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Unsere Träume warten hinter dem Horizont

von Marc de Sarno (Autor:in)
302 Seiten

Zusammenfassung

Tom und Jessica, zwei Jugendliche die vom Leben gezeichnet sind, begegnen sich auf einem Jahrmarkt. Nach einem gemeinsamen Sommer suchen sie sich einen Job und ein bürgerliches Leben. Ihr Traum ist, mit den Pferden quer durch Europa zu reiten. Frei und ungebunden wie die Nomaden, ein Leben nur für den nächsten Tag. »Wir reiten nach Westen, bis wir ans Meer kommen, und dann nach Süden, bis wir dort das Meer sehen.« Aber das Leben hat seine eigenen Spielregeln und nimmt auf niemanden Rücksicht. Nicht auf Gute, nicht auf Böse, nicht auf Alte, nicht auf Junge, und Jessica erkrankt an Krebs ...

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


 

 

Marc de Sarno

 

 

 

Unsere Träume warten hinter dem Horizont

 

 

 

Roman

 

Impressum

Texte: © Copyright by Marc de Sarno

Umschlag: © Copyright by Marc de Sarno

Lektorat: Fredy Daxboeck

Verlag: Marc de Sarno, 2070 Retz

marc.de.sarno@gmail.com

www.marc-de-sarno.info

 

ISBN: 979-8-623-59728-1

 

 

Das Gesamtwerk, inklusive seiner Daten und aller Teile, ist urheberrechtlich geschützt.

Jede Verwertung ohne Zustimmung des Verlages und des Autors ist unzulässig. Dies gilt

insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung,

Verbreitung, die Einspeicherung in elektronische Systeme und öffentliche

Zugänglichmachung.

Tom und Jessica, zwei Jugendliche die vom Leben gezeichnet sind, begegnen sich auf einem Jahrmarkt. Nach einem gemeinsamen Sommer suchen sie sich einen Job und ein bürgerliches Leben.

Ihr Traum ist, mit den Pferden quer durch Europa zu reiten. Frei und ungebunden wie die Nomaden, ein Leben nur für den nächsten Tag.

»Wir reiten nach Westen, bis wir ans Meer kommen, und dann nach Süden, bis wir dort das Meer sehen.«

Aber das Leben hat seine eigenen Spielregeln und nimmt auf niemanden Rücksicht.

Nicht auf Gute, nicht auf Böse, nicht auf Alte, nicht auf Junge, und Jessica erkrankt an Krebs ...

 

Jänner 2020

Veröffentlicht im E-Book Verlag,

Retz, Jänner 2020

 

Covergestaltung: Marc de Sarno

 

Dieses E-Book ist auch als Taschenbuch erhältlich

 

Die Handlung dieses Buches ist frei erzählt. Etwaige Ähnlichkeiten mit tatsächlichen Begebenheiten sind meinen persönlichen Erfahrungen und Erlebnissen geschuldet.

Etwaige Ähnlichkeiten mit tatsächlichen Personen sind zufällig und nicht beabsichtigt.

 

marc.de.sarno@gmail.com

www.marc-de-sarno.info

Für Lukas

 

Manche Geschichten quälen den Schreiber

und er erzählt sie, um sie los zu werden

Manche Geschichten berühren den Schreiber

und er erzählt sie, um sich mit ihnen auseinander zu setzen

aber manche Geschichten wollen einfach in die Freiheit entlassen werden

Frühlingsreigen

 

Apfelblütenregen tanzend im Frühlingswind

legt sich sanft auf die alte Bank

bringt Grüße von drüben

wo vorwitzige Narzissen verblühen

 

Über ihr das zwinkernde Licht der Sterne

geduldig in ihrer Unendlichkeit

lauscht sie dem Atmen der Zeit

die Rosen schlafen dem Sommer entgegen

 

Im schimmernden Licht des Mondes

spürt sie die Eule

lautlos schwebend

auf der Jagd

 

Gedanken in ferne Träume gesponnen

sitze ich unter dem Nussbaum

mit der Freiheit

dem Flüstern des Windes zu folgen

©Marc de Sarno

Prolog

 

Herbst 1966

 

 

Das Letzte, an das er sich erinnern konnte, waren die Schritte. Sie hallten auf dem gekachelten Boden in den hohen Räumen wider, wurden zurückgeworfen von den kahlen Wänden und prallten an der Gruppe ab, die durch die Eingangshalle ging. An ihren steinernen Mienen und den langen Mänteln, die sie trugen, auch die Frau in der Mitte, mit dem Jungen an der Hand. Das Klacken ihrer Schuhe dröhnte in Tommys Ohren und seine Augen gingen hierhin und dahin, staunend über die Größe des Hauses. Es war riesig und alles hier drin hoch, die Türen, die Fenster, sogar die Tische und Stühle, die an den Wänden aufgereiht waren. Ein Haus für Riesen aus der Sicht des Fünfjährigen, der tapfer mittrippelte, mehr ein Laufen als Gehen, um mithalten zu können. Sie liefen eine Treppe mit flachen, ausgetretenen Stufen nach oben in den ersten Stock, bogen um mehrere Ecken und blieben abrupt stehen. Tommy hatte nicht aufgepasst und lief zwei Schritte weiter, dem Mann vor ihm in den Mantel und für einen Augenblick war nur der weiche Stoff um ihn, der ihn am Atmen hinderte, bevor ihn die Frau nach hinten zog. Mit einem kräftigen Ruck, der ihn beinahe zu Sturz brachte.

»Pass doch auf«, zischte sie und ruckte noch einmal an seiner Hand, obwohl er schon stillstand. Er sah sie erschrocken an und vermisste mit einem Mal seinen Hund. Ein braun-schwarzes schmieriges Stoffbündel mit abgenutztem Fell, das aussah wie ein räudiger Wolf mit Knopfaugen, ein Ohr zur Hälfte abgerissen und der Schwanz ein Stummel. Sie hatten ihm seinen Freund genommen, ihn in diese steife Hose und das kratzige Hemd gesteckt, die drückenden Schuhe übergezogen und hierhergebracht. Und geredet dabei, zu zweit oder zu dritt und er hatte nichts davon verstanden, weil ihre Sprache irgendwann zu einem einzigen, verrückten Sprachwirrwarr geworden war. Alles, was er mitbekam, war ein neues Zuhause, und dass er mitkommen musste. Warum auch immer? Und jetzt redeten sie wieder, in kurzen, knappen Sätzen, von Regeln, die zu beachten waren und Regeln, die Gesetz waren. Alles Dinge, die Tommy nicht begriff. Die Frau klopfte an die Tür vor ihnen. Ein hohles Geräusch im kalten Flur, dann traten sie ein, und für Tommy begann ein neues Leben in einem neuen Zuhause.

Drei Jahre später fand ihn eine Polizeistreife, als er auf den Gleisen der Eisenbahn Richtung Westen marschierte. Er war seit fünf Stunden unterwegs und zu erschöpft, um davonzulaufen.

»Du bist fünfzehn Kilometer auf den Gleisen gelaufen«, sagte der Polizist und schüttelte den Kopf. »Hier fahren Dutzende Züge. Was denkst du, wäre passiert, wenn dich einer überfahren hätte?«

»Ich habe aufgepasst und bin jedes Mal rechtzeitig zur Seite gesprungen«, erwiderte Tommy trotzig.

»Du hättest tot sein können«, murmelte der Polizist. »Ein Lokführer hat uns angerufen, sonst hätten wir dich nicht gefunden.«

Zwei Jahre darauf fanden sie Tommy nach dreitägiger Suche in einem Keller eines Neubaus, hungrig, durstig, müde.

»Tommy, du kannst nicht immer davonlaufen. Du läufst aus dem Kinderheim davon und du läufst von deinen Pflegeeltern weg. Sie haben gesagt, das Spiel geht seit Jahren mit dir. Das muss ein Ende haben. Du kannst nicht jedes Frühjahr abhauen. Es gibt niemand mehr, der dich haben will, verstehst du das?«, sagte die junge Frau vom Jugendamt, die ihn dort herausholte. »Du musst das sein lassen. Sie sperren dich irgendwann so lange ein, bis du vergisst, wie die Sonne aussieht.«

»Das macht nichts«, erwiderte der Junge mit zusammengepressten Lippen. »Ich werde wieder davonlaufen. So lange können sie mich nicht in den Keller sperren. Bei der nächsten Gelegenheit bin ich wieder weg.«

Ungläubig sah die Frau den Jungen an. Drei Monate danach stand er mit ihr vor der Tür eines großen Bauernhofes. Bleich, hohlwangig, dünn.

»Das ist also der junge Mann«, sagte die Frau und stellte eine Tasche mit Tommys wenigen Habseligkeiten ab. Sie begrüßte die Hausfrau des Hofes, schob den Jungen nach vor und drückte ihm die Tasche in die Hand.

»Das ist dein neues Zuhause«, sagte sie und lächelte.

»Guten Tag, Tommy«, begrüßte die Hausfrau den Jungen. »Wir können einen wie dich gut gebrauchen.« Und im Hineingehen beugte sie sich zu ihm und flüsterte ihm ihre erste Regel zu.

»Du wirst fleißig arbeiten bei uns, dann vergehen dir auch die Flausen, die in deinem Kopf herumschwirren.«

 

eins

 

Sommer 1975

 

So bleibt mir nur dem Flüstern des Windes zu lauschen,

und seinen Geschichten von Freiheit, Sehnsucht und unendlicher Weite,

die er sah, auf seinem Weg zu mir.

 

 

Die Luft lastete über dem Land wie eine Glocke aus Dunst und Abgasen und ließ die Sonne als fahle Scheibe am Himmel hängen. Eine leichte Brise trug eine Staubfahne über die trockenen, strohgelben Halme der abgemähten Wiese, an deren Rand ein mittelgroßer Jugendlicher saß. Das ausgebleichte Shirt war fleckig vom Schweiß, die ausgefransten Jeans zu lange, aber sauber. Er mochte fünfzehn, sechzehn Jahre sein. Mit kurzgeschnittenem Haar, so kurz, wie man sie von amerikanischen Soldaten kannte. Suchend blickte er sich um und ließ seine Blicke an den Ufern des schmalen Flusses, der sich träge durch die flache Landschaft wälzte, die Böschung entlangwandern. Zunächst in die eine Richtung, dann in die andere. Niemand war zu sehen, das Land lag wie ausgestorben vor ihm. Nur das hundertfache Zirpen von Grillen war zu hören, untermalt vom leisen Murmeln des Flusses. In der Ferne flimmerte die Luft über einer Siedlung, verstreute Häuser am Rande der Stadt. Er riss den Blick los, rutschte den Abhang nach unten, streifte Jeans und Shirt ab und stieg nackt ins Wasser. Und im Untertauchen holte er Luft, ein letztes Atmen, bevor er verschwand. Ein nackter Fisch, der erst flussabwärts bei der nächsten Biegung den Kopf über Wasser hielt und Mensch wurde damit. Er schwamm ans gegenüberliegende Ufer, kletterte hinaus und hielt Ausschau nach anderen Menschen.

Still und leer lag das Land vor ihm. Er war allein. Mit zusammengekniffenen Lippen ging er das Ufer entlang, richtete sein Augenmerk auf den Fluss und sprang an einer tiefen Stelle kopfüber hinein. Tauchte mit kräftigen Tempi bis an den felsigen Grund. Tastete unter die großen Steine, die im Schatten der Bäume unter ihm lagen, ging tiefer und griff wieder hinein, um endlich aufzutauchen. Leise, als hätte er nur kurz den Kopf unter Wasser gesteckt, atmete er aus und ein, bis sich seine Lungen beruhigt hatten. Nach einem suchenden Blick über Wasser und die Ufer entlang, schwamm er gemächlich an den Rand des Flusses, wie ein Schwimmer der Abkühlung suchte. Er stieg aus dem Wasser und trat zwischen die Weiden, die das Ufer säumten. Tötete mit einem schnellen Schlag auf einen scharfkantigen Stein den Fisch, den er in der Hand verborgen hatte, und steckte ihn in einen Beutel. Vorsichtig in die Runde blickend, wandte er sich dem Ufer zu, legte den Beutel wieder ins Wasser und deckte ihn mit einem flachen Stein ab. Dann sprang er ein weiteres Mal in den Fluss.

Später, in der Abenddämmerung bevor der Mond aufging, wanderte der Junge den Weg entlang in Richtung Stadt. Er hatte sein Lager in einem Wäldchen nahe der letzten Siedlung aufgeschlagen. Dort hängte er die Tasche mit den gefangenen Forellen in einen Baum, räumte die Äste, die seine Feuerstelle tarnte, weg und schichtete trockenes Reisig auf. Dann ging er und schnitt frische Zweige mit dichtem Laub, um sein Feuer vor neugierigen Blicken zu schützen. Er hielt es klein, rauchlos und briet die Fische und Kartoffel in der Glut. Nach dem Essen, einen Teil hatte er weggelegt für ein Frühstück, setzte er sich an den Rand des Waldes und sah in den Himmel über ihm. Millionen von Sternen flackerten dort droben wie die Lagerfeuer einer anderen Welt. Er lauschte den Geräuschen der Nacht. Dem trockenen Bellen eines Fuchses, dem Knacken eines Zweiges und dem Murmeln des Flusses, der sich in einiger Entfernung Richtung Osten wälzte, sein Wasser schwarz wie Atlasseide. Erst zu vorgerückter Stunde, wenn der Mond sich zeigte, und in tausend kleinen Wellen widerspiegelte, würde es glitzernd schimmern. Wie ein helles Band, das sich durch die Landschaft zog. Er zupfte einen Grashalm ab und begann darauf herumzukauen. Die Nacht sah ihn noch lange sitzen, still, mit dem verträumten Ausdruck im Gesicht von Menschen, die in sich ruhen und ihre Seele wandern lassen.

 

*

 

»Draußen vor der Stadt, im Süden treibt sich ein junger Kerl herum. Ich dachte, er hat ein Lagerfeuer beim Fluss, aber als ich näherkam, war er nicht aufzufinden. Auch keine Feuerstelle. Vor zwei Tagen habe ich ihn wiedergesehen. Ich bin sofort in den Wagen und habe ihn gesucht. Nichts. Er ist wie ein Geist. Ich habe zwar Rauch gerochen, aber nichts gefunden. Na, zumindest weiß ich jetzt, wo er sich herumtreibt.« Der stämmige, etwa vierzigjährige Mann mit dunklem Schnauzbart und Koteletten, schob sein Bierglas hin und her, bevor er es in langen Zügen austrank.

»Hinter der Gartensiedlung! Ich habe davon gehört«, antwortete sein Gegenüber und blinzelte in den Rauch seiner Zigarette. »Er ist in der Stadt gesehen worden. Ein Vagabund. Wäre es ein Zigeuner, wäre er nicht allein, die kommen in Gruppen.« Er schnaubte verächtlich und fügte ein fragendes »Was will der bloß dort draußen?« hinzu.

»Aus der Stadt ist er nicht«, brummte der Stämmige. »Hier kennt jeder den anderen. Und wenn die Leute über ihn reden, wüssten sie einen Namen.«

»Stimmt auch wieder«, nickte ein dritter Mann. Sie saßen im Gastgarten ihres Lieblingswirten unter uralten Kastanienbäumen und ließen den Tag bei einem Glas Bier ausklingen. Zwei der drei Männer waren Jäger, gekleidet in dunkelgrüne Hosen, laubgrüne Hemden und festem Schuhwerk, trotz der Hitze, die am Abend anhielt. Der Dritte war ein Polizist außer Dienst, noch in Uniform.

»Gestohlen wurde bis jetzt nichts, aber die Leute werden nervös, wenn sich jemand herumtreibt, den niemand kennt. Man weiß nie, was denen einfällt«, sagte er und ließ den Blick über die Tische ringsum schweifen. Außer ihrem Tisch waren von dem guten Dutzend, die lose verstreut standen, nur drei besetzt.

»Ich könnte dort vorbeikommen, wenn ich Streife fahre, dann weiß er zumindest, dass wir auf ihn aufmerksam sind.«

»Gute Idee«, murmelte der Stämmige und drehte das Glas zwischen klobigen Fingern. »Aber ich habe eine bessere.« Er senkte den Kopf und seine Stimme ging in ein Flüstern über, ein Wechsel zum Verborgenen, dort wo es an die Grenze zum Erlaubten ging.

»Wir kreisen ihn am Wochenende ein, holen ihn aus seiner Deckung und befragen ihn.« Sein grüner Kollege grinste mit strahlenden Augen und zog an der Zigarette. Die Idee gefiel ihm. Eine Jagd in der Schonzeit, hieß Abwechslung vom Alltag. Der Polizist neigte den Kopf und runzelte die Stirn.

»Ich weiß nicht«, meinte er, wurde aber sofort von dem Stämmigen unterbrochen.

»Wir wollen ihn nicht erschießen.« Er lehnte sich zurück, sah in die Runde und suchte Beistand. »Nur befragen.«

»Abgemacht!«, sagte der Polizist und klopfte mit der flachen Hand auf den Tisch. Ein Zeichen für den Wirt, drei Bier für seine Gäste zu bringen. »Aber ich bin dabei. Damit das Ganze amtlich ist und nicht aus dem Ruder läuft.« Sie tüftelten bis Mitternacht an ihrem Plan, der zu fortgeschrittener Stunde immer umfangreicher wurde, und sie nach der fünften Runde Bier überzeugt waren, eine Räuberbande zur Strecke zu bringen.

Sie verabredeten sich für Freitag, eine Stunde vor Sonnenuntergang. Treffpunkt Gartensiedlung. Jeder sollte zwei oder drei Freunde mitbringen, und für später reservierten sie den halben Gastgarten, um ihren Einsatz zu besprechen.

 

*

 

Am nächsten Morgen schlug der Junge die Augen auf und war mit einem Schlag hellwach. Die Sonne stand eine Handbreit über dem Horizont und heizte die Luft im Dickicht auf, in der er seine Schlafstatt eingerichtet hatte. Ein fremdes Geräusch hatte ihn geweckt. Ein seltsames Dröhnen, das nicht hierhergehörte, dass er nicht kannte. Wie erstarrt lag er unter der Decke und rührte sich nicht, lauschte dem Laut, der ihn aus dem Schlaf geholt hatte, und versuchte sich zu orientieren.

Von der Stadt hallte das Brummen von schweren Motoren und Rufen herüber, also nicht in unmittelbarer Nähe und keine Gefahr. Er schlüpfte unter der Decke hervor und aus seinem Versteck heraus, das aus einer grünen Plane über einer Mulde bestand, die er mit Ästen und Laub bedeckt hatte, um unsichtbar und trocken zu schlafen. Sah sich um und schlich bis an den Rand des Wäldchens. Vorsichtig achtete er darauf, ob andere Menschen in der Nähe wären. Der Platz davor war leer und am Fluss konnte er niemand zu sehen. Dafür standen auf der Wiese neben der Siedlung, auf der er vor ein paar Tagen Kinder Fußball spielen gesehen hatte, drei riesige Lastwagen in einem Halbkreis und ein Vierter fuhr eben vor. Zwei Männer liefen herum und gaben lautstark Anweisungen. Der Wind trug ihre Befehle bis zu ihm und darüber hinaus. Er beobachtete sie eine Weile und ging dann zurück in den Wald.

Im Laufe des Tages rollten große Wagen mit Wohnwagen an, die den Kreis schlossen. Der Junge sah ihnen vom Fluss aus zu, wie sie sich einrichteten. In den Nachmittagsstunden kamen die Kinder und Jugendlichen aus der Stadt, um das Spektakel aus der Nähe zu sehen. Auf Fahrrädern und Mopeds trafen sie ein, umkreisten die Wagenburg, sammelten sich zu Gruppen und stromerten herum. Leise klang Musik in fremden Tönen zwischen den Wagen und doch lag etwas Stilles über all dem. Ein Abwarten oder Warten auf Größeres.

Der Junge ging hinunter zum Wasser, schwamm und tauchte, legte sich in die Wiese, in die Sonne und gegen Nachmittag wusch er die wenige Kleidung, die er besaß. Zwei Jeans, ein paar Shirts und Socken und hing alles zum Trocknen auf die Weiden.

Am nächsten Morgen packte er die Sachen in einen alten grauen Seesack und verwischte sorgfältig alle Spuren im Wäldchen. Er vergrub die Zweige in der Mulde und ging zu der Wagenburg, als würde er dort erwartet. Er nahm den Weg neben dem Fluss, ein Wanderer, der auf die Stadt zuging, bog vor der Siedlung ab, umrundete die Häuser querfeldein und wandte sich den Wagen zu. Sie waren bemalt in schreiend bunten Farben und Bildern vom Jahrmarkt mit fröhlichen Menschen. Das gefiel ihm. Er ging dazwischen durch und fand sich auf einem weiten Platz. In der Mitte stand ein Anhänger und davor Stapel von Metallplatten, Gerüsten und Kisten mit allerlei Kabeln und bunten Glühbirnen. Es mussten Tausende sein. Ein bulliger Kerl mit glattrasiertem Kopf und einem goldenen Ohrring, wie ihn Piraten in alten Filmen trugen, kam über den Platz, verharrte einen Augenblick und trat ihm entgegen. Auf dem rechten Unterarm hatte er einen Totenschädel und am linken zwei gekreuzte Schwerter tätowiert. Im Mundwinkel hing ein glimmender Zigarettenstummel. Der Bulle blieb vor ihm stehen und starrte ihn finster an.

»Guten Morgen«, sagte der Junge.

»Das wird sich zeigen«, antwortete der Bulle schroff.

»Ich bin Tom«, fuhr der Junge fort und erwiderte ruhig den Blick. »Ich suche einen Job.«

»Woher und wohin«, knurrte der Mann und betrachtete Tom, wie man ein Pferd begutachtet, das einem unvermittelt angeboten wird und man nicht weiß, was man mit dem Gaul anfangen soll.

»Aus einer anderen Stadt und weg, wenn ich den Job nicht bekomme.«

»Wie viel?«

»Zu essen und trinken, ein Dach über dem Kopf und so viel Geld, wie die anderen bekommen.«

»Ich bin Black Jack«, sagte der Bulle und seine Stimme klang so finster wie seine Augen. »Nenn mich Jakob und du bist tot. Ich bin der Boss hier und mein Wort ist Gesetz.« Er ließ seinen Blick über Tom wandern, der unwillkürlich die Muskeln anspannte.

»Geh zu Steve, er ist bei den Autoscootern, er zeigt dir, worum es geht. Wenn du mithalten kannst, bist du dabei und ich stelle keine Fragen. Wenn du schlapp machst, verschwinde, bevor ich dich in die Finger bekomme.« Er drehte sich um, rief ein dröhnendes »Steve!« und verschwand in einem der Wohnwägen, ohne den Jungen weiter zu beachten.

Tom hob den Kopf und ging zu dem Anhänger in der Mitte des Platzes, wo ein hagerer Mann in zerknitterter Kleidung zwischen den Stapeln mit den Gerüsten hervorgetreten war und die beiden beobachtet hatte.

»Du kannst den Seesack beim Wagen abstellen«, zeigte er mit dem Kopf auf einen Wohnwagen und wischte seine Finger mit einem Lappen ab, der so schmutzig war, dass sich Tom fragte, was er in den Händen gehalten hatte.

»Schön, wenn ich Hilfe bekomme. Bis heute Abend müssen die Dinger laufen und wir sind spät dran.«

Tom packte an, ohne zu reden und machte stumm jede Arbeit, als wüsste er, was zu tun war. Sie waren zu viert. Carlos, ein großer untersetzter Kerl, der die Statur des Black Jack hatte, wenn auch nicht so finster, wie er, und Emilio, ein mittelgroßer, sehniger Italiener, arbeiteten Hand in Hand und geben das Tempo vor, das Tom nur mit Mühe halten konnte.

Steve war überall gleichzeitig, und das Gerüst schnell aufgebaut und gesichert. Er überwachte den Aufbau, packte an, wo er gebraucht wurde, zog Schrauben nach und schloss den Strom an. Danach mussten sie schwere Metallplatten verlegen. Erst außen die Treppen entlang und dann innen. Steve turnte im Dach herum, kletterte an den Stützen auf und ab und war im nächsten Moment unter dem Aufbau verschwunden. Tom und Emilio legten die letzten Platten, die an einer Seite eingehängt wurden und krachend in die Halterung fielen, als Steve den Kopf aus dem Boden hochstreckte. Tom konnte die Platte im letzten Augenblick auffangen, bevor sie Steve auf den Kopf knallte. Er hievte sie hoch und Steve sprang heraus, murrte böse und sah wild um sich, aber Emilio, der das schwere Metall fallen lassen hatte, ignorierte ihn mit einem Schulterzucken.

»Scheiße, was sollte das?«, blaffte Steve ihn an und hielt drohend einen großen Schraubenschlüssel hoch, aber Emilio hob beschwichtigend die Arme.

»Nix passiert, Boss. Ist okay. Der Tommy hier ist schnell. Hat seine Sache gut gemacht.« Er klopfte dem Jungen auf die Schulter und schob ihn mit dem Rücken vor Steve. Ein Schutzschild gegen den Zorn des anderen, die Worte ruhiger als das südländische Temperament vermuten ließe, wie Tom in seinen Augen sehen konnte. Er wollte ausweichen, um nicht als Puffer zwischen die beiden zu kommen und den anderen im Auge behalten, sollten sie ihren Ärger mit den Fäusten klären. Aber im nächsten Augenblick war ein Krawall wie ein donnerndes Gewitter, die Köpfe fuhren herum und Steve und Emilio lachten erleichtert.

