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Die Macht der Rache

von H.C. Scherf (Autor:in)
248 Seiten

Zusammenfassung

Als sich die Zellentür für Dirk Rasper nach vielen Jahren vorzeitig öffnet, ahnt Hauptkommissar Klare nicht, welche Welle der Gewalt er damit auslöst. Nach seinen Recherchen saß der Mann über sieben Jahre unschuldig hinter Gittern. Ein geheimnisvolles Versprechen aus der Vergangenheit band Rasper daran, die ihn möglicherweise entlastende Wahrheit zu verschweigen. Als der Gefangene aus der Hölle des Strafvollzugs entlassen wird, treibt ihn die Liebe zu seiner kleinen Tochter und der Wunsch nach Rache an. Es mehren sich Zweifel daran, ob die Entscheidung, den Mann zu entlassen, nicht ein weiterer Fehler war. Das Grauen findet einen neuen Anfang und endet im überraschenden Showdown.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


 

 

Die Macht der Rache

 

 

Von H.C. Scherf

 

 

Thriller

1

Die Bewegung hinter der Scheibe hatte sie sich doch nicht eingebildet, sie war real. Wer zeigte sich dort oben? War er immer noch hinter ihr her? Der Gedanke hämmerte fortwährend durch ihren Kopf. Starr richtete sie den Blick auf das im wabernden Nebel liegende, schmale Fenster, versuchte, seine Konturen dahinter auszumachen. Der Schatten, den sie glaubte, erkannt zu haben, bewegte sich nicht, schien sie zu fixieren. Begleitet von einem kaum vernehmbaren Wimmern drückte sie sich gegen die borkige Rinde der riesigen Platane, die ihr für den Augenblick Schutz geben sollte. Ihre Hände steckte sie unter die verschwitzten Achseln, um das unentwegte Zittern einzudämmen. Die Angst war übermächtig, dass sie ihr bebender Körper, ihr schneller, dampfender Atem verraten würde. Irgendwo da draußen konnte er gleich sein. Das spürte sie tief in ihrem Inneren, das von der erdrückenden Furcht vor weiteren Qualen gelähmt wurde. Sie wagte nicht, die einzelne Träne wegzuwischen, die sich aus dem Auge stahl und endlos langsam über die Wange lief. Diese teilte bizarr die vielen Spuren von Blut und Schmutz, die ihr Gesicht bis zur Unkenntlichkeit besudelt hatten.

Vorsichtig wagte sie einen Blick in das Halbdunkel, durch den Sprühnebel, den der kräftige Wind nun wieder fast waagerecht über den von Laub übersäten Garten fegte. Schon am Morgen hatte es sintflutartig geregnet, jetzt wurden die Regenschauer wieder durch die engen Straßen des Ortsteils getrieben. Einen Moment war der unendliche Wasserstrom unterbrochen. Das Wasser tropfte nun in breitem Rinnsal aus ihrem Haar, das sie noch Stunden zuvor sorgfältig für ihn frisiert hatte. Der Schatten hinter der Scheibe war verschwunden! Dafür hörte sie die Stimme direkt neben sich.

»Ich bin bei dir, mein Schatz. Hast du wirklich geglaubt, dass du mich einfach so loswirst? Unsere Beziehung wird niemals enden. Niemand sonst kann dich so begehren, wie ich es tue.«

Beates Puls setzte für einen Augenblick aus, beschleunigte jedoch sofort danach auf ein mörderisches Tempo, sodass sie glaubte, ihr Herz würde an den schützenden Rippen anschlagen, sie möglicherweise durchbrechen. Resignation breitete sich nur für einen kurzen Moment wie ein Virus in ihrem Inneren aus, wurde abgelöst von dem immer noch vorhandenen Überlebenswillen. Die kleine Leonie. Was war mit ihr geschehen? Sie braucht mich.

2

- Sieben Jahre früher -

 

»... und verurteilen Sie wegen Mordes in drei Fällen zu lebenslanger Haft in einer Justizvollzugsanstalt. Haben Sie noch etwas zu sagen, Angeklagter?«

Dirk Rasper nahm das Urteil mit ausdrucksloser Miene entgegen. Sein Blick ruhte unablässig auf dem Gesicht seiner Frau Beate, die weinend, völlig zusammengesunken und zitternd wieder zwischen den Zuschauern Platz genommen hatte. Sie spürte, dass Dirks trauriger Blick auf sie gerichtet war, wagte es nicht, aufzusehen. Er sollte ihren tiefen Schmerz nicht sehen. Es war ihr nicht leicht gefallen, ihm das erbetene Alibi zu verweigern. Immer wieder glaubte sie, die triumphierenden Blicke der drei Frauen auf sich zu spüren, die Dirk in den letzten Monaten bestialisch ermordet haben sollte. Sie wusste nur aus den Zeugenaussagen der Beamten, was er mit ihnen angestellt haben musste. Stets hatte er die Taten, die ihm zur Last gelegt wurden, bestritten. Aber selbst Beate verlor irgendwann den Glauben an seine Unschuld, so erdrückend waren die Indizien. Wie, in Teufels Namen, sollten auch die ihn belastenden Beweisspuren in diesen Keller geraten sein, wenn nicht er selbst dort war?

Keiner im Saal hatte auch nur die Spur eines Zweifels, wenn es um die Tatsache ging, dass dieses Tier die unsäglichen Morde begangen hatte. Selbst der Pflichtverteidiger deutete ihr gegenüber an, dass er diesen Fall nur widerwillig übernommen hatte und in seinem tiefsten Inneren davon überzeugt war, mit Dirk den Mörder einer gerechten Strafe zuzuführen. Die Verteidigung baute er ohne großes Engagement auf dünnen Beinen auf. Es gab nicht einmal den Hauch eines Anscheins von Bemühen seinerseits, was ihm sogar hin und wieder den Tadel des Vorsitzenden Richters einbrachte.

Während der Vorsitzende die Urteilsbegründung vortrug, ertönte aus den Zuhörerbänken leises, zufriedenes Geraune. In Beates Rücken brannten die Blicke der Nebenkläger, der Angehörigen der Opfer. Der Schrei eines Mannes unterbrach für einen Augenblick den Vortrag des Richters.

»Verrecke elendig in deiner Zelle, du Bestie! Gott wird dich strafen für das Leid, das du über uns alle gebracht hast! Du hast meinen Kindern die Mutter genommen.«

»Ich bitte um Ruhe, meine Damen und Herren, sonst lasse ich den Saal räumen. Lassen Sie mich fortfahren.«

Schließlich nahmen zwei kräftige Justizbeamte Dirk in die Mitte, der sich auffallend ruhig und gefasst abführen ließ. Hinter ihm schloss sich die Tür, hinter der er nun für den Rest seines Lebens weggesperrt werden sollte. Beate schrak heftig zusammen, als sich das hassverzerrte Gesicht einer Frau neben ihr zeigte.

»Fühlen Sie überhaupt etwas? Sagen Sie mir das. Können Sie auch nur ansatzweise nachvollziehen, welches Leid Ihr Mann über uns gebracht hat? Wie kann man als normaler Mensch mit einem solchen Tier zusammenleben? Haben Sie nie gespürt, welcher Satan in diesem Scheusal lauerte? Haben Sie es genossen, wenn der Kerl auf Ihnen lag, Sie vögelte? Sie können auch nicht besser sein als der da.«

»Komm, Monika, lass das. Damit machst du unser Enkelkind auch nicht wieder lebendig. Diese Frau kann doch nichts dazu. Karins Tod wurde nun mit diesem Urteil gerächt, mehr können wir nicht für sie tun. Wir sollten gehen.«

Die Hand des Mannes schüttelte die besagte Monika heftig ab, schlug sogar nach ihr. Dann schrie sie so laut, dass jeder es im Saal noch hören konnte.

»Das muss diese dreckige Schlampe doch gewusst haben – das spürt eine Frau, wenn der Mann so was Schreckliches tut. Ich hasse dich, du Miststück. In der tiefsten Hölle sollst du schmoren. Du gehörst ebenfalls eingesperrt!«

Endlich schaffte es der eigentlich kräftig gebaute Ehemann, die Frau wegzuzerren, die sich wie eine Furie wieder aus dem Griff ihres Mannes befreien wollte. Als er sie endlich einem jungen Mann, vermutlich dem Sohn, übergeben hatte, kam er zurück und sah Beate tief in die Augen. Sein Blick konnte nur ansatzweise das Leid widerspiegeln, das er in den letzten Monaten erlitten haben musste. Beate blickte in müde Augen.

»Ich möchte Sie um Entschuldigung bitten, Frau Rasper. Aber bitte verstehen Sie auch meine Frau. Sie hatte sich immer ein Enkelkind gewünscht – und jetzt ...«

Beate legte dem leidenden Vater eine Hand auf den Arm und suchte nach den angemessenen Worten.

»Sie müssen sich dafür nicht entschuldigen. Ich verstehe Ihre Frau sehr gut und kann den Schmerz nachvollziehen. Doch auch ich muss lernen, zu akzeptieren, dass der Mann, den ich immer geliebt habe, ein Dreifachmörder sein soll. Ich kann das noch nicht glauben. Er war, ich meine, er ist ein sehr aufmerksamer Ehemann gewesen. Glauben Sie mir, wenn ich Ihnen sage, dass er niemals mir gegenüber Gewalt angedeutet hat ... ganz im Gegenteil. Er kann es nicht gewesen sein, das ist unmöglich.«

Augenblicklich zog der Mann die Hand zurück und wandte sich zum Gehen. Plötzlich drehte er sich noch ein letztes Mal zu ihr um. Die Worte gingen fast im Geraune der abwandernden Zuhörer unter.

