern im Wald.

Struan saß etwas abseits auf einem umgestürzten Baumstamm und vertrieb sich das Warten, indem er, wie so oft, an einem kleinen Stückchen Holz schnitzte. Als verweile er in einer anderen Welt, wirkte er dabei völlig in sich gekehrt und kümmerte sich ausschließlich um seine Schnitzerei. Wie gerne hätte ich in solchen Momenten in seinen Kopf gesehen und seine Gedanken gelesen.

Nur unweit von uns stiegen Vögel aus dem dichten Strauchwerk empor und sammelten sich dann in den hochgelegenen Ästen. Der kehlige Schrei eines Raben ertönte und vermengte sich mit Ashirs unruhigem Schnauben, als Albert ihn an den Zügeln zu mir führte. Ich fuhr meinem Pferd mit der Hand durch die Mähne, um es etwas zu beruhigen. »Na, mein alter Freund, kannst die Jagd wohl kaum erwarten?» Als hätte er meine Worte verstanden, stampfte er ungeduldig mit dem Vorderhuf auf und wieherte leise. Ich besänftigte ihn mit leisem Zureden, worauf er dann seinen Kopf senkte und am noch feuchten Gras zupfte. Albert zog währenddessen den Sattelgurt nach, wobei er jedoch immer wieder verstohlen zu mir herüber schielte. Ich kannte diesen Blick bereits und wusste, was gleich kommen würde.

   »Herr, darf ich Euch etwas fragen?«

   »Nein!«

Albert versuchte seine enttäuschte Miene vor mir zu verbergen und nestelte beleidigt an Ashirs Sattel.

   »Na frag schon, bevor du Ashir noch in den Irrsinn treibst.«

Er nahm die Hände vom Sattel und ich bemerkte das Leuchten in seinen Augen. »Herr, ist Jerusalem wirklich aus goldenen Mauern erbaut, wie man sich erzählt?«

Ich setzte mich auf einen kleinen Felsen und schüttelte meinen Kopf. »Jerusalem ist genauso aus Stein erbaut wie Mainz oder Bingen. Und genauso gibt es dort Verrat und Lügen, wie in jeder anderen Stadt auch.«

Alberts nachdenklich gerunzelte Stirn schenkte mir keine allzu große Hoffnung, dass seine Fragerei hiermit beendet sei.

   »Und die Heiden, ist es wahr, dass sie in tiefen Höhlen unter der Wüste leben und Hörner aus ihren Köpfen wachsen?«

Ich musste stöhnen, wurde meine Geduld doch wieder auf eine harte Probe gestellt. »Pass auf, dass dir nicht gleich von meiner Kopfnuss ein Horn wächst!«

Sein bedröppelter Blick stimmte mich jedoch schnell wieder milde. »Wo hast du nur immerzu diesen Unfug her? Es sind Menschen wie du und ich, nur mit anderem Glauben«, versuchte ich ihm zum wiederholten Male zu erklären. »Vielmehr solltest du auf ihre Kampfesweise vorbereitet sein, denn gegen einen Krummsäbel kämpft man anders als gegen ein Schwert unserer Machart. Aber wir werden noch genügend Zeit haben, um dir das beizubringen.«

Meine Worte waren kaum verklungen, da hörte ich plötzlich ein Zischen und einen leisen Aufprall. Ich fuhr herum und sah einen Pfeil in einem Stamm stecken, weniger als eine Elle neben Gilbert. Kaum hatten wir diesen wahrgenommen, folgten auch schon die nächsten Geschosse.

Ich schlug Ashir und Alberts Pferd auf die Flanken, worauf sie mit großen Sprüngen im Wald verschwanden. Dann duckte ich mich hinter einen Felsbrocken und riss Albert mit herunter. Auch die anderen suchten Schutz zu finden und warfen sich hinter Baumstämme und Felsen. Die Pfeile surrten uns nur so um die Ohren und schienen von allen Seiten zu kommen. Die Pferde, die nicht angebunden waren, scheuten und brachen panisch wiehernd aus. Ein Pfeil streifte unseren Felsen und schwirrte knapp über meinem Kopf weiter. Das kurzzeitige Durcheinander legte sich jedoch schnell, auch weil wir jetzt erkannten, aus welcher Richtung der Hauptangriff kam. Einer unserer Männer wagte es, seinen Kopf aus der Deckung zu heben. Sein Hals wurde von einem Pfeil durchbohrt und er sank mit einem gurgelnden Laut hinter seinen Felsen.

Ich hatte keine Ahnung, wer uns da nach dem Leben trachtete, war mir aber sicher, dass es sich hierbei nicht um gewöhnliche Strauchdiebe handelte. Zu gezielt waren ihre Bogenschüsse, auch die Eisenspitzen der Pfeile sowie ihre Befiederung wiesen eindeutig auf Kriegsbögen hin. Der Pfeilhagel dauerte eine Weile an und ließ dann nach. Entweder waren unseren Angreifern die Pfeile ausgegangen, oder sie warteten darauf, dass wir unsere Deckung verließen. Ich hielt meinen Arm schützend um Alberts Schulter, wobei ich sein leichtes Zittern bemerkte. Wir warteten, bis keine Pfeile mehr einschlugen und nur noch das Rauschen der Blätter zu hören war, ab und zu unterbrochen vom Stöhnen unserer Verletzten.

Wir mussten es jetzt wagen. Ich blickte zu Gilbert, der hinter einem Baumstamm kauerte, und gab ihm mit der Hand das Zeichen zum Vorstoß. Er gab den Wink umgehend an die anderen weiter.

   »Du bleibst hier und rührst dich nicht von der Stelle«, raunte ich Albert zu, der den Griff seines Kurzschwertes umschlossen hielt.

   »Herr, aber ...«

   »Kein Aber!«

Wir waren für die Jagd gekleidet, hatten keine Schilde bei uns und trugen über den Gambesons auch keine Kettenhemden, die uns vor Pfeilen geschützt hätten. Also mussten wir schnell sein. In der Rechten hielt ich mein Schwert, in der Linken meinen Dolch und wartete.

   »Jetzt!«, hörte ich Guillaume brüllen.

Ich blickte noch einmal zu Albert, dann sprang ich auf und rannte mit den anderen in geduckter Haltung auf die Büsche zu. Wieder schossen uns Pfeile entgegen, doch es schienen mir weniger zu sein, als noch kurz zuvor. Einer flog so nah an meinem Gesicht vorbei, dass ich seinen Luftzug auf meiner Wange spürte. Aus dem Augenwinkel bekam ich mit, wie Guillaume in den Oberschenkel getroffen wurde. Er schrie kurz auf und rannte humpelnd weiter. Auch ich rechnete fest damit, jeden Moment getroffen zu werden, doch ich hatte Glück und erreichte unbeschadet die Büsche. Hinter mir erklangen immer wieder kurze Schmerzensschreie und knapp gerufene Befehle. Ich achtete nicht weiter darauf und drang durch das dichte Blattwerk.

Ich schlug Zweige und Blätter beiseite und kam in dem wilden Gesträuch nur schrittweise voran. Als ich über eine Wurzel stieg, hörte ich plötzlich ein leises Knacken und sah das Aufblitzen einer Schwertklinge. Nur durch Zufall konnte ich den Schlag im letzten Moment abwehren, denn die gegnerische Klinge durchschlug einen Zweig, sodass ich sie nicht rechtzeitig sehen, aber hören konnte. Der Kerl hatte sich hinter einem dicken Stamm versteckt und trug Kettenhemd und Helm. Er führte sein Schwert mit beiden Händen und schlug abermals zu. Ich hatte Mühe, den wuchtigen Hieb einhändig abzuwehren und wollte meine Klinge in seine Hüfte stoßen. Doch es blieb bei einem lausigen Versuch. Mein Stich war zu langsam und kraftlos, sodass ihn mein Widersacher mühelos abfangen konnte. Ich schlug erneut zu und er blockierte mein Schwert abermals, doch diesmal war ich näher an meinem Gegner und stieß ihm meinen Dolch in den ungeschützten Hals. Es kam kein Laut aus seiner Kehle, dafür spritzte mir sein warmer Lebenssaft ins Gesicht, dann sackte er vor meinen Füßen zusammen.

Durch das Pflanzendickicht und den immer noch leichten Nebel konnte ich nicht viel erkennen, sondern vernahm einzig die Kampfgeräusche um mich herum. Schreie und klingender Stahl hallten durch den Wald, als ich mich weiter durch das Gestrüpp tastete. Ich achtete nun bei jedem Schritt darauf, kein verräterisches Geräusch zu erzeugen. An einem entwurzelten Baum hielt ich mit gebücktem Oberkörper kurz inne und verschnaufte. Als ich mich wieder aufrichtete, wirbelte plötzlich etwas an meinem Kopf vorbei. Im fast gleichen Moment hörte ich einen dumpf knackenden Aufprall und blickte in dessen Richtung. Eine Streitaxt hatte den Kopf eines Bogenschützen gespalten und steckte samt seinem Schädel in einem Stamm fest. Als ich zur anderen Seite blickte, sah ich Gilbert mir zunicken, dann verschwand er wieder in den Büschen. Er hatte mir das Leben gerettet.

Noch wachsamer als zuvor, schlich ich geduckt in die Richtung, aus der die Kampfgeräusche am lautesten ertönten. Ich stieg über knorrige Äste, verhedderte mich immer wieder im Gestrüpp und stachelige Zweige zerkratzten mein Gesicht. Schließlich konnte ich das dichte Strauchwerk hinter mir lassen und erreichte eine höhergelegene sonnendurchflutete Lichtung. Die Helme und Klingen der kämpfenden Männer glitzerten in der Sonne, und ich hörte das Keuchen und die Schreie aus ihren Kehlen. Es mochten an die zwei Dutzend sein und es war das Zentrum des Gefechts. Ohne zu zögern rannte ich darauf zu.

Der erste stand mit dem Rücken zu mir und kämpfte mit Guillaume, ich trat hinter ihn und durchschnitt seine Kniekehle. Als er einknickte, gab ihm Gilberts Bruder den Todesstoß in die Brust. Ich blickte mich kurz um, nicht alle unsere Angreifer trugen Eisenhemden, einige waren nur durch dicke Ledergambesons geschützt, doch sie alle trugen Helme. Nur wenige Schritte vor mir sah ich Struan, der gerade mit seinem Schnabelhammer ausholte. Er schlug die Spitze seiner Waffe mit einem dumpfen Ton in den Helm eines Gegners. Der brach sofort zusammen und ein dünner Blutstrahl spritzte aus der Einschlagstelle. Struan stemmte den Fuß auf die Schulter seines Opfers und zog die Waffe aus seinem Schädel heraus, so als würde er eine Axt aus einem Baumstumpf herausziehen.

Ich wandte mich zur anderen Seite, dort sah ich einen Mann am Boden liegen und sich verzweifelt gegen die Angriffe seines Gegners wehren. Der Unterlegene trug einen Liliengambeson und ich konnte zugleich Beauforts angstverzerrtes Gesicht erkennen. Sein Schwert war ihm aus der Hand geschlagen worden und sein Gegenüber holte zum vernichtenden Schlag aus. Ich hätte damals einfach nur tatenlos zuschauen können, wie Beauforts Lebensflamme ausgehaucht würde. Doch ich tat es nicht, welch große Dummheit von mir.

Mit zwei Sätzen war ich hinter seinem Gegner und schlug ihm mein Schwert seitlich gegen den Rücken. Doch die erhoffte Wirkung blieb aus, denn mein Hieb prallte an seinem Kettenhemd ab und ließ ihn nur nach vorne stolpern. Trotzdem musste er kurz nach Atem ringen, was ich ausnutzte. Ich schlug diesmal in Kopfhöhe zu, aber er konnte meinen Schlag mit seinem Schwert abwehren. Der Kerl war wesentlich älter und langsamer als ich, doch seine Kampferfahrung schien dies wettzumachen. Ganz gleich, wo ich hinschlug, sein Schwert war bereits da, um meines abzuwehren. Er war mir mehr als ein ebenbürtiger Gegner und ich war aus der Übung gekommen.