Big Mama rief zu Tisch. Die alte Frau stand auf der anderen Seite des Platzes, klein und knochig mit faltigem Gesicht aus der eine spitze Nase stach. In den Händen hielt sie einen riesigen Deckel, wie einen römischen Rundschild und einen Kochlöffel, den sie darauf tanzen ließ. Ein Aufruhr, der allen sonstigen Lärm übertönte. Sie trug ein bodenlanges, buntgemustertes Kleid. Ein rotes Kopftuch, das die langen grauen Haare in ihrer Fülle nur mäßig bändigte und jede Menge Halsketten und Armbänder, die sie allein vom Gewicht her zu Boden ziehen müssten. In ihrem Mundwinkel hing eine filterlose Zigarette, die sich keinen Deut bewegte, als sie nach ihnen rief.

»Kommt endlich Essen fass´n, ihr Rabauken, oder soll ich´s den Hunden vorwerfen, weil´s euch zu schlecht is´, he?«, drohte sie mit erhobener Faust und ging zu einem Wohnwagen, vor dem Bänke standen und ein langer Tisch mit dampfenden Schüsseln, Teller und Gebäck darauf, für ein gutes Dutzend hungriger Mäuler.

»Sei nett zu Big Mama und unterschätze sie nicht, sie ist eine Hexe! Vor ihr hat sogar Black Jack Respekt. Sie ist uralt, keiner weiß wie viele Jahre, aber sicher hundert«, zischte Emilio in Toms Ohr, dann liefen sie los und setzten sich. Tom zögerte einen Moment und plötzlich stand die alte Frau vor ihm. Sie beäugte ihn misstrauisch, sah ihn an, mit einem Blick, der Eis zum Schmelzen brachte und Tom hatte das Gefühl, dass nichts vor ihr verborgen blieb.

Sie sah direkt in sein Herz hinein.

Verlegen schlug er die Augen nieder und wartete auf eine ruppige Frage oder dass sie ihn des Tisches verwies, weil er dort nichts zu suchen hatte. Schließlich gehörte er nicht zur Familie. Er war nur ein Streuner, den sie aufgenommen hatten, damit er ihren Job machte.

»Niemand entkommt seinem Schicksal - da bist du also«, sagte sie mit leiser Stimme, die zum Zuhören zwang und Tom nickte, als wüsste er, wovon sie sprach. Die Alte war ihm unheimlich. Er hielt den Atem an. Ein Verharren, um sich gegen Worte zu schützen. Schläge waren leichter zu ertragen.

»Setz dich«, sagte sie und füllte einen Teller mit einem Eintopf aus Fleisch, Gemüse und Kartoffel. Black Jack, zwei weitere Männer und vier Frauen waren gekommen und hatten ebenfalls Platz genommen. Sie alle sahen Tom an, den die Alte als Einzigen bediente, bis sie einen stummen Blick in die Runde warf und sie den Kopf senkten und zu essen begannen. Die Männer still, während die Frauen sich leise unterhielten. Tom sah unauffällig in die Runde und bemerkte im Hintergrund ein Mädchen, das ihn beobachtete. Ihr Gesicht war mit hellbraunen Sommersprossen übersät, die dunkelbraunen Haare fielen in dichten Locken auf ihre Schultern. Mit verschränkten Armen stand sie an das hintere Ende des Wohnwagens gelehnt und rauchte. Ließ in lässiger Ruhe den Rauch aus dem Mund fließen und zog ihn durch die Nase hoch, ein Bild, das sich bei Tom in die Iris brannte, wie das Verglühen eines Feuerwerkskörpers. Ihre Augen waren verdeckt von den Haaren, die sie mit einer Handbewegung zur Seite wischte und ihren Kopf abwandte. Die Augen jetzt geschlossen, so dass ihre Farbe nur zu erahnen war. Und bevor er in die Richtung sehen konnte, die sie vorgab, spürte er den Blick der Alten auf dem Gesicht.

Niemand entkommt seinem Schicksal, hatte sie gesagt, und Tom versuchte die Gedanken abzuschirmen, vor der Frau zu verbergen, wie eine Entstellung, von der sie nichts wissen durfte. Ein Versuch ihr zu trotzen, obwohl er wusste, dass sie stärker war als er. In gezwungener Ruhe aß er Löffel für Löffel vom Eintopf, bis er merkte, dass sie von ihm abließ. Und danach ein Aufatmen, wie das Luftholen nach einem langen Tauchgang.

Bis zum späten Nachmittag arbeiteten sie und so gegen fünf stand der Autoscooter. Die Männer drehten mit jedem Wagen eine Runde und stellten sie in zwei langen Reihen ab. Tom half beim Kettenkarussell aus, weil er nicht herumstehen wollte und zusehen, wie sie zu Kindern wurden, und er nicht teilhaben konnte an ihren Späßen, ohne zu bitten. Also packte er wortlos mit an, half ihnen die letzten Platten zu verlegen und die Frau, der er die Arbeit abnahm, dankte mit einem Nicken. Mehr als er sonst für sein Tun bekam.

Big Mama saß vor ihrem Wagen und schaukelte in ihrem Stuhl aus Bambus hin und her, so wie man Babys wiegt und Trost findet in der Bewegung. Sie beobachtete Tom mit gerunzelter Stirn. Er warf ihr einen raschen Blick zu, im Aufstehen und Strecken, die Gelenke schmerzten vom ungewohnten Ablauf der Arbeit, und die Alte winkte ihn zu sich.

»Is´ noch ´ne halbe Stunde Zeit, bevor es losgeht. Geh dich waschen, dann gibt´s Abendessen«, grummelte sie, nahm die Zigarette aus dem Mundwinkel, schnippte die Glut weg und ließ den Stummel in den Falten ihres Kleides verschwinden.

»Wenn es eng wird, koche ich für euch, aber denk bloß nich´, dass ich dich versorge. Du bekommst zu essen, weil es abgemacht is´ mit Jakob. Das war´s dann aber, um alles andere kümmer´ dich selbst. Der graue Wohnwagen da, das is´ ab sofort deiner. Der alte Pat is´ vor einem Monat gestorben, hat in´ Strom gegriffen und wurde geröstet. Seitdem steht der Wagen leer und vergammelt. Hat wohl auf dich gewartet.« Tom sah hinüber und nickte.

»Danke.« Er wandte sich ab und wollte gehen, als ihn die Alte zurückrief.

»Was is´n das Ding in deinem Seesack, ´ne abgesägte Schrotflinte?« Die Augen waren auf ihn gerichtet und Tom fühlte sich nackt und schutzlos, wie eine Ameise unter einer Lupe, die von einem Sonnenstrahl gejagt wurde.

»Nein, ein Bogen«, krächzte er, mühsam um Haltung ringend.

»Lass sehen!«

Tom holte den Seesack und gab den Bogen heraus, der zusammen mit einem Dutzend Pfeile in einer erdfarbenen Baumwollhülle unter einem Shirt steckte. Er reichte ihn der alten Frau.

»Hmmh«, summte sie und ihre Augen leuchteten auf. »´n mongolischer Reiterbogen.« Sie nickte und betrachtete das gemaserte Holz, das vom jahrelangen Gebrauch glänzte und die Verarbeitung, die von der Liebe des Erbauers zu seinem Werk erzählte. Tom staunte.

»Die wenigsten Menschen erkennen einen Reiterbogen«, murmelte er anerkennend und die Frau fragte ihn nach dem Zuggewicht.

»Neunzig Pfund«, antwortete der Junge und presste die Lippen aufeinander. »Ein Erbstück.«

»So, so«, machte die Alte und gab ihm den Bogen zurück. Sie musterte Tom und nickte.

»Was triffst n´ auf hundert Meter?«, eine ruhige Frage an ihn. Ihr Blick war auf den Bogen gerichtet.

»Nicht viel, auf siebzig einen Hasen im Lauf, aber darüber hinaus wird es schwierig«, erwiderte er mit leiser werdender Stimme.

»Gut!«, nickte die Alte. »´ne ehrliche Antwort, un´ jetzt geh und komm´ dann essen. Hast es dir verdient.« Und Tom wusste nicht, ob sie seine Arbeit oder die Antwort meinte, verpackte den Bogen und ging zu Pat´s Wohnwagen, öffnete die Tür und zuckte zurück.

Der starrte vor Dreck und es roch nach kaltem Rauch und Verwesung. Argwöhnisch trat er ein. Da drinnen lagen Decken über den Sitzen, schmierig, mit Brandlöchern von verlorenen Zigaretten und verschimmelte Essensreste am Boden und in den Ecken.

»Dass der nicht abgebrannt ist«, murmelte Tom und versuchte möglichst nirgendwo anzustreifen. Er warf einen Blick in die Dusche, die mehr unbenutzt, als sauber aussah, stellte das Wasser an und schnupperte daran. Dann öffnete er das Fenster und ging hinaus, nahm ein Stück Seife und ein Handtuch aus dem Seesack und stellte sich hinter den Wohnwagen. Dort griff er durch das Fenster, holte die Dusche heraus und wusch sich, als wollte er die Blicke der Zigeunerin abreiben.

 

*

 

Die Abenddämmerung brach herein und die Sonne sandte ihre letzten Strahlen über die Wipfel der Bäume, bevor sie hinter einem schmalen Band aus Wolken versank. Am Parkplatz des Wirtshauses trafen nacheinander ein Dutzend Wagen ein, aus denen grüngekleidete Männer stiegen. Sie schulterten ihre Gewehre und ein paar holten Hunde aus vergitterten Boxen im Kofferraum. Zwei Dackel, ein junger Setter, der fröhlich bellend die Kleinen zum Spielen aufforderte und ein großer Vorstehhund liefen herum und begrüßten die Anwesenden. Freundliche Tiere, die für ein gutes Wort Hasen, Füchse und Katzen hetzten, aber Menschen liebten. Aus den Fenstern, hinter denen die Wirtshausküche lag, zog der Geruch von gebratenem Speck und Kartoffeln herüber. Ignoriert von den Männern, die sich mit ernster Miene und verkniffenen Lippen zu drei Gruppen sammelten, in jeder davon ein Wortführer, der die Lage vorab erklärte.

»Alle mal herhören!«, erhob schließlich der Polizist, der in jagdgrün gekleidet war, die Stimme, und die anderen hörten ihm zu.

»Wir suchen den Kerl beim Wald an der Flussbiegung, treiben ihn aus seinem Versteck und befragen ihn nach dem Woher und was er bei uns will.« Sein Blick ging in die Runde und verharrte bei dem einen und anderen.

»Es liegt nichts gegen ihn vor, er hat nichts Unrechtes getan. Also lasst ihn in Ruhe und erschießt ihn bloß nicht.« Die Jäger grinsten verlegen, betrachteten ihre Schuhspitzen und nickten sich zu.

»Sollte er fragen, machen wir eine kleine Treibjagd und er ist uns vor die Flinten gelaufen, hat Glück, dass ihm nichts passiert ist.« Von den fröhlichen Gesichtern reihum inspiriert, hob er das Gewehr und rief.

»Dass zurzeit nur junge Böcke gejagt werden, muss er nicht wissen.« Die Männer lachten befreit und die Hunde liefen aufgeregt herum, die Nasen am Boden. Sie freuten sich auf die kommende Aufgabe und spürten die Anspannung der Gruppe.

»Und nach dem kleinen Spaß, den wir uns gönnen«, hob der Polizist noch einmal die Stimme, um die Freunde zu übertönen. »Setzen wir uns ins Wirtshaus ›Zur Traube‹ auf ein Bier.« Sie zollten ihm Beifall und riefen ihre Zustimmung aus. Dann zogen sie mit dem erwartungsvollen Hoffen los, die eine Jagd begleitet, und gingen querfeldein über trockene Wiesen mit kurzem hartem Gras.

»Es wird Zeit, dass es regnet, der Sommer ist verflucht heiß dieses Jahr«, murrten die Bauern unter ihnen und ernteten Bestätigung von ihresgleichen. Von der östlichen Seite der Siedlung dröhnte der Lärm des Jahrmarkts herüber, die Hitze des Tages lag schwer in der Luft. Erst im Schatten des Waldes wurde es kühler. Eine leichte Brise trug den Geruch nach modrigem Laub und Moos heran.

Sie stellten sich am Rand auf, dort wo sie den Fremden vermuteten. Im Halbkreis, mit halblaut gesprochenen Worten, um den Gesuchten keinesfalls zu warnen und waren doch zu laut, wären wachsame Ohren in der Nähe. Nach Süden hin ließen sie den Kreis geöffnet, zum Fluss und zur Ebene, damit er laufen konnte, und trotzdem nicht entkam, ohne entdeckt zu werden. Das war der Plan. Dann durchkämmten sie den Wald, in einem Abstand, in dem der Gejagte gemütlich zwischen ihnen hinausspaziert wäre. Sie trieben einen jungen Rehbock hoch, während die klügeren Alten versteckt blieben, und einer der Jäger konnte es nicht lassen, hob die Flinte und schoss. Die Kugel ging daneben, sorgte aber für Aufregung über Wochen. Es hätte den Vagabunden treffen können, das wäre zu erklären gewesen, oder einen der Ihren und das wäre schlimm ausgegangen.

Besonders für den Schützen.

Sie liefen zusammen und es gab ein Geschrei und Tumult. Schließlich wusste keiner, woher der Schuss kam und wem er galt.

»Achtung!«, und »In Deckung!«, riefen die einen, und »Gewehr runter! Wer schießt da, ihr Idioten!«, die anderen.

Der Polizist in Zivil fasste sich als Erster und trat dem Jäger entgegen, der mit dem Gewehr im Anschlag dastand, bereit auf alles zu schießen, was vor ihm davonlief.

»Runter mit dem Ding«, herrschte er den Schützen an und der blickte ihn verdattert hinter dicken Brillengläsern an. Betreten senkte er den Lauf.

»Wir reden später darüber.« Der Polizist winkte der Gruppe und befahl ihnen sich aufzuteilen.

»Wir suchen den Fluss ab«, rief er ihnen zu, und sie gingen zum Wasser. Doch auch dort fanden sie niemand. Das kühlte die Gemüter und am Ende stapften sie durch den Wald, mit gesenkten Gewehren und müden Köpfen. Ein Jäger stolperte über einen ausgedörrten Schnürstiefel und hob ihn triumphierend hoch, als Beweis, dass hier einer gewesen war. Die anderen umringten neidisch den glücklichen Finder und sie diskutierten über den Vagabunden, der mit einem Stiefel weiterlaufen musste. Dass das gute Stück seit letztem Herbst hier lag und innen voll mit Erde war, interessierte keinen der Männer. Ihr Jagdinstinkt war wiedererwacht. Zufrieden kehrten sie in die Stadt zurück und gingen ins Wirtshaus, um ihren Streich zu feiern. Der Herumtreiber war vertrieben und die Gefahr gebannt, was wollten sie mehr?

Nur der Polizist vermutete den Jungen beim Jahrmarkt. Sein Verdacht, als sie zurückgingen und der Lärm bis zum Wirtshaus hallte. Der Jahrmarkt zog Jugendliche und Streuner an. Immer schon. Aber das hatte Zeit bis morgen. In der Nacht unter hunderten Menschen hatte er ohnehin keine Möglichkeiten, ihn zu finden.

 

*

 

Jessica stand vor der Schießbude, wischte den Tresen sauber und ließ ihren Blick über den Platz schweifen. Sie beobachtete Tom mit der wachsamen Vorsicht einer Wölfin und der Neugier der Gleichgesinnten. Als er am Morgen über die Wiese kam und Black Jack ihn abfing, wusste sie sofort, woher er kam. Mit dem Instinkt eines Heimkindes erkannte sie, dass sie das gleiche Schicksal teilten. Er war ein Streuner auf der Flucht, den das Leben an diesen Strand gespült hatte. Genau wie sie vor drei Jahren, als sie aus dem Heim davongelaufen und auf der Suche nach einer Bleibe am Jahrmarkt gelandet war.

Vom Regen durchnässt, hungrig und am Ende ihrer Kräfte war sie zu den Buden gegangen, um jemand zu finden, der sie mit nach Hause nehmen würde. Sie hatte nur essen wollen, einen trockenen Platz zum Schlafen gesucht und Ruhe. Dafür hätte sie auch ihren Stolz gegeben. Sie hatte sich zur Schießbude unter das Dach gestellt und gewartet auf einen, der ihr ein Stofftier und eine Mahlzeit anbot. Aber als endlich ein Kerl gefragt hatte, war die Alte mit einem Gewehr in der Hand dazwischengegangen.

»Verschwinde!«, hatte sie ihn angeschnarrt und für sie ein Wink mit dem Kopf. »Komm in´ Wagen, die Tür is´ am hinteren Ende.« Jessica hatte gehorcht, zitternd vor Kälte und Hunger und die Frau hatte heißen Tee mit Rum und ein paar Brötchen hingestellt, als hätte sie das Mädchen erwartet.

»Wusst´ ich´s doch«, hatte sie gemurmelt und sich den Gewehren zugewandt, die geladen auf den Tresen gelegen waren. Damit die jungen Burschen und Mädchen, die trotz des Regens gekommen waren, ihre Schießkünste zeigen konnten.

Von da an blieb Jessica bei Big Mama und half in allen Dingen. War Magd und Tochter, lockte im Sommer das Publikum, lud die Gewehre, kochte, putzte und lauschte im Winter vor dem offenen Kamin den Geschichten, die sie zu erzählen wusste, wie sonst keine.

Tom war am Autoscooter eingesetzt, brachte Wagen zurück, ging dazwischen, wenn sie stockten, und beobachtete das Mädchen unauffällig aus den Augenwinkeln heraus. Sie bewegte sich anmutig und geschmeidig, wie eine große Raubkatze, die sich ihrer Beute nähert, deren sie sich absolut sicher wähnt. In ihrem Lächeln lag eine gespannte Zuversicht. Die Augen strahlten in hellem Grün. Die Nasenflügel bebten. Die Sonne stand genau hinter ihr und tauchte sie in ein unwirklich illuminierendes Licht. Noch nie hatte er ein Mädchen gesehen, das Anmut gepaart mit Energie und Schönheit so sehr miteinander vereinte, wie sie. Für einen winzigen Augenblick hatte Tom das Gefühl, Jessica würde direkt aus der Sonne kommen, und er musste an sich halten, um sie nicht mit weit offenem Mund zu bestaunen.

»Lass die Finger von Jessica! Big Mama hält ihre Hand darüber. Sie würde dich zerquetschen wie eine lästige Wanze«, rief Emilio dem Jungen ins Ohr, um den Lärm der Musik zu übertönen und Tom wandte sich ab.

Jessica konnte die Augen von Big Mama wie eine harte Hand im Rücken spüren. Sie saß auf der linken Seite der Schießbude in ihrem Bambusstuhl und sah alles, was sich am Platz und besonders neben ihr abspielte und beide wussten, was Emilio dem Jungen ins Ohr gebrüllt hatte, als würde er neben ihnen stehen.

Jessica blickte auf, ein Hinübersehen, um mit Blicken zu reden. Der Alten zu erklären, dass nichts war, sie sich nicht sorgen müsste. Er war ein halbwüchsiger Streuner. Einer von vielen, die am Jahrmarkt herumhingen. Er war ein junger Hund und sie die Wölfin, erfahren und ihm überlegen. Sie hatte gelernt, in Gesichtern zu lesen und ums Überleben zu kämpfen. Er nur, wie man um sich schlägt, um sich selbst zu retten. Auch wenn sie in seinem Gesicht schwer lesen konnte, so verriet seine Körpersprache viel mehr, als er ahnte. Sie nahm sich vor, morgen früh mit Big Mama über ihn zu sprechen und die Sache abzuklären, auch für sich selbst.

»Wer ist der beste Schütze von euch?«, rief sie einer Gruppe Jugendlicher zu, die an ihrem Wagen vorbeigingen.

»Macht zweifünfzig für fünf Schuss!« Sie schenkte ihnen ihr schönstes Jahrmarktlächeln und ein paar lächelten zurück, in den Armen die Freundinnen, die sie mit Stofftieren und Papierblumen versöhnen mussten für das Lächeln, das sie ihr geschenkt hatten. Sie stieg in den Wohnwagen, lud die Gewehre, kassierte, verteilte das eine oder andere Plüschherz, einen goldfarbenen Löwen und sah dazwischen nach Tom, den Carlos und Emilio auf Trab hielten. Der Abend lief gut und sie verdiente schönes Geld in dieser kleinen Stadt.

 

Der Lärm, der wie eine große Glocke über dem Platz hing, war unbeschreiblich. Tom, der mehrere Wochen in der Stille gelebt hatte, gewohnt auf das leiseste Geräusch zu achten, war wie betäubt von dem Krach. Sein Kopf dröhnte, als ob er zu lange unter Wasser geblieben wäre und schmerzte, wie er das als kleiner Junge kannte, wenn er für Tage im muffigen Keller eingesperrt war und sie ihn dann in die Sonne gestellt hatten. Auch eine Art Folter, um ihm ihre Überlegenheit zu zeigen, gegen die er rebellierte.

In den frühen Morgenstunden, als nur noch ein paar Betrunkene über den Platz taumelten, stellten sie die Musik ab, und für Momente pochte die Stille in Toms Ohren, die sich wie ein riesiges Loch vor ihm auftat. Lauter als der Lärm zuvor. Er senkte den Kopf und stand einen Augenblick wie betäubt.

»Okay, das war es für heute«, klopfte ihm Carlos auf die Schulter und war weg, bevor Tom reagieren konnte. Er drehte den Kopf und sah ihn im Wohnwagen verschwinden. »Komm, wir sind dran mit aufräumen!« Emilio stieß ihn in die Seite und deutete eine Kopfbewegung an, sein Befehl ihm zu folgen. Sie holten Säcke und stopften sie voll mit dem Müll, den die Besucher zurückgelassen hatten. Ein ruhiger Abschluss der ersten Nacht, während sich im Osten die Sonne für einen weiteren heißen Tag über den Horizont schob und die Morgendämmerung anbrach.

 

*

 

»Guten Morgen, wer hat hier das Sagen?«, wandte sich der hochgewachsene Polizist Stunden später, als auch für die Schausteller das Tagwerk begann, an den bulligen Mann mit dem Ohrring, der an einem Tisch vor dem Wohnwagen saß. Mit geschlossenen Augen hielt er den Kopf in die Sonne, einen herb duftenden Kaffee neben sich. Im Mundwinkel eine halbgerauchte Zigarette.

»Wer will das wissen?«, brummte er, ohne die Augen zu öffnen.

»Wir suchen einen jungen Kerl, der sich seit einer Weile in der Stadt herumtreibt, vielleicht haben sie ihn gesehen?«

»Was hat er denn ausgefressen?«, fragte Black Jack gelangweilt und der Polizist schwieg einen Moment, um ein zögerliches »Das tut nichts zur Sache.« auszusprechen. Seine beiden Kollegen, die hinter ihm standen, sahen betreten zur Seite.

»Verstehe«, murmelte Black Jack und fügte lauter hinzu. »Hier sind gestern sicher Hunderte Burschen herumgelaufen. Keine Ahnung, ob ihr Herumtreiber dabei war. Ich frage sie das nicht.«

»Wir sehen uns um«, sagte der Polizist und ließ einen kühlen Blick über den Platz schweifen, als müsste er Markierungspunkte setzen. Vom Kettenkarussell zum Autoscooter und von der Schießbude zum Piratenschiff, an dem die Augen hängen blieben. Eine riesige Schaukel, an der alles neu war. Sie hatten das Schiff im Winter übernommen und seit dem Frühjahr im Einsatz.

»Nur zu«, erwiderte Black Jack und sah die Polizisten einen nach den anderen aus dunklen Augen an. »Klopfen sie an die Türen, dann wird man ihnen öffnen.« Und tatsächlich wurde jede Tür, an die sie klopften, sofort geöffnet, als hätten sie gewartet, an die Reihe zu kommen. Mürrisch und misstrauisch beäugt wie Steuereintreiber ließ man sie eintreten und umsehen, die Leute waren solche Aktionen gewohnt. Wenn irgendetwas im Dorf passierte oder schief ging, wurden sie als Erste verdächtigt. Nur hinter der Tür von Pat´s Wohnwagen wartete niemand. Hilflos stand der junge Polizist davor und klopfte ein zweites Mal.

»Da is´ keiner drin«, schnarrte eine alte Frau über den Platz. Sie sah aus, wie eine Figur aus dem Bilderbuch der Zigeuner entstiegen und der Mann starrte sie an, mit offenem Mund.

»Der alte Pat is´ vor einem Monat gestorben, hat in´ Strom gegriffen und wurde geröstet.« Sie kam ihm ein paar Schritte entgegen und musterte ihn abfällig. »Wir fahr´n die Kiste nach Haus´, aber sie is´ leer.«

»Dürfen wir trotzdem einen Blick hineinwerfen?«, fragte der Polizist, der seine Überlegenheit wiedergefunden hatte, mit der Genugtuung den Gesuchten gefunden zu haben. Er lächelte nonchalant.

»Is´ offen«, sagte die Alte und wandte sich ab. Sie setzte sich in ihren Bambusschaukelstuhl und stieß ihn an. Ein gelassenes Schaukeln, bei dem sie eine Zigarette anzündete. Das Mädchen auf der Bank daneben griff ihrerseits nach einer Zigarette und lehnte sich zu der Alten um Feuer.

»Du musst hinter die Dinge seh´n«, sagte die Frau und ein seltenes Lächeln huschte über ihr Gesicht. Das Mädchen hob die Brauen, dazwischen ein Fältchen, als Mal ihrer Sorge und die Alte fügte ein »oder unter die Dinge« hinzu und sie sah zu dem Wohnwagen hinüber und erwiderte das Lächeln.

Der Wagen sah unbewohnt aus und der Polizist kam rasch wieder heraus, das Gesicht vor Ekel verzogen. Sie zogen unverrichteter Dinge ab und ließen die Mahnung zurück den Gesuchten zu schicken, falls er auftauchen sollte. Ein paar Minuten darauf kam Black Jack zum Wagen von Big Mama, setzte sich wortlos neben Jessica und legte ein Bein quer über das Knie.