»Gott beschütze Sie und gebe wenigstens Ihnen Frieden. Wir werden ihn wohl niemals mehr finden.«

Noch lange blieb Beate vor der Bank stehen, bis sie ein Justizangestellter behutsam zur Tür geleitete.

3

Weit öffnete sich die Zellentür und ließ den Lärm, der auf dem Traktflur aufbrandete, in den schmalen Raum. Die Gefangenen bekamen Gelegenheit zum Freigang auf dem Hof. Halbwegs geordnet strömten die Insassen zum Zentralgang, von dem aus sie durch die geöffneten Türen in Gruppen ins Freie marschierten. Der imposante Schatten von Justiz-Hauptsekretär Klaus Federer fiel auf das Gesicht des mit geschlossenen Augen daliegenden Dirk Rasper.

»Hofgang, Rasper. Machen Sie doch keinen Quatsch. Irgendwann müssen Sie wieder einmal die Sonne sehen, sonst werden Sie hier noch kirre. Sie können nicht nur in der Zelle hocken und das Fenster zuhängen. Vergessen Sie die beschissene Anmache von diesem Hartmann. Dem Schweinehund muss man nur einmal zeigen, dass er nicht allmächtig ist. Halten Sie sich einfach von ihm fern. Der wird die Nummer mit dem verschütteten Essen bestimmt nicht ein zweites Mal mit Ihnen abziehen. Aber wo ich Sie gerade noch in der Zelle erwische, kann ich Ihnen sofort Ihren neuen Zellennachbarn vorstellen. Sie sind einer der Wenigen, denen ich den Mann anvertrauen kann. Das hier ist Liam Preston. Kommen Sie rein, Preston, hauen Sie Ihre Sachen auf das obere Bett. Ich denke, dass Ihnen Rasper alles erklären wird. Das Wesentliche haben wir Ihnen ja schon erzählt. So, ich lass euch jetzt alleine, die Pflicht ruft. Ach, bevor ich es vergesse, Preston. Eigentlich heiße ich Federer, aber die Leute hier sagen einfach Chef zu mir. Fragen Sie mich nicht warum. Ich lass den bestimmt nicht raushängen. Mit mir kann jeder sprechen. Und wenn Sie ein Problem haben ... Sie wissen schon.«

Vor Dirks Augen baute sich die mickrige Gestalt von Liam auf, der Mühe hatte, seine wenigen Sachen, die er auf dem Arm trug, auf das Bett zu werfen. Die Anstaltskleidung schlotterte um seinen hageren Leib, besaß noch den Geruch des billigen Waschmittels. Noch hatte er nicht eine Silbe von sich gegeben, setzte sich schweigend an den kleinen Tisch, vor dem zwei Holzstühle die spartanische Einrichtung vervollständigten. Sein Blick glitt durch den Raum und blieb an dem Regalschrank hängen, in dem Dirk wenige Habseligkeiten und einige Bücher aufgestellt hatte. Besonders lange betrachtete er das Foto einer schönen Frau, deren blonde Locken weit über die Schultern fielen. Verstohlen suchte er zwischen seinen Handtüchern nach etwas, wobei die Hand nach kurzer Zeit mit einem Foto zwischen den Fingern wieder auftauchte. Dirk, der den Neuen unauffällig beobachtet hatte, bemerkte sofort, dass sich die Augen des kleinen Mannes mit Wasser füllten, überging diese Reaktion jedoch ebenfalls schweigend. Nach einer Weile drehte er sich auf den Rücken und presste das Wort durch die kaum geöffneten Lippen.

»Engländer?«

Wenn Dirk mit einer Antwort gerechnet hatte, wurde er auf eine Geduldsprobe gestellt. Erst nach einigen Sekunden, in denen sich Liam mit dem Ärmel das Feuchte aus den Augen gewischt hatte, kam die erschöpfende Antwort.

»Yes!«

»Wie lange hast du bekommen?«

»Die haben mir sechs Jahre aufgebrummt. Scheiß drauf, Hauptsache das Arschloch sitzt in der Hölle.«

Dirk hob den Kopf und stützte sich auf den Ellbogen ab. Ihm waren schon einige Typen im Knast begegnet, doch nur wenige, die derart stolz auf ihre Tat waren. Die meisten Mitgefangenen waren selbstverständlich unschuldig, durchweg Opfer einer korrupten Justiz. Er betrachtete seinen Zellengenossen nun sorgfältiger. Besonders hervorstechend waren die wasserblauen Pupillen in dem hageren Gesicht, dessen Kinn von einem schmalen Bart verziert wurde. Das dünne, strähnige Haar hatte Liam hinter die riesigen Ohren gesteckt. So hatte sich Dirk immer den sagenumwobenen Don Quijote de La Mancha vorgestellt, der unter seiner Rüstung ebenso dürr wirkte.

»Hast du einen umgenietet? Und warum nur sechs Jahre?«

»Das ist als Totschlag durchgegangen. Hab das Tier erschlagen, als der meiner Tochter das Speed verhökert hat. Der ist mir quasi in die Spitzhacke gelaufen.«

Liam zuckte gleichgültig die schmalen Schultern und beschäftigte sich damit, sein Bett zu beziehen. Unter ihm richtete sich Dirk nun sitzend auf.

»Willst du mich verscheißern? Die haben dir doch wohl nicht abgenommen, dass du ständig eine Spitzhacke im Hosenbund mit dir herumführst? Das ist doch Vorsatz, mein Freund.«

»Nee, nee – diese Drecksratte hat die Drogen nachts am Schlafzimmerfenster meiner Tochter angereicht. Sein Pech, dass ich gerade am Fenster stand und rauchte. Der verteilt das Gift nicht weiter an Kinder! Und was ist mit dir? Du bist doch wohl schon eine Weile hier. Könntest einen Schuss Sonne gebrauchen.«

Dirk ließ sich wieder auf sein Kissen fallen und schloss die Augen. Währenddessen zog Liam das Laken glatt, so als erwartete er keine Antwort auf die Frage. Dirks Gesicht war zur Wand gedreht, als er es endlich herauspresste.

»Mich hat man verarscht. Jemand hat mein Leben zerstört. Ich weiß, was du jetzt denkst. Jetzt behauptet der Scheißer, dass er völlig unschuldig ist. Das ist hier die Standardantwort. Aber bei mir ist es anders.

Ich hatte einen eindeutigen Indizienprozess, ohne jeglichen klaren Beweis. Die haben mir drei Morde in die Schuhe geschoben, mit denen ich nichts am Hut hatte. Selbst meine Frau hat mittlerweile Zweifel an meiner Unschuld. Das spüre ich jedes Mal, wenn sie mich besucht. Sie tut so, als würde sie mir glauben, doch im Inneren ... ach was soll´s, ich kann es ihr nicht einmal übel nehmen. Hier komm ich nie wieder raus. Und der wahre Täter läuft noch da draußen rum und sucht sich vielleicht schon das nächste Opfer. Ich könnte kotzen.«

Liam hielt für einen Augenblick inne, betrachtete das Bild auf dem Regal.

»Ist sie das?«

»Beate. Ja, das ist meine Frau Beate. Sie tut mir so leid. Sie muss jetzt die kleine Krabbe alleine großziehen.«

»Wie, du hast ein Kind?«

»Leonie ist jetzt sechs. Das Bild von ihr hat mir ein Dreckskerl aus Zelle 234 zerrissen. Irgendwann werde ich ihn dafür an den Eiern aufhängen. Nimm dich bloß in Acht vor diesem Hartmann. Der ist gefährlich und führt hier das Wort. Der hat den Handel im Haus voll im Griff. Nichts passiert hier mit Verkauf, woran dieser Dreckskerl nicht mitverdient. Selbst einige Wärter hat der eingespannt für seine schmutzigen Deals. Die verdienen mit und decken dieses Schwein. Glaub mal nicht, dass dessen Zelle gefilzt wird. Da findest du ein ganzes Warenlager.«

»Wie lange sitzt du denn schon?«

»Das müssten bald acht Jahre sein.«

»Moment mal. Du sitzt acht Jahre in dieser Scheißzelle und die Kleine ist erst sechs. Hat deine Frau ...?«

Wild warf sich Dirk herum und ergriff den dürren Oberschenkel seines Zellengenossen, sodass der schmerzhaft aufschrie.

»Spreche das niemals aus – niemals – hörst du? Beate würde das nie tun. Das Kind ist von mir. Einmal im Quartal darf sie zu mir kommen und dann können wir in der Liebeszelle – na, du weißt schon. Das ist den Gefangenen erlaubt, die sich vorbildlich verhalten. Aber ich möchte nur einmal meine Tochter in den Arm nehmen dürfen. Nur ein einziges Mal.«

Liam hatte sich zwischenzeitlich auf den Stuhl gesetzt und massierte die immer noch schmerzende Stelle an seinem Oberschenkel.

»Soll das heißen, dass du sie noch nie gesehen hast?«

»Beate verheimlicht ihr, dass ihr Vater ein Mehrfachmörder ist. Sie sind sogar in eine andere Stadt gezogen, damit das Kind in der Schule nicht gemobbt werden kann. Ihr Vater ist bei einem Verkehrsunfall kurz nach ihrer Geburt gestorben. So wurde ihr das verkauft. Und ich habe eingewilligt, damit sie nicht auch noch unter dieser Geschichte leidet. Stell dir das mal vor, wenn du als Kind damit konfrontiert wirst, dass dein Vater ein Massenmörder ist. Nein, das ist schon in Ordnung so.«

Der Lärm auf dem Gang verstärkte sich wieder, als die Gefangenen zurück in die Zellen geführt wurden. In dem Spalt der offenstehenden Tür erschien der massige, kahl geschorene Kopf eines Mannes, dessen zerschlagene Nase ihn unverkennbar als Rolf Hartmann identifizierte.

