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Kalendermord

von H.C. Scherf (Autor:in)
246 Seiten
Reihe: Spelzer/Hollmann-Reihe, Band 1

Zusammenfassung

Der Wald rund um die Ruine der Essener Isenburg - eine Oase der Ruhe und des Friedens. Das ändert sich mit dem Fund einer ersten, grausam zugerichteten Leiche. Kommissar Sven Spelzer, als erfahrener Leiter der Mordkommission, begegnet einem Serienkiller, der präzise seine unvorstellbaren Taten plant. Der Täter preist seine Morde als Kunstwerke. Wenn bisher ein System sein Wirken steuerte, so ist es die Gier Außenstehender, die eine unfassbare Lawine der Gewalt auslöst. Gemeinsam mit der Rechtsmedizinerin Karin Hollmann begibt sich Spelzer auf die Suche nach dem Wahnsinnigen. Sie ahnen nicht, welche Hölle die Bestie schon für sie vorbereitet hat. „KALENDERMORD“ ist der erste Fall für dieses Ermittlerteam, der sie sofort an ihre Grenzen zwingt. "DER SERBE" setzt die spannende Ermittlungsarbeit in einem neuen Fall fort.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


 

 

Kalendermord

 

 

Von H.C. Scherf

 

 

Thriller

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

- Prolog -

Die verliebten jungen Leute fühlten sich unbeobachtet, unendlich frei und schwerelos. Sandras Kopf senkte sich am Lenkrad vorbei in den Schoß ihres Freundes, der sie auf hinterhältige Weise dazu verführt hatte. Genießerisch schloss dieser die Augen, presste den Nacken gegen die Kopfstütze. Seinen Atem hielt er für einen Augenblick an, um kurz darauf in ein Hecheln zu wechseln. Verflucht sollte er dafür sein. Oh, wie sehr hasste er diesen Bastard dafür. Gebannt verfolgte der geheimnisvolle Fremde durch den Feldstecher das Liebesspiel, um auch keine Sekunde zu verpassen. Stunden hatte er auf dem kleinen Hügel genau auf einen solchen Augenblick gewartet.

Dämmerung war zwischenzeitlich über die Lichtung gezogen. Sie vermischte sich mit der feuchten Luft des Schellenberger Herbstwaldes. Das Pärchen würde den leichten Modergeruch des Laubes kaum wahrnehmen. Er jedoch liebte diese Zeit, wenn die Blätter der Bäume sich der Vergänglichkeit hingaben. Sie starben, opferten sich, um im Frühjahr neuem Leben Raum zu geben. Nun war es endlich soweit. Er wollte den Lohn des langen Wartens einfordern, schließlich drängte die Zeit. Tagelang beobachtete er bereits den roten Mazda, hatte ihn sogar bis zu dem Haus verfolgt, in dem sein eigentliches Opfer wohnte. Jede Zusammenkunft der jungen Leute hatte er in seinem Notizbuch vermerkt. Zufrieden beobachtete er, wie Sandra Schober die Beifahrertür aufriss und sich wieder einmal auf den Sitz schwang. Das Winken in Richtung der Mutter, die ihre Tochter bis zur Haustür begleitete, quittierte er nur mit einem zynischen Grinsen.

Das Auto gehörte dem Vater des Jungen, der ihn sich zu gewissen Gelegenheiten auslieh. Dazu gehörte auch das Treffen mit seiner neuen Freundin, die er vor einigen Tagen in der Schul-Diskothek kennenlernte. Die beiden turtelten schon vom ersten Kennenlernen an herum, ohne dass seine Eltern Wind davon bekamen. Da war sich das Monster ziemlich sicher. Warum sonst sollten sie diesen abgelegenen Treffpunkt ausgesucht haben? Und vorgestellt hatte er Sandra noch nicht zuhause. Ihm sollte es recht sein, wenn es keine Mitwisser gab.

Die Augen verfolgten gierig jede Bewegung des Pärchens. Seine Zunge fuhr genießerisch über die Lippen, die bereits von Speichel bedeckt waren. Seine perversen Gedanken kreisten um das Geschehen im Wagen, bis sich das Ergebnis in seinem Schoß durch eine heftige Erektion abzeichnete. Seine Hand verschwand in der Jogginghose, bis er den Kopf des Mädchens wieder auftauchen sah. Keine Sekunde zu früh, denn ihm drohte eine vorzeitige Freude, die er unbedingt vermeiden wollte. Das würde er sich für später aufheben. Den zarten Kuss, den das schwarzhaarige Mädchen ihrem Verführer gab, wartete das Monster noch ab, bevor es das Fernglas wieder in den kakifarbenen Beutel steckte. Das diabolische Grinsen trug nicht unbedingt dazu bei, das Gesicht des Mannes sympathischer erscheinen zu lassen. Die Erinnerung an seine Jugend sprang ihn immer dann brutal an, wenn er diese ekelhaften Liebesakte beobachtete. Seine Finger verkrampften sich immer tiefer in dem Waldboden, die Augen zeigten nun eine beängstigende Härte.

Mit Gewalt riss er sich aus den unerfreulichen Gedanken, ließ sich die Böschung hinuntergleiten, bis er sicher sein konnte, dass ihn die beiden nicht bemerken konnten. Hektisch strich er sich das Laub von der Hose. Schon die bloße Vorstellung, was er mit der Kleinen anstellen würde, vertiefte sein Grinsen. Ein sichernder Blick in alle Richtungen überzeugte ihn davon, dass ihn niemand beobachtete. Seine fließenden Bewegungen zeigten, wie durchtrainiert dieser Körper war, als er sich um den Hügel herumbewegte. Katzengleich näherte er sich dem Mazda. Penibel achtete er darauf, dass er sich von hinten der Beifahrerseite näherte, damit er vom Fahrer nicht durch Zufall im Rückspiegel bemerkt werden konnte. Die Sorge war eigentlich unbegründet, da der junge Mann darum bemüht war, sich in der Enge des Wagens, der Hose zu entledigen. Das Monster bewegte sich schneller, da es befürchtete, dass das eigentliche Opfer schon ohne ihn die Freuden der Liebe erfuhr. Allein diese Vorstellung ließ den Hass auf den Jungen ins Unermessliche steigen. Dieses Vergnügen wollte er selbst genießen.

Nur das leise Rascheln des Herbstlaubs war zu hören, als er um das Fahrzeug herumkroch und sich langsam an der Fahrertür aufrichtete. Der Junge hielt seinen Oberkörper fest gegen die Innenseite der Tür gepresst, während Sandra versuchte, ihm seine enge Röhrenjeans endgültig auszuziehen. Lachend zog sie heftig an den Hosenenden.

Ihr Blick erstarrte augenblicklich, als das Gesicht hinter der Scheibe auftauchte. Das Monster riss im gleichen Moment an dem Türgriff. Mit einem Ausruf des Erschreckens fiel der junge Mann in die Arme des Killers. Sie befanden sich weit ab von jedem Wanderpfad, sodass niemand den Schrei des Mädchens hören konnte. Das Entsetzen schnürte Sandra Schober sofort danach den Hals zu, als sie die riesige Klinge in der Hand des Fremden sah. Ihre Augen weiteten sich, als der Blutstrahl ihr entgegen schoss, der sich aus der breiten Halswunde ihres Freundes ergoss. Bevor sie schützend die Hand vor das Gesicht reißen konnte, brannte das Blut bereits in ihren Augen. Reflexartig verrieb sie es noch weiter durch das Gesicht. Ungläubig starrte sie auf ihre Hände, die sie jetzt schützend Richtung Fahrersitz ausstreckte. Sandra war nicht fähig, auch nur eine Silbe über die Lippen zu bringen. In Bruchteilen von Sekunden hatte sich pure Lebensfreude in Grauen gewandelt. Ihr Körper zitterte unkontrolliert, während sie mitansehen musste, wie der zuckende Körper ihres Freundes brutal aus dem Wagen gezogen wurde. Seine Beine schlugen noch wenige Male verzweifelt aus.

Ich muss hier weg. Ich muss mich in Sicherheit bringen. Die Gedanken schossen ihr durch den Kopf, befahlen ihr, die Tür aufzureißen und tief in den Wald zu rennen. Nichts dergleichen geschah. Die Lähmung hatte ihren gesamten Körper erfasst, ihr jegliche Kraft genommen. Obwohl sie das Wesen wahrnahm, das jetzt um das Fahrzeug herumkam, war sie nicht in der Lage, ein Glied zu bewegen. Die kalten Augen des Monsters waren unentwegt auf sie gerichtet, befahlen ihr, zu warten. Wie unter Hypnose vernahm sie die ungewöhnlich leise Stimme des Mannes, die so gar nicht zum Äußeren passte. Sie fraß sich in ihren Kopf und verursachte einfach nur pure Angst.

»Du bist so verdorben, so abgrundtief verdorben. Ich hasse dich dafür. Du wirst mir gehören – für immer. Ich werde dir deine verdammte Seele nehmen.«

Es waren die letzten Worte, die sie vernahm, bevor auch ihre Tür aufgerissen wurde und die harte Faust ihr Gesicht traf. Sie spürte nicht mehr, dass sie über die Schulter geworfen wurde. Mit geschmeidigen Schritten bewegte sich der Mann tiefer in den Wald. Niemand hätte seitlich des von Efeu zugewachsenen Hauses eine Falltür vermutet, hinter einer dicken Laubschicht versteckt. Wie einen Müllsack warf der Mann seine Fracht auf den Boden, legte den Griff frei, an dem er den schweren Deckel anhob. Während er sein Opfer langsam in das Loch hineingleiten ließ, murmelte er unverständliche Worte vor sich hin. Dann stieg er selber hinein. Die Pforte zur Hölle hatte sich geschlossen.