»Die komm´ nich´ wieder«, sagte die Alte. Ihre Ansicht beim Ausdrücken der Zigarette, danach ein Anfall von morgendlichem Husten und der Mann nickte. Für ihn war die Sache erledigt. Er steckte sich eine Zigarette an und lehnte sich mit verschränkten Armen an den Wagen hinter ihm, die Ruhe des frühen Tages genießend, nachdem sie zuvor von den Ordnungshütern gestört worden war.

»Wenn er wiederkommt, soll er das Schiff putzen«, brummte er zehn Minuten später, ein Wort im Aufstehen und sein Blick in dessen Richtung. »Hat gestern einer gekotzt.«

»Kannst ihm selber sagen!«, erwiderte Big Mama und streckte ihr Kinn nach Pat´s Wohnwagen, unter dem eine Gestalt hervorrollte, sich aufrappelte und streckte. Tom sah in die Runde und Black Jack winkte ihn heran. Ein Befehl, dem der Junge mit ruhigen Schritten folgte.

»Die Bullen waren hier. Hast du was ausgefressen, geklaut, jemand kalt gemacht«, fragte Black Jack und sah ihn streng an.

»Nein«, antwortete Tom und dehnte die Silbe, als müsste er sein Gewissen erforschen. Er hielt dem Blick von Black Jack stand und der nickte grimmig.

»Gut, du kannst bleiben! Mach deinen Job und lass dich nicht erwischen, ich kenne dich sonst nicht. Sobald wir hier weg sind, interessiert sich kein Hund mehr für dich.« Tom hob den Kopf und ging, ein Zustimmen in allen Dingen. Und nachher beim Frühstück, nach einer morgendlichen Dusche, die eiskalt ausfiel, keine Fragen und kein Palaver. Big Mama und Jessica unterhielten sich mit Blicken und Gesten, ein stummes Hin und Her bei Brötchen, Schinken, Käse, Eiern und Kaffee für alle. Für Tom ein Beginn des Tages wie im Märchen, in denen sich die Tische bogen, wenn aufgetischt wurde. Er verharrte in einem langen Moment der Verlegenheit, bis Jessica ihn erlöste.

»Greif zu!«, ihr schlichter Befehl und nach einer Gedankenpause die Weitergabe von Black Jacks Anordnung. »Du musst nach dem Frühstück das Schiff putzen, Befehl vom Boss.« Tom nickte und sie erzählte ihm von den Polizisten, die ihn suchten und Tom wusste, dass er zu lange an diesem Ort war.

 

Als Black Jack am nächsten Morgen, kurz, nachdem sie Schluss gemacht hatten, hinter den Wohnwagen trat, um vor dem Schlafen gehen zu pinkeln, sah er im Morgennebel eine Gestalt in Richtung des Flusses gehen. Sie sah aus wie der Streuner und er grunzte abfällig, zog an der Zigarette und schnippte sie dem Jungen wie einen letzten Gruß hinterher. Er ging ins Bett und warf einen Blick aus dem Fenster, aber hinter den grauen Schleiern, die über den Weg waberten, war keine Bewegung mehr zu erkennen. Am Vormittag nach dem Aufstehen, noch im Schlaf gefangen, setzte er Kaffee an und griff in den Kühlschrank, um Schinken, Käse und Butter herauszunehmen. Da lag ein längliches Paket in Zeitungspapier verpackt, das stammte nicht von ihm und sonst hatte seit gestern Abend niemand den Wohnwagen betreten. Nachdenklich sah er in den Kühlschrank, schlug das Papier auf und betrachtete ungläubig die große Forelle, die darin eingeschlagen war. Der Fisch war frisch. Er konnte den Fluss riechen. Der war keine zwei Stunden aus dem Wasser.

Deswegen war der Junge weggegangen. Er fragte sich nur, wie es ihm gelungen war in den Wagen zu kommen, ohne ihn zu wecken. In einem Wohnwagen spürt man jede Bewegung, hört jeden Laut. Nichts bleibt verborgen.

Er begutachtete den Fisch in seiner Hand, schnupperte daran und freute sich plötzlich auf das Mittagessen. Ein fröhliches Strahlen erhellte sein Gesicht und ihn überkam eine beinahe kindliche Freude wegen des Geschenks. Denn als solches sah er es. Er hasste Geschenke, weil er niemand etwas schuldig sein wollte, und hätte Tom es persönlich übergeben, hätte er mürrisch darauf reagiert, vielleicht auch nicht angenommen. So aber konnte er es nehmen, daran riechen, schon den Duft des Gebratenen in der Nase und das Wasser lief ihm im Mund zusammen. Es war lange her, die letzte Forelle. Da kamen Kindheitserinnerungen hoch. Seit Jahren vergessene Bilder. Wie sie mit Weidenruten, einer Schnur, am Ende ein gebogener Nagel und als Köder eine Brotkugel am Fluss beim Angeln saßen. Über Stunden. Seine Freunde und er, ohne irgendwann einen Fisch zu fangen. Mit dem Speer ging es besser. Er war schnell und hatte ein gutes Auge, aber der Fisch dann halb zerfetzt. Tom musste das Tier mit der Hand gefangen haben. Der griesgrämige Jack wickelte die Forelle vorsichtig ein und setzte sich gut gelaunt wie ein kleiner Junge zum Frühstück, und hätte ihn einer seiner Freunde gesehen, er wäre staunend stehen geblieben. Wer hatte Black Jack jemals lächeln gesehen?

 

Zum Mittagessen saßen Big Mama, Tom und das Mädchen bei Tisch, es gab auch bei ihnen frische Forellen. Tom entgrätete seinen Fisch und sah in Jessicas Augen, die von einem hellen Grün waren, wie ein eiskalter Fluss aus den Bergen und ein Leuchten darin, dass Wärme versprach. Trotz und Rebellion nur vor anderen. Die Nase weich und rund, ihr schmales Gesicht von dunklem Haar halb verborgen, ohne Ecken und Kanten. Ihre Stimme warm und dunkel wie Tannenhonig. Dazu der volle Mund, der hinter vorgehaltener Hand lachte. Ein Lachen, das bis in ihre Augen reichte und das er gerne öfter gehört hätte. Die Alte machte es selbst. Zog mit gleichmäßigem Griff das Gerippe hoch und schnurrte beinahe bei den ersten Bissen.

»Er denkt wohl, er kann mich mit ´n paar Fischen ´rumkriegen«, schmatzte sie mit verklärtem Blick auf ihren Teller und Tom tauschte seinen mit dem des Mädchens, da sie ihm zusah, ohne ihre Forelle anzurühren. Sie dankte mit bezauberndem Strahlen und wandte sich an die Alte.

»Als Nachtisch gibt es frische Erdbeeren«, und die Frau kicherte.

»Na gut, mit den Erdbeeren bekommt er das hin.« Tom saß still und aß die Forelle, in brauner Butter gebraten und weißem Brot, mit dem er die Butter auftunkte, ein Genießen jeden Bissens. Die Erdbeeren ließ er den beiden. Es gab nicht mehr viele. Das Feld war aufgelassen, die Suche heute Morgen ein langwieriges Tun. Nach dem Essen ging er zum Wohnwagen und begann ihn zu putzen, während Jessica auf ihrer Mundharmonika spielte. Tom ließ die Tür offen, um sie zu hören, die fremden Töne, bis Steve nach ihm rief. Die ersten Gäste kamen und aus den Lautsprechern übertönte die Musik der Rolling Stones alles andere.

 

*

 

»Auf zu neuen Ufern«, rief Carlos, schlug Tom auf die Schultern, so dass er nach vorne stolperte, und lachte fröhlich. »Ich liebe dieses Vagabundenleben.«

»Wo soll es denn hingehen?«

»Nach Westen, zweihundert Kilometer von hier. Wir haben die Woche mehr Zeit und müssen erst am Donnerstag dort sein, aber der Boss hat befohlen, wir bauen heute Morgen ab und verschwinden.« Carlos sah Tom von der Seite an und hob fragend den Kopf.

»Oder kommst du aus dem Westen?«

»Nein«, antwortete Tom und knöpfte sein Hemd zu, das er offen über die Schultern getragen hatte.

»Gut!«, knurrte Carlos gutmütig und erklärte ihm, wo er mit dem Abbauen beginnen sollte.

»Für einen reibungslosen Ablauf muss jeder Handgriff sitzen, jedes Teil hat seinen Platz und muss in der richtigen Reihenfolge verstaut werden. Unachtsamkeit oder schlampiges Arbeiten kostet unnötige Zeit und extra Arbeitsstunden. Das will keiner, ist das klar!«

»Ja!«, antwortete Tom knapp, weil auch unnötige Worte Zeit kosteten, und bemühte sich mit Carlos, Emilio und Steve mitzuhalten. Er beobachtete ihre Handgriffe, um zu lernen und achtete auf die Zeichen, mit denen sie sich verständigten. Seine Muskeln schmerzten noch vom Aufbau und er spürte jeden Knochen im Leib, wollte aber keine Schwäche zeigen.

Ein paar Gestalten, die letzte Nacht übriggeblieben waren, standen verloren am Platz herum, an zwei Ständen spielte Musik, sonst war es ruhig. Beim Kettenkarussell lachte ein Mädchen hysterisch, betrunken oder bekifft und plötzlich war es still, dann ein Würgen. Sie kotzte ihrem Begleiter auf die Schuhe, der brauchte eine Weile, um es zu fassen und fluchte dann lallend. Sie stieß ihn an und er fiel nach hinten. Nichts, das Tom nach diesem Wochenende bestürzen konnte.

In den frühen Morgenstunden schließlich war der Großteil abgebaut, verstaut und die Lastwagen bereit. Emilio und die anderen Fahrer der Laster legten sich schlafen. Carlos, Steve und zwei Männer, deren Namen Tom nicht kannte, setzten sich auf eine Bank abseits der Wagen. Sie winkten ihn heran und boten ihm eine Zigarette an, eine französische Marke ohne Filter und Tom griff bedenkenlos zu. Er hatte sie beobachtet beim Rauchen, die Zigarette zwischen Daumen und Zeigefinger oder lässig im Mundwinkel hängend. Für ihn ein Bild wie aus einem Abenteuerroman.

»Ich bin Fritz«, sagte der Drahtige, gab ihm Feuer und ruckte mit dem Kopf. »Und der da heißt Jorge, aber das musst du dir nicht merken. Wir rufen ihn Jo, das geht schneller.« Tom wollte nicken, sah zu Jorge und zog gleichzeitig an der Zigarette. Der Rauch zog ihm kratzend durch die Luftröhre in die Lungen und er schnappte nach Luft und holte ihn bis in die letzten Spitzen. Würgend hustete er, bis rotglühende Sterne vor seinen Augen zerplatzen. Die Männer lachten und klopften ihm auf die Schulter, während er kämpfte und dachte er müsste ersticken. Er sah sie an, vornübergebeugt und rang um Haltung und Luft.

»Wirst es lernen wie alle, da muss man durch.« Jorge zupfte sich Tabakkrümel von der Zunge und ermunterte ihn weiter zu rauchen.

»Ein Scherz unter Männern«, sagte er. »Diese französischen Dinger sind höllisch, aber wenn du weniger tief einatmest, wird es besser.« Und tatsächlich, das nächste Ziehen war kontrollierter und der Husten leichter, obwohl ihm der Rauch die Tränen in die Augen trieb.

»Jetzt brauchst du noch eine Frau, dann wirst du zum Mann«, grinste Fritz und Carlos schlug sich vor Vergnügen auf die Schenkel.

»Die kommen allein«, meinte er, legte den Kopf zurück und blies den Rauch mit einem Pfeifton senkrecht in die Luft. Sie erzählten sich Anekdoten, vom ersten Mal rauchen, wie und wo, das wussten sie alle. Eine Geschichte jagte die andere und schon war man beim Kotzen, das unweigerlich folgen musste, und Tom stolperte hinter die Wohnwagen und würgte, bis nur noch grüner Schleim kam.

 

Big Mama unterbrach ihre Arbeit beim Säubern und Aufräumen des Wagens und sah zu Jessica, die mit besorgter Miene hinüberstarrte. Vor ihr lagen die zerlegten Gewehre, die sie fürsorglich reinigte und ölte, aber die Augen suchten den Jungen, während die Hände weitermachten. Sie kannte die Griffe und konnte ein Luftgewehr im Schlaf zerlegen, wieder zusammenbauen und schießen, ohne auf Kimme und Korn zu achten. Das Schlimmste, das ihnen in seltenen Nächten passierte. Wenn einer kam und mit den Dingern umgehen konnte, und mehr mitnahm als er einzahlte. Dann ging Big Mama dazwischen und setzte demjenigen mit Blicken zu, bis er sich kleinlaut trollte.

»Männer«, knurrte sie und zeigte auf die Vier gegenüber. »Sin´ alle gleich. Alt oder jung, und lernen´s nie.« Sie zog an ihrer Zigarette und starrte durch die Rauchschwaden hinüber, in der Stimme ein leiser Triumph.

»Er raucht seine erste Zigarette.« Sie ging zu dem Mädchen und legte ihr einen Packen Stofftiere auf den Tisch. »Der wird wieder, den Anfang überleben ´se alle. Das Sterben kommt später.«

 

Nach und nach brachen die Laster auf, teils mit Anhänger, teils mit Wohnwagen, die Schießbude von Big Mama zog Carlos mit seinem riesigen Pick-Up. Toms Grauer blieb zurück. Jorge und er waren eingeteilt, den Platz zu reinigen und den letzten Müll zu beseitigen. Wenn sie nächstes Jahr wiederkamen, wollte der Boss keinen Ärger haben, und an manchen Tagen kam Black Jack vorbei und kontrollierte den Platz.

Einmal, so wurde erzählt, hatte er Jorge zurückgeschickt. Dreihundert Kilometer Fahrt hin und zurück für eine weggeworfene Blechdose. Das blieb im Gedächtnis haften. Jorge ging ein letztes Mal über den Platz, koppelte den Grauen an seinen Campingbus, ein Bully der dritten Generation, von ihm selbst ausgebaut, und fuhr los. Mit Tom im Wohnwagen. Bis zum nächsten Halt in einer kleinen Stadt putzte der Junge sein neues Heim. Ein schlingerndes Abenteuer wie auf hoher See. Er setzte die Matratze auf einem Parkplatz an der Autobahn aus, wusch die Decken in der Dusche, alles andere mit viel Wasser, Seife und einer groben Bürste, ließ den Wagen im Fahrtwind trocknen und hatte ihn sauber, als sie ankamen.

»Wir sind da!«, klopfte Jorge mit der Faust an den Wagen, kaum dass er stand und Tom riss die Tür auf und sprang heraus, froh wieder auf festem Boden zu stehen.

»Hilf mir abkoppeln. Du kommst in die Lücke.« Tom kurbelte das Stellrad herunter und sie schoben den Wohnwagen neben Big Mamas Schießbude.

»Neben ihr will sonst keiner stehen«, murmelte Jorge und sah sich um, ob sie nicht in der Nähe wäre.

»Aber da du Pat´s Wagen geerbt hast, bekommst du auch seinen Platz.«

Verwundert sah ihn Tom an und Jorge zuckte mit den Schultern.

»Solange er leer war, stand er abseits. Keiner wollte da dran, aber jetzt ist er wieder bewohnt, also frag nicht!«

»Sollte ich?« Eine einlenkende Frage und wie als Antwort holte Jorge eine zerdrückte Packung Zigaretten aus der Brusttasche und sie rauchten, Tom mit flachen, kurzen Zügen. Schweigend. In stummem Einvernehmen, bis eine laute Stimme die Stille zerriss.

»Kommt ihr Essen fass´n, ihr beide, die ander´n sin´ längst gefüttert. Wo treibt ihr euch ´rum, verdammtes Pack«, und die beiden sahen sich an und grinsten wie ausgehungerte Wölfe. Beginn einer Freundschaft für einen langen Sommer.

In der Nacht schlief Tom auf der Plane, mit zwei halbfeuchten Decken darunter. Das erste Mal im Wohnwagen. Es war ein banges Gefühl für ihn, eingesperrt zu sein trotz offener Fenster. Mehr ein Wegducken im Schlaf und Hochschrecken, wie in den Tagen seiner Flucht, bevor er sicher war, dass er genug Kilometer zwischen sich und den Pflegeeltern gebracht hatte und sie ihn nicht mehr finden würden.

Als er erwachte lagen feine Nebelschleier über der Wiese, an der sie lagerten. Nur wenige Sonnenstrahlen blitzten durch das Geäst der Bäume und tauchten die bunten Lastwagen ins orange Licht der Morgendämmerung. Tom fror unter seinem Laken. Er sprang auf, schloss die Fenster, zog sich an und ging nach draußen. Die Luft war klamm, aber frisch und roch nach dem nahen Fluss und feuchten Wiesen.

Die Stadt lag in einem nach Südosten offenen Tal und ihr Platz am äußeren Rand gegen den Fluss hin, der sich durch das Tal wand, an drei Seiten eingegrenzt von einem spärlichen Baumgürtel. Hinter ihnen im Norden erhoben sich steil und mächtig die Berge. Sie schienen an den Himmel zu stoßen. Nach Süden dagegen ein weiter Mäander aus Hügeln und sattgrünen Wiesen, auf denen Tom Rinder und Pferde erkennen konnte. Braune und schwarze Flecken, die sich im hellen Morgenlicht in kleinen Herden über die Wiesen grasend nach Nordosten bewegten, auf der Suche nach süßen Kräutern und Halmen. Das härtere Gras und saure Wiesen rupften sie am Nachmittag. Im Tal lag Nebel und über ihm der weite Himmel in dunklem Blau.

Er ging zur Straße, sah sich um und wandte der Stadt den Rücken zu. Er war gestern Abend im Dunkel am Fluss gewesen, an der Brücke, die den südlichen Teil des Tals mit dem Norden verband. Dorthin wollte er gehen und dann nach Osten, um zu sehen, wie lange ihn der Weg daneben führte.

Langsam erwärmten sich seine Muskeln und er begann zu laufen. Ein leichter Trab, der ihn voranbrachte, aber wenig Kraft kostete. Neben der Brücke fand er einen schmalen Pfad, den er in weiten Sprüngen hinunterlief und danach einen lichten Auwald entlang. Er konnte den Fluss hinter dem Wald hören, bevor er ihn nach langem Lauf wiedersah. Ein breites Gewässer mit starker Strömung und steilen Ufern, tief genug zum Schwimmen. Tom suchte einen Zugang, wo das Ufer zu begehen war, folgte mit den Blicken dem Lauf des Flussbettes und überlegte, wie weit er zurückgehen musste, denn schwimmend würde er nicht gegen den Strom ankommen. Er rutschte mitsamt Shirt und Hose ins Wasser, das ihn sofort mit sich riss, noch bevor er untertauchen konnte, um zu sehen, wie tief das Wasser wäre. Schwamm mit der Strömung, drehte um, kraulte dagegen an, um seine Kraft zu spüren, tauchte unter und ließ sich treiben. Ein Spiel mit dem Wasser, das kalt an ihm zerrte. Als die nächste Biegung näherkam, nutzte er sie geschickt und kraulte mit kräftigen Zügen ans Ufer. Sobald er aus der Strömung heraus war, kam er an eine flache Stelle und kletterte aus dem Wasser. Zitternd vor Kälte aber glücklich einen Teil der Freiheit zurückzuhaben, die er über Wochen gelebt hatte, stellte er sich in die Sonne, um seine Kleidung zu trocknen und allmählich warm zu werden, für den Weg, der ihn durch den Auwald zurückführte.

Der war dann noch kühl. Über den Boden waberten Nebelschleier und hinter einer Weide sah er ein Rudel Rehe, das sich in Flussnähe sammelte. Tom verharrte in der Bewegung, versuchte sein Zittern zu unterdrücken und hockte sich in die Deckung des Baumes, Jahrhunderte alt, so breit und verwachsen, wie sie war. Sie sah aus wie ein verschlungenes Liebespaar, das im Wald einem mächtigen Zauber erlegen war und verflucht, die nächsten paar hundert Jahre ihre Arme in den Himmel zu strecken. Die Rehe hatten ihn nicht gesehen, er hatte den Wind von vorne, nur eines blickte in seine Richtung. Der Kopf des Tieres war von Schatten bedeckt, und seine Augen wirkten wie die eines Menschen, der in die Asche eines erloschenen Feuers starrte. Und für einen Moment war in Tom der Gedanke übermächtig, nicht zum Jahrmarkt zurückzukehren, sondern die Freiheit genießen. Hier könnte er in den Bergen untertauchen, über die Gipfel gehen und später nach Süden ziehen, neuen Zielen entgegen.

Gedankenverloren sah er hoch, wo der Nebel über die Bergflanken aufwärts kroch wie ein durchscheinendes Tier, älter noch als die alte Weide, dabei verlagerte er sein Gewicht nach hinten und brach einen Zweig. Sofort stoben die Rehe davon und Tom folgte ihnen zum Fluss. Er ging einen überwucherten Pfad entlang zum Wasser, wo es an beiden Seiten von Wald begrenzt war, ließ flache Steine über die Wellen springen und beobachtete auf der anderen Seite eine Wasseramsel, die nach ihrem Frühstück tauchte. Sein Stichwort, um aufzubrechen. Big Mama würde nicht auf ihn warten und käme er zu spät, müsste er auf weichgekochte Eier, Schinken und Käse verzichten. Schnell sprang er auf und lief los.

Und als er keine halbe Stunde später um die Ecke bog, sah er sie vor ihrem Wagen nach ihm Ausschau halten. Sie stand mit dem Rücken zur Straße und sah nach Südwesten zur Stadt. Ein feuerrotes Mal zwischen all den Farben der Wagen und Aufbauten und rund um sie in der Morgensonne das Glitzern ihrer Armreifen und Halsketten, die sie wie Lichtelfen umschwirrten. Tom wandte sich nach links und lief über die Wiese, umrundete den Wohnwagen und stand plötzlich vor ihr, aber Big Mama zuckte mit keiner Wimper.

»Frühstück«, sagte sie nur, stieg in den Wohnwagen und Tom folgte mit gesenktem Kopf.

Als am Nachmittag die Dorfjugend kam, war er bereits Teil vom Jahrmarkt, wie später in jeder neuen Stadt ein wenig mehr. Er schuftete, rauchte und fluchte wie Carlos und Emilio, begafft und bewundert von den Kids, weil er sich nicht mehr als solches fühlte. Mit ihm, dem Jüngsten in der Truppe, identifizierte sich die Jugend am schnellsten.

Er war der Kerl, den sie ansprachen und Tom fühlte sich gut dabei und arbeitete härter und half überall am Platz mit, bis es nichts mehr zu tun gab für ihn, oder sie ihn wegschickten. Sein Beitrag, um in diesem Geschäft zu bestehen und am Boden zu bleiben, nicht abzuheben und übermütig zu werden. Anerkennung und Autorität suchte er durch Arbeit, nicht um seiner selbst willen, auch wenn er anfangs an dem Job fast zerbrach. Ein Ding, das er lernen musste, um zu überleben.

 

*

 

Mitte der Woche gingen die Frauen am Vormittag zum Einkaufen und Bummeln in die Stadt, während die Männer im Lager blieben, im Schatten saßen, palaverten und Würfel spielten. Sie hockten in einer Runde zusammen, rauchten, tranken und zockten mit kleinen Einsätzen, um Streit zu vermeiden. Big Mama holte ihren Schaukelstuhl und setzte sich vor den Wohnwagen, ihr Blick suchte über den Hügeln das Weite. Die Kühe und Pferde auf den Weiden waren hinauf an den Waldrand gezogen, um der aufkommenden Hitze zu entgehen. Ab und an trug der Wind das ferne Läuten der großen Glocken, die sie um den Hals trugen, zu ihnen. Über dem Lager breitete sich allmählich die satte Stille eines Sommertages aus. Ein paar Jugendliche kamen vorbei und sahen sich neugierig um, da aber kein Betrieb war und sie niemand ansprach, gingen sie wieder.

Jessica machte im Wohnwagen sauber, ein langsames Tun. Die Luft, die hereinzog und die Vorhänge sachte bewegte, trocknete jede Feuchtigkeit und trieb ihr den Schweiß aus allen Poren. Sie stellte Teller und Tassen in die oberen Schränke. In einem Wohnwagen wird der kleinste Platz genutzt, fegte ein letztes Mal die Küchenarbeitsfläche, leerte das Wasser in die Spüle und hängte die Tücher zum Trocknen an ihre Haken. Eine Strähne kitzelte sie an der Wange und sie wischte sie mit dem kleinen Finger zur Seite, um sie hinter dem Ohr zu verbannen. An ihren Wimpern hingen winzige Schweißtropfen. Irgendwo im hinteren Bereich des Wagens brummte ein dicker Käfer, der einen Weg nach draußen suchte. Sie schob die Vorhänge zur Seite, sah ihm nach und holte aus einer Ablage über dem Bett einen ausgebleichten Bikini.

»Ich gehe zum Fluss schwimmen«, rief sie der Frau im Hinausgehen zu und winkte mit ihrem Handtuch, aber Big Mama brummte nur und stieß eine Qualmwolke aus.

Das Mädchen freute sich über die willkommene Abwechslung. Nach zwei Tagen Regen hatten sie heute wieder sonniges Wetter. Kein Verkehr auf der Straße, die Wiesen im satten Grün, und rings um sie nur Grillen und Zikaden zu hören. Die Geräusche des Sommers.

Je näher sie dem Fluss kam, desto frischer wurde die Luft. Am Himmel segelten einzelne Wolken, wie luftige Wattebällchen, die über blassblaues Glas gezogen wurden. Sie konnte das Wasser förmlich riechen. Shirt und Hose klebten ihr an der Haut und sie sehnte sich nach Abkühlung.