»Du kannst dich nicht ewig verkriechen, Rasper. Irgendwann kommst du raus aus deiner versifften Höhle. Du solltest übrigens mal durchlüften hier. Das stinkt nach Feigheit. Ich habe bereits davon gehört, dass du einen neuen Zellengenossen hast. Schön. Damit du es sofort weißt, mein Freund – dein Arsch gehört mir. Ich will dich als Jungfrau in meiner Zelle. Lass diesen feigen Hund nicht ran. Der kriegt sowieso keinen mehr hoch. Bis später, ihr Schwuchteln.«

Hartmanns grinsendes Gesicht verschwand und wurde durch eines ersetzt, das zu einem seiner Speichellecker gehörte. Der zeigte den beiden lediglich den Stinkefinger, bevor er seinem Herrn und Gebieter hinterherhechelte.

4

»Nein, Rasper, ich glaube nicht, dass ich Ihren Kumpel Preston in der Küche unterbringen kann. Da ist alles besetzt. Das wissen Sie doch selbst nach den Jahren dort. Aber ich könnte es in der Schlosserei versuchen. Da suchen wir immer wieder Leute und Ihr Kumpel ist doch, so glaube ich, gelesen zu haben, gelernter Feinmechaniker.«

Klaus Federer hätte Dirk Rasper den Wunsch gerne erfüllt, da er ihn als Häftling kennengelernt hatte, der niemals aufbegehrte und seine Strafe akzeptierte, obwohl er immer wieder, selbst nach so vielen Jahren, seine Unschuld beteuerte. Stumm deutete Rasper ein Nicken an, das Federer als Zustimmung nahm. Beruhigend klopfte er ihm auf die Schulter und verließ die Zelle Richtung Verwaltungstrakt.

»Danke, Dirk. Das vergesse ich dir niemals. Ich muss was tun. Ich kann nicht wie du ständig an die Decke stieren und über das beschissene Leben nachdenken. Ich habe Scheiße gebaut und muss nun für den Tod des Dreckskerls büßen. Schlosserei ist schon in Ordnung. Ich kann sowieso nicht kochen. Ich lass sogar Kaffeewasser anbrennen.«

Liam glaubte, für einen kurzen Moment ein Zucken, das andeutungsweise wie ein Lächeln wirkte, auf Dirks Gesicht erkannt zu haben. Zumindest war es ein Teilerfolg, weil er sich schon seit Tagen bemühte, den Mann aufzumuntern.

»Du weißt, dass Hartmann ebenfalls mit seinen Männern in der Schlosserei arbeitet. Zumindest ist er dort eingeteilt – arbeiten lässt er nur die Leute, die nicht zu seinem Haufen gehören – und das sind nicht viele. Nimm dich in Acht vor diesem Tier. Der besitzt eine Brutalität, die selbst für diesen Knast ungewöhnlich ist. Man spricht davon, dass er schon mindestens vier Männer auf dem Gewissen hat. Dabei macht der sich selbst keinen Finger schmutzig. Dafür hat der seine Leute oder die armen Schweine knüpfen sich selber auf. Erst vor drei Tagen haben die wieder einen Mann aus Zelle 106 abgeschnitten. Und noch eins. Dreh diesem Schwein besser nicht den Arsch zu. Der hat dich gevögelt, bevor du Papp sagen kannst.«

»Mach dir da mal keine Sorgen, ich pass schon auf.«

Dirk betrachtete den dürren Kumpel nachdenklich und vermied es, ihm weiter Angst vor der Zukunft in dieser Knasthölle zu machen. Das Leben lief hier nach eigenen Gesetzen ab, wovon sich Liam bisher noch kein Bild machen konnte. Er selbst konnte sich aus den Querelen weitestgehend heraushalten, weil er erstens einen kräftigen und durchtrainierten Körper besaß und zweitens jeder wusste, dass er wegen mindestens dreier Morde verurteilt wurde. Das schützte ihn momentan noch davor, angegangen zu werden. Außerdem beteiligte er sich an keiner Aktion der Gefangenen, hielt sich aus allem raus. Liam klärte ihn darüber auf, dass man ihm schon lange den Beinamen the silent one gegeben hatte, was so viel hieß, wie der Stille. Dirk war es völlig egal. Hauptsache, man ließ ihn in Ruhe.

 

Liam hielt sich in der Werkstatt zurück und erledigte seine Arbeit, ohne sich um die herumlungernden Männer zu kümmern, die trotz ihrer Faulheit stets mit Zigaretten versorgt waren und von den Wärtern nicht zur Arbeit angetrieben wurden. Alle wussten, dass sie unter dem Schutz des Paten standen. Hartmann selbst ließ sich nur selten sehen. Er thronte in seiner Zelle, die er nur mit seinem engsten Vertrauten Kalle Wirges teilte. Sie lebten dort, umgeben von allem Luxus, den man sich auch in der Freiheit wünschte. Wenn die Bundesliga spielte, saß der gesamte Clan grölend um den Fernseher herum und verfolgte das Geschehen im Pay-TV. Ohne Hemmungen kifften die Männer, ohne dass ihnen jemand Einhalt gebot.

Das monotone Geräusch der Dusche rauschte durch die weißgefliesten Räume und machte Liam schläfrig. Für einen Moment schloss er die Augen und erfreute sich an dem Anblick seiner kleinen Tochter, die er jetzt gerne in die Arme geschlossen hätte. Er wusste, dass er damit noch einige Jahre warten musste. Die Angst war tief in seinem Inneren verwurzelt, dass sie längst dem Drogenkonsum verfallen war und er nach seiner Entlassung nur noch das vorfand, was die Sucht von ihr übrig gelassen hat.

Begleitet von einem tiefen Seufzer, strich er mit beiden Händen das dünne, strähnige Haar aus dem Gesicht und prustete laut, als das Wasser in den offenen Mund lief. Kräftige Finger legten sich um seine Handfesseln und pressten seine Hände, hoch über seinen Kopf gegen die nassen Fliesen. Er war augenblicklich hellwach und riss die Augen weit auf. Der Schrei blieb ihm im Hals stecken, als sich eine Pranke über den Mund legte. Links und rechts von ihm hatten sich lautlos Männer aus der Hartmann-Clique aufgebaut und grinsten auf den wehrlosen Liam herunter. Er ahnte es mehr, als er es wusste, dass sich jemand in seinem Rücken näherte. Das Wasser der Dusche war abgestellt worden. Nur das Scharren der Schuhe auf den nassen Fliesen war hörbar, ansonsten wurde die gespenstige Stille des Raumes nur vom Wimmern und Würgen des Opfers unterbrochen.

»Sieh mal einer an. Da hat sich mein kleiner Freund für den großen Akt der Entjungferung gesäubert. Das gefällt mir. Ich mag es nicht, wenn der Geruch des Tages, vermischt mit Angstschweiß, das Vergnügen einschränkt. Schaut euch diesen kleinen, süßen Arsch an. Ein englischer Schließmuskel, so sagt man, ist viel enger als bei einem deutschen Männerhintern. Vielleicht liegt es daran, dass die Tommys so viel Porridge in sich reinlöffeln und dadurch mehr scheißen. Dann wollen wir mal sehen, ob da etwas Wahres dran ist. Haltet den Süßen gut fest.«

Liam traten fast die Augen aus den Höhlen, als er die erste Berührung an seinem Hinterteil spürte. Der Schmerz war unerträglich, als Hartmann ohne jede weitere Vorwarnung sein steifes Glied hineinstieß und erst nach seiner endgültigen Befriedigung von Liam abließ. Als sich die Hände der grölenden Männer von Liams Armen lösten, brach dieser weinend zusammen und krümmte sich auf dem Boden zusammen. Einer der Männer stellte die Dusche wieder an. Das heiße Wasser prasselte gnadenlos auf den blutenden Mann nieder, der mit dem Kopf zwischen den Händen hemmungslos seine Qualen herausbrüllte.

 

»Aber nur fünf Minuten, Rasper! Sie bringen mich sonst in Teufels Küche. Ich warte draußen.«

»Danke, Federer. Sie haben was gut bei mir.«

Dirk Rasper rückte den Stuhl heran, setzte sich und betrachtete seinen Zellengenossen stumm. Dessen stumpfer Blick war durch das vergitterte Fenster der Krankenstation in den Himmel gerichtet, schienen den Kondensstreifen eines vorbeifliegenden Jets zu verfolgen. Und doch war sich Dirk sicher, dass Liam sein Eintreten registriert hatte. Ohne ein weiteres Wort streckte er die Hand aus und legte Liam vorsichtig das Foto der Tochter auf die Brust. Schon, als Dirk glaubte, dass der es nicht bemerkt hatte, schob sich dessen Hand in Zeitlupe nach oben, um das Bild zu ertasten. Dirks Finger schlossen sich zu Fäusten, als er die ersten Tränen aus den Augen des Partners rinnen sah. Wortlos küsste der das Foto, auf dem seine Tochter lachend auf den Fotografen zulief. Endlich kam das erste Lebenszeichen aus dem Mund des gepeinigten Mannes.