- Kapitel 2 -

»Gibt es bei dir auch was zum Frühstück? Ich hab Hunger, Großer.«

Die Frage ließ Sven Spelzer kommentarlos von sich abprallen, während er weiter die Bartstoppeln aus dem Gesicht schabte. Lediglich ein unverständliches Brummen konnte als Antwort darauf gewertet werden. Da hätte schon in der Nacht eine gute Fee seinen Lebensmittelvorrat auffüllen müssen, damit neben dem alten Käsekanten und der letzten Flasche Bier noch etwas Essbares gefunden werden konnte. Wer in seinen Kühlschrank hineinrief, erhielt nichts, außer einem hohlen Echo. Er würde wie jeden Morgen auf dem Weg ins Präsidium ein belegtes Brötchen kaufen, das er sich zusammen mit einem Coffee-to-Go zwischen die Kiemen schieben würde. Das würde zwar nicht seinen Kater vertreiben, aber zumindest das Grummeln im Bauch beseitigen.

Ein Gesicht, das von einer silberblond gefärbten Lockenpracht eingerahmt wurde, tauchte im noch halb blinden Spiegel neben seinem auf. Einen kurzen Augenblick stockte er mit der Morgentoilette und betrachtete nachdenklich das verquollene Etwas, mit dem er allem Anschein nach einen Teil der Nacht verbracht haben musste. Notdürftig war der Lidstrich nachgezogen worden, die Haare hatten wohl nur widerwillig den Bemühungen einer Haarbürste nachgegeben. Allerdings musste er zugeben, dass er mit seinem augenblicklichen Aussehen auch keinen Schönheitswettbewerb gewinnen konnte. Der Alkohol zeigte wieder einmal sein hässliches Gesicht.

War ich tatsächlich so betrunken? Wo war ich überhaupt am Abend? Stückchenweise kam die Erinnerung an den gestrigen Tag zurück, der im Marktbrunnen begann und auch dort endete. Dort hatte er wohl zu später Stunde dieses Schmuckstück auf dem tiefsten Punkt seiner Sauftour abgeschleppt. Er drehte sich um, ohne die Rasur zu unterbrechen.

»Da müsste noch ein Zehner auf dem Wohnzimmertisch liegen. Du kannst dir davon was zum Futtern kaufen. Nur tu mir den Gefallen und mach dich auf die Socken. Meine Reinigungshilfe kommt um zehn, die muss dich nicht unbedingt antreffen. Ich meine ... so.«

»Was bist du denn für einer? Bin ich dem Herrn Kommissar plötzlich nicht mehr gut genug? Bevor du mitten in der Nummer eingeschlafen bist, war ich für vieles gut, oder? Scheiß Bulle. Steck dir deine Kohle irgendwohin. Ich hab deine Kröten nicht nötig. Nur fass mich nie wieder an, du Versager.«

Nur wenige Minuten vergingen, bis das heftige Zuschlagen der Wohnungstür anzeigte, dass die nächtliche Eroberung die Räume recht unzufrieden verlassen hatte. Nachdenklich wusch sich Sven den Schaum aus dem Gesicht. Das Klopfen an der Tür erreichte ihn auf dem Weg ins Schlafzimmer. Ein unschöner Fluch verhallte, bevor er die Tür geöffnet hatte. Seine immer noch unfrisierte Nachtgefährtin quetschte sich an ihm vorbei, um sich den Zehn-Euro-Schein vom Wohnzimmertisch zu klauben.

»Du sollst zumindest für das bisschen Sex bezahlen, du Anfänger. Versuchs mal mit der Apotheken-Umschau. Da wirst du bestimmt Hilfevorschläge für den Kleinen da unten finden. Der hat die bitter nötig.«

Zum zweiten Mal schlug die Tür laut ins Schloss. Sven hörte diese Sprüche des Öfteren, wenn er Besucherinnen nach einer Sauftour mit nach Hause brachte. Immer wieder schwor er sich, das zu vermeiden, sich ausschließlich auf das Trinken zu konzentrieren. Doch im Suff überfiel ihn regelmäßig der Drang, der Welt zu beweisen, wie unwiderstehlich er doch war. Eben ein Frauentyp par excellence. Das Ergebnis im Bett blieb immer gleich. Sein Selbstbewusstsein litt an manchen Tagen darunter.

Resigniert hob Sven Spelzer die Schultern und ließ seinen Blick durch die Wohnung gleiten. Irgendwo musste er in der Nacht seine Schuhe ausgezogen haben. Den winzigen Damen-Slip, der teilweise unter den Schlafzimmer-Läufer gerutscht war, nahm er mit spitzen Fingern auf und warf ihn in den Küchenabfall. Die Dame würde den Verlust wohl spätestens beim ersten Toilettengang bemerken. Schließlich fand er die Objekte der Begierde im Dielenbereich. Der Kopf schickte ihm deutliche und schmerzhafte Signale, als er sich zum Zubinden der Schuhe bückte. Das Rasseln eines Schlüsselbundes und das Eintreten einer fröhlich summenden Dame holte ihn augenblicklich wieder in die Senkrechte.

»Oh, oh, Señor Svenni. Wieder eine schwere Nacht gestern? Finde ich noch Überreste in Schlafzimmer, oder kann gefahrlos ich darin sauber machen. Jemand noch hier – das ich rieche. Billiges Parfum, ich tippen auf ...«

»Ist ja gut Lucita, du hast gewonnen. Wohnung ist gesichert, keine Gefahr für die gnädige Frau. Du kannst heute ... ach, mach, was du für richtig hältst. Ich muss jetzt los.«

Auf dem Weg zum Parkplatz stahl sich ein Lächeln auf sein Gesicht. Auch er durfte einmal Glück im Leben haben. Und das hatte er mit dieser gutmütigen Frau, die vor Jahren einen deutschen Mann heiratete, der sie aus Spanien in das doch so großartige Deutschland führte. Eine Entscheidung, die sie noch bitter bereuen sollte, denn wo sie Liebe erhoffte, bekam sie nur Schläge und Demütigung. Eines Tages wurde Sven auf offener Straße zufällig Zeuge einer solchen Misshandlung. Zwar musste er sich innerhalb eines Disziplinarverfahrens für die unangemessene Gewaltanwendung verantworten, doch bekam er dafür eine liebenswerte, dankbare und gründliche Reinigungskraft. Für die Vermittlung einer bezahlbaren Wohnung war sie ihm auf ewig dankbar. Bis heute verband sie eine tiefe Freundschaft.

Sven schob sich auf den Sitz und fingerte nach seinem Smartphone, das unablässig vibrierte. Auf dem Display erkannte er, dass ihn Karin Hollmann, die stellvertretende Leiterin der Rechtsmedizin erreichen wollte. Sofort tauchte die Erscheinung einer stets couragiert auftretenden Frau vor seinem Auge auf, die bereits in vielen Mordfällen hervorragende Hinweise geliefert hatte. Allerdings nervte es Sven gewaltig, dass sie ihm bei jeder Begegnung einen versteckten Seitenhieb verpassen musste, was seinen Hang zum Alkohol und leichten Mädchen betraf. Doktor Hollmann kannte Svens Ex-Frau und damit auch die Gründe, die ihn dahin geführt hatten. Sie brachte allerdings wenig Verständnis dafür auf, dass er nicht versuchte, dagegen anzukämpfen. Warum machten sich ständig Außenstehende Gedanken über sein Privatleben? Er kümmerte sich doch auch nicht um die Sorgen und Angelegenheiten der anderen. Allerdings musste er zugeben, dass er hin und wieder gerne gewusst hätte, wie und mit wem diese attraktive Ärztin ihre Freizeit verbrachte. Dieser Bubikopf, dem es nichts ausmachte, dass sich bereits einige graue Härchen zeigten, verkörperte etwas, das er an seiner Ex so vermisst hatte. Sie besaß dieses Charisma, das einen Menschen angenehm vom Einheitsbrei unterschied. Was soll´s? Er verdrehte die Augen, drückte die Empfangstaste und versuchte, freundlich zu sein.

»Sven? Verdammt, wo waren Sie denn? Ich versuche schon seit Stunden, Sie zu erreichen. Sie haben einen Einsatz in der Nähe der Isenburg. Kommen Sie zum Klinikum und holen Sie mich ab? Ich warte vorne am Eingang. Ihr Chef will unbedingt, dass ich mitkomme und mir ein Bild vor Ort mache.«

Verständnislos starrte Sven auf sein Handy. Hollmann hatte einfach eingehangen, ohne seine Antwort abzuwarten.

- Kapitel 3 -

Alle Zugänge zur Isenburg-Ruine waren gesperrt. Der junge Polizeibeamte hob das Absperrband, um Sven Spelzer und Karin Hollmann mit einem freundlichen Gruß durchzulassen. Zumindest die Medizinerin erwiderte das Guten Morgen mit einem Lächeln. Sven grummelte etwas Unverständliches vor sich hin und stampfte durch das feuchte Laub. Eine Kopfschmerztablette, die er stets in einem First-Aid-Päckchen mitführte, schluckte er ohne Flüssigkeit herunter, was er mit einem Pfui Teufel begleitete. Das Grinsen seiner Begleiterin ignorierte er großzügig. Von der Seite kam ihnen Karl Ruhnert, Leiter der Spurensicherung entgegen, der ihnen die Schuhüberzieher reichte. Während sie sich bemühten, die Plastikfolien über die Schuhe zu ziehen, begann Ruhnert mit einer ersten Zusammenfassung.