Vielleicht, dachte sie, finde ich Tom. Gut möglich, dass er in diese Richtung gelaufen war. Er war vor einer Stunde aus dem Lager verschwunden, und wenn ich Glück habe, kann ich ihn beim Fischfang beobachten. Ein leichtes Lächeln huschte über ihre Züge und sie hielt das Gesicht in den Wind, der von den Bergen kam. Wenn sie an ihn dachte, wurde ihr warm dabei. Ein Gefühl, das von innen kam, aus dem Bauch heraus und sich ausbreitete bis in die Haarspitzen. Big Mama sah sie in solchen Momenten streng an und sie schlug die Augen nieder. Die Alte schien ihre Gedanken zu lesen und an manchen Tagen hatte sie das Gefühl, ihre Stimme im Kopf zu hören. Rasch schob sie das Bild der Zigeunerin, die wie eine Mutter für sie war, zur Seite und sah sich verstohlen um. Aber da war niemand hinter ihr. Sie wandte sich wieder dem Fluss zu und bemerkte den Weg neben der Brücke. Mit kleinen Sprüngen lief sie hinunter und entdeckte gleich danach einen Steg. Groß genug, um ihre Sachen abzulegen, sich der Länge nach auszustrecken und die Sonne zu genießen. Sie schälte das Shirt und die klebende Hose vom Körper, hielt Ausschau nach Tom, stellte die Sandalen auf die Seite des Stegs und ließ sich ins Wasser gleiten. Augenblicklich riss ihr die Strömung die Füße weg, und bevor sie reagieren konnte, war sie im Wasser.

Ihre Hände glitten über den Steg, ohne dass sie Halt fanden, und für Sekunden raubte ihr die Kälte den Atem. Sie schnappte nach Luft und schlug verzweifelt um sich. Ihre Füße suchten nach Grund, wo keiner war und ihr Kopf tauchte unter. Jessica drehte sich herum und kam prustend an die Oberfläche. Sie kämpfte verbissen gegen den Strom an und schwamm um ihr Leben, trudelte dabei aber immer weiter in die Mitte des Flusses. All ihre Gedanken waren an den kleinen Steg gerichtet, der mehr und mehr aus ihrem Blickfeld verschwand. Panik stieg in ihr hoch. Jessica wollte nicht schwimmen im Fluss. Sie wollte sich abkühlen, ein wenig ins Wasser eintauchen, am Steg festhalten und das kühle Nass genießen.

Fieberhaft strampelte sie, um sich über Wasser zu halten und sah das steile Ufer an ihr vorüberziehen. Der Fluss zog sie nach unten, und als sie wieder hochkam, bemerkte sie jemand über die Brücke gehen. Weit weg und zwergenhaft klein. Aber vielleicht ihre einzige Chance. Sie rief und streckte die Arme zum Winken, bekam Wasser in den Mund, verschluckte sich und aus ihrem Schrei wurde ein Gurgeln. Verzweifelt streckte sie den Kopf über Wasser und schnappte hustend nach Luft. Die Strömung drehte sie strampelnd im Kreis herum, ihre Beine suchten nach festem Grund, traten aber ins Leere. Der Fluss war an dieser Stelle zwei Meter tief. In ihren aufgerissenen Augen spiegelte sich der weite Himmel über ihr, und an der Seite nahm sie winzige Berge wahr. Ihre Arme schlugen sinnlos herum.

»Hilfe!«, rief sie gurgelnd in dem grausamen Bewusstsein, dass niemand sie hörte. Links und rechts neben dem Fluss war nur Wald, kein Mensch weit und breit. Sie kam wieder unter Wasser und stieß an einen Felsen. Der Schmerz fuhr ihr wie ein glühender Speer vom Knie bis in die Haarspitzen und sie strampelte sich hoch, im verbitterten Kampf ums Überleben.

Der Fluss rollte sie herum, oben war unten und unten war oben. Ein tödliches Ringen Mensch gegen Natur. Alles in ihr schrie nach Luft, nach Atmen, der Bauch pumpte krampfhaft um Sauerstoff und sie hielt verzweifelt den Mund geschlossen, um nicht noch mehr vom Fluss zu schlucken.

Rund um sie nur Wasser und in ihr eine unglaubliche Taubheit, die sie gefühllos werden ließ. Ihr Luft holen, sobald sie nach oben kam, mehr Würgen als atmen und vor den Augen zerplatzten die Sterne. Das Wasser rauschte in den Ohren und ihr wurde plötzlich bewusst, dass sie diesen Ausflug nicht überleben konnte. Während an Land die Sonne von einem dunstig blauen Himmel brannte, entzog die ungewohnte Kälte des Flusses Jessica jegliche Kraft und ließ ihre Muskeln steif werden. Ihre Bewegungen verlangsamten sich und sie tauchte immer öfter unter Wasser. Die Geräusche wurden gedämpfter, die Welt um sie herum stiller, die Steine und Felsen, über die sie schwebte, schimmerten in einem seltsamen Grün. Es wurde schwieriger wieder hochzukommen. Ihr Körper sank dem Grund des Flusses entgegen. Die Strömung drehte sie herum und sie konnte unter Wasser in den Himmel sehen, ein unklares Bild, verzerrt von den Wellen und doch die Grenze zwischen Leben und Tod zum Greifen nah. Da oben war ein Vogel. Majestätisch zog er seine Kreise und wurde kleiner und kleiner, während sie tiefer sank. Das letzte Bild, das sie wahrnahm, bevor es schwarz um sie wurde.

Plötzlich spürte sie einen unsanften Ruck und ihr Körper wurde nach oben gezogen. Beinahe unwillig wollte sie sich abwenden, der stillen Dunkelheit begegnen, aber der Zug war zu stark und im nächsten Moment war der Lärm des Flusses über ihr. Sie hustete würgend Wasser aus, bekam wieder Luft und konnte atmen. Ein rasselndes Keuchen aus brennender Kehle.

»Halt dich mit einer Hand an mir fest und schwimm mit mir, du darfst nicht dagegen ankämpfen, das kostet Kraft und kühlt dich aus. Wir schwimmen mit der Strömung und gehen dann den Weg zurück. Bei der nächsten Biegung kommt eine flache Stelle, da können wir ans Ufer«, schrie ihr Tom ins Ohr und Jessica grub die Finger in seinen Arm und klammerte sich an ihm fest, unfähig zu helfen. Das rechte Bein war steif und das linke hatte keine Kraft. Er schob sich unter sie und schwamm mit dem Strom dem Ufer entgegen, bis sie Steine und festen Boden unter sich spürte. Erschöpft und ausgepumpt kauerte sie auf dem linken Knie und den Ellenbogen und rang nach Luft, zitternd vor Kälte, während der Fluss an den Beinen zerrte. Ihr Herz pochte laut, aber langsam und sie spürte beinahe, wie es ihr eisiges Blut dickflüssig durch die Adern pumpte.

Tom hob sie aus dem Wasser und trug sie schwankend an Land. Er legte sie in die Wiese auf den Bauch und fiel daneben. Sie konnte hören, wie er sich fallen ließ, hustete Flusswasser aus, unter Krämpfen, die den Körper schüttelten, und drehte sich um. Über ihr war der Himmel in einem milchigen Blau, aber kein Vogel zu sehen. Ihr war kalt. Nach einer Weile spürte sie, wie Tom große runde Steine, die von der Sonne aufgeheizt waren, neben sie legte.

Jessica genoss die wohlige Wärme, die sie abgaben und sie legte die Arme darauf. Allmählich ging es ihr besser. Die Sonne stand im Zenit, heizte die Luft auf und ein warmer Wind sog die Kälte aus ihrem Körper. Dankbar seufzte sie auf. Ihre Gedanken zogen mit den Wolken. Sie öffnete die Augen und blinzelte, als sich ein Schatten über ihr Gesicht schob. Tom saß neben ihr und betrachtete sie mit leisem Lächeln.

»War ein höllischer Ritt«, sagte er. »Die Strömung war vor ein paar Tagen schon stark, aber heute wäre ich nicht schwimmen gegangen. Der Fluss ist vom Regen der letzten Tage um einiges gestiegen.«

»Danke«, flüsterte das Mädchen mit rauer Stimme. »Ich wollte nicht schwimmen.«

»Nicht sprechen«, unterbrach sie Tom und strich ihr mit der Hand über die Stirn und den Kopf. »Ich war auf der anderen Seite und habe dich kommen gesehen«, sagte er und sie schloss die Augen und hörte ihm zu.

»Als ich über die Brücke kam, warst du nicht mehr da. Erst dachte ich, du wärst zurückgegangen. Aber dann habe ich deine Sachen unten am Steg entdeckt. Ich habe gerufen, aber du hast nicht geantwortet. Und als ich zum Lager gehen wollte, weil ich dachte, du willst allein sein, habe ich dich im Fluss gesehen.« Er atmete tief ein und aus, als ob er Luft zum Untertauchen brauchte.

»Ich bin losgelaufen, den Fluss entlang, weil ich es mit schwimmen nicht geschafft hätte, dich einzuholen. Da ist ein Wald neben dem Fluss, den musste ich entlanglaufen. An diesem Abschnitt führt kein Weg nebenher, also auch keine Möglichkeit schnell ans Wasser zu kommen. Und als ich durch den Wald war, habe ich gerade noch einen Arm gesehen, bevor du untergetaucht bist.« Er lächelte erleichtert.

»Aber dann habe ich den größten und schönsten Fisch meines Lebens aus dem Wasser geholt.«

 

*

 

»Danke«, flüsterte Jessica und schenkte ihm ein Lächeln, an dem der Husten zerrte. Sie hob ihren Kopf, drehte ihn gegen die Sonne und sah ihn an. Eine stille, hilflose Frage, wie es weitergehen sollte und Tom lächelte nur, sodass die Haut an seinen Augenwinkeln kleine Fältchen schlug.

»Gern geschehen.« Er wandte sich ab, streifte sein nasses Shirt ab, warf es in einer Geste der Verlegenheit achtlos in die Wiese und zog das rechte Hosenbein hoch. Darunter trug er ein Bowiemesser, das er aus der Scheide zog und von einer Weide am Ufer eine Handvoll Zweige abhackte.

»Kann ich dich eine Weile allein lassen? Ich hole vom Wald dort drüben ein paar trockene Äste für ein Feuer. Ich bin sofort wieder zurück!« Jessica nickte mit geschlossenen Augen und legte den Kopf zur Seite. Sie wollte nicht sprechen, nicht husten, den Fluss in ihr nicht spüren, der immer noch in ihren Ohren rauschte.

Tom lief los und kam nach wenigen Minuten mit einem halben Arm voll Ästen wieder. Er warf das Holz in das steinige Flussbett, dort wo das Wasser nur im Frühjahr zur Schneeschmelze, oder nach tagelangem Regen hinkam. Dann rupfte er dürres Gras beim Übergang vom Fluss zum Ufer, bildete mit Steinen einen Ring, drehte das Gras zusammen und häufte Holz darüber auf.

»Wir sollten zurückgehen«, rief Jessica mit krächzender Stimme, aber ohne rechte Überzeugung darin. So wie man sagt, ich muss weg, will aber bleiben und setzte sich halb auf. »Big Mama wird sich Sorgen machen!«

»Du musst dich von deinem Ritt auf dem Fluss erholen.« Tom starrte auf die Uferböschung, schlich mit gespanntem Oberkörper zwei Schritte nach vor und stürzte sich auf etwas, das Jessica von ihrem Platz aus nicht sehen konnte. Er erhob sich wieder, brach die Äste in handliche Stücke und lächelte ihr aufmunternd zu.

»Bis zum Nachmittag, wenn der Betrieb losgeht, sind wir im Lager. Versprochen!« Jessica ließ sich in die Wiese zurücksinken, legte die Arme wieder um die Steine, und spürte, wie ihr Blut allmählich warm wurde. Das rechte Knie sandte im Takt ihres Herzschlags Schmerzpfeile nach allen Richtungen aus. Sie war müde. So müde wie schon lange nicht, aber sie vertraute dem Jungen. Alles kam heute anders als erwartet, sie sollten bloß nicht zu spät ins Lager zurückkommen. Das Tosen des Flusses hatte sich hier draußen, in der Sicherheit der Wiese, auf ein einschläferndes Plätschern reduziert. Untermalt vom Schrillen der Zikaden, dem Rascheln der Weiden am Ufer und dem Knacken von Holz, das Tom für das Feuer brach. Jessica döste ein. Ihr Atem rasselte leise und in ihren Mundwinkeln bildeten sich kleine Spuckebläschen.

Tom brach das größte Stück Holz übers Knie, zweimal, um das Feuer später klein zu halten, und legte es neben die anderen Stöcke. Nachdenklich sah er nach dem Stand der Sonne, ließ den Blick über den Fluss wandern, der friedlich im Mittagslicht funkelte und ging zu dem schlafenden Mädchen. Ihre Augen waren geschlossen, die Lippen durch die Atemzüge leicht geöffnet, eine einsame Träne lief neben der Nase entlang und blieb auf der Oberlippe hängen. Tom streckte einen Finger danach aus und zog ihn rasch wieder zurück. Er wandte sich ab, griff nach seinem Shirt, lief ohne Eile die Wiese hoch und verschwand im Zwielicht des Waldes.

Als er eine halbe Stunde darauf wiederkam und sein Schatten über Jessica fiel, öffnete sie blinzelnd die Augen und setzte sich halb auf. Tom trug sein zusammengeknülltes Shirt in der linken Hand und das Messer am Bein. Sie bemerkte die Ausbuchtung, der sie zuvor keine Beachtung geschenkt hatte. Er hockte sich am Flussstrand neben die Feuerstelle, holte ein Zippo aus der Jeans, die nur langsam am Körper trocknete, blies das Wasser daraus und zündete das trockene Gras unter dem aufgeschichteten Holz an. Gleich darauf stieg ein dünner grauer Faden über seinen Händen auf, die der leichte Wind, der über den Fluss kam, sofort zerstäubte. Jessica lächelte matt. Er knotete das Shirt auf und machte sich daran zu schaffen.

Sein Gesicht lag im Halbdunkel, der Blick auf die Dinge darin gerichtet.

»Was machst du? Kann ich dir helfen?«

Er wischte mit dem Handrücken den Schweiß von der Stirn, drehte sich langsam um und versuchte mit einem Blick ihre Stimmung zu erfassen. »Danke, nein! Ich mache uns etwas zu essen. Du wirst Hunger haben, es ist bald Mittag.«

Der Wind wehte den Rauch des Feuers in ihre Richtung und sie hob den Kopf und schnupperte, um am Geruch zu ergründen, was es zu essen gab.

Tom lächelte. Er hatte das Gesicht gen Himmel gerichtet und atmete durch weit geblähte Nasenflügel tief ein.

»In zehn Minuten bin ich soweit!« Er stand auf und schaute zu der Weide am Fluss. Auf dem Baum saß ein Rabe, der seine Flügel ausbreitete und sich in den Himmel erhob, als Tom sich umdrehte und zu ihr hochkam. Der Rabe flog eine Runde und landete einen Steinwurf entfernt neben ihnen im Gras. Sein Gefieder glänzte metallisch schwarz. Die Knopfaugen waren auf Tom gerichtet.

»Wie geht es deinem Knie?«

»Das ist in Ordnung.«

»Sieht geschwollen aus. Ich lege dir besser einen Verband an.«

»Nein, lass gut sein, es ist okay!«

»Ich kümmere mich darum.«

Jessica seufzte und versuchte das Knie zu beugen, um Tom zu zeigen, dass seine Bemühungen nicht angebracht waren, aber der Schmerz sandte glühende Lichtpunkte bis unter ihre Kopfhaut. Sie stöhnte verhalten, während Tom bereits zum Flussufer hinuntersprang, dort herumstocherte, sein Shirt in Streifen riss und zu ihr hochlief. In der einen Hand hielt er Weidenstöcke und die Stofffetzen, in der anderen ein großes Blatt mit einem braun-grünen Brei darauf.

»Ich habe ein paar Kräuter mit Walderde und Sand gemischt.« Er schmierte den Brei in den Stoff und wickelte ihn mit den Weidenstöcken um ihr Knie.

»Das sollte das Knie kühlen, das Bein stützen und die Schwellung zurücknehmen.«

»Danke«, erwiderte sie und hob den Kopf. Der Rabe hackte auf ein grau-schwarzes Band ein und hüpfte aufgeregt darum herum, als ob er für einen seltsamen Vogeltanz übte. Jessica versuchte ein Lächeln, sie konnte den Duft von Gebratenem riechen und mit dabei eine Spur Rauchig-süßes. Ein Geruch, der ihr das Wasser im Mund zusammenlaufen ließ. Tom verknotete die Enden des Verbandes, sah sie an und strahlte. Tief und geheimnisvoll. Und Jessica wurde klar, dass sie den jungen Hund unterschätzt hatte. Er war genauso Wolf, wie sie die Wölfin. Mit dem Unterschied, dass die Welt hier draußen die Seine war. Er lief zur Feuerstelle und brachte gleich darauf zwei Blätter mit allerlei gebratenen Dingen, die er neben ihr ablegte, machte kehrt und kam mit zwei weiteren grünen Tellern mit einer Handvoll Himbeeren darauf.

»Was ist das?« Jessica stocherte mit ihrem Finger in dem Blatt neben ihr herum. Ein paar der Teile sahen aus wie kleine Kartoffel.

»Unser Mittagessen, frisch aus dem Garten der Natur.«

»Kann ich das essen?« Sie sah in ein staunendes Gesicht, den Klang seiner Worte im Ohr und hätte am liebsten die Ihren zurückgenommen.

»Natürlich! Ich habe alles Essbare gebraten, das ich gefunden habe, damit du eine Auswahl hast.« Er legte die Himbeeren neben Jessica, sprang zum Ufer hinunter und holte noch ein Blatt mit Fleischstücken. Jessica nahm ein Teil in der Größe und der Farbe einer jungen Erbsenschote und steckte es in den Mund. Es schmeckte ein wenig nach Erde, aber süß, war außen knusprig und innen weich. Sie versuchte ein kleines Stück, das wie eine zerdrückte Kugel aussah.

»Ist das Brot?« Tom grinste und schob eine Portion weißes Fleisch in den Mund. Jessica tat es ihm gleich. Es schmeckte wie Hühnchen mit Fischgeschmack und sie fragte sich, woher er das Hühnchen hatte.

»Was esse ich da, was ist das?«

»Wilder Weizen, zerstoßen und mit Sauerampfer auf Stein gebacken. Geröstete Kartoffel, Heuschrecken, mit Honig gebraten, damit schmecken sie besser, und eine junge Äskulapnatter. Fischen ist bei dieser Strömung schwierig, sonst hätte ich uns eine Forelle herausgeholt.« Jessica sah ihn ungläubig an und verharrte mit ihrem Bissen vor dem Mund. Dann lachte sie und biss in das Fleisch.

»Du machst Scherze, nicht wahr?« Und Tom grinste wieder und steckte ein paar bohnengroße Stücke in den Mund.

»Ja«, sagte er kauend und sie atmete auf.

»Es sind Grashüpfer, Heuschrecken sind Räuber und schmecken nach nassem Holz. Schwer zu schlucken.« Jessica sah Tom ungläubig an, dann auf ihr Blatt und das gebratene Heupferd in ihren Fingern. Vorsichtig schob sie es in den Mund und kaute darauf.

»Mit Honig«, sagte sie. »Darum schmeckt es so lecker.« Tom nickte erfreut.

»Du musst Kopf, Flügel und Beine weglassen. Der Kopf schmeckt eklig und die Beine kratzen im Hals.«

»Beinahe hätte ich dir geglaubt«, lachte Jessica und eine übermütige Freude erfasste sie, weil sie heute nur knapp dem Tod entronnen war und jetzt mit Tom am Fluss saß und irgendetwas aß, von dem sie hoffte, dass es nicht das war, was sie vermutete. Und als Nachspeise brachte er ihr noch mehr Himbeeren, mit Honig vermischt und Jessica fragte sich, wo er den Honig und die Beeren gefunden hatte.

Nach ihrer Mahlzeit setzten sie sich zum Fluss, sie hatte Mühe beim Gehen den Schmerz zu unterdrücken, tranken daraus und sie fragte ihn nach dem Woher. Eine vorsichtige, fast ängstliche Frage, im Grunde wollte sie nichts davon wissen und wollte es irgendwie doch. Vielleicht um zu erfahren, wer er war oder was er war und warum.

Er wendete den Blick von ihrem Gesicht ab und blieb regungslos in dem Muster aus Licht und Schatten sitzen, das ihm der Fluss ins Profil zeichnete. Seine Hand tastete nach einem Stein, den er achtlos ins Wasser warf, und noch einen, den er mit Schwung hinterherschickte, und einen dritten, den er weit bis über das andere Ufer fliegen ließ. Dann erzählte er von Pflegeeltern, die ihn für jedes Missachten ihrer Regeln geschlagen, anderen, die ihn mit Fürsorge erdrückt und Dritten, die ihn als Arbeitstier gehalten hatten. Sein Zimmer war ein Verschlag über dem Pferdestall. Im Sommer unerträglich heiß, so dass er hinter dem Stall geschlafen hatte und im Winter eiskalt und er bei den Pferden im Stroh. Nur erwischen lassen durfte er sich nicht, oder seine Aufgaben zu langsam erledigen. Dann gab es Schläge mit der Reitgerte, einem Gürtel oder Stock. Aber er hatte einen Freund, einen alten Hufschmied, der den Krieg und ein sibirisches Gefangenenlager überstanden hatte.

Von dort war er geflohen, sie hatten ihn eingefangen, zurückgebracht, halb totgeschlagen und er war wieder geflohen.

Sein Held, der sich nicht unterkriegen ließ. Von ihm hat er gelernt zu überleben, reiten und Pferde verstehen. Toms Stimme wurde mit jedem Satz leiser, zuletzt ein heiseres Flüstern und seine Blicke verloren sich im glitzernden Wasser vor ihm. Er saß neben ihr, Wolf und Wölfin, die Arme verschränkt und auf die Knie gestützt.

Ihre Augen brannten in Erinnerung der eigenen Geschichte. Sie sah ihn von der Seite her an und sie wollte ihm ihre Hand auf den Arm legen. Ihn berühren und spüren. Ihm zeigen, dass er nicht allein war in dieser Welt, wagte es aber nicht. Zu verletzt war die eigene Seele. Der Wind fuhr ihr ins Haar und streichelte mit zarten Fingern ihr Gesicht, wie sie sein Gesicht streicheln wollte, aber er stand auf, wandte sich ab und stocherte in den Glutresten des Feuers herum.

»Wie ist das mit Pferden? Wie fühlt es sich an, auf ihnen zu sitzen? Ich würde gerne reiten lernen«, sagte sie stattdessen und blickte in den Fluss.

»Mhm«, brummte Tom seine Zustimmung. Mehr war von ihm nicht zu bekommen, aber Jessica wusste in diesem Moment, dass er alles daransetzen würde, einen Reitstall für sie zu finden.

 

Es war schon später Nachmittag, als sie zurückkamen und über den Bergen, die im gleißenden Licht vor ihnen lagen, flogen große Vögel im Aufwind. Schwerelos glitten sie an den grauen Hängen entlang, während ihre winzigen Schatten über die Felsen rasten. Tom stützte Jessica, ging in gebückter Haltung neben ihr, damit sie sich an ihm festhalten konnte, um ihr Knie zu schonen. Sie verharrte für einen Augenblick und legte den Kopf zurück. Mit halb geöffnetem Mund sah sie in den Himmel. Ihr Gesicht wirkte klein und verletzlich vor dem unendlichen Blau darüber.

»Wir haben es gleich geschafft«, sagte Tom und winkte mit dem Kopf zu dem Baumgürtel vor ihnen, hinter dem die Lastwagen zu erkennen waren.

»Ja«, antwortete sie und runzelte die Stirn. »Big Mama wird bestimmt schon auf uns warten.« Vor wenigen Schritten waren sie durch einen Vorhang aus Musik gekommen, leise Klänge aus einem einzelnen Lautsprecher, also war noch kein Betrieb. Die Menschen saßen vermutlich im städtischen Bad und ließen sich in der Sonne braten, hingen in der Innenstadt in der Eisdiele herum oder gingen ihren langweiligen Jobs nach.

»Meine Schuld, ich habe den Rückweg unterschätzt. Ich halte den Kopf dafür hin.«

»Meine Schuld, ich habe dich aufgehalten. Lass mich reden!« Sie nahmen die Abkürzung durch die Wiese und traten gleich darauf neben dem Wohnwagen ins Lager. Zwei junge Menschen, denen die Zerknirschung ins Gesicht geschrieben stand, wie in Rot tätowiert. Jessica klammerte sich an Toms Arm, das rechte Knie entlastet, ihr Gesicht vor Anstrengung dunkel.

Big Mama saß in ihrem Schaukelstuhl und betrachtete sie mit forschenden Blicken, in ihrem Mundwinkel hing eine Zigarette.

»Meine Schuld!«, riefen sie wie aus einem Mund und verstummten beide erschrocken.

»Er hat mich aus dem Fluss gezogen«, fügte Jessica hastig hinzu.

»Ich habe den Rückweg unterschätzt«, murmelte Tom und senkte den Kopf. »Es tut mir leid, falls du dir Sorgen gemacht hast.«

»Tommy hat eines seiner beiden Shirts für mich zerrissen, mir einen Verband angelegt und zu Essen gemacht.« Jessica warf dem Jungen einen dankbaren Blick zu. »Ich habe mir im Fluss das Knie angestoßen.«

»Setzt euch!« Sie setzten sich auf die Bank vor dem Wohnwagen und Tom sah hinüber zum Autoscooter. Aus den Lautsprechern trällerten die Beach Boys und sangen vom Surfen in den USA. Carlos saß in einem der Wagen, der für seine massige Gestalt viel zu klein war. Er hatte den Kopf zwischen die Kopfstützen gelegt, Arme und Beine hingen heraus. Er sah aus wie eine übergroße Stoffpuppe, die jemand dort abgelegt hatte.