Als sich unsere Klingen erneut kreuzten und wir uns gegenseitig blockierten, konnte ich den Atem riechen, der mir aus seinem bärtigen Gesicht entgegenschlug. Unsere Parierstangen hatten sich verhakt und seine eisigen Augen funkelten mir entgegen. Im nächsten Augenblick spürte ich einen wuchtigen Schlag gegen meinen Wangenknochen. Ich war nur für diesen einen kurzen Moment unachtsam gewesen und seine Faust hatte mich getroffen. Die Eisenringe seines Kettenhandschuhs rissen mir die Haut auf, und das Dröhnen in meinem Kopf drohte mir die Sinne zu rauben. Die Baumkronen um mich herum drehten sich und ich schmeckte Blut. Ich strauchelte und hatte Mühe auf beiden Beinen zu bleiben. Es war nur meinen jahrelang einstudierten Kampfbewegungen zu verdanken, dass ich wie von selbst mein Schwert in die Höhe riss und dem Todesstoß entging. Seine Klinge prallte so hart gegen meine, dass kleine Funken durch die Luft stoben. Es brauchte ein paar Atemzüge, bis ich mein Gleichgewicht und meine Sinne wieder beieinander hatte.

Der alte Recke ließ nicht locker und seine Schläge schienen immer härter zu werden. Ich war in der Rückwärtsbewegung und deutete mit meinem Dolch einen Stich an, dem er mit seinem Oberkörper seitlich auswich. Genau dies war sein Fehler, auf den ich gehofft hatte, denn im selben Moment zog ich ihm die Schwertklinge quer durchs Gesicht. Er schrie auf und ich ließ meinen Dolch fallen, doch nur, um meinen Schwertgriff beidhändig halten zu können. Mit dem nächsten Streich trennte ich ihm den Kopf von den Schultern.

Beaufort hatte sich inzwischen erhoben und hielt sein Schwert wieder in der Faust. Er sah zu dem Toten und ehe ich mich abwendete, warf er mir noch einen kurzen, unsicheren Blick zu. Ich hatte ihm zwar geholfen und somit sein Leben gerettet, doch das hätte ich jedem anderen auch.

Es waren nur noch wenige der Angreifer am Leben und die flüchteten nun Hals über Kopf in den Wald. Gilbert warf einem noch eine Lanze hinterher, verfehlte ihn jedoch. Der Flüchtende konnte sich wahrlich glücklich schätzen, dass Gilbert in jenem Augenblick keine Axt zur Hand hatte.

Wir bildeten einen Abwehrkreis und warteten noch eine Weile, um sicherzugehen, dass kein Angriff mehr erfolgte. Doch es waren nur noch unsere eigenen Krieger, die nach und nach zwischen den Bäumen auftauchten. Das Blut einiger Toter tränkte den Waldboden, doch nur zwei von ihnen gehörten zu uns, ein junger Normanne und Beauforts Begleiter. Beaufort selbst stand etwas abseits und hatte sich mit dem Rücken an einen Baumstamm gelehnt. Er schenkte den anderen keine Beachtung und wirkte etwas blass um die Nase.

Gilbert und Struan kamen mit grimmigem Blick auf mich zu und schienen unverletzt zu sein. Guillaume, dem immer noch der Pfeil im Oberschenkel steckte, humpelte uns entgegen und in seinem Gesicht stand der blanke Zorn.

   »Apulische Bastarde!«

Gilbert betrachtete kritisch die Wunde seines Bruders und pfiff dann leise durch die Zähne. »Steckt tief, warst zu langsam. Bist eben nicht mehr der Jüngste.«

Gilbert erntete dafür nur einen wütenden Blick, was ihn nicht sonderlich zu beeindrucken schien. »Und wen meinst du mit apulische Bastarde?«

   »Rebellen, die den kampanischen und apulischen Baronen angehören«, stieß Guillaume erbost hervor. »Sie widersetzen sich seit Jahren Rogers Machtanstieg. Ich bin mir ziemlich sicher, dass Rogers Schwager Rainulf von Alife dahintersteckt, dieser verdammte Hurenbock!« Aus seinen Worten hörte ich heraus, dass die Normannen hier immer noch als Besatzer galten und einige Einheimische nicht unter ihrem Joch stehen wollten.

Guillaume brach den Pfeilschaft ab und stöhnte schmerzerfüllt auf. Ich hoffte inständig, dass kein Dreck in die Wunde gelangt war. Denn manche Bogenschützen drückten die Pfeilspitzen vor dem Abschuss gerne in Erde oder Fäkalien, sodass nicht unbedingt der Treffer, dafür aber später der Dreck im Fleisch zum Tode führte.

   »Ich werde Roger von dem Vorfall berichten und hoffe, dass er diese Rebellennester endgültig aushebt!«, knurrte Guillaume und warf den Pfeilschacht verächtlich beiseite.

Aus der Ferne war Hundegebell zu hören, welches nun immer lauter wurde, die Treiber kamen zurück.

   »Tu das«, entgegnete Gilbert. »Und deine Knechte solltest du allesamt in den Kerker werfen lassen.« Er grinste, als er Guillaumes fragende Miene sah. »Oder du bringst ihnen vor der nächsten Hatz den Unterschied zwischen Wildschweinen und Rebellen bei!«

Guillaume wandte sich murrend ab und rief nach einem Diener. Inzwischen war auch Albert erschienen, er hatte gerötete Wangen und war sichtlich außer Atem. »Ich habe die Pferde eingefangen, sie stehen unten.« Dann fiel sein besorgter Blick auf meine blutende Wange. »Ihr seid verletzt.«

   »Der Herr von Hohengreif scheint ein wenig aus der Übung zu sein, nicht wahr?«, feixte Gilbert mit einem Seitenblick zu mir. Ich ging nicht darauf ein, denn ich fühlte wieder diese seltsame Leere in mir, die mich wie ein Sog in die Tiefe zu ziehen drohte.

Schweigend ging ich beim notdürftigen Versorgen der Verletzten zur Hand, unsere zwei Toten legten wir über den Rücken eines Pferdes. Die Normannen hackten den leblosen Körpern der Feinde die Köpfe ab, um später ihre aufgespießten Schädel auf den Mauerzinnen zu präsentieren. Es sollte zur Abschreckung für zukünftige Rebellen dienen. Die verstümmelten Leichen überließen wir den schon wartenden Krähen. Und so kehrten wir ohne Jagdbeute, doch dafür müde und mit klaffenden Wunden, noch vor der Abenddämmerung heim.

   Ich erwachte am nächsten Morgen mit dem Ruf des Hahns und spürte von dem Kampf noch jeden Knochen. Mit dem festen Vorhaben, mich wieder regelmäßig an den Waffen zu üben, erhob ich mich schwerfällig von meinem Strohsack. Meine Gefährten schliefen noch und ich ging leise nach draußen. Am Burgbrunnen stand ein Eimer und ich tauchte meinen Kopf mehrmals in sein Wasser, doch die erwünschte Wirkung blieb aus. Ich schüttelte meine triefenden Haare aus und hatte gehofft, das kalte Wasser würde mir die Schmerzen nehmen, doch sie waren immer noch da. Seltsamerweise war es nicht meine verletzte linke Wange, die mich plagte, sondern meine rechte. Ich versuchte es zu ignorieren und begab mich in den Palas.

Zwei junge Mägde fegten gerade die alten Binsen beiseite und streuten zugleich neue aus. Trotz des großen Kaminabzugs war die Luft immer noch rauchig vom Feuer des Vorabends. Außer den zwei kleinen Fenstern, die mit dünnen Tierhäuten bespannt waren, um die Kälte der Nacht fernzuhalten, sorgten nur ein paar Kienspäne für ausreichend Licht. An der Tafel erhoben sich drei normannische Ritter und verließen nach ihrem beendeten Frühmahl die Halle. An einem kleineren Tisch daneben hockten zwei Knechte und schlürften ihre Hafersuppe. Ich setzte mich ans leere Ende der Tafel und musste nicht lange warten, bis eine der Mägde mir einen Kanten Brot und eine Holzschale mit Gerstenbrei reichte. Hier auf der Burg war es üblich, dass an der langen Tafel bessere Speisen gereicht wurden als an den Nebentischen. Die neidischen Blicke der Knechte störten mich nicht mehr, denn ich hatte mich inzwischen daran gewöhnt. Wenngleich ich es als ungerecht empfand, besseres Essen als sie zu bekommen.

Als auch die Knechte gingen, blieb ich als Einziger in der Halle zurück. Ich verspürte keinen allzu großen Hunger, deshalb nahm ich nur ein paar Löffel Brei zu mir. Meine Tonschale war noch halbvoll und ich stellte sie auf den Boden, wo zu meinen Füßen einer der Hunde lag. Er wedelte freudig mit seinem Schwanz und fiel sogleich über das Dargebotene her. Ich war noch unter den Tisch gebeugt und kraulte sein struppiges Fell, als jemand an meinen Tisch trat und sich setzte. Mir fielen die feingewebten Beinlinge und die bis zu den Knien reichenden kostbaren Lederstiefel auf. Als ich mich wieder aufrichtete, sah ich mich Lucien Beaufort gegenüber. Er war allein, ohne seine üblichen Wachhunde, die ihn für gewöhnlich stets umgaben. Sein Blick war ausdruckslos auf die Tischplatte gerichtet, nur ein nervöses Zucken seiner linken Wange war zu erkennen. Ich legte keinen besonderen Wert auf seine Gesellschaft und wollte mich erheben.

»Ich schulde Euch Dank, denn ihr habt mir gestern das Leben gerettet.« Sein Atem roch am frühen Morgen schon nach Wein. Und seine kalten Worte hörten sich eher wie eine lästige Pflichterfüllung an, wobei er mich nicht einmal ansah.

»Hätte ich für jeden anderen auch getan. Ihr schuldet mir nichts«, antwortete ich genauso kühl und erhob mich, um zu gehen. Auch er stand auf, jedoch wesentlich ruckartiger als ich, und stützte dann seine Hände angriffslustig auf die Tischplatte. Seine geröteten Augen sahen mich wütend und zugleich herablassend an.

»So hochmütig könnt Ihr vielleicht mit Euren Bauern und Knechten sprechen, doch nicht mit mir. Merkt Euch das!«

   »Und ich könnte Graf Anjou erzählen, dass Ihr Euch wie ein Straßenköter aufgeführt habt. Zeugen gäbe es genügend dafür.«

Er griff mich am Arm, während seine verengten Augen mir feindselig entgegenblitzten. »Ihr meint wohl, etwas Besonderes zu sein, Hohengreif. Doch Ihr solltet Euch darüber im Klaren sein, dass ich Euch wie einen Wurm zertreten könnte!«

Ich blieb ruhig und erwiderte seinen Blick ungerührt. »Etwa so wie meinen schottischen Freund?« Dann riss ich mich los und ließ ihn stehen.

Mit vor Zorn geballten Fäusten verließ ich die Halle und schritt die Stufen vom Palas hinab. Diese Art von Männern waren mir nur allzu gut bekannt. Sie nutzten ihren Stand, für den sie meistens nichts geleistet hatten, um auf Niedriggestellten herumzutrampeln. Reiche und verwöhnte Erben, die mich anwiderten.

Bis auf eine Magd, die gerade mit einem Wassereimer in einem Nebengebäude verschwand, war der Burghof noch menschenleer. Ich hatte mich nur wenige Schritte vom Palas entfernt, als ich hörte, wie hinter mir die Tür aufgestoßen wurde.