»Heute Morgen kam der Anruf, dass ein Fahrzeug mitten im Wald steht und ein männlicher Leichnam daneben liegt. Das kam von einem Ehepaar, das fast jeden Morgen hier ihren Hund zum gepflegten Stuhlgang herführt. Die stehen da hinten neben dem Einsatzfahrzeug. Die Aussage hat einer Ihrer Kollegen schon protokolliert. Ich habe denen gesagt, dass sie noch warten sollen, da Sie ja ... nun ja. Also haben wir schon mal angefangen. Wir wollten erst auf Sie warten. Aber man sagte uns in der Zentrale, dass Sie nicht erreichbar wären.«

Sven bemerkte aus den Augenwinkeln, wie sich das Grinsen im Gesicht der Rechtsmedizinerin verstärkte. Verdammt, hatte er als Kripomann kein Recht auf Privatsphäre? Musste er rund um die Uhr für Ermittlungstätigkeiten zur Verfügung stehen? Definitiv NEIN! Als hätte sie seine Gedanken erraten, senkte Hollmann den Blick und fummelte weiter an ihren Überziehern herum. Schließlich bückte sich Karl Ruhnert völlig gentlemanlike und zupfte ihr das Plastik zurecht. Sie gönnte dem rundlichen Kollegen ein dankbares Lächeln, während sie Sven Spelzer eine hochgezogene Augenbraue gönnte. Er mochte diesen fähigen Forensiker, doch manchmal war er ihm einfach zu altbacken in seiner Art, sich bei Frauen einzuschleimen. Einfach abstoßend.

»Können wir jetzt wieder zur Sache kommen? Was haben wir bisher?«

»Also. Wir vermuten zwei Personen, die sich im Fahrzeug befanden. Blut fanden wir hauptsächlich außerhalb des Wagens, dort, wo sich der Leichnam des jungen Mannes befindet. Ihm muss aber schon auf dem Fahrersitz der tödliche Schnitt durch den Hals zugefügt worden sein. Blutspuren an den Sitzen weisen deutlich darauf hin. Spuren fanden wir von einer Person, die sich seitlich dem Wagen genähert haben muss, allerdings von der Beifahrerseite. Weiter führen sie um das Fahrzeug herum, direkt zur Fahrertür. Dort hat wohl ein kurzer Kampf stattgefunden. Dann muss der Täter, nachdem er den Fahrer getötet hat, wieder um das Fahrzeug herumgegangen sein.

Er muss die Beifahrertür geöffnet und etwas herausgehoben haben. Wir sind zu der Überzeugung gelangt, dass er etwas Schweres getragen haben muss, da die Spuren, die vom Wagen wegführen, viel tiefer in den weichen Waldboden eindrangen. Allerdings verlieren sich die auf einem festen Waldweg dort drüben. Die Kollegen suchen derzeit weiter. Es könnte ja sein, dass der Täter irgendwo den Weg wieder verlassen hat, oder möglicherweise ein Auto benutzte, das er auf dem Zufahrtsweg geparkt hatte. Dann haben wir allerdings schlechte Karten bei der Menge an Reifenspuren.«

Aufmerksam waren beide Ruhnerts Hypothesen gefolgt, die wie immer von logischen Schlussfolgerungen geprägt waren. Mittlerweile war das Trio am Tatort angekommen. Immer noch wanderten die in weiße Folien gepackten Beamten der Spurensicherung herum und suchten nach möglichen Spuren, stellten kleine Schilder mit Nummern auf und fotografierten jede Kleinigkeit. Das Ganze hatte etwas Surreales, erinnerte an Szenen aus einem Horrorfilm, in dem Außerirdische bei Dunkelheit durch Wälder huschen. Sven sah auf den Bubikopf der Kollegin Hollmann herunter, die bereits den Leichnam inspizierte.

»Kann ich das Opfer drehen, oder müsst ihr noch Aufnahmen machen?«

»Nein, nein, kein Problem. Wir sind mit dem Jungen durch. Jetzt kümmern wir uns um das Auto und die Umgebung. Sie können über die Leiche frei verfügen, Frau Hollmann. Brauchen Sie mich im Augenblick noch, Kommissar Spelzer, oder kann ich weitermachen?«

Sven Spelzer hatte den Blick starr auf den Toten gerichtet und nickte nur kurz, was eine Antwort ersetzen sollte. Ruhnert verdrehte die Augen und entfernte sich, still etwas vor sich hinmurmelnd. Er kannte die mürrische Art des Kommissars zu Genüge, hasste sie manchmal sogar. Doch dem hielt er entgegen, dass Spelzer eine ungewöhnlich hohe Aufklärungsquote im Morddezernat vorzuweisen hatte. Er besaß eine besonders ausgeprägte Kombinationsgabe.

»Stehen Sie nicht nur rum, Sven, kommen Sie mal runter zu mir und sehen sich die Überreste an, die uns der Täter hinterlassen hat.«

Spelzer ging in die Knie und hielt sich das Taschentuch vor Mund und Nase. An Karin Hollmanns Parfum, das zum großen Teil Formaldehyd enthalten musste, hatte er sich bereits gewöhnt. Doch mit dem Geruch von Leichen, bei denen allmählich die Verwesung einsetzte, konnte er sich niemals anfreunden. Ihm fehlte jegliches Verständnis dafür, dass man sich freiwillig einen Job in der Rechtsmedizin antun konnte. Da gab es sicher interessantere Felder in der Medizin. Doch bewunderte er insgeheim die Menschen, die in der Lage waren, diesen menschlichen Überresten eine aussagefähige Geschichte zu entlocken, in ihren Organen zu lesen. Kaum hatte er diesen Gedanken zu Ende gebracht, holte ihn die Stimme der Expertin zurück in die grausame Gegenwart.

»Ich würde sagen, dass der Todeszeitpunkt gestern zwischen sechzehn und zwanzig Uhr liegt. Der Halsschnitt wurde mit einem äußerst scharfen Messer, mit großer Kraft durchgeführt. Das würde ich daran festmachen, dass die Klinge das gesamte Gewebe bis zum Halswirbel sauber mit einem Schnitt durchtrennt hat. Das macht der Täter nicht zum ersten Mal. Ich vermute da einen kampferprobten Experten. Warum das Opfer mit heruntergelassener Hose vor uns liegt, lässt nur wenig Freiraum für Vermutungen zu. Ich schätze, dass hier ein Pärchen beim sehr intimen Tête-à-Tête gestört wurde und der Täter das Mädchen verschleppt hat. Außer der Halswunde kann ich zum jetzigen Zeitpunkt keine weiteren Verletzungen feststellen. Ich werde sofort morgen früh mit der Obduktion beginnen. Dann mehr.«

Beide richteten sich wieder auf. Sven durchsuchte das Fahrzeug und wurde schnell fündig. Hinter der Sonnenblende fand er eine Kopie des Fahrzeugscheines, die ihm den Namen des Halters verriet. Warum war der Mörder so unvorsichtig und hinterließ den Ermittlern den Namen und Anschrift des Opfers? War er so dumm oder so selbstherrlich? Konnte es ein Mord im Affekt sein, wobei die Partnerin bei der Abwehr dieses Gemetzel angerichtet hatte? Nein, diese Kraft brachte eine Frau selbst in größter Panik nicht auf. Karin lag mit ihrer Mutmaßung wahrscheinlich richtig.

Sven betrachtete voller Abscheu den fast komplett abgetrennten Kopf des noch sehr jungen Mannes, als ihn wieder einmal Karin Hollmann aus seinen Überlegungen riss.

»Sven, Sie sollten allmählich tätig werden. Da gibt es mit großer Wahrscheinlichkeit ein zweites Opfer, das vielleicht noch lebt und schnellstmöglich gefunden werden möchte.«

- Kapitel 4 -

Der Modergeruch stieg unangenehm in Sandras Nase, von der sich der Schmerz über die komplette linke Gesichtshälfte ausbreitete. Bruchstückhaft erinnerte sie sich daran, dass sie diesen brutalen Faustschlag erhielt, der sie bis zu diesem Zeitpunkt außer Gefecht gesetzt hatte. Mit der Zunge fuhr sie von innen über die geschwollene Wange, schmeckte das Blut, das noch immer aus der Öffnung austrat, die ein ausgeschlagener Zahn hinterlassen hatte. Sie vermied es, die Augen zu öffnen, wollte gar nicht wissen, wo sie sich im Augenblick befand. Die Angst war viel zu groß, dass wieder dieses Gesicht des Mannes vor ihr auftauchte, der das mit Reiner ... Was war mit ihm geschehen?

Sandra erinnerte sich daran, dass er aus dem Wagen gezerrt wurde. Ein fremder Mann hatte ihm ein riesiges Messer an die Kehle gehalten. Blut! Überall Blut. Ja, da war dieser Blutstrahl, der ihr die Sicht nahm. Danach fehlte ihr die klare Erinnerung. Sie hatte nur noch geschrien, danach die Augen geschlossen und den Atem angehalten. Ein Schlag ins Gesicht beendete ihr Leiden für den Augenblick. Doch dieses Gesicht hatte sich fest in ihr Unterbewusstsein eingefressen.

Gerne hätte sie die Arme um den Oberkörper geschlungen, um die Kälte zu beseitigen, die in Wellen durch ihren gesamten Körper trieb. Sie zerrte an den Kabelbindern, die ihre Handgelenke an irgendetwas festhielten. Das Gleiche war mit ihren Füßen geschehen. Sie lag mit ausgebreiteten Armen und Beinen auf einer festen Unterlage, fuhr ihr die Erkenntnis durch alle Glieder. Sie riss, entgegen innerer Zwänge, die Augen auf und erstarrte im gleichen Augenblick. Direkt über ihr, nur wenige Zentimeter entfernt, stierten sie zwei gierige Augen an.