Die Hitze des Tages wich allmählich einer kühlen Brise, die von den Bergen kam. Die Fahnen am Piratenschiff, die müde an den Seilen hingen, bewegten sich sachte. Emilio saß unter dem Kettenkarussell gegen einen Stützpfeiler gelehnt und rauchte. Über seinem Kopf stiegen kleine blau-graue Ringe auf, die der Wind davontrug. Steve war nirgends zu sehen. Black Jack saß mit Jorge und Fritz an einem Tisch vor dem Wohnwagen und würfelte. Zwei Frauen lehnten daneben und unterhielten sich leise.

»Erzähl! Was ist passiert?«, forderte die alte Zigeunerin Jessica auf und sie erzählte, wie sie vom Steg ins Wasser gerutscht war und der Fluss sie mitgerissen hatte, wie sie beinahe ertrunken wäre und von Tom gerettet wurde.

Sie erzählte von ihrem gemeinsamen Mittagessen und sah Tom dabei an.

»Es war irgendetwas mit Fleisch und Beeren. Wo hast du übrigens den Honig her?«

»Aus dem Laden in der Stadt.« Jessica verstummte und in den Augen ein Glanz, den er nicht deuten konnte.

»Ich war zuvor in der Stadt und habe mir Honig gekauft. Ich wollte euch morgen früh damit überraschen, aber gebratene Grashüpfer schmecken mit Honig einfach besser. Deswegen habe ich ihn dafür verwendet.«

Jessica lachte unsicher. »Du meinst, ich habe tatsächlich Heuschrecken gegessen?«

»Nein, Grashüpfer. Das ist ein Unterschied. Heuschrecken schmecken auch mit Honig wie fauliges Holz.«

»Oh nein. Musstest du mir das wirklich sagen!« Hilfesuchend sah sie zu Big Mama und hätte in diesem Moment schwören können ein belustigtes Funkeln in ihren dunklen Augen zu sehen.

»Hat doch geschmeckt, oder?«, fragte Tom verwundert und Jessica schnaubte empört.

»Danke, dass du auf mein Mädchen aufgepasst hast«, sagte die alte Frau, zündete sich umständlich eine neue Zigarette an und stieß kleine, blaue Rauchwolken aus. Ihre harten Züge wurden für einen Augenblick weich und in ihrem Blick fand sich ein Blitzen, das Tom bis auf den Grund seiner Seele spürte.

Er wandte das Gesicht ab, stand auf und lief hinüber zu seinem Wagen. Kurz darauf kam er heraus, mit einem weißen, frisch gewaschenen T-Shirt ohne Ärmel und einem roten Tuch um die Stirn, dass er nach Apachenart gebunden hatte. Er lief zum Autoscooter, wo eben eine Gruppe Jugendlicher gekommen war, und begrüßte sie mit einer weiten Armbewegung.

»Wie wär´s mit einer Runde? Zeigt euren Mädchen, was ihr drauf habt!« Sein Blick ging zu den jungen Frauen in ihrer Begleitung und das Lachen in den Augen und das Wilde an der Kleidung und seinen Gesten forderte sie heraus. Sie gingen geschlossen zur Kassa und von der Frau dahinter ein Nicken. Der Abend gehörte ihnen.

 

Stunden später erhob sich Big Mama aus ihrem Bambusstuhl und lehnte sich mit der Schulter neben der offenen Tür gegen den Wohnwagen. Die Sonne war zu einem rotglühenden Docht zwischen zwei Bergen heruntergebrannt und sie hatte das Gefühl den bevorstehenden Regen riechen zu können. Geräuschlos zuckten in weit entfernten Gewitterwolken im Süden weiß gezackte Blitze auf. Bald würden die Regentropfen auf den warmen Boden niedergehen und sie daran erinnern, wie gut der Sommer heuer zu ihnen war. Die Hälfte der Saison war herum und sie hatten keine allzu großen Ausfälle durch das Wetter.

Sicher, der alte Pat war tödlich verunglückt, aber jeder musste irgendwann sterben. Tom hatte heute Jessica das Leben gerettet. Sie überlegte, ob Black Jack den jungen Kerl auch aufgenommen hätte, wäre Pat noch am Leben gewesen. Seufzend schloss sie die Augen und öffnete sie einen Moment später wieder, als würde sie aus einem Traum erwachen. Dann ging sie zum Tisch hinüber, setzte sich auf die Bank, legte die Hände auf die Knie und starrte ins Leere, während eine leichte Brise durch ihr Haar fuhr. Neben ihr im Wohnwagen lud Jessica knackend die Gewehre und legte sie vor sich auf den Tresen. Eine weitere Gruppe Jugendlicher kam auf den Platz. Das Mädchen setzte ihr schönstes Jahrmarktlächeln auf und die alte Frau räumte den Schaukelstuhl und die Bank weg, um Platz zu schaffen für die Kunden.

In der Nacht entlud sich das Gewitter zwischen den Bergen. Sie wachte auf und hörte dem Wind zu, wie er an den Fenstern rüttelte und unter ihrem Wohnwagen hindurchfegte, in den Wolken das helle Zucken der Blitze. Der Regen prasselte wie kleine Kieselsteine auf das Dach. Zwischen den Böen zitterte der Wagen vor dem Hintergrund der Nacht. Donner krachte über den Himmel, als würde Thor selbst ein Stück Blechdach in den Händen zerreißen. Big Mama zog sich die Bettdecke über den Kopf und wartete geduldig, dass sie der Schlaf wieder einholte.

Am nächsten Morgen war alles vorbei. Der Platz ein Chaos aus nasser Wiese, Getränkebecher, Zigarettenschachteln, Flaschen, Pappteller, drei Sonnenbrillen und einer Brieftasche, die aufgeklappt im Dreck lag. Der Sturm hatte zwei Handtücher und ein Laken über den Platz geweht. Sie lagen zerknüllt und schmutzig am Fuße des Piratenschiffs. Nebelschwaden schlichen vom Fluss her über die Wiese und umschmeichelten die Bäume. An den Hängen der Berge zogen ihre großen Brüder, die Wolken entlang und hüllten die Bergspitzen darin ein. Vom Fluss kam eine einsame Gestalt durch den Nebel, fast schien es, als würde sie schweben. Es war der junge Kerl, immer noch mit Apachentuch um die Stirn. Sein Shirt und die Hosen klebten klatschnass am Körper. In der Hand trug er einen Korb, wie der aus Big Mamas Wohnwagen, in dem sie ihr Nähzeug aufbewahrte. Die alte Zigeunerin konnte nicht schlafen. Die Ruhe nach dem Gewitter hatte sie geweckt und die Gedanken um Jessica hielten sie wach. Sie saß am Fenster und beobachtete ihn. Lautlos kam er näher, öffnete die Tür, ließ einen Schwall frische, kalte Luft herein, die nach feuchtem Gras und Wald roch, und stellte den Korb, ohne einzutreten in die Küche.

Er bemerkte sie nicht.

Das süß-herbe Aroma von frischen Himbeeren und feuchten Blättern breitete sich in dem kleinen Raum aus. Sie schluckte und sah ihm zu, wie er zu seinem Wagen ging. Nur das leise Atmen des Mädchens war zu hören und die schweren Wassertropfen, die von den Bäumen auf ihr Dach fielen. Jessica hustete im Schlaf und die alte Frau fragte sich, was in dem Jungen vorging, und wann er denn überhaupt schlief. Er musste während des Sturms in den Wald gelaufen sein, um die Beeren zu pflücken.

»Die habe ich vor zwei Tagen im Wald gefunden«, sagte er beim Frühstück. Seine Augen waren klar und trocken, wie nach zehnstündigem Schlaf. »Da waren sie nicht reif genug.«

»Un´ heut´ morgen, da waren sie´s wohl«, grinste die Alte und sah Tom herausfordernd an.

»Ja. Wäre schade, wenn sich die Vögel darüber hergemacht hätten.«

»Wir könnten sie mit Vanilleeis essen«, warf Jessica ein und schluckte in der Vorfreude des Nachtisches, strich Butter auf ihr Brot, legte zwei Scheiben Schinken darauf und biss herzhaft hinein. Ihre Augen waren vom Schlaf leicht verschwollen, die Wangen weich und der Mund rot und voll. Eine Strähne hing ihr über das linke Auge, die sie nicht zu stören schien. Tom hielt sich an seiner Kaffeetasse fest und sah sie an, als wäre sie soeben in einer strahlenden Wolke erschienen.

»Tommy holt später welches!«, bestimmte Big Mama, köpfte ihr Frühstücksei, streute Salz darauf und löffelte es aus.

»Vanilleeis?«

»Hast du noch nie Vanilleeis mit warmen Himbeeren gegessen?«

»Nein, noch nie. Ich weiß nicht mal, wie Vanilleeis schmeckt.« Jessica sah ihn ungläubig an. Ein Sonnenstrahl fing sich leuchtend in jeder Linie seines Gesichts und betonte die Schatten der Wangenknochen und Nasenflügel. Sein markant wirkendes, fast trotziges Gesicht, dem alles Kindliche fehlte, berührte die Tiefen ihrer Seele und löste den Wunsch in ihr aus, ihn festzuhalten und sanft zu streicheln.

»Dann wird´s an der Zeit dir ´n paar Sachen beizubringen!« Die Alte sah vom leeren Eierbecher auf, von Tom zu Jessica und wieder auf den Jungen.

»Was hast´n früher gegessen, außer Heuschrecken?«

Verdutzt sah Tom auf die Zigeunerin und zu seiner Überraschung legte sich ein belustigtes Lächeln über ihre Züge.

 

*

 

Ihr nächstes Ziel war der Süden, wo sie ihr Lager an einem glasklaren See aufbauten. Eingebettet zwischen sanften Hügeln und grünen Wiesen lag er vor ihnen, ein weites Gewässer, das für ihn so groß wie ein Meer wirkte. Bei der Anfahrt öffnete sich das Tal und gab den Blick frei auf den See, der sich dahinstreckte in glitzerndem Blau. Kleine weiße Punkte, Segelboote, die mit dem Wind dahinzogen, lagen wie zufällig verstreut unter einem strahlenden Himmel. Ein Ausflugsschiff zog eine weiß schäumende Spur hinter sich her und an den Ufern gab es schmucke Dörfer, die Häuser wie gemalt, um Kirchen gebaut, deren Türme mit ihren roten spitzen Dächern alle anderen Gebäude überragten.

»Immer wieder ein schöner Anblick, wenn wir hierherkommen. Dazu ein Tag wie aus dem Bilderbuch. Warst du schon mal an dem See?«

»Nein, noch nie!«, sagte Tom staunend, während er alles zugleich in sich aufnahm, blumengeschmückte Häuser mit Holzbalkonen, eine Gruppe Radfahrer, Kinder beim Spielen, Verkehrsschilder, die in bunten Farben auf bestimmte Gaststätten hinwiesen und er den Blick nicht abwenden konnte.

»Ich habe mal eine alte Postkarte gefunden. Irgendjemand hat sie in der Sattelkammer liegen gelassen und vergessen. Da waren keine Adresse und keine Namen, also habe ich sie nach ein paar Tagen heimlich an mich genommen. Auf der Karte war dieser See abgebildet.« Er verstummte und im Wagen wurde es still, bis auf sein Herz, das laut hämmerte. Jorge sah ihn aufmunternd an.

»Dann kennst du ihn ja doch!«

»Nur aus meinen Träumen«, hörte Tom sich sagen. »Nur in meinen Träumen war ich hier. Ich habe beinahe darauf vergessen, dass es ihn wirklich gibt.«

»Manchmal werden auch Träume wahr!«, erwiderte Jorge mit großem Ernst, setzte den Blinker und fuhr in einer langgezogenen Kurve dem See entgegen.

 

»Hier bleiben wir die nächsten zwei Wochen. Das ist ein guter Standort, wenn das Wetter mitspielt«, sagte Black Jack. Er stand neben seinem Pick-Up, streckte sich mit knackenden Gelenken und spannte die Muskeln, um sie zu lockern.

»Wir bauen bis zum späten Nachmittag auf und erledigen den Rest morgen früh.« Mit einem Blick aus dunklen Augen sah er nach Tom, abwägend und freundlich zugleich. »Dann könnt ihr danach noch ins Dorf gehen zum Einkaufen. Du bekommst deinen Anteil für diesen Monat. Die Abrechnung gibt es am Ende der Saison. Komm einfach später bei mir vorbei, bevor du losziehst.«

»Ist gut, Boss«, erwiderte Tom, koppelte den Wohnwagen von Jorges Bus ab und schob ihn an den Platz, den ihm Steve bestimmte. Sie standen auf einer Wiese am Ortsrand, einen Steinwurf vom See entfernt. Das Gras war ausgetrocknet und braun in diesem Sommer, der wenig Regen gesehen hatte. An ihre Wiese grenzten eine Tischlerei, eine Tankstelle und eine Autowerkstätte an, bevor die ersten Häuser kamen.

»Das ist der schönste Platz, den wir bis jetzt hatten«, freute sich Tom und sah zum See hinüber, der in der Sonne funkelte. Steve lachte. Ein herzhafter, aber rauer Ton, von zu vielen Zigaretten und durchwachten Nächten gefärbt.

»Das hast du letzte Woche am Fluss auch gesagt, und die Woche davor in den Bergen ebenso.« Tom grinste verlegen.

»Stimmt, das kommt vielleicht daher, dass ich nicht so weit herumgekommen bin wie du.«

»Ja, das wird es sein. Ich habe mehr gesehen von der Welt, als die meisten von uns«, sagte Steve, wandte sich ab und ging mit raschen Schritten zum Lastwagen, um mit dem Abladen zu beginnen. Unter seinen Sohlen wirbelten kleine Staubfahnen hervor. Tom folgte ihm. Sie klappten die Seitenwand hoch und Steve sprang auf die Ladefläche.

»Was du auf alle Fälle sehen musst, sind die Schweizer Berge«, sagte er und löste die Gurte der Ladesicherung. »Die Provence mit ihren Lavendelfeldern, die Toskana im Frühling, Schweden im Herbst und natürlich die Camargue.«

Er legte den Kopf zurück und in seinen Zügen spiegelte sich für einen Moment eine wilde Sehnsucht wider. In knappen Worten erzählte er Tom von weiten Ebenen, berauschenden Düften über einer sanften hügeligen Landschaft, von wild zerklüfteten Bergen und dem stürmischen Meer an der atlantischen Küste. Eine knappe Stunde später stieß Emilio zu ihnen und half mit, ohne sie wie sonst mit seinen Späßen zu unterhalten.

»Wenn Steve von seinen Reisen erzählt, bekomme ich immer Heimweh«, erklärte er Tom danach. »Ich komme aus der Toskana und keiner hier kann meine Heimat mit Worten so treffend beschreiben wie Steve.«

 

*

 

»Wenn du hier fertig bist, sieh ´mal nach Tommy.« Die Zigeunerin nahm Jessica den Beutel mit den Stofftieren ab und sah mit schiefgelegtem Kopf über den Platz, wo der Junge seit fünf Minuten auf dem Gerüst beim Autoscooter herumturnte, die bunten Lampen festmachte und an den Lautsprechern spielte, ohne den Blick vom Schießstand zu lassen.

»Er wartet auf dich, und wenn er weiter so `rummacht, greift er in`n Strom oder fällt von dem Ding.«

»Ich mache das fertig.« Jessica nahm Big Mama die Stofftiere ab und sortierte sie mit ruhigen Bewegungen gewissenhaft in die Regale. Auch ein Sortieren der eigenen Gedanken. Jedes der Plüschtiere an seinen angestammten Platz. So konnte sie später ein beliebiges oder gewünschtes Tier ihren zukünftigen Besitzern übergeben, ohne hinzusehen. Ihr persönlicher Jahrmarkttrick, wie der Spiegel über dem Tresen, nur für sie zu sehen, der ihr die Treffer verriet, ohne die Augen vom Schützen abzuwenden. Sie ließ ihre Blicke ein letztes Mal über die Regalwand schweifen, klappte sie zu und schloss ab.

»Wohin gehen wir?« Ihre Frage an Tom, der sofort von der Plattform gesprungen war, als er sie kommen sah. Er zog ein schwarzes Tuch aus der Tasche und band es um die Stirn.

»Ich habe auf der Fahrt durch das Dorf ein Hinweisschild gesehen. ›Zum Reitstall‹, den möchte ich mir gerne ansehen.«

Jessica sah ihn an und lachte begeistert.

»Wir gehen zu Pferden, richtigen Pferden?«

»Ja, zu richtigen Pferden!«

»Ich habe sie schon einmal berührt, ich meine beinahe. Ich bin an einer eingezäunten Wiese gestanden, da waren Pferde. Ich wollte die Hand ausstrecken und sie streicheln, aber sie sind nicht nähergekommen.«

»Wahrscheinlich haben sie schlechte Erfahrungen mit Menschen gemacht, die ihre Hände über den Zaun gestreckt haben, vielleicht wurden sie geschlagen, vielleicht hat sie aber bloß etwas irritiert, um näher zu kommen.« Jessica sah Tom an und in ihren Augen konnte er die Frage erkennen.

»Irgendetwas in deiner Nähe oder hinter dir, worauf du nicht geachtet hast«, meinte er achselzuckend.

Sie liefen die Hauptstraße entlang, an hohen Häusern und einzelnen Läden vorbei, am Rande eines Parks entlang, in dem ein paar mittelgroße Hunde spielten. Immer weiter an den Ortsrand, bis sie das Hinweisschild entdeckten, das Tom gesehen hatte.

›Zum Reitstall‹ stand in weißer Schrift auf grünem Pfeil in kursiven Lettern gemalt. Jessica hüpfte aufgeregt.

»Hier geht´s lang.« Sie bogen in die Straße ein und folgten ihr, bis sie die Zufahrt zum Reitstall sahen.

Eine kleine, hagere Frau mittleren Alters in blank geputzten Reitstiefeln kam eben durch das Einfahrtstor und ging zu ihrem Wagen, den sie in der Zufahrt geparkt hatte. Sie lächelte ihnen zu, verharrte einen Augenblick und stieg dann ein.

Tom und Jessica gingen den gepflasterten Zufahrtsweg hinein. Die Luft war warm und roch nach frisch geschnittenem Gras. Aus der Ferne hörte man Hundebellen und das Brummen eines Rasenmähers. Zu ihrer Linken war ein Obstgarten mit Apfelbäumen, unter denen Amseln herumhüpften und Wiesenblumen, die einzelne Farbtupfer in den Garten malten. Zu ihrer Rechten standen eine Reihe von Offenställen mit dem zugehörigen Auslauf dahinter. In jeder Box ein Pferd, ein gutes Dutzend insgesamt, und danach eine riesige Halle, aus der aus offenen Fenstern noch mehr Pferde ihre Köpfe steckten, einige von ihnen begrüßten Tom und Jessica freudig wiehernd.

Sie verlangsamten ihre Schritte und Jessica rückte dabei an Tom heran, der nahe an ein großes schwarzes Pferd trat, das seinen Kopf aus einem der Fenster streckte. Er strich dem Tier über Nase und Stirn und kraulte es hinter den Ohren. Das Pferd legte den Kopf zur Seite und schnaubte leise.

In Jessicas Augen trat ein Leuchten und sie strahlte staunend.

»So ein schöner Kerl«, flüsterte sie und stellte sich ganz nahe an Tom, schob ihre Hand in die Seine und hielt die andere dem Pferd unter die Nüstern. Es nahm den Geruch auf und das Mädchen freute sich über das Schnauben und Schnobern und mit einem Mal wusste sie, dass ihrem Leben etwas gefehlt hatte. Ein Gefühl, kaum zu begreifen, kaum in Worte zu fassen, wie viel sie darüber auch gelesen und später nachgedacht hatte. Nichts in ihrem bisherigen Sein konnte dem Glück entsprechen, dass sie in diesem Moment im Herzen spürte.

»Du musst mit ihm reden, oder ihm den Atem ins Gesicht blasen«, sagte Tom und lächelte. »Es nimmt deinen Geruch auf und erkennt dich daran wieder, wenn du ihm sympathisch bist.«

»Was soll ich ihm sagen?«

»Egal was. Pferde lieben die Sprache. Sie hören auf die Zwischentöne. Wir Menschen kommen mit angelegten Ohren, das bedeutet ›Halte Abstand!‹, aber durch die Sprache bedeuten wir ihm, dass wir in Frieden kommen.«

Jessica sah ihn an und lachte. »Wir kommen in Frieden«, sagte sie mit feierlichem Ernst und strich dem Schwarzen über den Kopf und kraulte ihn hinter den Ohren.

»Du kennst dich mit Pferden aus«, hörte sie eine Stimme aus dem Halbdunkel hinter ihr.

»Ein wenig!«, erwiderte Tom, ohne sich umzudrehen. »Ich habe mit ihnen gearbeitet.«

»Du bist nicht von hier. Seid ihr Urlauber?«

»Nein, wir sind auf der Durchreise.« Tom wandte sich um und sah die Frau an. Sie hatte eine kleine Lücke zwischen den Schneidezähnen und den kompakten Körperbau und das runde Gesicht der Frauen aus der Gegend. Dazu mahagonifarbenes Haar voller Locken, das hier und da graue Stellen aufwies und etwas Rätselhaftes in den Augen.

»Das ist Jessica«, stellte er sie vor. »Sie möchte gerne reiten lernen. Wir haben aber kein Geld. Ich würde ihr das Reiten auch selbst beibringen, wenn sie mir ein Pferd anvertrauen. Ich könnte im Gegenzug dafür bei ihnen arbeiten.«

Die Frau betrachtete ihn argwöhnisch und ließ ihren Blick über die beiden Jugendlichen wandern.

»Ich mache jede Arbeit, die sie für mich haben. Pferde versorgen, Stallarbeit, wenn es etwas zu reparieren gibt, bis zur Hilfe beim Beschlagen.«

Nachdenklich runzelte die Frau die Stirn. »Und du?«, fragte sie Jessica.

»Ich mache natürlich mit. Geben sie uns eine Chance.« Sie wandte sich der Frau zu, ohne das Pferd aus den Augen zu lassen.

»Arbeit habe ich genug«, schüttelte die Frau den Kopf und ließ den Blick die Stallungen entlangwandern. »Wie lange wollt ihr bleiben?«

»Zehn Tage, wir sind vom Jahrmarkt«, antwortete Jessica und hob trotzig den Kopf. Ihre Augen blitzten im Licht der untergehenden Sonne.

»Vom Jahrmarkt also«, nickte die Frau und kniff die Lippen zusammen. »Das heißt für mich, wann habt ihr beide Zeit?«

»In zwei Tagen sind wir mit dem Aufbau fertig. Dann immer vormittags.«

»Gut, dann kommt vorbei, sobald ihr fertig seid. Ich wollte im Sommer ohnehin die Koppeln vergrößern. Weißt du, was dafür zu tun ist?«, richtete sie ihre Frage an Tom.

»Stangen im Abstand von vier Metern eingraben, sie sollten drei viertel Meter in die Erde. Sind sie vorbereitet, geteert oder angekohlt?«

»Druckimprägniert und stehen seit einem Jahr geteert im Schuppen. Ich denke wir verstehen uns«, bemerkte sie mit halbem Lächeln und schob gleich die Frage nach. »Du hast in einem Reitstall gearbeitet?«

»Mhm«, summte er und klopfte dem Pferd, das seinen Kopf an ihm rieb, auf den Hals. Er sah die Frau geradeheraus an.

»Ich hätte da eine Bitte. Wir haben eine doppelte Kandare, die eines der Mädchen zum Putzen auseinandergenommen hat und nicht wieder zusammenbekommt. Das passt irgendwie hinten und vorne nicht. Könntest du dir das ansehen.« Sie ging und holte ein Bündel Lederriemen mit der Kandare und Zügeln, alles in Einzelteilen und übergab es Tom.

Der legte alle Teile auf eine Bank, nahm eines nach dem anderen, verflocht und verband mit ruhigen Bewegungen die Gurte, schnallte die Kandare ein, schüttelte und drehte es in der Hand und gab es der Frau zurück. Gebannt sah ihm Jessica zu. Für sie war es ein magisches Tun, wie all die Teile mit sicherem Griff ihren Platz fanden und schließlich zu einem Ganzen wurden. Und in die Stille hinein wandte sich Tom an die Frau.

»Sie sollte es eigentlich nicht benutzen, wenn sie Funktion und Wirkung nicht versteht«, murmelte er, aber die Frau sah in an und ein zufriedenes Lächeln legte sich über ihr Gesicht.

»Danke!«, sagte sie. »Wir sehen uns in drei Tagen.« Sie wandte sich um und ging. »Schließt bitte die Hoftür, wenn ihr geht.« Ihre hingeworfene Mahnung mit einem Winken, weil sie ihm vertraute.

 

Es war schon spät, als Jessica und Tom ins Lager zurückkamen. Schatten breiteten sich zwischen den Wohnwagen aus und unter den Bäumen ringsum hinterließen Glühwürmchen ihre tanzenden Leuchtmuster. Sie hatten sich zu jedem Pferd gestellt, von den Tieren mit gelassener Ruhe begrüßt, hatten sie gekrault und gestreichelt, mit ihnen gesprochen, geflüstert und gelacht, bis ihr Herz so leicht wie ihre Seele war. Dann gingen sie in der abendlichen Stille einer kleinen Stadt nach Hause.

Ohne Worte.