    »Bleibt gefälligst stehen, Hohengreif!«

Ich achtete nicht darauf, ging weiter und hörte dann sein schrilles Lachen.

»Ihr seid ein wertloser Niemand, Hohengreif! Und nicht einmal Euer Schwanz ist zu was nutze!«

Obwohl es mir schwerfiel, blieb ich selbstbeherrscht und schritt weiter, ohne ihm zu antworten.

»Ich weiß nämlich, dass Eure dreckige Hure tot ist und sie Euren Bastard in ihrem Leib trug!«

Ich blieb stehen. Mein Körper war plötzlich wie zu Eis erstarrt. Sein Lachen und seine vergifteten Worte hallten in meinem Kopf wider und trafen mich wie Messerstiche. In meinen Ohren trommelte das rasende Pochen meines Herzschlags. Ich straffte meine Schultern, dann drehte ich mich langsam um. Lucien Beaufort stand auf der obersten Stufe der Treppe und grinste hämisch zu mir herunter, in seinen Augen ein triumphales Glitzern.

Gemäßigten Schrittes ging ich bis zum Fuße der Treppe und blieb erneut stehen. Er befand sich ein paar Stufen über mir und hatte seine Hände provozierend mit den Fingern im Gürtel eingehängt. Ich stand einfach nur da, hielt meinen Kopf leicht gesenkt und hörte sein gehässiges Kichern. Als ich ihm dann langsam mein Gesicht zuwandte, musste er es in meinen Augen gesehen haben. Denn noch bevor er sein Schwert ziehen konnte, war ich über ihm, drückte ihn zu Boden und schlug auf ihn ein. Und nichts, nicht einmal der Allmächtige selbst, hätte mich in diesem Moment davon abhalten können.

Beaufort versuchte sich zu wehren, doch er konnte der Urgewalt meines Zorns nicht das Geringste entgegensetzen. Mit der einen Hand hielt ich ihn am Kragen fest und mit der anderen schlug ich wie von Sinnen immer wieder auf ihn ein. Ich weiß nicht mehr wie lange ich so auf ihn einprügelte, doch irgendwann hörte ich damit auf und zog stattdessen meinen Dolch aus dem Stiefel. Ich packte ihn an den Haaren und drückte ihm die Klinge an die Kehle. Er röchelte nur noch, seine Augenbraue war aufgeplatzt und er blutete aus Nase und Mund. Ich beugte mich zu ihm runter, ganz nahe an sein Gesicht und meine leisen Worte waren zwar beherrscht, doch dafür umso drohender.

»Ich rate es Euch nur ein Mal, Beaufort, kommt mir nie wieder über den Weg oder es wird Euer letzter sein! Denn weder Eure edle Abstammung, noch Eure edlen Freunde werden Euch dann vor mir schützen können. Und eines noch, ich habe in Palästina Freunde, die nicht ohne Einfluss sind. Sie könnten dafür sorgen, dass Euer Aufstieg bei Hofe vorbei ist, noch ehe er begonnen hat!«

Ich wischte meine Dolchklinge, an die etwas Blut geraten war, an seinem Gambeson ab und erhob mich. Aus seinem Mund drangen kleine rote Bläschen, doch er war noch fähig, mich zu verstehen, was ich an seinem verängstigten Nicken erkennen konnte. Ich schaute kurz über den Burghof, um sicherzugehen, dass uns niemand beobachtet hatte. Es war keine Menschenseele zu sehen und ich wandte mich wieder Beaufort zu.

   »Und nun schert Euch davon! Euer edles Blut versaut sonst noch die Treppe!«

Ich blickte ihm noch hinterher, als er wie ein Hund auf allen Vieren von mir wegkroch, sich dann unsicher erhob und davonstolperte. In diesem Augenblick bereute ich zutiefst, ihm das Leben gerettet zu haben. Doch mein Zorn war noch nicht erloschen.

 

   »Ich wollte nicht, dass es jemand weiß. Warum habt ihr darüber geredet!?«

Wir waren in unserer Kammer und ich hatte wütend die Tür aufgestoßen. Struan und Gilbert saßen auf ihren Strohsäcken und sahen mich nur fragend an, während Albert sich in die hinterste Ecke des Raumes verkroch.

   »Könntest du uns aufklären, was du meinst?«, fragte Gilbert.

   »Beaufort wusste, dass Marie … was ihr widerfahren ist!«

Gilbert stand auf und sah mich entgeistert an. »Du hast mit diesem Pfau gesprochen?«

   »Mehr oder weniger.«

   »Der Blitz soll ihn auf dem Abort treffen!«

   »Lenk nicht ab, Gilbert!«

   »Na schön, vielleicht habe ich mit meinem Bruder darüber gesprochen, ich weiß es nicht mehr. Aber was ist daran so schlimm?«

»Weil ich es nicht will!«, stieß ich leise zwischen meinen Zähnen hervor. Doch Gilbert blieb davon unbeeindruckt und hob seine Arme in die Höhe, während er gekünstelt Erstaunen vorgaukelte.

»Ah, ich verstehe. Es macht natürlich alles viel besser, wenn es bis ans Ende der Tage dein Geheimnis bleibt!«

   »Und wenn?!«, brüllte ich.

Struan hatte sich bis dahin herausgehalten, doch nun erhob er sich ebenfalls, richtete seinen Gürtel und ging in Richtung Tür an mir vorbei. »Cha sgeul – rúin e ´s fios aig triúir air!«

Gilbert und ich drehten zugleich unsere Köpfe zu Struan, der an der Türschwelle stehengeblieben war.

   »Und was bitte heißt das?«, fragte Gilbert gereizt.

   »Dass es kein Geheimnis ist, wenn drei es kennen!« Er nickte uns leicht zu und ging dann nach draußen. Albert nutzte die Gelegenheit, um sich ebenfalls aus dem Staub zu machen. »Ich schaue nach den Pferden.« Dann rannte er Struan durch die offenstehende Tür hinterher.

Gilbert und ich standen uns wie trotzige Kinder gegenüber, keiner bereit nachzugeben. Ich war immer noch wütend und wir sahen uns nur an, ohne etwas zu sagen. Dann brach Gilbert das Schweigen, doch seine Worte klangen nun leise und bedächtig.

   »Jesco, versteh doch. Du machst sie nicht wieder lebendig, indem du nicht über sie sprichst oder es anderen verbietest. Und schon gar nicht, wenn du ein Geheimnis daraus machst.«

Ich schwieg. Gilbert schüttelte den Kopf und stieß dabei hörbar den Atem aus. »Weißt du, ich kannte viele Jahre einen tapferen und aufrechten Freund, einen, der sich nie entmutigen ließ. Sein Name war Jesco. Doch der, der da vor mir steht, hat mit diesem Mann nicht mehr viel zu tun!«

Ich schwieg weiter, presste meine Lippen aufeinander und erwiderte seinen durchdringenden Blick, dann ließ ich ihn stehen und schlug die Tür hinter mir zu. Voller Wut, doch nicht wissend, auf wen oder was, machte ich mich auf den Weg zum Stall.

Als Albert mich zum Stalltor hereinkommen sah, tat er sofort geschäftig und fummelte an Ashirs Zaumzeug rum. Er wusste, wann es besser war zu schweigen. Immer noch aufgebracht, sattelte ich mein Pferd und befahl Albert, mir zwei volle Weinschläuche zu holen. Ich nahm Ashirs Zügel und führte ihn hinter mir her, als ich aus dem Halbdunkel des Stalls plötzlich Struans Stimme vernahm.

   »Es war dir gleich, ob du stirbst.«

Ich drehte mich zu ihm um, konnte aber im schummrigen Licht nur seine Umrisse erkennen. »Was meinst du?«

Es dauerte einige Atemzüge, ehe er mir mit tiefer Stimme antwortete. »Ich konnte dich beobachten, als wir gegen die Rebellen kämpften. Du hast anders gekämpft als sonst.«

Ich stellte meinen Fuß in den Steigbügel und schwang mich in den Sattel. »War nur ein wenig eingerostet.«

Struan trat aus dem Schatten heraus und seine klaren blauen Augen fixierten mich. Er schüttelte unmerklich den Kopf und seine Worte klangen besonnen und dennoch bestimmt.

   »Nein, es war dir einfach nur gleichgültig zu sterben.«

Ich riss Albert, der inzwischen zurückgekehrt war, die beiden Weinschläuche aus der Hand, dann gab ich Ashir die Fersen und preschte aus dem Burghof hinaus.

   Ein Käfer landete auf meiner Stiefelspitze, streckte seine Flügel weit von sich und flog dann wieder davon. Ich schaute ihm nach wie er in die Lüfte aufstieg, dann immer kleiner wurde und schließlich meinem Blick entschwand. Mit dem Rücken an den Stamm einer mächtigen Tanne gelehnt, saß ich auf dem weichen Waldboden und lauschte dem Wind, dessen sanfte Brise die Äste der Nadelbäume wiegte. Sein Hinterbein abgewinkelt und auf die Hufspitze gestellt, stand Ashir nur unweit neben mir und döste. Es war ein friedlicher Moment, der mich an die Wüste Palästinas und ihre erhabene Stille denken ließ. Ich dachte aber auch über Struans Worte nach, denn er hatte mit dem, was er zu mir gesagt hatte, nicht ganz unrecht, denn mein Überlebenswille war seit Maries Tod nicht mehr derselbe. Ich hatte zwar gegen die Rebellen mit all meiner Kraft gekämpft, aber ich hätte auch billigend meinen Tod in Kauf genommen, denn ich empfand nichts mehr als lohnenswert, um dafür noch zu leben.

Ich befand mich seit zwei Tagen hier und hatte in der Nacht die beiden Weinschläuche geleert. Doch anders als viele Wochen zuvor, hatte der Wein mich diesmal nicht betäubt, sondern schien meinen Geist gereinigt zu haben. Vielleicht waren es aber auch die Worte meiner Freunde, die wie eine bittere Medizin ihre heilsame Wirkung entfalteten. Wie dem auch sei, ich hatte zwei Tage und Nächte Zeit gehabt, um mein Innerstes zu ergründen. Auch zu Gott hatte ich in Gedanken gesprochen, wenngleich auf wenig freundliche Art, und ich hätte es ihm nicht übel genommen, wenn er meiner schon längst überdrüssig geworden wäre. Doch die meiste Zeit waren meine Gedanken bei Marie, ihrer Schönheit, ihrer Sinnlichkeit und ihrem Geist. Ich sah ihr bezauberndes und warmherziges Lächeln vor mir, doch zugleich sah ich sie den Kopf über mich schütteln.

Ich konnte den Geißeln der Vergangenheit zwar nicht entfliehen, doch ich hatte die Wahl mich ihnen zu stellen oder an ihnen zu zerbrechen. Die zerstörerische Wut und Hoffnungslosigkeit, die mich nun schon seit Monaten in Besitz nahm, musste endlich ein Ende haben. Ich wollte nicht mehr zurück, sondern wieder nach vorne blicken. Es war an der Zeit, mein weinerliches Getue abzulegen und mit beiden Beinen wieder fest im Leben zu stehen. Also erhob ich mich, drückte meinen Rücken durch und stolperte über eine Wurzel, was meinen Vorsatz aber nicht schmälerte.