»Danke, Dirk. Das bedeutet mir sehr viel, was du gerade für mich getan hast. Danke.«

»Keine Ursache, Partner. Ich habe nicht viel Zeit. Muss in zwei Minuten zurück. Hast du jemanden erkannt? Sag es mir. War es Hartmann?«

Liams Blick wanderte wieder zurück zum Fenster, suchte den weißen Streifen am Himmel, der sich längst verflüchtigt hatte. Sein Gesicht zeigte jetzt wieder diese Härte, die es schon bei Dirks Eintreten aufwies. Sein Mund blieb verschlossen, seine Augenlider senkten sich. Mit dem Ärmel wischte er die Tränen fort, für die er sich zu schämen schien. Noch wenige Sekunden verfolgte Dirk jede Regung des Freundes, der jetzt in eine Welt abgetaucht war, in der er allein sein wollte. Als hätte auch Federer das bemerkt, betrat er in diesem Augenblick das Krankenzimmer und zupfte an Dirks Ärmel. Ein letztes Mal legte Dirk Rasper seine kräftige Hand auf den Arm des Mannes, der die größte Demütigung hinnehmen musste, die man einem erwachsenen Mann überhaupt zufügen konnte. Mit zusammengepressten Lippen schritt er vor Federer durch die vielen Gänge, hinüber zum Trakt, der noch viele Jahre sein Zuhause bleiben sollte. Federer öffnete Dirks Zellentür und hielt ihn am Arm zurück.

»Tun Sie es nicht, Rasper. Das ist dieses Schwein nicht wert.«

5

»Verdammt, wie lange brauchst du noch für die Arbeit? Haben die in der Werkstatt etwa was bemerkt?«

Jetzt, drei Wochen nach der Misshandlung, hatte sich der Zustand von Liam nur scheinbar wieder normalisiert. Er litt zum einen immer noch an dem heftigen Riss in dem Schließmuskel und schrie häufig vor Schmerz auf, wenn er harten Stuhlgang hatte, doch war die angegriffene Psyche das wesentlich größere Problem. Er sprach nicht mehr viel, beschränkte seine Gespräche auf das Nötigste. Dirk beobachtete mit großer Sorge, wie apathisch Liam sogar wirkte, wenn er Hartmann im Essenssaal begegnete. Er schien ihn einfach zu ignorieren, reagierte nicht einmal auf die Häme des Mannes und seiner Speichellecker. Genau das löste bei Dirk einiges an Besorgnis aus. Das war einfach nicht normal. Nach längerem Zögern bekam Dirk endlich seine Antwort.

»Nur noch zwei Tage Geduld, dann bin ich fertig. Die Dreckskerle belauern mich rund um die Uhr. Ich muss sehr vorsichtig sein. Verstehst du? Rasper – damit das klar ist. Ich erledige das selber. Du hast nichts damit zu tun. Es war mein Körper. Jeder kümmert sich um seine Sache. Du kriegst deinen Stichel, ich das Messer. Mein Leben ist sowieso kaputt.«

»So, so, dein Leben ist kaputt. Du verwechselst da etwas, mein Freund. Nicht dein Leben ist kaputt, sondern lediglich dein Arsch hat Blessuren erlitten. Und der heilt wieder. Aber was passiert, wenn du das Schwein umlegst? Was glaubst du? Ich sage es dir. Dann wirst du deine Tochter niemals mehr in den Arm nehmen können. Dann sitzt du genauso lange wie ich in diesem Loch. Für immer. Ist es das wert?

Wenn ICH dem Tier das Licht ausblase, ändert sich nichts an meinem Leben. Es läuft so weiter wie bisher. Nur mit dem Unterschied, dass sie mir diesmal den Mord im schlimmsten Fall nachweisen können. Aber das warten wir erst mal ab. Ich erledige das Schwein für das, was er dir und vielen anderen angetan hat. Basta. Du wirst bestimmt die Gelegenheit erhalten, mir dafür zu danken. Glaube bloß nicht, dass ich dafür nicht den Lohn einfordere.«

Ohne zu unterbrechen, war Liam dem Vortrag gefolgt. Er warf sich auf die Pritsche und drehte sich zur Wand. Kurze Zeit später konnte Dirk die gleichmäßigen Atemzüge seines Partners hören. Sie kannten sich nun schon eine geraume Zeit und doch konnte Dirk diesen unauffälligen Mann nicht einschätzen. Das Leben musste ihm schon früher schlimme Denkzettel verpasst haben. Er schleppte ein Geheimnis mit sich herum, davon war er überzeugt.

 

Der Aufruf zum Hofgang sorgte wie an jedem anderen Tag für Unruhe in den Zellen und Gängen. Zwei Mannschaften waren aktuell zusammengestellt worden, um in einem Fußballspiel den Traktsieger zu ermitteln. Das Match wurde mit großer Spannung erwartet, da bereits hohe Wetten abgeschlossen waren. Der Wolkenvorhang am Horizont kündigte allerdings Sauwetter an, was dann notgedrungen wieder in einer Schlammschlacht enden würde. Bisher hatte es die Verwaltung nicht für erforderlich gehalten, den ehemaligen Acker, auf den man lediglich Rasensamen verteilt hatte, mit einem festeren Untergrund zu versorgen. Den Insassen machte es allerdings nicht viel aus, dass man nach wenigen Minuten Spiel Freund und Feind kaum noch auseinanderhalten konnte. Beim Kampf um den Ball kannte man eh keine Verwandten. Der Ball stand nicht unbedingt im Vordergrund, sondern fast ausschließlich der Gegner. Hier boten sich tausend Gelegenheiten, es dem Nachbarn heimzuzahlen. Alte Rechnungen wurden in dem Durcheinander rustikal beglichen, wobei fließendes Blut sehr schnell vom Matsch überdeckt wurde. Auf Schmerzensschreie und niedergestreckte Opfer reagierte man meist erst verspätet.

Hausdienstleiter Robbeck nahm das Megafon an die Lippen und trat einen Schritt aus der Reihe der restlichen Beamten heraus, während die angetretenen Männer sich letzte, zotige Sprüche zuriefen.

»Hört gut zu, Leute. Ich will heute ein faires Spiel sehen. Wenn das Gleiche passiert, wie im letzten Quartal, breche ich sofort ab und ihr bewegt euren Arsch unverzüglich zurück in den Block. Geht alles gut aus und es gibt einen Sieger, wird der Direktor zu seinem Wort stehen und das Festessen steht, inklusive anschließendem Filmabend. Der Pokal könnte heute, nach einem weiteren Sieg von Block vier, endgültig denen gehören. Ihr wisst ja, drei Siege und der Pokal ist fest in deren Hand. Also, los geht´s. Aufstellung, Männer!«

Das einsetzende Gegröle übertönte ein bedrohliches Grollen, das aus der geschlossenen Wolkendecke erklang. Die wildfunkelnden Augen der Spieler waren starr auf Gegner und Ball gerichtet. Nachdenklich beobachtete Dirk Rasper seinen Zellennachbarn Liam, dessen ausgemergelter Körper kaum in der ersten Reihe der Zuschauer zu erkennen war. Sein Gesicht war eines der wenigen, das absolut unberührt von der Aufregung unbeteiligt wirkte. Der Anpfiff holte Rasper wieder zurück in die Realität. Nur ein beherzter Sprung verhinderte die erste Blessur, als sein Gegner, der ihm auf halb rechts entgegen stürmte, eine Sense ohne Ball versuchte. Auch dem anschließenden Ellenbogencheck konnte er ausweichen. Raspers Augen waren weiter auf Hartmann gerichtet, der ebenfalls in der ersten Zuschauerreihe, zwanzig Meter entfernt von Liam das Spiel beobachtete.

Zehn Minuten später, Block vier führte bereits mit zwei Toren, setzte der Regen sintflutartig ein und verwandelte den Platz in einen unbespielbaren Acker. Einer von Hartmanns Speichelleckern hielt eine Plane über das Haupt seines Herrn und sah sich stolz um, da er seine Stellung in der Blockhierarchie dadurch als gehoben ansah. Rasper nahm dies nur aus dem Augenwinkel wahr, da er eigentlich seinen Zellenkumpel suchte. Er war in dem Gewühle am Spielfeldrand verschwunden. Bevor er sich ernsthaft deswegen Gedanken machen konnte, erwischte ihn einer seiner Gegner mit voller Wucht an der linken Fußfessel. Als Rasper fiel, spürte er die Stollen des Mannes schmerzhaft in der Niere. Er riss beide Hände vor das Gesicht, da er befürchtete, einen weiteren Tritt an den Kopf zu erhalten, der allerdings ausblieb.

Stattdessen spürte er den schweren Körper, der sich über seinen legte und ihn tiefer in den Schlamm drückte. Verzweifelt ruderte Dirk Rasper mit den Armen, um sich von dem Gewicht zu befreien, riss in Panik geraten die Augen weit auf. Noch völlig sprachlos blickte er in die weit geöffneten Augen Hartmanns, der wie ein Wahnsinniger schrie und immer wieder versuchte, einen Gegenstand am Hinterkopf zu erfassen. Ein breiter Blutstrahl ergoss sich über Raspers Gesicht und sorgte dafür, dass seine Augen wie Feuer zu brennen begannen. Hartmanns Finger krallten sich verzweifelt in Raspers Schulter. Endlich bekam Hartmann den Metalldorn zu fassen, der tief in seinem Hals steckte, versuchte, diesen herauszuziehen. Raspers Hand legte sich über die des Verbrechers und riss den Stift mit brutaler Gewalt heraus, hielt ihn fest umklammert.

Die plötzlich auftretende Stille dröhnte in Raspers Ohren, bis sie vom einsetzenden Alarm der Sirene und dem schrillen Geräusch der immer näher kommenden Trillerpfeifen unterbrochen wurde.