»Endlich. Du bist wieder zurück, du Miststück. Wir wollen doch noch so viele schöne Dinge miteinander tun, die du eigentlich für diesen unwürdigen Dreckskerl geplant hattest. Ich werde dir etwas Kühles auf dein Gesicht legen, damit die Schwellung zurückgeht. Du wirst verstehen, dass es sein musste. Du hast so laut geschrien. Du siehst aus wie sie. Perfekt.«

Sandra verfolgte mit angstgeweiteten Augen, wie sich dieses Monster entfernte und in der Ecke dieses fast komplett verdunkelten Raumes einen Lappen anfeuchtete. Er tauchte wie aus dem Nichts wieder auf und legte ihr den Lappen fast zärtlich auf die schmerzende Gesichtshälfte.

»Das wird bald besser. Du darfst keine Schmerzen haben. Wir wollen doch unsere Freude an dem haben, was wir noch tun wollen. Keine Schmerzen, mein Kind.«

Das Grauen packte Sandra für einen Augenblick, als sie die Spritze in der Hand des Monsters erkannte, in die eine klare Flüssigkeit aufgezogen wurde. Vorsichtig setzte der Mann die Nadel in ihre Armbeuge, hielt jedoch einen Augenblick inne.

»Du musst dich nicht fürchten, das ist gegen die Schmerzen. Bald wirst du sie nicht mehr spüren. Keiner wird dir jemals wieder wehtun können. Das verspreche ich dir. Wir werden viel Spaß miteinander haben.«

Die Nadel senkte sich in die Vene, die Flüssigkeit strömte in Sandras Körper und veränderte Sekunden später ihr Bewusstsein. Wo kamen sie plötzlich her, diese vielen bunten Ringe, die sich miteinander verschlangen? Sie glitt hindurch, versuchte, sich daran festzuhalten, sie zu liebkosen. Bunte Wirbel zogen sie immer wieder fort, ließen sie in einem lustvollen Glücksgefühl dahinschweben. Blubberblasen breiteten sich aus, auf denen sie reiten konnte. Das Licht verschwand für einen kurzen Augenblick. Sie öffnete die Augen. Mit einem Lächeln verfolgte sie die Hände des Monsters, die sich auf ihre nackte Haut legten und damit begannen, ihren Körper zu erkunden. Sie streckte sich ihm lustvoll entgegen und lachte.

- Kapitel 5 -

»Musst du so rasen bei dem Sauwetter? Es ist immer dasselbe, wenn du deine Aggressionen abbauen musst. Meine Mutter hatte doch recht vorhin. Du versuchst immer, die Fehler bei anderen zu suchen, anstatt bei dir selber.«

Anton Rasch verdrehte die Augen und atmete mehrfach ruhig durch. Es war tatsächlich so, dass es kaum einen Besuch bei der alten Dame gab, bei dem er nicht mit ihr in Streit geriet. Meist waren es Kleinigkeiten, die den Ausschlag gaben. Doch sie reichten aus, um ihn in Rage zu versetzen. Immer öfter sorgte deren Besserwisserei dafür, dass er sich innerlich dermaßen aufregte, irgendwann nicht mehr an sich halten konnte und losschrie. Warum willigte sie nicht endlich ein und sah sich die Zimmer in dem Seniorenheim zumindest einmal an? Nein, sie fühlte sich noch zu hundert Prozent alltagstauglich. Sie vergaß dabei, dass sie schon mehrfach den Elektroherd angelassen hatte und es nur der Aufmerksamkeit der Nachbarschaft zu verdanken war, dass nicht die ganze Siedlung abgebrannt war. Zweimal musste er sie schon vom Supermarkt abholen, weil sie den Weg zurück schlichtweg vergessen hatte. Nein, sie war noch voll auf der Höhe, diese böse Frau. Ein damaliger Freund hatte ihm vor der Hochzeit einen Rat gegeben. Guck dir die Schwiegeralte an, heirate dann erst die Tochter! Er betete darum, dass der Freund sich geirrt hatte und nur einen Joke loswerden wollte.

Anton kniff die Lippen zusammen und drückte weiter auf das Gaspedal. Er war der Fahrer und nur er bestimmte das Tempo. Im Rückspiegel betrachtete er das Gesicht von Käthe, das er zumindest teilweise darin sehen konnte. Sie wurde ihrer Mutter immer ähnlicher. Ein zynisches Grinsen überzog sein Gesicht, als er an den Text einer Geburtstagskarte dachte, die sie zum vierzigsten Geburtstag von der zeternden Mumie geschenkt bekommen hatte. Jetzt, mein liebes Kind, kommst du in das Alter, wo du all die Charakterzüge an dir bemerkst, die du bei deiner Mutter bisher so verabscheut hast. Wie recht sie damit hatte. Ein einziges Mal gab er ihr recht. Dieser Drachen konnte in die Zukunft sehen. Anton verkniff sich eine Antwort auf die Bemerkung von Käthe. Er brauchte jetzt etwas Erfrischendes, um den schalen Geschmack des halb garen Fisches von der Zunge zu bekommen, den es am Abend zu essen gab. Er griff ins Seitenfach und suchte nach den Halspastillen.

»Anton, Vorsicht. Du musst ... brems doch!«

Der Schrei lenkte seinen Blick wieder auf die nasse Fahrbahn, ließ ihn den Körper erkennen, der halb auf dem Fahrstreifen lag. Nur um wenige Zentimeter verfehlte er den nackten Mädchenleib, indem er blitzschnell das Lenkrad herumriss. Der alte Mercedes schleuderte mehrfach um die eigene Achse. Anton war nicht in der Lage, das Ausbrechen des schweren Wagens zu verhindern, zumal sich Käthes Finger panisch in seine Schulter gebohrt hatten. Ihr permanentes Schreien zerrte an seinen Nerven. Es hörte selbst dann nicht auf, als der Wagen längst in der von kleinen Sträuchern bewachsenen Böschung zum Stehen gekommen war.

»Halt jetzt endlich das Maul, Käthe!«

Er konnte nicht anders, als seine angestaute Wut auf diese vulgäre Art herauszulassen. Oh Wunder, sie stoppte tatsächlich. Ihr Blick war völlig leer, die Hände lösten sich langsam aus seiner Schulter. Das ausgeschüttete Adrenalin half ihm dabei, den Schmerz zu ignorieren. Anton schob seine schockierte, aber scheinbar unverletzte Frau zurück in den Sitz und suchte nach dem Türöffner. Käthe kam allmählich wieder zu sich, drehte sich um und versuchte, etwas durch die rückwärtige Scheibe zu erkennen. Was selten genug vorkam – noch immer kam kein Laut über ihre Lippen. Anton verließ das Fahrzeug und versuchte, auf dem abschüssigen Gelände Halt zu finden. Endlich erreichte er die feste Straße, indem er sich auf allen vieren fortbewegte. Den Schlamm an den Händen rieb er sich gedankenverloren an der guten Anzughose ab. Sein Blick folgte den Scheinwerferstrahlen, die wie mahnende Finger über ein Kornfeld hinweg im Dunkel des Himmels verschwanden. Der Regen zeichnete in ihnen wirbelnde Streifen, versickerte unangenehm im Stoff seines Anzugs.

Erst jetzt erinnerte sich Anton daran, warum er dieses waghalsige Fahrmanöver überhaupt durchführen musste. Mit zusammengekniffenen Augen versuchte er, diese tiefe Dunkelheit der mondlosen Nacht zu durchdringen. Immer wieder fuhr er mit den Fingern über das nasse Glas seiner Brille, versuchte, diesen Körper zu finden. Nach endlosen Minuten ging er endlich den Weg zurück, den sie gekommen waren.

»Anton, sei vorsichtig. Man kann nie wissen ...«

Das Geräusch des auf das Pflaster prasselnden Regens übertönte Käthes sinnfreie Warnung. Er lief weiter die Straße entlang. Das Schreien seiner Frau blieb hinter ihm zurück, verhallte ungehört. Da war etwas. Mit einem entschlossenen Ruck schlug Anton den Jackenkragen hoch. Dass ihm dadurch ein Schwall Wasser in den Nacken rann, ignorierte er. Seine Augen richteten sich starr auf etwas, das Ähnlichkeit mit einem menschlichen Körper aufwies. Er bückte sich und strich das Haar aus dem Gesicht des Mädchens. Schlagartig wurde ihm klar, dass es sich um den Körper einer recht jungen Frau handelte, die reglos dalag und völlig nackt der Kälte ausgesetzt war. Zögernd streckte er die Hand aus und stieß gegen die Schulter. Seine Finger spürten nur kaltes Fleisch, aus dem jegliches Leben gewichen war. Die Hand tastete weiter zum Hals. Dort sollte man doch fühlen können, ob das Herz noch schlug, ein Puls vorhanden war. Tatsächlich, ein kaum noch wahrnehmbares Pochen. Plötzlich reagierte sein Verstand wieder, brachte ihn dazu, logisch zu denken.

Anton verfluchte einmal mehr Käthes sture Ablehnung, als er das Thema Smartphone erstmals auf den Tisch brachte. Das war Teufelszeug, das nur die junge Generation süchtig macht – gebetsmühlenartig musste er sich diese Sprüche anhören, bis er aufgab. Heute erkannte er einmal mehr, dass es ein immerwiederkehrender Fehler war, sich der Meinung dieser Frau widerstandslos unterzuordnen. Sie lebte nur in ihrer gewohnten Welt, nahm Entwicklungen der Gegenwart nicht an, von der Zukunft ganz zu schweigen. Das würde sich ab sofort ändern. Er wurde aus seinen Überlegungen gerissen, als er die Scheinwerferkegel erkannte, die sich, der kurvenreichen Landstraße folgend, ihm näherten. Spontan zerrte er an seinem völlig durchnässten Jackett, zog es aus und legte es schützend über den Körper der jungen Frau. Dann erhob er sich und lief winkend dem herannahenden Fahrzeug entgegen.