Als ich mein Pferd langsam in Richtung Scaletta traben ließ, waren meine Gedanken immer noch bei Marie; und Gott ist mein Zeuge, ich hätte alles dafür gegeben, um sie wieder an meiner Seite zu haben. Doch zugleich erwachte ein alter und bereits verloren geglaubter Wille. Ich spürte, wenn auch nur zaghaft, wieder den Kampfgeist und den Drang nach Leben in mir. Das Vergangene ist unauslöschlich, doch es lag nun nicht mehr wie ein dunkles Tuch über mir. Die Pfaffen reden ständig von der Buße und Läuterung der Seele, und ich sage, sie reden einfach nur Unsinn. Es ist einzig die Macht in uns selbst, die uns zu dem macht, was wir sind. Und sollte ich mich irren, dann werde ich eines Tages vor dem Herrn dafür Zeugnis ablegen müssen. Doch bis dahin, so beschloss ich, wollte ich noch ausreichend Zeit verstreichen lassen.

Ich trieb Ashir an und erfreute mich an seinem kraftvollen Galopp und dem Wind, der mir entgegenwehte. Meine Seele war noch nicht geheilt, doch zumindest kränkelte sie nicht mehr. Und es schert mich einen Teufel, wenn mich jemand dafür auslachen sollte.

 

 

Guillaumes Pfeilwunde verheilte und er blieb von der inneren Hitze der Lebenssäfte verschont. Er hatte Boten an Rogers Hof geschickt, um ihn von dem Überfall der Rebellen in Kenntnis zu setzen. Obwohl die Normannen wussten, von wem die Aufstände ausgingen, war es dennoch schwer ihnen habhaft zu werden. Denn zu verworren waren die verwandtschaftlichen Verbindungen und Abkommen zwischen normannischen und apulischen Adligen. Wie überall gab es auch hier Lügen, Verrat und Ränkespiele der Mächtigen. Gilberts Bruder hatte versucht, es mir mit wenigen Worten zu erklären, doch ich hatte die ganze Zeit nur mit halbem Ohr zugehört. Um ehrlich zu sein, es interessierte mich schlichtweg nicht, denn in absehbarer Zeit würden wir weiterreisen und dieses Land seinen Problemen überlassen. Zudem wurde mein Gewissen dadurch erleichtert, dass Gilbert trotz Bruderliebe ebenso darüber dachte. Und wenn mich mein Gefühl nicht ganz und gar trog, dann schien mir auch Guillaume froh zu sein, den hiesigen Konflikten eine Zeit lang entgehen zu können.

Beaufort hatte ich nur noch einmal gesehen und er schien es eilig gehabt zu haben, als er vor zwei Tagen im Burghof an mir vorbei und dann zum Tor hinausgeritten war. Seine Nase war dick geschwollen und Teile seines Gesichts hatten mich an die Farben eines Regenbogens erinnert.

   Am frühen Morgen war der Himmel noch wolkenverhangen gewesen, doch dann hatte sich die Sonne langsam durchgesetzt und ließ nun die Natur in all ihrer Blütenpracht erstrahlen. Der Frühling zeigte sich von seiner schönsten Seite und ich genoss die wohltuende Sonnenwärme in meinem Gesicht. Ganz im Gegensatz zu Albert. Mit einem Tragejoch auf seinen Schultern, von dessen Seiten jeweils ein mit Steinen gefüllter Eimer hing, kämpfte er sich immer wieder den steilen Weg zum Burgtor hinauf. Meine Beine gemütlich übereinandergeschlagen, saß ich im noch feuchten Gras und sah ihm vom Wegesrand zu.

   »Herr, wie oft noch?«

   »So oft, wie ich es für richtig erachte«, entgegnete ich süffisant.

Albert stöhnte, seine Schritte wurden immer langsamer und der Schweiß lief ihm in Bächen herunter. Ich wusste, dass ihm das Holz des Tragejochs schmerzhaft in die Schultern drückte und doch blieb ich unnachgiebig.

   »Es wird deine Muskeln stählen, mein Junge.«

Er hielt kurz inne, um zu verschnaufen und blickte vorwurfsvoll zu mir. »Ich glaube eher, dass es mir gleich den Rücken bricht.«

   »Eben darum müssen wir ihn härten, so wie der Schmied den Stahl«, grinste ich genüsslich. »Und nun weiter mit dir, beweg dich!«

Ich hatte mich wieder meiner Pflicht besonnen und beschlossen, Alberts Knappenausbildung nun ein wenig voranzutreiben. Die einsamen Tage im Wald hatten mir gutgetan, was auch meine Freunde mit Wohlwollen festgestellt hatten. Ich nahm wieder am Leben teil, zu Alberts Leid auch an seinem.

   »Herr, bitte, ich kann nicht mehr!«

   »Du kannst!«

Ich konnte ihm förmlich ansehen, wie er mich innerlich verfluchte, so wie ich einst Borchwei verflucht hatte. Bei dem Gedanken musste ich schmunzeln und erinnerte mich an meine eigene Knappenzeit. Doch auch mir hatten die Qualen damals nicht geschadet, sondern mich vielmehr geformt. Und wie alle Knappen, welche früh aus dem Schoß der Familie geholt wurden, betete auch Albert zur heiligen Jungfrau Maria, die für die Jungen eine Art geistige Ersatzmutter darstellte. Doch an diesem Tage schien sie meinem Knappen ihren Schutz zu verweigern.

Albert gab nicht auf und zwang sich Schritt für Schritt verbissen bergauf, doch dann verließ ihn seine Kraft. Als er vor Erschöpfung keuchend auf seine Knie fiel, hatte ich schließlich ein Einsehen und befreite ihn von seiner Last.

   »Das werden wir die nächsten Tage noch etwas üben. Du musst an den Schultern breiter werden, und wachsen solltest du auch noch etwas.«

   »Wie soll ich denn wachsen, wenn Ihr mich so unterdrückt!«

   »Ich drück dir gleich meine Stiefelsohle in den Hintern! Und nun ab mit dir in die Burg!«

Er wischte sich mit dem Ärmel den Schweiß von der Stirn und schaute mich ungläubig an. Als er jedoch mein strenges Gesicht sah, widersprach er nicht und trottete artig zum Burgtor hinauf.

Nachdem ich ihm eine kleine Pause gegönnt hatte, standen wir uns nur kurze Zeit später im Innenhof gegenüber. Albert hielt sein Kurzschwert in der Hand und ich ein Sarazenenschwert aus Guillaumes Waffenbestand. Es war ein Teil seiner Kriegsbeute aus dem Heiligen Land. Auf einer Bank neben uns saß eine junge Magd, sie war fast noch ein Kind und rupfte gerade emsig ein Huhn. Sie blickte immer wieder verstohlen zu uns herüber, was Albert seinen Rücken kerzengerade straffen ließ.

»Blamier dich nicht vor der Maid«, kicherte Gilbert, der lässig am Brunnenrand lehnte und uns beobachtete. Das Mädchen senkte umgehend ihren Blick und errötete, Albert ebenso. Er wollte sich vor ihr keine Blöße geben und ging sofort in Kampfposition, noch bevor ich ihm etwas erklären konnte. Sein Schwert vor sich haltend, blickte er mich herausfordernd an.

   »Ich bin bereit!«

   »Sieh dich vor, Jesco«, lachte Gilbert, »der Zwerg ist bereit.«

Zähneknirschend drehte Albert den Griff seiner Waffe in der Hand und warf Gilbert einen wütenden Blick zu. »Besser, wenn du mir nicht vor die Klinge kommst!«

Obwohl Gilbert lachte, warf er Albert einen warnenden Blick zu. Ich unterbrach ihr Geplänkel. »Mit Worten hat noch keiner einen Kampf gewonnen. Also los jetzt, greif mich an!«

Mein Knappe zögerte kurz und atmete noch einmal tief durch, doch dann griff er mich schnell und entschlossen an. Fünf Atemzüge später lag seine Stirn in Falten, und sein Schwert auf dem Boden. Alberts erster Blick ging zu der Magd, die sich mit verschmitzter Miene entfernte, dann erst sah er zu mir.

   »Ich hatte eine Mücke im Auge.«

Ich verkniff mir ein Grinsen und nickte.

   »Du hattest eine Magd im Auge.«

Doch dann nahm ich ihn zur Seite und legte meine Hand auf seine Schulter. »In einem richtigen Kampf wärst du jetzt tot. Mit dem Schwert bist du zwar schon ganz geschickt, doch gegen einen Krummsäbel zu kämpfen musst du noch lernen. Man blockiert ihn anders und muss sich auch beim eigenen Angriff umstellen. Es ist zugegeben nur ein klein wenig anders, aber dafür umso entscheidender.«

Albert hörte mir ab diesem Zeitpunkt konzentriert zu, wir übten den restlichen Nachmittag und ich brachte ihm zwischen den Waffengängen immer wieder neue Varianten und Kniffe bei. Es dauerte bei ihm ein wenig länger als bei anderen, doch er war lernbegierig und eifrig. Und hatte er erst einmal etwas begriffen, dann stürzte er sich verbissen in die Aufgabe, bis ihn nur noch schwerlich jemand darin übertreffen konnte. In solchen Momenten erfüllte er mich mit Stolz, was mich jedoch nicht daran hinderte, ihn weiterhin anzutreiben.

Am Abend begaben wir uns in die Halle, wo die Tafel bereits für das Nachtmahl gedeckt war. Von nebenan aus der Küche drang der verlockende Duft von gebratenem Fleisch und ließ meinen Magen bereits beim Eintreten knurren. Da die Luft vom Tag immer noch erwärmt war, wurde auf ein Kaminfeuer verzichtet, stattdessen brannten ein gutes Dutzend Kerzen und erhellten den Raum. Die Mägde trugen Wein, frisch gebackene Brotfladen, Fleisch und Gemüse auf. Ohne viel Federlesens fiel ich darüber her, denn ich hatte schon seit langem nicht mehr solch großen Hunger verspürt. Bei jedem Bissen tropfte mir das warme Fett in meinen zotteligen Bart, den ich schon längst hätte stutzen sollen. Wie ein Verhungernder stopfte ich das Dargebotene in mich hinein. Einzig der Schmerz, der mich beim Kauen manchmal durchzuckte, konnte meine Gier etwas mäßigen.

   »Hat eigentlich jemand die französische Zecke gesehen? Scheint wie vom Erdboden verschluckt zu sein«, schmatzte Gilbert mit vollem Mund.

»Meinst du Beaufort?«, fragte Guillaume, der plötzlich hinter Gilberts Rücken aufgetaucht war. Er trug an diesem Abend eine Ledertunika, die an den Schultern mit Fell besetzt war und die gleiche dunkelgraue Farbe wie sein langer Bart hatte.

   »Er ist vor drei Tagen Hals über Kopf nach Palermo abgereist, zu Rogers Hof.« Er streifte mit der Hand über seinen Bart, als würde er einen Verdacht hegen. »Hat nicht zufällig was mit euch zu tun, oder?«

Gilbert würgte einen großen Bissen hinunter. »Nicht dass ich wüsste. Vielleicht hat ihm ja die Luft nicht gutgetan.«

»Oder Struan«, lachte Albert, was ihm von unserem Hünen einen Klaps auf den Hinterkopf einbrachte.

»Seltsam, habe ihn nicht mehr gesehen«, brummte Guillaume leicht sauertöpfig. »Hat sich nicht mal verabschiedet.«

Ich nahm einen kräftigen Schluck Wein und spülte mir den Mund damit aus. »Er wird schon seine Gründe gehabt haben, nehme ich an.«

»Das mag schon sein, dennoch hat er meine Gastfreundschaft beleidigt.« Guillaume blickte nachdenklich über unsere Köpfe hinweg, doch dann grinste er spitzbübisch. »Bin trotzdem froh, dass er weg ist. Hat gestunken wie ein Weib!«

Wir stimmten in sein tiefes Lachen ein, während Gilberts Mutter uns einen neuen Krug Wein brachte. Guillaume begab sich wieder zu den erhöhten Ehrenplätzen an der Stirnseite der Tafel, wo sein großer Stuhl stand. Ich widmete mich wieder dem Essen und verbannte Beaufort und seine vergifteten Worte aus meinen Gedanken. Und ich kaute etwas vorsichtiger.