Hand in Hand, zwei Menschen im Gleichklang ihrer Gedanken. Irgendwo hinter ihnen schlug die Kirchturmuhr die volle Stunde und am See zwischen den Bäumen, dort wo die Dunkelheit am schwärzesten war, nur umgarnt von den Glühwürmchen, hatte Jessica den Jungen geküsst. In ihrem Bauch flatterten Schmetterlinge und sie hatten sich hingesetzt und geflüstert. Mit Augen, die nur den anderen sahen, nichts sonst um sie herum. Bis der Mond hoch am Himmel stand und die Alte von drüben brummte.

»Kommt endlich nach Haus´, ihr zwei, oder wollt´ ihr draußen übernachten.«

»Wir waren bei Pferden, bei richtigen Pferden«, erzählte sie der Zigeunerin, als sie in den Wohnwagen kam. Sie umarmte die Frau und war so glücklich, wie Big Mama sie nie gesehen hatte.

»Tommy will mir das Reiten lernen und wir helfen im Reitstall.« Im Schneidersitz saß Jessica auf dem Bett und redete und redete mit strahlenden Augen und wollte alles erzählen, was sie gesehen und gehört hatte. Ein Strom an Worten von dem Mädchen, das meist still am Zuhören war, und diesmal hörte die Frau zu und spürte ihr Herz, als würde sie in dem Reitstall stehen und die Pferde in der Mähne kraulen. Lächelnd blinzelte sie eine heimliche Träne weg und erinnerte sich an das junge Mädchen, das sie selbst einmal war.

Vor langer, langer Zeit, verliebt und glücklich. Sie war mit ihm geritten, Enrico, der stattlichste Mann ihrer Gruppe, groß, schwarze Augen, schwarzes Haar und ein Lachen, dem alle Herzen zuflogen. Er hatte ihr einst ewige Freundschaft und dann ewige Liebe versprochen. Ein fast vergessenes Gefühl.

Jung und verwegen waren sie im Morgengrauen zu den Pferden geschlichen und aus dem Lager geritten, ihr Glück zu finden und hatten sich Monate später einer anderen Gruppe angeschlossen. Danach hatten sie einen ganzen Sommer, bis Enrico schwimmen ging und nie mehr wiederkam.

Der Fluss hatte ihn verschluckt. Er wurde nie gefunden. Big Mama verdrängte die dunklen Gedanken und das fast schon vergessene Leid, das dieser Tage wieder an die Oberfläche gekommen war. Heute wollte sie nur das Glück sehen, in dem Jessica schwebte, denn auch wenn sie von den Pferden schwärmte, ihr Herz war bei dem Jungen, der sie aus dem Fluss geholt hatte.

 

*

 

Am nächsten Tag bauten sie den Jahrmarkt weiter auf, Autoscooter, Piratenschiff, die Riesenschaukel, das Ketten- und das Pferdekarussell. Jessica fröhlich lachend wie selten. Ihre grünen Augen blitzten wie befreit. Ihr Gesicht strahlte und sie summte gut gelaunt vor sich hin, während sie den Wohnwagen außen schrubbte, bis er in der Morgensonne glänzte, als wollte sie das Leuchten in ihr auf alle Dinge um sie herum übertragen.

Jorge trat aus dem Kassenhäuschen des Pferdekarussells, wo er ab nachmittags die Karten verkaufte und die Technik bediente, ließ einen prüfenden Blick über die Anlage wandern, steckte den Strom an und ließ seine Rösser laufen.

Es war ein altmodisches Karussell mit Pferden aus Holz, die Sättel aus Leder, abgewetzt und dunkel mit Mähnen und Schweifen aus richtigem Pferdehaar. Lautlos tanzten sie auf und ab, drehten sich nach jeder Runde einmal im Kreis und formierten sich scheinbar aufs Neue.

Ein leichter Wind kam über den See und spielte in ihren Mähnen und die Sonne ließ die silbern glänzenden Beschlagteile funkeln. Als ob das alte Karussell darauf warten würde von Kindern gestürmt zu werden, um ihr Lachen zu hören, weil es davon lebte und selbst wieder jung wurde. An jedem dieser Tage.

Jessica sprang aus dem Wohnwagen und rannte herbei, setzte sich auf ein weißes Pferd, nahm die Zügel und strahlte vor Glück.

»Lass los«, rief Tom und bestieg das Schwarze daneben. »Sitz gerade, die Arme abwinkeln, mach die Hände zu Fäusten und den Daumen obenauf.« Ihre erste Lektion beim Reiten und Jessica sah zu Tom mit hellwachen Augen, in denen sich die bunten Pferde mit den flatternden Mähnen spiegelten, und konnte den Wind im Haar spüren, ganz nah am Glück.

Jorge schaltete den beiden die Musik dazu, eine alte Aufnahme eines langsamen Walzers, und seine Gedanken gingen zurück, als er ein kleiner Junge war und er zum ersten Mal den Jahrmarkt gesehen hatte.

An jenem Abend hatte er staunend auf die bunten Lichterketten der Riesenräder gestarrt und auf die Kamikazeschaukel, die durch einen blitzblauen Himmel mit rosafarbenen Wolken schoss. Teenager schrien vergnügt in der quietschenden Walzerbahn und in dröhnenden Superloops. Die Luft war erfüllt von der Musik aus den Karussellen, dem Knallen platzender Ballons und den Schüssen der Luftgewehre an den Schießbuden. Er konnte die Leckereien an den Fressbuden riechen, das Popcorn, die Langos, die Pommes und Bratwürstchen. Eingehüllt von der Musik und dem Geschrei der Jugendlichen, das Lachen der Menschen, stieg das Glühen der elektrischen Lichter der Fahrgeschäfte in einen Himmel hinauf, der für all das Gute und Schöne in dieser Welt stand.

Er war herumgegangen mit seinen paar Münzen in der kleinen Faust und hatte sich nicht entscheiden können zwischen den vielen Möglichkeiten, Autoscooter, Kettenkarussell oder Riesenschaukel. Dann war er zum Pferdkarussell gekommen und wusste, dass er seinen Traum gefunden hatte. Ein altes Karussell, das sich quietschend im Kreis drehte. Er war einige Zeit davorgestanden und hatte die Pferde beobachtet. Schwarze, weiße, braune, gescheckte und gepunktete und war schließlich zu dem alten Mann gegangen, der danebenstand, hatte ihm alle Münzen in die schwielige Hand gedrückt und gefragt, wie lange er dafür fahren durfte. Der Mann hatte ihn eine geraume Weile angesehen und gemeint: »Solange und so oft du willst und wir in der Stadt sind.«

Jorge war bis Sonnenuntergang geblieben, war auf jedem der Pferde gefahren, mit großem Ernst und ohne ein einziges Mal zu lachen. Am nächsten Tag war er wieder gekommen, ganz früh, als noch keine anderen Leute auf dem Jahrmarkt waren. Mit einem Ölkännchen, wie seine Großmutter es benutzte, zum Schmieren ihrer Nähmaschine und hatte den Mechanismus an verschiedenen Stellen geölt.

Danach war das Quietschen weg und er hatte bei jeder Fahrt, die er mitmachen durfte, ausgelassen gelacht. Viele Jahre später hatte er seinen Jugendtraum wahr gemacht, sein Erspartes zusammengekratzt, ein Pferdekarussell gekauft und sich dem Jahrmarkt angeschlossen.

 

*

 

Dieser Sommer war für Jessica und Tom ein Sommer ohne Sorgen. Die Tage flogen dahin und waren ausgefüllt mit harter Arbeit in der trockenen Hitze der heißen Wochen, in dem sie Staub und Sand schluckten. Mit vielen Flüchen, wenn sie im strömenden Regen abbauen mussten. Die Füße steckten im Schlamm und die Schuhe und Kleidung waren nass, klamm und schwer sauber zu bekommen. Und doch lagen über all dem das Lachen und die Fröhlichkeit der jungen Leute. Sie liefen im Mondlicht um drei Uhr früh die Straßen entlang, Hand in Hand, tanzten im warmen Regen im Park, wie kleine Kinder und lachten dabei. Sie rollten einen Berghang hinunter, bis sich alles um sie herumdrehte und drehte. Sprangen des Nachts in den See, an dem sie lagerten. Liehen sich ein Ruderboot und fuhren hinaus, um unter einem Sternenhimmel im Boot zu liegen und Jessica spielte auf ihrer Mundharmonika, bis Tom die Tränen kamen, ohne dass er zu sagen vermochte, warum. Sie ritten auf dem Pferdekarussell, fuhren mit dem Kettenkarussell, um die Leute zu animieren, jauchzten in der Riesenschaukel und verbreiteten Lebenslust und gute Laune.

Tom lernte von Jessica mit dem Luftdruckgewehr schießen. Die ersten Versuche gingen ins Leere, aber allmählich traf er die Scheibe. Und als er eines Tages in einem Schaufenster in der Stadt einen Bogen sah, kaufte er diesen für Jessica und zeigte ihr, wie man damit schoss.

Er stellte sich ganz nah an ihre linke Seite und atmete den Duft ihres Haares ein. Ein süßer Geruch nach kandierten Früchten, wie Marie, die Frau von Carlos, sie an ihrem Stand verkaufte, zusammen mit Zuckerwatte und anderen Köstlichkeiten.

»Ganz ruhig atmen. Du musst eins werden mit deinem Bogen und dem Ziel. Sieh nicht auf den Pfeil, nur auf den Punkt, an den du zielst, und wenn du ruhig bist, spanne den Bogen, atme ein und löse beim Ausatmen die Finger.« Jessica hielt die Luft an und konnte Tom neben sich spüren. Sein Profil war gezeichnet vom Licht des Nachmittags und dem Hintergrund des Waldes und ein leichter Schwindel erfasste sie. Die Sonne hatte seine Haut dunkel gebräunt und ihm erste Andeutungen feiner, weißer Fältchen um die Augen eingraviert. Sie spannte den Bogen, atmete ein und aus, ließ die Sehne los und warf ihm einen Blick zu. Der Pfeil flog in hohem Bogen davon. Weit weg von den drei Strohballen, die sie als Ziel aufgestellt hatten und sie suchten ihn unter fröhlichem Lachen, bis sie ihn an einer schlanken Buche fanden, wo er in Brusthöhe steckte. Tom holte sein Messer heraus und schnitt ein Herz in dessen Rinde.

Mit flinken Schnitten ritzte er einen gefiederten Pfeil dazu, der in dem Herz steckte und die Buchstaben T&J.

»Den Pfeil haben wir gemeinsam fliegen lassen und er hat diesen Baum ausgesucht. Wenn wir nächstes Jahr hierherkommen, werden wir sehen, wie hoch der Baum gewachsen ist, und das Jahr darauf und darauf, für alle Jahre, die wir zusammen sind.«

»Möge der Baum noch hundert Jahre wachsen«, flüsterte Jessica. Sie schmiegte sich an den Jungen und ließ ihren Blick nach oben wandern, bis er sich in der undurchdringlichen Baumkrone verlor, und Tom hielt sie fest und sie küsste ihn, um ihren Pakt zu besiegeln.

»Von heute an, für hundert Jahre.« Sie roch nach Rosen und zerdrücktem Gras in einem Tannenwäldchen und nach Haut, die gebräunt und kühl und warm zugleich war.

Die Sonne versank an diesem Abend in leuchtendem Orange hinter dem Horizont und blinzelte nur vereinzelt zwischen den Blättern der riesigen Laubbäume hervor, bevor die Nacht ihre Schatten über den Wald warf.

 

*

 

In jeder Stadt suchten sie nach einem Reitstall, halfen bei der Stallarbeit, bei der Heuernte und beim Beschlagen und im Gegenzug lernte Jessica reiten. In einem Reitstall im Süden von Salzburg gab es keine Arbeit, also mieteten sie zwei Pferde. Black Jack hatte ihnen für diesen Tag frei gegeben. Der Himmel war wolkenverhangen, in einem hellen Grau, in dem die Sonne nur hin und wieder unter milchigem Weiß hervorblinzelte.

»Es wird keinen Regen geben. Ihr kommt trocken nach Hause«, sagte die Frau nach einem Blick unter gefurchter Stirn in die Berge, die weit vor ihnen den Horizont bildeten. Sie teilte ihnen die Pferde zu. Einen knochigen Grauschimmel für ihn und eine Palominostute mit goldglänzendem Fell für Jessica. Beide gut bemuskelt, aber ruhig vom Gemüt her.

»Welchen Weg würden sie uns empfehlen?«

»Folgt der blauen Markierung, dann seid ihr am frühen Nachmittag zurück. Wir haben alle Reitwege farblich gekennzeichnet. Bei Grün seid ihr früher daheim und bei Rot kommt ihr in die Abendstunden. Falls ihr euch verlaufen solltet, lasst die Pferde den Weg suchen. Sie kennen ihre Pfade und bringen euch sicher nach Hause.«

Sie gingen unter einem dichten Blätterdach durch den Wald den Berg hinauf. Die Route führte nach Süden und folgte in weiten Kurven den Hängen. Vögel, ihr Zwitschern und Lärmen und ein Eichkätzchen, das hoch über ihnen durch die Äste huschte, begleitete sie, während das alte Sattelleder knirschte und die Metallteile in den Zügeln klirrten. Ihre Blicke gingen hierhin und dahin, begegneten sich in einem Aufleuchten und sie lächelten sich zu. Das Licht des jungen Tages gedämpft und geheimnisvoll.

»Es ist wunderschön hier. Ich wusste nicht, dass der Wald eine Stille bereithält, die so sehr berühren kann.«

»Warte ab, bis wir im Winter im Wald reiten. Dann ist es so ruhig um dich herum, dass du die Schneeflocken zu Boden fallen hörst.« Jessica hob den Kopf und drehte ihn nach links und dann nach rechts. Den Geräuschen des Waldes lauschend.

»Noch stiller?«, fragte sie, schob eine Strähne aus der Stirn und Tom beugte sich zu ihr und zupfte ein Insekt aus den Haaren.

»Nichts Schreckliches. Nur ein verirrter Käfer mit schillernden Flügeln«, zeigte er ihr das kleine Ding.

»Wie still«, fragte Jessica, streckte ihre Hand nach Tom aus, nahm ihm den Käfer ab und ließ ihn fliegen.

»Als ob du der einzige Mensch auf der Welt wärst. Du hast das Gefühl, außer dir und deinem Pferd gibt es keine Lebewesen mehr.«

»Unheimlich«, entgegnete Jessica und duckte sich erschrocken, als hoch über ihnen ein Eichelhäher loszeterte.

Tom lachte. »Komm, lassen wir die Pferde eine Weile traben. Sie sind aufgewärmt und wollen sich bewegen.«

Sie trieben die Tiere mit leichtem Schenkeldruck an, trabten mit fliegendem Schritt den weichen Waldboden entlang und genossen den Wind, der durch ihre Haare fegte und das Gesicht kühlte. Sie kamen zwischen den Bäumen hervor und vor ihnen breitete sich eine urtümliche Landschaft aus.

Berge und Hügel, die ineinander übergingen. Aufgelockert durch die unvermeidlichen schwarz-grünen Eichen- und Buchenwälder und endlos grüner Weidefläche. Unterbrochen nur von den Felsformationen, zwischen denen sich ihr Weg wand, und schmalen Pfaden, die sich in Geröll verloren und dann aus dem Nichts wieder auftauchten, ohne in eine bestimmte Richtung zu führen.

Die Luft war erfüllt vom vielstimmigen Zirpen und Summen der Insekten, Bewohner der weiten Wiesen und dem Geruch nach feuchtem Gras. Vor ihnen lag ein kleiner See, an den sie ein gewundener Pfad führte, gespeist von einem Bach mit kristallklarem Wasser, der aus einem felsigen Loch sprudelte. An seinen Ufern wuchsen niedrige Sträucher und breite Farne. Sie lenkten ihre Pferde an die Stelle am Bach, bevor er in den See überging, und ließen sie trinken. Stiegen selbst ab, um ein paar Handvoll Wasser zu kosten, erstaunt, wie frisch und kalt es schmeckte.

»Gebirgswasser in den Alpen«, sagte Tom. »Besser bekommst du es nirgends.«

Von Westen kam Wind auf. Sachte strich er über die Wiesen, beugte die Gräser, kräuselte den See und brachte den zarten Duft nach den Blumen mit, die in bunten Farben das Grün der Wiesen schmückte. Jessica hob den Kopf und schnupperte. Und als der Wind aussetzte, war es plötzlich still um sie und das Mädchen erschrak, weil ein Vogel aus den Sträuchern aufflog. Aber mit dem Wind kam auch das Summen der Insekten zurück, und sie lachte erleichtert auf.

Am lärmenden Jahrmarkt konnte sie nichts und niemand erschrecken. Nicht das Knallen von platzenden Luftballons, das gellende Kreischen von Teenagern oder die johlenden Schreie der Betrunkenen hatte die Wirkung, wie der leise Flügelschlag der Bergdohle, die sich aufgeschreckt durch zwei Menschenwesen, in die Lüfte erhob. Sie stiegen auf ihre Pferde, umrundeten den halben See und gingen den Berghang weiter hinauf, ließen die Grasflächen links liegen und tauchten ein in den Wald und die Stille.

Auf einer Lichtung grasten ein Rudel Rehe, kein volles Dutzend, die unschlüssig stehen blieben, als die Reiter unvermittelt anhielten.

»Warum laufen sie nicht weg?«, flüsterte Jessica und die Rehe, als ob die Worte Appell an sie wären, stoben davon, quer über die offene Fläche und verschwanden im Wald. Nur ein knackender Ast war zu hören, dann war wieder Stille.

»Wir haben den Wind von vorne und der Geruch der Pferde überdeckt unseren eigenen Geruch. Deswegen waren sie nicht sicher, ob wir eine Gefahr für sie darstellen«, erwiderte Tom und lauschte, ob noch etwas zu vernehmen war von ihnen. Aber da war nichts mehr. Nur das Zwitschern einer vielstimmigen Vogelschar, die unsichtbar in den Bäumen saßen und unermüdlich ihr schilpen, flöten und piepen hören ließ. Ungläubig ließ Jessica ihre Augen über die Lichtung wandern. Nahm am gegenüberliegenden Waldrand das Spiel aus Licht und Schatten wahr, hervorgerufen durch den Wind, der in den Blättern der Sträucher spielte, die den Wald abgrenzten, und kniff die Augen zusammen. Sie versuchte hinter das Dunkel zu sehen, in dem die Rehe verschwunden waren.

»Ich könnte den ganzen Tag so reiten«, sagte sie leise, hob den Kopf und sah in den Himmel, in dem die Wolken graue Muster zeichneten. Regen lag in der Luft.

»Einfach durch das Land ziehen. Quer durch Europa oder nach Norden und dann am Meer entlang nach Süden, der Sonne entgegen.«

Ein Wunsch war geboren.

Wer weiß schon wann und wie lange er keimte. War heimlich gewachsen und drängte nun ins Licht, wie der Keim einer Pflanze, die unter der Straßendecke wuchs und endlich die Schale aus Kies und Teer durchbrach. Kaum zu glauben, dass ein so schwaches Gewächs die Kraft besaß, die Straße zu brechen. Menschenhand schaffte dies nicht.

Und hier war er nun, der Wunsch, hatte seine Schale durchbrochen, auch für Jessica neu, wie es schien.

»Hmmh«, summte Tom. »Ja, das könnte mir gefallen. Auf eigenen Pferden in den Sonnenuntergang reiten, am Lagerfeuer sitzen und in die Sterne schauen.«

»Soweit uns unsere Herzen tragen«, fügte Jessica hinzu, und sie lachten fast verlegen, mit blitzenden Augen, in denen sie ihre Zustimmung fanden.

Später in der Nacht, als die letzten Besucher den Jahrmarkt verlassen hatten, und sie beide am Aufräumen waren, sprach er sie darauf an, und sie malten sich aus, wie es wäre, als Vagabunden über das Land zu ziehen.

Sie könnten Arbeit annehmen und Geld verdienen, dann weiterziehen, bleiben, wo und wie lange es ihnen gefiel und gehen, wenn das Fernweh es forderte. Irgendwo im Süden überwintern und im Sommer an den Alpen vorbei nach Norden ziehen. Bloß keine Zwänge, keine Verpflichtung, außer ihnen selbst gegenüber und frei sein. Frei, wie ein Vogel im Wind.

»Ein kleines Zelt, Schlafsäcke, Decken, Kleidung zum Wechseln. Nur so viel wir tragen können, mehr braucht es nicht, um zu leben«, meinte Jessica und Tom nickte.

»Wir werden hungern, wir werden frieren und wir werden an unsere Grenzen gehen. Aber wir werden schöne Zeiten mit Glück, Frieden und wunderbaren Momenten haben, und darum wird es gut sein.«

 

*

 

Nach dem Wochenende ging es weiter nach Süden, ins tirolerische. Der Aufbau war Chaos. Ein Schreien und Fluchen in drückend schwüler Luft, die Kleidung klebte am Körper. Die Stadt, eine alte Stadt mit alten Häusern, bunt geschmückt mit Blumen in allen Farben, selbst chaotisch und laut, weil sie ein Fest vorbereiteten, und der Jahrmarkt gehörte dazu.

Ungewohnt für Tom die Enge, die menschenverstopften Gassen. Sie waren eingebunden in die Gemeinschaft und richteten ihr Lager im Stadtpark. Jedes bisschen Platz inmitten der Bäume musste genutzt werden. Ein Zerren, Schieben und Feilschen um eine Handbreit mehr für jeden Stand und jede Bude. Von Anfang an waren neugierige Gaffer dabei, standen im Weg und behinderten die Arbeit, bis Emilio mit rot-weißen Bändern eine Grenze zog und alle Fremden dahinter verbannte. Auch zum Schutz für sie selbst.

Black Jack übernahm schließlich das Kommando und teilte die Leute vom Jahrmarkt ein, half beim Aufbau und war überall zugleich. Seine Rufe hallten durch den Park und wurden zurückgeworfen von den umstehenden Häusern. Dazu das Hupen von Lastwagen, Hundebellen und Kreischen von Kindern, denen das lärmende Tohuwabohu im Stadtpark zu viel wurde. Und über allem lag Rauch aus Griller und Feuerstellen in gusseisernen Schalen und der Geruch nach gebratenem Fleisch und heißem Fett. Bei der Hitze kochte niemand im Wohnwagen, alles spielte sich unter freiem Himmel ab. Sie selbst qualmten ihre Zigaretten und der Dunst hing in den Bäumen wie Nebelfetzen und warf das Licht ihrer Lampen zurück.

Am späten Abend, als sie erschöpft und todmüde zwischen halb aufgestellten Ständen herumwankten und letzte Handgriffe taten, kam endlich Wind auf, der nach Ozon roch, und den Staub fortblies, der von den Straßen aufgewirbelt wurde. Bis morgen Mittag musste der Jahrmarkt stehen.

In dieser Nacht schliefen viele neben ihren Wohnwagen, unter einem Himmel, in dem zuckende Blitze hinter Wolken aufflammten und in ihrem Widerschein geisterhafte Schatten durch das Lager tanzten. Und doch fiel kein Regen. Das Wasser kam in den Bergen, die Abkühlung als Windstöße von den Hängen herunter, in der Stadt kaum zu spüren, nur schwaches Donnergrollen war zu hören, als gegen Morgen endlich Ruhe einkehrte.

Am Nachmittag des nächsten Tages kamen die ersten Gäste, darunter ein junges Pärchen wie Tom und Jessica. Sie hingen am Schießstand herum, fuhren mit dem Autoscooter und zählten in einer stillen Ecke die Münzen, bevor sie wieder zum Schießstand kamen. Das Mädchen hatte nur Blicke für den Jungen, in ihren Augen grenzenloses Vertrauen und er versprach ihr einen Gewinn.

»Ich möchte den mittelgroßen Stoffteddy, der so einsam in der unteren Ecke steht«, rief sie ihm zu. An ihn hatte das Mädchen ihr Herz verloren. Jessica konnte ihr ansehen, wie gern sie ihn an sich drücken wollte, in ihrem Blick, ihrer Miene. Vielleicht hatte sie nie einen Teddy wie diesen, dachte sie, oder jemand hat ihr denselben genommen.

»Stütz dich mit den Ellbogen ab und ziel´ nach links oben«, murmelte sie, als sie dem Jungen das Gewehr in die Hand drückte. Ihr Blick ging zu Tom, der in dem Moment vom Autoscooter herübersah und ihr ein Lächeln sandte. Sie zwinkerte ihm zu, ihr stilles Zeichen der Verbundenheit, stellte sich zur Seite und zündete eine Zigarette an, stieß den Rauch durch den Mund aus und zog ihn mit der Nase hoch. Ihre Art zu rauchen, die Lider halb geschlossen. Ein Bild der Gleichgültigkeit. Der Junge konzentrierte sich auf die Scheibe und schoss. Fünf Treffer in die Mitte. Jessica sah nach oben, in den Spiegel über dem Tresen, wechselte das Blatt, mit der Zigarette im Mundwinkel und griff nach dem Bären. Sie reichte ihn dem Mädchen, das ihn mit strahlenden Augen entgegennahm.

Glück ist wie die Liebe, eines der wenigen Dinge, die sich verdoppeln, wenn man es teilt.

 

Zwei Tage später, an ihrem freien Nachmittag trafen sie die beiden wieder, draußen am Fluss. Sie saßen eng nebeneinander, an einem kleinen Lagerfeuer, mit Handtüchern über den Schultern, im Gespräch versunken. Zwischen ihnen der Teddy, ein stilles Kind in Plüsch mit braunen Augen.

»Kann ich hier schwimmen?«, fragte Tom, als sie ihn bemerkten, und ließ seinen Blick flussabwärts wandern, über Felder und Hügel, deren schimmernder Glanz die Augen tränen ließ, wenn man zu lange auf den Horizont starrte.

Der Fluss dagegen in klarem Türkis und ruhig, die Strömung ein träges Fließen bis zur nächsten Biegung.