»Weg da, aus dem Weg! Sofort sammeln vor dem Tor! Die Spieler hierher, die anderen sofort an die Mauer, zack, zack, Leute!«

Viele Hände zerrten an Raspers Trikot. Brutal wurde ihm die Hand, mit der er immer noch den Metalldorn umklammert hielt, auf den Rücken gedreht. Der eintretende Schmerz drohte, ihm die Besinnung zu rauben. Das Letzte, was er bewusst wahrnahm, war der stumpfe Blick Hartmanns, der ins Nichts gerichtet war und Rasper zeigte, dass der Kerl sich auf den langen Weg zur Hölle begeben hatte. Raspers Lächeln erstarb augenblicklich, als ihn jemand hochriss und ihn ein Schlagstock an die Stelle traf, wo bereits zu Spielbeginn der Stollen seines Gegners Schaden anrichtete. Das Spiel hatte zwar keinen Sieger gefunden, aber zumindest einen Verlierer. Rasper wusste, was auf ihn zukam und schloss die Augen, während er von brutalen Händen weggezerrt wurde.

6

»Was wollen Sie mit Ihrem Geständnis eigentlich bewirken, Preston? Es steht eindeutig fest, dass Rasper der Täter ist, was er auch sofort gestanden hat. Jetzt kommen Sie mit Ihrer abenteuerlichen Geschichte, die Ihren Kumpel entlasten soll. Wenn wir Ihre Version akzeptieren, mein Freund, kommen Sie hier die nächsten fünfzehn Jahre nicht mehr raus. Also überlegen Sie es sich gut, was Sie da veranstalten. Und jetzt verschwinden Sie endlich in Ihre Zelle, die Sache hier ist klar. Weg mit Ihnen!«

Direktor Falkner, dessen Gesicht von einer ungesunden Röte überzogen war, hämmerte ungeduldig seine fleischige Faust auf die Tischplatte. Der monströse Drehstuhl ächzte erfreut, als er von gefühlten einhundertsechzig Kilos befreit wurde. Falkner war aufgesprungen, um wütend die Tür aufzureißen, vor der zwei Beamte erschrocken die Kippen im Wandascher ausdrückten. Die zuvor nur angelehnte Tür hatte ihnen ermöglicht, das Gespräch zu verfolgen. Sie nahmen den zeternden Preston in die Mitte und führten den sich windenden Mann den Gang entlang zu einer der Gittertüren, die den Verwaltungstrakt vom Haftbereich trennte. Immer wieder versuchte Preston, sich aus dem Griff der bulligen Aufseher zu befreien. Sein Schreien sorgte dafür, dass der größte Teil der Gefangenen es nachäffte und so ein infernalisches Getöse durch den Zellentrakt fegte, begleitet von dem Gehämmer des Essgeschirrs, das einige rhythmisch gegen die Fenstergitter schlugen.

Dirk Rasper, der mit gesenktem Kopf im Nebenraum des Direktorzimmers alles verfolgen konnte, starrte auf seine Fußketten, die mittels einer metallenen Kette im Bauchbereich mit den Handschellen verbunden waren. Obwohl eine Flucht aus diesem Sicherheitsbereich nahezu unmöglich war, ging man bei einem Gewaltverbrecher dieser Kategorie auf Nummer sicher. Immerhin war ein Angriff auf den Direktor unbedingt auszuschließen.

»Kommen Sie hoch, Rasper. Die Show Ihres Kumpels ist vorbei. Habt ihr wirklich geglaubt, dass euch das einer abnimmt? Der Trick mit den Mehrfachgeständnissen ist doch so alt, wie es Gefängnisse gibt. Wir haben die Zeugen befragt. Die sagen alle aus, dass Sie die Waffe in der Hand hielten und zugestochen haben. Mal so ganz unter uns, Rasper, das war schon lange fällig. Schön, dass mal einer die Eier hatte, dem Scheißkerl das Licht auszublasen. Wollen Sie jetzt seinen Job übernehmen? Es heißt doch immer: Der König ist tot, es lebe der König. Jetzt ist die beste Gelegenheit. Ich meine, falls der Alte Ihnen nicht Einzelhaft verordnet. Aber ich glaube, der ist selber froh, dass dieses Schwein in der Hölle ruht.«

Rasper hatte diese lange Rede mit gesenktem Kopf über sich ergehen lassen, wobei der Wärter zum Schluss in ein Flüstern übergegangen war. Nun öffnete er die Nebentür, um seinen Gefangenen in das Zimmer des Direktors zu stoßen.

»Tja, Rasper, das war ein netter Versuch von euch beiden. Doch so ganz bescheuert sind wir auch wieder nicht. Die Aussagen der Mitgefangenen sind eindeutig und ich habe keinen Grund, denen nicht zu glauben. Die Staatsanwaltschaft ist schon informiert. Es wird noch eine weitere Untersuchung geben, die Spezialisten der Mordkommission durchgeführt werden, doch die dürften zum gleichen Ergebnis kommen. Ich vermute mal, dass man Ihnen nicht nur eine Sicherungsverwahrung aufbrummen wird. Wenn Sie Pech haben, geht´s ab in die Forensik, falls man Sie als Psychopathen abstempelt. Aber mit Sicherheit wandern Sie in eine andere Haftanstalt mit Hochsicherheitsabteilung. Ich sage es Ihnen ehrlich, dass ich Sie lieber hierbehalten würde, weil Sie im Hause schon jetzt als der Messias gefeiert werden, der die Leute von diesem Hartmann befreit hat. Doch eine Frage hätte ich noch, bevor man Sie ins Untersuchungsgefängnis überführt. Warum in Gottes Namen, haben Sie das überhaupt getan? Der Kerl hat Sie doch bisher weitestgehend in Ruhe gelassen. Das ergibt für mich keinen Sinn. Oder sind Sie von irgendeiner Seite beauftragt worden? Ich meine, Sie haben ja eigentlich bei Ihrem Strafmaß nichts mehr zu verlieren.«

Dirk Rasper sah nur für einen Augenblick auf, verfolgte die unruhig herumirrenden Pupillen in den Schweinsaugen seines Gegenübers. Dieser stets schwitzende, aufgrund seines Übergewichts schwer atmende Mann widerte ihn an. Schon hatte er eine passende Erklärung auf den Lippen, als er sich diese im letzten Moment verkniff. Er wollte es sich mit diesem wichtigen Entscheider nicht vollends verderben. Man wusste ja nie, ob seine wohlwollende Aussage für ihn mal wichtig werden könnte. Dirk Rasper schwieg und sah aus dem Fenster. Lange wartete Direktor Falkner nicht auf die Antwort, wedelte mit den Fingern in Richtung Tür.

»Nun ja, dann eben nicht, Rasper. Hätte mich doch sehr interessiert. So, jetzt aber ab in Ihre Einzelzelle! Der Transport ins Untersuchungsgefängnis nach Essen ist erst übermorgen. Ich muss noch diesen verdammten Bericht schreiben.«

7

Der Sitzungssaal des Essener Gerichtes war bis auf den letzten Platz besetzt. Die Nachfrage unter den Medienvertretern war so groß, dass über Losentscheid die Vergabe der Akkreditierung stattfand. Die Öffentlichkeit war weitestgehend ausgeklammert. Vor den Sicherheitskontrollen wurde die Schlange nur langsam kürzer, da sich auch nichtgeladene Pressevertreter um Einlass bemühten, in der Hoffnung, ein Bild vom Täter zu erhaschen. Ein Justizbeamter saß Dirk Rasper genau gegenüber und wartete geduldig auf den Anruf, dass er den Gefangenen endlich in den brodelnden Saal führen konnte.

»Mensch Rasper, jetzt legen Sie doch verdammt noch mal den Brief weg. Warum hat Ihnen der bekloppte Anwalt überhaupt den Scheidungsantrag vor der Verhandlung in die Hand gedrückt? Sehr rücksichtsvoll von dem Herrn, muss ich schon sagen. Wer solche Leute neben sich weiß, kann sich auch gleich selbst verteidigen. Geben Sie mir das Schreiben solange, bekommen Sie nach der Verhandlung sofort wieder zurück – versprochen.«

Nachdenklich sah Dirk Rasper von dem Brief auf, der ihm klar und deutlich zeigte, wie Beates Entscheidung zum Fortbestand ihrer Ehe ausgefallen war. Immer wieder versuchte er, sich in ihre Lage zu versetzen, kam jedoch stets zu dem Ergebnis, dass sie ihn und ihre Liebe verriet. Einst hatten sie sich die ewige Treue und Liebe bis in den Tod geschworen. Die letzte Hoffnung, wenigstens ihre Unterstützung zu besitzen, war damit gestorben. Der allerletzte Halt war ihm genommen worden. Mutlos blickte er auf die ausgestreckte Hand des Beamten, der aufmunternd nickte. Das verfluchte Schreiben verschwand in der Innentasche des Mannes, der vermutlich heute Abend seine Frau und die Kinder in die Arme schließen konnte und jeglichen Gedanken an ihn, der für den Rest des Lebens weggesperrt würde, weggewischt haben würde. Das Klingeln des Telefons ließ sie beide hochschrecken.

Augenblicklich verstummte das Gemurmel im Saal, wich einer beklemmenden Stille und wurde nur vom Geräusch der Kameraverschlüsse und dem Surren der Fernsehkameras unterbrochen. Dirk Rasper kannte das Prozedere auf der Anklagebank. Neben ihm nahmen sein Anwalt und der Justizbeamte Platz. Sekunden später schwoll der Lärm wieder an und mäßigte sich erst, als eine Stimme das Erscheinen des Vorsitzenden verkündete.

Das Verlesen der Anklageschrift ließ die Zuhörer für einen Moment verhaltener diskutieren. Alle Blicke waren auf den Angeklagten gerichtet, versuchten zu analysieren, welche Gedanken in dem Kopf umherschwirren mochten, was dieses Tier wohl empfand, wenn er mit dem Hergang seiner Tat konfrontiert wurde. Ähnlich musste sich King Kong gefühlt haben, als er dem staunenden Publikum im Zirkus präsentiert wurde. Ein Ungeheuer, das getötet werden sollte.