Tags darauf trieb ich Albert wieder bei seinen Leibesübungen an. Er nahm es ohne Klagen hin und schleppte das Tragejoch ein ums andere Mal den Hang hinauf. Auch gegen mein Krummschwert stellte er sich nun immer besser an, was ihm letztendlich auch ein Lob von mir einbrachte. Nach den Waffenübungen setzten wir uns im Burghof auf eine Steinbank und gönnten uns kühles Wasser aus dem tiefen Brunnenschacht. Der obere Rand der Sonnenscheibe zeigte sich noch über der Wehrmauer und bedeckte den Innenhof mit ihrem Schatten. Ich streckte zufrieden meine Beine aus und beobachtete das geschäftige Treiben der Mägde und Knechte. Albert rieb mit einem öligen Lumpen über unsere Klingen, um sie zu säubern und vor Rost zu schützen. Als er seine Arbeit dann beendet hatte, faltete er den Lumpen zusammen und blickte nachdenklich auf seine zerschlissenen Schuhspitzen.

   »Herr, habt Ihr im Heiligen Land viele Heiden getötet?«

Ich war verblüfft, doch nicht wegen seiner Frage, sondern über die Art wie er gefragt hatte. Denn eine Tiefgründigkeit, die ich so nicht an ihm kannte, umgab ihn plötzlich.

   »Ja, das habe ich. Doch glaube mir, es erfüllt mich wahrhaftig nicht mit Stolz«, antwortete ich.

Albert wandte sein Gesicht ungläubig zu mir. »Aber Ihr wart doch ein Ritter Christi und seid Gottes Willen gefolgt. Was kann einen Mann stolzer machen?«

Er sah mich entgeistert an, als gäbe es auf der Welt nichts Selbstverständlicheres. Sein Glaube zu Gott war tief und innig, aber bisweilen auch kindlich und naiv. Wie so viele, vertraute er blind den Worten der Priester und Marktprediger. Es lag mir gänzlich fern, sein Denken zu beeinflussen, denn er musste seine eigenen Erfahrungen machen. Es war mir allerdings wichtig, dass er auf sein eigenes Urteilsvermögen vertraute und nicht auf das anderer.

»Albert, die Kleriker sagen zwar, wer einen Heiden tötet, dem öffnet sich das Tor zum Himmel«, dabei legte ich meine Hand auf seinen Unterarm und sah ihn an, »doch solltest du irgendwann einmal dein Schwert in das Herz eines Heiden stoßen und dabei in seine Augen sehen, dann wirst du erkennen, dass du einfach nur einen Menschen getötet hast. Einen, der denselben festen Glauben hat wie du.«

Über Alberts Augenbrauen zeigten sich kleine Fältchen. »Ihr glaubt also nicht an ein Himmelstor?«

   »Das habe ich nicht behauptet. Nur denke ich, sollte ich eines Tages einmal davorstehen, dann könnte es gut sein, dass der Allmächtige es mit dicken Eisenketten verriegelt hat.«

   »Und ich denke, ich kann Euch nicht mehr folgen, Herr.«

Ich grinste in mich hinein, doch dann musste ich an meine eigene Jugend denken. War nicht auch ich damals von Hasspredigern verlockt und verleitet worden? Und war es nicht auch mein höchstes Ziel gewesen, die Ungläubigen zu töten? Meine Gedanken wurden unterbrochen, als Albert sich leise räusperte und mit feierlichem Gesichtsausdruck weitersprach.

   »Ich werde für Gottes Ruhm gegen die Ungläubigen kämpfen und sie von den christlichen Stätten vertreiben. Und sollte ich dabei sterben, dann werde ich im Paradies mit den himmlischen Heerscharen reiten!«

Ich verschluckte mich an meinem Wasser und musste husten.

»Dann pass gut auf, dass du nicht unter ihre Hufe kommst!«

 

Zwei Tage später wurde ich im Morgengrauen von einem stechenden Ziehen in meiner Wange geweckt. Schon seit Tagen verspürte ich leichte Schmerzen, die immer wieder stoßweise auftauchten, dann aber wieder verschwanden. Ich setzte mich auf meinem Strohsack auf, was das Pochen in meinem Kopf noch verschlimmerte. Leise fluchend erhob ich mich und ging nach draußen zum Brunnen, denn ich hoffte, kaltes Wasser würde mir helfen.

In der Nacht hatte es geregnet und über den Burgmauern hingen dichte Nebelschwaden, hinter denen das laute Krächzen der Raben ertönte. Trotz der morgendlichen Kälte war mir warm und ich streifte meine Tunika ab. Das kalte Wasser, das ich mir ins Gesicht schüttete, half mir aber nicht, im Gegenteil, das Stechen in meinem Mund wurde stärker und ließ mich kurz zusammenzucken. Gilbert tauchte neben mir auf, rieb sich den Schlaf aus seinen Augen und deutete auf meine geschwollene Wange.

»Wie siehst du denn aus? Hast du vergessen, dein Abendessen hinunterzuschlucken?«

   »Wenn ich einen Gaukler benötige, dann ruf ich mir einen!«, knurrte ich zurück. Gilbert überhörte meine Worte geflissentlich und trat näher, um mein Gesicht genauer in Augenschein zu nehmen.

   »Du hast den Zahnwurm, mein Freund.«

   »Weiß ich selbst.«

   »Ich werde meinen Bruder nach einem Heilkundigen fragen.«

Ich nickte nur, denn es war mir peinlich, wegen einem Zahn so viel Aufhebens zu machen. Andererseits war mir bekannt, dass schon so manch tapferer Krieger wegen eines faulenden Zahns gestorben war.

Wenig später saß ich in der Halle und versuchte, die Schmerzen mit Wein zu betäuben, was mir ebenfalls misslang. Ich vergrub meinen Kopf in den Händen und ärgerte mich, dass ich mir nicht selbst helfen konnte. Mein gesamter Körper war mit Narben überzogen. Sie waren Beleg zahlreicher Verletzungen, die man mir in vielen Kämpfen zugefügt hatte. Tiefe Stichwunden, die mit Pferdehaar vernäht worden waren, Brandnarben von griechischem Feuer und verwachsene Haut von Pfeiltreffern. Und nun saß ich da und litt wie ein weinerliches Kind an einem pochenden Zahn.

Im Bestreben, mir den Schmerz aus dem Schädel zu hämmern, schlug ich meine Stirn ein paarmal hintereinander auf die Tischplatte, mit jedem Mal etwas stärker, bis die Becher klapperten. Plötzlich vernahm ich Guillaumes Stimme.

   »Jesco, dies ist unsere Kräuterfrau Alda, sie wird dir helfen.«

Ich sah überrascht auf und fühlte mich bloßgestellt, während Guillaume sich über mein Verhalten zu amüsieren schien. An seiner Seite stand eine kleine alte Frau mit schrumpeligem Gesicht. Wie mir ihr argwöhnischer Blick verriet, musste mein Gebaren äußerst irritierend auf sie gewirkt haben.

»Ich kann ihm nicht helfen, er braucht einen Priester«, krächzte die Alte an Guillaume gewandt. »Ihr habt mir nicht gesagt, dass er dem Irrsinn verfallen ist.«

   »Ich kann dir versichern, dass er klar im Kopf ist … so dachte ich bisher jedenfalls«, grinste Guillaume, »doch nun schau dir seinen Mund an.«

Die alte Frau gehorchte und kam gebückt und auf einen Stock gestützt einen Schritt auf mich zu. Sie trug ein schmutziges und löchriges Kopftuch, unter dem ihre grauen Haarsträhnen hervorschauten. Wache Augen in einem wettergegerbten Gesicht musterten mich eindringlich, dann forderte sie mich mit rauer Stimme auf, meinen Mund zu öffnen. Ich folgte ihrer Aufforderung, während Guillaume eine Kerze vor mein Gesicht hielt und die Alte mir in den Rachen schaute. Nach einer Weile richtete sie sich wieder auf und rümpfte mit kundiger Miene ihre Nase.

   »Schlechte Säfte treten aus, der Zahnwurm haust in Eurem Mund.« Ihr Blick ging zu Guillaume, als sie mit ihrem Stock auf mich zeigte. »Ich werde ihm Kamille und Salbei anmischen. Sollte es nach zwei Tagen nicht helfen, dann schickt ihn zu Ollo, sonst wird sich der Wurm durch seinen Schädel fressen.«

Ohne ein weiteres Wort wandte sie sich um und schlurfte hinkend davon. Guillaume sah zu mir und bemerkte wohl meine skeptische Miene.

   »Sie ist etwas verschroben und kurz angebunden, aber du kannst ihr vertrauen«, versuchte er mich zu beruhigen.

Die einzigen Heilkünste, denen ich vertraute, waren die orientalischen. Doch in diesem Fall, so war ich mir sicher, würde die Mixtur der Alten allemal reichen.

   Drei Tage später lernte ich Ollo kennen, er war der Schmied. Die Schmerzen hatten mich in den Nächten kein Auge zutun lassen und meine Wange war so dick angeschwollen, dass mir keine andere Wahl mehr blieb. Albert begleitete mich, als wir am frühen Morgen die Hufschmiede aufsuchten, welche das einzige Steinhaus im Dorf war. An einem seiner Außenwände war ein überdachter Anbau angebracht, der nach zwei Seiten offen war. Darunter befanden sich zwei Ambosse, allerlei Werkzeug und eine Feuerstelle auf einem Steinsockel. Es roch nach kalter Asche und Eisen, als wir unter das Dach traten. Seinen breiten Rücken zu uns gewandt, stand der Schmied vor der Esse und entfachte mittels eines Blasebalgs die Glut. Für einen kurzen Moment war ich geneigt, auf dem Absatz kehrtzumachen.

   »Guten Morgen, bist du Ollo?«

Als er sich umdrehte, sah ich in ein kantiges verrußtes Gesicht mit struppigem Bart. Ihm fehlten einige Zähne und seine mürrische Miene war unbewegt. »Der bin ich, was wollt Ihr?«

Meine Skepsis ob seiner medizinischen Fähigkeiten wuchs.

»Man sagte mir, du könntest Zähne ziehen. Darum bin ich hier.«

Er kam näher und betrachtete mit fachkundigem Blick meine Wange, dann nickte er und brummte mit tiefer Stimme: »Kostet Euch drei Kupfermünzen … und Schmerzen.«

Ich hatte keine große Lust zu feilschen und wollte es hinter mich bringen. »Dann tu, was zu tun ist.«

Sein zufriedenes Gesicht bestätigte mir, dass es für ihn wohl ein einbringender Handel war. Bei seinem Anblick hoffte ich, dass er nicht der Medicus war, nach dem er aussah.

Ollo nahm einen Schemel und stellte ihn an einen Holzpfosten des Anbaus. »Setzt Euch mit dem Rücken an den Pfosten. Euer Kopf muss daran festgebunden werden.«

Ich folgte seiner Aufforderung und setzte mich. Albert blieb neben mir stehen und der Schmied gab ihm einen langen, fingerbreiten Lederriemen in die Hand. «Binde es um seine Stirn und an den Pfahl, sodass er seinen Kopf nicht mehr bewegen kann.» Dann wandte er sich wieder um und kramte in einer Kiste. Albert wirkte leicht verunsichert, tat dann aber wie geheißen und zurrte meinen Schädel an dem Holzpfosten fest. Noch während er den Riemen um meine Stirn zog, raunte er mir leise zu: »Herr, seid Ihr Euch sicher, dass ...«

   »Nein! Und nun bind fest!«

Ollo kam wieder zurück und wog in jeder Hand eine rostige Eisenzange, welche ich tunlichst vermied näher in Augenschein zu nehmen.