Sein weißes, am Körper klebendes Oberhemd leuchtete auf, als die Scheinwerfer darauf trafen. Antons Augen weiteten sich angstvoll, als er feststellte, dass sich die Geschwindigkeit des Autos nicht verringerte. Entschlossen blieb er mitten auf der Fahrbahn stehen und blickte der heranbrausenden Gefahr entgegen. Sein Atem setzte wieder ein, als die noch wippende Stoßstange sein Schienbein berührte. Zwei Augenpaare blickten ihn durch die Windschutzscheibe ungläubig an. Immer wieder schob sich der Wischer über das Glas und zeigte ihm, dass sich ein junges Pärchen im Wagen befand, die sich anscheinend stritten. Immer wieder versuchte die Frau, den Fahrer am Aussteigen zu hindern, riss an seiner Jacke.

»Was veranstalten Sie da mitten auf der Straße? Sind Sie lebensmüde? Beinahe hätte ich Sie ...«

Anton legte die Starre ab, die ihn beim Heranfahren erfasst hatte. Nun näherte er sich der Fahrertür, durch deren heruntergelassener Scheibe der Fahrer den Kopf gesteckt hatte.

»Da liegt eine verletzte Frau. Da hinten am Straßenrand liegt sie. Sie braucht unbedingt Hilfe. Haben Sie ein Handy? Können Sie einen Rettungswagen holen? Bitte, sie erfriert sonst.«

»Ja, ja, ich rufe an. Aber ich bin nicht von hier. Wo sind wir denn? Was kann ich dem Notdienst sagen?«

»Wir müssten hier auf der Heisinger Straße sein. So etwa zwischen dem Café Schwarze Lehne und der Waldorf-Schule. Ich kümmer mich in der Zeit um die Kleine. Die sollen sich unbedingt beeilen. Ach, und noch etwas. Ich brauche einen Abschleppdienst. Bin beim Ausweichen von der Straße abgekommen.«

Anton lief, so schnell es seine alten Knochen zuließen, zurück zu der Verletzten. Hinter sich vernahm er durch das Geräusch des Regens einige Wortfetzen. Dann spürte er, dass sich das Fahrzeug mit eingeschaltetem Warnlicht seiner Position näherte.

»Kommen Sie, wir bringen sie ins Auto. Die erfriert uns noch, bis der Rettungswagen eintrifft.«

Beide Männer hoben den fast leblosen Körper auf den Rücksitz. In der Zeit sprintete die Beifahrerin zum Kofferraum und kam mit einer wärmenden Decke zurück. Sie setzte sich neben das Mädchen und begann damit, die Arme zu massieren. Mit einem Schreckensschrei stoppte sie. Beide Männer, die im vorderen Teil des Wagens warteten, drehten sich erschrocken um und erstarrten, als sie jetzt im Licht der Innenbeleuchtung die Hände der Verletzten sahen.

- Kapitel 6 -

»Ich schon wieder. Hören Sie Karin, hätten Sie Zeit, mich in die Werdener Klinik zu begleiten? Ich bekam gerade einen Anruf, dass man in der Nacht in der Nähe der Isenburg-Ruine eine junge Frau auf der Straße liegend gefunden hat. Das wäre ja allein nicht so bedeutsam, aber sie ist schwer verletzt – und sie war nackt. Klingelt es bei Ihnen?«

Sven wartete geduldig ab, bis die Rechtsmedizinerin die Nachricht verarbeitet hatte. Ihr Atmen war deutlich zu hören.

»Ich fahre sofort los.«

Es dauerte doch noch dreißig Minuten, bis Sven der markante Duft der Ärztin in die Nase stieg. Mit der Schulter gegen den Türrahmen gelehnt, sah sie den Kommissar an, der eine Straßenkarte auf dem PC-Bildschirm studierte. Als er Karin Hollmann bemerkte, winkte er sie heran.

»Sehen Sie. Hier wurde unsere Leiche gefunden, dort findet man das verletzte Mädchen. Fällt Ihnen was auf? Das liegt doch höchstens fünfhundert Meter auseinander. Dann muss der Täter, vorausgesetzt, die Personen passen zusammen, sich doch in unmittelbarer Nähe aufgehalten haben. Wir sind quasi unter seinen Augen durch sein Revier gelatscht.«

»Es könnte aber auch sein, dass er die Frau wieder an den Tatort zurückbrachte. Ich meine, nachdem er mit ihr fertig war. Sollten wir uns nicht erst einmal ansehen, was mit ihr passiert ist? Kommen Sie Sven, ich habe noch einen Kunden auf dem Tisch liegen. Mein neuer Assistent benötigt noch etwas Hilfe bei der Arbeit. Sie wollten doch schnell Ergebnisse, oder?«

»Stellen Sie sich nicht so an. Der Kunde wird Ihnen schon nicht weglaufen.«

»Toller Joke von Ihnen, ich lach mich kaputt. Jetzt bewegen Sie bitte Ihren Körper Richtung Parkplatz, Sie Scherzkeks.«

Sämtliche Parkplätze vor dem Krankenhaus waren besetzt. Sven stellte den Wagen genervt neben dem Eingangsportal ab und klemmte die blaue Einsatzleuchte aufs Dach. Karin schüttelte ungläubig den Kopf und folgte dem Kommissar lächelnd durch das Foyer. Die Dame sah ehrfürchtig auf seinen Dienstausweis.

»Bei Ihnen wurde heute Nacht eine junge Dame eingeliefert, die man auf der Heisinger Straße gefunden hat. Können Sie mir sagen, wo ich sie finde?«

Es dauerte nur Sekunden, bis die Dame hinter der Glasscheibe, begleitet von einem fast unanständig zu bezeichnenden Augenaufschlag, eine Zimmernummer nannte. Svens dankbares Lächeln würde der Frau wohl stundenlange feuchte Träume in den kommenden Tagen bescheren, dachte sich Karin schmunzelnd und folgte dem eifrigen Kollegen zum Aufzug.

»Sie haben den Zettel mit der Telefonnummer liegenlassen, mein Lieber. Soll ich noch mal zurück und ihn für Sie holen?«

»Karin, Sie sollten wissen, dass man mit Freundlichkeit viel weiter kommt. Es ist so einfach, Menschen glücklich zu machen. Erst letzte Woche habe ich ...«

»Ist ja gut, Sven. Ich möchte jetzt keine Auflistung Ihrer amourösen Abenteuer hören. Ich werde wohl nie erleben, dass Sie wieder einmal eine anständige Frau zum Altar führen. Die Sorte Frau käme aber auch für Sie nicht in Frage, die ein geregeltes Familienleben anstrebt.«

»Ist das eine unterschwellige Anmache von Ihnen?«

»Sind Sie verrückt, Svenni? Wenn wir beide wie Robinson auf einer einsamen Insel stranden, würde ich mir lieber einen Freitag stricken, bevor ich mich mit Ihnen einlasse. Wir sind da, Zimmer vierhundertzwei.«

 

In dem Augenblick, als Sven anklopfen wollte, öffnete sich die Tür. Der Arzt, der vor ihnen auftauchte, drückte sie zurück.

»Bitte noch kein Besuch. Die Patientin braucht jetzt absolute Ruhe.«

Er starrte auf den Dienstausweis und zog die Tür resolut ins Schloss.

»Und wenn Sie der Justizminister persönlich sind, Sie dürfen dort nicht rein. Haben wir uns verstanden?«

Karin Hollmann zog Sven am Arm zurück, bevor er wieder einen seiner Anfälle bekam.

»Mein Name ist Dr. Karin Hollmann. Ich arbeite in der Essener Rechtsmedizin. Würde Sie gerne so unter Kollegen um eine kurze Auskunft bitten, was dieses Mädchen darin betrifft. Der nette Kollege hier ermittelt in einem brutalen Mordfall, bei dem diese junge Frau eine entscheidende Rolle spielen könnte. Können Sie uns wenigstens sagen, was Sie bei Ihren Erstuntersuchungen festgestellt haben? Bitte.«

»Liebe Kollegin, Sie wissen ...«

»Ja, ich weiß – die ärztliche Schweigepflicht. Aber es ist äußerst wichtig zu wissen, ob dieser Frau Gewalt angetan wurde. Das kann uns schneller zum Täter führen, bevor der sich ein weiteres Opfer schnappt. Wurde sie vergewaltigt?«

Lange sah der Arzt, auf dessen Namensschild groß Dr. Hartmut Kleist zu lesen war, von einem zum anderen. Schließlich begann er mit einem tiefen Seufzer.

»Also, das einmal in Kurzfassung. Die Patientin wurde mit akuten Herzrhythmusstörungen und starker Unterkühlung eingeliefert und im ersten Gang stabilisiert. Wir hatten sofort den Verdacht, dass sie unter dem Einfluss von Drogen gefügig gemacht wurde. Bis jetzt war es nicht möglich, sie aus dem Zustand der Apathie vollends herauszuholen. Das braucht seine Zeit. In der Armbeuge fanden wir eine Einstichstelle an der Vene, wo jemand unsachgemäß eine Substanz verabreicht hat. Eine Blutprobe wird derzeit im Labor analysiert. Ich tippe auf eine bewusstseinserweiternde Droge, die entweder ihre Angstzustände verstärken oder eine Gegenwehr unterdrücken sollte. Da warte ich noch auf Ergebnisse.