Obwohl er das Ergebnis schon vorher kannte, hielten seine Augen Ausschau nach einer Person. Die meisten wichen dem Blick des Monsters aus, als Dirk Reihe für Reihe absuchte, doch Beate nicht fand. Traurig fixierte er die Fläche seines Tisches, von dem aus er das unvermeidliche Urteil erwartete. Sein Geständnis sorgte dafür, dass die Staatsanwaltschaft auf die Vernehmung des Zellennachbarn verzichtete. Dirk hatte seinem Pflichtverteidiger untersagt, Liam Preston vorzuladen. Mit steinerner Miene erhob er sich, als das Gericht zur Urteilsverkündung schritt.

»... und ordnen aufgrund der Schwere der Schuld die anschließende Sicherheitsverwahrung an. Die Sitzung ist geschlossen.«

8

Niemand kann bis zum heutigen Tag sagen, ob es Gottes Vorsehung war, dass ausgerechnet an diesem regnerischen Herbsttag die Führerschein-Prüfungsfahrt von Richard Meissner über diese kurvenreiche Straße Richtung Hespertal führte. Das Fahrzeug für den Gefangenentransport quälte sich die enge Straße hoch, während der Golf der Fahrschule vor einer berühmt-berüchtigten Haarnadelkurve abrupt auf die vorgeschriebenen dreißig Stundenkilometer heruntergebremst wurde. Schon längst hatte sich der Prüfer Notizen gemacht, weil Meissner bereits vorher diese Geschwindigkeitsbegrenzung unbeachtet ließ. Dem Fahrlehrer war anzumerken, dass auch er das Dilemma bemerkt hatte. Dessen vorwurfsvollen Seitenblick bemerkte Meissner nicht, da er sich mit zusammengekniffenen Lippen auf die bevorstehende Kurvenfahrt konzentrierte.

War es das unverhofft auftauchende Transportfahrzeug oder das nasse Laub, auf dem die vorderen Räder den Straßenkontakt verloren ... niemand konnte es später sagen, warum Meissner die Geradeausfahrt wählte und damit eine ungewöhnliche und entscheidende Lawine von Geschehnissen in Gang setzte. Die Front des Golfs krachte ungebremst in die Flanke des anthrazitfarbenen VW-Transporters, der die Kurve leicht angeschnitten hatte und deshalb ein wenig auf den gegenüberliegenden Fahrstreifen geriet. Keiner der beteiligten Fahrer wählte in diesem Augenblick die Möglichkeit, auszuweichen, um das Unglück zu verhindern. Sich verbiegendes Blech kreischte, als würde das unschuldige Material seinen Schmerz in die Welt hinausschreien. Wie in Zeitlupe legte sich der Transporter auf die Seite. Durch die Frontscheibe konnten die Insassen des Golfs den uniformierten Fahrer erkennen, der die Hände immer noch um das Lenkrad verkrampfte und mit angstgeweiteten Augen auf den Abhang stierte, den er in wenigen Sekunden hinunterstürzen würde. Das Blut lief ihm schubweise aus einer großen Stirnwunde über das Gesicht. Den Schrei, den sein weit aufgerissener Mund ausstieß, konnten sie nicht hören. Er ging unter im Unfalllärm. Die Sicht nahm ihnen ein Vorhang, bestehend aus weißen Ballons, der explosionsartig aus der Armatur schoss.

Die aufgeblasenen Airbags des Golfs verhinderten, dass Meissner die Hände vor das Gesicht schlagen konnte. Sein Fuß presste immer noch das Bremspedal auf den Wagenboden, ohne dass der Golf eine Reaktion zeigte und endgültig zum Stehen kam. Er spürte, wie sein Auto Zentimeter um Zentimeter, unaufhaltsam dem schweren Transporter folgte. Sein Blick in den Rückspiegel bildete das Gesicht eines Prüfers ab, der erkannt haben musste, dass ihm eine Flucht aus dem Fahrzeug unmöglich gemacht wurde, da sich die hintere Tür verklemmt hatte. Immer wieder riss er verzweifelt an dem Griff. Sein Gestammel verhallte im Innenraum, der von allen möglichen Utensilien übersät war. Fahrlehrer Schramme stierte wortlos auf seinen Airbag, der nun langsam wieder in sich zusammenfiel und den Blick auf die Baumspitzen freigab, die aus dem steil abfallenden Hang wie drohende Finger in den Himmel ragten. Niemand hätte in diesem Augenblick eine seriöse Aussage darüber machen können, womit sich Schrammes Gedanken beschäftigten, wenn sie es überhaupt taten. Er wirkte, als wäre er der Realität völlig entrückt – ja, in seiner Verzweiflung fast glücklich.

Der Transporter legte sich endgültig auf die Seite und folgte dem Gesetz der Schwerkraft. Die ersten jungen Bäume und Büsche fegte er mühelos beiseite und riss sogar drei bis vier Meter hohe Stämme mit sich. Das Blech verbog sich lärmend. Erst eine massive Rotbuche stoppte den weiteren Absturz. Der Fahrer des Wagens öffnete noch für einen kurzen Moment die Augen und beobachtete durch die zersplitterte Frontscheibe den Rand des Hanges, über den sich jetzt unaufhaltsam die Front eines Golfs schob. Eine wohltuende Ohnmacht erlöste ihn von dem Gedanken, dass dieses Auto sie alle in wenigen Augenblicken zerquetschen würde. Er bekam nicht mehr mit, wie der Fahrschulwagen plötzlich stoppte und wippend, das Gleichgewicht suchend, an der Kante zum Stehen kam.

Der Erste, der seine Ängste wieder in den Griff bekam, war der Prüfer.

»Hören Sie mir gut zu. Meissner ... das war doch Ihr Name, oder?«

Der Angesprochene nickte mechanisch, sah aber mit angstgeweiteten Augen weiter auf die Baumspitzen, die sich bedrohlich vor dem Himmel abzeichneten.

»Also Meissner, Sie bleiben jetzt ganz ruhig und hören mir gut zu. Sie werden nun als Erster den Gurt ablegen und ganz vorsichtig zwischen den Sitzen zu mir nach hinten kriechen. Wir müssen unbedingt das Gewicht nach hinten verlagern. Das Gleiche machen Sie, Herr Schramme, sobald Ihr Schüler bei mir ist. Sie können aber auch vorsichtig Ihre Tür öffnen und aussteigen. Später sollten Sie dann versuchen, eine der hinteren Türen zu öffnen. Bitte, meine Herren, alles das sehr langsam. Wir werden ansonsten dem anderen Wagen folgen. Also los, fangen Sie an!«

Literweise wurde Schweiß vergossen, bis Schramme endlich die hintere Tür des Golfs aufhalten konnte, damit der Fahrprüfer und Meissner aussteigen konnten. Genau in dem Augenblick, als er beide Füße auf den Rasen setzte und das Auto vom Gegengewicht befreite, neigte sich die Front des Wagens und rutschte los. Mit einem wilden Schrei warf sich Meissner als Letzter in die Arme Schrammes, der Mühe hatte, das Gleichgewicht zu halten. Fassungslos mussten die drei Männer mitansehen, wie sich die Schnauze ihres Wagens in die Seite des VW-Busses bohrte. Der Lärm war ohrenbetäubend. Fahrlehrer Schramme lehnte sich mit zitternden Knien an den nächstbesten Baum und ließ sich auf den triefend nassen Boden herabgleiten. Jetzt brach die Anspannung der letzten Minuten brutal aus ihm heraus. Ein Weinkrampf schüttelte ihn.

 

Dirk spürte den Druck des Beamten auf der Seite, dessen Gewicht ihm erheblich das Atmen erschwerte. Der Gurt, den sie während der Fahrt anlegen mussten, hatte sie alle davor bewahrt, bei dem Unfall durch das Wageninnere geschleudert zu werden. Dennoch war sein Nebenmann mit dem Kopf womöglich am Seitenholm angeschlagen und hatte das Bewusstsein verloren. Mit einer großen Platzwunde hinter dem Ohr presste er seinen Körper gegen Dirks. Der Kollege, der gegenüber saß, hing seltsam verbogen in seinem Gurt und stierte mit leerem Blick an den Wagenhimmel. Keine Bewegung verriet, ob er das Unglück überlebt hatte. Dirk Rasper setzte alle verbliebenen Kräfte ein, um den massigen Körper des auf ihn liegenden Mannes wegzuschieben. Erst als er den Sicherheitsgurt öffnete, gelang es ihm. Der schwere Wagen, der nur vom Stamm der Rotbuche vor einem weiteren Absturz in die Tiefe bewahrt wurde, wippte gefährlich, als die einhundertzehn Kilos des Beamten auf den Wagenboden krachten. Endlich konnte sich Dirk Rasper freier bewegen und den eigenen Gurt lösen. Nur die Hand- und Fußfesseln hinderten ihn daran, den Innenraum zu verlassen. Ich muss sie unbedingt loswerden. Der Gedanke an Flucht ließ ihn nicht mehr los und blockierte einen Moment sein klares Denken. Hektisch tastete er den Mann ab, der zuvor auf ihm lag. Nichts, kein Schlüssel, der ihm die verhassten Handschellen löste. Verzweiflung breitete sich in ihm aus, bis sein Blick auf den zweiten Beamten fiel, der noch immer im Gurt hing und dessen Brustkorb zumindest geringe Atmung zeigte. Ruckartige Bewegungen vermeidend rutschte Dirk Rasper über den Wagenboden und suchte die Taschen des Mannes ab. Da, er konnte es spüren, die Schlüssel zur Freiheit ... er konnte sie fühlen. In der linken Hosentasche befanden sie sich. Seine Hand tauchte tief ein und förderte neben einem sorgfältig zusammengefalteten Taschentuch und dem in einem Anhänger eingefassten Bild eines kleinen Mädchens, auch die Schlüssel zutage, die ihn befreien sollten.