»Klar«, erwiderte der Junge, hob den Kopf und sah die Zwei an, schien aber durch sie hindurchzuschauen.

»Das Wasser ist kalt, aber tief genug«, sein Urteil und er beugte sich nach vorne.

Sie standen mit dem Rücken zur Sonne, die weiß und blendend hinter ihnen am Himmel hing. Der Junge blinzelte, konnte aber nicht viel mehr als unscharfe Umrisse erkennen. Aus seinen langen, blonden Haaren tropfte das Wasser.

Die beiden mussten eben vom Schwimmen gekommen sein, dachte Jessica. Dann huschte plötzlich ein erfreuter Ausdruck über das Gesicht des Jungen.

»Ihr seid vom Jahrmarkt«, stellte er fest und ein breites Lächeln dehnte den Mund.

»Ja, sind wir«, erwiderte Jessica und ihr Blick suchte unwillkürlich den Teddy. Sie strich eine Strähne aus dem Gesicht und schenkte dem Mädchen ein freundliches Lächeln.

»Übrigens, danke!«, erwiderte diese und strahlte Jessica an. Die Hand tastete nach dem Stofftier, die gelockten Spitzen ihrer kastanienbraunen Haare streichelten ihre Wangen und die Augen leuchteten grün im hellen Sonnenschein. Sie trug einen ausgewaschenen Badeanzug in der Farbe zwischen dunklem Blau und Schwarz und keinerlei Schmuck oder Farbe an ihrem Körper. Alles an ihr war natürlich und ungeschminkt. Im Grunde ehrlicher als jede Aussage, jedes Wort. Da hätte auch sie selbst sitzen können, mit Tommy, in einem bürgerlichen Leben, dem sie entkommen waren.

»Ist okay. Dein Freund hat ihn gewonnen!«, murmelte Jessica in einem Moment der Verlegenheit und zuckte mit der Schulter. »Dürfen wir uns zu euch setzen?«

»Ja, gerne«, und sofort kam das Angebot des Mädchens, »Wir haben ein paar Würstchen und Brötchen, wenn ihr die mögt?«

»Danke, das ist lieb«, erwiderte Jessica und sah auf das Wenige, das gerade mal für die beiden reichen würde, und sie trotzdem mit ihnen teilen wollten.

»Aber wie ich Tommy kenne, besorgt er uns ein paar Fische.« Ihr Blick ging zu Tom und von ihm ein kaum merkliches Nicken.

»Hier ist angeln verboten.« Erschrocken sah das Mädchen von Jessica zu Tom und wieder zu ihr. Ihr Blick wirkte fast gehetzt, als würden sie bereits verfolgt oder gejagt.

»Wir sind vom fahrenden Volk, uns sieht man das nach«, grinste Jessica mit einem Anflug von Trotz und Stolz auf ihren Lebenshintergrund. »Außerdem gibt Tommy acht, nicht erwischt zu werden.« Sie sah ihn an und zwinkerte ihm mit einem Lächeln zu. Für ihn das Stichwort, loszugehen. Er legte seine Hose und das Messer neben eine Weide am Ufer ab und sprang ins Wasser. Tauchte unter und war weg. Jessica sah ihm nach, ließ ihre Augen über den Fluss wandern und ging zu der Weide, schnitt mit Toms Messer ein paar Ruten ab und kam zum Lagerfeuer zurück.

»Wo ist dein Freund?«, fragte der blonde Junge und das Mädchen sah zum Fluss, ob da nicht ein Kopf auftauchen würde, um Luft zu holen, oder das Planschen eines Schwimmers zu hören wäre.

»Er taucht nach Fischen«, antwortete Jessica und flocht mit flinken Fingern aus den Weidenruten ein paar Gitter, die sie neben sich ins Gras legte. »Das wird eine Weile dauern. Er kommt nicht, ohne welche mitzubringen.«

»Es gibt aber nicht viele Fische da drin.« Staunend betrachtete das Mädchen das Flechtwerk.

»In dem Fall bringt er andere Leckereien mit«, schmunzelte Jessica. »Wenn Tommy nach Essbarem sucht, findet er auch genug.« Sie holte aus ihrer Tasche eine Handvoll Kartoffeln, warf sie in die Glut und legte in silberne Folie gewickelte Äpfel daneben.

»Zum Nachtisch gibt es Bratäpfel.« Ihre fein gezupften Brauen gingen in kindlicher Freude nach oben. »Im Lagerfeuer geschmort schmecken sie am besten.«

»Bratäpfel im Sommer?« Verdutzt schüttelte der Junge den Kopf und lachte. »Das ist ein Winteressen. An Weihnachten gibt es Bratäpfel. Im Sommer habe ich sie noch nie gegessen.«

»Lass sie doch!«, unterbrach ihn das Mädchen mit strengem Blick und er sah schuldbewusst ins knisternde Feuer.

»War nicht böse gemeint«, murmelte er und Jessica zuckte mit den Schultern.

»Wart´s ab, bis du sie gekostet hast. Sie müssen ein bisschen sauer sein, um richtig zu schmecken, und ich hab‘ sie mit Honig gefüllt.« Sie verdrehte die Augen und eine reine, heidnische Freude am Leben füllte sie mit einem Male aus, weil sie sich bewusst wurde, wie sehr sie dieses liebte. Das Umherziehen. Die Freiheit dabei. Die Menschen in ihrem Umfeld, die ihr Halt gaben und Tom, der eben den Weg neben dem Fluss entlanggetrabt kam, mit zufriedenem Lächeln im Gesicht. In der linken Hand trug er das nasse Shirt, das er als Tasche umfunktioniert hatte und darin seine Beute. Für das Pärchen beinahe ein Abenteuer, als er Wurzeln, Beeren und Forellen vor ihnen ausbreitete. Jedes Teil fein säuberlich in große Blätter gehüllt. Mit dem Messer putzte er die Wurzeln, wickelte sie in Blätter und nahm die Fische aus. Ein stummes und flinkes Arbeiten, mit geübten Griffen. Er legte die Wurzeln mitsamt den Fischen in die Gitter und steckte kleine Astgabeln neben das Feuer, um die Gitter einzuhängen.

»Sieht aus, als hättest du das schon öfter gemacht«, nickte ihm der Junge zu und zeigte auf das Lagerfeuer.

»Das hat mir ein Freund beigebracht«, erwiderte Tom. »Überleben in der Natur. Der Tisch ist reichlich gedeckt, du musst bloß wissen, was genießbar ist.« Er stand auf und lief zum Wasser, um die Hände zu waschen.

Allmählich brach der Abend herein, die Sonne verschwand hinter den Berggipfeln und sandte letzte Strahlen über das Land. Ein glitzerndes Funkeln im Wasser und tanzende Schatten neben den Bäumen. Die Steine am Ufer gaben die gespeicherte Hitze des Tages ab und eine leichte Brise wehte von den Berghängen und brachte den herben Duft von Wacholderbeeren mit. Ein paar purpur-violette Wolken sammelten sich in Streifen unter den Bergspitzen und blieben dort hängen. Tom ließ seinen Blick schweifen und betrachtete die nahen Hänge. Wenn er die Augen anstrengte, konnte er einen Schatten erkennen, der über die Wiesen flog. Er sah höher und entdeckte den Adler, der auf der Jagd war. Majestätisch schwebte er im Aufwind dahin, ließ sich treiben und stieg höher und höher. Dann verlor er sich in weiter Ferne über den Bergen. Tom wandte sich ab und ging gemächlich zur Feuerstelle zurück, nahm im Vorbeigehen seine Jeans auf und ließ sie achtlos neben ihren Platz fallen.

»Die Fische sind fertig.« Jessica beugte sich nach vorne und klopfte mit den Fingerspitzen an die Forellen. Der zarte Geruch nach gebratenem Fisch stieg ihr in die Nase und das Wasser lief ihr im Mund zusammen. Sie hob die Gitter vom Feuer und reichte sie Tom, der die Forellen zerteilte und die Gräten abhob.

»Ihr mögt doch Fische?«, seine Frage an die beiden neuen Freunde, und er gab die Gitter weiter und bekam dafür zwei Stöckchen mit aufgespießten Würstchen, die sie andächtig aßen. In stiller Eintracht, zusammen mit den Forellen, Kartoffeln, einem Gemüsemix aus braunen und weißen Wurzeln mit Sauerampferblättern und als Nachspeise die Bratäpfel und Brombeeren, jeden Bissen genießend. Das Mädchen kicherte, mit einem Blick zu Jessica, und zupfte sich eine winzige Gräte von der Zunge.

»Ich habe lange nicht so gut gegessen«, seufzte sie und Jessica antwortete mit einem Kopfschütteln.

»Ich auch nicht. Hier schmecken die Fische besonders gut, findest du nicht?«, gab sie weiter an Tom und sein Beitrag dazu, ein gesummtes Ja. Bedeutungsvoller als jedes Gesprochene. »Vor allem die Silberdisteln, die findet man selten, und hier gleich eine Handvoll. Heute hatte ich Glück.«

Nach dem Essen nahm Jessica ihre Mundharmonika heraus und spielte Songs von Bob Dylon und Jonny Cash, ihre Lieblingsinterpreten, und das Mädchen sang zu den Liedern. Ihre Stimme klang rauchig, im nasalen Tonfall von Dylon, und die Musik mischte sich mit dem Dämmerlicht des Abends.

Im Fluss sprangen die Forellen nach Mücken und platschten zurück ins Wasser, Grillen zirpten, das Lagerfeuer fraß sich knisternd, mit kleinen blauen Flammen in die Zweige, die Tom nachgelegt hatte, und vom anderen Ufer hörten sie das heisere Bellen eines Fuchses. Ein kühler Abendwind brachte den Duft von getrocknetem Steinklee mit und in den Weiden am Ufer tanzten die Glühwürmchen, wie verirrte Funken vom Lagerfeuer.

Ein Moment, der die Seele zum Schwingen bringt.

»Woher kommt ihr ursprünglich, also wenn ihr nicht unterwegs seid?«, fragte der Junge, als Jessica ihre Mundharmonika ausklopfte und seiner Freundin ein Lächeln schenkte.

Tom sah Jessica an und zuckte mit den Schultern. »Wir haben kein Zuhause«, sagte er. »Unser Zuhause ist, wo wir gerade sind.« Sie nickte ihm zu, ein Zustimmen in allen Dingen, und der Junge schwieg in Gedanken verloren.

»Ich möchte euch eine Geschichte erzählen«, sagte Tom und lehnte sich zurück. Sein Teil zu diesem schönen Spätsommerabend.

»Ich habe früher den Kindern bei uns im Heim Geschichten erzählt, an langen Sonntagnachmittagen, wenn draußen der Regen gegen die Fenster peitschte, oder im Winter der Schneesturm wütete, und wir nicht hinaus gehen durften. Aber das ist lange her.«

»Eine Geschichte, ja!«, freute sich das Mädchen und griff unbewusst nach dem Teddy an ihrer Seite.

»Sie handelt von einem kleinen Jungen, der einen verletzten Wolf findet und ihn gesund pflegt«, erklärte Tom und sah eine Weile ins Feuer, unter dessen züngelnden Flammen die Glut pulsierte, wie ein rot glühendes Tier, das in seinen letzten Zügen lag, bevor er zu erzählen begann.

Das Feuer malte zuckende Schatten in sein Gesicht. Seine Stimme wurde tiefer und leiser. Über dem Bergkamm im Westen hob sich die schmale Sichel des Mondes und tauchte den Fluss, die Wälder und Wiesen ringsum in sanftes Licht.

Gespannt lauschten die Drei seinen Worten, während alle Geräusche im Hintergrund verstummten und nur noch Toms Stimme zu hören war, die eine eigene Welt erschuf, in der sich seine Zuhörer verloren und wiederfanden.

 

*

 

Zwei Wochen später streckten sich Tom und Jessica in einem kleinen Wäldchen neben der Salzach aus. Sie waren schwimmen gewesen und lagen in gelassener Mattigkeit im Gras. Der Wind war frisch und roch nach feuchten Blättern und nach dem Anbruch einer neuen Jahreszeit. Die Sonnenstrahlen, die durch das Laub drangen, legten sich wie ein Netz auf ihre Körper, und hinter ihnen floss der kalte Strom in seinem steinigen Flussbett rauschend dahin.

»Es wird Herbst!«, stellte Tom fest und blinzelte in die tanzenden Lichter unter dem Blätterdach.

»Ja. Der Sommer geht zu Ende. Wir werden nicht mehr oft schwimmen gehen können.«

»Carlos und Fritz haben gestern Abend darüber gesprochen, dass sie den Winter im Norden verbringen. Sie gehen nach Hamburg auf die Reeperbahn und wollen sehen, ob es da Jobs für sie gibt.«

»Sie waren vor drei Jahren in Hamburg. Es gibt nicht viel Geld, reicht aber zum Überleben und die beiden wollen irgendwann aussteigen aus dem Geschäft. Ich habe sie reden gehört. Dafür braucht es Erspartes.« Jessica sah Tom mit gerunzelter Stirn an, und schon kam nach sekundenlanger Stille ihre Frage, die sie schon einige Zeit mit sich trug.

»Was wirst du im Winter machen?« Das klang wie eine leise Bitte, es wird wehtun, also sei bitte vorsichtig, und ihre Hand tastete nach seiner, als wollte sie ihn festhalten, damit er nicht weglaufen konnte. So wie sie es selbst vor einigen Jahren getan hatte.

Die Freundin hatte sie gefragt, was ihr im Kopf herumging. Dabei war es damals für sie selber nicht klar, wie sie sich heute eingestand. Sie hatte Fluchtpläne geschmiedet, in langen Nächten auch mit der Freundin geteilt, aber nie den Mut aufgebracht sie auszuführen. Davonzulaufen und ein neues Leben anzufangen. Bis zu dem Zeitpunkt, als die Frage von der Freundin kam.

»Was wirst du jetzt tun?« Und ihre Antwort. »Ich gehe!«

Eine Entgegnung aus dem Bauch heraus und die Freundin hatte gelacht. Ein nervöses Lachen, das Jessica bis zu diesem Tag im Ohr hatte. Sie drückte Toms Hand und der drehte ihr den Kopf zu und sah sie mit schiefem Lächeln an.

»Darüber habe ich nicht nachgedacht.« Seine Antwort, auch überrascht, weil er nie soweit vorausdachte, wie sie und sich Gedanken machte. Der Winter war eine Zeit, die Jahre entfernt war. Sein Blick ging wieder unter die Blätter, als suchte er dort nach einer Möglichkeit mit dem Klang ihrer Worte im Ohr.

»Was macht ihr im Winter?«

»Wir ziehen ins Winterlager. Die komplette Anlage wird gewartet, geschmiert, überholt. Wir kaufen Vorräte ein, zerlegen und ölen die Gewehre, Big Mama legt Karten und liest aus Händen. Viele Leute wollen ihre Zukunft wissen. Ob sie sich verlieben, ob ihre Liebe bleibt, Kinder, Jobs und solche Sachen. Damit kommen wir gut über den Winter.«

Sie sah wieder zu Tom. »Die Männer suchen sich Jobs, soviel ich weiß, und die Frauen organisieren den Haushalt, machen Pläne für die nächste Saison und bereiten alles vor.«

»Dann werde ich mir einen Job suchen.« Tom legte den Kopf zur Seite und sah Jessica in die Augen. »Und eine Bleibe. Ich werde irgendwo ein Zimmer brauchen.« Er tastete nach einem Stein und warf ihn über die Wiese in ein nahes Gebüsch, lauschte dem Klacken, als er aufschlug, und warf einen Zweiten, der raschelnd im Laub landete. Seine Hand sammelte Staub und trockene Erde, die er zwischen den Fingern zerrieb und zu Boden rieseln ließ. Der Wind kam von Nordost. Ein unbewusstes Tun und die Schlussfolgerung dazu.

»Ich würde dich gerne mitnehmen, aber du kannst nicht mit uns gehen. Wir haben nur ein kleines Häuschen, flüsterte Jessica und die Stimme wurde dunkel vor Kummer. Ihre Hand klammerte sich an Toms Hand, ohne sich dessen bewusst zu sein, während die Worte in ihrer Kehle kratzten, als wäre jedes einzelne mit Disteln umgeben.

Ein Winter ohne Tom, das war für sie unvorstellbar. Sie dachte an die langen dunklen Tage, die ihr davor nie lange erschienen waren, und haderte mit dem Schicksal. Sah nur noch Novembernebel und Wintergrau, wo bis dahin Schneeflockenwirbel, Eisblumenfenster und tief verschneite Märchenlandschaften waren. Keine Sonne, kein Lachen, keine Fröhlichkeit.

»Ich werde dich vermissen!«, murmelte sie, drehte sich zu ihm herum und legte ihm eine Hand auf die Wange. In den Augen glitzerten Tränen. »Du fehlst mir, wenn ich an den Winter denke.«

»Hmmh«, summte Tom und sah Jessica lange an. »Du wirst mir auch fehlen in diesem Winter. Du bist mein Sonnenschein. Dein Lachen wird mir fehlen und deine Blicke, die mir folgen bei meinem Tun. Deine Stimme wird mir fehlen, dein Mund und der Duft deiner Haare.« Er legte seine Hand an ihre Wange, so wie er ihre Hand an seiner spürte, und streichelte sie zärtlich. Malte mit den Fingern die Konturen ihres Gesichts nach und verwischte die Tränen, die Jessica über Wangen und Kinn liefen.

»Ich habe dich kommen gesehen, im Sommer, als du aus dem Nirgendwo aufgetaucht bist«, flüsterte Jessica und ihre Lippen zitterten unter der sanften Berührung. »Du bist zu Black Jack gegangen und hast ihn angesprochen.«

Tom nickte wortlos.

»Ich habe mir damals gedacht, der Junge hat entweder Mut oder ist grenzenlos verzweifelt. Ich habe Wochen gebraucht, um mit ihm zu reden. Obwohl er oft bei uns zu Tisch saß.«

»So schlimm ist er nicht«, widersprach Tom und ein Lächeln huschte über sein Gesicht. »Er sieht grimmig aus und ist hart, aber gerecht.«

»Ich dachte, du wirst zerbrechen. An der Arbeit, an den Aufgaben, an unserem Leben. Aber du hast es geschafft und jetzt bin ich es, die beinahe zerbricht.«

»Bitte sag das nicht.« Er küsste sie auf die Augen, die Wangen, den Mund, und sie spürte den salzigen Geschmack ihrer Tränen auf seinen Lippen.

»Ich hab‘ dich lieb, Jessica und ich werde dich immer lieben. Wir gehören zusammen. Wir sind eins. Das Leben hat mich hierhergeführt, um dich zu finden.«

Sie drückte ihr Gesicht in seine Halsbeuge und nickte mit klopfendem Herzen ihre Zustimmung, fühlte sich geborgen und wusste, dass seine Worte ehrlich gemeint waren.

»Du könntest einen Job in der Nähe suchen, dann sehen wir uns auch im Winter«, sagte sie, und in ihrer Stimme klang die leise Bitte mit, die in ihrem Herzen brannte.

»Ich weiß nicht, was ich machen soll. Ich habe nur den Schulabschluss, aber keinen richtigen Beruf.«

»Es wird sich etwas finden.«

»Hmmh«, summte Tom wieder und wusste doch, dass sie sich trennen würden. Das Leben hatte seine eigenen Spielregeln und nahm auf niemanden Rücksicht. Nicht auf Gute, nicht auf Böse, nicht auf Alte, nicht auf Junge, nicht auf Liebende und schon gar nicht auf Kinder ohne Eltern.

Sie lagen unter den Bäumen und redeten, bis es Abend wurde. Vom Westen her wehte eine kühle Brise und die Sonne verschwand hinter einem Bergrücken, der aussah wie eine schlafende Riesin. Am lavendelfarbenen Himmel flackerte der Widerschein eines weit entfernten Gewitters auf. Nichts, dass sie bekümmern konnte. Sie standen auf, sammelten ihre Kleider ein und gingen den Weg neben dem Fluss ins Lager zurück. Begleitet vom monotonen Zirpen der Grillen, die in den Uferböschungen ihr Zuhause hatten. Eng aneinandergedrückt erzählte die schmale Silhouette ihrer beiden Schatten im Abendlicht von Nähe und Vergänglichkeit.

 

Die Alte wartete mit dem Abendessen auf sie. Schon von weitem erkannten sie den aufglimmenden Glutpunkt ihrer Zigarette im dunklen Schatten des Wohnwagens. Sie saß im Bambusschaukelstuhl, eingewickelt in Decken und rauchte.

»Ihr kommt grade zur recht´n Zeit«, krächzte sie. »Die Kartoffel sin´ fertig. Es gibt Würstchen mit Speck un´ Fisolen dazu.«

»Danke, Big Mama!« Jessica löste sich von Tom, ging zu der Alten und legte ihr die Hand auf die Schulter. »Danke für alles«, die Worte leise, fast geflüstert, ging sie in den Wohnwagen. Nachdenklich schlug die alte Frau die Augen auf und starrte in die bunten Lichter gegenüber, wo der Autoscooter still, wie eine kleine beleuchtete Insel vor ihr lag. Ihr Gesicht wirkte hart im orangefarbenen Schimmer der Zigarette, die im Takt ihrer Züge aufglühte. Sie schnippte den Stummel in die Nacht, wo er mit glühender Spur verlosch, erhob sich und folgte Jessica. Tom kam wortlos hinterher.

Nach dem Abendessen setzte sie sich wieder in den geliebten Stuhl, mit einer zerdrückten Packung Zigaretten in der Hand, und qualmte dicke blaue Wolken in die reglose Nachtluft. Tom ließ sich auf der Bank daneben nieder, für Minuten ein stiller Komplize, der den Rauch durch die Nase ausblies.

»Gib mir deine linke Hand!«, befahl ihm die Zigeunerin plötzlich unwirsch und ihre Finger legten sich wie eine Klaue auf seinen Arm. Sie lachte heiser bellend, weil er der harschen Aufforderung nicht sofort nachkam.

»Denkst du ich will sie dir abnehm´n. Keine Angst, du bekommst s´e wieder.«

Tom sah sie von der Seite an und versuchte ihrem Blick zu widerstehen, musste aber nach einem Moment die Augen senken. Sie packte seine Hand, zog sie zu sich heran und warf einen Blick darauf. Betrachtete unter dem spärlichen Licht, das aus dem Fenster über ihnen sickerte, die Linien darin und murmelte seltsame Laute in einer fremden Sprache.

»Wenn du mich verhexen willst, ich habe keine Angst«, presste Tom zwischen zusammengekniffenen Lippen hervor.

»Ich verhex´ dich nich´«, erwiderte Big Mama ernst. »Das is´ meine Muttersprache, dummer Junge. Ich rufe mir ins Gedächtnis, was s´e mich gelehrt hat.« Sie zeichnete mit ihrem Finger die Linien seiner Hand nach und er hatte das Gefühl, als würde sie ihn mit der Glut ihrer Zigarette berühren. Er biss die Zähne zusammen und unterdrückte ein Stöhnen.

»Du wirst viel Leid erleben, am Körper, wie an der Seele. Und das noch in jungen Jahren.« Ihre Stimme war rau, wie ein monotoner Singsang, der aus weiter Ferne kam. »Du wirst sterben und wieder geboren werden. Danach wirst du ein and´rer sein. Ob du dich wiederfindest oder für immer verlierst, kann ich nich´ klar seh´n.«

Sie zwinkerte irritiert und riss die Augen weit auf.

»Du bist einer von uns. Du hast uraltes Zigeunerblut in den Adern«, keuchte sie, drückte ihre Fingernägel in seinen Arm und sah ihn lange an. »Wenn du dich verlierst, wirst du sterben, wenn du dich findest, wirst du sehr alt werden.«

Sie ließ Toms Hand fallen, sprang auf und wankte auf wackeligen Beinen in den Wohnwagen. Dort saß Jessica und nähte an einem Hemd von Tom.

»Lass das!«, riss ihr die Alte abrupt das Hemd weg und warf es zu Boden. »Halt´ dich von ihm fern. Er bringt Unglück!«

Mehr Appell als Befehl, setzte sie sich zum Tisch, starrte auf ihre Handflächen und versank in Schweigen. Überrascht von dem jähen Zorn sah Jessica hoch, nahm nach einer Weile das Hemd wieder auf und nähte weiter. In seltsamer Stille und Gedanken versunken, die Augen voller Tränen.

Tom saß in dieser Nacht hinter dem Wohnwagen und sah in die dunkle Ebene dahinter. Er lauschte den Geräuschen da draußen. Einem Waldkauz, der ihn zu rufen schien, dem heiseren Bellen eines Fuchses und dem leisen Murmeln des Flusses, das der Wind zu ihm herübertrug. Es roch nach ausgelaufenem Diesel und Straßenteer, nach feuchtem Heu und sauren Gräsern. Seine Handflächen brannten, als hätte er glühende Eisen aus dem Feuer geholt. Die Alte hatte ihm keine Angst gemacht, nur seine Gewissheit vertieft, dass er niemand an sich heranlassen durfte. Nur so sah er eine Chance, seinem Schicksal zu entkommen.

Er hob den Kopf, sah in den Himmel über ihm, wo tausende Sterne glitzerten, und fragte sich, ob der Morgen mehr für sie bereithielt als nur einen neuen Tag, als plötzlich zwei von ihnen herunterfielen. Der erste explodierte in hellem Schein, während der andere noch lange fiel und dann still verlosch.

Sind das wir beide, Jessica, dachte er. Diese fallenden Sterne, die ihren Weg durch die Zeit gingen, wer weiß wie lange und wie weit, um endlich zusammenzufinden und dann zu sterben. Jeder für sich. Jeder auf seine Art. Jeder allein.