Was ihre äußeren Verletzungen betrifft, muss ich sagen, dass ich das in meiner Praxis noch nie erlebt habe, besser gesagt, es noch nicht habe erleben müssen. Jemand hat ihr die Gliedmaßen mit einem Draht, oder zumindest mit Kabelbindern fixiert. Durch Abwehrbewegungen, die diese Droge dann wohl doch nicht vollständig unterdrücken konnte, drangen diese Fesseln sehr tief in ihr Gewebe ein und führten zu erheblichen Wunden und damit verbundenen Blutverlusten. Diese versuchen wir gerade wieder auszugleichen. Aber die restlichen Wunden und die dadurch verursachten Schmerzen haben womöglich Auswirkungen auf ihren Geisteszustand. Sobald wir die Patientin stabil haben, werden wir eine neurologische Untersuchung beginnen. Derzeit zeigt die junge Frau noch keinerlei Reaktionen auf erste Tests.«

»Sie sprachen von äußeren Verletzungen, die außergewöhnlich sind. Was muss ich mir darunter vorstellen?«

Karin legte Sven die Hand auf den Arm und zeigte ihm durch einen Blick an, dass er sich gedulden sollte. Doktor Kleist schob seinen Besuch etwas zur Seite, da eine Krankenschwester mit einem Infusionsbeutel bewaffnet das Zimmer betreten wollte. Einen kurzen Augenblick erhielt Sven einen Blick auf die Patientin, die mit geschlossenen Augen auf dem Bett lag und mit unendlich vielen Kabeln mit der Technik verbunden war. Ihm fielen sofort die vielen Verbände auf. Er schluckte. Doktor Kleist war aufgefallen, wie schockiert der Kommissar wirkte.

»Ja, Herr Kommissar, das sieht nicht nur schlimm aus – das ist auch bedenklich. Was diese Frau durchgemacht haben muss, kann ich mir nur ansatzweise vorstellen. Aber der Reihe nach. Ihr wurden sämtliche Finger- und Zehennägel herausgerissen. Diese Schmerzen darf ich mir gar nicht ausmalen. Weiterhin fanden wir erhebliche Brandwunden an den Fußsohlen, die höchstwahrscheinlich durch eine offene Flamme, vielleicht einem Bunsenbrenner, herbeigeführt wurden. Das Mädchen wurde sowohl anal, als auch vaginal mehrfach missbraucht. Teilweise geschah das mittels eines stumpfen Gegenstandes. Ich denke, dass Sie, liebe Kollegin da besser im Thema sind. Sobald wir die Patientin stabil haben, können Sie gerne eigene Untersuchungen anstellen, damit Sie den Dreckskerl finden. Das darf nie wieder einem anderen Menschen geschehen. Ach, bevor ich es vergesse. Sie hat sich während der unmenschlichen Prozedur den vorderen Teil der Zunge abgebissen.«

Sven hatte es die Sprache verschlagen, was selten genug vorkam. Völlig schockiert war er dem Bericht des Arztes mit geballten Fäusten gefolgt. In seiner Zeit bei der Mordkommission waren ihm schon die skurrilsten Todesfälle begegnet, doch hier war ein Monster am Werk, das jegliche Skrupel abgelegt hatte. Womöglich war der Täter im Glauben, dass sein Opfer das Massaker nicht überleben würde, als er es am Straßenrand entsorgte. Wieder war es Doktor Kleist, der Svens Befürchtungen mit seinen Worten bestätigte.

»Die Wunden am Körper werden wir behandeln und irgendwann auch heilen können. Ich darf nur meine Bedenken anfügen, ob wir die immensen Schäden am Geist des Mädchens jemals reparieren können. Es klingt etwas absurd aus dem Mund eines Arztes, der sich der Heilung verpflicht hat. Ich wünsche mir fast, dass der Herrgott Erbarmen zeigt und das Mädel zu sich ruft, bevor sie in eine Therapie einsteigt, deren Wirksamkeit ich aus meiner Sicht anzweifeln möchte. Sie wäre lediglich ein Studienobjekt.«

»Ich danke Ihnen für die offenen Worte, Herr Kollege. Ich weiß, dass uns unser Amtseid oft davon abhält, das zu tun, was uns Herz und Verstand vorgeben. Ich verstehe Sie sehr gut. Sind Sie so lieb und informieren mich, sobald Ihnen die Laborergebnisse vorliegen. Und es wäre gut, wenn ich Abstriche aus Scheide und After zur weiteren rechtsmedizinischen Untersuchung erhalten könnte. Sicher werden Sie nichts dagegen haben, wenn ich mir die Patientin zu einem späteren Zeitpunkt einmal genauer ansehen dürfte? Hier ist meine Karte.«

Wortlos standen sich die Ermittler gegenüber und versuchten, das Gehörte zu verdauen. Zu schrecklich waren die Vorgänge, als dass man einfach so zum Alltagsgeschäft übergehen konnte. Karin folgte Sven, der sich tief in Gedanken versunken umdrehte und Richtung Aufzug schlich.

»Woran denken Sie, Sven? Darf es solche Wesen überhaupt geben, die so was Schreckliches mit ihren Mitmenschen tun? Kein Tier würde ein anderes derart zurichten – das schafft nur der Mensch. Ich könnte mich übergeben.«

Sven Spelzer betrat den Aufzug, ohne Rücksicht darauf zu nehmen, dass sich aussteigende Besucher an ihm vorbeiquetschen mussten. Ihr Fluchen nahm er nicht wahr.

- 27 Jahre früher - Kapitel 7 -

»Kerstin, kannst du bitte die Musik etwas leiser stellen, das muss ja nicht so dermaßen laut sein? Ich verstehe hier unten mein eigenes Wort nicht mehr.«

Die Bitte von Marianne Harrer war noch nicht ganz verhallt, als ein heftiges Türknallen anzeigte, dass ihre Tochter dieser Aufforderung eher widerwillig gefolgt war. Elmar, dem dieser aktuelle Lambada-Song von Kaoma schon aus den Ohren heraushing, sah dankbar zur Decke und wünschte sich einen langfristigen Stromausfall. Er hasste diese eintönige Musik, die weltweit die Menschen verändert hatte, zumindest ihre Art zu tanzen. Er liebte den harten Rock, der starke Emotionen hervorrufen konnte. Vater bezeichnete das zwar als nervtötenden Krach und zweifelte an, ob man das als Musik bezeichnen dürfe, doch tolerierte er sie im Hause Harrer, solange sie sich auf Elmars Zimmer beschränkte.

Seit Tagen bewegte seine Stiefschwester ihren Körper in obszöner Weise nach dieser Lambada-Melodie. Dabei durfte das gesamte Haus daran teilhaben. Vater Harrer fand das großartig, dass seine Tochter derart musikalisch war und sich so ganz nebenbei noch sportlich betätigte. Er vertrat als Sportlehrer am hiesigen Gymnasium die Auffassung, dass sich die junge Generation viel zu wenig bewegte und damit spätere gesundheitliche Probleme vorprogrammiert wären. Er sah auch durch diese neuartigen Computer eine gesundheitliche Gefahr auf die Menschheit zurollen.

Die Tür zu Elmars Zimmer flog auf und knallte gegen die Wand. Kerstin lachte schrill, als sie sah, dass sich Elmar vor lauter Schreck die Kopfhörer von den Ohren riss. Schwungvoll bewegte sie ihren Körper im Takt der lauten Musik, die nun wieder aus ihrem Zimmer durch die offenen Türen drang. Vor seinem Bett blieb sie stehen und drehte ihrem Bruder kokett den Rücken zu. Schnell erkannte der Siebzehnjährige, dass dieses Biest ihn wieder provozieren wollte. Dieses viel zu kurze Kleid war auf dem Rücken unverschlossen und der tiefe Ausschnitt ließ keine Zweifel daran aufkommen, dass sie keinerlei Unterwäsche darunter trug. Wieder einmal ein Versuch, ihn aus der Reserve zu locken. Immer wieder trieb sie dieses perfide Spiel, seitdem sie ihn eines Abends dabei erwischt hatte, als er sich auf seinem Bett liegend, selbst befriedigte.

Obwohl sie es hoch und heilig versprochen hatte, blieb es kein Geheimnis zwischen ihnen. Das war daran zu erkennen, wie ihn ihre Freundinnen ansahen, wenn sie zu Besuch kamen. Ihr Getuschel und Gekicher trieb ihn in den Wahnsinn, machte ihn wütend. Er musste zugeben, dass sich bereits damals eine gewaltige Portion Hass gegen seine Schwester anhäufte.

»Kannst du mir das Kleid zuziehen, Brüderchen? Ich komme nicht an den Verschluss. Du hast so warme Hände.«

Kerstin streckte ihm das Hinterteil entgegen und bewegte den Hintern direkt vor seinem Gesicht hin und her. Elmar starrte einen Augenblick gebannt auf das erregende Bild, das sich ihm bot. Kerstin war trotz ihrer erst vierzehn Jahre schon gut entwickelt, was sie immer öfter bewusst in Szene setzte. Er spürte, dass die Reize seiner Schwester bei ihm erste Reaktionen zeigten. Einen Augenblick zu spät setzte er sich. Kerstin hatte die kleine Beule in seiner Hose längst ausgemacht. Ihr Gesicht zeigte ein anzügliches Grinsen.

»Was haben wir denn da, Brüderchen? Will der Kleine wieder an die frische Luft? Darf ich dir zusehen, wenn du es dir ...?«

Spontan schoss ihm das Blut ins Gesicht. Elmar sprang auf, griff an den Verschluss des Kleides und zog ihn bis zur Hälfte des Rückens hoch. Ein Ausruf von der Zimmertür ließ beide zusammenfahren. Elke Harrer war, ohne dass es den beiden Geschwistern aufgefallen war, auf dem Flur erschienen und starrte gebannt auf die ausgebeulte Hose, die Elmar nicht vor ihr verbergen konnte.

»Was ... was ist denn hier los? Schämt ihr zwei euch denn nicht? Ihr seid doch Geschwister ... dann tut man das doch nicht. Ich will das einfach nicht glauben. Lass die Finger von Kerstin – sofort!«

Kerstin reagierte zuerst und drehte sich entrüstet weg von ihrem Bruder. Sie sah auf die Ausbeulung seiner Hose und schlug die Hand vor den Mund.