Ein Lächeln zauberte sich auf Dirks Lippen, während er sich die Gelenke rieb, an denen die Handschellen rote Stellen hinterlassen hatten. Ein Gedanke durchfuhr ihn, der ihn in Sekundenschnelle handeln ließ.

9

Karin Rostock fuhr rechts ran, blickte in den Rückspiegel, um zu sehen, warum sie der Polizist auf dieser freien Strecke angehalten hatte. Sie konnte sich einfach nicht vorstellen, dass sie die vorgegebene Höchstgeschwindigkeit von siebzig Stundenkilometern überschritten haben sollte. Leichte Unruhe machte sich in ihr breit, als sie kein dazugehörendes Polizeifahrzeug und keinen weiteren Kollegen ausmachen konnte.

Was hatte das zu bedeuten?

Der großgewachsene Mann sah recht passabel aus und machte eine gute Figur in der Uniform. Irgendwie erinnerte er sie an Ralf, der sie vor etwa vier Wochen wegen dieser blonden Schlampe ... Noch während ihre Gedanken in Bereiche abdrifteten, an die sie lieber nicht erinnert werden wollte, tauchte dieses Lächeln an der Seitenscheibe auf, das ihr auf Anhieb jegliche Bedenken ausräumte. Dieses Lächeln brannte sich bei ihr ein und sorgte dafür, dass sie die Scheibe ohne weitere Skepsis herabgleiten ließ. Nun sah sie in stahlblaue Augen, die das Lächeln noch um Längen an Attraktivität übertrafen. Karin schmolz förmlich dahin.

»Was habe ich falsch gemacht, Herr ...?«

»Oberwachtmeister Horsch. Nein, Sie haben nichts falsch gemacht, gnädige Frau. Ganz im Gegenteil. Ich bin sehr froh darüber, dass überhaupt jemand in der Dämmerung angehalten hat. Mir ist das schon etwas peinlich, dass ich hier stehe und Sie um Hilfe bitten muss. Sie müssen mir versprechen, keinem davon zu erzählen. Habe ich Ihr Wort? Und darf ich mich einen Augenblick neben Sie setzen?«

Völlig irritiert nickte Karin wortlos und wies auf die Beifahrerseite. Der fremde Polizist nahm das Angebot gerne an und schritt um die Schnauze des kleinen Mini Cooper herum.

»Wir suchen mit einer Hundertschaft hier nach einem verloren gegangenen Jungen. Habe mich für einen Augenblick von den Kameraden getrennt, um ein kleines Geschäft ... Sie wissen schon, was ich meine. Hat etwas länger gedauert und ich habe die Jungs aus den Augen verloren. Als Krönung bin ich noch einen Abhang runtergerutscht und hier an der Straße rausgekommen. Die haben mich wohl noch nicht vermisst. Ansprechen konnte ich die auch nicht, da ich mein Funkgerät verloren haben muss. Sind Sie so nett und nehmen mich ein Stück mit? In Ihrer Richtung müsste doch Langenberg liegen, wenn ich mich nicht irre. Wenn Sie mich da rauslassen, kann ich die Einheit anrufen. Aber denken Sie dran, Sie haben mir was versprochen!«

Karin hatte Mühe, sich das Lachen zu verkneifen, als sie dem Geständnis dieses stattlichen Mannes lauschte. Die halbe Welt würde sich darüber amüsieren. Gleichzeitig konnte sie sich vorstellen, welcher Häme der arme Mann ausgesetzt wäre, sollten die Kameraden von dem Missgeschick erfahren. Mit zusammengekniffenen Lippen schüttelte sie den Kopf und legte den Gang ein.

»Sehen Sie? Jetzt lachen sogar Sie über mich. Sie erzählen auch Ihrem Mann nichts davon? Versprochen?«

»Nein, darauf haben Sie mein großes Indianerehrenwort. Meinem Mann kann ich das nicht erzählen, es gibt keinen, dem ich berichten könnte.«

Den Schwur unterstützend löste sie ihre schmale Hand vom Lenkrad und streckte die drei Finger zum Wagenhimmel.

»Das überrascht mich aber bei einer so attraktiven Frau. Auf jeden Fall ... das werde ich Ihnen nie vergessen und bin Ihnen sehr dankbar für Ihre Hilfe.«

Karins Blick erfasste die leere Straße vor ihnen, die von der Abenddämmerung überzogen wurde. Die Baumreihen zogen schnell an ihnen vorbei, während ihre Gedanken sich in Träumereien verirrten.

Deine Dankbarkeit könntest du mir schon recht bald beweisen. Verdammt, der passte gut für eine Weile in mein Schlafzimmer.

Sie spürte plötzlich den Blick des Beamten auf sich ruhen und verfluchte sich dafür, dass sich ihr Gesicht bei den erotischen Entgleisungen rot eingefärbt hatte. Als hätte er in ihren Gedanken gelesen, war sein Lächeln wieder da, verzauberte sie und sorgte dafür, dass die leichte Röte sich in Purpurrot vertiefte. Das Gaspedal setzte den höheren Druck in Geschwindigkeit um, sodass erst die beruhigende Hand des Beifahrers dafür sorgte, dass Karin wieder auf Normalgeschwindigkeit regulierte.

»Ich bin gleich zuhause. Sie können wählen. Entweder lasse ich Sie hier raus oder Sie kommen noch auf einen Kaffee ... Oh, entschuldigen Sie. Wie hört sich das an? Ich wollte nicht den Eindruck erwecken, als wollte ich Sie irgendwie abschleppen. Das ist mir jetzt aber peinlich. Ich dachte nur, dass Sie bei mir oben Ihre Einheit anrufen könnten und ...«

»Sie müssen sich für gar nichts entschuldigen. Ich finde, dass Sie einfach nur höflich sein wollten. Gerne nehme ich Ihre Einladung an und würde mich über einen Kaffee wirklich freuen.«

Dirk Rasper studierte die vielen Fotos, die seine Gastgeberin vorwiegend in Urlaubsregionen vermutlich mit den Eltern zeigten. Hin und wieder tauchte ein etwa gleichaltriges Mädchen neben ihr auf, mit dem sie herumtollte. Alle Bilder waren lediglich mit Reißzwecken an die Dielenwand geheftet worden und ergaben einfach eine Zurschaustellung guter Laune und einer fröhlichen Kindheit. Während Karin in der Küche hantierte und das Blubbern einer Kaffeemaschine durch die Räume schlich, suchte Dirk Rasper nach eindeutigen Beweisen einer Beziehung. Ohne dass er es bemerkte, stand die junge Frau plötzlich neben ihm.

»Suchen Sie etwas Bestimmtes? Das sind meine Eltern und meine Schwester Helen. Wir waren oft mit dem Camper unterwegs. Meist in Holland und Dänemark. Es war einfach nur schön, kann ich Ihnen sagen.«

Dirk war es nicht entgangen, welche Lebensfreude diese Frau auf den Fotos ausstrahlte. Er sog die Luft tief ein. Der angenehme Duft in der Wohnung wurde nicht nur vom frischgebrühten Kaffee erzeugt, das wusste er. Schon im Wagen war ihm dieses bezaubernde Parfum aufgefallen, das auch jetzt wieder seine Sinne berührte.

»Was rieche ich da?«

Karin machte einen Schritt zurück, als hätte er sie auf einen möglichen, unangenehmen Körpergeruch hingewiesen.

»Was meinen Sie?«

»Dieses Parfum. Was nehmen Sie? Es passt unglaublich gut zu Ihnen.«

»Uff ... ich dachte schon, dass ich ... es ist heute, so glaube ich, eine Herrennote von Armani. Gefällt es Ihnen wirklich, oder sagen Sie das nur so?«

»Nein, nein, es ist so ... so ... ich weiß nicht, wie ich es beschreiben soll. Das ist genau für Sie entwickelt worden, vermute ich.«

Karin stieß ihm lachend die kleine Faust in die Seite und schwebte, getragen von dem wunderbaren Kompliment, zurück in die Küche.

»Kommen Sie, der Kaffee ist durch. Einen Keks dazu?«

»Nein danke. Aber etwas Milch in den Kaffee nehme ich gerne. Entschuldigen Sie bitte, wenn ich so frech frage. Wie heißen Sie eigentlich?«

»Oh, jetzt muss ich mich aber entschuldigen. Ich habe mich ja noch gar nicht vorgestellt. Sagen Sie einfach Karin zu mir und lassen Sie das doofe SIE weg. Einfach Karin. Und wie darf ich dich nennen?«

»Einen schönen Namen haben Ihnen Ihre, Entschuldigung, ... deine Eltern dir gegeben. Mich nennen alle Micky, obwohl ich eigentlich Michael heiße. Also belassen wir es bei Micky.«

Diesmal war die Ursache für die leichte Gesichtsröte in Karins Vorfreude auf einen angenehmen Abend zu suchen. Um dieses Gefühl nicht überdeutlich dem Gast zur Schau zu stellen, wandte sie sich zum Kühlschrank, um das angebrochene Milchpaket herauszuholen. Sie bemerkte nicht, dass sich ihre neue Eroberung geschmeidig ihrem Rücken genähert hatte. Dirks Augen waren auf den Nacken der jungen Frau gerichtet, die Hände leicht vorgestreckt. Während Karin einige Lebensmittel im offenen Kühlschrank umsortierte, näherten sich die ausgestreckten Hände unaufhaltsam ihrem Hals.