   »Lasst mich nun sehen, in welchem Zahn der Wurm nistet.«

Ich öffnete meinen Mund und er drückte mit seinen rußgeschwärzten Fingern meine Zunge beiseite. Mit einem Nicken entschied er sich dann für die kleinere der beiden Zangen, was mich aber nicht unbedingt zuversichtlicher werden ließ. Danach reichte er mir einen Weinschlauch, aus dem ich einige kräftige Züge nahm. Als ich mir mit dem Handrücken den Mund abwischte, sah mich der Schmied mit auffordernder Geste an. »Trinkt mehr, Ihr werdet es benötigen!«

Ich stöhnte innerlich und setzte den Weinschlauch erneut an, bis er fast leer war.

«Junge, tritt nun hinter deinen Herrn und umfasse seinen Oberkörper samt Armen und halte ihn gut fest!»

Albert blickte kurz entschuldigend zu mir, ging dann aber hinter meinen Rücken und schlang seine Arme um mich.

   »Bereit?«, fragte mich Ollo.

   »Bereit«, antwortete ich, wobei ich es keineswegs war.

Der Schmied stemmte sein linkes Knie auf meinen rechten Oberschenkel, während er sein Werkzeug langsam in meinen geöffneten Mund führte. Meine Zunge erfühlte das kalte Eisen, das ähnlich wie Blut schmeckte. Ollos schmutziges Hemd roch nach Schweiß und Feuerrauch, und am Halsansatz kamen seine langen, verschwitzten Brusthaare zum Vorschein. Ich schloss meine Hände zu Fäusten, als ich spürte, wie sich die kalten Klauen der Zange um meinen Zahn legten. Ich nahm noch wahr, wie sich die Sehnen und Muskeln an Ollos kräftigem Unterarm anspannten. Dann dröhnte ein lautes Krachen durch meinen Schädel, als würde ein Gewitter darin toben. Unmenschlicher Schmerz schoss in meinen Kiefer und den gesamten Kopf. Ich hielt meine Augen geschlossen und meine Beine verkrampften sich, dann hörte das Krachen auf und ich vernahm Ollos Stimme.

   »Verdammt, ist abgebrochen.«

Der Schmied ließ von mir ab und schüttelte seinen Kopf, als wäre ihm lediglich ein Eisennagel abgebrochen. »Der Wurm hat den Zahn wohl ausgehöhlt, der obere Teil ist zersplittert.«

Ich keuchte vor Schmerz und wollte sterben. Allmächtiger, flehte ich im Geiste, ich weiß, dass ich gesündigt habe und du mich dafür bestrafen willst, doch lasse nur diesen einen Kelch an mir vorübergehen! Tat er aber nicht, denn Ollo führte erneut sein Werkzeug in meinen Mund und ich spürte wie sich die Klauen der Zange abermals um meinen Zahn krallten.

Ich entsinne mich noch heute, wie Blitze vor meinen Augen zuckten und mir der Schädel zu zerspringen drohte. Durch die Eisenzange in meinem Mund waren meine Schmerzschreie nur noch ein lautes ersticktes Gurgeln. Ich versuchte, meinen Kopf loszureißen, was mir aber nicht gelang. Als mir die Höllenqual dann schon fast den Verstand zu rauben schien, schoss mein linkes Knie nach oben und traf mit voller Wucht in Ollos Gemächt. Er ließ die Zange los, jaulte auf und torkelte rückwärts, bis er über einen Eimer stolperte und zu Boden ging. Vor Schmerzen gekrümmt lag er da und hielt sich seine Hände auf den Unterleib, doch ich hatte kein Mitleid mit ihm. Ich riss mich von Alberts Umklammerung los und spie Blut aus.

   »Bist du von Sinnen, Mann!«, schrie ich wie ein Geisteskranker zu Ollo, während ich mit dem Kopf an meiner Fessel zerrte. Wutentbrannt fuhr ich auf Albert ein, er solle mich endlich losbinden, obwohl dieser gar nichts dafür konnte. Er sah mich eingeschüchtert an und befreite mich sogleich. Die Schmerzen in meinem Kiefer waren unerträglich und zogen mir vom Hals bis hinter die Augen, was mich an den Wahnsinn brachte. Voller Rage stand ich auf und stieß mit dem Fuß den Schemel beiseite.

»Ihr schuldet mir drei Münzen«, stöhnte der Schmied mit verzerrtem Gesicht. »Allein schon für den Tritt!«

Mir lief der Schweiß an den Schläfen herab, als ich in meinen Beutel griff und ihm zwei Münzen hinwarf. »Der halbe Zahn ist noch drin, also sei zufrieden damit.«

Er murrte etwas Unverständliches, was mir aber einerlei war. Ich schenkte ihm zum Abschied noch einen wütenden Blick, dann gingen wir. Auf dem Weg hoch zur Burg waren die Schmerzen immer noch höllisch, hatten aber etwas an Stärke verloren. Ich konnte wieder einen klaren Gedanken fassen und überlegte fieberhaft, was ich tun könnte, um mich von dem Plagegeist in meinem Mund zu befreien. Meine erste Entscheidung lautete: noch mehr Wein! Ich hatte in meinem Leben gewiss schon viele schmerzhafte Verwundungen erlitten, doch gegen diesen verfluchten Zahn erschienen sie mir nur wie ein lächerlicher Husten.

Im Burghof angekommen, tauchte ich meinen Kopf am Brunnen sofort in kaltes Wasser. Es linderte die Pein zumindest ein wenig, vielleicht bildete ich es mir auch nur ein. Alberts mitfühlender Blick machte es jedenfalls auch nicht besser, doch ich klopfte ihm freundschaftlich auf die Schulter, weil ich wusste, dass ich ihm vorhin mit meinem Verhalten unrecht getan hatte. Sein aufrichtiges Lächeln beruhigte mein Gewissen und ich lehnte mich mit den Armen an den Brunnenrand. Kurz danach ertönte hinter mir plötzlich Hufgeklapper und ich drehte mich um. Guillaume, gerüstet in Kettenhemd und Helm, blickte aus dem Sattel zu mir herunter.

»Na, Jesco, bist du von deinem Übel befreit?«

»Nein, Ollo hat's versucht, aber nicht geschafft … und dann ist ihm was dazwischengekommen«, flunkerte ich.

»Genau genommen zwischen seine Beine«, amüsierte sich Albert. Guillaume sah uns nur rätselnd an, während er sein Pferd am Zügel riss, um es stillstehen zu lassen.

»Nun gut, ich bin auf dem Weg nach Briga, um die Zehntsteuer einzutreiben. Dort gibt es einen ägyptischen Heiler, du könntest mich begleiten.«

Ich war wie vor den Kopf gestoßen und starrte ihn ungläubig an. »Das sagst du mir erst jetzt?!« Dabei sabberte ich mehr, als dass ich sprach, denn meine Mundhöhle war so angeschwollen, dass meine Worte sie nicht mehr deutlich verließen.

»Dann rauf auf dein Pferd, wir brechen auf«, spornte mich Guillaume an. Am Burgtor warteten bereits drei seiner Männer, die ebenfalls gerüstet waren. Albert sattelte eiligst Ashir und nur wenig später brachen wir auf. Inzwischen war auch mein Auge zugeschwollen.

Unterwegs erzählte mir Guillaume, dessen gute Laune mir gehörig auf die Nerven ging, dass sich unter Roger II. viele arabische Gelehrte und Heiler auf Sizilien angesiedelt hatten. Er beherbergte an seinem Hof unter anderem den berühmten Kartograf Al–Idrisi. Im Geiste dankte ich Roger für sein kultiviertes Denken, doch zugleich verfluchte ich Guillaume dafür, dass er mir nicht schon früher davon erzählt hatte.

   Als ich meine Augen öffnete, sah ich als Erstes die zerfurchten grauen Balken des Holzdaches über mir. Ich fühlte mich müde, ähnlich wie nach einem Weinrausch. Der Schmerz in meiner Wange war jetzt ein anderer, er glich mehr einem Brennen, was aber erträglich war. Anstatt eines Zahns fühlte ich mit meiner Zungenspitze an der Stelle ein klaffendes Loch und es schmeckte verbrannt und bitter.

Es dauerte einen kurzen Moment, bis ich richtig zu mir kam. Ich befand mich in der Hütte des ägyptischen Medicus, zu dem mich Guillaume gebracht hatte. Sein Name war Farid und er stammte aus Alexandria. Er war noch recht jung. Seine klugen und freundlichen Augen zeugten von wachem Verstand, als er mich begrüßte. Nach einem Blick in meinen Mund hatte er mich gebeten, mich auf eine Holzpritsche zu legen, deren Kopfende leicht erhöht war. Er hatte mein Vertrauen recht schnell gewonnen, zumal er meinen Kopf nicht an einen Holzpfosten festbinden ließ. Ich erinnere mich nur noch, dass er mir einen getränkten Schwamm mit bitterem Geruch vor die Nase gehalten hatte und ich kurz danach von einer bleiernen Müdigkeit erfasst worden war, die mir schließlich die Augen zufallen ließ.

Ich erhob mich langsam und blieb auf der Bettkante sitzen, da ich immer noch ein starkes Schwindelgefühl verspürte. An den rauen Lehmwänden der Hütte standen Holzregale mit allerlei Tonfläschchen und Tiegeln. An einer Schnur, die von Wand zu Wand gespannt war, hingen verschiedene getrocknete Kräuter. Es waren dieselben Gerüche wie in Alias Kräuterkammer auf Hohengreif, und der Gedanke an sie erwärmte mein Herz und ließ mich lächeln.

Der Leinenvorhang an der Eingangstüre wurde beiseitegeschoben und Farid trat herein. Er trug ein weites, knöchellanges Gewand in der Farbe des Mondes und seine dunkle Gesichtshaut hob sich von dem weißen Tuch ab, das um sein Haupt gewickelt war. Es erinnerte mich erneut an Alia, als er mich mit gutmütigem Lächeln musterte.

    »Ihr seid wach, das ist gut.«

Er sprach fließend unsere Sprache, allerdings mit starkem arabischen Akzent. Ich entgegnete sein freundliches Lächeln.

»Warum? Sind nach deiner Behandlung welche nicht mehr aufgewacht?«

   »Zwei, denn ich war noch etwas unerfahren und hatte Opium und Mohn falsch dosiert. Allah möge mir vergeben.«

Seine offenen Worte schreckten mich nicht, zumal sein ganzes Wesen unschuldig und hilfsbereit wirkte.

»Dann danke ich Gott, dass er dich inzwischen Erfahrung hat sammeln lassen.«

Er nickte höflich und verschränkte dann wie ein alter Gelehrter seine Hände vor der Brust. »Es gelingt leider nicht immer, die Empfindlosigkeit herbeizuführen, denn bei manchen ist das Herz zu alt oder zu schwach. Außerdem muss man Gewicht, Alter und Größe des Leidenden berechnen, um die richtige Mischung für den Schlafschwamm zu finden.«

   »Ich verstehe. Dann bin ich den Heiligen umso dankbarer für deine Rechenkunst.«

Stolz über seinen Erfolg, entblößte Farid seine gepflegten Zähne und lächelte spitzbübisch. »Und auch meinem Rechenbrett, dem Abakus.«

Seine Antwort ließ mich schmunzeln, während ich mit der Hand über meine Wange fuhr. »Und du bist dir sicher, dass der Wurm draußen ist?«

»Ich habe den Rest Eures Zahns entfernt und das Loch anschließend mit glühenden Nadeln und Öl verschlossen. Wenn der Wurm nicht in Eurem Zahn war, sondern darunter, dann ist er jetzt verbrannt.« Er reichte mir ein kleines Leinensäckchen. »Das ist Malve und Kamille. Löst es in warmem Wasser auf und spült damit mehrmals am Tag Euren Mund.«

Noch etwas wackelig auf meinen Beinen, stand ich auf und gab ihm etwas mehr als die ausgemachte Bezahlung. Dann reichte ich ihm meine Hand. »Deine Heilkunst wird dich schon bald zu einem berühmten und geachteten Medicus machen. Ich danke dir, möge Gott deine Wege begleiten.«

   »Und Allah die Euren. Assalam Alaikum.«

 

Das dumpfe Trampeln der Hufe vermengte sich mit dem Schnauben der Pferde und dem Flattern der Fahnen. Ein heller Streifen zog sich am Horizont entlang und ließ die Wolkenfetzen darüber silbrig erstrahlen. Der Tag war noch jung, als wir uns mit über achtzig Rittern allmählich Messina näherten. Die blauroten normannischen Banner leuchteten stolz im morgendlichen Sonnenlicht, das sich auf den glänzenden Helmen und Eisenhemden der Reiter spiegelte.