»Was ist denn mit dir los? Hast du mich deshalb in dein Zimmer gerufen? Du bist ein mieses Schwein. Mama, er meinte, dass mein Kleid am Rücken noch offensteht. Er wollte es mir zuziehen. Und jetzt hat er es mir fast ausgezogen. Gut, dass du noch früh genug gekommen bist. Das werde ich Papa erzählen, darauf kannst du dich verlassen.«

Weinend warf sie sich an die Brust ihrer Mutter, die beide Arme um sie schlang und aus dem Zimmer führte. Ein strafender Blick traf Elmar, der sprachlos der Szene gefolgt war. Er hatte schützend beide Hände vor seine Hose gelegt, da die entstandene Erektion einfach nicht enden wollte.

- Kapitel 8 -

»Darf ich reinkommen, Elmar? Ich würde gerne mit dir über etwas reden.«

Walter Harrer steckte den Kopf durch den Türspalt und sah zu Elmar rüber, der auf dem Bett lag und das Buch senkte.

»Du bist ja bereits drin, warum fragst du dann noch? Es geht bestimmt um diesen Scheiß mit Kerstin. Die hat ...«

»Ruhig, Elmar, lass uns das in aller Ruhe unter Männern bereden. Immer der Reihe nach. Bisher kenne ich erst die Version deiner Mutter, der ich jetzt mal ohne Bedenken Glauben schenken werde. Ich denke, da sind wir uns einig, oder?«

Elmar nickte und wollte loslegen. Den Thriller hatte er längst zugeschlagen und beiseitegelegt. Sein Vater stoppte ihn mit einer Handbewegung.

»Was deine Mutter vorfand, war doch eigentlich eindeutig. Kerstin steht mit dem Rücken zu dir in deinem Zimmer und wartet darauf, dass du ihr den Verschluss ihres Kleides zuziehst. Du stehst hinter ihr und hast einen ... sagen wir es offen, du hast einen Ständer. Was glaubst du, sollte Mutter denken? Verdammt, es ist deine Schwester. Nun gut, nicht direkt, aber es ist meine leibliche Tochter. Du kannst doch nicht ...«

Elmar sprang auf und ballte die Fäuste. Nur wenige Schritte trennten die beiden voneinander. Der Junge suchte nach Worten.

»Es war doch ganz anders. Kerstin lügt. Sie lügt immer, weil sie mich nicht ausstehen kann. Sie wird mich nie als Bruder sehen, diese eingebildete Ziege.«

»Halt, langsam, mein Kleiner. Wir weichen vom Thema ab. Was ist denn deiner Meinung nach passiert? Ich höre.«

Elmar begann seine Wanderung durch das Zimmer und knetete seine Finger. Immer wieder sah er seinen Vater an und überlegte, wie er das Geschehen glaubhaft darstellen konnte. Ihm war schließlich klar, dass man dem eigenen Blut eher Glauben schenken würde, als einem Jungen, den man aus dem Heim geholt hatte. Nicht zum ersten Mal musste er sich gegen die Anfeindungen dieses Miststücks zur Wehr setzen. Schließlich setzte er sich wieder auf die Bettkante, presste beide Hände zwischen die Knie und senkte den Blick auf den Boden.

»Ich weiß, dass du es mir nicht glauben wirst, doch ich sage es trotzdem. Mach damit, was du willst – es ist die Wahrheit. Kerstin ist heute Mittag in mein Zimmer gekommen und bat mich tatsächlich, Ihr den Verschluss zuzuziehen. Und ja, ich hatte, wie du es so schön gesagt hast, einen Ständer. Den habe ich aber nur bekommen, weil Kerstin mir den nackten Hintern hinstreckte. Sie hatte nichts an, außer ihrem Kleid. Das wird sie euch wohl verschwiegen haben, oder? Deine leibliche Tochter wollte den Burschen anmachen, den ihr die Eltern als Bruderersatz ins Haus geholt hatten. Sie wollte mich verführen und hat das Ganze provoziert. Das ist die Wahrheit! Und jetzt kannst du das bewerten, wie du willst, ich werde es immer wieder so wiederholen.«

Die letzten Worte schrie Elmar heraus. Er warf sich rücklings auf das Bett und schlug die Arme vor das Gesicht. Walter Harrer stand wie vom Blitz getroffen vor dem Bett und versuchte, seine Erregung wieder in den Griff zu bekommen. Seine Hände hatte er zu Fäusten geballt, die er diesem Jungen am liebsten ins Gesicht geschlagen hätte. Seine Kerstin, die er vergötterte, und Verführung – eine Kombination, die er sich weigerte, als Realität anzuerkennen. Mit einem Geständnis des Jungen hätte er gut zurechtkommen können, doch eine solche infame Lüge durfte nicht ungestraft bleiben. Er versteckte die Hände tief in den Taschen, um nichts zu tun, was er später bereuen würde. Er starrte mit wilden Augen auf Elmar, der sein Gesicht zur Wand gedreht hatte. Er schien zu spüren, welcher Kampf in seinem Pflegevater tobte.

»Du ... du wirst dich dafür bei deiner Schwester entschuldigen. Außerdem bei deiner Mutter. Sie ist völlig verzweifelt. Sie kann es einfach nicht fassen, dass der Junge, den sie aus dem Heim gerettet hat, ihr das auf diese widerwärtige Art dankt. Ich kann sie verstehen. Es muss doch auch für Kerstin ein Schock gewesen sein, dich so zu sehen. Ich meine, mit dieser ... Pfui Teufel. Ich verstehe dich einfach nicht, mein Junge. Sich als junger Mann einen runterholen ist eine Sache, aber bei der eigenen Schwester ... nein, das geht gar nicht.«

»Ich habe das nicht getan. Wie oft soll ich das noch sagen? Das soll mir dieses Miststück doch ins Gesicht sagen!«

Elmar war aufgesprungen und schrie die Worte seinem Vater ins Gesicht. Die Ohrfeige traf ihn hart auf der Wange. Entsetzt riss er die Augen auf, die sich mit Tränen des Jähzorns gefüllt hatten. Walter Harrer drehte sich um und verließ das Zimmer. Hinter ihm schlug mit lautem Getöse die Tür zu. Elmar drückte den Kopf dagegen und weinte hemmungslos. Durch das Treppenhaus schallte es drohend.

»Du wirst die kommende Woche das Zimmer nach der Schule nicht verlassen!«

Ein Nachbar, der seinen Mops Gassi führte, berichtete später einem Polizeibeamten, dass er den Harrer-Sohn tief in der Nacht, mit einem Rucksack bewaffnet, Richtung Autobahnauffahrt marschieren sah.

- Zurück in der Gegenwart – Kapitel 9 -

»Was bist du denn für ein neugieriger Vogel? Kannst du nicht mal für einige Zeit jemand anders beobachten?«

Sven nippte an seinem Glas, nachdem er die Aufforderung in die Richtung gemurmelt hatte, aus der ihm schon seit geraumer Zeit das eigene Gesicht entgegenstarrte. Auf der vom Nikotin fast blinden Scheibe hinter dem Tresen hatte sich Svens Gesicht schon fast eingebrannt, ähnlich einem Computerbildschirm. An mindestens vier Tagen in der Woche saß er immer auf dem gleichen Hocker. Karla, die den Marktbrunnen schon seit über vierzig Jahren leitete, schenkte ihm automatisch Bourbon mit einem Spritzer Wasser nach, bis er ohne ein weiteres Wort einen Geldschein neben das Glas legte. Sie wusste, dann war es kurz vor Schließung und ihr schweigsamer Stammgast hatte seine nötige Bettschwere. Bis dahin war noch viel Zeit, als er die bekannte Stimme neben sich hörte.

»Mir auch so was, aber mehr Wasser bitte.«

Karla wunderte sich nicht mehr darüber, dass sich wildfremde Frauen neben diesen Mann setzten und ihn anbaggerten. Wäre sie fünfzehn Jahre jünger gewesen, dann hätte der Typ recht gut in ihr Beuteschema gepasst. Doch damals musste sie leider jeden Abschaum ranlassen, um nicht von ihrem Zuhälter verprügelt zu werden. Ungern dachte sie an diese schlimme Zeit zurück. Die endete erst, als man den smarten Manni leblos auf der Müllhalde fand.

Das Scharren des Barhockers, der herangezogen wurde, weckte endgültig die Neugierde des Kommissars.

»Darf ich mich dazusetzen? Oder möchte unser Colombo für Arme lieber alleine sein?«

Karin Hollmann blickte in schon leicht trübe Augen. Sven wandte sich ihr zu und ein geheimnisvolles Lächeln stahl sich auf sein Gesicht.

»Zufall, Frau Doktor? Sie verfolgen mich doch wohl nicht so ganz ohne Grund, oder? Welchem Umstand habe ich diese bezaubernde Abendgesellschaft zu verdanken? Raus damit.«

Stumm stellte Karla das Glas ab, während sie einzuschätzen versuchte, warum sich eine derart gebildet aussehende Dame ausgerechnet neben den schlimmsten Gigolo des Stadtteils setzte. Irgendwann, wenn Sven sein Quantum drin hatte, würde er es ihr ohne weitere Aufforderung erzählen. Sie hatten keine Geheimnisse voreinander, waren wie Geschwister. Karla kümmerte sich schließlich um einen anderen Gast.