 

*

 

Als der November kam, lagen die letzten gemeinsamen Tage vor ihnen. Die letzte Station, die letzte Stadt für dieses Jahr und ein goldener Herbst hinter ihnen. Mit buntem Laub in den Bäumen, stahlblauem Himmel, eiskalten nebelverhangenen Morgen und sommerlich warmen Nachmittagen. Die Natur meinte es gut mit den fahrenden Leuten. Sie schienen das Glück der Tüchtigen gepachtet zu haben, auch wenn die Arbeit immer schwerer wurde. Der Körper sehnte sich am Ende der langen Saison nach Ruhe. Die Gespräche drehten sich mehr und mehr um die winterliche Pause. Das Verschnaufen. Um die Arbeit, die zu Hause liegen geblieben war, und die Besucher, die allmählich ausblieben.

Big Mama erhob sich gegen Morgen von ihrem Bett. Sie bekam kaum Luft und konnte nicht schlafen. In diesem Jahr war es besonders schlimm. Dazu kam die Feuchtigkeit des Herbstes, die ihr in die alten Knochen kroch und jede Bewegung mühsam machte. Sie schob die dicke Daunendecke zur Seite und stellte die Füße auf den Boden. Ein eisiger Schauer lief ihr über Rücken und Arme. Es war kalt und klamm im Wohnwagen. Der Fußboden trotz Teppich wie gefroren. Ihr Blick ging zum Fenster, das einen Fingerbreit offen war. Draußen schlichen Nebelfetzen im Dämmerlicht des neuen Tages vom Fluss herauf, hingen in den Sträuchern und stiegen aus der Wiese.

Stille breitete sich aus.

Sie vermisste das sommerliche Zirpen der Grillen und das Zwitschern der Vögel. Umständlich beugte sie sich über das Bett, schloss das Fenster und horchte auf die ruhigen Atemzüge des Mädchens, das am anderen Ende des Wagens schlief.

Unverbrauchte Jugend, so unschuldig wie ungestüm, dachte sie und schaute mit stillem Seufzen hinüber.

Ihre Gedanken gingen zu dem Jungen, der diesen Sommer zu ihnen gestoßen war.

Sie können nicht voneinander lassen, dachte sie, und ich kann ihr Schicksal nicht ändern.

Ächzend stand sie vorsichtig auf und sah sich im Halbdunkel des Wohnwagens um. Es war zu kalt hier drinnen und die Feuchtigkeit des Novembers drang durch alle Ritzen in den Wagen. Sie rieb sich die Arme, die Beine, alles Zitternde, und zuletzt noch den Schlaf aus den Augen. Ihr Blick ging zu der Heizung. Die roten und grünen kleinen Lichter, die Gasfüllstand und Funktion anzeigten, waren aus.

Kein Strom, dachte sie und tastete nach dem Lichtschalter über ihrem Bett. Nichts. Entweder war die Hauptsicherung gefallen, oder draußen hatte sich der Stecker für den Anschluss gelöst. Sie überlegte einen Augenblick und entschied dann zu handeln. Ohne Heizung würde es bis zum Aufstehen im Wagen eiskalt werden. Mit steifen Fingern griff sie nach ihrem Umhang, der über dem Sessel neben dem Bett hing. Ein uraltes Ding in ausgebleichter roter Wolle bestickt in den Farben und mit den Mustern der Familie, beinahe so alt wie sie selbst, aber wärmend in dieser Jahreszeit. Sie ließ ihren Blick noch einmal durch den Raum wandern, ein Tasten mit den Augen, und ging mit müden Beinen zum Kleiderkasten. Schob Mäntel, Kleider und Jessicas Hemden zur Seite, öffnete die Klappe in der hinteren Ecke und tastete nach dem Schalter.

Klackend legte sie den kleinen Hebel um. Wieder und wieder. Ohne Erfolg.

Warum ist es nie die einfache Lösung, dachte sie und seufzte. Vermutlich war irgendjemand heute Nacht über das Kabel gestolpert und hatte den Stecker gelöst, wer immer hinter dem Wohnwagen herumgetappt war.

Kalte Morgenluft schlug ihr entgegen und ließ sie frösteln, als sie die Tür öffnete und nach draußen trat. Sie konnte den Wind im Gesicht spüren und den nahen Fluss riechen. Den Schlamm, den er mitführte, an den Ufern als Sediment absetzte und den Geruch nach verendeten Fischen und verfaulten Gräsern.

»Das ist kein Fluss, das ist ein fließendes Abwasser«, hatte Tom gesagt, als er von seiner Erkundungstour zurückkam. Verärgert und enttäuscht, obwohl bei diesen Temperaturen ohnehin nicht an Schwimmen zu denken war.

Big Mama hob schnuppernd die Nase in den Wind und schüttelte den Kopf. Was ist aus unserer Welt geworden, dachte sie und wandte sich nach rechts, um hinter den Wagen zu gehen. Das Licht war hier düster, von den Schatten der Nacht beherrscht, hell nur innerhalb der Wagenburg, wo ausreichend Lampen den Platz beleuchteten. Sie schob einen Fuß vor den anderen, abwartend, bis sich die Augen an das wenige Licht gewöhnt hatten, und sie mögliche Hindernisse erkennen konnte.

Das Kabel steckte fest in seiner Halterung, also ging sie der Leitung nach. Ließ sie durch die Finger gleiten, um sie nicht zu verlieren und dann mühsam suchen zu müssen, unter all den anderen, die im Dunkel zusammenliefen und sich am Ende trafen. Nach wenigen Schritten schon steckte es fest, ließ sich nicht weiter verfolgen. Eingeklemmt in eine Bodenschiene aus dünnem Blech, die sie schützen sollte. Die Schiene verbogen und gequetscht, im Dämmerlicht kaum zu bemerken, von Laub und Sand bedeckt.

Big Mama zerrte daran, aber das Kabel löste sich nicht. Ärgerlich fluchend bückte sie sich und griff mit der anderen Hand auch danach, um zu ziehen, was verkeilt oder verflochten war. Ihr Blick ging die Schiene entlang, der Nebel schlich um die nackten Beine. Ihr war kalt.

»Scheißkabel aber auch!«, knurrte sie und zog fester daran. Mit einem Ruck lösten sich das Kabel und zwei weitere aus der Bodenschiene und die Frau verlor beinahe den Halt. Instinktiv griff sie nach dem einzigen Teil, der ihr Stütze bot, und zog daran, um sich zu fangen. Die Hand rutschte weiter, die Kabelstränge entlang, wo die Isolierung von dem beschädigten Blech blankgescheuert war und packte zu. Ein Griff ohne Bedenken, die Wachsamkeit gedämpft durch die frühe Stunde, traf sie der erste Schlag hart und lähmte augenblicklich die Muskeln. Der Strom biss sich fest, wie eine bösartige Schlange, kam in Wellen, wieder und wieder, die feinen Haare auf den Armen stellten sich auf und ein leises Knistern lag in der Luft.

Die Frau konnte die Hand nicht mehr öffnen, nicht loslassen, nicht schreien, die Kiefer verkrampft im tödlichen Kampf, kam kein Ton aus ihrem Mund. Die Augen weit aufgerissen, zitterten ihre Pupillen im Ringen des Widerstands gegen den tödlichen Griff, der ihr Herz umklammerte und das Blut zum Kochen brachte. Sie fiel in die feuchte Wiese und ihr Körper wurde für Sekunden eingehüllt in eine blaue Aura aus Licht, die aussah wie die das kühle Blau einer Gasflamme.

So war das also, dachte sie noch. Das hast du als Letztes gespürt. Ihre Gedanken gingen an den alten Pat und für sich noch die Frage, warum sie wie er in den Strom greifen musste, und zuletzt die Sorge um das Mädchen. Aber da war ihr Geist schon in helles Licht getaucht. Alles um sie herum in unendlichem Weiß und sie fühlte keinen Schmerz mehr, nur Zufriedenheit stellte sich ein und eine ungewisse Freude.

Ich komme heim, Freunde, macht Platz in der Runde.

Ihr Körper zuckte noch einmal, als wollten die Beine loslaufen, ehe sie erschlaffte und im kleinen grauen Kasten am anderen Ende der Straße der Sicherungsdraht schmolz und der Strom aus war. Das blau flackernde Licht erlosch. Ungesehen von menschlichen Augen. Nur ein abgemagerter schwarzer Kater hatte die Szene interessiert beobachtet. Er duckte sich unter einem Gebüsch und verschwand, als ihm der unangenehme Geruch nach Ozon und verbrannter Haut in die Nase stach. Um die Frau herum bildete sich ein zarter Nebelschleier, wie die sichtbar gewordene Seele, die den Körper verließ, und schwebte davon in Richtung des Flusses.

Am Morgen fand Carlos die alte Zigeunerin. Sie lag wie ein schlafendes Kind am Boden, beleuchtet von einem schmalen Streifen Sonnenlichts, das seinen Weg zwischen den Wagen hindurchfand. Klein und mager. Sie, die lebendig wie eine Riesin gewirkt hatte, unnahbar und einschüchternd, war jetzt bloß ein Bündel aus Haut und Knochen im alten wollenen Umhang, ihr Blick in weite Ferne gerichtet.

 

*

 

Tom saß vor dem Wohnwagen auf der Bank und hielt Jessica im Arm. Sie lehnte an seiner Brust, die Augen tränenverhangen und schluchzte leise. Ihr Körper zitterte bei jedem Einatmen und er konnte sie nur festhalten, fand keine Worte, keinen Trost. In seinem Kopf nichts als Leere. Neben sich hörte er schlurfende Schritte auf steinigem Boden näherkommen. Tom hob den Kopf. Der Himmel war voller Vögel. Ein großer Zug der Richtung Süden flog, ihrem Winterdomizil entgegen. Für einen Augenblick wünschte er sich, mit ihnen fliegen zu können. Alles auf der Erde zurück zu lassen und einfach mit ihnen gen Süden zu ziehen. Keine Verantwortung, keine Gedanken an das Morgen, keine Erinnerung an das Gestern. Die Schritte verstummten und die bullige Gestalt von Black Jack blieb nahe ihm stehen. Tom drehte den Kopf und sah ihn an, erwiderte ruhig den sonst harten Blick, der von ungeweinten Tränen weichgezeichnet war. Der große Mann blickte auf ihn hinunter und dann zur Seite, ein Winken des Kopfes im Weggehen, mehr Bitte als Befehl ihm zu folgen, und dann wandte er sich auch schon ab. Tom nickte ihm hinterher, eine Geste, und schob Jessica sachte in Marie‘s Arme, die sich neben das Mädchen gesetzt hatte. Beide weinten still und hielten sich fest. Mehr Trost, als er selbst zu bieten hatte.

»Du hast nichts damit zu tun, verschwinde hier«, knurrte Black Jack und drückte ihm ein Bündel Geldscheine in die Hand. Seine Stimme glich der einer geschundenen Seele, die dazu gezwungen wurde, ins Licht zu blicken.

»Das ist dein ausständiger Lohn. Hier kommt gleich die Polizei. Mit der willst du nichts zu tun haben.«

»Sie war eine gute Frau. Ich möchte zu ihrer Beerdigung gehen.«

»Sie wird nicht begraben. Sie ist eine Frau vom Volk der Sinti. Wir bestatten unsere Toten in Grabkammern, damit sie nicht mit Erde in Berührung kommen. Wir nehmen meine Urgroßmutter mit nach Hause und setzen sie in ihre Kammer, neben dem alten Pat.«

Tom nickte und blieb stehen, weil einer nach dem anderen kam, um Jessica zu umarmen. Emilio und Carlos, Jorge, Fritz und die Frauen. Ihre Gesichter wirkten blass, und sie alle waren sich bewusst, dass dieses Unglück auch ihnen hätte zustoßen können.

Die Männer kamen zu ihm und klopften ihm auf die Schulter und die Frauen drückten ihn für einen Moment an sich. Er konnte ihre Wärme spüren und die Tränen auf ihren Wangen. Er wollte ihnen die Worte der Alten zurufen, dass er einer der ihren war, dass er uraltes Zigeunerblut in den Adern hätte, aber sein Mund blieb stumm. Verloren starrte er in den Himmel, wo die Vögel längst verschwunden waren und das Blau darin leer war.

Wenn deine Zeit gekommen ist, um zu gehen, gibt es schlimmere Jahreszeiten als diese, um deiner Verpflichtung nachzukommen, hatte sie einmal zu ihm gesagt, als sie über den alten Pat gesprochen hatten, und nun war sie selbst gegangen.

Es gibt keine passende Jahreszeit, murmelte er, als sie Jessica mit sich nahmen. Aber niemand beachtete ihn, und so drehte er sich wortlos um, ging zum Wohnwagen, der auch nicht seiner war, und packte den grauen Seesack mit den wenigen Haben, die er hatte. Er sah sich um im Wagen, der für kurze Zeit sein Zuhause war. Das Einzige, das er je ein Zuhause genannt hatte, rückte ein Kissen zurecht und strich die Decken glatt. Unbewusste Handgriffe, um das unvermeidliche Gehen hinauszuzögern. Seine Kehle war trocken. Er presste die Lippen zusammen. Eines Tages würde er sich einen Bus kaufen und einrichten, wie Jorge ihn hatte. Schnell sprang er aus dem Wagen, mehr Flucht als ein Gehen und sah sich um, nach Jorge, Carlos oder Fritz, aber es war keiner mehr da, der Platz lag verlassen vor ihm. Er wollte sich von ihnen verabschieden, und dann noch zu Jessica, ihr sagen, dass er gehen musste, dass er sie liebte und nicht vergessen würde, als er den Polizeiwagen sah, der in ihr Lager einbog. Mit einem letzten Blick auf den Wohnwagen von Big Mama sprang er zur Seite und machte sich davon. Lief den Weg entlang, sprang über einen Gartenzaun und ging wie ein gewöhnlicher Spaziergänger mit klopfendem Herzen die nächste Seitenstraße entlang in Richtung Stadtrand. Unbeachtet von der Polizei und den Leuten der Stadt, die ihrer Wege gingen, als sei nichts geschehen. Dort am Stadtrand war eine Zigeunerin gestorben. Noch wussten sie nichts davon, und als sie erfuhren, war es nichts, dass sie berührte. Lediglich einen Tratsch für ein paar Tage wert, dann war auch das vergessen.

Die Polizei nahm die Daten auf, besprach sich mit dem Amtsarzt, der einzig den Tod bestätigen konnte, und zeigte an mehr kein Interesse. Die waren vom fahrenden Volk. Eine weniger, was soll sein. Ein Stromunfall, also das nächste Mal besser aufpassen, klar?

Niemand fragte nach. Niemand wollte wissen, wer für ihren Tod verantwortlich war. Vermutlich sie selbst. Von den Stadtleuten war keiner zu Schaden gekommen, und für einen Vagabunden interessierte sich kein Mensch.

 

*

 

Nach der Befragung, bei der die Polizei nur ihren Namen wissen wollte, alles andere von Black Jack, packte Jessica ihre Sachen. Die Papiere, die ihr Big Mama besorgt hatte, Ausweis, Sparbuch und alles Geld, das sie finden konnte, in einen Seesack. Ein Geschenk von Carlos, das er vor Jahren aus Hamburg mitgebracht hatte. Ihre Augen füllten sich mit Tränen und ihr Herz mit Zorn. Auf die alte Frau, die in der Nacht allein gestorben war, auf die Freunde, die sie getröstet hatten und doch nicht die Familie waren, die sie sich immer gewünscht hatte, und auf Tom, der verschwunden war. Sie wollte mit ihm gehen, ihm sagen, dass sie nicht bleiben konnte, jetzt, da ihre Welt auseinandergebrochen war.

»Wo bist du, verdammt!«, schrie sie den Stofftieren entgegen und wischte sie wütend mit beiden Händen aus dem Regal. Stumm kullerten sie zu Boden und blieben in buntem Durcheinander liegen. Enten, Saurier, Bären, Schmetterlinge und Elfen. Beinahe ein fröhlicher Haufen, und Jessica trat dagegen und ließ sie ein zweites Mal fliegen. Nur einer überstand das Desaster. Saß in der hintersten Ecke und sah sie vorwurfsvoll an. In seinen braunen Glasaugen schimmerte ein Licht, als ob sie lebendig wären.

»Du! Natürlich du!«, murmelte Jessica und ließ die Arme hängen. Die Haare hingen ihr wirr ins Gesicht und der Zorn verpuffte wie das Knallen der Luftdruckgewehre, das im Trubel eines lauten Abends kaum zu hören war. Sie nahm den kleinen Teddy heraus.

»Dich will auch keiner. Du bleibst immer übrig. Jedes verdammte Jahr. Und jetzt hast du dich ganz nach hinten gedrückt, damit ich dich verschone.« Sie setzte den Bären neben das Regal und räumte in einem Anflug von schlechtem Gewissen die Stofftiere zurück auf ihren Platz.

»Es ist so wenig, das bleibt«, flüsterte sie und ihre leisen dahingesprochenen Worte hallten im Wohnwagen nach, breiteten sich in der Stille aus und hinterließen einen schalen Geschmack von Leere. Sie ließ ihren Blick ein letztes Mal durch den Raum wandern, der solange ein Zuhause war. Strich mit den Fingern über Möbel und Kissen, und blinzelte die Tränen weg, die hinter ihren Lidern andrängten.

Sie wollte jetzt nicht über ihr Leben nachdenken. Nicht über Vergangenheit, Gegenwart und schon gar nicht über die Zukunft, die dunkel und voll bitterer Geheimnisse vor ihr lag.

Missmutig packte sie den Seesack und ging nach draußen. Der Platz lag einsam und verlassen im sanften Licht eines sonnigen Novembertages vor ihr. Die Wagen sahen schmutzig und verwahrlost aus. Irgendwo in der Stadt bellte ein Hund, aber kein anderer antwortete ihm. Ein ferner Ruf nach Zuneigung, der ungehört verhallte. Die Lichterkette über dem Pferdekarussell schaukelte in einer leichten Brise, die von den Bergen herabkam und zwischen den Wagen knarrte ein Schild. Zögernd setzte sie einen Fuß auf die Straße und sprang erschrocken zurück in den Wagen.

»Scheiße, du musst schreien, hörst du!«, rief sie dem kleinen Bären zu, der still neben dem Regal saß, nur seine Augen funkelten, und steckte ihn in die Tasche zu dem Geld und den Papieren. »Wenn du nicht kämpfst, wirst du nicht überleben!«

Dann hastete sie nach draußen, zog die Tür hinter ihr zu und lief in die Stadt, die an diesem späten Vormittag menschenleer vor ihr lag. Ohne bestimmtes Ziel, einfach nur weg, lief sie durch Straßen und Gassen. Vorbei an verlassenen Parks und kleinen Cafés, deren Gastgarten leer waren, und landete am auslaufenden Ende des Bahnhofs. Während sie noch überlegte, in welche Richtung sie sich wenden sollte, setzte sich ihr gegenüber ein Güterzug in Bewegung. Ohne weiter darüber nachzudenken, lief sie quer über den Platz, sprang über leere Getränkedosen, unkrautüberwucherte Schutthaufen, über Abfall und verborgene Schienen zwischen ungemähten Gräsern dem Waggon in der Mitte des Zuges entgegen. Dem Einzigen mit offenem Schiebetor. Sie lief schneller und schneller, schnappte nach dem seitlichen Griff neben dem Tor, ließ sich mitziehen und sprang hoch. Ihre Knie schlugen hart an den unteren Rand der Öffnung und sie landete halb im Waggon. In ihrem Kopf blitzte der Schmerz als grelle Flamme auf, und sie versuchte verzweifelt sich mit den Händen festzuklammern, aber die strampelnden Füße fanden keinen Halt und sie rutschte zurück. Die Finger schrammten über das grobe Holz des Bodens, der ihr die Haut aufriss und der Seesack auf ihrem Rücken zog sie mit seinem Gewicht nach unten. Sie konnte das Rattern der Räder hören, die über die Schienen rumpelten, das Kreischen von Metall auf Metall, als der Zug in eine Kurve fuhr und beschleunigte.

Die Fliehkraft zog sie nach draußen, und alles in ihr schrumpfte bei dem Gedanken an einen Sturz. Dann sah sie nur noch das Dach des Waggons über sich, den blauen Himmel dahinter und sie wusste, dass sie diesen Unfall nicht unbeschadet überstehen würde. Ihr Mund öffnete sich zu einem lautlosen Schrei, der Bitte um Hilfe und in ihrem Kopf das Bild des kleinen Teddybären. Dann verloren ihre Finger vollends den Halt und sie fiel.

 

*

 

Ein Schatten, wie ein großer Raubvogel, der sich auf seine Beute stürzt, legte sich über Jessica und sie spürte einen harten Schlag an ihrem Handgelenk. Die Füße schrammten über groben Kies. Sie trat nach unten, um wegzukommen, von den Schienen, von den Rädern, und von der Gefahr überrollt zu werden. Mit einem Ruck, der ihr beinahe die Schulter auskegelte, wurde sie hochgeschleudert, prallte gegen eine harte Kante, überschlug sich, oben war unten und unten war oben und lag plötzlich still. Auf dem Rücken liegend blinzelte sie in die Schatten um sie herum und horchte in sich hinein. Versuchte anhand der aufflammenden Schmerzen in Rücken, Bauch, Schultern und Beinen zu erkennen, wie schwer ihre Verletzungen waren.

Ihr Kopf brummte benommen. Verstört sah sie um sich.

Es roch nach Weizen oder Getreide, so genau konnte sie das nicht bestimmen.

Ich bin in einem Feld gelandet, ihr erster Gedanke. Der Boden unter ihrem Rücken vibrierte und ruckelte, oder war sie das selber? Sie wandte sich zur Seite und schaute in ein helles Viereck, an dem eine hügelige Landschaft und vereinzelt auch Sträucher vorbeizogen. Erschrocken fuhr sie herum, als sie im Halbdunkel eine Bewegung neben sich wahrnahm.

»Du wolltest doch mitfahren, oder nicht?«

»Ja, deswegen musstest du mir aber nicht den Arm ausreißen«, stöhnte Jessica, bewegte vorsichtig die Finger der linken Hand und hob den Arm.

»Ist noch dran«, erwiderte Tom. In seinem Mundwinkel blitzte ein Lächeln auf.

»Mein Seesack?« Jessica sah sich um und seufzte erleichtert, als Tom den marineblauen Stoffsack hochhielt.

»Ist hier!«

Sie tastete danach und Tom schob die prall gefüllte Tasche an ihre Seite. Jessica steckte die Hand hinein und zog den Teddybären heraus. Sie hielt ihn hoch und lachte verlegen, und nach einem langen Moment lachte Tom mit ihr, und sie steckte den Bären zurück in die Tasche.

»Wohin fahren wir?« Ihr Blick ging nach draußen, wo Bäume, Sträucher, vereinzelt auch Häuser und Landschaften an ihr vorüberzogen.

»Nach Osten.« Jessica hob fragend die Brauen und Tom zuckte mit den Schultern.

»Den Bestimmungsort weiß ich nicht, nur dass es nach Osten geht.« Jessica rollte sich herum und rappelte sich stöhnend auf die Knie.

»Schlimm?« Sie nickte und schüttelte den Kopf und nickte wieder, als ob sie selbst nicht sicher wäre, wie weit ihre Verletzungen gingen.

»Tut mir leid, ging nicht anders«, sagte Tom und kniff die Lippen zusammen. Er rutschte ein Stück in das Dunkel hinter ihm. »Du warst plötzlich im Wagen, und als ich dir helfen wollte, warst du fast wieder draußen.«

»Ich habe den Absprung verpasst.« Und nach leisem Räuspern, als sei es ihr eben eingefallen, kam ihr ›Danke‹.

Hingeworfen in die Schatten, in denen ihr Retter hockte.

Sie ging zu ihm, ein Vorwärtstasten auf schwankendem Boden, weil der Zug in eine Kurve fuhr und ihre Knie vor Schmerzen zitterten.

»So also muss es sich anfühlen, wenn unter dir die Erde bebt«, sagte sie und ließ sich neben ihn fallen, legte den Kopf auf seine Schulter und suchte die Hand. Eine Nähe zu ihm, den sie bald verloren hätte, für einen Neuanfang.

Sie redeten im Zug über die alte Zigeunerin, den Jahrmarkt, den Sommer, und erzählten sich Dinge, nur um ihre Stimmen zu hören. Zu wissen, dass der andere da war, während die Räder über Schienen ratterten und ihr unendliches Lied sangen. Nur ab und an kam ein Bahnhof in Sicht. Dann achteten sie auf die Umgebung, um die Richtung zu wissen, wohin sie nach ihrem Absprung laufen müssten. Ein stetes fluchtbereit sein. Und verkrochen sich, während der Zug den Bahnhof passierte, meist ohne stehen zu bleiben.

Gegen Abend kamen sie in eine größere Stadt. Ein weites Schienennetz breitete sich um sie herum aus, noch bevor die Häuser höher wurden. Der Zug verlor an Geschwindigkeit.

»Hier müssen wir raus!« Tom ging zum Tor und hockte sich daneben auf die Fersen. Er starrte hinaus. Sein Gesicht wirkte angespannt.

Details

Seiten
ISBN (ePUB)
9783739488370
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2020 (März)
Schlagworte
Glück Pferde Krankheit Kummer Krebs Schmerz Einsamkeit verliebt reiten Reitstall

Autor

  • Marc de Sarno (Autor:in)

Mein Name ist Marc de Sarno. Ich bin Jahrgang 1961, verheiratet, habe drei Kinder und lebe und arbeite in Österreich. In meiner freien Zeit laufe ich, bin beim Mountainbiken, wandern, Kanu und SUP fahren oder Bogen schießen. Und sonst bin ich sportlich mit meiner Ducati oder gemütlich mit unserem Wohnmobil unterwegs, lese gerne Krimis, Thriller, historische Romane.
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Titel: Unsere Träume warten hinter dem Horizont