Nach drei Wochen auf Sizilien war die Zeit unserer Abreise nun gekommen und wir ritten mit Guillaume und seinen Männern dem Hafen entgegen. Der salzige Geruch und das Rauschen des Meeres begleitete uns, als wir die von Felsen umgebene Küstenstraße entlang ritten. Kleine Steine spritzten unter den Hufen der Pferde auf, als wir kurzzeitig in einen Galopp verfielen. Nicht nur die Reiselust, sondern auch das Ungewisse, das vor mir lag, ließ mein Herz ein wenig höherschlagen.

Die Schmerzen in meinem Kiefer hatten sich dank des jungen Medicus fast verflüchtigt. Doch dafür hatte ich seit seiner Behandlung immer wieder denselben seltsamen Traum in den Nächten. Darin sah ich das Gesicht einer Frau, das sich über mich beugte, und obwohl es nur schemenhaft zu erkennen war, wusste ich doch, dass es nicht Maries Antlitz war. Es waren vielmehr dunkle und orientalische Augen, deren Blick mich nach dem Erwachen oft noch gefangen hielt. Ich tat es ab und schob es auf die Nachwirkungen des Schlafschwamms. Irgendwann verblassten dann die Bilder aus meinen Träumen und ich dachte nicht mehr an sie.

Gilbert hatte die letzten Abende noch ausgiebig gefeiert. Ob er sich allerdings an die Namen der Mädchen, mit denen er sein Lager geteilt hatte, noch erinnern konnte, bezweifelte ich stark. Jedenfalls grinste er selig vor sich hin und schien mit sich und seiner Ausbeute zufrieden zu sein. Albert, der neben mir ritt, entging Gilberts Miene nicht. Ich wusste, dass er ihn für seine vielen Frauengeschichten wie einen Helden bewunderte.

»Herr, wie schafft es Gilbert nur, dass ihm die Mädchen reihenweise hinterherlaufen? Ich könnte einem Mädchen ein Pferd versprechen und sie würde mich nicht ansehen.«

Ich zuckte nur gleichmütig mit den Schultern. »Frag ihn selbst.«

Gilbert, der unser Gespräch mitbekommen hatte, kam seiner Frage jedoch zuvor. »Nun, ich denke, der Herr meint es gut mit mir. Und außerdem bete ich, mein Junge, ich bete.«

   »Hä? Das tu ich auch, aber mir beschert es keine Mädchen!«, stutzte Albert.

Gilbert hielt seinen Blick wie ein Allwissender weiterhin nach vorne gerichtet. »In meinen Gebeten danke ich Gott dafür, dass er die Frauen erschuf und sie meine Nächte versüßen. Und ich danke ihm noch inniger für den Wein, um sie am Tage wieder zu vergessen.«

Ich blickte grinsend zu meinem Knappen. »Und solange er trinkt, kann er wenigstens nicht singen. Ich denke, deine Frage ist hiermit ausreichend beantwortet.«

Man konnte Albert regelrecht ansehen, wie es in seinem Kopf arbeitete. Ich war schon erleichtert, meine Ruhe zu haben, als er mir erneut eine Frage stellte.

   »Ihr wolltet mir noch das mit der Politik erklären.«

Ich stöhnte und fing an, die knappenlosen Ritter zu beneiden. Doch diesmal war es Struan, der für mich einsprang, und es konnte nur am schönen Wetter liegen, dass die Worte regelrecht aus ihm heraussprudelten.

   »Politik gleicht den Worten eines Mannes zu einer Frau. Man verspricht ihr etwas und danach vergisst man es wieder.«

Albert kratzte sich nachdenklich am Kopf und blickte zu unserem Schotten. »Dann ist Politik also, wenn man seine Versprechen nicht einhält?«

»Aye!«

 

Wie mächtige hölzerne Riesen trieben die Schiffe unserer Flotte erhaben in der Vormittagssonne. Ihre bauchigen Rümpfe lagen tief im Wasser, was darauf hindeutete, dass sie bereits Ladung trugen. Auf den nahegelegenen Segeln konnte ich das blaugelbe Lilienbanner des Grafen erkennen, daneben einige Templersegel und etwas dahinter lagen die Nefs, die normannischen Kriegsschiffe. Die meisten von ihnen hatten einen Rammsporn am Bug. Außerdem waren Holzaufbauten, Hauptmasten und Außenrümpfe mit Tierhäuten bespannt, als Schutz gegen das griechische Feuer.

Wir wussten bereits von Guillaume, dass ein Kontingent der Templer, unter der Führung Hugo von Payns, sich in Florenz dem Heer des Grafen von Anjou angeschlossen hatte. Diese Ausnahmekämpfer nun an unserer Seite zu wissen, empfand ich als sehr beruhigend.

Der Anblick der gewaltigen Flotte war beeindruckend. Sie mochte gut und gerne drei Dutzend Schiffe zählen, allesamt für den Kampf gerüstet. Man schien gut vorbereitet zu sein, denn nicht selten traf man ab Kreta auf muslimische Schiffe oder Piraten. Ich kam auch nicht umhin, die Arbeit der Zimmerleute zu bewundern, die solch schwimmende Ungetüme erschufen. Noch dümpelten sie ruhig und friedlich im Wasser, doch in ihren Rümpfen trugen sie unwiderlegbar die Botschaft des Krieges.

Kurz vor dem Hafenkai stiegen wir von unseren Pferden ab und nahmen sie an den Zügeln, denn zu groß war der Andrang von Händlern, Kriegern und Seeleuten. Die klamme Luft, die sich mit dem Geruch von Fisch, Pferden und Menschen vermengte, lag wie eine feuchte Dunstglocke über uns. Auf unzähligen Bannern, Kampfschilden und Waffenröcken war das christliche Symbol zu sehen, als wollte es uns den rechten Weg nach Outremer weisen und uns behüten.

Wir drängten uns durch das dichte Gewühl in Richtung der normannischen Schiffe. Große Truhen, Fässchen und Säcke wurden umhergeschleppt, und von allen Seiten wurden harsche Befehle gerufen, unter die sich das Wiehern der zu verladenden Pferde mischte.

»Welch Aufwand, eines Königs würdig, dabei ist er nur ein Graf«, schüttelte Gilbert ungläubig seinen Kopf. Auch ich war etwas erstaunt über das Bild, das sich uns bot. »Ja, aber ein mächtiger Graf, und in absehbarer Zeit König von Jerusalem.«

»Noch ist Balduin unser König und nicht dieser gezierte Beau«, murrte Gilbert und sah zu der gewaltigen Hafenmauer, welche bis an die Stadt grenzte. »Und wenn man vom Teufel spricht ...«

Ich folgte seinem Blick über die Menschenmenge und hoch zum steinernen Bogen des Eingangsportals. Von dort bewegte sich mit großem Pomp ein Zug von Edelmännern und kirchlichen Amtsträgern die Straße hinab zum Hafen. Die bunte Vielfalt an Gewändern und Fahnen war beeindruckend, wenn nicht gar übertrieben. Edeldamen, die dem sizilianischen Adel angehörten, saßen zum Schutz vor der Sonne in verzierten Sänften, die von jungen Pagen getragen wurden. Dazwischen immer wieder bewaffnete Reiter in Eisenhemden, die die Menge auseinandertrieben.

Unter dem Torbogen erschien ein aufrecht im Sattel sitzender Reiter, der von einer Eskorte Ritter abgeschirmt wurde. Sein Erscheinungsbild und der Jubel der Menge ließen keine Zweifel daran, dass dies Graf Fulko von Anjou sein musste. Ich war gespannt auf diesen Mann, denn schließlich würde er es sein, der bald die Geschicke des Heiligen Landes lenken sollte. Wir reihten uns am Straßenrand zwischen die Neugierigen und konnten den Zug näher kommen sehen. Ein Stück hinter dem Grafen entdeckte ich Lucien Beaufort, dessen schwarzes Ross unablässig nervös tänzelte.

»Haben sich ja ganz schön herausgeputzt, die feinen Herren in ihren edlen Gewändern«, lästerte Gilbert neben mir. Auch mir war der ganze Prunk zuwider, zumal die ärmlich gekleideten Leute am Straßenrand dagegen wie Bettler wirkten. Ich pflichtete Gilbert bei und stieß spöttisch die Luft aus. »Ein Wunder, dass ihre prallen Bäuche noch in ihre Tuniken passen. Wohlstand füllt Mägen und lässt den der Armen knurren.«

Wir waren seit jeher, sei es vom Frankenland, aber auch von Jerusalem, die Einfachheit gewöhnt, denn dort überwog die Nützlichkeit der Dinge und nicht unsinnige Eitelkeit.

Der Zug mit seinen Bannern und mannshohen Holzkreuzen hatte uns nun erreicht und die ersten Kirchenmänner schritten an uns vorüber. Albert senkte ehrfürchtig sein Haupt und bekreuzigte sich. Meine Freunde und ich verzichteten darauf. Die Gesichter der Geistlichen wirkten wie aus Wachs, unbewegt, bleich und herrisch. Mit scheinbar angeborener Selbstherrlichkeit würdigten sie die Umstehenden keines Blickes, als wären diese ihrer Aufmerksamkeit nicht wert. Wieder einmal wurde mir meine Haltung gegenüber manchen Klerikern bitter bestätigt.

Schließlich näherte sich der Graf inmitten seiner Ritter und winkte den Menschen freundlich zu. Das Volk dankte es und huldigte ihm, indem es seinen Namen rief. Als er dann nur noch ein paar Pferdelängen von uns entfernt war, konnte ich zum ersten Mal sein Gesicht sehen. Er war ein Mann mittleren Alters. Graue Fäden durchzogen seinen dunklen Vollbart, der ein schwer zu deutendes Gesicht umrandete. Um seine Augen kräuselten sich kleine Fältchen und seine markante Nase erinnerte ein wenig an einen Adlerschnabel. Seine Kleidung wirkte eher schlicht, denn er trug nur einen einfachen blauen Waffenrock über einer langärmeligen roten Tunika, und an seinen Schultern war ein heller Fellumhang befestigt. Auf mich machte der Graf mehr den Eindruck eines Kriegers als eines zukünftigen Königs. Dennoch war seine Erscheinung imponierend und bedurfte dafür keines Beweises durch Gold und Juwelen. Einzig ein großer goldener Ring an seiner Hand zeugte von seiner edlen Herkunft.

Als Fulko auf unserer Höhe war, konnte ich beobachten, wie einer der Ritter sein Pferd an seine Seite lenkte und ihm etwas zuflüsterte. Der Graf neigte seinen Kopf leicht zur Seite, wobei er den Worten aufmerksam zu lauschen schien. Als sich der Ritter wieder entfernte, zügelte der Graf sein Pferd und brachte somit den gesamten Zug zum Anhalten. Dann wanderte Fulkos Blick langsam zu uns, während die neugierige Menge in unserer Nähe immer leiser wurde. Ein unbehagliches Gefühl beschlich mich plötzlich, zumal ich weiter hinten Beauforts immer noch leicht geschwollenes Gesicht erkennen konnte.