»Im Präsidium erfuhr ich, dass ich Sie hier auf jeden Fall antreffen würde. Und zu Ihrer Frage. Nein, es ist kein Zufall. Ich wollte Sie mal außerhalb der Dienstzeit treffen und Ihre Meinung in gelöster Stimmung kennenlernen. Außerdem trinke ich mir auch mal gerne einen Kleinen zum Runterkommen. Sind das ausreichend Gründe für Sie?«

Sven nickte und suchte in Karins Gesicht nach Anzeichen dafür, dass sie ihm eventuell die Unwahrheit gesagt haben könnte. Unter vorgehaltener Hand flüsterte man im Präsidium darüber, dass die Abteilung für interne Ermittlungen Fragen über sein Vorgehen im Dienst stellte. Ihnen waren seine gewöhnungsbedürftigen Ermittlungsmethoden ein Dorn im Auge. Da gab es ihrer Meinung nach zu viel Schadenersatzklagen und Verletzte. Sie duldeten keine Clint Eastwood-Methoden in ihrem Zuständigkeitsbereich. Das erforderte anschließend immer wieder viel Papierkram und Rechtfertigungen gegenüber der Staatsanwaltschaft und der Abrechnungsstelle. Es mussten sogar schon Verfahren vor Gericht aufgegeben werden, weil die Verteidigung den Behörden unangemessene Brutalität und nichtlegale Ermittlungsmethoden nachweisen konnte.

»Und Svenni, habe ich den Test bestanden? Darf ich Ihnen jetzt eine Frage stellen?«

Dem Kommissar war gar nicht aufgefallen, wie lange er die Ärztin angesehen hatte. Eine leichte Gesichtsröte unterstrich das eindeutig. Er griff nach seinem Glas und trank es in einem Zug aus. Karla war das nicht entgangen. Sie schenkte nach und sortierte ihre Gläser weiter ins Regal.

»Oh, sorry, ich war völlig in Gedanken. Was gibt es so Dringendes?«

Karin Hollmann hielt ihr Glas gegen das Licht der Thekenlampe und betrachtete das goldgelbe Nass darin.

»Irgendwie beschäftigt mich diese bestialische Misshandlung an dem Mädchen. Ich meine, über etwas derart Abartiges schon einmal was gelesen zu haben. Ich weiß nur nicht wann und wo. Dieser kranke Geist muss doch schon irgendwann mit solchem Vorgehen auffällig geworden sein, oder wie sehen Sie das? Vielleicht gibt es ähnlich gelagerte Fälle, die wir nur noch nicht in einen Zusammenhang gebracht haben.«

Sven wirkte abwesend, obwohl Karin spürte, dass es in ihm arbeitete. Sie wartete geduldig auf eine Antwort, die postwendend kam.

»Sie haben das sehr gut erkannt, Karin. Genau diesen Gedanken hatte ich auch schon. Meine Mannschaft lässt schon die Daten durch den Computer laufen. Der Täter kann ja auch an anderer Stelle sein Unwesen getrieben haben. Wir haben das LKA um Hilfe gebeten. Aber das braucht seine Zeit, um Übereinstimmungen zu analysieren. Hätten Sie Lust?«

Der entsetzte Blick der Ärztin ließ Sven den Satz schnell vervollständigen. Er lachte.

»Nein, Frau Doktor, nicht was Sie denken. Ich meine, ob Sie Lust und Zeit haben, morgen früh mit mir an den Tatort zurückzukehren. Ich bin der Meinung, dass dieses Tier das Mädchen im direkten Umfeld gequält haben muss. Warum sonst sollte er sich die Mühe machen, das misshandelte Opfer wieder an den Ort zurückzubringen, an dem er den Mord begangen hat? Mir kommt es so vor, als wollte er uns etwas damit sagen. Wenn ich der Täter wäre, würde ich das Mädchen weit weg vom Geschehen aussetzen oder besser noch für immer verschwinden lassen. Mein Gefühl sagt mir, dass er uns einen Hinweis auf das Motiv liefern möchte. Es geschieht oft genug, dass sich Täter mit ihrer Tat brüsten möchten. Oder sie fühlen sich dermaßen sicher, dass sie uns sogar bewusst eine Spur vorgeben. Sozusagen ein Katz- und Mausspiel betreiben. Also, was ist, kommen Sie mit zur Isenburg-Ruine?«

Bevor Karin zusagen konnte, griff Sven in die Jackentasche und zog das Smartphone heraus, das ungeduldig vibrierte.

»Ja!«

Kommissar Spelzer lauschte gespannt. Ab und zu stellte er eine Zwischenfrage und beendete das Gespräch mit nachdenklichem Gesicht.

»Was ist los? Spucken Sie es endlich aus. Spielen Sie hier nicht den verdammt coolen Bullen.«

Sven schrak zusammen, als Karin ihn in die Seite knuffte. Ein Lächeln stahl sich sofort auf sein Gesicht, als er ihr den Gefallen tat und losplauderte.

»Das war Tillmann, ein Assistent ...«

»Ja, ich weiß, wer Tillmann ist. Lassen Sie hören!«

»Wir wissen jetzt, wer das Mädchen ist. Als ich gestern bei den Eltern von dem getöteten Jungen war, konnte ich der Aussage seines Vaters, diesem Klaus Klever, nicht glauben. Der gibt seinem Sohn den Wagen für ein Date und weiß nicht, mit wem sich der Bursche trifft. Schon komisch. Nun ja, jetzt haben wir uns alle Vermisstenanzeigen der letzten Tage näher angesehen und siehe da ... Bingo. Die Eltern sind schon auf dem Weg ins Krankenhaus. Ich kann mir vorstellen, wie froh die Schobers sein werden, ihre Tochter lebend wiedergefunden zu haben. Verdammt, das muss doch die Hölle für die sein, wenn sie ...«

Karin Hollmann starrte stumm auf den Thekenspiegel und stellte so nebenbei fest, wie müde und abgespannt sie aussah. Irgendwann in den nächsten Tagen musste sie unbedingt freimachen und drei Tage hintereinander nur schlafen, die Batterie wieder aufladen.

»Haben Sie mir überhaupt zugehört, Frau Doktor Sauerbruch? Ich glaube das einfach nicht. Ich teile mit dieser Frau auf dem Hocker neben mir tiefste, kriminaltechnische Geheimnisse. Und was macht sie? Sie betrachtet sich selbstverliebt im Spiegel. Bedienung, zahlen!«

»Sie sind ein angetrunkenes Arschloch. Ich denke nach, verdammt noch mal. Sollten Sie nicht ein paar Worte mit den Eltern von diesem Mädchen wechseln?«

»Genau das werde ich morgen früh tun, gnädige Frau.«

»Ich komme mit!«

- Kapitel 10 -

Das trübe Wetter passte sich dem Zweck des Besuchs bei den Schobers an. Sven hatte den Motor abgestellt und betrachtete das Mietshaus, das in seinem tristen Grau wenig dazu beitrug, die Stimmung der beiden Besucher anzuheben. Karin Hollmann drängte ihn nicht, auszusteigen, obwohl sie es eigentlich war, die ständig aufs Tempo drückte. Sie konnte sich gut vorstellen, wie es in Sven aussah.

»Scheiße. Was muss jetzt in den Eltern vorgehen, nachdem sie doch das ganze Ausmaß dieser Tat erkannt haben müssten? Ich würde durchdrehen, wenn das meine Tochter wäre. Ich möchte es einmal aus der Distanz beschreiben, aus der ich es ja auch leichter betrachten kann. Es wäre vielleicht besser für das Mädchen gewesen, sie hätte es nicht überlebt. Das wird sie niemals wieder vergessen können. Man kann ihr nur wünschen, dass ihre Erinnerung nie mehr zurückkehrt.«

»Sven, das dürfen Sie nicht sagen. Das will ich nie wieder aus Ihrem Mund hören. Verstanden? Wir wissen nicht, wie stark dieses Mädchen tatsächlich ist. Wir müssen alles versuchen, ihren Geist zu heilen. Sie hat ein normales Leben verdient, so wie alle anderen. Gott noch mal, sie ist noch so jung. Sie hat viel Zeit, alles zu verarbeiten. Es ist zwar ein langer Weg, aber es gibt ihn schließlich. Lassen Sie sich gleich da drin bloß nicht zu solchen Aussagen hinreißen. Das bringt diese armen Menschen um.«

Sven öffnete wortlos die Tür und wartete, bis Karin ebenfalls ausgestiegen war. Die Haustür öffnete sich mit einem Ruck und gab den Blick frei auf einen kleinen Indianer von etwa fünf Jahren. Der Knirps wirbelte herum und verschwand mit wildem Indianergeheul in den Tiefen der Diele. Sven sah irritiert auf seine Hand, in der er seinen Dienstausweis immer noch vorgestreckt hielt. Karin konnte ein Schmunzeln nicht verbergen, was jedoch sofort verschwand, als sich ihnen Siegfried Schober aus einem Nachbarraum näherte.

»Kommen Sie bitte herein. Sie sind doch bestimmt dieser Kommissar, der sich angemeldet hat, oder? Meine Frau zieht sich noch etwas über. Sie hat heute etwas länger geschlafen, nachdem wir gestern ...«

»Kein Problem, Herr Schober. Mein Name ist Spelzer und das ist meine Kollegin aus der Rechtsmedizin, Frau Doktor Hollmann. Lassen Sie sich Zeit. Wir können warten.«

Details

Seiten
ISBN (ePUB)
9783752124736
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2020 (Dezember)
Schlagworte
Rache Serienmörder Rechtsmedizin Missbrauch Ruhrgebiet Krimi Ermittler

Autor

  • H.C. Scherf (Autor:in)

Der Autor begann nach Eintritt in den Ruhestand mit dem Schreiben von spannenden Romanen unter seinem Klarnamen Harald Schmidt. Da dieser durch TV bekannte Name falsche Erwartungen beim Leser weckte, übernahm er das Pseudonym H.C. Scherf zum Schreiben etlicher Thriller-Reihen.