Das schrille Klingeln hallte durch die Wohnung und ließ Karin herumwirbeln. Fast stieß sie mit ihrem Gast zusammen, der geistesgegenwärtig die Hände herunterfallen ließ. Erstaunt blickte sie in diese stahlblauen Augen, die jetzt nur wenige Zentimeter vor ihr auftauchten ... dazu diese sinnlichen Lippen. Es war mehr ein Reflex, als sie das Gesicht dieses Traummannes mit beiden Händen zu sich heranzog und ihm einen flüchtigen Kuss gab. Geschmeidig duckte sie sich an ihm vorbei, als die Türklingel ein weiteres Mal erklang, jetzt schon drängender. Lachend, begleitet von einem entschuldigenden Schulterzucken, tanzte Karin zur Tür und fiel fröhlich kichernd in die Arme einer dunkelhaarigen Frau, die mit ihr in der Diele herumtanzte.

»Komm rein, Moni. Setz dich schon ins Wohnzimmer. Ich möchte dich mit meinem Besuch bekanntmachen.«

Ausgelassen schob Karin ihre Freundin in das kleine Wohnzimmer und sprang zurück in die Küche.

»Einen kleinen Moment noch, Karin, ich muss mal kurz für kleine Königstiger. Komme sofort zu euch. Dauert nicht lange.«

Dirk Rasper verschwand hinter der Badezimmertür, die sich in der Diele befand, unweit der Haustür. Karin winkte ihm fröhlich hinterher und widmete sich der neuen Besucherin. Die Verabredung hatte sie völlig vergessen und sie am nächsten Tag in Erinnerung. Sie hoffte, dass Moni auf die neue Situation Rücksicht nahm und schnell wieder verschwand. Keine von beiden nahm das Geräusch wahr, das die Eingangstür verursachte, als sie einschnappte. Ihnen entging auch die leise Durchsage im Küchenradio.

... deshalb möchten wir die Bevölkerung im Raum des südlichen Ruhrtals vor diesem Serienmörder warnen, der sich vermutlich immer noch in der Kleidung eines Justizvollzugsbeamten auf der Flucht befindet. Hinweise auf diesen als äußerst gewalttätig eingestuften Mann nimmt jede Polizeidienststelle unter 110 entgegen. Es wird angeraten, keinen Kontakt zum Straftäter zu suchen, nichts in Eigeninitiative zu unternehmen, sondern sofort die Polizei zu informieren.

10

Tief im Schatten der breiten Plakatwand verschwamm die Kontur des Mannes, ohne dass er einem zufällig vorbeieilenden Passanten auffiel. Die dunkle Kleidung der großgewachsenen Gestalt half dabei, in der Nacht unterzutauchen. Lange starrte Dirk auf das hell erleuchtete Fenster, hinter dem sich der Schatten eines Kindes abzeichnete, das sich wie im Tanz bewegte.

Das muss sie sein. Mein Fleisch und Blut. Ja, das ist sie.

Der Gedanke ließ ihn nicht mehr los und zauberte ein zufriedenes Lächeln in sein ansonsten hartes, angespanntes Gesicht. Immer wieder irrte sein Blick in die nähere Umgebung, achtete auf jede Bewegung, die einen Polizisten dahinter vermuten lassen könnte. Darüber war sich Dirk Rasper völlig im Klaren. Sie würden jeden Punkt unter Beobachtung haben, an dem er sich möglicherweise aufhalten könnte. Näher durfte er sich auf keinen Fall heranwagen. In weiser Voraussicht hatte er die Kleidung des Beamten gegen die eines Nichtsesshaften getauscht, der sich über die saubere Uniform amüsierte und eine diebische Freude bei der Vorstellung entwickelte, endlich einmal bei seinen Kumpels mit diesem ausgefallenen Outfit punkten zu können.

Die Straße, in der Beate eine neue Heimat gefunden hatte, besaß nicht das quirlige Leben, das sie damals mit Absicht suchten. Hier war es schlicht gesagt langweilig und dörflich. Doch er wusste, warum sie diese Abgeschiedenheit gesucht hatte. Einst erklärte sie es ihm. Auch von anderen Insassen hörte er, dass die Angehörigen von Straftätern oft die Hölle durchliefen, da sie und vor allem die Kinder bis zur Unerträglichkeit gemobbt wurden. Die Tat selbst übertrug das Volk gerne auch auf die Familie. Das war der Preis, den der Täter neben der Haft zusätzlich bezahlen musste. Kaum eine Beziehung hielt das aus. Auch Beate hatte die Konsequenz, sozusagen die Notbremse gezogen und die Scheidung eingereicht.

Einmal wollte er das Kind sehen, das zu ihm gehörte, in dessen Adern sein Blut floss. Zumindest den Schattenriss konnte er in diesem Augenblick wahrnehmen. Es würde sich schon eine bessere Gelegenheit ergeben, da war er sich sicher. Noch ein letzter Blick, bevor er sich wieder auf den Weg machte, zurück in das alte, verlassene Fabrikgebäude. Die Kälte zog durch sämtliche Glieder, zumal die Klamotten, die mittlerweile ein heftiges Jucken auf der Haut verursachten, durch und durch feucht waren. In einer dunklen Kammer hatte er sich ein behelfsmäßiges Lager aus alten Decken und Zeitungen gebaut. Es gab Augenblicke, da sehnte er sich in die Behaglichkeit seiner gemütlichen Zelle und der Vollpension der Haftanstalt zurück. Es musste sich etwas ändern, sonst würde er sich irgendwann freiwillig stellen. Geduckt eilte er durch die dichten Sträucher des Parks, um wieder eins zu werden mit dem unwirtlichen Fabrikgebäude. Seine Gedanken kreisten um die weitere Vorgehensweise und den eigentlichen Sinn des Unternehmens. Irgendwann würden sie ihn aufspüren und in dem Hochsicherheitstrakt einer Haftanstalt für immer verschwinden lassen. In ihm regte sich Widerstand gegen die aufkeimende Resignation, ein Plan reifte heran.

 

Schon früh, bevor die Helligkeit ihm die Möglichkeit der Deckung nahm, marschierte er los. Mittlerweile kannte er den Weg durch die verwinkelten Gänge des Gebäudes selbst im Dunkeln, ohne Gefahr zu laufen, in eines der gewaltigen Spinnennetze zu geraten, die überall die Wege überspannten. Die Räumlichkeiten, in denen sich die Nichtsesshaften eingenistet hatten, lagen in einem völlig anderen Teil des Geländes. Das Gebäude, in dem Dirk sich aufhielt, war denen zu verkommen und unheimlich. Die wildesten Gerüchte kursierten über dieses schmutzige und geheimnisvolle Gemäuer. Ihm gefiel zwar die Umgebung auch nicht, doch war er dankbar für den Umstand, dass ihn hier niemand störte. Schnell lernte er, wo er Pfandflaschen einsammeln konnte, die er dann gegen billige Lebensmittel eintauschte. Selbst an den Containern, in denen abgelaufenes Obst und Gemüse entsorgt wurde, kämpfte er mit anderen Bedürftigen um die besten Stücke. Ein dichter Bart und der Staub der Fabrikhalle sorgten dafür, dass ihn nach wenigen Tagen selbst seine Mutter nicht mehr erkannt hätte.

Allerdings erhielt seine Unterkunft nach relativ kurzer Zeit eine für seine Verhältnisse gemütliche Atmosphäre. Der alte Plüschsessel erlaubte Aufenthalte in sitzender Position. Ein leuchtendrotes Laken überdeckte die beiden tiefen Risse im Polster. Aus dem Nebengebäude besorgte er sich diverse Stahlregale, die in grauer Vorzeit wohl einmal zu einem Materiallager gehörten. Sie beherbergten jetzt die Reichtümer, die sich Dirk Rasper zusammenstahl. Selbst ein zerlöcherter Orientteppich sorgte dafür, dass die von unten kommende Kälte erst verzögert seine Füße erreichte. In dem Nebenraum, der durch eine stabile Tür abgeteilt worden war, entstand ein separater Bereich, der mit viel Fantasie die Optik einer Schlafkammer erreichte, wenn man von dem verschimmelten Putz und flinken Kakerlaken einmal absah. Das Unglaubliche geschah. Er gewöhnte sich an diese Umgebung und gewann der vermeintlichen Freiheit auf Zeit das Positive ab.

Er konnte selbst entscheiden, was er wann und wo tat – eine Eigenständigkeit, die er jahrelang vermisst hatte. Er war sich darüber im Klaren, dass auch diese Ungezwungenheit sehr eingeschränkt war, doch sie war immerhin spürbar – und nur das zählte im Augenblick. Der Überlebenswille war wieder in ihm geweckt und die nähere Zukunft in seinem Kopf bereits geplant. Darin sollten Beate und Leonie wieder eine besondere Rolle einnehmen. Die Entscheidung darüber nahm er ihnen ab.

Details

Seiten
ISBN (ePUB)
9783752123906
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2020 (November)
Schlagworte
Rache Ausbruch Justizurteil Mörder Gefängnis Krimi Ermittler

Autor

  • H.C. Scherf (Autor:in)

Der Autor begann nach Eintritt in den Ruhestand mit dem Schreiben von spannenden Romanen unter seinem Klarnamen Harald Schmidt. Da dieser durch TV bekannte Name falsche Erwartungen beim Leser weckte, übernahm er das Pseudonym H.C. Scherf zum Schreiben etlicher Thriller-Reihen.