Meine Vorahnung hatte mich nicht getrogen, denn Graf Fulko lenkte sein Pferd gemächlich in unsere Richtung und brachte es direkt vor uns zum Stehen. Albert stand da wie erstarrt und blickte mit offenem Mund zum Grafen empor. Ich stieß ihm meinen Ellbogen in die Rippen und wir verbeugten uns. Als ich wieder aufsah, hatte Fulko von Anjou seine Unterarme auf den Sattelwulst gelehnt und schaute interessiert zu uns herunter. Seine Augen strahlten Güte aus, dennoch konnte man dahinter die machtgewohnte Strenge erkennen, die jetzt auch aus seiner tiefen Stimme herausklang.

»Mir wurde soeben zugetragen, dass sich unter euch derjenige befindet, welchem Lucien Beaufort sein … sagen wir, etwas bemitleidenswertes Äußeres verdankt.«

Ich sah zu Graf Fulko hoch, straffte entschlossen meinen Oberkörper und wollte vortreten, doch Struan kam mir zuvor und drängte sich vor mich. Ohne ein Wort zu sagen, stellte er sich vor des Grafen Pferd und nickte nur leicht, ohne sein Haupt zu senken. Gilbert hielt mich zurück, indem er mich unauffällig am Ärmel packte.

Der Graf von Anjou überging Struans respektlose Geste und musterte ihn von unten bis oben. Er konnte dabei die Bewunderung für seine hünenhafte Gestalt nicht verhehlen, was sein Gesichtsausdruck nur allzu deutlich erkennen ließ.

   »Beim Allmächtigen, du siehst aus wie ein Riese, der den Wäldern entsprungen ist.« Ein leichtes Schmunzeln schlich sich in seine Mundwinkel. »Kein Wunder, dass Lucien so aussieht.«

Hinter dem Grafen erklang das verhaltene Lachen seiner Ritter, die allesamt kampferprobt und erfahren wirkten. Es sah aus, als käme ihnen diese kleine amüsante Abwechslung zwischen all den steifen Empfängen und Banketten gerade recht. Beaufort war einige Pferdelängen entfernt und konnte das Gesprochene nicht hören.

   »Sag, wie ist dein Name?«, fragte Fulko nun weitaus ernster gestimmt.

Struan drückte seinen Rücken durch und Stolz schwang in seiner Stimme mit. »Mein Name ist Struan Creag, geboren an den Ufern des Loch Achray und Sohn des tapferen Alaban Creag, dessen Vater der noch tapferere Arailt Creag war.«

Graf Fulko deutete ein höfliches Nicken an, als hätte sich ihm soeben ein gewichtiger Lord vorgestellt. Sein stechender Blick ruhte weiter auf unserem Schotten. »Nun denn, Struan, dann verrate mir doch bitte, ob Lucien seine gebrochene Nase einem hinterhältigen Fausthieb oder einem ehrlichen und gerechten Kampf zwischen zwei Männern verdankt?«

Struan besann sich kurz, sah rasch rüber zu Lucien und dann wieder zu Fulko.

   »Einst sagte mein Vater zu mir: Wenn du kannst, dann meide den Kampf, doch wenn du kämpfen musst, dann siege.« Abermals wanderten seine Augen kurz zu Lucien, bevor er weiter sprach. »Count, es war ein ehrenhafter Kampf und ich hatte das Glück auf meiner Seite.«

Die Miene des Grafen blieb unbewegt, während er Struan kühl musterte, einzig ein leichtes Zucken seiner Augenbraue war zu erkennen. »Du weißt, dass es sich als Einfacher nicht geziemt einen Adligen zu demütigen, und dass ich dich dafür bestrafen müsste.« Sein Blick war streng, doch dann entblößte er seine gepflegten Zähne und lächelte. »Aber du scheinst mir ein aufrechter Bursche zu sein, mit dem Herz am richtigen Fleck. Und da ich Lucien nur allzu gut kenne, will ich darum Gnade vor Recht ergehen lassen.«

Er beugte sich etwas tiefer, schirmte mit der Hand seinen Mund ab und sprach leise weiter. »Und unter uns, ich denke die kleine Abreibung hat ihm nicht geschadet. Er ist noch jung und nicht immer Herr über sein loses Mundwerk. Bisweilen überschätzt er sich ein wenig.«

Struan legte seine Hand auf die Brust, neigte leicht seinen Kopf und trat dann wieder einen Schritt zu uns zurück. Doch er schien das Interesse des Grafen jetzt geweckt zu haben und noch mehr die Axt in seinem Rückengurt, auf die Fulko nun wies.

   »Verrate mir doch bitte, ob du mit deiner Axt genauso effizient bist, wie mit deiner Faust.«

Struan tippte mit dem Finger auf das Blatt seiner Axt, die über seine Schulter hinausragte. »Aye.«

Mir entging Fulkos fragender Blick nicht und ich trat einen Schritt vor. »Verzeiht Comte, es bedeutet „Ja“.«

Der Graf bedankte sich bei mir mit einem leichten Nicken und wandte sich wieder Struan zu. »Ich könnte deinen starken Arm in meinen Reihen gut gebrauchen, und es wäre gewiss nicht zu deinem Schaden, denn Gott zählt auf unsere Schwerter im Heiligen Krieg gegen die Ungläubigen.«

Struans Miene blieb ausdruckslos und ich hatte ihn selten so viel reden hören. »Euer Angebot ehrt mich Count, doch ich kämpfe da, wo es mir meine Götter vorbestimmt haben.«

Ich zuckte bei seinen Worten innerlich zusammen. Ein feister Kirchenmann, der nur unweit von Fulko stand, bekreuzigte sich hastig. Einige der Ritter tuschelten miteinander, während sich der Graf im Sattel nun aufrichtete.

»Sieh an, sieh an, da haben wir also einen Heiden inmitten eines christlichen Heeres. Ganz so, wie eine Hure inmitten von Jungfern.«

»Der Herr steh uns bei«, hörte ich die bestürzten Worte eines Kirchenmannes, dem die anderen Pfaffen eilig mit einem frömmlerischen »Amen« zustimmten.

»Auf dieser Insel mögen Heiden willkommen sein«, sprach Fulko dann weiter, »doch ich könnte dich in Ketten legen und von meinen Priestern bekehren lassen. Und ich versichere dir, ihre Methoden würden dich schnell auf den rechten Weg führen.«

Fulko nahm die Zügel seines Pferdes in die Hand, seine zuvor noch belustigte Miene hatte nun wieder die eines Herrschers angenommen.

»Doch umso mehr beeindruckt mich der Mut deiner offenen Worte. Ich weiß, dass an den Lagerfeuern des Nordens immer noch einige die alten Götter verehren. Aber glaube mir, auch sie werden eines Tages die Macht Gottes erfahren.« Er riss sein Pferd herum und reihte sich wieder im Zug ein. Sein Gesicht nach vorne gewandt, richtete er seine Worte zum Abschied noch einmal an Struan. »Wer weiß, Struan Creag, vielleicht sehen wir uns eines Tages wieder. Du bist ja nur unschwer zu übersehen.«

Fulko setzte sein Pferd wieder in Bewegung und der Zug folgte ihm. Luciens Miene war zu Eis gefroren, als er kurz danach an uns vorbeiritt. Sein kurzer Blick zu mir glich einem stummen und bedrohlichen Versprechen, und ich erwiderte ihn mit derselben Kälte.

»Du weißt schon, dass du soeben einem zukünftigen König eine Abfuhr erteilt hast«, lachte Gilbert zu Struan gewandt.

   »Aye. Ist aber nicht mein König.«

   »Noch nicht mein Freund«, fügte ich hinzu. »Noch nicht.«

Nur kurze Zeit später verluden wir unsere Pferde in einem der normannischen Schiffe, auf dem noch gut zwei Dutzend Krieger untergebracht waren. Nachdem wir die Tiere ausreichend versorgt und unsere Lagerstätten eingerichtet hatten, zog ich Struan in dem stickigen Unterdeck beiseite.

   »Warum hast du vor Fulko die Schuld auf dich genommen? Ich war es, dem Beaufort sein Aussehen verdankt ...«

Noch bevor ich weiterreden konnte, wandte mir Struan sein Gesicht zu und seine Augen wirkten in dem schummrigen Licht so klar wie Quellwasser.

»Ich weiß.« Er warf sich seinen wollenen Umhang über die Schulter und rückte den breiten Gürtel zurecht. »Wenn man morgens pinkeln muss, sieht man nicht nur singende Vögel.«

 

Ein milchig dunstiger Lichtstreifen lag über dem Horizont und begrüßte den beginnenden Tag. Kurz darauf hinterließen die ersten zarten Sonnenstrahlen ein glitzerndes Band auf der dunklen Wasseroberfläche. Wir hatten unter Deck geschlafen und ich hatte in der Nacht fast kein Auge zugetan. Doch es war nicht nur dem lauten Schnarchen der Männer geschuldet, sondern auch der Tatsache, dass ich mich wieder auf einem schaukelnden Schiff befand.

Die feuchte Morgenluft war kühl und ich zog meinen Umhang enger um mich. Ich stand an der Reling und beobachtete die kreischenden Seevögel, die mit ausgebreiteten Flügeln um das Schiff kreisten. Der faulige Geruch von Unrat, Fisch und Algen ließ mich meine Nase rümpfen. Ich bemerkte die lautlosen Schritte der Ledersandalen nicht. Erst als der Mann bereits neben mir stand, wurde ich ihm gewahr. Er war schon alt und trug eine graue Mönchskutte, was mir verriet, dass er ein Mitglied des Zisterzienserordens war. Sein Haar bildete einen Kranz um das Haupt und endete oberhalb seiner Ohren. Auf seiner kahlen Kopfhaut zeugten viele kleine Schnittverletzungen vom Abschaben der Haare.

Er stand eine ganze Weile neben mir, sprach nichts und schaute mit seinen gütigen Augen auf das Meer hinaus. Ich wollte mich schon von ihm abwenden, um den Seeleuten, die das Schiff zum Ablegen bereit machten, nicht im Wege zu stehen, als er mich plötzlich ansprach.

   »Ihr seht besorgt aus, mein Sohn.«

Er nannte mich seinen Sohn, doch ich konnte mich nicht daran erinnern, dass mein Vater eine Mönchskutte getragen hätte.

   »Mein Vater war ein Krieger.«

Er wandte mir sein Gesicht zu und ein freundliches Lächeln umspielte seine Mundwinkel. »Habt keine Angst vor der Überreise, Gott wird seine schützende Hand über uns halten und uns sicher ans Ziel geleiten.«

Ich ersparte mir eine bissige Bemerkung und sah wieder zum Horizont hinaus. »Ich wünschte, ich hätte Eure Gottesfurcht.«

Er lachte auf und sah mich spitzbübisch an. »Nun, ich ziehe es vor, Gott zu dienen, statt ihn zu fürchten.«

Nun musste auch ich ob seiner Wortgewandtheit schmunzeln. Obwohl ich meine eigene Meinung über manche Männer der Kirche hatte, war mir seine Gesellschaft angenehm, was vielleicht auch am wohltuenden Klang seiner Stimme lag. Wir schwiegen wieder für eine Weile, bis er unser wortloses Beisammensein unterbrach.

Autor

  • Klaus Haidukiewitz (Autor:in)

Autor lebt in Süddeutschland und befasst sich seit vielen Jahren mit dem Thema Mittelalter. Er entschloss sich für dieses Erstlingswerk, nachdem er historische Orte aus der Epoche der Kreuzzüge in ganz Europa sowie in Syrien und Israel besucht hatte.
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Titel: Der Franke II - Farangi